Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Am folgenden Tage fühlte sich Parsenow geradezu auffallend wohl und leicht. Endlich einmal eine Entscheidung, wenn auch eine andere, als er gehofft. Etwa hunderttausend Mark Schulden, zweihundert Mark im Vermögen ... ein klippes, klares Rechenexempel und als dessen einzige Lösung die Heirat. Er hatte sich noch am Abend vorher mit Hilda verlobt; nicht in eigentlicher Form, aber doch so, daß kein Mißverständnis, keine Enttäuschung mehr möglich war. Sein Mund sprach aus, was beide schon seit lange wußten, ihre Augen trafen sich und ein Händedruck besiegelte verstohlen in dem dunklen Hintergrund der Loge ihren Bund, ohne daß sie ahnten, wie durch das Guckloch des Vorhangs ein zornig brennendes Augenpaar unverwandt auf sie starrte.

Der Kammerdiener sann vergebens über den Grund der guten Laune seines Herrn nach, während er das Bad richtend mit dem Thermometer durch die lauwarme Flut fuhr. Er wußte von dem Unfall auf dem Rennplatz; der Kutscher hatte ihm erzählt, daß der Graf den ganzen Abend mit den Döbelns zugebracht und dann sofort nach Hause gefahren sei. Ein Spielgewinnst war mithin auch nicht möglich ... was also sonst? Ein Glück, daß der Diener nichts von Parsenows Heiratsplänen ahnte. Er hätte sofort gekündigt! Er war als korrekter Valet de Chambre unverheiratet und verlangte dasselbe von seiner Herrschaft. Auf Stellungen in Familien ließ er sich prinzipiell nicht ein ...

Als er seinem Herrn den Thee servierte, sah ihn dieser halb belustigt an. Verrückte Situation! dieser Mann, der ehrerbietig vor ihm stand, war in diesem Augenblick wahrscheinlich hundertmal reicher als er, der Graf, der ihm nicht einmal seinen Lohn zahlen könnte, wenn heute zufällig der Erste wäre. »Am Ende weiß der Kerl schon alles!« fuhr es Parsenow durch den Kopf. Es war ihm, als spiele ein ironisches Lächeln um die schmalen, glatt rasierten Lippen des Lakaien. Aber nein ... das war eine Täuschung. Das Gesicht des Dieners war unbeweglich wie gewöhnlich und lautlos wie sonst glitt er hinaus, als im Vorflur der dumpfe Klang einer Metallschale zeigte, daß ein Besucher an der Treppenthüre stand.

»Herr Krakauer!« meldete der Diener, den Kopf hereinstreckend, in erwartungsvollem Flüstern.

»Rein!« Parsenow lächelte. Der kam ihm gerade gelegen.

Herr Krakauer trat ein, Hut und Stock in der Hand, sagte geschäftsmäßig guten Morgen und ließ sich ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, in einen Fauteuil sinken.

Parsenow schob ihm schweigend die Cigarettenschachtel hin.

So saßen sich beide gegenüber und rauchten. In langen Streifen zog der bläuliche Dampf durch das Zimmer. Keiner rührte sich.

Endlich brach Krakauer das Schweigen. Er sah den Grafen an und sagte dann gedehnt:

»Nu? ...«

»Was denn?« Parsenow lächelte.

»Ich frage ... was nu?« wiederholte der Geldmann.

»Ja ... wenn Sie's nicht wissen, Herr Krakauer!«

»Herr Graf,« der andere schob seinen Stuhl näher heran und dämpfte seine Stimme ... »wie wärs mit meinem Vorschlag von neulich?«

»Ich habe keine Ahnung mehr,« sagte Parsenow und zündete sich eine neue Cigarette an.

»Herrgott .. die Dame, von der ich Ihnen sprach ... durchaus achtbar ... eine Million bar ... ganz hübsche Erscheinung ...«

»So!«

»Der Großvater war schon getauft ... ich schwör' es Ihnen ...«

»Mag er Mormone gewesen sein!« erwiderte Parsenow kaltblütig, »... ich reflektiere nicht darauf ... ich habe die Schwäche, mich für einen Gentleman zu halten und ein derartiger Schacher ...«

»Herr Graf ... thun Sie mir den einzigen Gefallen ... keine philosophischen Redensarten ... davon lebt man nicht ...«

»Gut! Bleiben wir bei der Sache.« Der Graf sieht seinen Besucher scharf an .. »ich bin verlobt.«

Herr Krakauer springt unwillkürlich halb in dem Fauteuil empor. »Mit wem?«

»Frau von Braneck.«

»Oh« ... ein tiefes Nachdenken gleitet über die Züge des Geldmannes. Rasch sammelt er in seinem nie trügenden Gedächtnis, was er über Frau von Braneck und ihren Vater oder vielmehr über das Vermögen der beiden weiß. Das Ergebnis scheint ihn zu befriedigen. »Ist gut, Herr Graf,« sagt er und steht auf, »das haben Sie ganz fein gemacht.«

»Bitte« ... erwidert Parsenow, »keine philosophischen Redensarten, Herr Krakauer ...«

»Nu, man wird Ihnen doch gratulieren dürfen!« meint der Geldmann pikiert, ... »Sie haben mir Sorgen genug gemacht. Herr Graf ...«

»Schön!« Parsenow setzt sich an den Schreibtisch, nimmt ein Papier und beginnt es in flüchtigen Zügen zu beschreiben. Krakauer tritt mißtrauisch hinter ihn und blickt ihm über die Schulter. »Was machen Sie denn da?«

»Sie sehen es ja ... ich schreibe einen Wechsel ...«

»Für mich?« sagt Krakauer erschrocken und tritt zurück ... »machen Sie keine Witze ...«

»Ja ... für wen denn sonst?« Parsenow dreht sich ganz erstaunt herum ... »glauben Sie, daß ein Bräutigam von der Luft lebt? ... Im Gegenteil! schon die Bouqets jeden Morgen verschlingen ein Vermögen ... aber ... wenn Sie nicht wollen ... denn nicht! Dann geht eben die Verlobung zurück und ...«

»Geben Sie her!« sagt Krakauer mürrisch, prüft das Papier, holt seufzend seine Brieftasche hervor und zahlt eine Reihe Tausendmarkscheine auf den Tisch.

Parsenow streicht sie mit geübter Hand ein. »Und nun, mein lieber Herr Krakauer,« sagt er leutselig, »nehmen Sie es nicht übel, wenn ich uns beide hier herausschmeiße. Ich habe dringende Geschäfte ...« »Nu... meinen Sie ... ich nicht?« der Geldmann knöpft sich verdrossen seinen Rock zu, während sich Parsenow von dem Diener Hut und Mantel reichen läßt. Sie treten zusammen auf die Straße, wo hintereinander ihre beiden tadellosen Coupés der Gebieter harren. Beide gleichen sich wie ein Ei dem andern. Nur ist Parsenows Kutscher ein hagerer, glattrasierter Engländer, während der auf Krakauers Bock einen langen blonden Vollbart und das eiserne Kreuz auf der Brust trägt.

Die zwei Herren trennen sich mit flüchtigem Kopfnicken, einem Zeichen geringschätziger Vertraulichkeit und steigen ein. Die Wagenthüren schlagen zu, die Coupés rollen in zwei verschiedenen Richtungen davon.


Um diese Zeit wachte Erna auf, sah gähnend zur Decke empor und sammelte langsam ihre Gedanken. Allmählich kamen ihr, während sie die Nachthandschuhe auszog, um sich die verschlafenen Augen zu reiben, die Ereignisse des gestrigen Tages in Erinnerung ... der Sturz Satanellas ... der Streit mit dem Direktor ... und dann ... sie fuhr auf ... richtig ... die verdächtige Haltung Parsenows, der schon seit Tagen wie ein Schwerverlobter herumging, und der angekündigte Besuch des Bankiers.

Der heutige Tag mußte die Situation klären. Lang ausgestreckt und den Kopf in die Kissen zurückgeworfen überdachte Erna die Sachlage. Es war doch ein schlimmes Ding, wenn Parsenow das schon seit einiger Zeit gelockerte Verhältnis völlig abbrach. Sie hatte eine dumpfe Vorstellung, als sei sie ihrem Schneider eine Masse Geld schuldig – wieviel, das wußte sie freilich auch nicht annähernd – und wann sie Schuster und Putzmacherin zum letzten Mal bezahlt, konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern. Der Hauswirt hatte kürzlich auch schon wieder einmal heraufgeschickt und an die Zahlung der Miete erinnern lassen ... jeden Tag meldeten sich allerhand Menschen, die Geld haben wollten, und dabei war nichts mehr vorhanden ...

Nichts. Neulich hatte sie schon ihr Kammermädchen um hundert Mark angeborgt und ein Türkisenarmband versetzt. So ging das nicht weiter.

Sie rief sich das Bild van Looks in die Erinnerung und gab sich, halb unbewußt, Mühe, ihn interessant und anziehend zu finden. Aber immer wieder verblaßte neben Parsenows glänzender Erscheinung, dem kühnen, scharfgeschnittenen Gesicht mit dem langen Schnurrbart, die verlebte Gestalt des Bankiers zu einem Nichts und verschwammen seine blasierten, abgelebten Züge. Erna seufzte auf. Was war da zu machen? Und schließlich – nun drehte sie sich die Sache um – Parsenow hatte doch auch seine Fehler – was für welche sogar! Er hatte etwas so herrisches in seinem Wesen und es lag immer eine Art ironischer Verachtung in seinem Verkehr mit ihr und anderen Damen der Welt, in der man sich nicht langweilt. Zuweilen betrank er sich. Wenn er Kater hatte, war er noch unleidlicher. Und vor allem ... was ließ sich von einem Mann erwarten, der solches Pech mit Pferden und Karten hat, wie Parsenow in letzter Zeit? Einmal mußte das ja zu einem Ende mit Schrecken, zu einer Verlobung führen! da war es besser, dies Ende nicht abzuwarten.

Und beruhigt schellte Erna ihrem Kammermädchen, um sich Chocolade und die Morgenpost bringen zu lassen. Es waren fünf Briefe da, die Erna nachlässig überflog und dann zerrissen auf das Bärenfell vor ihrem Bett warf. Drei davon enthielten Rechnungen, der vierte ein anonymes, höchst unorthographisch gekritzeltes Schreiben von Damenhand, offenbar aus der Feder einer Collegin, die sich in allerlei höhnischen Ausfällen und Sticheleien wegen des Kulissen-Skandals und des Verlustes der neuen Rolle erging. Im fünften endlich frug ein ihr völlig unbekannter Herr Waldegg um die Erlaubnis an, sie zu besuchen, und berief sich dabei auf seine Beziehungen zu den ersten Bühnenkreisen der Residenz.

Daneben lagen zwei Zeitungen, das am Sonntag erscheinende Reklameblatt ihres Agenten, angefüllt mit Journal-Kritiken über verschiedene Künstler, die mit dieser Firma dritten Ranges in Verbindung standen. Jeder Tadel des betreffenden Kunstrichters von Krotoschin oder Apenrade war sorgfältig weggestrichen, so daß die ohnedies vielfach in hartem Kampf mit der Grammatik und in schlechtem Reporterdeutsch verfaßten Besprechungen eine zusammenhanglose Reihe von Lobsprüchen über die Aufführung verschiedener Operetten und Possen darstellten. Berlin war nur durch das Edentheater und zwei andere Vorstadtbühnen vertreten. Durfte man dem Blatte Glauben schenken, so kehrten allabendlich Hunderte klagend und das gefüllte Portemonnaie in der Hand vor dem ausverkauften Edentheater um, auf dessen Bühne der Stern von Berlin, Fräulein Erna Ernesti die unerhörtesten Triumphe feierte, und wurden dem rührigen Leiter des traulichen Musentempels im Westen täglich stürmische Ovationen zu Teil.

Das andere Blatt war eine illustrierte Wiener Theater-Zeitung, mit allerhand plump nach dem Französischen der Grevin, Mars u. s. w. gestrichelten Skizzen, und faden Witzen darunter. Den Hauptbestandteil der Nummer aber bildete wie gewöhnlich der Briefkasten, in dem, als Antwort auf fingierte Anfragen, der neueste Kulissentratsch in Gestalt von pikanten Histörchen verarbeitet wurde. Die Namen der Beteiligten waren nicht genannt, sondern nur angedeutet. Wen es anging, der erriet es ja doch, und Fernstehende interessierte die Thatsache kaum, daß der Graf P. die kleine Tänzerin V. schamloser Weise mit falschen Brillanten beschenkt habe, um ihre Gunst zu erwerben, und daß ein anderer »Kavalier«, Herr v. H–y neulich bei dem Fräulein A. M. abgefallen sei, da diese ihre engen, außerkontraktlichen Beziehungen zu dem Direktor ihrer Bühne nicht lockern wolle.

Erna überlas die Zeitung, fand, daß ihr Name nicht genannt war, ballte sie zusammen und warf sie dem kleinen Havanesen an die zottigen Ohren, der friedlich auf dem Bärenfell, an den ausgestopften Kopf gelehnt, schlummerte.

Der Havaneser fuhr quitschend auf und flüchtete sich zu dem Kammermädchen, die mit der Meldung eintrat, daß Graf Parsenow erschienen sei und vorn im Boudoir sitze.

Erna ließ ihn nicht lange warten. Sie fuhr rasch in einen blauseidenen Schlafrock und ein Paar türkische Pantoffel, stülpte sich einen Fez auf das unordentlich zusammengeknotete und aufgesteckte Haar und schlüpfte über den Corridor hinüber in ihr kleines Boudoir.

Parsenow dehnte sich da am Fenster in einem Lehnstuhl, den Cylinder hatte er vor sich auf den Boden gestellt, der Stock lag daneben. Er rauchte eine dicke Cyriazi-Cigarette und war eifrig in die Beschäftigung vertieft, aus einem auf dem Tisch stehenden Goldfisch-Bassin die Insassen mit Hülfe des vorgefundenen Netzhakens einzeln herauszufischen, sie zu betrachten und dann, nachdem er sie mit Cigarettenrauch angeblasen, wieder in das Wasser zu versenken. Schwamm dann der Fisch, so zog der Rauch in einer Menge kleiner Bläschen von ihm empor zur Oberfläche des Bassins.

»Was machst Du denn da?« frug Erna unwirsch beim Eintreten. »Unsinn natürlich ...«

»Du siehst,« sagte Parsenow zweideutig lächelnd und schwenkte das Netz, in dem eben der Matador der Bassin-Bevölkerung krampfhaft zappelte, ... »ich angele einen Goldfisch ...«

»Laß die armen Tiere in Ruhe ...« Die Ernesti war gar nicht geneigt, auf seine Scherze einzugehen. Sie nahm sich eine Cigarette aus seiner Silberdose, warf sich lang auf das Canapé, gähnte und begann mit spitzem Munde, Rauchringel zu blasen.

»Warum kommst Du denn heute so früh?« frug sie endlich.

»Warum?« – Parsenow räusperte sich. »Weil ich mit Dir zu reden habe, mein Kind.«

»So? ... ich mit Dir auch!«

»Na ... dann schieß los ... Wie viel macht es denn zusammen?«

»Was?«

»Die ganze Summe! Ich kann doch unmöglich deine unvernünftigen Rechnungen auch noch einzeln durchsehen!«

»Natürlich!« sagte Erna und sah ihn feindselig an, »Geld ... immer nur Geld! Etwas anderes, glaubt Ihr, giebts nicht ... als das Gold ...«

»Oh doch« ... erwidert Parsenow ... »wenn ich mich recht erinnere, nimmst Du sogar Kassenscheine lieber ... Es brauchen keine kleinen zu sein, wenn es nur viele sind ...«

»Genug von den Witzen!« Die Ernesti stand auf, schleuderte die Cigarette auf den Boden, wo sie noch eine Zeitlang in den persischem Teppich weiterglimmte und seufzte auf. Die Zeit schien ihr gekommen, dem Grafen eine Parolie zu biegen.

»Was hast Du?«

»Ach, mein lieber Freund ...« Erna brachte eine leise Wehmut in ihre Stimme und versuchte, sehr ernst auszusehen ... »ich habe alles überdacht ... diese Nacht, während ich schlaflos dalag ...«

»Schwindl' doch nicht, Kind« bemerkte Parsenow gleichmütig dazwischen ... »ich kenne Deinen Schlaf. Ein Murmeltier ist nichts dagegen ...«

»Und diese lieblose Bemerkung,« fuhr die Schauspielerin unbeirrt fort ... »bestärkt mich nur in meinem Entschluß ...«

»In welchem?«

Erna sah den Grafen seelenvoll an.

»Wir müssen uns trennen, mein Freund!«

»Ah ... Das ist stark!« Parsenow stand verblüfft auf.

»Wir verstehen uns nicht mehr ... wir ... na mit einem Worte ... von heute ab ists aus!«

»Es ist doch unglaublich!« Staunend steht Parsenow auf die schlanke Gestalt, die da in dem blauen Morgenrock vor ihm steht. »Weißt Du denn überhaupt, was Du sprichst?«

»Sehr genau!«

»Und Du hast die Stirne, mir so ... beinahe ... den Laufpaß zu geben!«

»Nicht nur beinahe ... sondern wirklich?«

»Da hört aber denn doch die Weltgeschichte auf!« Parsenow tritt verstört an das Fenster. Diese Kröte ... als ob sie es wüßte, weswegen er gekommen ist ... Sie war immer ein kluges Mädchen, aber so viel Schlauheit hätte er ihr doch nicht zugetraut.

Endlich wendet er sich vorwurfsvoll um: »Also das ist Dein Dank?«

»Wofür denn?«

»Wirklich, Erna« ... und er tritt näher zu ihr heran, die vor dem Kamin auf dem Boden kauert und mit der Zange zwecklos in der Glut herumstochert, »das hätte ich Dir nicht zugetraut ...«

»Wir waren doch neulich zusammen im Friedrich-Wilhelmstädt'schen ...« sagt Erna, vom Boden her, ohne sich umzudrehen ... »Erinnerst Du Dich noch, was sie da sangen ...

Was Du nicht willst, daß man Dir thu' ...
Das füg' schnell vorher dem andern zu ...«

Trällernd klingt die leichtsinnige Melodie von ihren Lippen. Dann steht sie auf und reicht dem Grafen die Hand. »Na ... und nun sei nicht böse ... es geht doch nicht anders ... komm ... wir wollen als gute Freunde auseinandergehen ...«

»Na, meinetwegen!« ... Parsenow lacht auf und drückt ihre schmale Hand, daß sie fast schreit. »Ein geriss'ner kleiner Käfer bist Du ... daß muß man Dir lassen.«

»Na ... und später« ... Erna bläst sich schmollend auf die Hand ... »wenn Du da 'mal Lust hast, so besuche mich doch des Nachmittags auf ein Plauderstündchen ...«

»Danke!« sagt Parsenow und greift nach Hut und Stock ... »Ich liebe die Kaffeeverhältnisse nicht. Mir scheint, Du hältst mich schon vollständig für einen Biedergreis ...«

»Na ... wenn Du doch heiratest ...« meint die Schauspielerin. »Uebrigens ... sie ist hübsch. Ich habe sie gestern in der Loge gesehen.«

»Wenn sie nur Dir gefällt!« erwidert der Graf bissig. »Das ist die Hauptsache.«

»Hat sie denn Geld?«

Diese Frage ist denn doch zu dumm, als daß sie Parsenow einer Antwort würdigte. Soll sie etwa noch arm sein? Als ob man zum Vergnügen heiratete! »Guten Morgen« sagt er trocken, schüttelt Erna die Hand und tritt auf den Corridor. Ein wehmütiges Lächeln gleitet über sein Gesicht. Dann steigt er die Treppen hinunter zum Wagen. »Franz ... in den Blumenladen von Schmidt unter den Linden!« ...


Als Herr van Look eine Stunde später seine Aufwartung machte, wurde er durchaus nicht so rasch empfangen. Er mußte eine ziemliche Zeit warten, bis Fräulein Ernesti wohl frisiert und in elegantem Morgenrock hereinrauschte und ihm freundschaftlich die Hand entgegenstreckte.

Uebrigens dauerte die Antrittsvisite nicht lange. Beide Teile waren noch etwas befangen. Es war, als ob der Schatten Parsenow mit seinen blitzenden Augen und seinem dräuenden Schnurrbart in dem traulichen Boudoir umginge.

So verabredete man nur, sich des Abends nach dem Theater zu treffen, um gemeinsam im »Bristol« zu soupieren. Dann empfahl sich der Bankier, den dringende Geschäfte nach der Börse riefen.

Als er ging, ließ er neben dem Blumenstrauß, den er gebracht, unauffällig ein Briefkouvert liegen. Erna übersah es geflissentlich. Aber als sie es später neugierig öffnete und das dicke Banknotenbündel sah, ging ein Lächeln der Befriedigung über ihre edelgeformten Züge. Auch das Kammermädchen, dem van Look zwanzig Mark in die Hand gedrückt, war guter Dinge. Der neue Herr hatte sich günstig eingeführt ...

Erna blickte ihm gedankenvoll nach. Sie suchte ihre neue Rolle hervor und sperrte sie in ein Schubfach ihres Schreibtisches, um sie, wie eine gereizte Löwin ihr Junges, gegen etwaige Abholungsversuche von Seiten des Theaterdieners zu verteidigen. Dann faßte sie nach ein paar zierlichen, an dem Griff mit Leder überzogenen Hanteln und begann seufzend damit zu turnen, eine langweilige, aber bei ihrer Schmächtigkeit unerläßliche Uebung, um die Arme in angenehmer und nicht zu weichlicher Rundung zu erhalten.


Als Parsenow in den Blumenladen trat, fand er dort einen Herrn damit beschäftigt, sich eine Gardenia in das Knopfloch des Smoking-Coat zu zwängen. Ein plump gebauter Mensch mit wulstigen Gesichtszügen, matten kleinen Augen und leicht geröteten Wimpern. Das war der Prinz von Stayningen, der letzte Sproß eines uralten schwäbischen Dynastengeschlechts.

»Nanu, Parsenow ...« sagte der Prinz mit heiserer Stimme, als er bemerkte, welch kostbare Blumenspende jener sich zusammenstellen ließ, ein Füllhorn von Epheu und Immergrün umwunden, aus dem in duftigen Wogen frische Veilchen von San Remo hervorquollen ».. verwöhnen Sie die Ernesti nicht zu sehr ...«

»Wer sagt Ihnen denn, daß das für die Ernesti ist?« Der Graf beugte sich über den Korb und ordnete an den Veilchen.

»Na ... für welches Weib denn sonst?«

»Für meine Braut ... Frau von Braneck ...

Parsenows Stimme klang unheimlich in ihrem halblauten, schneidenden Ton.

»Ach ... pardon!« stotterte der Prinz ... »hatte ja keine Ahnung ... also verlobt ... Deubel auch ... gratuliere ... ja ja ... so gehen sie alle hin ... einer nach dem andern ... 's is tieftraurig ...«

Die Neuigkeit brannte auf ihm. Es litt ihn nicht länger in dem Laden. Mit hochgehobenem Ellenbogen reichte er Parsenow zwei Finger der Rechten, griff nach der zierlich geglätteten, mit Silber beschlagenen Keule, die ihm als Spazierstock diente, und zog hinaus die Linden entlang. Vorübergehende sahen lachend der vulgären Gigerl-Erscheinung nach und machten ihre Glossen über seinen hohen, gestreiften Hemdkragen, den viel zu kurzen, hellbraunen Paletot, die schlotternden mit Bügelfalte versehenen Hosen und endlos langen glatten Lackstiefel, aber niemand ahnte, daß dieser Herr mit dem Ausdruck gelangweilten Stumpfsinns auf den nichtssagenden Zügen der letzte Ueberlebende eines der ruhmreichsten Heldengeschlechter Deutschlands sei. Erst als er in das Grill-Room der American-Bar eintrat, wo einige Sportsmen gähnend bei Porter, Coktail und einem Imbiß beisammen saßen, zeigte die ehrfurchtsvolle Begrüßung, das Herbeistürzen der Kellner und die liebenswürdigen Blicke der Bar-Maid, daß ein illustrer Gast seine Einkehr in das Turf-Lokal gehalten. Blitzschnell verbreitete sich von hier die Neuigkeit und als Parsenow von dem Blumenladen kommend, die Linden herauf fuhr, mußte er es bereits erleben, daß eine Gruppe befreundeter Herren ihn mit tiefernstem Leichenbitter-Gesicht von dem Gehweg her grüßten.

Parsenow verdroß das. Während er die Stufen des Hotels mit dem Blumenkorb in der Hand emporstieg, war es ihm, als sähe ihn selbst der begleitende Piccolo mit spöttischem Beileid an, ja, in Hildas Mienen sogar glaubte er, als sie ihm zärtlich lachend entgegentrat, eine Art überlegenen Triumphes zu lesen, das Siegesbewußtsein, ihn glücklich eingefangen zu haben und in den Hafen des Philisteriums zu schleppen.

Aber nein ... bald darauf, als er mit Hilda zusammen auf dem Sofa saß, mußte er sich sagen, daß sie keineswegs philiströs, sondern eine bewundernswürdig kluge und angenehme Frau sei. Er wußte aus den Berichten seiner Freunde, daß es im Brautstand ohne eine Generalbeichte nicht abgeht und hatte sich eben unter Schlucken und Räuspern daran gemacht, Hilda auf die Enthüllung einiger dunkler Punkte in seinem Vorleben vorzubereiten, als sie ihm mit gelassenem Lächeln unterbrach.

»Weißt Du ...« sagte sie und blickte gleichmütig vor sich hin ... »daß Du bis jetzt kein Tugendspiegel warst, daß weiß ich ja. Und mehr möchte ich auch nicht wissen. Am wenigsten die Namen der ... der ...« sie sann nach einem Ausdruck und fand endlich doch nur das Wort: »der Damen, mit denen Du ... weißt Du ... ich will nur die Gewißheit haben, daß es damit aus ist ... jetzt und für immer.«

»Es ist aus,« sagte Parsenow! »jetzt und für immer. Ich gebe Dir mein Ehrenwort.«

»Also!« Frau Hilda atmete tief auf, »damit sind wir fertig.«

»Ebenso,« fuhr Parsenow fort, »gebe ich Dir mein Ehrenwort, daß ich keine Karte mehr anrühren werde ... keine Karte ... auch nicht zu Whist oder Sechsundsechzig ... ich kenne mich ... und endlich ...« er seufzte auf ... »endlich werde ich nächsten Mittwoch meinen Rennstall auflösen. Ich habe schon alles besprochen. Die Pferde werden zwischen dem zweiten und dritten Rennen meistbietend versteigert.

»Du Armer!« sagte Frau Hilda, »aber Du hast recht. Es ist besser so.«

»Wünscht Du sonst noch etwas?« meinte Parsenow melancholisch ... »soll ich in Zukunft bei dem pommerschen Dorfschneider arbeiten lassen und meine Stiefel vom billigen Mann im Dreimarkbazar kaufen?«

»Nein,« erwiderte Hilda, ... »ich will einen eleganten Mann, mit dem man Staat machen kann. Sonst hätte ich Dich gar nicht genommen.«

»Bei aller Eleganz,« seufzte Parsenow und bemühte sich, zerknirscht auszusehen, »bin ich doch Deiner nicht wert.«

»Das glaube ich auch,« sagte die schöne Frau ruhig, »aber was soll man machen ...«

» ... wenn man sich verliebt,« ergänzte Parsenow und drehte träumerisch den dunklen Schnurrbart.

Frau Hilda gab ihm einen leichten Klaps mit dem Fächer. »Komm jetzt! ... es ist Zeit ... Papa wird ungeduldig, wenn wir ihn warten lassen.«

Und wirklich hörten die beiden, als der Kellner vor ihnen die Thüre des Speiseraums aufriß, bereits die dröhnende Stimme des Majors, der den Geschäftsführer beschuldigte, ihm gewärmte Austern und eisgekühlten Bordeaux geliefert zu haben. Aber Parsenow klang das Gepolter des alten Herrn wie Musik in den Ohren. »Gott sei Dank!« dachte er bei sich, ... es ist doch wenigstens keine Schwiegermutter!«

Des Abends freilich, als er allein nach Hause schlenderte, kam die unbehagliche Stimmung wieder über ihn. Er hatte den ganzen Tag solid in der Gesellschaft der Döbelns verbracht, sie in Berlin herumgeführt und sogar mit hochgeklapptem Paletotkragen und scheu um sich blickend, ob ihn auch nicht irgend ein Bekannter bemerke, in das Panoptikum begleitet, für das jene das gewöhnliche, fieberhafte Interesse der Provinzialen zeigten. Und solche solide Tage würden nun einer nach dem andern sich folgen, dreihundertfünfundsechzig im Jahr. Vorbei war es mit Wein und Weib, mit Pferden und Karten und dem ganzen göttlichen Stumpfsinn des High-Life, der ihn so behaglich viele Jahre hindurch umfangen. Er würde nun heiraten wie andere auch, Kinder zeugen und Hausbälle veranstalten und er sah schon seine bisherigen Genossen vor sich, wie sie in irgend einem Hinterzimmer eines Lindenrestaurants gähnend von ihm als von »dem seligen Parsenow« sprachen.

Er hatte geglaubt, das Gefühl des Verlobtseins müsse ihn drücken, aber im Gegenteil ... es war ihm, als ob ihm etwas fehle. Er hatte das Gefühl, als sei er amputiert worden ... und ein wesentlicher Teil seiner selbst war ja auch wirklich dahin. Die Freiheit, die goldene Freiheit war dahin für immer ... der Gedanke drängte sich Parsenow immer wieder auf, während er mechanisch den vorbeigehenden Ladenmädchen unter die Hüte blickte, bis ihm einfiel, daß sich das ja auch für einen Bräutigam nicht schicke. Aber schließlich ... hatte er nicht in vier Wochen eine reizende Frau, die er liebte und die schöner war als alle Konfektioneusen der Welt? Der Gedanke tröstete ihn wieder und er summte ein vergnügtes Couplet vor sich hin, als er in seine Wohnung trat.

Dort wartete ein Herr auf ihn. »Xaver Ritter von Crocevich« stand auf der Visitenkarte, die ihm der Diener im Flur überreichte, und darunter ein Titel, wonach man den kroatischen Edelmann als k. u. k. Oberleutnant a. D. und Herausgeber des »Berliner Argus« zu betrachten habe.

Parsenow kannte diesen Herrn. Es war ein wegen Wechselschulden entlassener österreichischer Dragonerleutnant, der in verschiedenen Städten als Inhaber eines Tattersalls, Manager einer preisgekrönten Schönheit und Begründer eines Privat-Detektive-Instituts das Interesse der Staatsanwälte auf sich gezogen hatte. Seit einiger Zeit hielt er sich in Berlin auf. Man wußte nicht recht, zu welchem Zweck. »Entschuldigen Sie, Herr Graf,« sagte der blonde, schmächtige Mann, der sich bei seinem Eintritt sofort erhob.

»Was steht zu Diensten?« Parsenow bot dem Fremden keinen Stuhl an, sondern musterte mißvergnügt die schreiend elegant gekleidete Gestalt, bis sein Auge an einem haselnußgroßen falschen Brillanten in dem grellroten Schlips seines Gegenübers hängen blieb.

»Es handelt sich da um eine peinliche Indiskretion, die ich vermeiden möchte,« fuhr der andere fort und zog einen langen Korrekturbogen, eine sogenannte Fahne, aus der Tasche. »Da hat Herr Cassel, der mit mir den ›Berliner Argus, Zeitschrift für Salon und Familie‹ herausgiebt, anläßlich Ihrer Verlobung, zu der ich Ihnen von Herzen gratulire, einen Artikel geschrieben ... einen Artikel ... urteilen Sie selbst, Herr Graf, ob nicht Ihr Fräulein Braut ... Pardon ... Ihre Frau Braut indigniert sein wird, wenn sie ihn durch Zufall liest. Es ist da von Ihren Beziehungen zu dem Fräulein Ernesti die Rede ... und auch zu andern Damen ... es ist ein ganz taktloser Artikel ... ich hab' es dem Cassel gesagt ... aber der meint, ich sollte 'mal erst bei Ihnen anfragen, ob es Ihnen wirklich unangenehm ist, wenn ...«

»Also ein Erpressungs-Versuch?« sagte Parsenow und sah den von Crocevich kaltblütig an, »... sagen Sie mal ... das interessiert mich ... finden Sie wirklich noch Menschen, die auf dergleichen hereinfallen ...?«

»Herr Graf!« Der Besucher bemühte sich beleidigt auszusehen, »wenn Sie meinen guten Willen so verkennen ...«

»Oh ... durchaus nicht ...« Parsenow wandte sich ab und suchte nach irgend einem Gegenstand im Zimmer. »Wo hab' ich nur die Reitpeitsche gelassen ...« murmelte er zwischen den Zähnen... »Ein Augenblick nur, Herr von Crocevitch ... Ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung ...«

Aber der andere war schon an der Thüre. »Wie Sie wollen, mein Herr!« zischte er, seinen Hut ergreifend, »vielleicht geht Ihre Partie doch zurück, wenn Frau von Braneck ...«

»Schreiben Sie ihr, was Sie wollen.« Parsenow suchte immer noch nach der Peitsche.

»Jedenfalls aber bedenken Sie eines!« sagte der Fremde. »Unser Gespräch hatte keine Zeugen. Eine Anzeige bei Gericht würde Sie nutzlos in ...«

»Ah ... endlich! ...« Parsenow wippte die Gerte in der Luft und näherte sich die Thüre. Allein der Redakteur des ›Berliner Argus‹ hatte bereits den Flur gewonnen und stieg in tadelloser Ruhe die Treppe hinunter. Er drehte sich nicht einmal um. »Der Kerl hat Haltung!« dachte Parsenow bei sich, während er in sein Zimmer zurückkehrte.

Dort zündete er sich ein Cigarette an, setzte sich im Schaukelstuhl zurecht und überdachte noch einmal die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden. Es war kein Zweifel ... sie bedeuteten den Wendepunkt seines Lebens. Die eine, jedenfalls die buntere, Hälfte lag abgeschlossen hinter ihm. Es war eine hübsche Reihe Jahre, durch die ihn da die Erinnerung führte, während vor seinen Augen der Rauch in bläulichen Wolken braute und stieg. Erst die Zeit in Kadettenkorps ... roh und öde ... dann das tolle Leben des blutjungen Leutnants von der Garde-Kavallerie, seine Stellung à la suite des Regiments, seine diplomatische Karriere, die so schön begann in dem liederlichen Brüssel, dem leichtsinnigen Stockholm, dem lasterhaften Petersburg, um in dem lachenden Paris zu enden. Dort war er schon etwas verbummelt, ein Roué aus Gewohnheit und Neigung, als ihn wie ein Donnerschlag die Versetzung nach Teheran traf. Da gab es keine Wahl. Entweder auf Jahre der Kultur und allen ihren Freuden entsagen oder als ein freier Mann in der Kultur weiter leben.

So nahm Graf Parsenow den Abschied. Zehn Jahre sind seitdem verrauscht. Sein Geschick hat sich erfüllt. Die Goldstücke sind davon gerollt, die Banknoten hat der Sturm des Lebens entführt, seine Pferde kommen unter den Hammer, der Weiber ist er überdrüssig, nun winkt ihm die Ruhe, der Frieden.

Wie im Traume sieht er den Rauch lang aus dem Schornstein eines pommerschen Herrensitzes zu dem lichten Abendhimmel emporsteigen, endlose Kornfelder wogen und schwanken in dem leichten Hauch des Windes, der durch die weißen Stämme des Buchenwalds daherstreift. Vom Stalle tönt das dumpfe Brüllen der Kühe, irgendwo kräht noch ein verspäteter Hahn und kläffen die Dorfhunde zu der Mondsichel empor, die glänzend zwischen den Lämmerwölkchen hervortritt. Er aber, der Gutsherr, reitet in gemächlichem Schritt vom Felde her durch die Dorfstraße seinem Sitze zu. Die flachshaarigen Kinder flüchten, mit Gänsen und Hühnern vermischt, die großen Butterstullen krampfhaft festhaltend, in die Häuser, die Erwachsenen ziehen die Mützen, er dankt freundlich und sieht zu den hellerleuchteten Fenstern seines Hauses empor, hinter denen seine schöne Frau der Heimkehr des Gutsherrn am Abendtisch harrt.

Ein schönes Bild! In wenigen Wochen konnte es Wirklichkeit werden. Das tröstete den Grafen Parsenow, und als er sich zu dem maßlosen Erstaunen des Kammerdieners schon um elf Uhr schlafen legte, blies er mit der Ueberzeugung das Licht aus, daß er sich das Solidewerden eigentlich viel zu schwierig vorgestellt habe.


 << zurück weiter >>