Rudolph Stratz
Hexenkessel
Rudolph Stratz

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8

Ich bringe Ihnen die Nachrichten, die Sie befahlen. Aber keine guten!« sagte ein paar Stunden später der Lette Jakob Uhleneek finster in seiner rauhen Muttersprache zu seinem Herrn . . . »Sie werden mit diesem Mädchen aus Sebastopol wenig Freude erleben, das Ihnen seit gestern den Kopf betrunken macht.«

»Lasse diese Ausdrücke aus der Teestube . . .« Sein Brotherr stand im Wohnzimmer seines Quartiers in der vornehmen Ausländerpension »Luna« im Berliner Westen und schaute in das spärliche Laternengeflimmer des regenüberströmten, nächtigen Yorkplatzes unten hinab.

»Schmelke Machalles«, fuhr der Lette fort, »hat heute das Mädchen den ganzen Tag beobachtet: Sie ist erst den zweiten Tag in Berlin! Trotzdem kommen Sie zu spät! Sie werden auf dem Wege zu ihr schon einen jungen Mann im Wege finden. Einen Deutschen. Er heißt Vollbrecht. Sie hat mit ihm vorhin im Traktir ›Zar‹ zu Abend gespeist. Er nannte sie, als sie heraustraten, schon beim Vornamen und sie ihn auch. Er brachte sie in den ›Kolokól‹. Dort ist er auch noch beschäftigt.«

»Wahrscheinlich dieser Tschellowjék – dieser Mensch . . . Dieser blonde Kellner . . .« Die hagere, nach vornehmstem englischen Klubschnitt gekleidete Gestalt am Fenster zuckte verächtlich die knochigen Bauernschultern.

»Ein Student!« sprach drüben die düstere Stimme. »An der Landwirtschaftlichen Hochschule. Die Base des jungen Mädchens unterhielt sich in ihrer Pension mit ihren Eltern darüber. Der Gast von der Nummer nebenan dort, den wir geschmiert haben – Iwan Sebald, der Inhaber der unsoliden kleinen Wechselstube in der Friedrichstraße – hörte es an der Türe . . .«

Der andere drehte sich langsam vom Fenster nach dem Innern des Zimmers. Sein hartkantiges, bartloses Antlitz war grobschlächtiger noch von der Natur geschnitten, als das des Vollblutletten. Aber in der lässigen Leichtigkeit der Bewegungen verriet sich der halbrussische Einschlag seines Blutes. Er trat, lautlos auf dem weichen Teppich, mit federnden langen Schritten, wie eine große Katze, vor Jakob Uhleneek hin. In seinen von kaum sichtbaren, rötlichen Wimpern übersproßten graublauen Augen glomm, wie bei einem gereizten, reißenden Menagerietier, ein grünliches Licht der Wut auf . . .

»Der deutsche Universitätshörer«, begann der Lette wieder eintönig, »hat Ihnen das Mädchen bereits abspenstig gemacht! Dank ihm werden Sie sich diese Fliege aus dem Kopf schlagen und wieder Ruhe für Ihre Geschäfte finden!«

Auf dem Diplomatentisch lagen Haufen von Briefen und Schriftstücken an den Gutsbesitzer Igor von Laskarew in der Pension »Luna« in Berlin. Der Bewohner des Zimmers verschloß die Korrespondenz sorgfältig in eine stählerne Kassette. Er hob den Papierkorb und rüttelte ihn, um sich zu überzeugen, daß die Schnitzel darin nichts Verräterisches bedeuteten. Er hielt das grüne Löschblatt der Schreibmappe vor den Spiegel und prüfte mißtrauisch die verkehrte Spur der Tintenabdrücke. Er musterte argwöhnisch den ganzen Wohnraum des ukrainischen Edelmanns Laskarew, ob da nichts herumliege, was irgendwie auf den russischen Handelsvermittler Serge Ssilin am Königsplatz oder den deutschen Geschäftsreisenden Fritz Reuter in der Grenadierstraße, oder den baltischen Baron Robbe in dem Frühstückskeller »Zentralnaja«, oder gar auf den ehemaligen Starschi-Leitnant Ssawa Kol auf dem Linienschiff »Joann-Slatoust« in Sebastopol hinweisen könnte.

»Du bist der einzige Mensch, dem ich hier in Berlin vertraue!« sagte er hart und barsch zu dem Letten Uhkeneek, der ihm, plötzlich wieder in vererbter, stummer Untertänigkeit, in den Mantel half. »Du bist überhaupt der einzige Mensch, dem ich unbedingt vertraue! Darum sehe ich dir bei deinen Frechheiten durch die Finger . . . Aber du irrst dich! Nun werde ich gerade gehen und mir dies Mädchen sichern . . . Zieh mir die Galoschen an . . .« und, eine Papyros anzündend, zu dem wie ein Sklave vor ihm knienden Letten: »Ich werde das auf meine Weise tun . . . Fester den rechten Schuh, du Tölpel . . . Auf krummen Wegen kommt man am schnellsten durch den Wald! Gib mir Hut und Schirm . . . Wieviel Uhr ist es? . . . Halb elf? . . . Gut! Dann hat man im ›Kolokól‹ bereits angefangen!«

Draußen im Gesellschaftsraum der »Luna« rauchten und schwatzten wohlgelaunt die Schwimmer auf der Berliner Papiergeld-Sintflut, die Nutznießer des Chaos aller Preise, die Edelvalutarier des Auslandes. – Briten vor ihrem Brandy und Soda – Yankees vor ihrem Drink, Franzosen, Südamerikaner, Nordländer und Niederländer. Keine Russen. Für die Landsleute Serge Ssilins war die Pension zu teuer. Ein dürrer, alter Angelsachse bleckte verbindlich die gelben Zähne.

»Nun – Sie gehen noch auf Abenteuer aus, Herr von Laskarew – bei diesem Hundewetter . . .?«

»Eine geschäftliche Verabredung, Mr. MacTilloch!« Der kleinrussische Edelmann antwortete mit geschmeidigem Lächeln in fremdartigem, aber fließendem Englisch. ». . . Ein Stelldichein mit einem eben in Berlin eingetroffenen Verwandten aus der Ukraine . . .«

»Hoffentlich bringt er tröstliche Nachrichten . . .«

»Es scheint, daß meine Güter bisher zum Teil weniger gelitten haben, als ich fürchtete! Das schon als verbrannt gemeldete Schloß bei Kiew steht! In einigen meiner früheren Dörfer sollen Herrenhaus, Park – selbst der Wald noch von den Bauern geschont sein! Nun – gute Nacht!«

Fern, am Rande der Straße, huschten die Irrwische der Autolaternen, flimmerte die bläuliche Helle des Kurfürstendamms . . . Serge Ssilin vermied die gerade Richtung. Er näherte sich der geräuschvoll pulsenden, fieberhaft hämmernden großen Schlagader des Westens wie der Springer auf dem Schachbrett im rechten Winkel, von einer Querstraße zur anderen, und drehte, stehenbleibend, an jeder Ecke eine der breitabstehenden Ohrmuscheln rückwärts, ob ihm niemand folge. Dann umwirrte ihn das Ameisengekribbel und Hupengetute und Reklameblitzlicht der taghellen Nacht von Berlin WW. Schon von weitem blinkte ihm aus all der grellen, lärmenden Augenblendung die farbige Girlandenglocke des »Kolokól« entgegen. Unter ihr war der Platz des schlafmützigen Türstehers von gestern leer. Aber jetzt eben trat gemessenen Schrittes aus dem Innern des Kabaretts ein ungeheurer Mensch in Dreispitz und Silberlivree. Er trug auf seinen Armen einen barhäuptigen und befrackten, wild mit Armen und Beinen um sich zappelnden Herrn wie einen Säugling vor sich her und verstaute ihn in ein Auto, dessen Schlag der vorausgeeilte Manager des »Kolokól«, den Hut des Fremden in der Hand, aufriß. Das Antlitz des Portiers verlor dabei, unter dem kleinen, blonden Schnurrbart, keinen Augenblick seine gutmütige Seelenruhe. Der Fremdling innen erfaßte in seiner Aquavitstimmung die Sachlage nicht mehr ganz. Er krabbelte dankbar in seiner Westentasche nach einem Trinkgeld für den starken Mann, der ihn an die Luft gesetzt hatte. »Der er Drinkepenge!« lallte er gerührt. Die Freunde kletterten zu ihm in den Wagen. Ab! Baron Zechhorn schaute ihm sittlich entrüstet durch das funkelnde Einglas nach.

»Der Nigger, den er gestern vor den Leib trat, liegt im Krankenhaus!« sagte er. »Heute versucht dieser Branntweinschmuggler aus Norwegen schon wieder bei uns einzudringen! Derlei spielt heutzutage in Berlin den Kavalier! . . . Man schämt sich wirklich über den Verfall der guten Zucht und Sitte in unserm herrlichen alten Preußen! . . . Entschuldigen Sie nur gnädigst den kleinen Zwischenfall, Herr von Ssilin!«

Der Halbrusse lachte herzlich. Er sah unheimlich aus, wenn er das weiße Wolfsgebiß entblößte. Instinkte der Wildnis – aus verschneitem Birkengehölz und schwarzem Moorsumpf, hoch oben im Norden –, Urwaldtriebe, durch Jahrhunderte vererbt, schienen da aufzuleben. Es lag dabei eine fast graziöse, weltmännische Leichtigkeit in der Bewegung, mit der er seine plumpe, breite Hand dem übernächtigen Betriebsleiter auf die Schulter legte.

»Nun – Gott mit diesem Gast!« sagte er in seinem harten Deutsch. »Wenn er kein Mensch von Bildung war – um so gebildeter scheint Ihr Personal! . . . In der Tat: Ihr Portier hier ist Polytechniker? Und dieser fixe junge Kerl, der mich gestern bediente – wie? . . . Student der Landwirtschaft? Nun also . . .« Serge Ssilin nickte dem Manager plötzlich asiatisch hochmütig zu, warf innen der Garderobiere Hut und Mantel und ein Geflatter von Papiergeld an ihr Häubchen, trat geräuschvoll in den Saal. Auf der Bühne schluchzte Pierrot Lunaire sein Liebeslied. Mit weißem Reismehl gepudert, in weißer Jacke und weißen, weiten Hosen sah er aus wie eine Frau. Er wankte ab. Kolombine hupfte aus der Kulisse und trillerte im Falsett und schwänzelte und kokettierte. Und das war wieder der Pierrot von vorhin. Beifall umtoste den hemdsärmelig, in schwarzer Frackweste und schwarzen Beinkleidern sich verbeugenden Damenimitator. Ssilin warf kein Auge auf den Zwitter. Er winkte gönnerhaft zu der Balalaikakapelle hinüber, setzte sich an seinen reservierten Tisch und scheuchte den ihn umdienernden dicken Alfons wie eine lästige Brummfliege.

»Wo ist der andere? Der junge Herr?« Er blinzelte mit gekniffenen, wimperlosen Lidern über das Parkett hin und bat, durch eine verbindliche und vertrauliche Verbeugung, den blonden Kellner im Hintergrund wie einen guten Freund, sich zu ihm zu bemühen.

»Nun flink, Fritze . . .« Der grauköpfige Oberkellner rieb sich aufgeregt und geschäftig die fetten Hände. Aber gleich darauf stand ihm in seinem schwammigen Rattengesicht der Mund vor Staunen offen. Der Herr von Ssilin hatte sich beim Nahen des jungen Kellners höflich aus seinem Sessel erhoben und dem Fritze freundschaftlich die Hand gereicht – ohne Umstände – vor aller Augen – so als ob zwei Klubmitglieder sich in ihren vier Wänden begrüßten. Serge Ssilin blieb verbindlich vor dem jungen Mann stehen, der ihn verständnislos aus seinen blauen Augen anstarrte.

»Ich habe Sie wegen gestern abend um Verzeihung zu bitten!« versetzte er schnell und herzlich, mit der liebenswürdigen Sicherheit eines Petersburger oder Pariser Weltmanns. »Wir Russen nehmen leider zu oft unsere östlichen Sitten mit ins Ausland! Wir waren in Moskau gewohnt, von Tataren bedient zu werden! Man behandelt sie als Asiaten! Schimpft. Nennt sie du. Diesen schweren Mißgriff beging ich gestern einem Herrn wie Ihnen gegenüber! Ich bot Ihnen, glaube ich, sogar Geld an, wenn Sie diese junge Dame in dem Balalaika-Orchester drüben beobachten wollten! Halten Sie diesen bösen Fauxpas bitte einem Fremden zugut!«

»Ich habe mich über nichts beschwert, Herr Ssilin!« sprach der junge Kellner erstaunt, die Serviette über dem Frackärmel, ganz dienstbarer Geist.

»Das eben, Herr Studiosus Vollbrecht, beweist mir ja deutlich, mit welch einem wahren Gentleman ich es zu tun hatte. Sie stehen nicht nur gesellschaftlich, sondern auch innerlich über Ihrer gegenwärtigen Beschäftigung . . .«

»Setzen!« riefen von hinten verschiedene Stimmen. Eine Tänzerin wandelte, den weißen Körper mit ein paar riesigen schwarzen Schleifen vorn und hinten garniert, auf den Fußspitzen langsam über die Bühne, die Augen auf den Boden geheftet, als suchte sie eine verlorene Stecknadel. Das Klavier hämmerte dazu einen Trauermarsch. Serge Ssilin ließ sich nieder und sagte sanft:

»Ich bin untröstlich, daß ich Sie, mit Rücksicht auf die lächerlichen Vorurteile des Publikums, nicht auffordern kann, auch Platz zu nehmen! Bitte, beugen Sie sich zu mir herab! So stören Sie diesen Tieren hinter uns nicht die Aussicht. Also . . . mein lieber, junger Freund: Sie lächeln wie ich über dies Mißverständnis . . .«

»Ich weiß wahrhaftig nicht, welches.«

». . . daß ich Sie, in meiner Zerstreutheit, für den ersten besten untergeordneten Menschen hielt!«

»Ich bin hier nur der Kellner Fritze, Herr Ssilin, und möchte auch nichts anderes sein! Das gibt nur Konfusion! Darf ich Ihnen wieder Kaviar bringen?«

»Oh – lassen Sie das doch sein! Dafür ist ja der Alte drüben da – dies dicke Schwein . . . Wie lange wollen Sie in dieser Zigeunerschenke hier bleiben? Wie? Es ernährt Sie? . . . Gestatten Sie, daß ich lache! . . . Ein jüngerer Mann wie Sie, der nur den kleinen Finger zu heben braucht, um die schönste Stellung zu gewinnen! . . . Sie haben wochenlang nichts gefunden? Dann gingen Sie – erlauben Sie, daß ich es Ihnen als Freund sage – nicht den richtigen Weg . . .«

»Es ist möglich, Herr Ssilin! . . . Aber ich muß jetzt zu den anderen Gästen . . .«

»Diese Gäste sind nicht wichtig!« Serge Ssilin klammerte freundlich die schwere, viereckige Rechte um Bernds Arm und hielt ihn wie im Schraubstock fest. »Von Bedeutung ist Ihre Zukunft! Mein Gott: sie ist ja gegeben! Berlin wimmelt von Russen. Wir machen Geschäfte! Nach dem Osten. Russen finden wir mehr als Schaben beim Bäcker. Aber wir machen diese Geschäfte von Berlin aus . . .«

»Der Alfons kommt allein nicht durch, Herr Ssilin!«

»Mag er verrecken! Wir brauchen Deutsche, die uns zur Hand gehen! Wie wenig Deutsche gibt es jedoch hier in Berlin, die Rußland kennen . . . Russisch sprechen! Einer dieser spärlichen, uns geradezu unentbehrlichen Reichsdeutschen, Herr Akademiker, sind Sie! Für solche Kräfte habe ich immer eine Verwendung. Meine Kommerzverbindungen reichen weit . . .«

»Herr Ssilin: der Alfons winkt mir krampfhaft . . .«

»Nun – ich begreife. Dergleichen Dinge lassen sich natürlich nicht zwischen diesem Gesindel hier, im Stehen erledigen! Ich will Ihnen einen Vorschlag zur Güte machen, Herr Vollbrecht! Jetzt bedienen Sie mich hier. Ich bin hier gewissermaßen bei Ihnen zu Gast! Erweisen Sie mir bitte die Ehre, hinterher zur Revanche im Slawiansky Basar, gleich um die Ecke, mein Gast zu sein! . . . Bleiben Sie nur gleich in Ihrem Frack, mein junger Freund . . .«

. . . daß dieser alte Teufel, dieser Maître d'hôtel Sie wegläßt, dafür werde ich sorgen!« setzte Serge Ssilin hinzu, während er sich eine Papyros wickelte. Es fiel ihm auf, daß ihm der junge Kellner nicht Feuer reichte. Er hob den rotblonden Borstenschädel. Bernd Vollbrecht hatte den Augenblick benutzt und war nach hinten geeilt.

Es gab da alle Hände voll für ihn zu tun. Er lief absichtlich geschäftig hin und her. Der dicke Alfons schickte ihn, auf einen ungeduldigen Wink Serge Ssilins, mit einem Arm voll Sektpullen ins Orchester zu den Russen. Bernd stand und schenkte ihnen ein. Seine kleine, schwarze Göttin saß gerade vor ihm, in bäuerisch-greller Farbenpracht, die Guitarre im Schoß, und hob das Perlengeflimmer ihres Kopfputzes zu ihm empor und frug neugierig:

»Warum haben Sie denn so einen roten Kopf?«

»Ich ärgere mich über euren Goldonkel dort drüben!« sagte Bernd.

»War er rüde zu Ihnen?« Die Kleine zuckte gottergeben die Achseln. »Sie wissen: ›Kellner‹ heißt auf russisch ›Mensch‹ . . . Aber für den Russen ist ein Kellner kein Mensch . . .«

»Im Gegenteil . . .« Der Jungmann lachte kollerig auf. »Der Kunde wird zu mir plump vertraulich! Er begnügt sich nicht damit, Sie zu belästigen . . .«

»Heute hat er mich die ganze Zeit noch nicht eines einzigen Blickes gewürdigt!« sagte die Balalaika-Spielerin lächelnd und stimmte zerstreut die Saiten ihrer Guitarre.

»Er überwacht nicht nur Sie durch seine Kreaturen auf Schritt und Tritt – jetzt bietet das verdrehte Luder noch dazu mir förmlich Bruderschaft an – überhäuft mich mit Liebenswürdigkeiten, als hätte er einen Narren an mir gefressen . . .«

»Das ist ja herrlich . . .« Die zarte, brünette Bäuerin hob mit einer jähen, natterschnellen Bewegung das Köpfchen. Ihr feines, weißes Antlitz war atemlos gespannt . . .

»Herrlich finden Sie das, daß der Kunde – ja ich weiß nicht: will er mich veräppeln? oder was hat er sonst vor? Aber jedenfalls hat er mich vorhin in aller Form für nachher zum Abendessen in dem Feudallokal – dem Slawiansky Basar drüben, eingeladen!«

»Bitten Sie nur gleich den Baron selber, daß er Ihnen den Abend freigibt . . .«

»Sie meinen doch nicht im Ernst, daß ich die Einladung annehme?«

»Ja – aber – Bernd – sind Sie denn verrückt?« Die Nasenflügel der kleinen Büttner blähten sich. Der weiche, volle, halboffene Kindermund zeigte, sonderbar und aufgeregt lachend, zwei Reihen weißer, scharfer Zähnchen. Ihre sanfte Stimme zitterte in einem fremdartigen, gepreßten Kehlton. »Solch eine Chance, Bernd . . . die läßt doch nur ein Esel aus . . . Begreifen Sie doch, Bernd . . .« Jetzt auf einmal konnte Luja Büttner nicht oft genug und geläufig »Bernd« sagen. »Wer dieser Mensch auch ist . . .«

»Luja . . . Ich muß Sie doch nachher nach Hause bringen!«

»Nein! Vorhin hat mir meine Kusine durch Ihren Freund, den Portier draußen, bestellen lassen, daß sie mich abholt! . . . Also . . . Bernd . . . Noch einmal . . . . . .Wer dieser Mensch auch ist . . .«

»Ich weiß von dem Kerl nur, daß er hinter Ihnen her ist«, versetzte der Student trotzig.

». . . Nun – und jetzt wird er Sie beim Glas Wein ins Vertrauen ziehen . . . seine Anschläge enthüllen . . . Man wird künftig vor ihm auf der Hut sein können . . . Tun Sie, als ob Sie auf alles eingingen, Bernd! . . . Seien Sie schlau! . . . Sie sind's ja nicht . . . Sie sind ja ein viel zu offener, guter Junge, Bernd . . . Aber verstellen Sie sich diesem Menschen gegenüber! . . . Verraten Sie sich nicht, sondern hören Sie, was er Ihnen zu sagen hat . . .«

»Wenn Sie die Chose von dieser Seite auffassen, Luja . . .«

». . . und dann erzählen Sie mir haarklein alles . . . begreifen Sie wohl: . . . Alles . . . Es ist ja so wichtig, daß man diesem Menschen näherkommt . . . so unendlich wichtig . . . Er muß Vertrauen zu Ihnen fassen . . . verstehen Sie . . .« Die junge Lautenschlägerin flüsterte nur noch, obwohl keiner der umsitzenden Moskowiter und Petersburger auch nur ein Wort ihres hastigen Deutsch verstehen konnte . . . dieser Mensch kann uns ja, ohne es zu wissen, so nützlich sein . . . auch eine Kröte ist es . . . am rechten Ort . . .«

»Mir ist er so zuwider wie eine Kröte . . . Ich mag nichts mit ihm zu schaffen haben!«

»Und was haben Sie mir versprochen? . . . Mich zu schützen?« Die Kleine warf heißblütig das schwarze Köpfchen zurück. Ein schwacher Widerschein ihres Wildkatzenzorns rötete die sonst alabasterblassen Wangen. Da war, für Bernds Augen, statt ihrer auf einmal wieder das andere, rätselhafte Menschenkind von gestern um diese Zeit – bei der Geschichte mit dem Tranchiermesser, das er Serge Ssilin hatte in den Leib jagen sollen . . .

». . . mich gegen diesen Menschen zu schützen . . . Das versprachen Sie . . .«, wiederholte die zierlich, wie ein Meißner Nippfigürchen, dasitzende, nervös mit den Fingern an den Saiten zupfende Musikantin. Ihre großen, tiefen Augen schimmerten feucht vor Zorn. »Er stellt mir nach! Wie können Sie es verhindern, wenn Sie nicht hinter seine Schliche kommen? . . . Er will so unvorsichtig sein und sich Ihnen offenbaren! . . . Und Sie, statt zuzugreifen, stehen da wie ein dummer Junge . . .«

»Luja . . .«

»Wie ein dummer Junge . . .«, beharrte die kleine Deutsch-Russin böse und sah ihn trotzig an. ». . . Beweisen Sie mir doch das Gegenteil . . . Bernd . . .«

Sie sprach die letzten Worte hastig, während sie schon nach ihrem Instrument griff. Die Balalaiken setzten zu einem Konzertstück ein. In ihrem Schwirren durch das Schweigen des Saals ging der stud. Vollbrecht geräuschlos, auf den Fußspitzen, zu dem kleinen Tisch hart an der Bühnenrampe hinüber. Serge Ssilin formte, als er ihn kommen sah, seine ungeschlachten Züge zu einem listigen und beinahe unterwürfigen Lächeln und nickte ihm zugleich hochfahrend zu. Er versetzte so laut, als gäbe es keine Musik im Raum:

»Ihr Dienst rief Sie vorhin ab, Herr Studiosus!«

»Ja . . . leider . . . Verzeihung! . . . Ich nehme Ihre Einladung mit Dank an, Herr Ssilin!«

Serge Ssilin schien auch gar nichts anderes erwartet zu haben. Er rückte im Aufstehen lärmend seinen Sessel und sagte kurz:

»Ihr Baron weiß schon, daß er Sie für heute Abend beurlaubt hat! Ich habe es ihm vorhin befohlen! Kommen Sie!«

Der Slawiansky Basar war, gleich allen Neugründungen für die Ausländer in dem Berlin der papiernen Sintflut, behelfsmäßig über Nacht wie zu einem Maskenfest zurechtgehämmert und hingepinselt und von Heinzelmännchen in russischem Stil ausstaffiert. Er lag im ersten Stockwerk einer ehemaligen Herrschaftswohnung am Kurfürstendamm, die man durch Entfernung der Zwischenwände in drei Säle verwandelt hatte. Schon im Treppenhaus begleiteten an der Wand lebensgroß hingestrichene farbige Bilder aus dem russischen Bauernleben das Geländer. Innen waren alle Tapeten weiß übertüncht und im schreienden Bunt einer Regenbogenpalette bemalt: Mit Muschiks in roten Hemden, flachsblonden, ländlichen russischen Schönheiten beim Tanz, langmähnigen Popen, bärtigen Kosaken des Zaren, braunen Zigeunerinnen, baumlangen Tscherkessen des Leibgarde-Konvois – barfüßigen, landstreichenden Pilgern – eine Musterkarte des heiligen Rußland. In dem hinteren, einstigen Berliner Zimmer saßen drei slawische Männergestalten in russischer Volkstracht und klimperten, die Papyros im Munde, auf der unvermeidlichen Balalaika. Sonst aber wirkte das Lokal mit seinen weitauseinander stehenden Einzeltischen, seinen befrackten Kellnern, seinem Parkettboden und Lichterglanz durchaus vornehm westeuropäisch.

»Es verkehrt hier ein sehr distinguiertes Publikum!« sagte Serge Ssilin, sich gegenüber seinem Gast niederlassend. Mit einem Blick über die Tische, an denen fast nur Herren – die meisten im Smoking – in leisem Gespräch saßen. »Hauptsächlich ausländische Diplomaten. Amerikanische Finanzmänner. Viel Südamerikaner. Man trifft immer Bekannte . . .« Er grüßte, während er sprach, verbindlich nach verschiedenen Seiten und bestellte beim Kellner, ohne einen Blick in die Karte: »Sakuska . . . Piroschki . . . Bœuf à la Stroganov . . . Man wird dann weiter sehen . . .« Er goß seinem Gast ein Glas wasserhellen Branntwein ein und tat, zwischen den Gabelbissen, einige Züge aus einer Zigarette, die er dann, kaum angeraucht, hinter sich auf den Boden warf. »Nun – zur Sache! Sie machen ein so feierliches und düsteres, fast möchte ich sagen: feindliches Gesicht, mein sehr verehrter Herr Vollbrecht! Es tut nicht not! Wir wollen rein geschäftlich uns unterhalten! Von der jungen Dame von gestern – Ihrer guten Freundin in dem Balalaika-Orchester . . .« Serge Ssilin verzog lachend die langen, wulstigen Lippen und machte mit den kurznägeligen, tadellos gepflegten, plumpen Fingern der Rechten eine Bewegung durch die Luft, als löste sich da Luja Büttner für ihn in Nebel und nichts auf. »Von dieser kleinen Schönheit sei nicht weiter die Rede! . . . Ich war zuerst gestern bei ihrem Anblick verwirrt – ich gestehe . . . Was wollen Sie: Man ist auch noch kein Greis! . . . Einsam . . . In der Fremde . . . Doch die Vernunft kam mir wieder . . . Ich zog mich zurück. Nichts liegt mir ferner, als das Fräulein – ich weiß ihren Namen nicht – überhaupt nichts von ihr – ich will auch nichts mehr wissen – nichts liegt mir ferner, als das Fräulein zu kränken! . . . Bitte – sagen Sie ihr das von mir . . .«

»Ich werde es ausrichten, Herr Ssilin, und sie wird sehr froh sein!«

»Man wird mich nicht mehr im ›Kolokól‹ sehen! Und Sie übrigens auch nicht!« Serge Ssilin lehnte sich lebhaft im Stuhl zurück. »Denn ich biete Ihnen Besseres: Kommen Sie zu mir!«

»Warum schweigen Sie so betroffen, Herr Vollbrecht?« frug er nach einer kurzen Weile. »Ich glaube: Sie unterschätzen sich! . . . Ich habe immer den Eindruck: Ihr Deutschen seid entweder zu bescheiden . . . oder . . .« – er lachte breit und derb – »nun – das Gegenteil . . . Bitte . . . verschmähen Sie meine Bewirtung nicht!« Er versorgte eigenhändig den Teller seines Gastes aus den vielen Schüsseln mit Vorgerichten. »Diese Fische hier – diese Sigi – sind eine Delikatesse . . . Um Sie zu orientieren . . . Ich betreibe das Handelskontor ›Nowaja Rossija‹ am Königsplatz . . . Meine Affären marschieren gut – trotz des Sterbens eures Papiergelds – was wollen Sie: Man richtet sich ein . . . besitzt Hochvaluten – hat seine Konnexionen . . . Nur eins ist von dieser Erde verschwunden –« Serge Ssilin seufzte. »Zuverlässige Angestellte . . .«

»Eure Männer in Deutschland haben in der Etappe das Arbeiten verlernt!« fuhr er barsch fort und schöpfte sich Kaviar, der im Flugzeug aus Moskau gekommen war. »Sie wollen nur organisieren, konferieren, telephonieren, telegraphieren, diktieren! Wie anders ihr wenigen übriggebliebenen Helden der Front – so wie Sie! Ihr wißt, was es heißt: die Zähne zusammenbeißen! . . . Ihr habt euch draußen vor dem Tod nicht gefürchtet und fürchtet euch daheim nicht vor der Arbeit! Das bewiesen Sie, indem Sie den Kellnerfrack anzogen! Ich verbeuge mich vor Ihrer bürgerlichen Tapferkeit, Herr Vollbrecht . . . Dieser Portwein hier ist übrigens Jubiläumsjahrgang . . .«

Er trank dem jungen Mann verbindlich zu. Der tat ihm Bescheid. Aber dann ein Schütteln des Blondkopfs drüben. Eine Frage:

»Herr Ssilin: Wie kann ich gerade Ihnen von Wert sein?«

»Sagte ich es nicht schon? . . . Für Ihre Landsleute ist alles jenseits der Weichsel eine Art Sibirien – ein unbekanntes und unbetretenes Land. Ihnen verschloß sich diese Welt, die vor den Toren Deutschlands liegt und ihm doch so fern ist! Wie? Sie kennen Rußland bis zum Ural? Nun also – was will man mehr?«

»Ich bin nicht kaufmännisch vorgebildet, Herr Ssilin! Ich bin angehender Landwirt . . .«

»Und was finden Sie im Osten! . . . Den Muschik! Überall den Muschik . . .«

»Und ferner – ich muß es doch sagen – Ich bin noch verhältnismäßig jung – unerfahren . . .«

»Nun – glauben Sie, ich hätte nicht Leute genug an der Hand, denen man tausend Erfahrungen mit Behörden, Weibern, Dummköpfen, Verbrechern auf dem Gesicht abliest? Diesen Hartgesottenen traut drüben kein Tatar und kein Hebräer – kein Altgläubiger – niemand . . .« Ein Lächeln mitleidiger List blinzelte plötzlich aus dem vierschrötigen Urwaldgesicht. Serge Ssilin hob rasch die lange, kolbige Nase aus dem Burgunderglas. Die gläsernen, graublauen Augen hefteten sich schläfrig-schlau auf den jungen Mann. »Hingegen – wenn Sie kommen . . .« Er kicherte lautlos in sich hinein – ». . . blond . . . treu und ehrlich . . . der Deutsche, wie er im Buch steht . . . Jeder wird dies unschuldige Kind betrügen wollen . . . Keiner mißtraut ihm . . . Nun – lassen Sie uns dann nur machen . . .«

»Sie werden mich morgen Vormittag am Königsplatz besuchen!« entschied er kurz und laut . . . »Hier meine Karte! Ihre Einkünfte – nun – Sie werden staunen: ihr Deutschen verhungert zwischen euren Bergen von Papiergeld und seht nicht, daß das Gold auf den Straßen des Ostens liegt! . . . Da kommt gerade solch ein seriöser Geschäftsfreund aus den Randstaaten! Herr Berith – darf ich hier einen künftigen jungen Handelsvertreter meines Kontors Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen!«

Baal Berith setzte sich an den Tisch. Seine schwarzumlöckelte Glatze glänzte. Sein feistes, bleiches Antlitz zeigte, zwischen den schwarzen Bartkoteletten, ein überraschtes, achtungsvolles Wohlwollen. Er gab dem jungen Deutschen die schlaffe, reichberingte Hand und kniff vielsagend ein Auge zu.

»Mein Glückwunsch . . .« sprach er in hartem Deutsch. »Wen erst dieser Wundertäter – dieser heilige Sergej – in seinen Zirkel zieht . . .« Und dann, zu Ssilin gewendet, anerkennend, mit einem Seitengeblinzel auf Bernd. »Ist er chutzpe? Man sieht ihm wirklich seine Schlauheit nicht an . . .«

»Man soll auch nicht!« versetzte der Halbrusse schnell und rauh. Er begann mit dem andern über Geschäfte zu reden: Grenzscheine von Esti nach Lettland . . . Arbitragespekulationen in Kowno zwischen Lit und Zloty. Ein Lederlager in Wilna, der Heimatstadt des großen Baal. Eine Schiffsladung, von dem Freistaat Memel nach dem Freistaat Danzig. Polnische, litauische, baltische, lettische, estnische, russische, hebräische, finnische Namen. Kommissionäre, Beamte, Faktoren, Handelsfreunde, Abgeordnete – Leute darunter, die man nur leise und bedeutungsvoll mit dem Anfangsbuchstaben nannte. Der stud. Vollbrecht konnte diesem Wirrwarr von Ziffern und Menschen nicht folgen. Er sah nur wieder, in verschwimmenden Umrissen, den weiten, weiten Osten vor sich – die Welt seiner Kriegsjahre – diese schmutzigen Städte mit ihren byzantinischen Zwiebelkirchen, Synagogenkuppeln und katholischen Kathedralen. Das farbige Volkstrachtengewirr der Marktbauern, von denen die einen vor dem orthodoxen Archimandriten, die anderen vor dem römischen Bischof die Pelzmützen von den struppigen Schädeln zogen. Das Aus und Ein schwarzer Kaftane vor dem Haus des Wunder-Rabbi. Und dahinter, fern durch Asien bis zum Stillen Ozean dämmernd, das eigentliche, unermeßliche Rußland . . .

Von dem raunten sie jetzt. Gedämpft. Diese Petersburger Geschäfte schienen ganz gefährlich zu sein. Der estnische Flachshändler Peter Jaddat hatte sich zu ihnen gesellt. Weißblond. Winzige Augen über starken Backenknochen. Schweigsam. Aber wenn er redete, beherrschte er, dessen Vater noch dem Gutsherrn die Hand geküßt, nicht nur die deutsche Sprache, sondern konnte auch etwas Schwedisch. Etwas Englisch. War in Amerika gewesen. In London. In Paris.

Die Republik Weißrußland der Sowjet-Union . . . irgend etwas von Mohilew . . . ein Geflüster . . . An den Wänden des »Slawiansky Basar« in Berlin W lebte Rußland in buntleuchtenden, lebensgroßen und lebensfrohen Volksgestalten. Es tanzte und lachte. Überall brannte das feurige Rot – die alte Lieblingsfarbe der Russen. Aber der stud. Vollbrecht dachte an Lujas Bräutigam, den irgendein Unbekannter aus jener meuternden russischen Kronsmarine hingerichtet hatte, die die Bolschewiken »den Stolz und die Schönheit der Revolution« nannten. Lujas tote Eltern kamen ihm in den Sinn. Ihm war, als triefte Blut von den Bildern an den Wänden – als loderten da Flammen . . .

Es war ihm unheimlich zumut. Rußland um ihn. Halbrußland . . . Neue Geschäftsfreunde erschienen. Der junge Deutsche kam sich überflüssig zwischen all den Randstämmigen vor. Er erhob sich. Sein Gönner hielt ihn nicht:

»Sie werden morgen punkt zehn Uhr vormittags sich in meinem Vorzimmer bei meinem Sekretär Jakob Uhkeneek melden!« versetzte er, ihm, ohne aufzustehen, die Hand drückend, als sei er schon sein Angestellter. »Nun mit Gott!«

Es war schon spät nachts. Der Kurfürstendamm, auf den Bernd Vollbrecht hinaustrat, fast leer. Die ehrbaren Gaststätten hatten mit der Polizeistunde geschlossen. An den Straßenecken standen dafür, sich scheu umschauend, die Schlepper der Spielklubs, Kokainkeller und Nackttanzdielen. Dicht vor dem Studenten wandelte ein schmächtiger junger Mann, mit bloßem Lockenkopf, gefühlvoll mit schöner Tenorstimme singend, seines Wegs. Ein Wurstkessel pendelte ihm an zwei Tragbändern vor dem Leib. Er wandte, auf einen Schulterschlag von hinten, das verträumte Gesicht mit dem goldenen Zwicker über dem Schnurrbärtchen zu Bernd zurück. Der frug:

»Na – wieviel Droschkengäule hast du heute verwurstet?«

»Wieder ausverkauft!« sprach der Zahntechniker Alfred Henke stolz. »Tut auch not! Warum mußtet ihr denn in eurer verfluchten Budike, dem ›Kolokól‹ ausgerechnet gerade unsern Salonneger vor den Nabel treten? Nun liegt der biedere Samuel Congo im Krankenhaus und blecht meiner Mutter die Miete nicht!«

»Ihr kriegt doch auf der Stelle einen andern Menschenfresser in die Bude!«

»So? . . . Wenn unser schwarzer Schlafbursche nächste Woche wieder antritt, alarmiert er das liebe Wohnungsamt . . . nee . . . Was machen Sie denn für ein tiefsinniges Gesicht, Herr Ober?«

»Ja eben . . . Ober . . . Die Stellung als Kellner ist doch gut . . . sie ist doch halbwegs sicher . . . Nun kommt da so ein Randgewächs aus dem Osten – will mich von da weglotsen – verspricht mir goldene Berge . . .«

»Falle . . .«

»Ich traue dem Landfrieden ja auch nicht! Aber wenn doch etwas daran wäre . . . ich muß doch auch an Luja denken . . . an unsere Zukunft . . .«

»Mensch – das ist ja furchtbar mit dir! . . . Du wirst ja immer verliebter!« sagte der fliegende Wursthändler.

»Mehr als ich verschossen bin, kann man nicht mehr sein!« Der Kellner Fritze blieb mit seinem Freund vor dem Haus der verwitweten Geheimrätin Henke stehen. »Aber so viel Vernunft hab' ich jetzt doch . . . sie kommt mir in dieser frischen Nachtluft wieder: Mich warnt eine innere Stimme vor all diesem östlichen Volk und seinen Geheimnissen und Händeln! . . . Nein: Ich bin ganz entschlossen! Ich mach' da nicht mit! Gerade um der Luja willen, der ich 'was Sicheres bieten muß! Der gute Mann soll sich sein faules Kontor am Königsplatz sauer kochen lassen. Auf mich kann er da morgen um zehn Uhr lange warten! Ich sitz' um die Zeit ruhig bis Mittag im Kolleg und scher' mich den Deubel um den Kunden!«

 


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