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Ricardo, König von Theben, hat vier Töchter. Eine von ihnen zieht in die Welt hinaus und läßt sich statt Costanza Costanzo nennen. Sie gelangt schließlich an den Hof Caccos, Königs von Bettinien, der sie wegen ihrer vielen hervorragenden Leistungen zum Weibe nimmt.

Theben, die vornehmste Stadt Ägyptens, die mit herrlichen öffentlichen und Privatgebäuden geziert, von goldenen Saatfeldern umgeben, überreich an eisfrischen Quellen, alle Annehmlichkeiten einer berühmten Stadt in Fülle darbot, beherrschte in alten Zeiten ein König namens Ricardo, ein gelehrter Mann von tiefem Wissen und hoher Tugend. Er wünschte sehnlich Erben zu bekommen und nahm Valeriana, die Tochter Marlianos, Königs von Schottland, zur Ehe, eine in der Tat vollkommene Frau, schön von Gestalt und sehr anmutig, die ihn mit drei Töchtern beschenkte. Sie hießen Valentia, Dorothea und Spinella und waren sehr sittsam und dazu anmutig und schön wie frisch aufgeblühte Rosen. Als Ricardo sah, daß seine Frau soweit war, daß sie keine Kinder mehr zu erwarten hatte, und die drei Töchter das mannbare Alter erreicht hatten, beschloß er, um die Mädchen ehrenvoll zu verheiraten, sein Reich in drei Teile zu teilen und jeder von ihnen einen davon anzuweisen, und nur soviel zurückzubehalten, als zum Unterhalt seiner selbst, seiner Hausgenossen und seines Hofes hinreichend sei. Und diesen Vorsatz setzte er in die Tat um. Die Töchter wurden an drei sehr mächtige Fürsten verheiratet, die eine an den König von Scardona, die zweite an den König der Goten, die dritte an den König von Skythien und einer jeden der dritte Teil des väterlichen Reiches als Mitgift angewiesen; auf dem recht kleinen Bruchteil aber, den er sich für seine notwendigsten Bedürfnisse zurückbehalten hatte, lebte der gute König mit seiner geliebten Gemahlin Valeriana anständig und in Frieden. Es geschah jedoch nach einigen Jahren, daß die Königin, von welcher der König keine Nachkommenschaft mehr erwartete, wieder schwanger wurde, und, als es zur Geburt kam, ein wunderschönes Mädchen zur Welt brachte, das dem König ebenso lieb und wert war, wie seine drei ersten Töchter. Der Königin aber kam die Geburt dieses Kindes sehr unerwünscht, nicht als hätte sie Haß gegen dasselbe gehegt, sondern weil das ganze Reich ihres Gemahls nun in drei Teile geteilt war und sie keine Aussicht hatte, die Tochter einst nach ihrem Range zu versorgen, und doch wollte sie gerne auch gegen sie mütterlich handeln. Sie übergab sie einer wackeren Amme mit dem gemessenen Befehl, die größte Sorgfalt für sie zu tragen, sie wohl zu unterrichten und zu edlen Sitten zu erziehen, wie sie einem schönen und anmutigen jungen Mädchen ziemen. Diese jüngste Tochter hieß Costanza. Sie nahm von Tag zu Tag an Schönheit und Sittsamkeit zu, und alles, worin die weise Lehrerin sie unterwies, begriff sie mit größter Leichtigkeit. Als Costanza zwölf Jahre alt war, konnte sie schon sticken, singen, saitenspielen, tanzen und alles, was eine Dame sonst noch anständigerweise verstehen muß. Aber damit noch nicht zufrieden, gab sie sich ganz dem Erlernen der Wissenschaften hin, die sie mit solcher Hingabe und Liebe trieb, daß sie sogar die Nacht darauf verwandte und stets bemüht war, besonders ausgezeichnete Sachen aufzufinden. Und zu alledem übte sie, nicht wie ein Weib, sondern gleich einem kühnen, kräftigen Manne, die Künste des Krieges, wußte Rosse zu bändigen, zu fechten, zu ringen, und meistenteils blieb sie Siegerin und trug den Preis davon, als wäre sie jener tapferen Ritter einer, die des höchsten Ruhmes würdig sind. Wegen aller dieser Eigenschaften nun wurde Costanza vom König und der Königin und von allen so geliebt, daß die Zuneigung keine Grenzen kannte. Als Costanza nun völlig herangewachsen war, grämte sich ihr Vater sehr darüber, daß er weder Länder noch Schätze mehr hatte, um sie an einen mächtigen König standesgemäß zu verheiraten, und oft beriet er sich mit der Königin über diese Angelegenheit. Da die kluge Königin aber die vielen und großen Tugenden in Erwägung zog, durch welche ihre Tochter so hoch über allen anderen Frauen stand, war sie ganz getrost und redete auch dem Könige mit sanften, liebreichen Worten zu, er solle nur ruhig sein und sich keine Sorgen machen; denn es werde gewiß irgendein mächtiger Herr, durch ihre Vorzüge zur Liebe gereizt, sie ohne Mitgift zur Frau zu nehmen. Es währte auch nicht lange, da warben viele edle Herren um ihre Hand, darunter Brunello, der Sohn des großen Markgrafen von Vivien. Der König und die Königin riefen hierauf ihre Tochter zu sich und setzten sich mit ihr in ein abgesondertes Gemach. »Meine geliebte Tochter Costanza«, redete sie der König an, »es ist nun an der Zeit, dich zu verheiraten, und wir haben dir einen jungen Mann zum Gatten bestimmt, der nach deinem Geschmack sein wird. Es ist der Sohn des großen Markgrafen von Vivien, unseres nahen Freundes. Er heißt Brunello und ist ein schöner, kluger und kühner Jüngling, dessen hervorragende Taten schon in der ganzen Welt bekannt sind. Er begehrt nichts weiter von uns, als unsere Gewogenheit und deine anmutige Person, welche er höher achtet als alle Länder und Schätze. Du weißt, meine Tochter, daß unsere Armut es uns nicht vergönnt, dir einen Gemahl höheren Standes zu geben. Darum wirst du dich auch in deinen Wünschen bescheiden und in unseren Willen fügen.« Die Tochter, welche klug und des hohen Geschlechts, dem sie entsprossen, eingedenk war, hatte ihren Vater mit Aufmerksamkeit angehört und antwortete ihm nun, ohne sich lange zu besinnen, folgendermaßen: »Geheiligter König, es bedarf nicht vieler Worte, Euren würdigen Vorschlag zu beantworten; ich will nur das sagen, was zur Sache gehört. Laßt mich Euch zuerst meinen wärmsten Dank bezeigen für die Liebe und das Wohlwollen, womit Ihr Euch unaufgefordert bemühtet, mir einen Mann zu verschaffen. Erlaubt mir dann aber auch mit aller Ehrerbietung und Ergebenheit zu sagen, daß ich nicht willens bin, irgendwie von der Reihe meiner hohen Vorfahren abzuweichen, die zu allen Zeiten geehrt und berühmt gewesen sind, noch Eure königliche Würde zu erniedrigen, indem ich mir einen Gemahl geringeren Standes wähle. Ihr, mein teuerster Vater, habt vier Töchter, von denen ihr drei standesgemäß an mächtige Könige vermählt und ihnen Länder und Schätze in Menge zugeteilt habt, und mich, die Euch und Euren Befehlen stets gehorsam war, wollt Ihr in niedriger Ehe verbinden? So erkläre ich denn hier, daß ich nie einen Gemahl nehmen werde, wenn ich nicht, wie meine drei Schwestern, einen König bekommen kann, wie es meiner Person angemessen ist.« Sie nahm hierauf Abschied vom König und der Königin, welche bei der Trennung bittere Tränen vergossen, bestieg ein starkes Roß und verließ ganz allein Theben und überließ es dem Schicksal, wohin es sie führen wollte. Während dieser Fahrt ins Ungewisse änderte Costanza ihren Namen und ließ sich fortan Costanzo nennen, zog weit fort über Berge, Seen und stehende Gewässer, sah viele Länder, hörte verschiedene Sprachen, beobachtete die Sitten und lernte auch solche Völker kennen, die den Tieren ähnlicher als den Menschen lebten. So kam sie schließlich eines Tages um Sonnenuntergang in die herrliche, berühmte Stadt Costanza, deren Beherrscher damals Cacco, König von Bettinien war, und sie war die Hauptstadt der Provinz. Sie ritt hinein, betrachtete die schönen Paläste, die weiten, geraden Straßen, die breiten, schnellfließenden Wasseradern, die klaren, spiegelhellen Brunnen, und als sie sich dem Hauptplatz näherte, sah sie das hohe, geräumige Schloß des Königs, dessen Säulen vom feinsten Marmor, Porphyr und Serpentin waren. Sie hob die Augen in die Höhe und sah den König auf einem Balkon, der den ganzen Platz beherrschte und zog ehrerbietig den Hut ab, um ihn zu begrüßen. Als der König den so anmutigen und schönen Jüngling bemerkte, ließ er ihn vor sich rufen, und als er vor ihm stand, fragte er ihn, wo er herkomme und wie er heiße. Der Jüngling antwortete unbefangen, er komme aus Theben, sei vom wankelmütigen, neidischen Glücke verfolgt, heiße Costanzo und wünsche bei irgendeinem wackeren Edelmann in Dienst zu treten, dem er mit aller gebührenden Treue und Liebe dienen würde. Da sagte der König, dem das Äußere des Jünglings gefiel, zu ihm: »Da du den Namen meiner Hauptstadt trägst, sollst du auch an meinem Hofe bleiben und nichts weiter tun, als mir aufwarten.« Dies war gerade was Costanzo wünschte. Er dankte dem König, erkannte ihn als seinen Herrn an und erbot sich, alles für ihn zu tun, was in seinen Kräften stand. So lebte denn Costanzo in männlicher Tracht im Dienste des Königs und versah seine Verrichtungen mit sovieler Anmut, daß alle, die ihn sahen, aufs höchste darüber erstaunten. Die Königin, welcher Costanzos edler Anstand, seine lobenswürdigen Sitten und sein taktvolles Benehmen auffielen, faßte ihn aufmerksamer ins Auge und entbrannte so heftig in Liebe zu ihm, daß sie Tag und Nacht an nichts anderes mehr denken konnte; dabei verfolgte sie ihn mit so schmachtenden Liebesblicken, daß sie den härtesten Stein und festesten Diamanten, geschweige denn einen Jüngling hätten erweichen müssen. Da nun die Königin Costanzo so heftig liebte, wünschte sie sich nichts so sehr, als sich allein mit ihm zusammenzufinden. Als sich nun eines Tages Gelegenheit bot, mit ihm unter vier Augen zu sprechen, fragte sie ihn, ob er nicht in ihren Dienst übergehen wolle; wenn er ihr diente, würde er außer dem Lohne, den er von ihr erhalten würde, vom ganzen Hofe nicht nur gern gesehen, sondern auch geschätzt und hochgeachtet werden. Costanzo merkte wohl, daß die Worte, welche von den Lippen der Königin kamen, nicht einem reinen Wohlwollen entsprangen, sondern der Ausbruch der Leidenschaft waren und bedachte, daß er als Frau ihre zügellose wilde Begier nicht befriedigen könnte; daher antwortete er klaren Blicks, aber bescheiden also: »Gnädige Frau, die Verbindlichkeit, welche ich meinem Herrn, Euerem Gemahl, gegenüber habe, ist so groß, daß ich es für die höchste Niederträchtigkeit halten würde, mich dem Gehorsam gegen ihn und seinem Willen zu entziehen. Verzeiht mir also, wenn Ihr mich nicht bereit und willig findet, Eure Befehle zu befolgen; denn ich gedenke meinem Herrn treu zu bleiben bis in den Tod, wenn anders ihm meine Dienste wohlgefällig sind.« Mit diesen Worten beurlaubte er sich und verließ sie. Die Königin wußte wohl, daß die harte Eiche nicht von einem Schlage fällt und bemühte sich daher immer wieder mit vieler List und Kunst, den Jüngling in ihre Dienste zu ziehen. Allein er blieb fest und standhaft, wie ein hoher Turm den ungestümen Winden widersteht und war nicht dazu zu bewegen. Als die Königin dies sah, verwandelte sich ihre heiße, glühende Liebe in einen so bitteren tödlichen Haß, daß ihr sein Anblick unerträglich war. Sie wünschte jetzt seinen Tod und sann Tag und Nacht darauf, sich ihn aus den Augen zu schaffen; doch fürchtete sie den König sehr, dem Costanzo lieb und teuer war. In der Provinz Bettinien gab es damals wunderliche Geschöpfe, welche von der Mitte des Leibes an nach oben menschliche Gestalt trugen, nur daß sie Hörner und Ohren hatten wie Tiere; nach unten aber waren ihre haarigen Glieder ziegenartig gebildet und sie hatten einen kleinen, geringelten Schwanz wie die Schweine; man nannte sie Satyrn. Diese richteten großes Unheil in den Dörfern und auf den Gütern an und schädigten die Bewohner, und der König wünschte sehr, einen davon lebendig in seine Gewalt zu bekommen; allein niemand getraute sich, einen zu fangen und ihn dem König vorzuführen. Die Königin glaubte nun, hier ein Mittel gefunden zu haben, Costanzo zu verderben, aber es kam anders als sie dachte, denn wer andere stürzen will, fällt oft selbst zu Boden, so will es die göttliche Vorsehung und die höchste Gerechtigkeit. Die falsche Königin kannte den Wunsch des Königs nämlich sehr gut; als sie daher eines Tages mit ihm im Gespräch begriffen war, sagte sie unter anderem: »Lieber Herr, wißt Ihr denn nicht, daß Costanzo, Euer treuer Diener, so stark und kräftig ist, daß er Herz genug hat, ohne Hilfe eines anderen einen Satyr zu fangen und ihn Euch lebendig zu bringen? Wenn es sich so verhält, wie ich höre, könnt Ihr ihn ja leicht einen Versuch machen lassen; dadurch wird zugleich Euer Wunsch befriedigt und er trägt als starker, kühner Ritter einen Sieg davon, der ihm zu dauerndem Ruhm gereichen wird.« Die Worte der schlauen Königin gefielen dem König sehr, er ließ sogleich Costanzo rufen und sprach folgendermaßen zu ihm: »Costanzo, wenn du mich liebst, wie es den Anschein hat und ein jeder glaubt, wirst du dich auch bestreben, meine Wünsche ganz zu erfüllen und dadurch zu wahrem Ruhm gelangen. Du mußt wissen, daß ich nichts in der Welt so sehr wünsche, wie einen Satyr in meine Gewalt zu bekommen; da du nun voll Kraft und Mut bist, gibt es keinen Menschen in meinem Reiche, der mir hierin besser dienen könnte als du; und da du mich aufrichtig liebst, wirst du mir dieses Begehren nicht abschlagen.« Der Jüngling wußte recht gut, woher der Wind wehte, doch wollte er seinen Herrn nicht betrüben und antwortete mit lächelnder Miene: »Mein Gebieter, Ihr könnt mir dieses und noch Schwereres auferlegen, ich werde trotz meiner beschränkten Kräfte alles aufbieten, Euch zufriedenzustellen, sollte es mir auch das Leben kosten. Doch ehe ich an dieses gefahrvolle Unternehmen gehe, gebt Befehl, gnädiger Herr, daß man in den Wald, wo die Satyrn sich aufhalten, ein großes Gefäß mit weiter Öffnung trage, von der Größe der Kübel, in welchen die Mägde die Hemden und anderes Leinenzeug in der Lauge reinigen, ferner eine stattliche Tonne guten weißen Weines, vom besten und stärksten, den es gibt, nebst zwei Säcken mit feinstem Weißbrot.« Der König ließ unverzüglich alles ausführen, wie Costanzo es angeordnet hatte. Costanzo begab sich hierauf in den Wald und schöpfte mit einem kupfernen Eimer den Wein aus der Tonne in den danebenstehenden weiten Kübel; dann nahm er alles Brot aus den Säcken und brockte es in den Wein. Als dies geschehen, stieg er auf einen dichtbelaubten Baum und wartete dort der Dinge, die da kommen würden. Kaum saß der junge Costanzo auf dem Baum, als die Satyrn, durch den Geruch des duftenden Weines angezogen, sich dem Kübel näherten und so gierig darüber herfielen, wie hungrige Wölfe, wenn sie in die Schafhürden dringen, über die Lämmer. Nachdem sie gründlich voll und satt waren, legten sie sich nieder, um zu schlafen und schliefen so fest und tief, daß aller Lärm der Welt sie nicht erweckt haben würde. Als Costanzo dies sah, stieg er vom Baume herunter, näherte sich einem von ihnen, band ihm die Hände und Füße mit einem Strick, den er mitgebracht hatte, legte ihn, ohne daß es jemand gemerkt hätte, auf sein Pferd und führte ihn mit sich fort. Wie nun der junge Costanzo mit dem festgebundenen Satyr heimwärts ritt und gegen Abend zu einem nicht weit von der Stadt gelegenen Dorfe gelangte, wachte der Tiermensch, der nun seine Trunkenheit überwunden hatte, auf, fing an zu gähnen, als ob er aus dem Bette aufstünde, schaute sich um und erblickte einen Familienvater, der mit großem Trauergeleite die Leiche eines Kindes zu Grabe brachte und weinte, während der Priester, der das Leichenamt hielt, sang. Da lächelte er ein wenig. Sie ritten weiter und kamen in die Stadt auf den Marktplatz, wo das Volk gespannt zusah, wie ein armer Bursche, der schon auf der Leiter stand, aufgeknüpft werden sollte. Darüber lachte der Satyr noch mehr. Sobald sie zum Palast kamen, zeigte alles lebhafte Freude und schrie: »Costanzo! Costanzo!« Da lachte der Satyr aus vollem Halse. Als Costanzo vor dem König und der Königin, welche ihre Hoffräulein bei sich hatte, erschienen war, zeigte er ihnen den Satyr. Hatte dieser aber zuvor schon gelacht, so brach er jetzt in ein so übermäßiges Gelächter aus, daß alle Anwesenden sich höchlich darüber verwunderten. Als der König nun durch Costanzo seinen Wunsch erfüllt sah, bezeigte er sich ihm sehr günstig und liebte ihn, wie noch nie ein Diener von seinem Herrn geliebt ward. Der Königin aber gereichte es zum höchsten Verdruß, das Glück des Jünglings erhöht zu haben, den sie mit ihren falschen Worten zu verderben getrachtet. Es war der Verruchten unerträglich, so viel Gutes für ihn daraus hervorgehen zu sehen, und sie sann auf eine neue List. Sie wußte nämlich, daß der König gewohnt war, alle Morgen in das Gefängnis des Satyrs zu gehen, wo er ihn zu seiner Unterhaltung zum Reden zu bringen suchte, ohne daß es ihm jedoch gelungen wäre. Die Königin ging also zum König und sprach: »Mein Herr und König, Ihr habt Euch schon so oft in das Gefängnis des Satyrs begeben und Euch bemüht, ihn zu Euerm Zeitvertreib zum Sprechen zu bringen, aber das Tier hat noch nie reden wollen. Warum zerbrecht Ihr Euch länger den Kopf damit? Seid versichert, wenn Costanzo nur wollte, könnte er ihn ohne weiteres und nach Belieben zum Sprechen und Antworten bringen.« Als der König dies hörte, ließ er Costanzo augenblicklich rufen. »Costanzo«, sprach er zu ihm, als er erschien, »ich bin überzeugt, du weißt, wieviel Vergnügen es mir macht, daß du mir den Satyr eingefangen hast; doch tut es mir leid, daß er stumm ist und auf meine Fragen durchaus nicht antworten will. Wenn du dich mir gefällig erweisen wolltest, könntest du, wie ich vernehme, ihn wohl zum Sprechen bringen.« »Herr«, erwiderte Costanzo, »wenn der Satyr stumm ist, was kann ich dagegen tun? Ihm die Sprache zu verleihen, steht nicht in der Macht eines Menschen, sondern Gottes. Wenn aber nicht ein natürlicher oder zufälliger Mangel, sondern nur Hartnäckigkeit seine Lippen verschließen sollte, so will ich es durch meine Bemühungen dahin bringen, daß er spricht.« Er ging hierauf mit dem König in das Gefängnis des Satyrs, brachte ihm gut zu essen und noch besser zu trinken und sagte zu ihm: »Da iß, Chiappino!« – so nämlich hatte er ihn genannt. Der Satyr sah ihn an und gab keine Antwort. »Sprich doch, Chiappino, ich bitte dich und sage mir, ob dir dieser Kapaun behagt und dieser Wein schmeckt!« Er blieb jedoch bei seinem Schweigen. Als Costanzo seine Verstocktheit sah, sagte er: »Du willst mir nicht antworten, Chiappino? Warte nur, dein Eigensinn soll bestraft werden. Ich lasse dich hier im Gefängnis vor Hunger und Durst sterben.« Da sah ihn der Satyr scheel an. »Antworte mir, Chiappino«, drang Costanzo in ihn, »wenn du, wie ich hoffe, mit mir redest, so verspreche ich dir, dich aus dieser Zelle zu befreien.« Chiappino, welcher aufmerksam zugehört hatte, hörte kaum von seiner Befreiung, als er sagte: »Und was willst du von mir?« »Hast du zur Zufriedenheit gegessen und getrunken?« fragte Costanzo. »Ja«, antwortete Chiappino. »So sage mir doch«, fuhr Costanzo fort, »ich bitte dich recht sehr darum, weshalb du lachtest, als wir unterwegs ein totes Kind zu Grabe tragen sahen. »Nicht über das tote Kind lachte ich«, antwortete Chiappino, »sondern über den weinenden Vater, der doch nicht des Kindes Vater war und über den singenden Pfaffen, der das Kind gezeugt hatte.« Das sollte heißen, daß die Mutter des toten Kindes dasselbe im Ehebruch mit dem Priester gehabt hatte. »Weiter möchte ich von dir hören, mein Chiappino, warum du noch mehr gelacht hast, als wir auf den Marktplatz kamen.« »Ich mußte darüber lachen«, sagte der Satyr, »daß tausend Schurken, die ihren Mitbürgern Tausende von Florinen stahlen und tausend Galgen verdienten, dort standen, einen armen Tropf zu sehen, den man zum Galgen führte, weil er zehn Florinen gestohlen hatte, die er vielleicht zu seinem und seiner Familie Unterhalt brauchte.« »Jetzt sage mir bitte«, sprach Costanzo, »warum lachtest du noch viel heftiger, als wir zum Palaste kamen!« »Quäle mich nicht länger mit Fragen«, sagte Chiappino, »ich bitte dich. Geh jetzt und komm morgen wieder, ich will dir alsdann antworten und Dinge sagen, die du vielleicht nicht erwartest.« Als Costanzo dies hörte, sagte er zum Könige: »So laßt uns denn gehen und morgen wieder kommen, um zu hören, was er sagen will.« Nachdem der König und Costanzo den Satyr verlassen hatten, befahlen sie, Chiappino gut zu essen und zu trinken zu geben, damit er besser plaudern könne. Am folgenden Tage kehrten beide zu Chiappino zurück, den sie schnaubend und schnarchend wie ein dickes Schwein daliegen fanden. Costanzo näherte sich ihm und rief ihn mehrmals laut an. Allein Chiappino, der sich vollgegessen hatte, schlief fest und antwortete nicht. Da stachelte ihn Costanzo mit einem Wurfspieß, den er in der Hand trug, so lange, bis er sich ermunterte, und als er ganz wach war, sagte er zu ihm: »Wohlan, Chiappino, nun sage, was du gestern versprochen hast! Warum lachtest du so laut, als wir an den Palast kamen!« »Das weißt du weit besser als ich«, antwortete Chiappino, »weil alle schrien: Costanzo! Costanzo! während du doch Costanza bist.« Der König wußte nicht, was Chiappino damit sagen wollte; Costanzo aber, der es recht gut verstand, und ihn gerne verhindern wollte, mehr zu sagen, fiel ihm in die Rede: »Als du aber vor dem König und der Königin standest, was bewog dich zu einem so übermäßigen Gelächter?« »Ich lachte so gewaltig«, antwortete Chiappino, »weil der König, so gut wie du, glaubt, die Fräulein der Königin seien Fräulein, während doch die meisten von ihnen junge Burschen sind.« Hier schwieg er. Als der König dies hörte, stand er eine Weile in Gedanken, doch sagte er kein Wort. Als er aber den Waldschrat verlassen hatte, wollte er sich mit seinem Costanzo über alles Klarheit verschaffen. Er fing zuerst bei ihm an und fand, daß Costanzo ein Weib war und kein Mann, und dann entdeckte er, daß die Hoffräulein schöne junge Männer waren, ganz wie Chiappino ihm erzählt hatte. Da ließ der König unverzüglich mitten auf dem Marktplatz einen großen Scheiterhaufen anzünden und die Königin samt allen ihren Mannfräulein im Angesicht des ganzen Volkes verbrennen. Und da er die preiswürdige Treue und die offene Redlichkeit Costanzas in Erwägung zog und sah, daß sie sehr schön war, reichte er ihr in Gegenwart aller seiner Ritter und Barone die Hand zum Ehebunde. Sie entdeckte ihm darauf, wessen Tochter sie sei. Sehr erfreut darüber sandte der König alsbald Gesandte an den König Ricardo und seine Gemahlin Valeriana sowie an die drei Schwestern mit der Nachricht, daß auch Costanza an einen König verheiratet sei, worüber sie alle die gebührende Freude empfanden. Und so wurde die edle und hochherzige Costanza zum Lohne für ihre treuen Dienste Königin und lebte lange mit dem König Cacco.


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