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Biancabella, die Tochter Lambericos, Markgrafen von Monferrato, wird von der Stiefmutter Ferrandinos, Königs von Neapel, in den Tod geschickt. Die Diener hauen ihr jedoch nur die Hände ab und reißen ihr die Augen aus. Durch eine Schlange erhält sie das Verlorene wieder und kehrt froh zu Ferrandino zurück.

Vor langen Jahren herrschte in Monferrato ein reicher und mächtiger Markgraf, namens Lamberico, der keine Kinder hatte und sehr wünschte, solche zu besitzen, aber diese Gnade war ihm von Gott verweigert. Eines Tages nun geschah es, daß die Markgräfin in ihrem Garten lustwandelte und vom Schlafe übermannt am Fuße eines Baumes einschlief. Und während sie nun im süßen Schlafe befangen war, erschien ein kleines Schlänglein, näherte sich ihr, kroch ihr unter die Gewänder, schlüpfte ihr, ohne daß sie das geringste merkte, in den Schoß und ganz leise höher in den Leib, wo es sich niederließ und ruhig verhielt. Es dauerte nicht lange, da wurde die Markgräfin zur großen Befriedigung und Freude der ganzen Stadt schwanger, und als die Stunde der Niederkunft gekommen war, gebar sie ein Mädchen mit einer Schlange, die dreimal um des Kindes Hals gewickelt war. Die Wärterinnen erschraken hierüber sehr, allein die Schlange löste sich vom Hals des Kindes, ohne ihm Leides zu tun, wand sich hinunter auf den Boden und kroch in den Garten. Nachdem die Kleine durch ein klares Bad gereinigt und verschönert und in blendend weiße Tücher gehüllt war, kam nach und nach an ihrem Halse eine feingearbeitete goldene Kette zum Vorschein, schön und herrlich anzuschauen; denn zwischen Haut und Fleisch leuchtete sie hervor, wie kostbarste Dinge wohl durch hellen Kristall scheinen, und ebenso oft umschlang sie ihren Hals, als die Schlange ihn umringelt hatte. Das Mädchen, dem man wegen seiner Schönheit den Namen Biancabella beigelegt hatte, erwuchs zu solcher Tugend und Liebenswürdigkeit, daß es nicht mehr menschlichen, sondern göttlichen Wesens schien. Als Biancabella zehn Jahre alt war, trat sie eines Tages hinaus auf den Balkon des Schlosses; da erblickte sie unten den ganz mit Rosen und anmutigen Blumen erfüllten Garten und fragte die Amme, die ihr zur Aufsicht gegeben war, was dort unten sei, sie habe es noch nie gesehen. Jene erwiderte, man nenne es einen Garten, er gehöre der Mutter, die sich bisweilen darin ergehe. »Ach«, rief das Mädchen, »ich habe nie etwas Schöneres gesehen; wie gerne ginge ich hinein!« Die Amme nahm sie bei der Hand und führte sie hinunter. Dort trennte sie sich etwas von ihr, setzte sich in den Schatten einer dichtbelaubten Buche, um ein wenig zu schlummern und ließ die Kleine sich im Garten vergnügen. Biancabella, ganz entzückt von dem reizenden Aufenthalt, lief bald hierhin, bald dorthin und pflückte Blumen, und als sie dann müde geworden war, setzte sie sich im Schatten eines Baumes nieder. Kaum hatte sich die Kleine auf die Erde gesetzt, da kam eine Schlange zum Vorschein und näherte sich ihr. Biancabella erschrak über diesen Anblick heftig und wollte schreien, allein die Schlange sprach: »Sei ruhig und halte dich still. Du mußt dich nicht vor mir fürchten; denn ich bin deine Schwester und ward mit dir am gleichen Tage und von derselben Mutter geboren; mein Name ist Samaritana. Wenn du stets das befolgst, was ich dir sagen werde, will ich dich glücklich machen, handelst du dem aber entgegen, so wirst du das unglücklichste und unzufriedenste Weib werden, das je auf der Welt gelebt. Geh nun und sei ohne Furcht, und morgen laß dir zwei Gefäße in den Garten bringen, das eine mit reiner Milch, das andere mit feinstem Rosenwasser gefüllt, und dann komm zu mir, allein, ohne irgendwelche Begleitung.« Als die Schlange fort war, stand das Mädchen auf, ging zur Amme, die es noch schlafend fand, weckte sie und kehrte mit ihr ins Haus zurück, ohne ihr eine Silbe von dem Vorgefallenen zu sagen. Am folgenden Tage, als Biancabella allein mit ihrer Mutter im Zimmer war, glaubte diese etwas Schwermut auf ihrem Gesicht zu bemerken und fragte daher: »Was fehlt dir, Biancabella, daß ich dich in so übler Laune sehe? Sonst warst du immer heiter und fröhlich und jetzt scheinst du mir mißvergnügt und traurig zu sein.« »Es ist weiter nichts«, erwiderte das Töchterlein, »als daß ich gerne zwei Gefäße haben möchte, das eine voll Milch und das andere voll Rosenwasser, und diese müßte man in den Garten bringen.« »Und wegen einer solchen Kleinigkeit grämst du dich, mein Kind?« fragte die Mutter. »Weißt du nicht, daß alles dein ist?« Darauf ließ sie sich zwei sehr schöne große Gefäße, das eine voll Milch, das andere voll Rosenwasser bringen und sie in den Garten tragen. Als die bestimmte Stunde gekommen war, ging Biancabella, dem Befehl der Schlange entsprechend, ganz allein in den Garten, schloß die Gartentür hinter sich zu und setzte sich dorthin, wo die Gefäße standen. Da erschien auch schon die Schlange, ließ sie sich entkleiden und nackt in die schneeweiße Milch setzen. Dann badete und wusch sie sie damit vom Kopf bis zu den Füßen, beleckte sie mit der Zunge und reinigte sie an allen Stellen, wo noch ein Mangel scheinen konnte. Dann nahm sie sie aus der Milch heraus und setzte sie in das Rosenwasser, wodurch sie ihr einen Duft verlieh, der sie aufs höchste erfrischte. Hierauf kleidete sie sie wieder an und befahl ihr, keinem Menschen etwas davon zu sagen, selbst dem Vater und der Mutter nicht; denn sie wolle, daß keine andere an Schönheit und Anmut sich mit ihr messen könne. Zuletzt begabte sie sie noch mit allen nur erdenklichen Tugenden und verließ sie. Biancabella ging nun aus dem Garten in das Schloß zurück, und wie ihre Mutter sie so überaus schön und liebreizend sah, daß sie jede andere Schönheit und Anmut weit übertraf, war sie ganz außer sich und wußte nicht, was sie sagen sollte. Endlich fragte sie, wie sie das gemacht habe, zu einer so wunderbaren Schönheit zu gelangen. »Ich weiß es nicht«, antwortete Biancabella. Die Mutter nahm hierauf einen Kamm, um sie zu kämmen und die blonden Flechten in Ordnung zu bringen, und wie sie sie kämmte, fielen ihr Perlen und kostbare Edelsteine vom Haupte, und als sie ihre Hände wusch, gingen Rosen, Veilchen und lachende, buntfarbige Blumen und süße Wohlgerüche daraus hervor, so daß es schien, als befände sich dort das irdische Paradies. Als die Mutter dies sah, eilte sie zu ihrem Gatten Lamberico und sprach mit mütterlicher Freude: »Herr, unsere Tochter ist das schönste, anmutigste und liebenswürdigste Wesen auf der Welt, und außer ihrer übermenschlichen Schönheit fallen ihr noch Perlen, Edelsteine und andere Juwelen von größter Kostbarkeit aus den Haaren, und aus ihren weißen Händen gehen Rosen und Veilchen und Blumen aller Art hervor, die jedem, der das Kind anschaut, entgegenduften. Nie würde ich es geglaubt haben, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen.« Der Markgraf, der von Natur ungläubig war und den Worten der Gattin nicht so ohne weiteres Glauben schenkte, lachte über ihren Bericht und verspottete sie. Doch ließ sie nicht eher nach, als bis er sich entschloß, selbst zu sehen, was an der Sache sei. Er ließ also seine Tochter kommen und fand, daß seine Frau ihm noch viel zu wenig gesagt hatte. Sein Entzücken darüber war so groß, daß er sicher glaubte, es gebe keinen Mann auf der Welt, der würdig sei, sie zur Gattin zu bekommen, überallhin verbreitete sich nun der Ruf von Biancabellas entzückender und unsterblicher Schönheit und viele Könige, Fürsten und Markgrafen reisten von allen Seiten herbei, ihre Liebe zu gewinnen und sie als Gemahlin heimzuführen. Aber keiner von ihnen war reich genug an Tugenden, daß er sie erlangen konnte; denn an einem jeden von ihnen haftete irgendein Mangel. Endlich erschien Ferrandino auf dem Plan, der König von Neapel, dessen Tapferkeit und berühmter Name wie die Sonne unter den kleinen Sternen hervorglänzte, und hielt beim Markgrafen um die Hand seiner Tochter an. Dieser, der ihn so schön, anmutig und wohlgebildet sah und als mächtig und reich kannte, willigte in die Verbindung ein, ließ Biancabella holen, und ohne Zögern gaben sie einander die Hände und küßten sich. Kaum aber war das Verlöbnis vollzogen, da gedachte Biancabella der freundlichen Worte ihrer Schwester Samaritana, sie verließ ihren Bräutigam, indem sie einige Verrichtungen vorschützte, schloß sich in ihre Kammer ein und eilte durch einen geheimen Ausgang derselben in den Garten, wo sie mit leiser Stimme Samaritana zu rufen begann. Allein diese erschien nicht mehr auf ihren Ruf, wie sonst. Als Biancabella dies sah, war sie sehr verwundert, suchte sie in jedem Winkel des Gartens und wurde sehr betrübt, als sie sie nirgends fand; denn sie erkannte nun, daß dies die Folge davon sei, daß sie ohne Wissen ihrer Schwester und somit gegen ihre Befehle gehandelt habe. Mit traurigem Herzen suchte sie ihr Gemach wieder auf und ging dann zu ihrem Verlobten, der sie schon lange erwartet hatte. Als die Hochzeit vorüber war, führte Ferrandino seine Gemahlin nach Neapel, wo sie von der ganzen Stadt mit großer Pracht und Feierlichkeit unter lautem Trompetenschall empfangen ward. Ferrandino hatte aber eine Stiefmutter mit zwei schmutzigen, garstigen Töchtern, von denen sie ihm die eine oder die andere gerne zur Ehe gegeben hätte, und da ihr nunmehr jede Hoffnung dazu geraubt war, ihren Wunsch zu erreichen, entzündete sich in ihrer Brust ein so wütender Haß und Groll gegen Biancabella, daß sie sie nicht sehen, ja gar nichts von ihr hören wollte; sie tat aber dennoch, als wäre sie ihr sehr lieb und teuer. Da begab sich's, daß der König von Tunis große Rüstungen zu Wasser und zu Lande betrieb, um König Ferrandino mit Krieg zu überziehen, – entweder weil dieser Biancabellas Hand erlangte, oder aus einem anderen Grunde – und er war bereits mit seinem mächtigen Heer über die Grenze des Reiches gedrungen. Daher mußte Ferrandino zur Verteidigung seines Landes die Waffen ergreifen und dem Feinde die Spitze bieten. Er rüstete sich also, empfahl Biancabella, die schwanger war, der Stiefmutter und setzte sich mit seinem Heer in Marsch. Er war erst wenige Tage fort, da beschloß die böse, feindlich gesinnte Stiefmutter, Biancabella töten zu lassen, rief einige Diener, denen sie vertraute, und befahl ihnen, die Königin an einen entlegenen Ort spazierenzuführen, ihn nicht eher zu verlassen, als bis sie sie getötet hätten, und ihr ein Zeichen zu bringen, woran sie die Gewißheit ihres Todes erkennen könne. Die Diener, bereit Böses zu tun, gehorchten der Herrin, taten, als wollten sie die Königin an einen schönen Ort führen, und gingen mit ihr in ein Gehölz. Schon schickten sie sich an, sie zu töten, da flößte ihnen ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit Mitleid ein, so daß sie ihr das Leben nicht rauben wollten. Sie schnitten ihr aber beide Hände ab, rissen ihr die Augen aus dem Kopfe, und überbrachten diese der Stiefmutter als ein sicheres Zeichen, daß sie sie getötet. Dieser Anblick machte dem rohen, ruchlosen Weibe große Freude. Um nun ihr frevelhaftes Vorhaben gänzlich auszuführen, streute sie durch das ganze Land das Gerücht aus, ihre beiden Töchter seien gestorben: die eine an einem auszehrenden Fieber, die andere an einem Geschwür in der Nähe des Herzens, das sie erstickt habe, und ferner, daß Biancabella aus Gram über die Abwesenheit ihres Mannes mit einem toten Kinde niedergekommen sei und ihre Kräfte durch ein dreitägiges Fieber zerstört würden, doch sei mehr Hoffnung auf Leben, als Besorgnis, sie möchte sterben, vorhanden. Unterdessen legte das verruchte, verbrecherische Weib eine ihrer Töchter an Biancabellas Statt in des Königs Bett und gab vor, es sei die am Fieber schwer erkrankte Biancabella. Ferrandino, der inzwischen das Heer des Feindes gänzlich geschlagen und zerstreut hatte, kehrte jetzt im Triumph nach Hause zurück und hoffte seine geliebte Biancabella glücklich und heiter wiederzufinden, statt dessen fand er sie mager, entfärbt und verunstaltet im Bette liegen. Und als er sich über sie beugte, und ihr ins Gesicht sah und bemerkte, wie alle Schönheit gänzlich dahin war, bemächtigte sich seiner die größte Bestürzung, und es wollte ihm durchaus nicht in den Sinn, daß dies Biancabella sei. Da ließ er ihr das Haar kämmen, und statt der Edelsteine und Juwelen, die aus seiner Gattin goldenen Locken zu fallen pflegten, kamen großmächtige Läuse zum Vorschein, von denen sie beständig gebissen wurde, und aus den Händen gingen nicht wie sonst Rosen und andere duftende Blumen hervor, sondern Schmutz und Unflat, daß es die Umstehenden anekelte. Doch die verbrecherische Mutter tröstete ihn, und redete ihm ein, dies käme von der langen Dauer der Krankheit, die solche Wirkungen hervorbringe. Unterdessen war die unglückliche Biancabella mit den verstümmelten Armen und des Lichtes beider Augen beraubt in der traurigen Einsamkeit eine Beute der Verzweiflung, und rief immer von neuem nach ihrer Schwester Samaritana, damit sie ihr helfe, aber alles blieb still, nur der tönende Widerhall antwortete, der von allen Seiten zurückkam. Während die bedauernswerte Frau in diesem Jammer verharrte und sich jeder menschlichen Hilfe beraubt sah, siehe da kam ein Greis in den Wald, ein gütiger, mitleidiger Mann, und hörte die klagende, traurige Stimme. Er richtete seine Schritte dorthin, woher die Töne kamen und entdeckte die ihrer Hände und Augen Beraubte, die ihr hartes Los bejammerte. Der gute Alte konnte es nicht übers Herz bringen, sie hier zwischen Baumstümpfen, Dornen und Disteln umherirren zu lassen und führte sie, von einem väterlichen Mitleiden bewegt, mit sich nach Hause, wo er sie seiner Frau empfahl und ihr dringend ans Herz legte, für sie zu sorgen. Dann wandte er sich zu seinen drei Töchtern, die drei hellstrahlenden Sternen glichen, und gebot ihnen eindringlich, ihr Gesellschaft zu leisten, stets liebreich gegen sie zu sein und es ihr an nichts mangeln zu lassen. Die Frau, in deren Herzen kein Mitleid, eher das Gegenteil zu finden war, geriet über diese Zumutung in einen gewaltigen Zorn und rief: »Aber Mann! Was sollen wir denn mit diesem blinden und verstümmelten Weibe machen, das gewiß nicht seiner Tugenden wegen, sondern zur Vergeltung für seine Taten in diesem Zustande ist?« Aber der Greis erwiderte ihr unwillig: »Tu, was ich dir sage, handelst du gegen meinen Willen, so hüte dich, wenn ich wieder nach Hause komme.« Die schmerzensreiche Biancabella blieb also bei der Frau und ihren Töchtern, redete mit ihnen von allerlei Dingen, und dachte bei sich über ihr Elend nach. Da fiel ihr ein, eines der Mädchen zu bitten, sie möchte ihr doch das Haar ein wenig kämmen. Als die Mutter das hörte, verdroß es sie sehr; denn sie wollte es auf keinen Fall zugeben, daß ihre Tochter ihr Magddienste leiste. Allein die Tochter hatte mehr Herz als die Mutter und gedachte dessen, was ihr der Vater befohlen; auch schien ihr aus Biancabellas Wesen etwas Hoheitsverkündendes hervorzuleuchten. Sie band also ihre frischgewaschene Schürze ab, breitete sie auf dem Boden aus und kämmte ihr liebreich das Haar. Und kaum hatte sie angefangen es zu kämmen, da quollen Perlen, Rubine und Diamanten und andere Edelsteine aus den blonden Flechten hervor. Bei diesem Anblick war die Mutter, die sich nun ihres zuvor bewiesenen Verhaltens schämte, aufs höchste erstaunt, und ihr großer Haß gegen sie verwandelte sich nun in wirkliche Liebe. Als der Alte nach Hause kam, liefen ihm alle entgegen und umarmten ihn und freuten sich mit ihm aufs höchste über das Glück, das ihrer großen Armut zu Hilfe gekommen war. Biancabella erbat sich einen Eimer voll frischen Wassers und ließ sich das Gesicht und die Armstümpfe waschen, und siehe, es gingen vor aller Augen Rosen, Veilchen und andere Blumen im Überfluß daraus hervor. Darum hielten sie sie alle nicht für ein menschliches, sondern für ein göttliches Wesen. Nach einiger Zeit entschloß sich Biancabella, nach dem Orte zurückzukehren, wo der Greis sie gefunden hatte. Allein dieser sowohl als seine Frau und die Töchter, die nicht gern den Nutzen, den sie ihnen brachte, verlieren wollten, umschmeichelten sie und baten sie aufs dringendste, ihr Haus nicht zu verlassen und machten allerlei Gründe geltend, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Allein sie beharrte auf ihrem Willen und wollte durchaus dorthin gehen, versprach jedoch wiederzukommen. Darauf führte sie der Alte unverzüglich an den Ort, wo er sie gefunden, zurück. Hier befahl sie ihm, sie zu verlassen und am Abend wiederzukehren, dann werde sie mit ihm heimgehen. Sobald er fort war, fing die unglückliche Biancabella an, den Wald zu durchirren und Samaritana zu rufen, und ihr Schreien und Klagen tönte bis zum Himmel empor. Aber Samaritana, war sie ihr gleich nahe und hatte sie niemals verlassen, wollte ihr doch nicht antworten. Als die Unglückliche endlich einsah, daß sie ihre Bitten in den Wind rufe, klagte sie: »Was soll ich länger auf der Welt machen, nachdem ich der Augen und Hände beraubt worden und niemand mir helfen will?« Und in der Heftigkeit ihres Schmerzes, die sie an jeder Hoffnung verzweifeln ließ, beschloß sie, sich zu töten. Da sie nun keine andere Art wußte, nahm sie ihren Weg zum Wasser, das nicht weit entfernt war, um sich zu ertränken. Aber kaum war sie an das Ufer gelangt und im Begriff sich hineinzustürzen, als sie eine donnernde Stimme vernahm, die ihr zurief: »Halt inne, sei nicht deine eigene Mörderin und spare dein Leben für eine bessere Zukunft!« Von dieser Stimme erschreckt, fühlte Biancabella ihr Haar sich vor Entsetzen in die Höhe sträuben. Doch da ihr die Stimme bekannt schien, faßte sie Mut und fragte: »Wer bist du, der du durch diese Gegend irrst und dich mir durch freundliche, mitleidige Worte kundgibst?« »Ich bin deine Schwester Samaritana«, erwiderte die Stimme, »die du so oft und so flehentlich anriefst.« »O meine Schwester«, rief Biancabella, und heftiges Schluchzen unterbrach ihre Worte, »hilf mir, ich bitte dich, und wenn ich gegen deinen Rat gehandelt habe, so verzeih mir! Ich habe gefehlt, ich gestehe es, aber nur aus Unwissenheit, nicht aus bösem Willen. Sonst hätte es auch die göttliche Vorsehung nicht so lange ertragen.« Diese Klagen und der Anblick ihrer so schmählich behandelten Schwester rührten Samaritana, sie sprach ihr Trost zu, pflückte einige Kräuter von wunderbarer Kraft und legte ihr diese auf die Augen, dann fügte sie zwei Hände an ihre Arme und machte sie auf diese Weise gesund und sehend. Hierauf warf Samaritana die dunkle Schlangenhaut ab und ward zu einer wunderschönen Jungfrau. Schon verbarg die Sonne ihre glänzenden Strahlen und die Schatten der Nacht stiegen auf, als der Greis eiligen Schritts in den Wald kam und Biancabella fand, die neben einer anderen Nymphe saß. Wie er ihr aber in das klare Antlitz sah, erstaunte er und glaubte fast, sie könnte es nicht sein. Nachdem er sie aber erkannt hatte, sagte er zu ihr: »Wie, meine Tochter, diesen Morgen wäret Ihr ja noch blind und verstümmelt; wie seid Ihr denn so schnell geheilt worden?« »Nicht durch meine eigene Kraft«, erwiderte Biancabella, »sondern durch die Kraft und Güte meiner Schwester, die hier neben mir sitzt.« Damit standen sie beide auf und gingen voller Fröhlichkeit mit dem Alten nach seinem Hause, wo sie von der Frau und den Töchtern freundlich empfangen wurden. Eine lange Reihe von Tagen war vergangen, als Samaritana, Biancabella und der Alte mit seiner Frau und seinen drei Töchtern sich in die Stadt Neapel begaben, um dort zu wohnen. Als sie dort einen leeren Platz sahen, der dem Palaste des Königs gegenüberlag, setzten sie sich daselbst nieder, und als es Nacht und dunkel geworden war, nahm Samaritana eine Lorbeerrute in die Hand, schlug damit dreimal auf die Erde, indem sie gewisse Worte aussprach, und kaum war dies geschehen, so stieg ein wunderschöner, prächtiger Palast empor, wie man ihn herrlicher nie gesehen. Als König Ferrandino am andern Morgen zu früher Stunde ans Fenster trat und das reiche wunderbare Schloß gewahrte, erfaßte ihn das größte Erstaunen und er rief Frau und Stiefmutter, damit sie es auch sähen. Diesen aber mißfiel es höchlich; denn sie befürchteten, es könnte ihnen etwas übles bedeuten. Ferrandino, der sich indes an dem Palaste gar nicht satt sehen konnte, hob, nachdem er ihn in allen Einzelheiten betrachtet hatte, die Augen empor und erblickte am Fenster eines seiner Gemächer zwei Frauen, die durch ihre Schönheit die Sonne zu überstrahlen schienen. Und sowie er sie gesehen hatte, erzitterte sein Herz unter einer mächtigen Bewegung; denn die eine von ihnen schien ihm Biancabellas Züge zu tragen. Er fragte sie sogleich, wer sie seien und woher sie kämen und erhielt zur Antwort, sie seien zwei ausgewanderte Frauen aus Persien, die mit ihrer Habe hierhergezogen, um in dieser berühmten Stadt zu wohnen. Er fragte darauf, ob es ihnen angenehm wäre, wenn er und seine Damen sie besuchten, worauf sie erwiderten, dies würde ihnen sehr lieb sein, doch schicke es sich besser und gezieme sich, daß sie als Untertanen ihnen ihre Aufwartung machten, als daß ihr Herr und die Königinnen zu ihnen kämen. Ferrandino jedoch ließ sogleich die Königin nebst den anderen Frauen rufen, und sie mußten mit ihm zum Palast der beiden Fremden hinübergehen, wiewohl sie, Böses ahnend, sich anfangs weigerten. Die Schwestern empfingen ihre Gäste in aller Liebenswürdigkeit und Ehrerbietung und zeigten ihnen die weiten Hallen, geräumigen Säle und prunkvollen Gemächer, deren Wände von Alabaster und feinem Porphyr waren, mit Figuren darauf, die zu leben schienen. Nachdem sie den prachtvollen Palast besichtigt hatten, näherte sich die schöne junge Frau dem Könige, und bat ihn inständig, ihr die Ehre zu erweisen, eines Tages mit seiner Frau bei ihnen zu speisen. Der König hatte kein Herz von Stein und war von Natur großmütig und huldreich und nahm die Einladung freundlich an. Er dankte für den ehrenvollen Empfang, den ihm die Frauen hatten angedeihen lassen, nahm mit der Königin Abschied und kehrte in seinen Palast zurück. Als der festgesetzte Tag gekommen war, zogen der König, die Königin und die Stiefmutter ihre königlichen Gewänder an und machten sich mit einem Gefolge von mehreren Frauen auf, um das glänzende Mittagsmahl zu beehren, das bereits mit großem Aufwände zugerüstet war. Nachdem das Wasser für die Hände herumgereicht worden war, setzte der Seneschall den König und die Königin an eine etwas höhere aber in der Nähe der anderen stehende Tafel und wies sodann allen übrigen nach ihrem Range ihren Sitz an, worauf alle mit großem Behagen und Vergnügen speisten.

Als das prunkvolle Mahl vorüber und die Tafel aufgehoben war, erhob sich Samaritana und sagte zum König und der Königin gewandt: »Herr, damit wir nicht müßig sind, möge einer etwas zur Unterhaltung und Erheiterung vorschlagen.« Alle erklärten sich damit einverstanden, aber dennoch war keiner, der einen Vorschlag zu machen wagte. Als Samaritana alle schweigen sah, fuhr sie fort: »Da sich niemand anschickt, etwas zu sagen, will ich mit Erlaubnis Eurer Majestät eine unserer Zofen kommen lassen, damit sie uns einen kleinen Zeitvertreib verschaffe.« Sie ließ also ein Fräulein namens Silveria rufen und befahl ihr, die Zither zur Hand zu nehmen und etwas zu Lob und Preis des Königs zu singen. Sie gehorchte ihrer Gebieterin, nahm die Zither, setzte sich dem König gegenüber und sang mit süßer, anmutiger Stimme, indem sie die tönenden Saiten dazu schlug, die ganze Geschichte Biancabellas, ohne jedoch dabei ihren Namen zu nennen. Als sie zu Ende gekommen, stand Biancabella auf und fragte den König, welch angemessene Strafe wohl derjenige verdiene, der sich eines solchen Verbrechens schuldig gemacht. Die Stiefmutter, welche glaubte, sie könne mit einer schnellen, unbefangenen Antwort ihre Schändlichkeit verbergen, wartete des Königs Antwort nicht ab, sondern rief ganz dreist: »Ein glühender Ofen wäre noch eine zu geringe Strafe für ein solches Verbrechen!« Da rief Samaritana mit brennenden Wangen: »Du selber bist jenes grausame, nichtswürdige Weib, das solchen Frevel begangen! Und du, verworfene Verbrecherin, verdammst dich jetzt mit deinem eigenen Munde.« Darauf wandte sich Samaritana zum König und sprach heiteren Antlitzes zu ihm: »Hier ist Eure Biancabella. Dies ist Eure Gattin, die Ihr so sehr liebtet. Sie ist es, ohne die Ihr nicht leben konntet!« Und zum Zeichen der Wahrheit ihrer Worte ließ sie von den drei Töchtern des Greises vor den Augen des Königs ihr das blonde lockige Haar kämmen, und siehe, da gingen, wie oben geschildert, kostbare, prächtige Steine daraus hervor, und aus ihren Händen sproßten taufrische Rosen und duftende Blumen. Und zum ferneren Beweis entblößte sie vor dem König den weißen Hals Biancabellas, den ein Kettchen vom feinsten Golde umschlang, das zwischen Haut und Fleisch hervorleuchtete, als ob es durch hellen Kristall schiene. Als der König an diesen glaubhaften Zeichen erkannt hatte, daß es wirklich seine Biancabella sei, vergoß er Tränen der Freude und umarmte sie aufs zärtlichste. Und er verließ den Palast nicht eher, als bis er einen Ofen hatte anzünden und die Stiefmutter samt ihren beiden Töchtern hineinwerfen lassen, welche mit zu später Reue über ihr Verbrechen elend ums Leben kamen. Darauf wurden die drei Töchter des Greises anständig verheiratet, und König Ferrandino lebte mit seiner Biancabella und mit Samaritana lange Zeit und hinterließ rechtmäßige Erben des Reiches.


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