Otto Stoessl
Menschendämmerung
Otto Stoessl

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Baracke sechsundzwanzig

Ich fühle mich ganz wohl hier im Barackenlager, das während des Krieges Rekruten, dann Invaliden, dann Rückkehrende beherbergt hat und nach dem Umsturz bei der Wohnungsnot dazu benützt worden ist, Leute aufzunehmen, die sonst kein Dach über ihrem Kopfe hätten. Die Bevölkerung unseres Lagers, das sehr hübsch auf einem leicht abgedachten Plateau, am Fuß der Wienerwaldberge liegt, hat seit seinem Bestande immer gewechselt, und es werden heute nicht mehr viele von denen noch hier wohnen, welche bei der ersten »Zivil«besetzung dieser Quartiere eingeführt wurden: Kinderreiche Familien von vertriebenen Beamten aus den nunmehr abgetrennten Nationalstaaten des gewesenen Alt-Österreich oder Leute, die in der Ukraine, in Galizien, in Italien irgendwie lästig oder überflüssig waren, Flüchtlinge! Hier waren sie übrigens auch lästig und überflüssig, aber sie gingen niemand mehr etwas an in der großen Stadt. Mochten sie am Rand herumkriechen! Zum Schluß setzten sich Studenten fest, ebenfalls aus aller Herren Ländern und von allen Fakultäten. Es war eine Art »Wohlfahrtsaktion«. Die »Sachdemobilisierung« stellte aus ihren Vorräten, die sonst ohnehin nur als Reste gewaltigerer gestohlener, verkaufter, verschleppter, verdorbener Massen verwertet wurden, großmütig in jeden Raum ein eisernes Bett, einen Strohsack, eine Decke; den Ofen und was man sonst etwa noch an »Mobiliar« wünschte oder brauchte, verschaffte sich jeder selbst um Geld oder um gute Worte oder anderswie. Jeder tünchte sich auch seine Bude selbst, und in unserer Baracke sechsundzwanzig hausen wir »Akademiker« nun schon seit ein paar Jahren, welche gehen ab, andere kommen, immer ist alles voll. Wenn man eine Weile wo anwächst, wird es von selber gemütlich. Die langgestreckte Baracke ist auf einem rechteckigen Zementsockel mit dünnen Ziegelwänden gemauert, mit zwei gleichen Fensterreihen auf beiden Seiten, in der Mitte läuft ein breiter Gang, der durch einfache Oberlichte erhellt wird. Das Dach ist aus geteerter Pappe, der Fußboden aus glatten Klinkern. Die Geschichte hat nicht viel gekostet und hält nun schon zehn, zwölf Jahre zusammen. Die Grundeigentümer sind seinerzeit vom Staate genötigt worden, den Boden, den sie nicht benützten, zur Verfügung zu stellen, und wenn sie ihn heute zu besseren Anlagen zurückverlangen, gibt es umständliche Prozesse, viel Scherereien und Kosten. Das Sprengen und Gleichmachen des Zementsockels und der Abbruch der Wände, der Dächer, das Forträumen des Materials machen so viel Plage, das alles dauert so lange und fordert so viel Geld, daß die Grundeigentümer lieber warten, bis die Hütten sowieso zusammenfallen, bis sich die Inwohner endlich allesamt verziehen, oder bis die soziale Frage gelöst ist, oder was weiß ich. Immerhin muß man jederzeit einen Prozeß fürchten, aber man fürchtet ihn nicht dringender als den Tod. So sind wir vorderhand hier die Herren und wir verwalten uns selbst. Jede dieser dreißig oder vierzig Baracken hat übrigens ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Mietverhältnisse und Bewohner mit ihren besonderen Zuständen und Beziehungen. Einige Hütten sind im Lauf der Zeit bereits weggekommen, da frißt sich dann auf einmal ein anderer, ein bürgerlicher Betrieb ein, ein Zimmerplatz oder gar eine Villa, oder es steht nur mehr der feste Zementsockel da, wenn Geduld und Geld beim Niederreißen ausgingen. Manchmal liegt das miserable Zeug: Schutt, Holz, Ziegel, Dachpappe, monatelang herum. Selbst das Wegführen lohnt sich nicht. Disteln und Gras wachsen an. Unsere Baracke sechsundzwanzig aber gehört uns, wir haben sie sogar aus zusammengesteuerten eigenen Geldern gekauft, sie gehört uns, solange sie eben dasteht, und wenn ein Raum frei wird, vergeben wir ihn an einen bedürftigen »Akademiker«. Ist ausnahmsweise kein solcher Bewerber vorhanden, so setzt uns die Lagerverwaltung im Einvernehmen mit dem Mietamt jemand hinein. Das sind dann die nichtakademischen Ausnahmen. Wir verwalten uns selbst, wir bezahlen Gas, Wasser, elektrisches Licht, wir teilen die Steuern unter uns auf, wir besorgen unsere Aufsicht, dabei halten wir uns recht frei und machen eine eigene Welt für uns aus, die beginnt bei der Gittertür und der Zufahrtstraße und hört draußen beim Tramwaygeleise auf. Draußen befindet sich die Stadt, ein Meer rund um uns mit ihrem Verkehr, ihren Geschäften, ihren Sorgen, ihren Vergnügungen und Lastern, hier innen unser Lager ist eine Insel mit eigenen Bedingungen, eigener Bevölkerung, eigenem Recht, eigenen Sitten und Zuständen. Man könnte ein Buch über diese Gesellschaft schreiben, wenn man nichts Dringenderes zu tun hätte. Es käme dabei so eine Art Urkommunismus mit allerhand bürgerlichen Rückständen heraus. Wer lebt, der kann nicht schreiben. Ich teile unsere Bude mit einem Freund, einem Keramiker, aber er ist entweder auf Erwerb in der Stadt oder wie eben jetzt für längere Zeit fortgereist, so daß mir der Raum: drei Meter breit, vier Meter lang mit einem großen Fenster ganz allein gehört. Die Scheiben werden von draußen oft eingeschlagen, bis man neue einsetzen kann, muß man sie mit Papier verkleben. Es zieht unangenehm herein. Die Fenster schließen auch schlecht. Das Licht genügt gerade. Da die Baracken ebenerdig sind und draußen Bäume stehen, wird es selten ganz richtig sonnenhell. Mit sechs Leintüchern von meiner Mutter ausgestattet, bin ich hergekommen. Da ich aber nicht immer – eigentlich nie – genug Geld besaß, um mir für meine Bilder teure Leinwand zu kaufen, habe ich diese Leintücher allmählich zerschnitten, grundiert, zum Malen verwendet und ein oder mehrmals mit großen Kreuzigungen oder mit Vater Noah und seinen Töchtern oder mit dem heiligen Hiob oder mit Rittern und nackten Frauen bemalt. Und das Bett? Es ist viel einfacher, seit ich entdeckt habe, wie überflüssig eigentlich Leintücher sind, man liegt warm auf Kotzen und mit Kotzen zugedeckt, und man braucht nicht soviel waschen zu lassen, Lüften und Klopfen genügt. Ich habe einen schmalen Kasten. Nur wenig ist darin. Viel mehr als ich am Leibe habe, besitze ich ja nicht an Kleidern. Immerhin gibt es im Kasten Unordnung genug, Kraut und Rüben durcheinander. Meine Wäsche wäscht, flickt und hält mir in Ordnung eine nette Frau, die gegenüber auf der anderen Seite des Ganges wohnt, die Frau eines Wachmanns, auch eines Vertreters der anderen Stände. Oh, unsere Welt ist ganz vergnügt: diese Welt von kleinen Maden unter sich, die sich auch für den Mittelpunkt eines Reiches halten, indem sie durcheinanderkriechen, lieben, spielen, streiten, sich versöhnen, betteln, Nahrung suchen, Kraft und Gesundheit verschwenden, Angst haben, eben leben wie überall, nur viel deutlicher. Solche primitive Zustände wie unsere wirken wie ein Mikroskop; man sieht alles ganz deutlich, uns Infusorien im Wassertropfen. So betrachtet wirken wir auch wie »höhere« Wesen! Im Sommer gibt's hier den schönsten Landaufenthalt. Zwischen den Baracken liegen Wiesen, einzelne Äcker, wo Gemüse oder Blumen gebaut werden, eine Lindenallee läuft durch, auch sonst gibt's Schattenbäume da und dort, namentlich vor den Häusern, Hühner laufen herum und haben ihre Not mit den Hunden und Katzen, Kanarienvögel singen in Bauern, einzelne Fenster haben sogar schöne weiße Vorhänge, dort wo Frauen wohnen. Auch hohe gelbe Sonnenblumen und Balsaminen sind vor Fenstern gepflanzt, und auf Wiesen oder Sandplätzen, die mit Hecken von Hollunder, Jasmin, Weißdorn eingefaßt sind, liegen die Leute schön nackt und braun und nehmen Sonnenbäder. Kleine Kinder wälzen sich herum, raufen sich und klagen etwas Schreckliches oder lachen. Immer neue kleine Kinder kommen. Das Geschrei geht nicht aus. Natürlich, auch hier pflanzt sich die Bevölkerung fort, denn es gibt ja sogenannte oder wirkliche Ehepaare genug hier. Manche Akademiker oder Angestellte warten nur, bis sie ein paar Schilling übrig haben für das Nötigste, um mit ihrer Dame zusammenzuziehen, manchmal in das eine Eisenbett ihres Zimmers oder auf ein zweites, das sie sich dazu anschaffen. Viel Glück! Pfui Teufel! Im übrigen sind wir wegen unserer »Sitten« nicht gerade berühmt, und es braucht schon eine lange Bekanntschaft und großes Vertrauen oder Neigung oder Lust zu einem Abenteuer, damit ein Mädchen von der Stadt ihren Fuß in unser Lager setzt und gar in eines unserer Zimmer. Ist sie aber einmal dagewesen, so kommt sie schon wieder oder geht gar nicht mehr fort. Unsere Freiheit hat etwas Überzeugendes oder Ansteckendes. Auf den sonnigen Plätzen hinter den Hecken lebt es sich wie auf den Marquesas. Wir haben unser eigenes Haiti. So lange man sich nicht gerade die Stadt oder den Luxus einbildet, kann man hier schon eine Art Heimat haben. Nicht einmal die Polizei kümmert sich um uns. Die unvermeidlichen Schlägereien werden unter uns ausgetragen. Abends geht es hoch her; es wird gekocht. Mittags sind die meisten in ihren Geschäften unterwegs und essen oder hungern in der Stadt. Den Abend aber verbringt man »zu Hause«. Man versammelt sich in einzelnen Buden, wo gewisse gesellschaftliche Talente gerade beliebt sind, jeder nimmt seine Teetasse und Blechlöffel, Gläser und Teller mit für die Erfordernisse des Abends. Einer spielt auf der »Klampfen« und man singt dazu. Auch »Roulette« oder »Schnapsen« wird betrieben und das Geld, das gerade auf der Baracke vorhanden ist, rollt hinüber und herüber und wechselt wohltätig seine Besitzer. Es hält sich nicht gern und nicht lang in einer Tasche. Da kommt unfehlbar, heimlich, mit würdigem, überlegenem Ausdruck, leise, auf den Zehenspitzen in seiner mehr als unscheinbaren, man kann schon sagen, zerlumpten Kleidung, in zerfransten Hosen, einen gestrickten Wollspenser ohne Hemd darunter, Adam Kolodrubski, der Philosoph, und sucht einen Winkel für sich unter den vielen Leuten. Er trägt diesen Winkel eigentlich immer schon mit sich selbst herum in seiner demütigen, zugleich hündischen und überlegenen Art und fremden Aussprache. Er nennt sich Philosoph und behauptet auch, so etwas an der Universität zu studieren. Mag sein! Wir kontrollieren einander nicht. Soll jeder treiben, was er will! Jeder hat recht. Übrigens umgibt er sich auch mit einem gewissen Air. Davon lebt er. Vor sich und auch vor den anderen lebt er mit diesem besonderen Air. Kein Heiligenschein gerade, aber doch eine Art von Nimbus! Er ist Ukrainer, es gibt deren noch ein paar in den Baracken – Wien ist gerade bei den Ukrainern sehr beliebt – sie verhalten sich zu ihm nicht anders, als wir alle, nämlich ein bißchen spröd und deutlich ablehnend, aber wenn er in irgendeinen Streit verwickelt wird, nehmen sie sich seiner doch an, so wie wir Deutschen in der Fremde uns um einen angegriffenen Landsmann annehmen würden, wenn wir ihn auch nicht gut leiden könnten. Er haust in dem Zimmer eines gewissen Michalski, eines anderen Ukrainers, als Untermieter, wie er sagt. Der andere ist aber schon seit Monaten nicht mehr hier gewesen, angeblich auf Besuch in die Heimat gereist, doch wird er wiederkommen, sagt Kolodrubski, man darf also seine Bude nicht weiter vergeben. Dort sitzt der Philosoph und verteidigt sich heftig. Als wir die Baracke mit unserm Geld gekauft haben, traten wir auch an ihn um einen entsprechenden Beitrag heran. »Iich?« sagte er mit seiner gedehnten, polnisch-ukrainischen Aussprache. »Iich, iich biinn nur Untermieter – Michalski!« Kurz, aus ihm war kein Groschen zu ziehen. Wir ließen ihn also als Untermieter da ohne Miete. In der Ukraine, während des Umsturzes, behauptet er, Volkskommissär für Ernährung gewesen zu sein, hier arbeitet er kümmerlich aber eifrig bloß für die seinige und läßt es unentschieden, ob man ihn als Kommunisten fürchten, als großen Herrn achten oder als Philosophen zweifelnd ansehen soll. Jedenfalls beansprucht er für alle seine besonderen Eigenschaften irgendwie dringliche Geltung, und still, lauernd, gelegentlich großartig setzt er sich durch, obschon man ihm oft geradheraus ins Gesicht lacht. Komisch ist er immer, aber man hat zugleich Angst davor, man ist wehrlos gegen ihn. Er wendet sich bei beleidigenden oder verletzenden Zwischenfällen mit einem verächtlichen Achselzucken ab, bückt sich und macht den Winkel noch kleiner, den er mit sich bringt und in den er sich zurückzieht. Er hat mir auch oft seine sogenannte Philosophie entwickelt. Wenn er ins Reden kommt, wird er sehr lebhaft und hört lange nicht auf. Diese Philosophie lief auf eine seltsame Beweisführung seiner selbst als einer gegebenen Notwendigkeit und Tatsache Gottes und der Welt hinaus. »Da ich nun einmal geschaffen und hier bin, wie ich bin, mit bestimmter, deutlicher Absicht der Schöpfung, denn das muß ich wohl annehmen,« so lautet etwa die Beweisführung, »ist es nur gerecht, daß ich mich erhalte, wie ich bin, und behaupte auf meinem Fleck, der liebe Gott muß für mich sorgen und was ich dazu tue, geschieht für den lieben Gott und in Gottes Namen. Es ist übrigens ja auch kein gewaltiges Vergnügen!« Er wußte für alle seine unverschämten Forderungen und Mißbräuche, die er geradezu virtuos betrieb, nur daß sie leider für so Geringes aufgewandt wurden, immer triftige Gründe vorzubringen und legte sich überhaupt für alles, was geschah, notwendige, durchaus auf ihn bezügliche, auf ihn als Mittelpunkt zusammenstrahlende Ursachen zurecht. Ein Bedürfnis nach einer sogenannten sittlichen Weltordnung bestand wohl sogar und gerade in diesem durch die elenden Verhältnisse verwirrten Menschen, und daß er in seiner ewigen Notwehr die sittliche Weltordnung einfach mit seinem Bestande gleichsetzte und aus ihm erklären und ableiten wollte, darf man ihm – auf unserer Insel – vielleicht nicht einmal gar so verübeln.

Eigentlich besaß er wohl nie Geld, wenn er ein und das andere Mal über ein paar Groschen verfügte, waren sie ausgepumpt, erschlichen, vielleicht sogar gestohlen, oder durch Betrug irgendwie beiseite geschafft, aber er verstand offenbar auch ohne irgendwelche Barmittel sich in seinem Winkel fortzufristen. Er war da, also lebte er auch wohl von etwas. Meistens von Reis. Davon schien er in glücklicheren Tagen immer sorglich einen gewissen Vorrat anzuhäufen, den er in Zeiten des Mangels verkochte. Feuerungsmaterial sammelte er entweder durch höflich freundliches Betteln um ein »Stückchen« Kohle, wovon er sich von Zimmer zu Zimmer eines und noch eines und noch eines zusammentrug, bis er Michalskis Ofen als Untermieter für eine Stunde heizen und darauf seinen Topf Reis sieden konnte. Oder er sammelte Spiritus auf ähnliche Art tropfenweise. Gegen die Kälte schützte er sich durch Besuche und Gespräche in irgendeiner warmen Bude. Wenn irgendwo eine Mahlzeit gerichtet, Fleisch geklopft, geschabt, Speck geschnitten wurde, fand er sich gleich – er hörte oder witterte es – in seiner demütigen Frechheit ein, mit einem Teller, um die Abfälle zu bekommen, oder etwas Öl, wenn ein anderer Salat anmachte, eine halbe Zwiebel erlangte er auch, so war für sein Essen mitgesorgt. Eingeladen wurde er nirgends. Sein Getränk war Tee. Auch den sammelte er sich fingerspitzenweise von Zimmer zu Zimmer: »Aach haaben Sie nur ein biißchen Tee, nur einen Gedaanken Tee.« Gab man ihm nur einen »Gedanken«, so drängte er wohl: »Zu wenjig, geehrter Cherr, noch ein biißchen.« Schließlich hatte er auch davon genug, Zucker wurde ihm desgleichen »gedankenweis« abgegeben und so weiter. Wenn es nach des Tages Arbeit in einer Bude zu rumoren begann, erschien er auf den Zehenspitzen, zwängte sich leise wie ein Geist durch die nur leicht geöffnete Tür, freundlich unnahbar lächelnd, nichts durfte geschehen, ohne daß er dabei war und alles mitansah. Brach einmal die Roulette-Seuche aus, was meist anfangs des Monats geschieht, solange die Leute noch Geld haben, dann versammelte man sich schon am Nachmittag und spielte bis zum frühen Morgen, wobei die Verlierer wieder Neuangekommenen, die mit Geld versehen waren, Platz machten. In einem solchen Zimmer drängten sich stets an die zwanzig Leute zusammen, saßen, standen, hockten auf dem Fußboden, rauchten, tranken Tee und setzten vor allem und beobachteten den Gang der Sache. An solchen Tagen erschien Adam gleich zu Anfang und blieb bis ganz zuletzt. Er betrieb das Spiel auf seine Weise, nämlich philosophisch, indem er auf einem Blatt Papier mit einem winzigen Bleistiftstummel Notizen machte, Ziffern aufschrieb, alle Kombinationen verfolgte, um zum Schluß nach seinem System mit einem Satz einzuspringen, der unfehlbar die Bank sprengen sollte. Erst nach stundenlanger Beobachtung, wenn er seine Zeit gekommen glaubte, lieh er sich von mir oder einem anderen Gutmütigen, den seine Gier belustigte, dreißig Groschen aus oder mehr, wenn er es bekommen konnte, und setzte auf »seine« Zahl. Die kam natürlich erst recht nicht heraus, er fluchte, schüttelte den Kopf und wartete, unter weiteren Notizen mit dem Bleistiftstummel, bis endlich die Nummer dann erschien, wenn er sie nicht mehr besetzen konnte. Das System war vielleicht gut, nur vermochte er es eben nicht soweit zu verfolgen, wie es nötig gewesen wäre. Wenn er dann so hoffnungslos ausgebrannt dasaß, eine verrauchte Zigarette im Mund, mit einem Blick wie ein hungriger Wolf, war er schon nicht ganz gewöhnlich anzuschauen. Beim Schnapsen zu zweien beteiligte er sich so: gewann er, so sollte er dreißig Groschen für die Partie bekommen, verlor er, so galt für die Partie ein Botengang, den er leisten wollte, zugunsten des Gewinners. Adam Kolodrubski verlor auf diese Weise manchmal dreißig Botengänge an einem Spieltage. Die lieferten dann aber Stoff für unendliche Zänkereien. Er geriet nämlich immer an denselben Spielgesellen, der ebenso hartherzig und eigennützig, wie er hartnäckig und spielleidenschaftlich war, und der andere wollte den Gewinn an Botengängen auch möglichst schlau und unnachsichtig ausbeuten. Dagegen wehrte sich aber Kolodrubskis zweckloser Arbeit und Bewegung durchaus abgeneigte Philosophie. Mußte er schon die Laus auf dem Pelz sein, so wollte er sich doch von keinem Finger knicken lassen. Der Gewinner besuchte also den »Untermieter« am anderen Morgen etwa mit einem ganz genau ausgerechneten und aufgeschriebenen Besuchsplan, sechs Flaschen, etliche Bücher, Pakete, Leihkarten, Legitimationen usw. in beiden Händen. Kolodrubski sollte auf dem Wege Wein kaufen, beim Drogisten etwas besorgen, Flaschen abliefern, Konsumartikel einhandeln, Bücher zurückbringen, andere dafür holen, kurz zwei Dutzend Geschäfte auf einem Gang erledigen. Nein, so war der »Gang« nicht gemeint gewesen beim »Schnapsen«! Jede verlorene Partie ein Botengang, aber auch nur einer, nicht zwei Dutzend in einem. »Pardon! Entschuldigen!« wiederholte er aufgeregt und versuchte, sich dem übelwollenden Gewinner verständlich zu machen. Eine Flasche Wein holen: ein Gang, ein Kilo Seife beim Drogisten wieder ein Gang, Bücher austauschen, neue holen, meinetwegen ein dritter, aber doch nicht alles miteinander ein einziger! Wo käme er da hin! »Zeit ist doch Geld,« sagte er, »Zeit ist Geld, ist Schuhe, ist Kraaft, Gesundheit. Wo denken Sie!« »Wo ich denke?« schrie der andere. »Sie sind ein Schwindler, ein Fallot sind Sie! Das denke ich.« »Mein Cherr,« wehrte Adam höflich ab: »Ich bjin ein Gentleman, iich kaann nur mit Gentlemen verkehren. Wer in meinem Haus ist, ist cheilig, bjitte, wer nicht Gentleman ist, gechört niicht in mein Haus. Also ich biitte sehr, ich biitte chöflichst.« Damit drängte er den Gegner höchst gewandt unter schmähenden Komplimenten zur Tür und wußte ihn auch meist ohne schwierigere Zwischenfälle hinauszubringen. Dann gab es natürlich für eine Zeit erbitterte Feindschaft, was aber beide nicht hinderte, beim nächsten »Schnapsen« wieder dieselben unmöglichen Bedingungen einzugehen, nur daß man jetzt schon beim Anfang selbst darüber rechtete, ohne indessen eine Einigung abzuwarten. Die Karten wurden gemischt, verteilt, jeder hoffte zu gewinnen. Dann würde er schon das weitere einrichten. Übrigens kam es ja auch ausnahmsweise vor, daß Kolodrubski gewann. Seine dreißig Groschen erhielt er darum auch nicht so pünktlich. Er mußte sich Ratenzahlungen gefallen lassen und so weiter. Es gab unerschöpfliche Gelegenheiten zu Zank, Philosophie, Beweisen, Gründen und Gegengründen und zu ritterlichen Streitigkeiten, als ob alles aufs Benehmen ankäme. Ich lerne übrigens hier auf der »Insel«, daß es gerade der Mangel ist, der unaufhörlich neue Symbole und Bräuche an Stelle des Wirklichen hervorbringt und beim Reichtum entlehnt oder stiehlt. Manchmal hängt dann der Mangel an solchen Äußerlichkeiten so fest, als wäre eine gewisse Manier oder eine schöne Redensart besser als ein neuer Hut oder ein warmer Rock. Bei uns, bei Adam Kolodrubski war mir nur immer spaßig und rätselhaft, wo das »Benehmen« anfing und aufhörte. Es riß nämlich irgendwo und irgendwann plötzlich ab. Dann steht man als splitternackter Ur-Insulaner da ohne Zylinderhut. Einmal hatte Kolodrubski gehört, daß einer der Studenten eine Arbeitsgelegenheit gefunden hätte mit ganz ordentlichem Lohn: bei der Donauregulierung. Kolodrubski, der gerade seinen letzten Reis gekocht haben mochte, erkundigte sich genau, ob auch er dort ankommen konnte. Gewiß konnte er das, im Augenblick wurden viele gebraucht. So meldete er sich und wurde angenommen mit regulärem Dienstbuch in aller Form. Die Burschen hatten Steine zu führen, und zwar von gewissen großen Haufen nach angewiesenen neuen Plätzen, die vermutlich aufgefüllt werden sollten. Jeder belud seinen Schiebkarren und schleppte ihn ehrlich und redlich das Stück Weges bis zur Stelle. Kolodrubski betrachtete die Sache genau nach allen Seiten und mit Philosophie und fand eine andere leichtere Lösung. Er suchte sich nämlich einen einzigen, mittleren Stein aus, weder zu groß, noch zu klein und auf keinen Fall zu schwer. Diesen Stein trug er mit beiden Händen vorsichtig vom Haufen zu dem vorgeschriebenen Platze, nach einer Pause holte er einen zweiten, einen dritten und so weiter und wußte sich dabei – rätselhaft genug – so zu halten, daß man seine eigentlich strohdumme List nicht bemerkte. Nur sein Kollege, der Akademiker, der ihm die Arbeit aufgewiesen hatte und den alten Adam doch kannte, beobachtete ihn dabei und lehrte ihn, übrigens ohne es zu wollen, noch einen neuen Vorteil bei der Sache. Wenn Kolodrubski den Aufseher in der Nähe oder überhaupt Gefahr besorgte, lud auch er einen Schiebkarren langsam voll und zog ihn wohl auch. Aber es kam ihm hart an, war er ja doch sehr schlecht genährt, und er richtete es sich schon ein, daß es nur höchst selten und ausnahmsweise sein mußte. Der Vorteil ergab sich daraus, daß der Akademiker bald danach einen Anfall von Gelenk- und Hüftschmerzen bekam, sich krank meldete, ärztlich untersucht wurde, zu Hause bleiben durfte und sogar eine Krankenunterstützung erhielt. Kolodrubski sah das und benutzte es sogleich zur getreuen Nachahmung. Nach zwei Tagen zog er den Kopf zwischen die Schulter, das linke Bein beim Gehen nach und zwinkerte schrecklich bei jeder Bewegung, meldete sich beim Arzt, gab seinen Rheumatismus bekannt und erzielte ebenfalls Urlaub und Krankenunterstützung. Leider gestatteten die Verhältnisse, die sich gerade damals für ihn zuspitzten, keine erwünschte Ausdehnung dieses Zustandes, den er vor uns allen möglichst sorgfältig und pathetisch spielte. Nur in gewissen Augenblicken gab er das Hinken auf und streckte den Kopf wieder aus den Schultern: sobald sich die Frau Megner zeigte. Da ging er plötzlich gerade, wiegte sich in den Hüften und streckte den Kopf nach allen Seiten. Er machte sich wohlgefällig, er lächelte. Die Frau Megner war die Gattin des Wachmanns, die mir gegenüber auf der anderen Gangseite wohnte, eine vielleicht nicht mehr ganz junge, aber sehr nette, heitere, brave Frau in den Dreißigern. Sie betrieb für auswärtige Kundschaften Näherei. Sie arbeitete fleißig in der Baracke, man hörte vom Gang aus die Maschine in ihrem Zimmer surren, geschwind wie Regenwetter. Wenn sie ihr Stück fertig hatte: Wäsche oder Kleider, ging sie liefern, immer höchst zierlich angetan, nicht auffallend, aber hübsch mit kurzem Rock, feinen Strümpfen, eleganten Schuhen, einem geschickt aufgebogenen weichen Filzhut auf dem runden Kopf mit dem glatten schwarzen Bubenhaar. Sie hatte muntere, geläufig dreinschauende braune, zutrauliche Augen. Zu klein war sie, ein bißchen zu voll und rundlich, wie gesagt, nicht mehr in der allerersten Jugend, aber eine sehr wohlgefällige Person, eine brave, angenehme Frau. Bei dem sicheren Einkommen ihres Mannes und ihrem eigenen Verdienst mußte sie wohl auch über soviel Geld verfügen, daß sie mehr hatte und monatlich ausgeben konnte, als wir Akademiker in einem Vierteljahr oder noch länger. Das Ehepaar gehörte denn auch nicht eigentlich zur Insel, es lebte nur da mangels einer anderen Wohnung. Der Wachmann wollte schon wegen seines Standes gar nichts von uns wissen und hütete sich vor jeder näheren Bekanntschaft, sie aber, durch Arbeit und Hauswirtschaft für den längeren Teil des Tages zurückgehalten, kannte alle Leute und Verhältnisse in der Baracke genauer, hatte dafür auch Interesse. Sie war neugierig und zutraulich und beliebt, auch bei den anderen Frauenzimmern in unserer und in den Nachbarbaracken. Sie kam auch zuhören, wenn wo Musik gemacht wurde. Man tanzte gelegentlich, sie tanzte mit und unterhielt sich in aller Freundlichkeit und Unbefangenheit. Gut und fröhlichen Herzens, wie sie war, hatte sie auch mich kennen gelernt. Ich wohnte ihr ja gerade gegenüber. Mich mußte sie doch jeden Morgen sehen, und wie oft öffneten wir unsere Türen zu gleicher Zeit! Wir konnten nicht verfehlen, einander an jedem Tage oft zu begegnen und recht bald gut miteinander bekannt zu werden. So kannte sie denn meine bescheidenen Verhältnisse ganz genau, meine Bilder, meine Wäsche, meine Kleider, und gutherzig erbarmte sie sich meiner Wirtschaft. Sie trug mir an, mein bißchen Wäsche zu waschen und jedes Stück zu flicken, das einen Schaden hatte. So tat sie denn auch, immer gleich lieb, freundlich, lachend, eine brave Frau! Ich hatte nichts mit ihr gehabt, mein Ehrenwort! Sie war viel älter als ich, nicht mein Typus! Zudem war ich anderweitig mehrfach vergeben. Sie wußte es und neckte mich oft damit. Wir lachten beide recht vergnügt, wenn sie mir solche Geschichten abfragte und sich aus ihren Beobachtungen zusammenreimte. Meinerseits kam also gar nichts in Betracht als eine angenehme, treue Nachbarschaft. Ich habe die Frau Megner auch nicht ausgenützt, nur ihre gern angebotene Gefälligkeit habe ich dankbar angenommen und ihr dafür einmal ein Blumenstück gemalt und dazu selbst den Rahmen geschnitzt. Ob sie für Malerei irgendeinen Sinn besaß und sich aus dem Bild etwas machte, weiß ich nicht. Aber sie zeigte sich jedenfalls erfreut und dankbar. Sie hat sich bei allem kaum anderes gewünscht oder im Stillen eingebildet, jedenfalls weiß ich nichts davon. In solchen Dingen ist oft schon ein Wort zu viel. Und hier wäre es schade gewesen, denn das bißchen Freundschaft von einer Tür zur anderen hinüber, von einem »guten Morgen« zum anderen war in dieser Unausgesprochenheit das allerhübscheste. So sollte man es hüten und ungestört lassen wie einen dünnen silbernen Spinnenfaden, über den die Morgensonne läuft. Aber Adam Kolodrubski saß wie eine Spinne in seinem Winkel und benützte gerade diesen Faden; er wollte darüber kriechen, als hätte er ihn gesponnen. Alles auf der Welt war ja für ihn da, nachdem er auf der Welt war. Er lauerte auf Frau Megner, er liebte sie. Kein Zweifel! Er schmachtete nach ihr, er beobachtete sie, er witterte sie. Betrat sie von draußen her die Schwelle der Baracke, so erschien er im selben Augenblick unfehlbar drinnen auf dem Gang und gab, wie gesagt, gleich sein Hinken, Kopfeinziehen und Augenzwinkern auf, auch wenn wir anderen Zeugen seiner Krankheit dies plötzliche Gesundwerden grinsend mit ansahen und ihm darüber derbe Bemerkungen zuriefen. Er warf sich in die Brust, er richtete sich auf, er verbeugte sich vor ihr, er lächelte sie an, er winkte ihr mit Arm und Hand einen besonderen Gruß zu, einen ritterlich-ukrainisch-volkskommissarisch-kommunistisch-persönlichen Gruß, nicht weit von einer Kußhand, er spitzte die Lippen lächelnd, als schlürfe er einen Blütenhonigatem: ihre Gegenwart. Er blieb vor ihr stehen, so daß sie seiner Anrede nicht einmal ausweichen konnte, und begann ein Gespräch über das Wetter, über den Himmel, über ihre Schönheit und Morgenfrische, über ihren Fleiß. Nur der Umstand, daß wir andern das auch hörten, gleich aus unseren Türen hervorbrachen, um die Komödie nicht zu versäumen, und ringsum kicherten und lachten und ihm ironische Aufmunterungen zuriefen, befreite die Arme von diesem unwillkommenen Aufenthalt. Sie lachte uns etwas zu und nickte ihm freundlich. Sie schenkte auch ihm von ihrem Herzensüberfluß einen Blick, ein Lächeln, das die beiden frischen weißen Zahnreihen sehen ließ, und gurrte so etwas wie: »Ja, ja, guten Morgen, ich muß zum Kochen schauen« oder »spät ist's schon, adieu« und verschwand hinter ihrer Tür. Dann sah er ihr nach wie im Traum, als sehe und höre er sie noch und belade sich mit einem Erinnerungsvorrat für die leere Zeit ohne sie, lächelte, zog dann, wenn er uns bemerkte, verdrießlich wieder die Schulter hinauf, den Kopf ein, den Fuß nach und hinkte in seine Untermieterzelle.

Zu mir aber hatte er das Vertrauen, er fühlte sich von mir vielleicht ernster genommen und verstanden als von den bösen übrigen Spießgesellen, die ihn nur reizten und verspotteten. So kam er zu mir und fing von dieser Frau und von seiner Leidenschaft für sie zu reden an. Dabei kämpften aber Zutrauen und Eifersucht in ihm. Man kann zu einem Nebenbuhler offenbar häufig Vertrauen, ja Sympathie für ihn hegen, oft mehr als einem gleichgültigen Fremden gegenüber. Man wird gerade zu diesem Nebenbuhler hingezogen und sucht gerade ihn auf, den man fürchtet. Man hat die Angebetete mit ihm gemeinsam. Er ist mitverantwortlich, mitbeteiligt. Er ist der einzige, mit welchem man über sie reden kann, und da er glücklicher scheint, erfährt man vielleicht von ihm auch etwas Neues über sie. Er hielt mich für seinen Rivalen. Der Philosoph hatte mit seiner beständigen Spionage herausgebracht, daß sich zwischen meiner und ihrer Tür ein regelmäßiger, freundlicher Verkehr entwickelt hatte, daß ich zu ihr hinüberging und das und jenes Paket brachte oder holte, ebenso, daß sie bei mir manchmal anklopfte und ein Weilchen blieb. Wir schwätzten dann ein bißchen. Sie lachte. Er aber stand gewiß draußen und lauschte am Schlüsselloch und wurde wie am Rost gebraten von Neid, Zweifel, Liebe, Gier und qualvollem Verdruß. Denn das konnte er sich nicht vorstellen, daß eine solche »Beziehung« so unschuldig gleich blieb, wie sie wirklich war. Ich war jung, ich gefiel ihr, ich war lustig, warum also nicht? Er aber fieberte nach ihr. Er war da, er war allein, seit Jahren immer allein, immer auf der Lauer nach dem bißchen, das er brauchte, er, von Gott so geschaffen, also notwendig und gerecht in seinem Anspruch. Ich kann mir auch denken, daß ihn in seiner Leidenschaft eine gewisse Berechnung bestärkte. War Frau Megner nicht wohlhabend, besaß sie nicht mit ihrer Maschine und an ihren Näharbeiten eine ergiebige Einnahmsquelle? War sie nicht also auch in dieser Beziehung für ihn begehrenswert, von ihrer hübschen Person ganz abgesehen? War sie nicht eigens für ihn gewachsen, eines »besseren« Menschen wert als dieses dummen Wachmanns? Er kannte ihren Gatten zwar nicht, aber er verachtete ihn. Dagegen kannte und fürchtete er mich. Er suchte mir die Frau auf jede Weise auszureden: was konnte ich mit ihr anfangen? Wir hielten uns höchstens beide zum besten: sie konnte doch keinen Maler brauchen und ich keine Näherin. Fragte ich ihn belustigt: warum? so zuckte er die Achseln: das müsse wohl jeder sehen. Ich hätte doch auch genug andere. So viel ich nur brauchte und wollte. Wäre es nicht schade um die arme Kleine? Er aber, er stand allein, er hatte niemand, er wollte keine andere, er war für sie geschaffen. Er wußte ihren Wert ganz zu schätzen. Ihn hatte der liebe Gott arm genug gemacht, um mit ihr so reich zu werden, wie es notwendig war. Ich lachte ihn aus, ich versicherte ihn, daß ich gar nichts mit der Frau Megner hätte, nichts als gute Freundschaft und ehrbare Sympathie. Aber er käme ohnehin zu spät, sie sei doch verheiratet. Darüber zuckte wieder er die Achseln und schnitt ein höhnisches Gesicht: mit einem Wachmann! War das überhaupt ein Mensch? Eine Uniform! Nun, gerade das gefalle den Frauen, der Megner imponiere ein solcher bewaffneter Gemahl gewiß. Vielleicht hatte sie ihn hauptsächlich wegen der Uniform genommen! Er wurde wütend. Er schwur, er werde sie schon von diesem Polizisten wegbringen, das sei seine Sache, nur mir wollte er sie in Güte abwendig machen. Wir als »Gebildete« sollten uns einigen. Ich sollte sie ihm in aller Form abtreten. Dieses Geschäft mit einer Frau, die davon gar nichts wußte, schien ihm ganz natürlich und schicklich, beinahe wie ein Spiel mit einem Einsatz, den keiner besaß. Ich mochte ihm hundertmal sagen, ich hätte nichts abzutreten, da mir nichts gehörte, er glaubte es nicht und bettelte und sah mich unterwürfig flehend an, Tränen in den Augen, als verfügte ich über sein Lebensglück. Um ihn loszuwerden, erklärte ich ihm, ich würde mich in seine Bewerbungen nicht einmengen, er solle nur versuchen, was er könne und wolle. Ich möchte bloß aus dem Spiele bleiben. Die Unterredung wiederholte sich jeden Tag nach seinen Unternehmungen, die natürlich zu nichts führten. Er folgte der Frau Megner, wenn sie ausging. Sie duldete nicht, daß er neben ihr blieb. Er mußte ihr in fünf Schritt Entfernung folgen wie ein Hund, und wenn sie ihr Paket abgeliefert hatte, konnte er ihr nicht einmal mehr nachschleichen, denn sie verabschiedete ihn, indem sie in eine Tramway einstieg. Sie nickte ihm lachend zu. Aus war's! Er hatte ja kein Fahrgeld. Er strich dann bekümmert zum Lager zurück und schlich rundherum, bis er ihrer, oft nach vielen Stunden erst, ansichtig wurde. Dann versteckte er sich irgendwie, um plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, unmittelbar vor sie hinzutreten, mit seinem Gruß, seiner Bitte, seinen Erklärungen. Er erschreckte sie jedesmal so, daß sie zornig wurde und ihn aufstampfend, mit der Rechten fortzeigend, verjagte. Auch das gab eine Komödie, die wir alle verfolgten. Er konnte also nur sehr wenig von seiner Bewerbung und Begründung vorbringen, und der Eindruck, den er machte, war der schlechteste. Wie konnte er dieser sauberen, elegant gekleideten, frischen, gesunden Person gefallen mit seinen mühselig zusammengehaltenen, verflickten Kleidern, seiner alten Sportmütze, seinen ausgefransten Hosen, seiner bleichen Gesichtsfarbe! Seine brennenden Augen waren auch nur dazu da, Angst zu machen. Seine Züge konnten mich schon reizen als Maler: scharf, wild, grau und gelb, in ihrer bittenden, verzweifelten, demütigen Freundlichkeit sogar rührend. Aber nur für mich, für diese Frau gewiß nicht. Wo käme sie denn hin, wenn sie sich von jedem Verzweifelten rühren ließe. Man kann sich nicht bettelarm betteln lassen. Was sollte die Frau Megner mit ihm anfangen? Nur so weit freilich wirkte seine unablässige Bewerbung, diese hündische Anhänglichkeit, daß sie ihn eben immer wieder duldete und doch ein und das andere Mal mit ihm ein paar Worte sprach, aber jedesmal unfehlbar wieder durch irgendeine Bemerkung gereizt und erzürnt wurde, so daß sie ihn verwies und fortscheuchte oder rasch in ihr Zimmer flüchtete und die Tür vor seiner Nase zuschlug, wenn er sie draußen auf dem Gang getroffen und belästigt hatte. Namentlich in der letzten Woche vor dem schmählichen plötzlichen Verschwinden Kolodrubskis waren ihr seine Bewerbungen vollends unerträglich geworden. Er hatte nämlich herausgebracht, daß ihr Mann weg war. Der Polizist hatte auswärts zu tun, entweder auf Urlaub oder dienstlich, kurz Frau Megner schlief allein. Da konnte sich der Philosoph nicht mehr halten und beruhigen. Er strich den ganzen Tag auf dem Gange herum. Den ganzen Tag, wenn er sie zu Hause wußte, und jede Nacht hörte man ihn in seinen groben Schuhen auf- und ab- und auf- und abgehen, wie ein wildes Tier. Er belagerte die Frau Megner. Sie wagte es gar nicht mehr, zu öffnen und ihr Zimmer zu verlassen aus Angst, er möchte eindringen. Nur zu mir herüber kam sie in ihrer Furcht und bat mich, sie zu schützen und ein wenig aufzupassen. Wir verabredeten sogar gewisse Notsignale. An diesem Besuche bei mir wagte er nicht sie zu hindern, er blieb nur zwischen beiden Türen, in der Mitte des Ganges stehen und lauerte. Als sie zaghaft lächelnd herauskam, schaute er sie flehend, mich forschend, unerbittlich an. Er machte ihr eine große Verbeugung, mir nickte er zu. Das sah wie eine schlecht verhehlte Drohung aus. Sie schwebte möglichst rasch und zierlich hinüber, ihr kurzer Rock flitzte nur so, und schon war sie hinter ihrer schützenden Tür verschwunden. Sie drehte den Schlüssel um. Sie gedachte bis zum nächsten Morgen nicht mehr herauszukommen. Er setzte die Belagerung fort. Nichts brachte ihn davon ab, nicht der Hunger, nicht die verlockenden Kochgeräusche des Abends. Er vergaß das Essen. Er schien auch das Spiel der »Klampfen« gar nicht zu hören, das in einem der Zimmer begann und den Gesang rauschend begleitete. Wir wollten auch einmal wieder ein Spielchen machen, sagten wir ihm im Vorübergehen. Er tat nur eine verächtliche Handbewegung. Es rührte ihn nicht. Soviel wir uns auch an ihn heranmachten und ihn abzulenken suchten, er blieb auf seiner Wache und schnitt eine überlegene Miene. Endlich zogen wir uns alle zurück. Ich wachte in meinem Zimmer, um der Frau Megner im Notfall beistehen zu können. Er ging in seinen schweren Schuhen auf und ab und auf und ab wie ein Wachposten. Nur zuweilen machte er vor ihrer Tür halt. Das hörte man. Er lauschte. Wartete er auf ein Zeichen? Er seufzte wohl auch hörbar. Er räusperte sich. Da sich drinnen aber kein Gegenlaut rührte, nahm er nach einer Weile wieder seine Schritte auf über den ganzen langen stockfinstern Gang. Wenn einer spät nachts heimkam und die Haupttüre aufschloß, mußten ihn Adams Augen anglühen wie die eines Wolfes, der da lauerte und herumstrich. Er störte dabei auch den Schlaf der anderen. Etlichemal kamen Leute vor ihre Türen und riefen ihm Drohungen zu, um ihn abzubringen und wegzuscheuchen. Aber wie feig er sonst auch war, wie unterwürfig und geduldig er auch jedem unangenehmen Wortwechsel auswich, hier hielt er stand. Er antwortete nichts oder brummte nur, der Gang sei jedem frei. Es machten sonst andere Lärm genug. Er meinte die Betrunkenen, die oft da draußen randalierten. Kurz er blieb und ging und ging die ganze Nacht wie ein unheimliches Uhrwerk. Erst am Morgen, als alles aufzustehen begann, als man Wasser holte, manche sogar schon auf ihren Berufswegen die Baracke verließen, zog er sich zurück.

Endlich kam der Wachmann zurück und nun hätte man glauben sollen, wäre endlich wieder Ruhe gewesen. Im Gegenteil! Jetzt empörte ihn die Anwesenheit des Gatten der kleinen Frau erst recht. Die eigene fühlbare Überflüssigkeit stachelte seine Leidenschaft aufs äußerste an. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. Er folgte der Frau Megner, die wieder ihren Geschäften nachging. Er trat an sie heran, er schwätzte ihr mit flüsternder Stimme zu, er bettelte sie an, er drohte ihr, er machte ihr den Gatten zuwider, er schilderte ihr ihn, wie er sich einen Wachmann nur vorstellen konnte, als rohen Kerl, als Sklavenhalter, der die Armen belauerte und bedrohte, wo sie sich nur rührten, als Schinder, dem es auf einen Faustschlag oder Fußtritt oder Revolverschuß nicht weiter ankam. Schlug er sie nicht vielleicht auch, wenn er schlechter Laune war? »He?« »Nein,« sagte Frau Megner, »er ist ein guter Kerl.« Dann verstellte er sich nur so, dieser Wachmann! und einmal, sie werde noch an Adam Kolodrubski denken, werde er schon anfangen mit dem Prügeln. Die Männer sind schon solche Tiere. Ein Wachmann! Vielleicht sei er selbst so, vielleicht seien die Leute in der Ukraine so, aber hier nicht, gab sie zurück. Sie wehrte sich ganz scharf. Sie ließ nichts auf ihren Mann kommen. Er solle ihren Mann nur aus dem Spiele lassen. Nein, das werde er nicht. Was wollte eine so schöne, eine so großartige Frau mit einem Wachmann! Sei sie dazu von Gott geschaffen? So schön und einzig! Er machte ihr ganz schamlose Beschreibungen ihrer Person, dieser verfluchte Adam, dann winselte er, er bettle um sie, er brauche sie, sie sei für ihn da. Endlich wurde es der Frau zuviel, sie wandte sich ihm zornig zu und verjagte ihn, er solle sie in Ruhe lassen, nichts mehr wolle sie von ihm hören, er solle machen, daß er fortkomme. Sie kehrte ihm den Rücken und lief ihres Weges dahin. Da schlich er denn fünf Schritte hinter ihr drein, gebückt, demütig, erbärmlich anzuschauen, und wenn sie im Gedränge der Leute zurückblieb, so daß er wieder an ihre Seite kam, versuchte er sie versöhnlich zu stimmen, bettelte um Verzeihung, dann ließ sie ihn neben sich gehen, aber da er gleich wieder unverbesserlich von seinen unanständigen Wünschen zu reden und den Gatten zu beschimpfen anfing, vertrieb sie ihn wieder, sogar mit aufgehobener Hand und mit der Drohung, einen beliebigen Schutzmann an der nächsten Straßenkreuzung anzurufen, damit er sie von dem lästigen Verfolger befreie.

In dieser Nacht kam der Gatte der Frau Megner zeitig heim. Sie aßen zu Hause, die Frau kochte, dann schloß sie die Wohnung ab, und die beiden gingen schlafen. Adam aber nahm wieder seinen Wachegang auf, mit regelmäßigen schweren Schritten. Der Ehegatte, der offenbar nichts von der Bewerbung des Ukrainers um seine Frau wußte, sie hatte ihm die unangenehme Geschichte wohl verschwiegen, um ihn nicht zu reizen, hörte natürlich den Rummel draußen. Aber irgendeinen Lärm gab es ja meist auf dem Gang. Er fragte die Frau vielleicht, wer denn da draußen patrouilliere. Sie wird ihm gesagt haben: der ukrainische Narr. Damit wird er sich zufrieden gegeben haben. Jedenfalls zeigte sich der Wachmann nicht vor der Tür. Er wollte sich mit den Ureinwohnern der Baracke in gar nichts einlassen als Fremder, als Nichthierhergehöriger, gar als Sicherheitswachmann. Er war auf Zurückhaltung eingeschult.

Um so nachhaltiger verfolgte Adam seine Nachtwache auf und ab und auf und ab. Gegen Mitternacht hörten die schweren Schritte plötzlich auf. Da ich wach geblieben war, öffnete ich ganz leise meine Tür, um zu sehen, wo er denn blieb, was er tat. Er stand gebückt in einer Ecke und zog seine schweren Schuhe aus. Dann schlich er auf den Socken vor die Megnersche Tür, legte sein Aug' ans Schlüsselloch, als wollte er so die Eheleute beobachten. Er blieb eine gute Weile in dieser Haltung. Er konnte natürlich nichts sehen, glaub' ich. In seinem Eifer merkte er gar nicht, daß ich ihn beobachtete. Plötzlich kehrte er um, holte wieder seine Schuhe von der Ecke, schlich bis zur Haupttür, schloß sie auf und schoß wie eine Katze ins Dunkel hinaus. Was zum Teufel machte er auf den Socken draußen? Ich öffnete ebenfalls die Haupttür und sah ihn längs der Baracke ans Fenster der Megnerschen Wohnung schleichen. Auch dort hielt er sich auf, als wollte er hineinschauen. Der Vorhang ließ ihn wohl nichts sehen. Mit einem Sprung erreichte er einen Baum, der nahe dem Fenster der Megners stand und – wirklich und wahrhaftig – er kletterte mit seinen Socken, das Paar Schuhe ließ er unten stehen, wie ein Kater auf den Baum. Für sein Alter und seine sonstigen Eigenschaften kletterte er ganz unheimlich schnell und geschickt, wie ein Schuljunge oder eben wie ein Kater. In der ersten Gabelung der Äste setzte er sich zurecht und oben blieb er in der Winterkälte – es war Februar – hocken und spähte nach dem Fenster herunter. Ich weiß nicht, ob die Megners damals noch Licht brannten. Vielleicht konnte er ihre Schatten am Vorhang beobachten. Er ließ sich weder durch die Winterkälte, noch durch seine recht unzulängliche Kleidung stören, er hockte oben, so wie sich ein Kater vor einem Hund auf den nächsten Baum flüchtet und wartet, bis der Feind die Geduld verliert und sich davonmacht.

Ich wollte ihn nicht weiter belauern, den spaßigen Teufel, ich zog mich in mein Zimmer zurück. Er muß bis zum Morgen draußen geblieben sein, denn man hörte keinen Schritt mehr auf dem Gange.

Am nächsten Tag gegen elf Uhr, als sie vom Einkaufen nach Hause kam und zu kochen anfangen sollte, klopfte Frau Megner bei mir an mit ganz aufgeregtem Gesicht, sie war zornig, sie zitterte am Leibe, ihre Augen funkelten.

»Das geht so nicht weiter. Das kann man ja nicht aushalten. Das ist ein böser Narr, ein gefährlicher Teufel.«

»Aha, der Adam.«

»Ja, der Adam.«

»Er ist auf den Baum gekraxelt.«

»Das wissen Sie auch?«

»Ich hab' ihn beobachtet.«

»Ja, und wissen Sie, was er wollen hat?« Ich lächelte bloß.

»Heute hat er mir auf dem Markt aufgelauert und zu erzählen angefangen, was er alles gesehen hat. Dieser gemeine Mensch, dieser Lügner! Nichts hat er gesehen. Er kann nichts gesehen haben. Geht's ihn was an? Er macht mir Vorwürfe, wie ich mich mit meinem Mann benehme, hören Sie, er macht mir Schilderungen, was er alles gesehen hat, ich lache zuerst, dann werde ich wild: Sie Lügner, schreie ich, nichts haben Sie gesehen. Sie können ja nichts sehen! Das Rouleau, der Vorhang! Nichts können Sie sehen! Ich sehe aalles, sagt er mit seiner süßen Stimme, ich sehe durch die Waand, durch zehn Vorhänge und Rouleaus, und ich weiß, wie Sie sich mit einem Waachmann benehmen. So sind Sie. Mir kein Wort, mir niichts, niicht eine Ahnung, mir eine Lukretia, dem Waachmann aber – Pfui. Schämen Sie sich. Waas maachen Sie aus mir? Sehen Sie denn keinen Unterschied zwischen einem Waachmann und einem Philosoffen. Die größten Männer möchten sich eine Ehre daraus maachen, mit Adam Kolodrubski zu philosophieren, und ein kleines Weibchen, ein soo kleines, ein liebes Tierchen darf ihm den Buckel zukehren. Hat Ihnen Gott keinen Verstand gegeben, Frau, worauf schauen Sie? Auf die Uniform! Sind Sie eine Assentierungskommission, biitte, oder ein Wesen mit einem Cherzen?« In aller Aufregung hatte die Frau Megner doch Spaß daran, Kolodrubskis Art zu reden möglichst getreu nachzuahmen. Es war gar zu nett, wie sie dabei ihren Mund verzog und die Augen verkniff. Von seiner Huldigung und Verzweiflung schien sie freilich gar nicht gerührt. Er sagte ihr noch viel solche Dinge und mit den gröbsten Ausdrücken, die sie jetzt nicht mehr wiederholen wollte. Sie hatte ihn davongejagt, er war wiedergekommen und hatte von neuem angefangen mit seinen zornigen, verächtlichen, höhnischen Schilderungen ihres Verhaltens, das er eben nur durch verschlossene Türen und Vorhänge in seiner aufgeregten Einbildungskraft zu sehen geglaubt haben konnte. Nicht Tatsachen, deren sie sich etwa zu schämen gehabt hätte, waren es also, vor denen Frau Megner sich so entsetzte, sondern daß sie in der Phantasie Adams so dastand, so wehrlos, so preisgegeben. Er konnte von ihr erdichten und erzählen, was er wollte. Dieser schamlose, elende, zudringliche, niederträchtige Mensch, dieser Lügner, dieser ganz Verdorbene, dieser ekelhafte Kater.

»Jetzt ist es aber genug!« sagte sie mit plötzlichem Entschluß, richtete sich auf, streckte ihre niedliche kleine Figur aus, die Hände an die Hüften, und blitzte mich mit ihren Augen an. Die schwarzen Bubenhaare wehten um sie, ihre Zähne blitzten. Sie war sehr hübsch in diesem Zorn, und wenn man von Adams verrückten Ahnungen aufgehetzt war, konnte man sich schon vorstellen, wie sie aussah und sich benehmen mochte, wenn sie mit einem Mann zärtlich war. Der arme Teufel hatte in seiner Entsagungsphantasie mehr Wahrheit und beschwor mehr davon herauf, als sonst je herausgekommen wäre ohne sein unglückseliges Zutun. Unwillkürlich streichelte ich ihre Wangen, um sie zu beruhigen, und sagte behutsam: »aber, aber!« Sie lächelte noch im vollen Zorn, sie schüttelte das Haar, sie schüttelte den ganzen Körper wie in einem Sturm von Empörung. Ich ergriff ihre beiden Arme, um sie zu beruhigen. Sie schwieg und schüttelte weiter den Kopf, daß die schwarzen Locken flogen, und zeigte ihre Zähne. »Lassen Sie doch den armen Teufel,« sagte ich. »Er soll mich lassen,« zürnte sie, zuckte in meinen Händen, als wollte sie entschlüpfen und gleich gegen ihn losgehen. Ich weiß gar nicht, wie es so geschwind gekommen ist, auf einmal hielt ich ihren Kopf und wir küßten uns. Genau so, wie es dieser Kolodrubski geschildert hatte: schon ihr Eifer machte sie ganz wild. Ich hatte beim wahrhaftigen Gott niemals, auch vor fünf Minuten nicht, solche Absichten gehabt, ich interessierte mich nicht anders für sie, als für eine brave Nachbarin. Und jetzt! Was so ein Narr anstellt! Eine brennende Einbildung legt Feuer im Gehirn der Nächsten. So ein Zunder sind unsere Nerven! Und auf seine Philosophenphantasie wollte sich dieser schmutzige Adam noch etwas einbilden und gar beanspruchen, daß man einen Mann wegen seines Gehirns lieben sollte! –

Am anderen Tage erschien Kolodrubski bei mir. Auch er äußerst aufgeregt und entrüstet. Eine schöne Geschichte hatte ihm dieses Vögelchen, diese Krähe, angerichtet. Ja, eine Krähe! Sie hackte gerade nach seinen Augen wie nach einem Aas. Ein unglückseliges Aas war er. Er zitterte und Tränen klangen in seiner Stimme. Also was war denn geschehen? Man hatte ihn zur Polizei vorgeladen, ihn, Adam, und ein Jurist hatte ihn verhört. Er sollte hier politische Umtriebe versuchen als ukrainischer Kommunist. »Iich?« habe er gefragt und sich voll Entrüstung gegen solchen Verdacht gewehrt. »Wie können Sie so etwas aannehmen, Cherr Doktor?« Der Polizeikommissär blieb sehr höflich, aber entschieden. Was er Adam an Verdachtsgründen vorgehalten oder abgefragt haben mochte, erzählte mir natürlich der Philosoph nicht, sondern wiederholte nur Unschuldsbeteuerungen und empörte Bemerkungen über das »elende Weib«. Sie hatte ihn verraten! Sicher! Sie hatte ihren »Wachmann« gegen ihn bewaffnet. Alle Listen und Tücken ihres Geschlechts hatte die Elende gegen ihn, gegen einen Wehrlosen, gegen einen Flüchtigen, Gehetzten, Armen, Verlassenen spielen lassen. Oh, darauf verstand sie sich, diese keusche Donna. Mit jedem konnte sie gehen, jeder konnte sie haben, wenn sie Lust auf ihn hatte, aber einen ehrlichen, einen guten Mann verriet sie und machte ihn zur Schande. Sie war eine Lockspeise. Ja, als Schlinge ließ sie sich gebrauchen, um ihn zu verderben. Das sah ihr schon ähnlich, dieser Hündin, ihre Schönheit und seine Liebe so auszunutzen. Er war zu gut für diese Welt. Nein, man müßte ein Wachmann sein, dann war man für diese Weiber geschaffen. Ein Hund für Hündinnen, kein Geist, ein bewaffneter Esel, kein wehrloser Herr!

So sah er die Sache an und ließ sich nichts ausreden. Ich mußte ja auch vorsichtig sein, um die arme bedrängte Frau in nichts zu verraten. Seine Eifersucht war in Haß umgeschlagen und Kolodrubskis Zorn konnte ihr noch gefährlicher werden, als seine Liebe. Daß er sie mit seinen Nachstellungen bedrängt und so vielleicht zum äußersten getrieben hatte – ich wußte ja gar nicht, ob sie ihm die Polizeigeschichte eingebrockt hatte –, ließ er gar nicht gelten, Liebe und Politik! Was ging sie seine Politik an. Was konnte so ein armer Hund wie er übrigens für Politik machen? Trug er vielleicht Bomben bei sich? Er schleuderte Liebeserklärungen. Waren es vielleicht hochpolitische Liebessachen mit dieser Frau Megner? Er lachte verächtlich. Ein Mann wird doch einer Frau noch von seinem Herzen reden können! Eine Frau wird doch so etwas noch ertragen und selbst ausmachen können. Aber Weiber sind eben unritterlich, Hündinnen, nicht Menschen, Tiere, nicht Seelen. Das hatte man von ihnen! Nichts weiter als Tücke und den Schnabel in die Augäpfel. Das Beste am Mann fressen die Krähen am liebsten.

Er ging zornig, kopfschüttelnd davon und wurde unsichtbar. An seiner Stelle erschien plötzlich ein fremder, junger Mann in der Baracke, er habe Herrn Kolodrubskis Wohnung gekauft, er wolle einziehen. Was? Adam, der Untermieter, hatte Michalskis Zimmer, eine Wohnung, die ihm gar nicht gehörte, verkauft? Unmöglich! Doch! Der Fremde nannte sogar eine ganz hübsche Summe, die Adam verlangt und erhalten haben sollte. Ein netter Rechtsfall! Sollte man einen hergelaufenen unbekannten Menschen in eine Wohnung hineinlassen, die einem gewissen Michalski rechtens zustand? Man ging übrigens in das sonst scheu gemiedene Zimmer des »Untermieters«, als könnte man dort vielleicht irgendeinen Anhaltspunkt zur Lösung der Schwierigkeiten dieses dunkeln Handels finden. Nichts fand man, als einen wüsten Haufen von Unrat, schmutzigem Papier, alten Fetzen. Das Bett samt Decken und Strohsack war auch weg. Er hatte sogar die Einrichtung, die fremde, die Sachdemobilisierungsmitgift, verkauft und sich mit dem Erlös aus diesen Geschäften davongemacht. Wer weiß, wo er jetzt philosophisch herumschleicht und das Leben unsicher macht? Wer weiß, ob er nicht eines Tages trotz allem wieder auftaucht. Ihm ist alles zuzutrauen. Ein Philosoph! Wer alles denken kann, tut vielleicht auch alles. Mich sollte es nicht wundern, wenn wir ihn in Baracke sechsundzwanzig wieder zu Gesicht bekämen, als sei nichts gewesen.

Ich bin nur neugierig, was ich mit dem Teil der Erbschaft anfangen werde, der mir nach ihm zugefallen ist, mit dem Einsatz dieses Spiels, den wir beide nicht hatten und den ich doch gewonnen habe, ohne es zu wollen. Wenn er es irgendwo in der weiten Welt erfährt oder errät, oder von irgendeinem Baum mit seiner Einbildungskraft durch alle Vorhänge des Lebens hindurch sieht, ist er imstande und kommt zurück, bloß damit wir keine Ruhe und er seine Rache, aber auch seine Qual hat nach der Gerechtigkeit Gottes, die alles so gemacht hat, weil er auf der Welt und weil die Welt für ihn da ist. Armer Adam!


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