Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Von Jerusalem nach Athen.

Jordanwasser und Kindtaufen. – Unser Leutnant als unser Neffe. – Ein Geburtstag auf dem Mittelmeer. – Wilhelmine als Hadschi. – Berut und der Libanon. – Seipres. – Von der Venus. – Madame Huck in Smyrna. – Warum Frau Buchholz sich vor Athen fürchtet. – Die Akropolis. – Dionys. – Im Garten des Sokrates.

In stillem Frieden verlief der folgende Tag. Es war Charfreitag.

Der Morgengottesdienst in der schmucklosen Kapelle der Johanniter-Ruinen war wie ein Stück Heimath, und am Spätnachmittage der Besuch Gethsemanes, der feierliche Abschied von Jerusalems Umgebung. Wir wußten, daß wir sie nie wiedersehen würden, diese Berge ohne Schatten, diese zerklüfteten Thäler ohne Wasser, die vernachlässigte Stadt, welche in der Nähe Nichts von dem Liebreiz besaß, womit das Gemüth sie von frühester Jugend so reich bedachte, und deren Anblick sich dennoch tief in das Herz gräbt.

Am Abend kehrten unsere Auszügler bestaubt und wesentlich gliedermüde vom todten Meer zurück. Wir waren deß froh, denn Herr Feil hatte uns erzählt, daß die Reisenden oft in dem Jordan baden und nach den erhitzenden Anstrengungen in dem eisigkalten Frühjahrswasser vom Schlage getroffen werden. Früher nahm ein Bruder des nahegelegenen Franziskanerklosters immer eine Schaufel mit, um seines Amtes als Todtengräber zu walten. Ich stand Angst genug um unsern Leutnant aus, der vom Wiener Doktor nie Rath annahm und dem zum Tort natürlich sich das Schlimmste holen würde. Drin gewesen war er auch, aber im todten Meere, mit nachherigen Uebergießungen, die Sodom- und Gomorrha-Lake abzuspülen.

Salzstücke hatte er nicht aufgetrieben, statt dessen brachte er einen Strauß Blumen vom Jordanufer mit, etliche Knollen schwarzen Asphaltgesteins, eine Flasche Wasser aus dem todten Meer und zwei Flaschen Jordanwasser. Wir kosteten das erstere; es schmeckte grauenhaft, scharf und salzig. Das Jordanwasser ließ Herr Feil abkochen, damit es unterwegs nicht verdürbe, denn der Leutnant wollte es aufheben für die Taufe seiner zukünftigen Kinder. Ich konnte diesen häuslichen Sinn nur loben, rieth ihm aber, von den Flaschen, worin er es hatte, die Spatenbräu-Schilder zu entfernen, um späteren Verwechslungen vorzubeugen.

Herr Feil erzählte uns, daß sich eine Aktiengesellschaft zusammengethan hätte, beglaubigtes Jordanwasser nach Europa zu versenden, wofür namentlich in England Absatz wäre. Mr. Pott meinte, es würde nicht lange dauern, dann werde es in Amerika mit einigen patentirten Verbesserungen nachgemacht; so lange wolle er mit dem Bezug warten. Ich sagte: »Herr Leutnant, behalten Sie, was Sie haben, möglicherweise gebrauchen Sie es bald und brummen, wenn es nicht bei der Hand ist. Bei Kindtaufen ist jedoch der heitere Vater der Schwerpunkt.«

In der Frühe des nächsten Morgens hielt der Landauer aus Jaffa vor dem Hotel. Der Wiener Doktor und der Leutnant wollten den Sonnabend noch in Jerusalem bleiben, Bethlehem und das Grab Rahels besuchen und die Nacht durch reiten. Mr. Pott zog die Wagenkissen vor. Der Chamis meinte, als wir ohne ihn abreisten, er wäre so gerne mitgenommen geworden.

Die Rückfahrt bergab in die Ebene bedarf nicht so langer Zeit wie die Herfahrt bergauf. Die Luft ging frisch, die Hitze ward erst um die Mittagsstunde belästigend. Die belebte Straße, das blühende Gebirge Juda erfreuten das Auge in derselben Weise wie vor acht Tagen.

Phantastisch gekleidete Reiter begegneten uns auf schönen, seidenhaarigen Pferden, Maulthiere und Kameele mit Waarenballen beladen, Wagen mit Fremden und Pilgernde zu Fuß. Die verschleierten syrischen Frauen in ihrem blauen Hemde zeichnete sich durch merkwürdig schlanken Wuchs aus; da sie von Kindesbeinen an die Wasserkrüge auf dem Kopfe balanziren, erwerben sie sich einen stolzen, aufrechten, und dabei doch gefälligen Gang. Sie schöpften, wie Hassein sagte, aus dem Jakobs-Brunnen; ihre Sprößlinge umsprangen unseren Wagen und boten kleine Krüge mit kühlem Trunke an. Wir tranken labendes Wasser aus dem Brunnen des Erzvaters und gedachten seiner dankbar.

Nicht weit vor Ramleh lag ein todtes Kameel am Wege. Die Haut hatte der Eigenthümer ihm abgezogen, der blutige Kadaver war den Raubvögeln leckere Nahrung, die kreischend bei unserer Annäherung davonflogen. – »In der Nacht kommen Schakale und Hyänen,« sagte Mr. Pott. – »Das wäre ein Schießplatz für unseren Leutnant,« entgegnete ich. »Namentlich den Hyänen gönne ich den Pelz angesengt, die entblöden sich ja nicht, Särge auszugraben und öffnen sie.« – »Ordentlich mit dem Schraubenschlüssel,« setzte mein Karl hinzu. – Früher wäre Mr. Pott bei dieser Bemerkung Zeuge eines Familienzerwürfnisses geworden, hier aber, wenige Meilen von Jerusalem, wurde es mir leicht, dem aufwallenden Aerger einen Dämpfer aufzusetzen. Wenn man Bewegungen des Gemüthes gehabt hat, gelingt es eine ganze Weile, liebevoll und gut zu sein, wie z. B. nach Weihnachten, nach Konfirmation, an Geburtstagen. Wenn das Glück überraschend kam oder das Leid Einen dazwischen nahm, dann gelobt man, von nun an dem Lebenswandel eine wohlgefällige Richtung zu geben, Alles zu meiden, was offenherzige Prüfung nicht entschuldigen kann, und hat auch die redlichste Absicht, es zu halten. Menschliche Vorsätze sind ja mehrstens vortrefflich, blos ihnen fehlt das Andauernde.

In Ramleh hielten wir einen kleinen Keef. Als wir fragten, wann wohl die neue Chaussee nach Jerusalem fertig sein würde, erfuhren wir, das hätte gute Weile. Wenn ein europäischer Fürst oder Prinz käme, wäre sie in wenigen Wochen hergestellt, die Bevölkerung müsse alsdann Frohndienste leisten, wer sich weigere, werde eingesperrt. Für gewöhnlich zahle jeder Wagen von Jaffa nach Jerusalem sechs Franken Wegegeld. Wo aber die Einnahme bliebe, das erführe Niemand. – »Welch ein Gebiet für den Fortschritt wäre hier,« rief ich aus. »Die offenen Schäden liegen ja nur so herum!«

Man hat auch von einer Eisenbahn nach Jerusalem geredet. Diese würde jedoch nur während der Reise- und Pilgerzeit in den Osterwochen auf Verkehr rechnen können, und weiter keinen Zweck haben, denn während des übrigen Jahres geht es sehr stille zu. Jetzt war der Fremdenzuzug ein starker. Im Hotel Jerusalem bei Hardegg war für Unangemeldete jeder Raum besetzt und auf der Agentur des Triester Lloyd in Jaffa erhielten wir den Bescheid, daß auf der »Vesta« bis Berut wohl Plätze mit Betten für uns wären, von Berut bis Smyrna jedoch wegen fünfundvierzig vorher angemeldeter Cook-Reisender uns keine Schlafstellen in den Kabinen zugesagt werden könnten. Wollten wir im Salon auf den Sophas übernachten, würden die Billets ausgefolgt. Diese Schwierigkeiten mußten in italienischer Sprache geglättet werden, denn die Verkehrssprache des österreichischen Lloyd ist die in Triest gebräuchliche. Zum Glück konnte der Wiener Doktor fein italienisch, und da sich ferner herausstellte, daß Familienbillete zehn Prozent Ermäßigung genießen, wurden er und Mr. Pott rasch zu Schwiegersöhnen befördert, während der Leutnant zum Neffen vorrückte. Dies gab in der Folge zu vielem Scherz Anlaß, wenn auch der Leutnant weniger leicht zu bändigen war, nach dem Naturgesetze, daß Tanten immer drunter durch sind. Wenn ich ihn ermahnte und er sagte: »Och, Tante, man nicht,« hatte ich mir den Mund jedesmal umsonst fusselig geredet.

Herr Hardegg schenkte uns zum Andenken ein selbstverfaßtes Büchlein, »Bibelgerbstoff in Pillen« betitelt, aus dem man täglich einen Absatz als geistige Pille zu sich nehmen soll, bis der innere und äußere Mensch umgegerbt ist. »Diese Schrift scheint sehr nützlich,« sagte ich, nachdem der Verfasser mir einige Hauptstellen daraus angegeben hatte, »schade, daß ich das Wichtigste nicht mehr genügend beherzigen kann, denn die silberne Hochzeit liegt bereits hinter mir.« – »Niemand ist zu alt, sich zu zügeln; auch in Kreisen der Verwandtschaft kann man wirken.« – »Da kommen Sie blos Onkel Fritz mit. Der thut doch was er will.« – »Und verfällt der Verteuflung.« – »O nein, dem steht ein Engel zur Seite und der heißt Erika.«

So unangenehm der Bettenmangel der »Vesta« erschien, viel fataler war die Anwartschaft, entweder noch vierzehn Tage in Palästina sitzen zu bleiben oder auf einem Dampfer anderer Linie zwei Wochen Küstenbummelei von Jaffa nach Smyrna zu betreiben. Freilich waren die bei Jaffa aufgeschlagenen Zelte der Stangenschen Reisegesellschaft einladend genug, um zu einer Tour durch das heilige Land anzuregen, aber auch der Leutnant meinte: »Was wollen Sie auf dem Libanon, Tante, der ist für Sie eine viel zu anstrengende Klettersache!« – Und wegen der Küstenfahrt bemerkte Mr. Pott: »Wir werden liegen einen Tag vor Seipres und einen halben vor Rhodos, das ist genug Langsamkeit für uns Alle.«

»Kinder,« stimmte ich bei, »die Gegenden hier kennen wir, es warten neue auf uns. Also vorwärts.« – Das Meer war spiegelglatt, die Einschiffung ging ohne Moleschen von statten, die untergehende Sonne beleuchtete Jaffa und die Küste von Palästina goldig, als die »Vesta« sich in Bewegung setzte. Ein hübscher, geräumiger Dampfer, aber schon jetzt voll Menschen; wie sollte das in Berut werden?

Vorläufig hatten wir Besseres zu thun, als an die kommenden Unbequemlichkeiten zu denken, denn wir saßen bei Tisch und waren an unserer Ecke lauter Deutsche. Und ein besonderer Tag war es, ein erste Osterfeiertag nämlich und erster April zugleich. Da schweiften unsere Gedanken über das Meer nach Deutschland hinüber, die gefüllten Gläser klangen an einander und »Hoch Bismarck!« »Bismarck hoch!« rief mein Karl. So war es. Erster April ist Bismarcks Geburtstag.

Und alle die anderen Passagiere erhoben sich und stimmten mit ein. »Hoch Bismarck!« »Bismarck hoch!« Keiner schloß sich aus. Amerikaner, Engländer, Italiener und wes Landes sie sein mochten, sie alle stießen an und tranken unseres Bismarcks Gesundheit. Da schwoll mir das Herz vor Glückseligkeit. Vaterlands Ehre – unser Aller Ehre.!

Wie begeistert sich die Reisenden an dem Lebehoch betheiligten, das war so wunderbar. Und doch ist es erklärlich. Die den Orient gesehen und erlebt haben, den Zerfall, den Rückschritt, die Mißwirthschaft, die Unselbständigkeit und Ohnmacht, die merkenden Unterschied zwischen Morgenland und Abendland gar gewaltig, wenn etwas sie plötzlich daran erinnert. Da braucht nur Bismarck genannt zu werden und Deutschland steht vor ihren Augen in seiner Kraft und Ruhe, in seiner gebietenden Macht und Liebe zum Frieden. Und das achten sie und das lassen sie hochleben.

Eine herrliche Geburtstagsfeier. »Tante, wollen wir noch ein Pülleken kalt stellen lassen?« fragte der Leutnant. »Warum nicht? Das Mittelmeer ist ja ruhig und wozu ist die Familienpreisermäßigung für die Fahrt sonst da?« – »Tante, Sie haben manchmal glorreiche Einfälle,« rief der Leutnant, »das Geld wird ver–« – »Wird nicht vergeudet,« fiel ich ihm mit Würde in den unstatthaften Ausdruck. »Heute bewillige ich eine Ausnahme, denn, liebe Kinder, Freude macht Durst; morgen fangen wir an zu sparen.« – »Och nee, Tante, man nicht.« –

Nun sahen wir die Küste des Landes nicht mehr, und auch Jaffa war verschwunden. Zuletzt glich die Stadt mit ihren erleuchteten Fenstern aus der Ferne einem Sternenhaufen, der auf die Erde gefallen war.

Dort drüben in der Dunkelheit lag das gelobte Land. Wir aber waren Hadschis, rückkehrende Pilger, und nahmen die Erinnerung an unvergeßliche Stunden mit.

Am nächsten Morgen ankerten wir vor Berut. Hübsche Stadt von außen. Felsen springen in die Fluthen vor und tragen graue Festungswerke, während die Gebäude sich stufenweise erheben, oft farbig angestrichen u von grünen Bäumen umgeben. Den Hintergrund der sanft ansteigenden frischen Landschaft bildet ein hohes Gebirge, dessen schneebedeckter Gipfel die Sonne mit goldenen Kanten umsäumte. Weithin zieht es sich – es ist der Libanon.

Wir fuhren mit einem Boot hinüber, besahen die regen Straßen, gingen in den Bazar, tranken vorzügliches Münchener Löwenbräu im »Deutschen Verein«, nahmen einen Wagen und kutschirten durch die reizende Umgebung der Stadt, die als Hafen von Damaskus betrachtet werden muß und ein wichtiger Platz für den Handel ist. Den Touristen bietet Berut nicht mehr als andere orientalische Provinzstädte, weshalb wir rechtzeitig wieder an Bord gingen. Unser Leutnant kaufte einem Jungen einen Käfig mit Vögeln ab, Meisen, Stieglitze und Hänflinge, und gab den armen kleinen Geschöpfen die Freiheit. Ich athmete ordentlich auf, denn die gefangenen Thiere hatten mich ganz melancholisch gestimmt; der Junge sah so thierquälerisch aus.

Am Hafen fand große Parade statt. Das Militär in seiner besten Garnitur machte einen manierlichen Eindruck im Gegensatz zu seinen Jerusalemer Kameraden und war behende in den Bewegungen. Bei unserer Abfahrt wurden Raketen losgelassen und bunte Leuchtkugeln flogen in der Luft wie bei einem Freudenfeste. Dies geschah Riza Pascha zu Ehren, der einen kleinen Aufstand in Berut gedämpft hatte und nun mit der »Vesta« zurückfuhr.

Mit unserer Fröhlichkeit dagegen sah es nicht besonders aus. Die Kabinen hatten wir den Cookern räumen müssen, die in Berut an Bord kamen. Das Schiff war so besetzt, daß kaum genug Stühle aufzutreiben waren und die Ordnung bedenklich ins Schwanken gerieth. Ein überfülltes Schiff ist ein Schrecken, zumal mit der Aussicht, vier Nächte auf den Sophas im Speisesalon schlafen zu müssen. Unser Leutnant haderte, ich weiß nicht mehr, ob mit der himmlischen Gerechtigkeit oder mit der irdischen, aber mit einer von beiden hatte er angebunden und warf den Cookern Basiliskenblicke zu. Einen amerikanischen Zeitungsbesitzer, der sich auf den Timsach gestellt hatte, um bessere Aussicht zu haben, schnauzte er von dem Koffer herunter, daß ich schon Streit mit bluttriefendem Ende befürchtete. Wie unverantwortlich, wenn er diesen Mann umgebracht hätte, der möglicherweise – wer kann's wissen – einer der rechtlich gesonnenen Amerikaner war, die das Bücherstehlen in dem Lande der westlichen Kultur nicht mehr dulden wollen und den immer noch erlaubten Nachdruck für einen unerlaubten Schandfleck des stolzen Volkes ansehen, das sich rühmt, die geringste geistige Thätigkeit jedes Erfinders durch Patente zu schützen. . . . Dichters und Schriftstellers Arbeit dagegen als herrenloses Gut betrachtet. – »Gemeinheit,« rief der Leutnant. – »Was?« – »Daß der mir meinen Timsach mit seinen Stiefeln zu schanden tritt.« – »Ich glaubte, sie dachten an den amerikanischen Nachdruck.« – »Das ist dieselbe Rücksichtslosigkeit.« – »Kind,« suchte ich ihn zu beruhigen, »es geht nun einmal nicht anders!« – »Gelten die Cooker mehr als wir? Wir sind doch schon in Jaffa eingestiegen.« – »Die haben sich vier Wochen vorher angemeldet.« – »Das dürfte nicht geduldet werden!« – »Wir hätten es ebenso machen müssen.« – »Wer ahnt solchen Zudrang? Was haben die Menschen hier überhaupt verloren?« – »Nanu?« – »Tante, wenn Sie die Partei dieser Flachköpfe nehmen, sage ich mich von Ihnen los!« – »Kind, Sie sollten zu Bett gehen!« – »Bett? Bett? Wo ist ein Bett? Die Cooker schnarchen in unseren Betten, und wir können uns hier nicht eher niederlegen, als bis einigermaßen Platz geworden. Cameriere, Grog!« – Der Cameriere kam. »Heißes aqua!« befahlt der Leutnant, »du sucre und molto-Rum!« – »Va bene!« antwortete der Aufwärter. – »Italienisch ist gar nicht so schwer,« sagte der Leutnant und war wieder vergnügt. – »Nee,« stimmte ich zu. »Ich kann von meiner italienischen Reise auch noch einen Mund voll.« – In diesem Moment trat der Ober-Cameriere an und erzählte einen langen Brast. Es war Italienisch, aber leider nicht von dem, welches der Leutnant und ich konnten, und auch viel zu rasch gesprochen. Der Wiener Doktor wurde von Deck geholt, und nun ergab sich, daß sowohl in der Damen- wie in der Herrenkajüte zweiter Klasse Betten frei seien. »Tante!« rief der Leutnant, »es giebt doch Gerechtigkeit. Nun trink ich noch einen Grog!« –

Die Uebersiedelung nach unseren Schlafangelegenheiten war ziemlich umständlich, denn wir mußten nach dem Vorderende des Schiffes wandern, und das Deck war mit Passagieren vollgelagert, als fände ein regelrechtes Biwacht statt. Wo nur Platz war, hatte irgend ein Wilder sich häuslich niedergelassen; so weit sein Teppich reichte, so weit ging sein Revier. In ihrem Teppich hatten sie Alles: Kopfkissen, Decke, Wasserkanne, einen Sack mit Lebensmitteln, Kaffeegeschirr und was sie sonst brauchen. Sie rollen ihn auf und die Deckwohnung ist fertig; am Ende der Reise wickeln sie ihre Siebensachen hinein und haben ihr Gepäck in Ordnung. So ist der Teppich ihnen zugleich Reisetasche und Bett, das sie auf den Rücken nehmen und mit sich tragen.

Eine bunte Volksmenge kampirte Tag und Nacht auf Deck: Araber, Syrier, Türken, Griechen in allen möglichen Trachten, für Maler sehr malerisch, für ängstliche Gemüther jedoch mehr abstoßend als anziehend. Man spürte unwillkürlich Verlangen nach Insektenpulver.

Die mitreisenden mohammedanischen Frauen waren nicht nur dicht verschleiert und eingewickelt, sondern auch noch hinter Leinwand-Scheidewänden abgesondert. Vornehmere hatten einen grimmen Haremswächter mit, der wie ein Kettenhund aufpaßte, daß Niemand seinen Schützlingen zu nahe käme. Ich lebte in stetem Beben, denn wie leicht konnte unser Leutnant Abends in der Finsterniß fehlwandeln und anstatt in den Eingang der zweiten Kajüte, in so einen Harems-Verschlag gerathen. Der Gnuff von Wächter dann natürlich seinen Krummen Säbel blank oder den Dolch und die Metzelei ist angerichtet. Wie oft zogen sich mir die Poren in kaltem Schauder zusammen, wenn ich auf einen schlummernden Wilden trat und der dann lebendig geworden. Die Betten waren ja gut, ebenso wie die in den Kabinen der ersten Klasse, nur das Dahingehen war herzklopfend, denn wer ahnt, wozu so'n grauslicher Wilder im Dunkeln fähig ist?

Am nächsten Morgen legten wir bei einer großen, schönen Insel an. – »Das ist Seipres,« sagte Mr. Pott. – Ich suchte Seipres im Reisehandbuche, konnte es aber nicht finden, bis der Wiener Doktor mir ein Licht anzündete, indem es die Insel Cypern war, die Mr. Pott blos englisch buchstabirte. – »Wie kann man Cypern Seipres nennen,« knurrte der Leutnant, »diese Insel mit ihren Blumengefilden und Myrthenhainen, das wonnige Kypros mit dem Tempel der paphischen Göttin –« »Was war das für eine?« unterbrach ich ihn. – »Die schaumgeborene Aphrodite, Venus, die holdselige – – –« »Halten Sie die Luft an. Nach dergleichen wird nicht hinübergefahren.« – »Tante, die Venus ist ja schon lange alle.« – »Wer weiß?« – »Die Blumengefilde müssen wir doch betreten, auf denen man die Feste feierte, die Feste der Anadyomene.« – »Wer ist nun das wieder?« – »Immer dieselbe, Tante.« – Meinen Karl und den Leutnant konnte ich nicht ohne Aufsicht nach dieser Insel lassen, denn die Ausgrabungen der Forscher beweisen, daß an dem Mythologischen doch etwas dran war, und wer kann wissen, ob es in diesen Gegenden schon gänzlich ausgerottet ist? Deshalb rief ich: »Blumengefilde sind mein Lieblings-Anblick, ich gehe mit.« Wir also ans Land gegondelt. Die Stadt Larnaka ist ein langer Hafenplatz mit englischem Militär und reinlich gehalten. Uns drängte sich ein nicht zu verscheuchender Junge auf, der einiges Führerbakschisch verdienen wollte. Wir folgten ihm durch den kleinen Bazar, besahen die griechische Kirche, freuten uns an den Landleuten in ihrer malerischen Tracht und wanderten durch ein Straßennetz, dessen Hütten, alle aus gelbem Lehm erbaut, den Eindruck machten, als würde dieser Stadttheil nur von Ziegen bewohnt. Die Engländer hatten den Gäßchen jedoch die pomphaftesten Namen gegeben; da war eine Londonstreet, eine Prince of Wales-Street, Lord Byron-Street und sogar eine Berlin-Street. Dieser Soldatenhumor war lustig. Da das Ställe-Viertel jedoch höchst einförmig war, verlangten wir nach den Blumengärten Cyperns. Der Junge führte uns zur Stadt hinaus und zeigte auf ein wenigstens eine halbe Stunde entlegenes Haus. »Was giebt es da zu sehen?« fragte der Wiener Doktor italienisch. – »Das ist das Haus, worin Salz gekocht wird,« war die Antwort. – Na, die Entrüstung unsererseits. »Wo sind denn die Gärten und die Weinberge?« – »Hinter dem Gebirge, auf der anderen Seite der Insel.« – Da hatten wir es wieder, wie so oft. Das Vielgepriesene und Berühmte liegt immer auf der anderen Seite. Cypern soll wunderschön gewesen sein, aber seitdem die Türken es in der Mache gehabt haben, ist die Landkultur unter der Steuer elend zu Grunde gegangen. Die saugen Alles aus.

Mr. Pott sagte, das Haus, worin Salz gekocht würde, stände da hinten ganz gut, wir wollten es ruhig stehen lassen. Da jedoch die Engländer das Regiment auf Seipres führten, vermuthete er, daß in der Stadt englisches Ale und Stiltonkäse zu haben seinen, denn überall, wo Engländer sich niederließen, sorgten sie für ihre gewohnten Bedürfnisse. Und so war es auch. In einer sauberen Schenke am Hafen gab es Ale vom Faß, köstliches Weißbrot, durchen englischen Käse und süßen Cyperwein. Am Ausbaldowern von Annehmlichkeiten war Mr. Pott einfach groß.

Wir gingen auf die Post, kauften Cyprische Briefmarken, schrieben Postkarten nach Hause und waren wohlgemuth wie auf einer Landparthie. Das Mythologische war ein Irrthum aus des Leutnants Schulzeiten, weil sein Gymnasialdirektor Seipres, ebenso wie Zwilchhammer Alles, nur aus den Büchern kannte.

Gegen Abend dampfte die Vesta weiter. In dem Rauchsalon wurde ein kleiner Mittelmeerskat angelegt, dann sahen wir noch eine Weile dem Meeresleuchten zu, wie es im Kielwasser funkelte und blitzte, und wie die Schraube mitunter weißliches Glimmfeuer aufwarf, gingen in die Baba und hielten am nächsten Morgen vor Rhodos. Hier wurden nur die Post und etliche Deckpassagiere eingenommen. Händler kamen mit zierlichen Holzarbeiten, Früchten, Honig und auch mit Alraunen. Das sind rübenartige Wurzeln, die wie vermickerte Zwerge aussehen, und in früheren Zeiten zum Hexen gebraucht wurden. Wer ein Alraunchen hatte, bei dem bekam das Geld Junge. Heute ist man aufgeklärter und geht an die Börse.

Die Stadt Rhodos mit ihren mittelalterlichen Befestigungen, Mauern, Thürmen, Minarehs und Windmühlen erhebt sich terrassenförmig und erscheint, wie in einen großen Garten hineingebaut. In alter Zeit soll der Koloß am Hafen gestanden haben, eine Leucht-Bronzefigur, zwischen deren Beinen große Schiffe hindurchfuhren, aber die Gelehrten sind darüber uneinig, denn Meyer hat ihn in seinem Reisehandbuch und Bädeker nicht.

Von Rhodos fuhren wir durch das Aegäische Meer an vielen Inseln vorbei und an der syrischen Küste. Unaufhörlich ändern sich die landschaftlichen Bilder. Schroffe Felseneilande, kahle Höhenzüge, einzelne Häuser, in denen wahrscheinlich Salz gekocht wird, wechseln mit grünenden Thälern ab, bebauten Strecken und anmuthig gelegenen Ortschaften. Wenn auch der Himmel zeitweilig mit Regenwolken drohte, war der Aufenthalt auf dem Deck dennoch zaubervoll.

Leider wird man nicht immer aus den Inseln klug, und wohl erst spätere Reisende erleben es, daß Thomas Cook & Son sie einzeln nummeriren. Interessant war uns besonders Samos, wo der König auf seines Daches Zinnen stand und den Ring ins Meere warf. Von dem Palast ist nichts mehr übrig, denn in der Weltgeschichte geht es so zu, daß Einige aufbauen und dann Andere kommen und es umstoßen. Durch den Dichter aber erfährt jedes Kind, was einst gewesen, und behält es, weil es schön ist.

Am Mittag des sechsten Tages waren wir in Smyrna. Die Landungsboote mit Kommissionären, Hoteldienern und lärmendem Volk kamen heran, und die Ausschiffung begann. Wir waren gegen den Radau schon abgehärtet, athmeten doch aber erst auf, als wir Paß- und Zollrevision hinter uns hatten, und in Madame Hucks »Grand-Hotel« saßen. Madame Huck war nämlich eine gemüthliche Berlinerin. Dies sagt Alles.

Smyrna ist eine merkwürdige Stadt; die Hafenstraße mit den Hotels, Restaurants, Singspielhallen, Waarenhäusern und der Pferdebahn und ebenso die Frankenstraße mit ihren Spiegelscheiben-Läden haben europäischen Anstrich, während die innere Stadt denselben Schmutz und dasselbe schauderhafte Pflaster aufweist, wie die meisten orientalischen Städte. Namentlich ist der berühmte Bazar kaum gangbar, und da die Schätze Indiens überall in den kleinen Kabachen versteckt liegen, gewahrt man bei einer solchen Durchwanderung wenig von dem Reichthum an seltenen Artikeln und Kostbarkeiten der morgenländischen Handwerkskunst. Wer dagegen Zeit und Geld hat, der kann Beides in den Bazaren los werden.

In Smyrna sieht man deutlicher als anderswo, wie Morgenland und Abendland ihre Erzeugnisse gegenseitig austauschen. Die Orientalen finden, was europäische Industrie liefert, unvergleichlich, namentlich, wenn ihnen gesagt wird, die Artikel kämen aus Frankreich, das an der jährlichen Einfuhr, von etwa neunzig Millionen Franken an Werth in Smyrna vorzugsweise betheiligt ist. Jetzt, da Deutschland seinen Handelstreibenden im Auslande Recht verschaffen kann, wird eine gesunde Konkurrenz möglich sein. So viel auch die dortigen französischen Zeitungen gegen alles Deutsche putschen, hat doch eins unserer Kriegsschiffe, das im vorigen Jahre im Hafen von Smyrna anlief, durch seine Größe und die Mannszucht der Leute einen gebietenden Eindruck gemacht und richtige Meinung erweckt. Mein Karl erfuhr dies von Geschäftsleuten, mit denen er in Verbindung treten wird.

Smyrnas Umgebung ist lohnend, man rieth uns jedoch, wegen augenblicklich herrschender Unsicherheit die Spazierfahrten nicht zu weit auszudehnen, da selbst in der Stadt Mord und Todtschlag an der Tagesordnung seien, reiche Bürger mit Brandbriefen bedroht und gemeuchelt würden, wenn sie nicht zahlten. Ein solches Anschreiben lautete: »Senden Sie uns die vierzig Mark nicht, schicken wir Ihnen Ihren Sohn auf einem Stuhle todt ins Haus.« Bei dergleichen Vergewaltigungen muß den Leuten sogar die Halwa bitter im Munde werden, dieses marzipanartige Naschwerk aus Sesam und Honig, welches überall im Orient, in Smyrna aber am berühmtesten, bereitet wird. Man verkauft es auf den Straßen und ißt es zum Brote.

Ausflüge mit der ununterdrückbaren Befürchtung zu unternehmen, der »Bande der Sieben«, wie sich die Drohbriefschreiber unterzeichneten, als Geiseln in die Hände zu fallen, hatte wenig Verlockendes. Wir blieben deshalb in der Nähe der Stadt, die mit ihrem lebhaften Treiben Unterhaltung genug gewährt, wenn auch die Trachten bei weitem nicht so fremdartig sind, wie in Berut oder Jaffa. Viele alte europäische Kleider werden in Smyrna aufgetragen. Dagegen sah man unverschleierte Frauen und Mädchen, Armenierinnen und Griechinnen von außerordentlicher Schönheit in den Gärten vor ihren Häusern und an den Fenstern. Als mir die Bewunderung von Seiten der Herren zu weit ging, sagte ich: »Na, wenn es keine schwarze Tusche gäbe, würde Manche wohl keine solche Augen machen.« – Zum Glück reisten wir am nächsten Tage nach Athen ab, nachdem wir am Abend bei unserm Konsul, Herrn Dr. Stannius, in sehr lieber Gesellschaft gewesen waren. Von Berlin lagen die hoffnungsreichsten Depeschen vor. Kaiser Friedrich war in Berlin gewesen und mit jubelnder Freude begrüßt.

Ich hatte Bedenken gegen Athen. »Karl,« sagte ich, »wir gehören wohl eigentlich nicht dahin, weil es uns an klassischer Bildung gebricht.« – – »Das schadet nicht« antwortete er, »ich glaube, die wenigsten von unseren Mitreisenden können griechisch deklinieren. Warum sollten wir uns ausschließen?« – »Sehen wir es an. Später, in Berlin lesen wir darüber nach, wie es in alten Zeiten dort zugegangen ist. Ich freue mich überhaupt darauf, an Winterabenden in den Büchern zu studiren, die von den Ländern und Orten handeln, welche wir betraten. Man kann nicht Alles auf einmal wissen, aber nachlernen, das ist eine Aufgabe für das ganze Leben.«

Meistens ist man ja mit der Bildung fertig, wenn man die Schule verlassen hat, und ergiebt sich den Zeitungen und Romanen, und doch ist so viel vorhanden, den Geist mit Wissenswerthem zu beschäftigen. Diese Reise betrachte ich wie ein großes Museum, die Erklärungen besorgen wir uns hinterher. –

Leider mußte der Wiener Doktor uns in Piräus verlassen, seine Zeit war um. Der hätte uns Athen auseinandersetzen können, weil er schon einmal dort war und sich in Athen auskannte. Er zeigte uns noch von ferne bei der Insel Salamis die Stelle, wo Xerxes auf einem Thron saß, um zu sehen, wie die Griechen seine Flotte vernichteten, und dann fuhren wir in den Hafen von Piräus ein. Vor reichlich fünfzig Jahren, als die Türken hier hausten, hat hier nur eine Hütte mit einer Familie gestanden. Jetzt ist Piräus eine Handelsstadt von dreißigtausend Einwohnern.

Wir hielten uns nicht lange auf. Den Abschied von unserem liebgewonnenen Reisegefährten hatten wir auf Mr. Potts kluge Veranlassung schon vorher geziemend begangen, das wüste Toben der Barkenführer und eindringenden Gepäckträger störte die letzten Minuten des Zusammenseins empfindlich. Am Zollhause dingten wir einen Wagen, weil man mit der Eisenbahn nichts sieht, fuhren durch die ziemlich nüchterne Geschäftsstadt an den Resten der grauen Mauern vorbei, die in alter Zeit den Weg von Athen nach Piräus befestigten, und befanden uns dann auf einer guten Chaussee, die von herrlichen Silberpappeln beschattet wird. Zu beiden Seiten sproßte das erste Grün der Weingärten; Oelbaumanpflanzungen zogen sich durch die Ebene, in welcher auch ein Bächlein ohne Wasser sichtbar ward. »Tante,« sagte der Leutnant aus dem Buche, »das ist der Kephissos.« – Ich nickte schweigenden Beifall, um mir keine klassische Blöße zu geben. Nach einer kleinen Stunde hatten wir Athen erreicht. Was wir zunächst sahen, waren die Gasanstalt und die Akropolis.

Das also war sie, von der Jeder einmal in seinem Leben gehört hat, die Hochburg von Athen. Ein schroffer Felsen taucht aus der Stadt auf wie ein Eiland, und oben darauf leuchten im Sonnenschein die Ruinen der gelblich schimmernden Marmorbauten. »Herrjeh,« rief ich, »dieses Aehnlichkeit mit dem Brandenburger Thor.« – »Das ist ja auch nach griechischem Muster,« sagte mein Karl. – »Merkwürdig,« erwiderte ich, »in Berlin haben sie griechisch gebaut und Athen haben sie ganz neumodisch gemacht.« Man fühlt sich in der That in Athen wie herausversetzt, wenn man die modernen Straßen sieht und die Bevölkerung nach europäischer Manier gekleidet; nur selten kommen ungewohnte Trachten vor. Wird berücksichtigt, daß Athen im Jahre 1830 ein Trümmerhaufen war und jetzt als Residenz des vom Türken befreiten Landes aus eigener Kraft sich zu rascher Blüthe aufgeschwungen hat, kann hohe Anerkennung nicht ausbleiben.

Die Sternwarte auf dem Nymphenhügel, das Politechnikum, das Zentralmuseum, die Universität, die Akademie der Wissenschaften sind nicht nur wahre Zierden der Stadt, sondern auch bewundernswerthe Zeugnisse von der Vaterlandsliebe jener Männer, welche sie auf eigene Kosten erbauen ließen oder mit ausgiebigen Schenkungen bedachten. Die schönste Privatwohnung ist Schliemanns Haus, eine Villa in italienischer Art, auf dem Dachrande mit weißen Marmorgöttern Alt-Griechenlands. Einfacher ist das Parlamentsgebäude, worin die Parteien mehr zu eigenem Vergnügen als zum Nutzen des Landes ihre Rede-Raufereien halten und sich mit Ausdrücken bewerfen; noch einfacher ist das kasernenähnliche Schloß. Auf dem Platze vor dem Schlosse spielt an einzelnen Nachmittagen die Militärkapelle und die Athener gehen spazieren dazu, wie die Berliner an Konzerttagen im Zoologischen. Viel hübsche Frauen sieht man. Sie kleiden sich nach dem neuesten Pariser Schnitt, tragen jedoch häufig ein rothes Sammetkäppchen mit langer goldener Troddel, das ihnen zu dem schwarzen üppigen Haar und den blitzenden dunklen Augen artig steht. Was hingegen den weißen, bleichen Teint anbelangt, der durchgehends verbreitet ist, so taxirte ich ihn auf Puder.

In der Nähe des Schlosses liegen die großen, standesgemäß eingerichteten Hotels. Die Küche ist französisch, die Kellnerschaft vielsprachig und der ausländische Wein durch hohen Einganszoll unerschwingbar. Den Einheimischen, den sie auf den Kellerzettel »Nektar« getauft hatten, zu mögen, muß man ganz und voll mit gymnasialischer Bildung durchtränkt sein, dann läßt er sich allenfalls hineinbegeistern. – »Gründliches Einvernehmen mit dem Alt-Hellenischen,« bemerkte ich daher, »würde unsere Genüsse nicht nur verbilligen, sondern bedeutend erhöhen.« – »Wird das Vergißmeinnicht blauer, wenn Du seinen lateinischen Namen kennst?« fragte mein Karl. – »Diesen Wein Nektar zu nennen, halte ich für götterbeleidigend,« rief der Leutnant, »Zeus würde Ganymed hinter die Ohren geschlagen haben, wenn er ihm solche Marke eingeschenkt hätte.«– »Vielleicht liebte er Säuerliches mit Beigeschmack,« entgegnete ich, »und ließ die Hand sitzen. Andernfalls hätte seine Gattin ihm gewunken: ›Zeuseken, des derfste nich‹. Der Olymp war stets ein auf Grazie und klassischen Bildsäulen beruhendes Lokal.« – »O ja,« stand Mr. Pott mir bei, »ich glaube aber, daß die Antiken sehr durch das Eingraben gewonnen haben, und der Olymp mehr in der Phantasie schön war, als reell.« – »Mr. Pott, dies denke ich auch, aber da wir Beide die Sprache des Alten – – wie hieß nur noch der Hauptgrieche, Herr Leutnant –« – »Klapsagoras?« – »Nein.« – »Pleitophilos?« – »Nein.« – »Pichlikrates?« – »Nein.« – »Pfiffikles?« – »Die giebt es ja garnicht. Mr. Pott, wenn der Ernst bei alterthümlichen Betrachtungen fehlt, thut man am besten und sagt gute Nacht.« – Aber woher kam der entzweiende Ton? – Von dem Nektar. Schlechtes Getränk sprengt die dauerhafteste Gesellschaft.

Die Schiffsverbindung beschränkte unseren Aufenthalt in ›Athinä‹, wie die Neugriechen ihre Residenz aussprechen, wobei sie das ›th‹ nach englischer Weise lispeln, weshalb die neue Stadt als Rundfahrt genossen werden mußte. Den Stätten des Alterthums widmeten wir die meiste Zeit.

Nach der Akropolis kommt man immer, einerlei, ob man will oder nicht, die Droschkenkutscher fahren den Fremden stets dahin, auch wenn er ein widerstrebendes Ziel angiebt. Nur mit größter Mühe lassen sie sich zu anderen Touren bewegen und wissen dann auch noch nicht Bescheid. Mit der Pferdebahn und zu Fuß ist man zuverlässiger daran.

Nachdem wir die Ruinen des olympischen Zeustempels, das Thor Hadrians, das Stadium, wo die Wagenrennen stattfanden, und die Pnyx, wo sie Volksversammlungen im Freien abhielten, besucht hatten, gingen wir in das Polytechnikum, in das Museum der Schliemannschen Ausgrabungen zu Mykenä. Eine wirkliche Schatzkammer. Allein die Gefäße und Geräthe, Diademe, Lorbeerkränze, Schwertgriffe, Spangen, Todtenmasken und Kleiderzierrathe aus purem Golde sind von ungeheurem Geldwerthe, für die Alterthumswissenschaft jedoch unbezahlbar. Keine zweite Sammlung wie diese ist auf der weiten Welt. Es giebt auch nur einen Schliemann.

Und dann das ägyptische Museum in demselben Gebäude, welches ein reicher Grieche seiner Vaterstadt zum Geschenk gemacht hat, die Terrakotten- und die Vasensammlung! Hier muß man zu den Gelehrten gehören, wenn man mehr will, als anstaunen und sich an der Schönheit des Einzelnen freuen. Ferner das Zentralmuseum, das hauptsächlich Statuen enthält, und zwar ganz alte, mit gemalten oder eingesetzten Augen und Farbenspuren an den Gewändern! Oft hörte ich: »Von Athen ging die Kunst aus«, nun weiß ich gewiß, daß dem so ist.

Wer nie Kunde von den Griechen und ihrer Kunst erfahren, der würde auf der Akropolis fragen: welches Volk hat diese Marmortempel errichtet, wie war sein Denken und Empfinden, daß es so unaussprechlich Schönes schaffen konnte, woran lag es, daß es der Verwüstung keinen Einhalt zu thun vermochte, und könnte nicht eher ruhen, bis er auch das Geringste darüber erführe.

Daß das Schöne auf Erden keinen Bestand hat und machtlos über die Rohheit ist! Nun gleicht die Akropolis einer zertretenen Harfe aus Gold und Elfenbein, der einst die süßesten Melodien entströmten.

Viel Schwermuth birgt der Süden. Der blaue Himmel, welcher über Griechenland lacht, war während unserer Anwesenheit auswärts beschäftigt, die Aussicht auf die Berge und das Meer entbehrte daher der Klarheit. Man sagte, wir hätten im Herbste kommen müssen, dann lache er, aber ich fürchte, im Herbst wären wir auf den Frühling verwiesen worden.

An dem Fuße der Akropolis sind die Ruinen des Odeon- und des Dionysos-Theaters. Das erstere ist gut erhalten, in dem letzteren stehen noch einzelne Marmorlehnsessel der Zuschauer mit den eingegrabenen Namen der Abonnenten. Das Uebrige ist entzwei. Unser Leutnant setzte sich auf den erhöhten Sitz des Oberpriesters und wir ließen uns ebenfalls nieder. »Also dies ist die Bühne, wo sie ›Zu Dionys dem Tyrannen schlich‹ zuerst gaben,« sagte ich und nahm eine, von geschichtlicher Erinnerung niedergedrückte Haltung an. – »Ih wo doch, Tante, es war dem Dionysos, dem Gotte der Reben, gewidmet.« – Ich entließ mich aus der schwärmerischen Stellung und fragte verächtlich: »Also ein Rauch- und Trink-Theater? Und die Geistlichkeit ging auch hin?« – »Tante, Dionysos war der Gott der Begeisterung, ohne diese kein Drama.« – »Ach so, da drum. Nur weiter im Text.«

»Hier wurden die Tragödien des Aeschylos, Sophokles und Euripides gespielt,« fuhr er fort, »der größten Dramatiker aller Zeiten.« – »Bedeuten Goethe und Schiller denn gar nichts?« fragte ich. – »Von den Griechen haben sie gelernt,« antwortete er, »und sind dann aus sich selbst geworden, was sie sind. Das eben nennt man klassische Bildung, Tante.« – »Ich kenne genug Leute mit klassischer Bildung,« erwiderte ich, »aber keiner von ihnen dichtet einen Wallenstein; es muß doch wohl noch etwas dabei sein. Haben Sie die Meininger gesehen?« – »Freilich.« – »Ob die alten Griechen es ebenso gut konnten?« – »Ueber ihre Aufführungen im Theater haben wir nur Vermuthungen.« – »Sehen Sie? Nichts ist vollkommen, selbst nicht die klassische Bildung.« – Da saß er nun auf dem Oberpriestersessel und wußte nicht weiter.

Dem Odeon schräge gegenüber war eine kleine Wirthschaft mit dem Schilde: »Garten des Sokrates.« – »War das nicht der Mann von der Zankthippe?« – »Ja.« – »Gehen wir hinein. Es wird so viel über die Frau geredet; ihren Hausstand muß ich sehen.« – »Tante, Sie wollen doch nicht auf den Mumpitz hereinfallen?« – »Wie so?« – »Das ist ja ein neugebautes Häuschen.« – »Hingegen kann der Garten echt sein. – Mein Karl hatte Durst, und so genehmigten wir denn in dem Garten des Sokrates ein Töpfchen Bier aus einer der Atheniensischen Brauereien, die noch an den ehemaligen Einfluß der Bayern erinnern. Um uns herum blühten einige Bohnen und verschiedene Unkräuter; es war bei Sokratessens recht sehr schlampig. »Karl,« sagte ich, »vielleicht hat er die meiste Schuld, aber an ihr war auch nichts dran. Sieht es hier malpropper aus!«

Mister Pott blieb in Griechenland, um Mykenä, Olympia, Sparta und andere berühmte Orte zu besuchen, während wir nach Konstantinopel abdampften. Die Fahrt war anfangs heiter, in der Nacht aber ging die See unruhig, und am nächsten Morgen war das Wetter rauh und regnerisch. Einem beginnenden Witterungswechsel-Husten mit Heiserkeitsbegleitung begegnete ich mit Asche's Bronchialpastillen, die auch in diesem Klima sofort halfen. Erst gegen Mittag kam die Sonne durch. Das Sommerland lag hinter uns.

 

 


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