Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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An Bord des »Gwalior«.
19. Februar 1888.
               

Theuerste Erika!

An Sie, liebste Erika, wende ich mich, Sie haben ein fühlendes Herz; Sie werden meine Partei nehmen, wenn ich selbst ein Spiel der Haifische oder sonstiger Naturereignisse geworden bin und meinen Mund nicht mehr öffnen kann. Die guten Freundinnen sagen hinterher natürlich: »Der Buchholzen ist recht geschehen, warum begab sie sich in umkommende Gefahren und riß ihren Mann mit hinein?« Daß sie aber die Hauptschuld tragen, davon wollen sie nichts hören; und doch ist dem so!

Zum Stillesitzen bin ich noch lange nicht verbraucht genug, das wissen Sie, Erika; mache ich mir aber zu schaffen, dann heißt es: »Wenn Schwiegermütter sich doch nur nicht in Alles hineinmischen wollten!« – Betti, anstatt mir dankbar zu sein, daß ich von Zeit zu Zeit ein halbes Auge in ihre Häuslichkeit werfe, giebt mir zu verstehen, sie wirthschafte von alleine viel besser, und Emmi beschuldigt mich, ich verzöge ihre Kinder, wo ich doch nur milde entschädigend die Enkel gegen väterliche Strenge in Schutz nehme. So wird man allmälig unter dem Vorwande, ein ruhiges, sorgenloses Dasein führen zu sollen und es bequemer zu haben, herausgegrault. Wer aber rüstig ist und munter, der sträubt sich, in Watte gewickelt, in den Schubkasten gelegt zu werden.

Mein Karl riet mir zu Zerstreuung. Theater und dergleichen zieht ihn jedoch ebensowenig dauernd an, wie mich. Glücklicherweise hat die Polizeileutnanten durch ihr Mila einen ungemeinen Wissensdrang bekommen und wo bildende Vorträge gehalten werden, steigen die Beiden hin. Die machte mich auf diese Zeitverkürzung aufmerksam. Ich ließ mich verleiten und kann nur sagen, wenn es manchmal auch recht langweilig war, im Allgemeinen hatte man doch seinen Spaß daran. Namentlich interessirte mich das Kolonial-Politische, ganz besonders Afrika, welches sehr in Mode ist. Eines Abends sagte ich, ohne viel dabei zu denken: »Dieses Land möchte ich mir einmal ansehen und dann die Reise beschreiben.« – »Haben Sie denn Jemand, der Ihnen dabei hilft?« fragte die Polizeileutnanten. – »Woso?« – »Na, das italienische Reisebuch hätten Sie ohne Dr. Stinde doch nicht fertig gebracht.« – »Da sind Sie total falsch berichtet,« entgegnete ich. »Wenn Einer das Buch verdorben hat, war er es. Ihm fehlt das Ideale, das stand oft genug in den Kritiken und ist mir hinterher aufgemutzt. Diesmal schreibe ich allein.«

»Sie wollten wirklich?« – »Versteht sich.«

»Noch glaube ich nicht daran.« – »Sie werden schon sehen.«

Ich wäre wohl kaum auf die Idee verfallen, wenn mein Karl und Herr Felix Schmidt nicht bereits des Oefteren davon gesprochen hätten, der Fabrik größeren auswärtigen Absatz zu ermitteln und die neuen Schiffsverbindungen, die jetzt den Orient erschließen, in Betracht gezogen hätten. Engländer und Franzosen handeln dorthin, warum sollen die Deutschen zurückstehen? Dein Mann sagte sogar einmal: »Schwager, die Wilden laufen Alle barfuß umher, gewöhnst Du sie an Strümpfe, machst Du ein Bombengeschäft.« So kam es, daß mein Karl mich am Weihnachten mit meinem Wunsche überraschte, den ich ihm wiederholt zu verstehen gegeben, indem er sagte: »Wir reisen.« – Nun hatte ich meinen Willen.

Dann kam die Zeit der Aufregung, der Vorbereitungen und was dazu gehört, daß ich zu ruhiger Ueberlegung keine Muße fand. Lernte ich doch auf Onkel Fritzens Rath sogar heimlich die Anfangsgründe von Volapük. Jetzt aber, hier auf dem Schiffe, lege ich mir die Frage vor, ob das Wagestück nicht besser unterblieben wäre? Kann ich mir jedoch die Redensarten der Polizeileutnanten und das Gestichel der Krausen gefallen lassen, die ganz spinös meinte, der Orient wäre nur für Gelehrte? Ich sagte: »Wie man so durch ein Land reist, möchte ich schreiben, wenn das Ihnen zu ungelehrt ist, brauchen Sie es nicht zu lesen; die Hauptsache sind jedoch die Wollwaaren.« – »Es liegt an Ihnen,« erwiderte sie, »für die Fabrik würde Herr Schmidt viel passender in die Welt gehen.« Ich hütete mich, ihr Recht zu geben, dazu that sie viel zu herausfordernd. Jetzt wissen Sie, wer mich getrieben hat, gute Erika, und sollte ich nicht wiederkehren, sagen Sie es der Polizeileutnanten und der Krausen geradezu auf den Kopf.

Ich hatte mir nun ausgedacht, Italien wieder zu sehen, aber wir reisten nur eilend durch. Ueberall war nämlich ein grausamer Winter eingebrochen. Die Schweiz gleich einem prachtvollen Schneehaufen. Berge und Thäler waren weiß, auf den Bäumen lag es wie lichte Wolle im Sonnenschein und die Waldungen waren in dichte Flockendecken gehüllt. Einzig und groß war dieser Anblick, zumal auf der Gotthard-Bahn. Liebste Erika, die müssen Sie einmal befahren. Am Vierwaldstädter See fährt sie vorbei, wo Schillers Tell ansässig war, und geht dann in das Gebirge hinauf, immer höher und immer schwindelnder, über Brücken und gemauerte Wege, an steilen Abhängen, in Schlangenwindungen durch lange und kurze Tunnels, für den Reisenden unbegreiflich, nur für Eisenbahner verständlich. Von den hohen Bergriesen waren Lawinen zu Thal gestürzt. Man sah zerstörte Häuser, denen sie im Vorbeisausen die bretternen Dächer abgerissen hatten, und bewunderte die Leute, die ganz unverzagt daran gingen, ihre Wohnungen wieder in Stand zu setzen. Selbst die Bahn war nicht verschont geblieben, obgleich an gefahrdrohenden Stellen Kunsttunnels aufgeführt worden sind, damit die Schneemassen darüber hinwegschmettern und in den Abgrund poltern können. Aber so eine Lawine kehrt sich nicht an den Fahrplan. Diesmal hatte eine bei der Station Wassen den Anschluß verfehlt und, vom Winde seitwärts über die Schutzwand gedrückt, sich auf die Schienen geworfen, wo sie sechs Arbeiter tödtete. Hunderte von Schneeschauflern gruben Tag und Nacht, die Schienen frei zu legen, und mit endloser Verspätung waren wir die Ersten, welche den schmalen Einschnitt durch die Lawine passirten. In Göschenen begrüßten die dort seit drei Tagen aufgestauten Reisenden unseren Zug mit wahrem Freudenjubel.

Der eigentliche Gotthard-Tunnel ist ein langes dunkles Loch voll Qualm, Rauch und Getöse, in dem man Nichts wahrnimmt als nächtliche Schwärze; er gilt auch weniger als Sehenswürdigkeit denn als Beförderungsmittel. Wir dachten, als wir hindurchrasselten: am anderen Ende liegen die Frühjahrs-Fluren von Italien, aber die Landschaft verharrte jenseits in demselben eingeschneiten Zustande wie diesseits, nur mit dem Unterschied, daß die italienischen Bahnverwaltungen die Wagen nicht mehr heizen ließen. So kamen wir dann nach Mailand, wo wir bei dichtem Schneegewirbel mitten in der Nacht eintrafen.

Der kurze Kriegsrath, den wir anbetracht der Verhältnisse hielten, zeitigte den Entschluß, am nächsten Tage nach Bologna zu fahren und von dort nach Brindisi, wo die Schiffe nach Alexandrien abgehen. Ich hatte so kalte Füße, daß ich in jeden Vorschlag einwilligte.

Leider hatten wir in Bologna nur kurzen Aufenthalt. Ich sage leider, denn die Stadt mit ihren alterthümlichen Bauten ist eigenartig schön. An beiden Seiten der Straßen halten Bogengänge den Bürgersteig bei nassem Wetter trocken, und schattig während der Sommersonne. Als es Abend wurde, zogen Maskengesellschaften mit Musik daher, den Karneval zu begehen, was noch einmal so lustig ausgesehen hätte, wenn es weniger frostig gewesen wäre. Und dann waren wir auf das beste im Hotel Brun untergebracht. Das Haus, ein früherer Palast, ist auf das bequemste und vornehmste eingerichtet und die Behandlung der Gäste eine so zuvorkommende, daß man sich wie zu Hause fühlt. Und nun erst die Verpflegung. Wir haben auf unserer früheren Reise in keinem Hotel Italiens auch nur annähernde Vorzüglichkeit getroffen. Herr Frank, der Inhaber des Hotels ist ein Württemberger, der uns mit gutem Rath wegen der Dampfschiffe in Brindisi an die Hand ging und Sorge trug, daß wir einen trefflich gefüllten Eßkorb mitbekamen, denn die Ernährung sieht auf der Bahnstrecke nach Brindisi mager aus und ist unverschämt kostspielig.

Wir merkten kaum, daß wir uns in italischem Lande befanden, denn auch die Bedienung im Hotel Brun sprach deutsch; ebenso war es bei Hoffmeister in Bologna, der eine stilvoll eingerichtete Bierstube hält. Da wir Beide der Meinung waren, in Afrika keinen Tropfen zu erwischen, gingen wir hin, und bereuten es nicht, denn Herr Hoffmeister gab uns eine Karte an einen deutschen Kommissär in Brindisi, mit Namen Montag, daß wir gleich eine zuverlässige Persönlichkeit an der Hand hätten. Es ist hübsch, wie bereitwillig Landsleute Auskunft gebe und Beistand gewähren, wenn man sie in Ordentlichkeit darum angeht und nicht, wie es meistens Gewohnheit ist, den Klügeren spielt, der keinerlei Belehrung bedarf.

Nachts um drei Uhr saßen wir im Waggon, am nächsten Abend waren wir in Brindisi. Glücklicherweise ergatterten wir mit Hülfe der von ehemals nicht völlig vergessenen italienischen Brocken Herrn Montag, der uns selbst und die Koffer in Schutz nahm und auf die Agentur der englischen Peninsular- und Orientdampferlinie brachte. Hier erfuhren wir, daß wir für den zu zahlenden Fahrpreis schon von Venedig ab mit dem Schiffe hätten fahren können und die beschwerliche Nachttour mit der Eisenbahn einfach ein Opfer gewesen war. Wer hingegen das Wasser scheut, spart zwei Tage Wellenschlag, zumal das Mittelmeer so seine Haken hat.

Morgen in der Frühe geht das Schiff nach Alexandrien weiter. Noch liegt es ruhig im Hafen von Brindisi wie ein großer, schwarzer Sarg. Was wird, wenn es an zu schwanken fängt? Mein Karl schlummert bereits; ich sitze einsam in dem leeren Salon bei einem einsamen Lichte und schreibe, damit Sie erfahren, wie es in meinem Innern aussieht. Die übrigen Passagiere sind in ihren Kabinen, denn es ist bald Mitternacht. Herr Montag wartet auf den Brief. Wer weiß, ob dies nicht mein letzter ist? Viele, viele Grüße

von
Ihrer Wilhelmine.
               

P. S. Sagen Sie vorläufig nichts von diesem Schreiben. Noch lebe ich ja.


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