Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Vor dem Gemäuer steht ein Obelisk, jedoch bis zur Hälfte verschüttet. Den Bruder dieses Obelisken haben die Franzosen nach Paris genommen und dort aufgerichtet.

Nun erfuhren wir auch, was so ein Obelisk kostet. Die Hinfracht und die Aufstellung in Paris kamen auf zwei Millionen Franken zu stehen, und da der Obelisk fünfmalhunderttausend Kilo wog, macht das vier Franken für das Kilo. Lautet hiernach der Ansatz: Wenn ein Obelisk zwei Millionen kostet, was ist dann für die ganzen ägyptischen Tempel ausgegeben, so kommt staunendes Kopfschütteln heraus.

Das Mauerwerk war, wie Herr Mochareb sagte, das östliche Thor des Tempels gewesen. Vor demselben standen die beiden Obelisken und zwei Ramsesstatuen aus Granit. Diese sind noch vorhanden, aber verschüttet. Nur die Schultern, Kopf und die seltsame Königsmütze schauen aus der Erde hervor, der übrige Körper steckt darin. Ein erwachsener Mensch reicht, wenn er sich auf die Schulter der Statue stellt, bis an ihr Ohr, so groß sind sie. »Wie konnte dies Alles derartig versinken?« fragte ich. – »Der Schutt häufte sich im Laufe der Jahrtausende an,« sagte Herr Mochareb. »Stürzte ein Haus ein, baute der Fellache die neue Wohnung aus frischem Nilschlamm auf den alten Schutt hin, und so ist es gekommen, daß das Dorf fast die Höhe des Tempels erreicht und dieser versunken erscheint.«

Das stimmte, denn als wir in das Innere wollten, mußten wir hinabschreiten. Gar viel ist freigelegt, und eine Menge Fellachenmauern wurden abgerissen, daß man noch sieht, wie sie an die Tempelwände angeklebt waren, aber trotzdem wird es jahrelanger Arbeit bedürfen, um sämmtlichen Schmutz zu entfernen, der hügelweise in den weiten Räumen liegt und die Besichtigung derselben zu einer Bergpartie macht.

Empörend ist, daß die Araber, den Gesetzen des Korans folgend, welche die bildliche Darstellung von Menschen verbieten, alle Figuren an den Wänden verstümmelt haben, indem sie ihnen die Gesichter mit scharfen Instrumenten weghackten. Auch die beiden Granitstatuen vor dem Tempelthor sind verschändet, Nase, Augen und Mund fielen der Frömmigkeit zum Opfer. Ein wahrer Jammer.

Wandert man in den Ruinen umher, weiß man zuletzt, was man mehr bewundern soll, den Fleiß, mit dem einst die Wände geschmückt wurden, oder die unsägliche Mühe, mit der jetzt die Bildwerke ruinirt wurden? Eine Religion vernichtet das Schöne, was die andere schuf. Welche hat nun Recht? Es ist wegen der Schutthügel, der eingebauten Viehställe und Wohnungen – eine ganze Moschee, das amerikanische Konsulat und zwei Kaffeehäuser liegen im Tempel, – schwierig, aus der ursprünglichen Anlage klug zu werden. Das Allerheiligste ist noch ziemlich erhalten, es diente grade einigen halberwachsenen, auf dem Steinboden rangelnden Wilden zu einem Hazardspiel mit Steinen um Geld. Herr Mochareb jagte sie mit dem Spazierstock von dannen. Das westliche Ende des Tempels hat früher einmal als koptische Kirche gedient; noch waren die Ueberreste von gemalten Heiligen an den Wänden. Da dem Tempel von Luqsor das Uebersichtliche fehlt, verwirrt er mehr, als daß seine Größe zur Wirkung kommt; von Grund aus gesäubert, muß er jedoch ein gewaltiges Zeugniß von alter Baukunst ablegen. Aber woher soll das Geld kommen? Hätte der Ismael nur die Hälfte der Summe an diesen Tempel gewandt, die das Schloß an dem Wege nach Ramleh verschlang, er würde in dem alten Denkmal sich ein neues gesetzt haben. Für so etwas hatte er jedoch kein Gefühl.

Wir waren nicht die einzigen Bewunderer der vermüllten Großartigkeit, es krochen noch verschiedene Engländer von der karrirten Abart zwischen den Säulen herum. Uns fiel jedoch ein Herr auf, der seine eigenen Wege ging, Alles sinnig betrachtete und militärischen Anstand hatte. Sollte dies wohl Leutnant Fischer sein? Als wir uns daran machten, ihn abzufangen, war er jedoch in einem der Tempelgänge verschwunden. Genug, er war weg. »Ob sie ihn wohl schon zu Feuer haben?« fragte ich. – »Wen?« – »Nun Mister Pott.« Mein Karl hatte keine Antwort, woher sollte er sie auch nehmen? Es war ein beengender Gedanke, daß die Wilden unseren Gefährten erwischt haben könnten.

Wir verabschiedeten uns von Herrn Mochareb, baten ihn, am Abend unser Gast im Hotel zu sein, er lehnte aber für heute ab und versprach, am nächsten Tage zu kommen. Wahrscheinlich war für ihn einer der vielen Fasttage, welche die Kopten mit großer Gewissenhaftigkeit halten.

Die Tempelbesichtigung hatte heiß und staubig gemacht. Noch nie hatte ich einen so ekligen, scharfen, nach Viehstall riechenden Staub geathmet, als diesen, den unsere Schritte in dem zu Pulver zerfallenen Fellachenschutt aufwühlten. Waschung, besonders der Augen, ward zum dringenden Bedürfniß. Auf der Hotelterrasse saß die dicke Donna in einem blauen Kleide wie eine junge Gewitterwolke und sog an dem Nargileh. Und dabei behaupten Einige, der Tabak zehrt. Die hätte ich in ungezehrtem Zustande sehen mögen.

Ich munterte mich für das Frühstück auf und schrieb mir etliche Bemerkungen nieder, vor allen Dingen, was Herr Mochareb über die Skarabäen gesagt hatte. Haben mußte ich auch welche, das stand fest. – Als ich nun in den Garten ging, fand ich meinen Karl im Gespräch mit dem jungen schlanken Herrn aus den Tempelruinen. Ich ging auf Beide zu. »Herr Leutnant Fischer?« fragte ich mit einer gesellschaftlichen Reiseverbeugung. »Sehr angenehm.« – »Bedaure unendlich,« sagte der Herr artig, »der bin ich nicht. Das Schiff, mit dem der Herr Leutnant kommen, wird jedoch jeden Augenblick erwartet.«

Mein Karl war in demselben Irrthum befangen gewesen und hatte den fremden Herrn angeredet, der Herr Dr. Prybil aus Krems bei Wien war. Die Oesterreicher sind gemüthlich, und so war der Wiener Doktor auch. Wir wurden gar bald gut miteinander bekannt und beschlossen, am Nachmittag, wenn die größte Hitze vorüber, einen gemeinschaftlichen Ausflug nach Karnak zu unternehmen. Beim Frühstück trafen wir einen englischen Maler, Mr. Sommersett, und dessen Freund, Herrn Kay, der in Wasserfarben malte; zwei lustige, nette Leute. Die übrigen Engländer, welche mit Cook reisten, logirten im Hotel Luqsor.

Das Mahl verlief recht gesellig. An ungebetenen Gästen waren da: auf dem Tisch die Fliegen, unter dem Tisch die Hunde und überm Tisch die Spatzen. Das störte weiter nicht, sondern wurde als ländliche Zwischengerichte hingenommen. Außerdem waren wir mit Fliegenwedeln versehen.

Die Herren hatten bereits die Zigaretten angezündet und der Aufstand von der Tafel rückte heran, als draußen eine Stimme laut ward: »Was ist das hier für 'ne Zucht. Der große Koffer ist noch nicht auf mein Zimmer geschafft.« – Dies mußte Leutnant Fischer sein. Er war es richtig.

Umständlicher Vorstellung bedurfte es kaum, wir hatten ihn unbekannter Weise erwartet und er war erfreut, unerwartet Landleute zu treffen. Gleich mußte er von dem Ueberfall erzählen. Es sei nicht schlimm gewesen, sagte er. Die Wilden hätten es auf einen Hammeltransport abgesehen gehabt, den der Dampfer stromauf schleppte. Von beiden Seiten wären einige Schüsse gewechselt, aber keine Kugel habe das Schiff getroffen. – »Also Schliemann und Virchow leben noch?« – »Munterer, als je zuvor.« – »Gottlob, daß es nur Hammel waren und nicht die Wissenschaft, die den Wilden in die Augen stach. Ist die Gefahr aber auch vorbei?«

»Ich glaube, ja!« – »Dann wird Mr. Pott hoffentlich auch dem Bratspieße entrinnen.« – Der Leutnant meinte, Mr. Pott würde wohl auf Krokodile und nicht auf Wilde zum Schuß kommen.

»Haben Sie Krokodile gehabt?« – »Sogar eins geschossen, bei Assuan giebt es genug.« – »Wir haben vergebens ausgespäht,« sagte ich, »und glaubten schon, blos die Gelehrten kennten ihre Neste. Haben Sie es mitgenommen?« – »Als es getroffen war, wälzte es sich auf Nimmerwiedersehen in den Fluß.« – »Man hört ja allgemein, daß diese Thiere niederträchtig sind,« sagte ich, »aber daß sie selbst noch im Tode den Schützen durch Entweichung ärgern, wußte ich nicht.« – Ich hätte dem Leutnant die Beute von Herzen gegönnt, denn er gefiel mir wegen seiner jugendlichen Patentigkeit, und wenn er auch leicht aufbegehrte, sobald ihm so gut wie Nichts derquere kam, – das haben junge Leutnants wie Achselklappen an sich.

Die ersten Nachmittagsstunden füllten wir mit einem wohlthätigen Keef aus. Um Drei waren die Esel da, wir stiegen auf und trabten davon. Mein Esel war ein kleiner geläufiger und der Treiber ein allerliebstes Muffi mit lachenden Augen und lachendem Munde. Er hieß Mustapha und war der Sohn unseres Hotelkochs. Sein Esel hieß Telegraph. Mit großer Genugthuung sagte er: »Telegraph very good donkey.« – »Sprich deutsch,« redete ich ihm zu, »Telegraph ist ein guter Esel.« – Das lernte er im Nu, und freudestrahlend rief er: »Telegraph guter Esel.« – Das ›ist‹ brachte er nicht heraus, weil sie es im Arabischen nicht haben, wie der Wiener Doktor erklärte.

Wir ritten an Weizenfeldern vorbei, deren Aehren bereits gelb wurden, dann an Palmengruppen, dann durch ein Fellachendorf, bald im Trab, bald im Galopp, je nachdem die Treiber die Thiere jagten. Wenn ich dicht daran war, in der raschen Fahrt den Schwerpunkt zu verlieren, grinste Mustapha mich an und rief: »Telegraph guter Esel.« – »Die Bestie soll nicht so rennen,« schrie ich. Er aber schnalzte mit der Zunge, rief »yalla, yalla« und haute dem Thiere eins über, und los sauste die Kreatur. »Kannst Du Meerschaumkopf denn nicht hören,« schalt ich, als die Eseln den schwarzen Damm eines getrockneten Kanals langsam hinangingen, »ich will das Gerenne nicht.« – Der Wiener Doktor kam mir zu Hülfe. »Sagen Sie ›schuwaje, schuwaje‹, das heißt langsam.« – Dies begriff ich rasch und sah ein, daß Noth die beste Lehrmeisterin ist. »Also schuwaje, hörst Du, Muffi?« – Nun zogen wir auf dem Nildamm dahin, wie wir von dem Kupeh und vom Schiffe aus schon so oft die Eingeborenen auf diesen natürlichen Hochstraßen Aegyptens längstappeln sahen, und lieferten ihnen jetzt reitende Bilder, wie sie sonst uns. Das Malerische interessirt die Wilden jedoch weniger an den Fremden als das Verdienstvolle, die Hauptsache ist ihnen Bakschisch. Mein grau, roth und gelb bortiger Wüstenschleier, den ich in künstlerischen Flusen um den Hut gesteckt hatte, erregte durchaus kein Erstaunen; ginge ich hingegen damit die Linden entlang – ei weih die Verkehrsstockungen!

»Telegraph« war wirklich ein guter Esel; er mochte lieber »schuwaje« als »yalla, yalla«. Dies machte sich Mustapha zu Nutz, der wie ein Spaziergehhund den Weg vervielfachte. Bald lief er zum Leutnant, den er ankrakehlte, bald zu meinem Karl, dem er etwas zu erzählen versuchte, dann balgte er mit seinen Kollegen oder warf mit Klietern nach Spatzen, genug, etwas Nebenbeies hatte er stets vor. Und doch ließ er seinen Esel nie außer Acht; wenn es galt, kam er angeprescht und steckerte ihn. Eine Mordsrange.

Unser Leutnant hatte einen ehrgeizigen Esel, der sich darauf steifte, die Führung zu übernehmen. Er hielt das Thier zurück, machte Front, wenn wir vorbeiritten, und wartete, bis wir eine deftige Strecke vorweg waren. Dann ließ er ihm die Zügel. Der Esel nicht schlecht ausgerissen, mitten durch unsere Kavalkade hindurch, und hastenichgesehen voran. Die Folge davon war ein regelrechtes Wettrennen, denn nun wollten unsere Esel mit und klabasterten hinterdrein. »Herr Leutnant,« rief ich, »bedenken Sie, ich bin Mutter und Schwiegermutter.« – »Die Thiere sind sicher,« entgegnete er. – »Halb so hastig,« beorderte ich. – »Zu Befehl,« sagte er, und verhielt sich eine Weile, vernünftig Schritt reitend, an meiner grünen Seite. Es dauerte aber nicht lange und das Steepelcheasen ging wieder vor sich.

Auf diese Manier kamen wir nach Karnak.

Nachdem wir eine ehemalige Allee von Widdersphinxen aus rothbraunem Gestein, die mehrstentheils umgeworfen und geköpft waren, durchritten hatten, machten wir vor dem Tempelthor Halt. Wir groß, wie schön war dieses. Und wie erst der Tempel selbst; man könnte ihn mit Fug und Recht eine Stadt von Hallen und Höfen nennen, da die Gesammtanlage nach den Handbüchern über eine Million Quadratmeter einnimmt. Zweitausend Jahre wurde daran gebaut!

Wehte eine andere Luft an diesem Orte oder was war es, das uns wie mit kühlem Schauern umfing, als wir unter die Säulen traten, die thurmhoch, schweigend nebeneinander stehen? Menschenwille und Menschenkraft hat diese Steinlasten anmuthig geordnet. Die Baukunst bezwang die gewaltigen Massen, die Hand des Bildners grub geheimnißvolle Schrift in ihre geglätteten Flächen und zierte sie mit lebhaften Farben aus. Die Kunst der alten Aegypter sprach zu uns aus den Trümmern und den Spuren der Farbenreste, wie muß sie frisch und unangetastet auf das Volk gewirkt haben, das sich versammelte, die Gottheit zu verehren, das die Vorhöfe anfüllte, den Gesängen der Priester lauschte, deren Klänge aus dem Halbdunkel des Tempelinneren drangen, den Hymnen, welche die Götter priesen und den Guten Wiedergeburt und unsterbliches Leben verhießen. Wer das schauen könnte in seinem alten Glanze, in seiner entschwundenen Herrlichkeit.

Ich doch sah ich schon ein Abbild dieses Tempels. Die ägyptische Abtheilung im Museum zu Berlin giebt, wenn auch in sehr verkleinertem Maße, seine Erscheinung wieder. So farbig waren einst die Hallen, die längst im Laufe der Zeit verblichen, deren Säulen theilweise von Erdbeben gestürzt wurden, deren Figuren die Mohammedaner mit dem Meisel entmenschlichten.

Ueber den Ruinen dehnte sich der blaue Himmel aus, das Licht der Sonne fiel grell in die abgedeckten Räume auf die umgeworfenen Statuen, auf die Obelisken vor dem Allerheiligsten, in die heidekrautbewachsenen Höfe und schrieb mit ihren Strahlen allüberall hin: Vergänglichkeit. Neben einem hellen Sonnenflecken auf dem Boden war zwischen Säulen eine schattige Ecke mit einer dunklen Grube aus dem ein Wesen menschlicher Gestalt auftauchte, dem geblendeten Auge nur geisterhaft wahrnehmbar. War es ein alter Aegypter, der dem Grabe entstieg? Oeffnet sich so die Erde am jüngsten Tage? Wer bist Du, grauenhafter Schatten? Was willst Du?

Starr und stumm blieb das Bild, das sich bei näherer Prüfung als ein von Museumswegen freigelegter alter Granit-Pharao erwies. Wir gingen Alle ohne zu reden weiter; mir war dabei, als wenn er uns nachsähe, und es lief mir unheimlich über den Rücken.

Die Stunden waren verflogen, ich weiß nicht, wie, und doch hatten wir die Ruinen kaum durchwandert, die Inschriften mit dem nöthigen Unverständniß blos gestreift, die Darstellungen von Schlachten, erlegten Feinden, Triumphzügen und Opfern an den Innen- und Außenwänden nur stellenweise und flüchtig betrachtet. Wer das Alles durchgründen will, muß gleich Wohnung für sein ganzes Leben nehmen.

Auf dem Rückwege nach dem Tempelthor kamen wir an dem heiligen Teich vorüber, der noch theilweise mit dem alten Mauerwerk eingefaßt ist. Ein Fellache stand an dem Ufer, die bloßen Füße auf eine schmale Matte gestellt, die ausgetretenen Galloschen daneben, das Antlitz nach Mekka gewandt. Er sprach sein Gebet, ein anderer kauerte am Wasser und vollzog die vorgeschriebenen Waschungen vor dem Beten. Ueber den See hinüber, nach der Seite, wo in der Ferne die Zacken des arabischen Wüstengebirges sich im Abendlichte rötheten und ein Palmenhain seine dunklen Wedel über hellfarbige Ruinen breitete, sahen wir zwei Weiber langsamen Schrittes den Uferrand umkreisen. In gemessener Entfernung folgte eine der anderen, dicht in das landesübliche schwarzblaue Tuch gehüllt. »Was mögen die treiben?« fragte ich den Wiener Doktor. – »Sie wandelnd schweigend um den Teich,« erwiderte dieser, »wie schon vor Tausenden von Jahren die ägyptischen Frauen, Kindersegen von den Göttern erflehend. Freilich sind die alten Götter vergessen, aber der Glaube an den gewährenden Zauber der heiligen Stätte ist bis auf den heutigen Tag geblieben.« – »Sympathien halten sich,« bemerkte ich. Eine sagt es Anderen und so kommen sie auf die Nachwelt.« – »Aus Volksgebräuchen schließt der Forscher daher auch häufig auf Sitten und religiöse Anschauungen früherer Zeiten,« erwiderte der Doktor. »Leider hat der Islam in Aegypten stark aufgeräumt. Wären die alten Wandmalereien nicht, wir würden von der untergegangenen hohen Kultur Altägyptens nur wenig wissen.« – »Herr Doktor,« sagte ich, »soviel ist sicher, nächsten Winter lese ich, was mir über Aegypten in die Hände fällt. Mir kommt es vor, als wäre in der alten Welt eine neue entdeckt, von der ich keine Ahnung hatte. Da gehe ich heran.«

Die sinkende Sonne mahnte uns an den Heimweg. Die Eseltreiber kamen mit ihren Thieren, wir saßen auf, aber wo war unser Leutnant? Weg. Wir ritten durch den Tempel und riefen, er war nicht da. Zuletzt entdeckte Mustapha ihn oben auf der Umfassungsmauer des großen Vorhofs. Da saß er und schwelgte Abendbeleuchtung. Als er ohne Genickbrechung herunter war, hielt ich eine leichte Vermahnung für angebracht. Er versprach auch, sich in Zukunft nicht zu verkrümeln und keine waghalsigen Klettereien zu unternehmen. Es waren aber noch nicht zwei Minuten vergangen, als ihm einfiel, rasch noch eine abseits gelegene Thor-Ruine in Augenschein zu nehmen und um den heiligen See zu reiten. Und alle war er wieder.

In gemüthlichem Trott ritten wir nach Luqsor zurück, der Leutnant holte uns kurz vor dem Dorfe ein und erhielt seine gesteigerte Epistel. »Nur nicht böse werden,« bat er. – »Ih wo doch. Wenn ich reell böse wäre, würde der alte Ramses sich noch ein paar tausend Jahre weiter weg wünschen.« Er sah mich schief von der Seite an, ob ich wirklich ein solcher Höllendrache sein könnte, aber in demselben Moment begriff er, wie ich es mit ihm meine. »Famos, daß wir uns hier getroffen haben,« sagte er. »Als ich so allein herumreiste, war mir manchmal schauderhaft zu Muth.« – Zuthunlich erzählte er mir, daß er seiner Gesundheit wegen Urlaub bekommen habe, und ein Ohrenleiden, welches sich während der Manöver verschlimmerte, in dem ihm verordneten trockenen und warmen Klima, merklich besser geworden sei. Nun hielt ich es doppelt für meine Pflicht, ihn zu begluckhennen, und sagte: »Von jetzt an nehme ich mein Recht als Reisemama in Anspruch.« – »All right,« rief er, haute seinen Esel und setzte wieder ein unbarmherziges Wettrennen in Szene. »Jugend muß austoben,« seufzte ich, während ich auf Telegraph herumstuckerte, »aber warum bin ich vom Schicksal auserlesen, mitzutoben?« – Zum Glück war der Weg zu Ende, wer weiß, ob mir sonst nicht doch noch irgendwo ein Gypsverband geblüht hätte. Wir abendbroteten leidlich, die Tempel und die Vergangenheit lieferten Stoff für die Unterhaltungsmühle, zumal der Wiener Doktor sich in dem Geschichtlichen sehr auskannte. Herr Zwilchhammer dagegen entwickelte eine Niedergeschlagenheit, die mich veranlaßte, ihn zu fragen, welche Petersilie ihm denn verhagelt sei. Natürlich war alles wieder entgegengesetzt, wie die Bücher ihn angeleitet hatten. Während er der Meinung gewesen war, daß am Obernil Photographen als Seltenheit gezeigt würden wie Hagenbecksche Völkerschafts-Proben in unseren zoologischen Gärten, hatte er in Luqsor einen wohleingerichteten Lichtbildner gefunden, der ein wohnlich eingerichtetes Haus besaß und mit dem Verkauf ausgezeichneter Aufnahmen von der meilenweiten Umgegend an die Reisenden große Geschäfte machte. »Die Hauptpunkte hat er alle vorweggenommen,« klagte er. – »Dann machen Sie sich hinter das Seltene und Wissenschaftliche.« – »Das geht nicht, die Museumsdirektion hat ein Plakat auflegen lassen, daß alle von ihr nicht vermerkten Inschriften und Gegenstände weder abgezeichnet noch photographirt werden dürfen.« – »Also Monopol,« sagte ich, »das hätte ich nicht erwartet.« – »Ich auch nicht, ich habe kein Sterbenswort davon gelesen. Im Gegentheil, es heißt immer, die Forschung sei frei.« – »Was die Museumsleute frisch ausgraben, denke ich, wollen sie auch selbst einschlachten. Uebrigens Sie haben ja Ihr eigenes Verfahren. Gehen Sie doch damit den erlaubten Ruinen zu Leibe.« – »Das ist mein einziger Rettungsanker,« antwortete er. – »Leider nur noch nicht fertig,« verkniff ich mir, hinzuzufügen. – Unser Leutnant hatte wich inzwischen mit einer großen Spieluhr auf dem Spiegeltisch des Speisesaales zu schaffen gemacht, die partout nicht herumwollte und nur durch Nachschieben mit dem Finger zu einem stoßweisen, spillerigen Klinkeringkling gequält werden konnte. Der Kellner wandte ein, sie sei seit Jahren kassura. »Einerlei, ich werde ihr das Gehen schon beibringen,« gab er ihm zurück und dokterte so lange, bis sie ein zerrissenes Stück abwalzte. Dann stand sie wieder. »Ich weiß nicht, woran es liegt, daß sie nicht will,« sagte er. – »Es wird wohl Wüstensand mang den Sprechanismus gerathen sein,« deutete ich an, und kam ihm mit der Salatölflasche zu Hülfe. Und richtig, nachdem die Spieldose ihr Fett bekommen hatte, arbeitete sie wie neu. Nur gerieth sie manchmal von einem Stück in das nächstfolgende über, oder überschlug eins, aber das verziehen wir ihr, hörten wir doch einmal andere Musik als das arabische Geleier, wobei Einem oft innerlich friert, als würde auf den eigenen Nerven gestrichen. Auch die »blaue Donau« spielte sie dem Wiener Doktor zu Ehren. Unser Leutnant wollte ein Tänzchen mit mir riskiren, was jedoch insofern nicht ging, als die Uhr zum Schluß jedesmal einen Choral in den Walzer verflocht. Um früh aufbrechen zu können, kürzten wir die musikalische Abendunterhaltung bald ab, obgleich der Leutnant meinte, er könnte tagelang zuhören, so eine Spieluhr sei zu famos.

Um sieben Uhr brachen wir am nächsten Morgen auf. Unten an dem steinigen Ufer, das scheußlich herabzusteigen war, lag das Boot, uns über den Fluß zu setzen; die Eselweiber warteten am anderen Ufer schon seit Tagesgrauen. Der kleine Mustapha war unglücklich, daß ich diesmal den großen, hellgrauen Konsulats-Esel nahm und nicht seinen Ponax, den der Leutnant sich aussuchte. »Mein Gott!« rief ich, als dieser zu Raum kam, »Sie wollen ja wohl Sklaven jagen?« Denn er sah in seinem weißen Flanellanzug mit rother Leibbinde und Schleierhut mindestens wie ein Plantagenbesitzerssohn aus, was ihn um so täuschender ließ, als er mit der Nilpferdpeitsche zwischen sich und den zudringlichen Eseltreibern Abstand zu halten wußte. Dies hatte er in Assuan und da herum gelernt. Vor der ›Karbatsche‹ zeigten die Fellachen Heidenrespekt, was jedoch erst verständlich wird, wenn man erfährt, daß mit diesem Instrument die Steuern eingetrieben werden.

Anfangs ritten wir über weißen, losen Flußsand. Dann kam ein Nilschlamm-Dörfchen, mit Mohnfeldern und Aeckern umgeben. Hierauf führte ein schmaler Weg durch reifenden Weizen, und dann ging es einen hohen Damm hinauf. Die Treiber stützten dabei unsere Rücken, damit wir nicht hintenüberfielen. Ebenso steil war der Pfad abwärts an der anderen Seite. In meinem Augapfel drehten sich grüne und gelbe Farbenspiele, aber wir gelangten unzerknickt unten in dem ausgetrockneten Kanal an. In derselben halsbrecherischen Weise wurde der zweite Damm genommen, und dann bot wohlbestelltes Land ebene Durchgänge. Mustapha nahm die Gelegenheit wahr, mir mitzutheilen: »Telegraph guter Esel.« Unter dem Arm hatte er ein Bündelchen aus dem Acker geraufter Wicken. Ich glaubte, es sei Futter für sein Thier, aber er selbst aß die unreifen Körner aus den Schoten mit großem Behagen. Dies war sein Frühstück. Die Esel bekommen nur am Abend und am Morgen Futter, während des Tages habe ich sie nie fressen gesehen. Das Hungern scheint ihnen eine natürliche Angewöhnung zu sein, denn sie sind wohl genährt dabei.

Schon war die Gerste reif. Die Fellachen heimsten das Getreide ein; hochbeladene Kameele waren ihre Erntewagen. Die Erwachsenen schnitten die Halme und luden die trockenen Garben auf, Kinder leiteten die Kameele am Halfter nach den Siedlungen. Wir sahen, wie ein solches Ungethüm sich von einem Knaben lenken ließ, der höchstens drei Jahre sein konnte Und der Hemdenmatz hatte nicht einmal ein Hemd an.

Aus den Kleeäckern weideten braune Schafe und braune Ziegen, von braunen Menschen gehütet; Büffel trieben die Schöpfräder, welche bei jeder Umdrehung ächzen und wimmern, als wären sie gequälte Geschöpfe, die sich plagen müssen von früh bis spät, schon seit Jahrtausenden, und doch nie erlöst werden. Ueberall sind sie durch das Feld zerstreut, die Saaten und das Vieh zu tränken; kommt man ihnen näher, ist es, als erhöben sie ihre Klage mit lauterem Geschrei.

Nach etwa fünfzehn Minuten erreichten wir wieder den Damm eines Kanales, dessen Grund noch Wasser hielt. Wir durch das nasse Element hindurch. Loben muß ich die Esel, wie sorgsam sie die Stellen aussuchten, wo sie waten konnten. Als wir den letzten Damm glücklich hinter uns hatten, lag das Feld von Theben vor uns, wie ein weites von kahlen Höhen halbumrahmtes Wüstenthal, vor dem sich ein wenig grünes Fruchtland ausbreitet. Aus der Dürre erhoben sich rechts und links sandfarbige Ruinen; im Hintergrunde, wo der Feldsenrand ansteigt, haben Fellachen hin und wieder grauschwarze Schlammgehöfte angelegt; dicht dahinter, in den gelblichen Bergwänden, öffnen sich finstre, viereckige Thürlöcher, die Eingänge zu Grüften. Mitten in der weiten Landschaft, vorne an, in grünem Kleefeld sitzen zwei gelbrothe Riesen, und starren in die Morgensonne. Das sind die Memnonskolosse.

Die eine Statue soll früher beim Sonnenaufgang gesungen haben, ist jedoch längst Kassura, wie die Hotel-Spieluhr. »Glaube Sie daran?« fragte ich den Wienere Doktor. – »Es wäre möglich, daß der kalte Stein summt, wenn der erste wärmende Sonnenstrahl ihn traf,« meinte dieser. »Wenigstens berichten die alten Schriftsteller so.« – Als wir vor den Kolossen hielten, stieg ein Fellache auf eine der Statuen und amboste sie mit einem eisernen Hammer. »Ist ihm der alte Memnon noch nicht verruinirt genug?« – »Er will uns eine Vorstellung von dem einstigen Klingen des Steines geben.« – »Laß das Sonnenstrahlspielen man sind, Muffi,« rief ich. »Das Gekloppe ästimiren wir doch nicht für 'ne Arie, dazu sind wir von Niemann und Betz viel zu verwöhnt.« – Unser Leutnant winkte ihm mit der Nilpeitsche. Da gab er den Unfug auf, den er gewiß nicht aus sich selbst hat, sondern von solchen Halbforschern angestiftet, die Alles sofort zufriedenstellend heraushaben, aber hinterher von A bis Z falsch. Ob Lichthauch oder Hacke, das ist den Brüdern egal, wenn sie nur irgend was gehört haben.

Dies war unser Gespräch, als wir rechts nach den Ruinen ritten, nach den Trümmern des Ramesseums, welches ein Grabtempel war, den Ramses der Zweite erbauen ließ, und mit einer großen Bibliothek versah. Kaum begreiflich, daß hier einst bücherlesende Leute lebten. Wo blieben die Häuser, in denen sie wohnten, wo blieben die hundert Thore der Stadt Theben? Wo sie standen, sind jetzt Luft und Schutt. Nur die ungeheuren Steinbauten, die von Zeit und Menschen nicht gänzlich zertöppert werden konnten, stehen noch halbwege. Was aus Schlammziegeln, zumal aus ungebrannten, errichtet war, das ist wie weggeblasen.

Die große Bildsäule des Ramses liegt elend auf der Nase, entzwei und eingesandet. Der Zeigefinger der Hand mißt einen Meter. Das Ohr ist noch fünf Zentimeter länger. Solcher Statuen hatte Alt-Aegypten zahllose.

Im Ramesseum stürzten sich Araber auf uns, Grabfunde zu verkaufen. Der Eine hatte kleine blaue Götzen, der Andere Mumienleinwand, der Dritte ein Achat-Halsband, der Vierte blaue Perlengeflechte, der Fünfte, Sechste und Siebente Skarabäen. Die Tempelwächter, an einem nummerirten Blechstreifen um den rechten Arm kenntlich, schritten zwar mit langen Knitteln ein, aber das war für die Katze. Erst als unser Leutnant die Karbatsche hob, vermochte ich die Gnuffs mit dem Schirm von mir abzuhalten. Mein Karl mußte sich selbst mit dem Spazierstock vertheidigen, und konnte mir nicht beistehen. Nun wurde gehandelt. Anfangs waren sie unverschämt in ihren Forderungen, spannten aber billigere Saiten auf, als wir ihnen unentwegt gerade so viele Groschen boten, wie sie Franken verlangten. War ein Kauf abgeschlossen, die Waare empfangen, und das Geld gegeben, dann reute sie das Geschäft, und die großen Kerle fingen an zu weinen wie die Kinder. Die Eseltreiber aber waren auf unserer Seite und schrieen den Arabern zu, daß sie mehr als reichlich für ihren falschen Plunder bezahlt seien. Dann schlugen die Tempelwächter wieder dazwischen, Nilpeitsche und Schirm halfen nach. Meinen Gefühlen widerstrebte die Hauung auf Menschen, was blieb jedoch übrig, da das Drohen nichts ausrichtete? Ein Wilder, der sich so harmvoll anstellte, als sei er um seinen ganzen Unterhalt gebracht, schmierte heimlich Spucke auf die Backen, daß wir glauben sollten, es wären Thränen; ein krokodilhaftes Benehmen, das mich innerlich empörte. Der kleine Mustapha, der dies gleichfalls wahrgenommen hatte, bat den Leutnant um die Nilpeitsche, und fuhr auf den Wüsten-Pennbruder los, der vor dem Zeichen der Herrschaft ausriß wie Schafleder.

Er kehrte aber baldigst zurück, als sei nichts vorgefallen und verlangte Bakschisch. – »Mafisch« war die Antwort. »Mafisch« heißt nämlich, es giebt nichts. Ein sehr schönes Wort, in der Wüste aber unzureichend. Man giebt doch.

Unter Beihülfe des Leutnants erwarb ich etliche Skarabäen und einen blauen Götzen, in die Servante zu stellen. Mein Karl hatte eine Kindermumienhand für den Doktor gekauft, der ekelt sich nicht davor, und es sieht medizinisch aus.

Wem mochte die Hand angehört haben? Wohl gar einer kleinen Prinzessin? Oder dem Töchterchen eines Ministers? Oder war ihr Vater Frohnvogt, der die Geißel über den Vorvätern der Fellachen schwang, die heute das Mumienklein der ehemaligen Herrschaft an Fremde aus dem Abendlande verschachern? Als wir über das Todtenfeld von Theben ritten, lagen braune Gebeine genug auf dem Schutt. Hunde kauten daran. Mit den brennbaren harzigen Theilen kochen die Fellachenweiber die ärmlichen Speisen. Schrecklich ist mit dem Inhalt der Gräber gewirthschaftet, und doch birgt der Felsboden noch zahllose alte Aegypter. Vorsichtig weicht der Reitesel den Löchern aus, welche wie Brunnen tief hinabreichen, und die Schachte zu den unterirdischen, nach allen Seiten verzweigten, mit Mumien vollgestopften Gängen, bilden. Von diesen Todten und aus dem Schutt sammeln die jetzigen Anwohner Thebens die Antiquitäten, von deren Ertrag sie leben. Freilich ist der Handel verboten, aber so gewissenhaft wie Zwilchhammer sind die Araber nicht, und wenn die Männer des Gesetzes eine Razzia anstellen, werfen sie ihre Alterthümer in den Nil, die dann für alle Zeit verloren sind. Die unvermeidliche Jacke voll Prügel verschmerzen sie.

Wir waren durch den ungewohnten geschäftlichen Verkehr so aufgeregt, daß die in die Wände des Ramesseums gemeißelten Heldenthaten des Königs nur unaufmerksame Beschauer in uns fanden. Der Wiener Doktor las uns aus einem Buche vor, was dort alles geschildert sei, und die Araber, welche meinten, wie hielten eine religiöse Andacht, standen in ehrerbietiger Entfernung. Wir erfuhren, daß Ramses der Zweite an Macht und Ehren reich war, Länder eroberte, überall Siegesdenkmale errichtete, Künste und Wissenschaften in seinem Lande pflegte, dem die Früchte der Kriege zu Gute kamen. Solches erzählen die Räthselinschriften der Tempel, die er erbaute, dem Kundigen.

Wir kreuzten nun nach der südlichen Seite des Todtenfeldes hinüber, wo bei dem Dörflein Medinet-Habu Palast- und Tempelruinen aufs Neue Bewunderung abzwingen. Man glaubt, das Sehenswertheste in Augenschein genommen zu haben, und trotzdem hat die alte Zeit immer noch Ueberraschungen in der Hinterhand. Ja dies Theben ist ein Riesen-Museum, worin man, anstatt zu gehen, stundenlang umher reitet.

Die Mittagshitze hieß uns Schatten im Tempel aufsuchen, und die vom Hotel mitgegebene Zehrung diente zur Stärkung. Kleine Mädchen stellten sich mit Gullen ein, das darin enthaltene Nilwasser war kühl und eignete sich vortrefflich zum Mischen mit Wein. Eines der Mädchen war gnitterrabenschwarz. Unser Leutnant rief das kleine Geschöpf heran. »Ya Mojebint, O, Wassermädchen,« sagte er, »ta' ali hene, komm hierher.« – Schüchtern grinsend trat das Mohrenwesen näher. »Enti masriye?« fragte er, »bist Du Aegypterin?« – »La,« antwortete die Kleine, »ana Sudaniye. Nein, ich bin Sudanesin,« und kauderte eine ganze Menge. Leider war das Arabische unseres Leutnants nicht so weit gehend, um hieraus klug zu werden, er vermuthete aber, daß das Mädchen von Seelenverkäufern aus dem Sudan verschleppt sei. – »So jung, noch ein Kind,« sagte ich, »und der Heimath entrissen. Ta' ali nach Großmama Buchholz,« sagte ich, »heute sollst Du satt werden.« – Und nun nährten wir sie und das andere Mädchen mit kaltem Fleisch, Brot und Früchten. Wein verschmähten sie.

Zwilchhammer war natürlich nicht da, der wurachte in Karnak herum, sonst hätte er ein denkwürdiges Bild aufnehmen können: wie Mutter Buchholz und der Leutnant Fischer zwei kleine wilde Mädchen in dem Säulengange des Pharaonentempels nährten, während mein Karl und der Wiener Doktor und die Göttergestalten an den Wänden zusahen.

Den Rest des Frühstücks theilte der Leutnant in neun gleiche Theile, so viel Köpfe zählte unser Gefolge an Eseltreibern und Dienern, und ließ die gesammte Mannschaft in Reih und Glied treten, worauf Jedes das Seinige bekam. »Kattar cherack,« riefen sie, was so viel heißt als »Gott vermehre Dein Gut,« auf einfach deutsch »danke«.

Ganz im Sinne Mister Potts beschlossen wir, einen kleinen Keef zu halten. Jeder suchte sich ein Plätzchen, die Plaids wurden ausgebreitet, und bald umfing uns gelinder Tempelschlaf, obgleich die Fliegen ihn zu vereiteln redlich bemüht waren. –

Noch einmal durchwanderten wir die Ruinen, besuchten die Seitenräume, welche die Schatzkammern des Rhampsinit gewesen sein sollen, ärgerten uns über die Rohheit, mit der die herrlichen Säulen der zweiten Halle von Menschenhänden abgesägt und umgeworfen waren, und sandten einen Blick zu den Wohngemächern Pharaos hinauf, die sich in dem einen ziemlich erhaltenen, wenn auch gefährlich zu besteigenden Flügel des Palastes befinden. Man sagt, daß an den Wänden dort oben noch Gemälde sichtbar sind, welche Pharao, umgeben von seinen Frauen, darstellen, was den Leutnant mächtig anzog. Nur durch die Ermahnung, daß er mir versprochen, Waghalsigkeiten zu unterlassen, hielt ich ihn zurück. Alles eignet sich auch nicht für die Forschung, geschweige für junge Leutnants.

Als wir aufbrechen wollten, stellten sich uns Müllsachenhändler und Bettelgesindel in den Weg. Energisches »Ruch« und »Imschi«, sowie die Karbatsche schafften uns freie Bahn.

Ein kleiner Tempel wurde noch mitgenommen, und dann ging es bergauf, durch Fellachensiedlungen, den Gräbern zu. Wir mußten absteigen und klettern, denn die Pfade wurden für die Esel zu steil. Ueber Geröll und Gestein erreichten wir das erste Grab, das in die Wand hineingehauen, sich wie ein langer Gang in das Innere des Berges verlor. Die Nachmittagssonne schien hinein und beleuchtete die mit Malereien bedeckten Wände des Grabes, welche allmälig in das Dunkle hineinschwanden. Wir besahen die Bilder. Die alten Aegypter hatten eine eigene Weise im Zeichnen und Austuschen, wie die Japaner und Chinesen noch heut zu Tag ihre Kunst nach hergebrachten Regeln ausführen, so daß man sich erst daran gewöhnen muß, um den Sinn zu verstehen. Bald erkennt man jedoch, was dies sein soll und Jenes, und da die Lieblingsbeschäftigungen des Verstorbenen auf den weißen Wänden des Grabes dargestellt wurden, so wie seine Besitzthümer an Heerden, Gärten, Korn, Wein, Waffen, Hausgeräth und Kostbarkeiten, sind die Gräber die bilderreiche Beschreibung uralter Vergangenheit. Nun kamen uns die dem Proviant beigegebenen Stearinkerzen zu Statten. Wie einst die Bilder bei Lampenschein gemalt wurden, betrachteten wir sie in dem unsicheren Lichte der an Stäben befestigten Kerzen, welche die Diener trugen; damit sie uns nicht von oben bis unten bedrippten, nahmen wir die Beleuchtung selbst in die Hand.

An zwei Gräbern hatte ich für meine Person Genüge; Es war zu warm in dem Inneren des Berges, und es roch zu abscheulich nach den Fledermäusen, die darin nisten und das ganze Lokal verstänkern, so daß undurchbohrte Nasen wünschenswerth sind. Mir war die freie Luft zusagender und der Blick nach Luqsor und Karnak hinüber und auf das ferne Gebirge der arabischen Wüste. Auf einem Stein, im Schatten eines Felsvorsprunges sitzend, erwartete ich die Rückkehr der Uebrigen, die wie Bienen von einem Grabe in das andere krochen. Zu meinen Füßen senkte sich das Todtenfeld abwärts bis an die Tempeltrümmer und die Memnonssäulen. Hin und wieder rastete ein Geier auf den Schutthügeln, als hätte sich ein braungrauer Beduine hingekauert.

Kein Luftzug regte sich. Heißer Sonnenschein brütete auf der Erde und darüber wölbte sich dunkelblau der Himmel. Kein rauher Laut störte die einsame Stille, nur ein leises Klingen drang herauf, fast wie das Läuten verhallender Glocken. Es war der Chor der Schöpfräder, dessen klagender Sang gedämpft aus der Ebene herweinte.

Der Leutnant kam und setzte sich zu mir. »Schön, was?« fragte er. – »Wohl ist dieser Anblick eigenartig schön,« entgegnete ich, »aber mir will das Herz dabei nicht aufgehen. Es ist Alles so kirchhofsfeierlich. Ich könnte hier nicht frohlocken, wie im grünen Buchenwald um die Pfingstzeit daheim, selbst wenn ich wieder jung wäre.«

»Ich habe die ewigen Palmen längst dick,« sagte er. »Was sieht man hier? Wüste oder Nutzgewächse. Wo sind die Feldblumen, die bei uns an jedem Wege blühen? Ich botanisire gern, aber die Fluren sind pflanzenarm. Haben Sie in den Fellachendörfern je etwas gefunden, das einem Blumenbeete glich?« – »Nein.« – »Aber die alten Aegypter hatten Gärten, in den Gräbern sind sie abgemalt.« – »Vielleicht nur die Reichen. Die Armen werden froh gewesen sein, von einem Tage zum andern zu krebsen. Ich habe so da Gefühl, als wären die jetzigen Verhältnisse nicht viel anders, wie vor Tausenden von Jahren. Die Erde und die Sonne sind ja dieselben geblieben.«

Die Gräber waren beaugenscheinigt, und der Rückweg mußte angetreten werden. Mit den Abendschatten kamen wir in Luqsor an. Zwilchhammer war mit seiner Ausbeute in Karnak zufrieden und hatte für den nächsten Tag Theben vor. Wir wollten programmmäßig das Thal der Königsgrüfte besuchen, von denen er sich, von seinem Standpunkt aus, weniger versprach. –

Das in den Hauptgerichten Hammel und Huhn bietende Mahl wurde von dem melodischen Gezirpe der geölten Spieluhr begleitet. Uns war behaglich zu Muthe nach den Strapazen. Da meldete der Kellner, daß Herr Mochareb draußen auf der Terrasse sei. »Wohl wegen der Fantasia,« sagte ich, und da ich der Thür zunächst saß, ging ich, ihn hereinzuholen. »Sehr freundlich, daß Sie gekommen sind,« begrüßte ich ihn. »Bitte, treten Sie näher.« – Er aber zögerte.

»Es sind Nachrichten aus Berlin eingetroffen,« sagte er mit gedrückter Stimme. »Traurige Nachrichten.«

»Aus San Remo?« fragte ich bestürzt. »Ist der Kronprinz kränker geworden?«

»Nein,« erwiderte er, »aus Berlin. Heute Morgen ist der Kaiser gestorben.«

Ich war sprachlos. Das konnte nicht sein. Ein Mißverständniß mußte vorliegen. Kein Wort hatten wir erfahren, daß der Kaiser leidend gewesen. So plötzlich. Es war nicht denkbar. Ich rang nach Athem. »Sie müssen sich irren.« sagte ich.

»Vor einer Stunde erhielt ich die Depesche vom Grafen Arco aus Kairo, Ihnen die Nachricht mitzutheilen. Der Kaiser Wilhelm ist sanft entschlafen.«

Ich faßte ihn bei der Hand und zog ihn in den Saal. »Unser Kaiser! Unser Kaiser – –!« Mehr vermochte ich nicht herauszubringen.

Wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel traf dieser Schlag. Stumme Trauer bemächtigte sich Aller. Die beiden Engländer standen auf und boten uns mit theilnehmendem Händedruck »Gute Nacht«. – Auch Herr Mochareb ging.

So waren wir Deutsche allein mit unserem Schmerz.

Mir brannte der Boden unter den Füßen. »Ich will nach Berlin, ich halte es hier nicht aus.«

»Erst in zwei Tagen holt das Schiff uns ab,« sagte mein Karl besonnen.»Wir können nicht fort.«

Nicht fort! Abgeschnitten von der Welt, waren wir wie auf eine Insel im Meere. O ihr Wandervögel, warum haben wir nicht eure Flügel, daß wir dahin ziehen, wohin die Seele in banger Sehnsucht verlangt? Uns ist ein Vater gestorben und wir können nicht zu seiner Bahre.

Mit Ernst und schwerer Sorge erwogen mein Karl und der Wiener Doktor die kommende Zeit. Würden die drohenden Nachbarn jetzt daher stürmen, uns mit Krieg zu überziehen, im blöden Wahne, der kranke Kaiser Friedrich sei ihnen nicht gewachsen? Zog sich das Wetter zusammen über das Vaterland, dem der Friede so lange hold gewesen? Niemand gab Antwort. Reden gingen von Mund zu Munde, es waren aber nur Meinungen ohne Bürgschaften. Und so wurde es spät.

Der Leutnant war hinausgegangen auf die Terrasse. Die Sterne leuchteten und glühten am Himmel und spiegelten ihre Pracht im Nil. Er aber saß und barg das Antlitz in den Händen. »Kommen Sie,« sagte ich, »auch Sie bedürfen der Ruhe.« – »Er war mein Kriegsherr, ich hatte ihn lieb,« sprach er bewegt.

»Ich hatte ihn lieb,« – so brach es an diesem Trauertage aus jedem deutschen Herzen hervor. Baue Du Denkmale, unvergänglicher als die Steinkolosse des hundertthorigen Theben, treue Liebe.

Der nächste Morgen begann trübe. Schwer war die Luft, und Wolken verbargen die Sonne. Als wir den weißen Sand des gegenüberliegenden Ufers betraten, fielen einige Tropfen, eine seltene Erscheinung, die den Arabern Ausrufe der Bewunderung entlockten, weil oft Jahre vergehen, ehe es ein einzig Mal in diesen Gegenden regnet. Der Wiener Doktor hatte den Herodot bei sich und las vor, wie dieser alte Grieche schrieb, »daß es unter König Psamnit in dem ägyptischen Theben regnete, welches niemals vordem noch nach jener Zeit wieder geschehen sei, wie die Thebaner ihm selbst sagten. Denn in Oberägypten regnet es überhaupt nicht; damals aber wurde Theben wirklich tropfenweise beregnet.« Uns war der trauernde Tag ein Freund. Zwischen dem Gestern und Heute hatte sich ein Schleier niedergesenkt, der die frohen Stunden deckte.

Wir nahmen denselben Weg, durchzogen die Dämme und Kanäle, die Aecker und die Wüstenei, und ritten dann rechts auf den Tempel von Qurna zu, der in einer graden Linie mit dem jenseitigen Tempel von Karnak liegt. Von da bogen wir in das Thal der Königsgräber ein. Hier umgab uns die Trostlosigkeit der Einöde. Durch Felswände windet sich die Kluft, kein Halm, kein Kraut entsprießt dem braungelben Gestein, nicht einmal eine Fliege summt durch die Luft. Furchtbare Blöcke sind von oben herabgestürzt, über Geröll geht der steinige Pfad, kaum gangbar für die beinigen Esel. Hier wohnt die Verlassenheit.

Nach endlos scheinendem Ritt machten wir bei deinem Königsgrabe Halt. Es war die Gruft Seti des Ersten. Wie in ein Bergwerk ging es hinab, erst auf einer Treppe von etwa fünfzig trümmerbesäten Stufen, und dann auf schrägem Boden allmälig über sechzig Meter tief hinein. Die Kerzen wurden angezündet und die Bilder der Wände betrachtend, stolperten wir langsam weiter durch Gänge, Thore und gedrückte Hallen bis an die große Kammer und den Ort, wo der Königssarkophag gestanden hatte. Der Leutnant brannte Magnesiumdraht an. Grell beleuchtete die blendende Helle Götter- und Menschenfiguren, die gespenstig an der Decke schwebten und wie unwillig von den Wänden blickten, als seien sie aus dem Schlafe gestört. Das Licht erlosch, die Finsterniß schlich wieder aus den Ecken daher und das Grauen der Vergangenheit war bei uns. Ich hielt mich immer dichte an den Leutnant. Eine ganze Reihe von Erbbegräbnissen der alten Könige birgt das Thal. Merkwürdigerweise fand man bei ihrer Eröffnung die Steinsärge leer. Waren die Mumien geraubt? Wohin hatte man die alten Pharaonen gebracht, die, hier bestattet, der wiederkehrenden Seele entgegenschliefen? Hatten die Araber die Grabesausstattung gestohlen und die Gebeine auf den Markt gebracht? War solche Erniedrigung das Loos der Pharaonen?

Nein. Die Priester selbst hatten die Mumien der Könige und Ersten des Reiches heimlich den Gräbern entnommen und in sicheren, nur ihnen bekannten Schlupfwinkeln verborgen, damit die ehrwürdigen Leichname nicht in die entweihenden Hände der Eroberer fielen. Frömmigkeit und Treue hatten sie umgebettet.

Aber die gewinnsüchtigen Araber der Neuzeit stöberten die Stätten auf und verkauften Skarabäen, Papyrusrollen und glaubwürdige Gegenstände, an denen erkannt wurde, daß die Königsmumien noch vorhanden sein mußten. Geld und Nilpeitsche brachten die Leichenräuber zum Geständniß, und auf diesem in Aegypten nicht ungewöhnlichen Wege wurden die mit der größten Verschmitztheit verheimlichten Pharaonenverstecke entdeckt. Nun sind die Mumien im Museum zu Bulak untergebracht und ziehen später nach Schloß Giseh um.

Wir gingen mehrere Gräber durch. Sie gleichen sich alle ziemlich und sind mehr für Forscher als für gewöhnliche Sterbliche. Auch waren wir nicht ganz bei der Sache; unsere Gedanken schweiften weit über Aegypten hinaus, dorthin, wo am Abend der Nordstern die Richtung nach der Heimath wies.

Als wir das letzte Grab verlassen hatten, kam der Schech der Araber, welche die Gräber als ihre Bakschischdomäne betrachten, auf uns zu, grüßte und fragte durch Mocharebs Diener, der etwas zu dolmetschen verstand: ob es wahr sei, daß der gewaltige König von Alemannia gestorben? – »Ja, Schech, so ist es. Woher aber hat Du die Kunde?« – »Das Leid um ihn geht durch das Land,« antwortete er, »wie der Ruhm seiner Werke, da er noch lebte.« – Seit wann wohl die braunen Männer etwas von Alemannia wußten? Ob es sie kümmerte, als es noch mit sich selbst zerfallen, fragte: Was ist des Deutschen Vaterland? Schwerlich. Aber als der Held die Helden zum Siege führte, als es in mächtiger Einheit erstand, und seine Stimme im Rathe der Völker den Ausschlag gab, da lernten auch diese Anwohner der Wüste Alemannia in bewundernder Schätzung kennen.

Der Schech wollte von uns Auskunft haben, die wir selber so auskunftsbedürftig waren. Wie sah es in Deutschland aus, in Berlin? Was hatten die letzten Tage gebracht, die für uns Zukunft waren, weil wir erst noch erfahren würden, was sich ereignet haben konnte? Ohne Verbindung mit dem lebenden Menschenstrom ist man so gut wie eine Mumie, die auch von Nichts weiß. »Wollen wir nicht lieber nach Luqsor aufbrechen? Es wäre ja möglich, daß Depeschen angekommen sind.« – Der Antrag fand einstimmige Annahme.

Die kleinen Moje-Mädchen waren wieder da. Unermüdlich liefen sie neben her, den Wasserkrug auf dem Kopfe, barfuß über das kantige Steingeröll, ohne daß sie solche runde Metallplatten unter dem Huf hatten wie die Esel, denen es sauer genug war, nicht zu straucheln.

Wir bebakschischten sie reichlich. In Anerkennung dessen ruhte das eine der Mädchen nicht eher, als bis wir den lieben Ihrigen vorgestellt wurden, die nicht weit von dem Ausgange des Todtenthales seßhaft waren. Die schwarzblau eingemummte Mutter und die sieben übrigen Geschwister begrüßten uns mit ausgestreckten Händen, an welcher liebenswürdigen Ermahnung zum Geben unsere kleinen Wasserträgerinnen sich sofort betheiligten. Sie krächzten nach Bakschisch wie die jungen Sperber in der Palme nach Futter. Diese dankbare Familie wohnte in einem total ausgeschliemannten Grabe, mit dem Hunde, der Ziege, einigen Tauben und Hühnern und den unvermeidlichen Fledermäusen. Unter das gastliche Dach treten und wieder an die Luft fliehen waren zwei Schritte. Dies war der tödtlichste Muff meines Lebens, denn weder Menschen noch Thiere machten sich gegenseitig Vorwürfe über häusliche Unreinlichkeit. Der Vater war abwesend, wahrscheinlich schwindelte er den Fremden, die beim Ramesseum hielten, Antiken auf. »Kinder,« rief ich, »Theben wird mir über.«

Als wir nach Luqsor zurückkehrten, ward uns klar warum der Schech der Araber gefragt hatte. Auf dem Hause unseres Konsularagenten wehte die schwarz-weiß-rothe Flagge halbstock. –

Der letzte Tag unseres Aufenthaltes war angebrochen, und als wenn der bewölkte Tag nachgeholt werden sollte, sengte die Sonne bereits am Morgen mit vermehrter Gluth, so daß sich Nichts unternehmen ließ. Herr Mochareb brachte uns das Fremdenbuch, das zu durchblättern uns höchst anregend war; einstimmig ward darin der Umsicht und Zuvorkommenheit des alten Herrn gedacht und wir schlossen uns dem Lobe an, das wir auf den Sohn ausdehnten, der die Sitten des Vaterhauses redlich bewahrt.

Am Nachmittage ritten wir noch einmal nach Karnak. Mustapha war selig, daß ich den ›Telegraph‹ wieder genommen. Schade, daß die jungen Wilden sich nachher auswachsen und das Niedliche und Zuthuliche verlieren, aber anderwärts schichtet das kindlich Seraphhafte auch häufig ins Flegelhafte um.

Der Karnak-Tempel ist der größte und schönste der dortigen Gegend, und wenn der Leutnant von weiter hinauf her noch mehr großartige Ruinen kannte, befriedigte uns das Gehabte vollkommen. Das tagelange Verweilen in den Trümmern und das Betrachten der Bilder in den Gräbern wirkte so eigenartig, daß man sich wahrhaftig wie in der alten Welt befand. Oft glichen die Fellachen den tausendjährig abgemalten Figuren derart täuschend in der Gesichtsbildung, als wären sie richtige alte Aegypter. So wie in den Gräbern dargestellt, warfen sie das Getreide mit den Händen aus der gefüllten Schürze gegen den Wind, die Spreu vom Korn zu scheiden, so pflügten sie, so trieben sie ihre Heerden, so geberdeten sie sich überhaupt.

Wir trennten uns schwer von den majestätischen Hallen, die unsere Augen wohl nicht wieder sehen, aber es mußte sein, denn schon färbte sich der Abendhimmel. Noch einen Blick warfen wir zurück. Da stand der Riesentempel in der öden Ebene, der verwitternde Zeuge eines großen Vergangenheit. Das Licht der untergehenden Sonne überzog die Quadermauern mit lieblichem Scheine, daß sie zart und luftig, wie aus Rosenblättern gehaucht, sich von der grauen, dunklen Ferne abhoben. Dann erblaßte das Bild und schwand dahin.

War das alte Aegypten nur eine Täuschung der Sinne gewesen, oder war es wirklich vorhanden? Man kam schließlich ganz durcheinander.

Der Postdampfer lag bereits am Ufer von Luqsor. Die Sachen wurden gepackt. Noch einmal durfte die Spieluhr ihre Melodienmischungen zum Besten geben, und um Zehn gingen wir an Bord. Vom Oberdeck zeigte der Leutnant uns das Kreuz des Südens, das unten am Himmel, am Ende der Milchstraße, stand. Wunderbare, stille Nacht lag über dem Nil und der Todtenstadt Theben. Der Maschinist heizte; in zwei Stunden ging es fort.

 

 


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