Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Auf dem Mittelmeer.

Trennung von Europa. – Entdeckungsreisen auf dem Schiffe. – Waterbury-Uhr und Volapük. – Eintheilung der Menschheit. – Von englischen Gebräuchen. – Die Goetheforschung und Meyerbeer. – Es wird Sommer.

Wir waren rechtzeitig aus den Matratzen gekrochen, um den Abgang des Schiffes mit sehenden Augen zu erleben, weil eine Trennung von dem Mutterlande Europa zu solchen Seltenheiten gehört, derenwegen man in die Weite kilometert, aber lohnend war dieses Unternehmen nicht besonders. Trüben Himmel und feuchtkalten Wind haben wir in der Umgebung von Berlin auch, ohne ihnen zu Gefallen vor die Thür zu gehen, und das frischgewaschene nasse Deck bot ebenfalls keine Erheiterung. Ich wartete zur Entschädigung auf die innere Stimmung, die den Menschen bei solchen Gelegenheiten überwältigt, wobei dem Reisenden zu Papier bringbare Gedanken einfallen, allein als der Anker hochgenommen wurde, die Dampfpfeife heulte und die Schraube im Wasser paddelte, stellte sich nur die Auffassung ein: jetzt gondeln wir los.

Langsam verließ der »Gwalior« um acht Uhr Morgens den Hafen. Die Stadt nebelte mehr und mehr ein, je weiter wir in See gelangten. Hinter dem trüben Luftvorhang lag der weiße Winter, der uns bis Ankona hinunter begleitet hatte, bei Brindisi jedoch nur noch auf den Höhen der Ferne sichtbar blieb. So strenge und rauh war der Winter im Lande Italien seit langem Gedenken nicht gewesen; in Bologna wurde uns erzählt, es gäbe nicht genug alte Leute, sich des massenhaften Schnees zu erinnern.

Allmälig erschienen behutsam in dicke Überzieher und Plaids gehüllte Passagiere und begannen einen sowohl erwärmenden wie Appetit befördernden Spaziergang. Wir schlossen uns an und rannten ebenfalls auf und ab, vom Steuer bis zur Spitze des Schiffes und wieder retour, wobei wir verschiedene Entdeckungen machten. Zunächst fiel mir die große Küche auf, in der ein Koch und zwei Gehülfen behende an der Arbeit waren, Braten zu spicken, Gemüse zu putzen, Teig anzurühren und so weiter. Der Eindruck war ein reinlicher. Rechts davon hatten eine Menge Hammel, Hühner, Puten und Tauben ihre Gitterkäfige, jede Gattung für sich, reichlich mit Futter und Trinkwasser versorgt. Am äußersten Ende war der Stall für die Milchkuh; ein braves, dunkelbraunes Thier, das großen Gefallen am Köpfchenkraulen fand. Die Kuh dauerte mich, weil sie von Natur aus doch nicht zum Seefahren geschaffen ist und ohne ihren Willen mit muß. Die Matrosen, deren Logis vorne im Schiffe liegt, mochten ähnliches denken; sobald einer von ihnen vorbeikam, streichelte er das treue Geschöpf. Ferner war ein Zelt auf dem Vorderdeck mit geheimnißvoll verhängtem Eingange, das meine Wißbegierde reizte, denn je mehr der Mensch sieht, um so bedeutender werden seine Kenntnisse. Aus Büchern lernt man immer nur die Hälfte.

Wie ich nun die Leinwand nachsehenshalber lüpfen will, sticht plötzlich ein ausländisches Menschenkind sein kaffeefarbenes Angesicht durch und funkelt mich mit pechschwarzen Augen und Zähnegefletsch an, worauf es wieder zurückzuppt. Ich nicht schlecht erschrocken – »Karl,« warnte ich, »geh nicht zu dicht heran, in diesem Wigwam sind Wilde. Und kein Schutzmann dabei!«

Angenehmes Klingeln zum ersten Frühstück beschleunigte unsere Entfernung von dem gefährlichen Zelt. Man kann ja nie wissen, was Wilde im Sinne haben, die am liebsten kaufen, wenn Niemand im Laden ist. – »Hast Du Deine Uhr noch?« fragte ich. Mein Karl zog sie heraus und zeigte sie mir. Richtig, er hatte sie noch. –»Geht sie auch?« – Er hielt sie ans Ohr und nickte. – Gottlob, sie ging wie andere befähigte Stundengläser.

Um Taschendiebereien vorzubeugen, hatte mein Mann nämlich seine gute Goldene zu Hause sicher verschlossen und auf meinen Rath eine von den kürzlichen Waterbury-Uhren für zehn Mark erworben, weil doch, wenn so eine stibitzt wird, man im Vergleich zu einem werthvollen Chronometer mit Kette eine Vortheil von mindestens zweihundertzwanzig bis dreißig Mark hat. Außerdem sind die Langfinger insofern bestraft, als die Waterbury-Uhren von einem gewöhnlichen Uhrmacher nicht reparirt werden können, sondern, sobald sie gestört gehen, mit der Post an die Hauptniederlage zu senden sind. Der Aerger, wenn der Spitzbube nach und nach einsieht, wie er hineingefallen ist! Und wie viel Spaß macht solche Uhr gerade auf Schiffen, wo es so viel unausfüllbare Zeit giebt. Zwei Minuten dauert es, wehe sie aufgewunden ist, und will man sie stellen, muß man das Glas abnehmen und jeden Zeiger einzeln ruckeln. Und wie großartig die Verhältnisse sind. In dem Büchelchen, das jeder Uhr wegen der Neuheit der Behandlung beigegeben wird, steht zu lesen, daß die Fabrik in der Minute zwei und eine halbe Uhr fertig bringt; also ehe mein Karl seine völlig aufgezogen hat, fallen drüben in Amerika zwei Stück aus dem Nest. Man weiß wirklich nicht, ob man den erfinderischen menschlichen Geist mehr bewundern soll, oder die enorme Schnelligkeit. Was ist Waffelbacken dagegen?

Wir gingen ebenso wie die Andern – auf Reisen eignet man sich die Landesgebräuche durch Abschulen von seinen Nebenmenschen an – gemächlich in den Salon hinab, nahmen ebenso an der gedeckten Tafel Platz, ließen uns dito Thee einschenken, dito Eierspeise reihen, dito gebratenen Speck und noch mehr solche Ditos, wie die Engländer beim ersten Frühstück gewohnt sind, weil sie sagen, ohne reelle Grundlage ist der Europäer zum Arbeiten nicht kraftvoll genug. Eine gewisse Wahrheit liegt am Ende darin. Wer gleich mit Fleischernem anfängt, kann mehr Schneidigkeit im Morgengeschäft entfalten, als Jemand, der bis Zehne bloß an die belegten Stullen in der Rocktasche denken darf.

Lange nöthigen ließen wir uns nicht. Wozu denn auch Umstände machen, da Alles pränumerando im Voraus bezahlt war, bis auf Tischweine und sinnverwandte Getränke, die, außerhalb des Fahrbillets stehend, in Sonderzahlung, wie es jetzt heißt, berichtigt werden, oder sie die alten Deutschen sagten: extra.

Es waren über sechzig Frühstücktisch-Genossen beisammen, Damen und Herren. Obenan saß der Kapitän, die übrigen Schiffsoffiziere, der Arzt und die Marine-Stifte waren dem Range nach vertheilt und machten in ihrer dunklen Uniform und der blitzsauberen Wäsche mit den polirten und vergoldeten Holzwänden der großen Kajüte ein sog. harmonisches Gesammtbild. Hätte die Schraube nicht All und Jedes in eine Art von Tatterich versetzt, würde man nicht anders geglaubt haben als in eine gräflichen Hause zu speisen, in welchem der Baumeister auf dieselbe Höhe statt vier Etagen sieben herausgekriegt hätte, weil die Decke nur niedrig war.

Als wir gefrühstückt, oder wie die Engländer es nennen, »gebreckfestet« hatten, gingen wir wieder hinauf auf Deck. Das Wetter war schön geworden; möglicherweise waren wir auch in das schöne Wetter hineingesegelt, denn die Erfahrung habe ich gemacht: die Witterung ist unegal und überzieht den Erdball fleckenweise. Rechts war in der Ferne italienisches Gebirgsland zu sehen, links tauchte ebenfalls etwas Inselartiges am Horizont auf, aber Namen standen nicht wie auf der Landkarte beigeschrieben. Wen nun fragen?

Nach meiner Ansicht bot sich hier die beste Gelegenheit zur Anwendung von Volapük. In der Welt waren wir, Leute von allerlei Weltgegenden hatten sich zusammengefunden: also Umstände wie für die Weltsprache geschaffen. Ich daher an einen von den Seeoffizieren heran und, auf ein sichtbar werdendes Eiland deutend, gefragt: »Kis binom et?« – Der Mann sieht mich eine ganze Weile an, schüttelt den Kopf und geht weiter.

»Was für Zungen redest Du da, Wilhelmine?« fragte mein Karl. – »Volapük.« – »Unsinn!« – »Karl, wie kannst Du eine Weltsprache Unsinn nennen? Aus allen Mundarten der Völker hat ihr Erfinder die Wurzeln genommen.« – »Und einen Salat darauf gemacht?« – »Karl!« – »Beruhige Dich. Volapük ist meiner Ansicht nach dasselbe für Erwachsene, was die Räubersprache für Kinder, ein Kauderwelsch auf gegenseitiges Uebereinkommen. Wie kamst Du zu der unglückseligen Idee, Dich damit zu befassen?«

»Onkel Fritz – –«

»Ja, wenn Du den zum Justizrath nimmst! Hat er Dir vielleicht noch mehr solche praktische Winke aufgehängt?«

»Er sagte, dies wäre das Neueste.« – »Das Neue ist nicht immer das Beste.« – »Karl, sei gut, viel habe ich auch nicht davon behalten.«

Bei dem Auf- und Abwandern hatte mein Karl gezählt, daß das Schiff hundertzweiundneunzig Schritte lang war. Ein ziemliches Ende. Auch die Wilden waren aus ihrem Zelt in den warmen Sonnenschein gekrochen und saßen rauchend und mit innerem Gedankengange beschäftigt auf Tauwerk herum, oder wo sie sonst Platz fanden. Wir besahen sie uns näher. Der Kopf von Frühmorgens schien der Intelligenteste, nur mit dem großen, ehemals weiß gewesenen Turban konnte ich mich nicht befreunden, der schrie förmlich nach Seife.

»Halt,« dachte ich, »der wird angevolapükt. Giebt er Hals, steh ich im Triumphesglanze da.« Es war aber nichts mit dem Glanze. Der Braune lächelte mich mitleidig an und gnurrte: »parla indra?« – »Ob so wie ich Indisch kann? Nee, Mann, das ist bei uns doch nicht Mode, fragen Sie mal einige Menschenalter später an, möglich, daß es dann auf dem Stundenplan steht.« – Die Arroganz, mir Indisch zuzumuthen, und die Unkenntniß des Volapük hatten mich verdrossen. Es ist auch zu ärgerlich, etwas Umsonst gelernt zu haben, blos damit Onkel Fritz seinen Ulk hat.

Der braune Mann lächelte wiederum freundlich, ging in das Zelt und holte einen Mousselinshawl, aus welchem er verschiedene Papiere hervorwickelte, die er uns zutraulich zum Durchlesen darbot. Es waren, so viel mein Karl erkannte, englische Zeugnisse und Urkunden, aus denen hervorging, daß der Braune von Geburt ein Inder sei, der auf englischen Universitäten studirt und sein medizinisches Examen abgelegt hatte. Er hieß Dr. Buxe und war richtiger, geprüfter Augenarzt, der in seine Heimath zurückkehrte, also ganz ähnlich wie mein Schwiegersohn, nur daß der weiß in den Gesichtszügen ist und keine schmutzige Turbane trägt.

»Das fängt hübsch an,« sagte ich zu meinem Karl. »Was man für kannibalische Wilde hält, sind hinterher studirte Augenärzte. Ich fürchte, es kommt Manches entgegengesetzt, wie man sich im Voraus ausmalte. Trotzdem wollen wir es wie die Engländer machen, uns in die Sonne setzen und in den Reisehandbüchern fleißig sein.« – Mein Karl gab mir den Bädeker zur Vorbereitung auf Alexandrien und meinte: »Minchen, wenn Du Dir das Arabische darin ein bischen zu Gemüthe ziehen wolltest, das würde später von Nutzen sein. Lerne die Zahlen auswendig, ich höre sie Dir nachher über.« Ich nickte ihm lächelnd zu. Es war zu komisch, auf meine alten Tage Schulmädchen zu spielen. Und doch wie sonderbar. Mir ward beklommen, als wäre ich wieder ein Kind und fürchtete mich, meinen Lex nicht ordentlich zu können, und mit der Schulangst kamen vergangene Zeiten. Wo war ich in diesem Augenblick? In Berlin Morgens in grauer Dämmerung mit dem Lehrbuche am Fenster, die leichtsinnig verspielten Abendstunden in den letzten Minuten einzuholen, oder fern ab von Heimath und Jugend auf dem Meere, das zwei Erdtheile trennt? Ich war an beiden Stellen zugleich, denn auch die Wirklichkeit war zum Traum geworden. Das blaue Meer, der klare Himmel, die fremdartige Umgebung erschienen mir Einbildung. Dies seltsame Gefühl kam und ging wie der Schlag des Pulses. Nochmals nickte ich meinem Karl zu und setzte mich hin, meine Fähigkeit an das arabische Einmaleins zu gewöhnen. Das Schiff strebte vorwärts und die Matrosen kletterten in den Mast, das große Segel auszuspannen, denn der Wind ward flügge.

Um ein Uhr läutete es zum zweiten Frühstück oder, wie es in der Schiffssprache heißt, zum Lönsch, was sie Luncheon schreiben. Die Orthographie hat bei Eßsachen jedoch nur Nebenbedeutung, auf die Zubereitung kommt es an, und die mußte man loben. Beinahe so gut wie im Hotel Brun in Bologna. Wie spendirten uns eine Flasche Ale zu den kalten und warmen Speisen und kamen in sehr angenehmer Stimmung wieder auf Deck. Ein Frühstück ist in der That etwas Belebendes. Wir gingen unsern Spaziergang, sprachen bei der Kuh vor, betrachteten die Hammel und das Geflügel, sahen auf die Wellen, die vorn am Bug hoch-schäumend emporspritzten, und wußten kaum, was wir mit dem angebrochenen Nachmittag anfangen sollten. Lesen, Lernen, Kuhvisiten machen ist ja alles recht schön, nur nicht auf die Dauer. Das Dumme war, daß man mit den anderen Menschen kein Wort austauschen konnte. Der indische Augenarzt sprach englisch, wie viel Erstaunliches hätte er sonst von den bengalischen Zuständen erzählen können, und wie ihm Europa gefallen. Dann waren noch zwei alte grauhäuptige Inder da, zwei richtige Muffis, aber ein Stündeken zu verklönen durch und durch ungeeignet. – An Skat war natürlich nicht zu denken.

Da sagte mein Karl: »Wie wäre es, wenn Du Dir die Augen ein Bischen wärmtest? Du bist gestern spät in die Baba gekommen. Hattest Du so viel zu schreiben?« – »Meine Tagebuchnotizen,« stammerte ich, – – »wie hieß nur noch die Haltestelle, wo der Bahnwirth für ein knappes halbes Viertelpfund Schweizerkäse drei Franken forderte? Ich habe mich besonnen und besonnen . . . War es nicht Foggia?« – »Dort irgendwo in der Nähe. Laß ihn laufen. Wer die Landtour nach Brindisi zum zweiten Male nicht wieder macht, das ist Karl Buchholz.« – »Ich schließe mich an!« rief ich.

In unserer eigentlich für Vier bestimmten Kabine war es räumlich genug zur Bethätigung des Ordnungssinnes, indem wir die unbesetzten Betten als Hinlegestätten für Gepäck und Kleinigkeiten benutzten. Die Betten selbst sind nur schmal und dürften, namentlich was die Kopfkissen anbelangt, etwas weicher sein, lassen jedoch an hochgradiger Sauberkeit nichts zu wünschen übrig. Ich nahm mir nun vor, der Behältlichkeit wegen, die Menschen zoologisch einzutheilen, und zwar in Weiße, wozu wir gehören, und in Wilde, worin Alle begriffen werden, die von der üblichen gesellschaftlichen Couleur abweichen. Je schwärzer, je wilder. Solche, die man verbrauchen muß, wie sie einmal nicht anders sind, das sind Muffis, und solche, die Aergerniß verbreiten, das sind Gnuffs, sowohl Weiße wie Wilde. Auf diese Weise kann Großmama später den Enkeln ihre Reiseerlebnisse verständlich machen, ohne die zarte Fassungskraft der Kleinen mit neunundneunzigerlei Völkernamen zu überbürden. Auch darf man der Universität nicht vorgreifen.

Wie sanft das Schiff schaukelte. »Wiegenkind, Wiegenkind,« mußte ich in einemfort denken und darüber schlief ich ein.

Das Erwachen war jedoch nicht von gleicher Milde, sondern schon mehr ein Hin- und Hergewerfe. »Scheitern wir?« rief ich meinem Karl entgegen, der gerade eintrat, um nachzusehen, ob ich noch auf dem Bett läge oder schon darunter. – »Die See ist unruhig geworden und eine frische Brise weht,« antwortete er. – »Das nennst Du Brise, wie sieht dann Sturm aus?« – »O,« sagte er, »dann würdest Du als Gummiball von einer Ecke in die andere fliegen.« – »Karl, wie kommst Du mitten in den Gefahren zu einer so scherzigen Stimmung?« – Er half mir liebevoll beim Aufstehen und bekannte, die Langeweile auf Deck durch einigen Cognac unterbrochen zu haben. »Die Seeluft verlangt Stärkung,« entschuldigte er sich, »und außerdem giebt es vorzüglichen Meukow an Bord.« – »Gewöhne Dir die Schiffgebräuche nur nicht für immer an,« mahnte ich; »im Uebrigen: was der Mensch braucht, muß er haben!«

Es war mühselig, das Deck zu gewinnen. Obgleich seitwärts in den schmalen Gängen Leitstangen zum Festhalten angebracht waren, hätte es Unbetheiligten scheinen können, als kämen wir von einem Zechgelage, so schwankten und wanken wir, und so nahe waren wir dem Umfallen. – Nur mit großer Schwierigkeit vermochten wir der Kuh und den Hammeln unsern Besuch abzustatten. Unter den weiblichen Passagieren hatte die Seekrankheit gewaltig aufgeräumt. Immer wieder kamen die Stewardessinnen und geleiteten Schwachgewordene in ihre Kabinen hinunter: bleich, mit auseinandergegangenen Haaren, ohne Ausdruck in den Augen, die Nase ganz spitz und dabei fürchterlich unwohl. »Karl,« sagte ich, »wenn ich dies lange mit ansehe, geht es mir ebenso. Nichts übernimmt leichter als Ekliges.«

Ich wehrte mich und ging gegen an. Die Seekrankheit würde mich grenzenlos gefuchst haben, weil wir doch gewohnt sind, zu verzehren, was wir bezahlt haben. Nein, geschenkt wird nichts. Daß diese Ansicht die durchaus richtige ist, stellte sich Abends beim Mittagessen heraus. Die Hälften Passagiere hatte sich zurückgezogen, um sich mit der Seekrankheit zu beschäftigen, obschon sie das schöne Mahl von acht Gängen bezahlt hatten. Allerdings aß es sich ziemlich umständlich, weil viereckige Rahmen über den Tisch gebunden waren, das Gleiten der Teller zu verhüten und das Reisen der Gläser, und die Flaschen waren angehalftert, aber die Gerichte waren so großartig gekocht, daß es eine Sünde gewesen wäre, ihnen nicht alle Ehre anzuthun. Als wir die süßen Speisen, Kuchen und Obst hinter uns hatten, sagte ich: »Karl, es ist hier, wie auf einer endlosen Kindtaufe. Das Essen und Trinken reißt nicht ab. Morgen Abend zum Diner machen wir uns auch fein. Die Engländer haben sich alle umgezogen und erscheinen festlich an der gemeinsamen Haupttafel. Das ist wohl Sitte bei ihnen und findet meine Beipflichtung. Das Tagesgeschäft wird mit den Arbeitskleidern abgelegt; frischgewaschen und in gutem Zeuge ergiebt man sich dem Abend, der Ruhe bringt und behagliches Zusammensein. Schade, daß man hier Niemand zum Gesprächführen hat; jedoch bezweifle ich, daß die Bergfeldten herpaßte, der doch die große A. mit Gewalt beigebracht worden ist.« – Die Nacht verlief ohne Störung. Sehr viel gegen die Seekrankheit thut, wenn man nicht will. Allerdings ist das gesammte weibliche Dasein Hingebung, jedoch stellenweise Widerstand; das muß fest im Auge behalten werden, wenn man nicht nervös ist. Wegen zu lautem Getickes wurde die Waterbury-Uhr in Strümpfe gewickelt und eingeschlossen; sie lärmte wie eine Dielen-Uhr im Fieber. – Am andern Morgen sah man beim Frühstück wieder Mehrere, die nicht da waren; die Krankheit mußte stark wüthen. Aber auch etliche Hammel fehlten, sowie zwei weiße Puten und der Taubenstall schien merklich dünner bevölkert. Dieses Räthsel löste sich bei den verschiedenen Mahlzeiten, wo die Hammel, die Puten, die Tauben in gebratenem Zustande, als Koteletts, Keule, Ragout, Pastete, in allen möglichen Verarbeitungen antraten. Jeden Abend ging der Schiffschlächter morden. Während die Matrosen in der Dämmerstunde Volkslieder sangen, hörte man das Geschrei von einem Hahn dazwischen, der nicht sterben wollte, oder das Geblöke von einem zur Schlachtbank gezerrten Hammel. Und doch war der Schlächter gegen die Kuh sogar zärtlich. Er molk sie, er fütterte sie, er bürstete sie und gab ihr reine Streu; es mußten zwei Seelen in seiner Brust wohnen. Ich hörte im Winter einen Vortrag über »Faust« von einem jungen Goetheforschler, der mit den zwei Seelen sehr ins Unklare gerieth, bis er schließlich meinte, Goethe hätte selbst nicht gewußt, was er damit sagen wollte. Goethe ist todt, er kann sich also nicht mehr verdeffendiren, aber in seinem Interesse weise ich auf den zweiseeligen Schiffschlächter hin, der gleichzeitig tödtet und pflegt. Solche, die kein Blut sehen können, haben natürlich nur eine Seele.

Mein Mann fand an diesem Ideengange kein Wohlgefallen, sondern sagte: »Ueberlasse den Blaak doch Leuten, die darauf vereidigt sind. Lerne Dein Arabisch.« Mit wem sollt ich mich unterhalten, da mein Karl den aus Vorlesung gewonnenen Resultaten prosaisch gegenüberstand? Es ist ein wahres Elend, wegen mangelnder Sprachübung wie stumm und taub zu sein, denn die andern Leute verstanden nicht, was ich sagte, und ich ward aus ihrem Gerede nicht klug. Und wie gerne hätte man öfter geäußert: »Prachtvolles Wetter, nicht wahr? Der reine Frühling, fast zu warm für Winterzeug.« – Aber was nützen die unwidersprechbarsten Wahrheiten, wenn sie keinen Absatz finden?

Es war wirklich sommerlich geworden und wundervoll faul saß es sich auf dem Schiff im Sonnenschein. Mein Karl bekundete jedoch seine Zufriedenheit mit meinem arabischen Fortschritt, indem er sagte: »Du begreifst ohne stundenlange Vorreden, rascher als ein Abgeordneter.« – »Karl,« erwiderte ich, »die Angst treibt die grausamen Wortbildungen ein. Ohne Arabisch sind wir so gut wie verloren. Hier im Bädeker ist die Landung in Alexandrien beschrieben: zahllose Barken umschwärmen den langsam einfahrenden Dampfer. Nach den gewöhnlichen kurzen Sanitätsmaßregeln stürzt sich die Bemannung jener kleinen Boote gleich einer wilden beutelustigen Korsarenschaar auf das Verdeck, um sich jeder des Gepäckes eines Reisenden zu versichern, für den Europäer eines der überraschendsten Schauspiele und lebhaft an den Ueberfall in Meyerbeers Afrikanerin erinnernd. Ich bin gegen jeder Ueberraschung mit hinweggerissenen Handtaschen. Afrika ist zu groß, was weg ist, ist weg. Wenn sie daher toben, mußt Du rufen: »musch lassim«, das heißt: es ist nicht nöthig. Du suchst alsdann einen vertrauenerweckenden Barkenführer und sagst nicht weiter als tayib yalla yalla, das heißt: es ist gut, schnell vorwärts. So steht es hier. Na, wir wollen die Wilden schon abprallen lassen. Karl, wenn wir den Bädeker nicht hätten und unsere angeborene Schläue, wo wir wohl blieben?«

Die drei Tage Seereise auf dem großen Indienfahrer waren bald herum. Der letzte Tag brachte stille See, die Kranken kamen wieder als Gesunde zum Vorschein und eine warme Sternennacht ließ uns empfinden, daß wir unter südlichem Himmel angelangt und nicht mehr weit von dem Erdtheil seien, in welchem so Viele zur Winterszeit den Sommer aufsuchen. Der Gedanke, morgen früh mit meinen eigenen Augen Afrika zu sehen, erregte mich ebenso sehr wie die Besorgnisse vor dem Angriff der Wilden. Aber das stand fest – sie fanden mich kampfbereit.


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