Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Nach dem oberen Nil.

Von den Dahabiyen. – Stangen und James Cook & Sohn. – Zwischen den Wüsten. – Der Storch. – Assiut. – Das berühmte Bett. – Die Kameel-Post. – Was ein Schaduf ist. – Von dem Krokodil. – Warum die Wilden nichts von Carbol wissen. – Die aufständigen Derwische. – Von den Skarabäen und der Todtenstadt Theben. – Lieutenant Fischer tritt auf. – Telegraph guter Esel. – Wissenschaftliches Monopol. – Die Memmnonskolosse. – Ein Schlag aus heiterem Himmel. – Die Königsgräber. – Das Kreuz des Südens.

Wankende Entschlüsse werden durch Zureden befestigt, und da Graf Arco, der Generalkonsul des deutschen Reiches, obendrein die Freundlichkeit hatte, an den Konsular-Agenten in Lugsor die Weisung ergehen zu lassen, uns dort eine Fantasia mit Hammelrösten und Volksbelustigung zu veranstalten, war der Abstecher nach dem oberen Nil so gut wie abgemacht. Ich zögerte freilich mit meiner Einwilligung, indem ich die Beschwerden erwog und die Gefahren, welche mit jedem Kilometer wärtser sich verdreidoppeln, bis die Regionen der Menschenfresser den Reisenden willkommen heißen und man ohne Sang und Klang in den Kannibalenmägen verschwindet. Deswegen widerstrebte ich: »Auf diese Methode möchte ich nicht der Vergessenheit anheimfallen.« – »Auch nicht nöthig,« sagte mein Karl, »nachher kann ja dem Wilden auf den Bauch tätowirt werden: »Hier ruht Wilhelmine Buchholz.«« – »Karl,« entgegnete ich mit einem Tone, der etwas enthielt: »Willst Du Dich hier benehmen wie Onkel Fritz? Wenn sie mich essen, bist Du auch so gut wie gebraten.« – »Und da sauere Gurken zu,« höhnte er. – Zur Strafe seiner Gefühllosigkeit geschähe ihm schon recht, wenn die Schwarzen mich aufmimmelten.

»Wilhelmine,« suchte er mich zu beruhigen. »Würde man uns den Abstecher anrathen, wenn ernste Fährlichkeiten mit verknüpft wären?« – Hierin konnte ich ihm nicht Unrecht geben, denn als wir bei Kemmerichs zum Diner waren, drang die liebenswürdige Frau Kemmerich sehr in uns, diesem Theile Aegyptens jedenfalls vierzehn Tage zu widmen, sonst kehrten wir nach Europa zurück, ohne die Poesie des Landes empfunden zu haben. Gar Manches wußte sie begeistert von den Wundern des oberen Nils zu erzählen, und von der alten Herrlichkeit, die aus gewaltigen Trümmern zu den Menschen spräche, und die Nilfahrt selbst pries sie als eine Erholung für Geist und Körper nach den Anforderungen, die Kairo an den Fremden stellte, der wirklich sähe und beobachte. Eigentlich gehöre dazu, daß man auf einer Nilbarke reise, auf einer Dahabiye, mit Ruderern und Bedienung ganz für sich, süßem Nichtsthun hingegeben, und unabhängig von Zeit und Stunde. Wolle man Ausflüge an das Ufer unternehmen, sei eine Felucke, ein kleines Boot, bereit. Dann besuche man die Ortschaften, erhandele Lebensmittel von den Eingeborenen, Geflügel, Eier, frische Gemüse und Früchte, oder dehne den Abstecher zu den Tempeln der Pharaonen aus, und den Orten, die bereits in der ältesten Geschichte von Sagen umwoben waren. Doch das seinen nur schwache Umrisse einer Dahabiyenfahrt, der Reiz, den sie in sich schlösse, könne ebenso wenig beschrieben werden, wie das Glück eines Ferientages zur Sommerszeit, in unserer Heimath. Wenn wir nun wegen der kurzbemessenen Zeit auch von der Dahabiye absehen müßten, würden wir dennoch mit den Ergebnissen höchst zufrieden sein.

Wer konnte da widerstehen? Herr Zwilchhammer, der mittlerweile neue Platten erhalten hatte, beabsichtigte, dieselbe Strecke zu bereisen, und Mr. Pott sagte, er würde sich glücklich schätzen, wenn er sich betheiligen dürfe. Freilich könne er sich der Cook-Gesellschaft anschließen, aber zu viele eng gepackte Mitgenossen störten ihn. Er ist eben Gemüthsmensch und mag sich nicht stoßen lassen.

Wer keinen Begleiter findet, thut gut, mit einer Gesellschaftsreise zu gehen. In Berlin arrangirt Stangen alljährlich mehrere Orientreisen, jede mit beschränkter Personenzahl. Theilnehmer, welche wir sprachen, lobten die ausgezeichnete Führung, die einer der Herren Stangen persönlich übernimmt, in jeder Beziehung. Von England und Amerika dirigirt James Cook und Sohn solche Reisen, überall findet man seine Büreaus und Angestellten. Hier wird der Mensch zum Kolli, und geht ebenso sicher um die Erde, wie ein richtig versicherter Koffer. Cook's Office nimmt ihn an, und liefert ihn wieder ab, die Sehenswürdigkeiten stehen im Programm und werden literweise zugemessen. Wie kann auch bei Massenbeförderung den Neigungen des Einzelnen Rechnung getragen werden, als wenn, wie bei Stangen, nur Wenige sich zusammenthun, die sich die besonderen Gelegenheiten nach Uebereinkommen einrichten.

Da der Postdampfer am Mittwoch von Assiut abging, mußten wir am Dienstag von Kairo mit der Eisenbahn eine Tagfahrt machen, an die ich noch denke.

Die Waterbury-Uhr war natürlich wieder ohne Verlaß, die Thiere in der Palme besorgten das Wecken. Ich verstand ihre Sprache jetzt, sie schrien in Einem fort Bakschisch. Mit Lebensmitteln versehen, fuhren wir in einer Droschke früh vom Hotel, weil es besser ist, mehr als rechtzeitig am Bahnhof zu sein, da die Abfahrt nicht immer mit dem Glockenschlag stimmt, sondern bald früher, bald später stattfindet. Als wir in Kairo waren, ereignete sich der Fall, daß der Zug nach Sues zweiundzwanzig Minuten nach der vorschriftsmäßigen Zeit abging, weil der Lokomotivführer den Fahrplan nicht im Kopf hatte und ruhig wartete, bis man nach ihm schickte. Vielleicht auch war er im Besitz einer Waterbury-Uhr.

Nach einer halbstündigen Fahrt erreicht man den Bahnhof Bulak-Dakrur, eine mise Station mit vorsündfluthlichen Einrichtungen. Der Weg ist durch Akazien in eine schattige Allee verwandelt und in den Morgenstunden außerordentlich belebt. Wir zählten die uns begegnenden Kameele; es waren zweihundert ein und achtzig an der Zahl.

Das Leiden des Tages begann mit dem Lösen der Karten am Schalter, wenn man ein von Wilden belagertes Trallenfenster so nennen will. Ordnung war nicht. Wenn ein Araber abgefertigt war, blieb er ruhig stehen, weil es ihn seinerseits interessirte, zu sehen, wie der Nächste wohl zu seinem Rechte käme. So belagerte denn ein wühlender Menschenhaufe die Ausgabe, und erst durch Hinzuziehung eines Bahnbeamten, der nicht nur das Knuffen, sondern auch die Umwege kannte, erhielten wir unsere Fahrkarten.

Mr. Pott bewerkstelligte mittelst Bakschischs die Vertheilung derart, daß wir je zu zweit ein Kupeh hatten, mein Karl und ich, er und Herr Zwilchhammer, damit man sich bequem ausstrecken könne, wenn die Hitze des Tages das Ausruhen wünschenswerth erscheinen lasse. Bis Bedraschehn hatten wir die angenehmste Gesellschaft, da die Familie Kemmerich eine Partie nach den Pyramiden von Sakkara und den Apisgräbern unternahm. Die Reitesel und Treiberjungen, die zu dem Ausflug nothwendig sind, wurden in einen Gepäckwagen geladen. Der kleine Kemmerich hatte eine Peitsche mitgenommen, um Krähen todtzuschlagen. Darauf stand sein Sinn. Das Altägyptische interessirte ihn noch nicht.

Bedraschehn war bald erreicht. Die Bahn führt an Fruchtland und dichten Palmenwäldern vorbei, und an Schutthügeln, auf denen Fellachendörfer stehen. Ziemlich der Landschaft der Delta ähnlich ist die Gegend bis Assiut hin, nur mit dem Unterschiede, daß nach beiden Seiten steil abfallende Höhenzüge den Blick begrenzen und die Ebene einengen, durch welche der Nil, von saftigem Grün umrandet, in Krümmungen dahinfließt. Es sind dies die Ränder der arabischen Wüste linkes und der lybischen Wüste rechts. Das Hochland hinter ihnen ist Sand, Sand und Fels, und geht in die Sahara über. Nun begreift man erst recht, warum die Aegypter den Nil den Vater des Segens nennen: wohin sein Wasser gelangt, sprießt und grünt es, das Uebrige ist dürr und öde.

Auf den Feldern arbeiten die Fellachen; Vieh weidend und ackernd sorgen sie für ihr Dasein. An Zuckerrohrpflanzungen kamen wir vorbei. Das Rohr wurde geschnitten und Kameelen aufgeladen, die es nach den Siedereien schleppten, deren Dampfschornsteine an die Stelle der Obelisken getreten sind. Auch die Stationen glichen denen im Delta, so daß es uns vorkam, als passirten wir bereits bekannte Ortschaften.

Mein Karl äußerte daher die Absicht, die Unterhaltung durch Frühstücken zu beleben. »Ist es denn schon so weit?« Er sah nach der Uhr, aber die konnte das Eisenbahnfahren nicht vertragen und stand. »Wir warten noch,« entschied ich. »Ich habe die Nacht schlecht geschlafen, wie immer, wenn man sich vornimmt rechtzeitig aufzuwachen, und werde das Versäumte rasch einbringen. Nachher schmeckt es uns um so besser. Betrachte Dir das Landschaftliche, die niedlichen jungen Eselchen im grünen Kraut, die gerade so aussehen wie Herr Kleines, und erzähle mir später, was Du Alles beobachtet hast.« – »Wenn ich aber doch Hunger verspüre?« – »Karl, am wohlsten fühlt der Mensch sich, wenn er nach der Uhr lebt. Sich selbst besiegen ist der schönste Sieg.«

Ich war in der That müde. Die Hitze hatte zugenommen und der Staub quälte die Augen. Meine Verfassung verlangte nach Schlummer, denn weder das Halten des Zuges ermunterte mich, noch das schreckliche Pfeifen der Lokomotive, das beim Verlassen der Haltorte sein muß, um die Wilden von den Schienen zu scheuchen, da sie den Bahndamm für einen neuen Weg halten. Erst nach geraumer Zeit hatte ich ausgedrust. Aber was erblickte ich, als das Bewußtsein zurückkehrte!

Meine Seele von Mann, dies Lamm, saß vor mir, mit einer Stange von Zuckerrohr, die selbst im geknickten Zustande nur halb in das Kupeh ging, und knabberte daran, als wäre er von Kindesbeinen bei dieser Art Naturvolksküche jung geworden. »Karl,« rief ich entsetzt, »was schlägst Du Dir da hinein?« – »Wenn Du den Eßkober als Kopfkissen unterstopfst, muß ich mich nach anderweitigen Lebensmitteln umsehen.« – »Iß nicht zuviel davon, das Zeugs kann unmöglich lange gegen halten. Laß mal probiren.«

Etwas Härtlicheres habe ich noch nie gekostet: man kann nur den ungeheuer süßen Saft aussaugen, die Fasern bleiben im Munde. Auch zieht es die Fliegen in erhöhtem Grade an und verursacht, in Gemeinschaft mit dem Staube, Schmierfinger erster Güte. Zum Glück werden an den Stationen von halbnackten Knaben und Mädchen Wasserkrüge aus Thon feilgeboten. ›Moje, Moje,‹ rufen sie, was so viel als Wasser heißt. Den Krug nenne sie Gulle. Ueberall giebt es diese Krüge, durch deren unglasirte Wände das Wasser schwitzt, und das, indem es an der Luft verdunstet, Kälte hervorbringt, die sich dem ganzen Vorrath mittheilt. Auf der Gasthaustafel stehen die Gullen in Näpfen, weil sonst das Tischtuch naß würde. Der Aermste wie der Reiche hat seine Gullen, ohne welche das Wasser lauwarm getrunken werden mußte, da Eis nur in den großen Städten zu haben ist. Nun konnten wir auch die Hände waschen und das Gesicht erfrischen. Handtuch und Seifenblätter nimmt die Buchholzen auf längeren Fahrten stets mit.

Mein Karl war froh, als ich das Rohr an die Luft beförderte und den Koffer mitten ins Kupeh stellte, der, sauber mit Papiere bedeckt, als Tisch diente. Eier, Karmenade und Früchte gaben ein wohlangebrachtes Frühstück. Das gebratene Huhn wurde für den Nachmittag aufgehoben.

»Nun erzähle mir, was Du unterwegs gesehen hast,« regte ich die Unterhaltung an und kredenzte meinem Karl einen Becher Wein. – »Nicht viel,« antwortete er, »immer dieselben Kameele in Braun und die Palmen in Grün.« – »Ist das Alles?« – »Die Bahnwärterhäuschen sind auch aus Nilschlamm gekleistert.« – »Was beobachtest Du sonst noch?« – »Einen Storch.« – »Wie sah er aus?« – »Mit rothen Beinen, wie alle Störche.« – »Karl, ward Dir nicht eigen zu Muthe, als Du ihn hier erblicktest, so gewissermaßen eine Bestätigung von dem, was schon in der Fibel über ihn steht?« – »Nein.« – »Ich hätte ihm einen Gruß zugerufen.« – »Schade, Du schnarchtest gerade.« – »Es wird höchstens Staubröcheln gewesen sein. Wärest Du eine Spur dichterisch veranlagt, welche Ideen hätte Dir diese Begegnung eingegeben.« – »Ich hatte auch so meine Gedanken.« – »Heraus damit.« – »Ich dachte, wenn er nach Onkel Fritz flöge und ihm einen kleinen Mohren in die Wirthschaft brächte, welch' wahnsinnigen Spaß der daran hätte.« – »Karl, bedenke doch, die Umstände mit einem Schwarzen.« – »Durchaus nicht. Der würde des Morgens gleich mit den Stiefeln gewichst und wäre für den ganzen Tag blank.«

Die hierauf zweckmäßige Abfertigung ward durch Halten des Zuges und Oeffnen der Thüren abgeschnitten. Wir mußten aussteigen, und ein Bahnwilder russelte das Kupeh mit einem Federwedel aus. Eine dichte Wolke stob hervor. Wir benutzten die Gelegenheit, Mr. Pott und Herrn Zwilchhammer nach ihrem Befinden zu fragen. Mr. Pott lag unter seinem Plaid, um sich gegen Staub und Fliegen zu wehren; Herr Zwilchhammer dagegen lag in einer Ecke, seine Apparate neben sich auf der Bank. Ob es die Hitze allein war, oder ob Mr. Pott ihm zu viel Kognak gereicht hatte, das bleibt unentschieden, genug, er duldete grausam. »Ich will gerne leiden,« sprach er kläglich, »wenn nur die Aufnahmen gut werden.« – »Nanu,« tadelte ich, »stellen Sie Ihre Sachen doch auf den Fußboden, damit Sie es bequem haben. Ihre Maschine wird sich dadurch hoffentlich nicht beleidigt fühlen.« Es nützte aber Nichts. Für ihn ist das Praktische umsonst erfunden.

Wie stiegen wieder ein. Warm wurde es und immer wärmer, die Nachmittagsstunden waren schier zum Verzweifeln. Das Ausstauben hätte füglich gespart werden können, in zehn Minuten war Alles wieder grau. Das Huhn kam in dieser Temperatur immer wieder hoch. Mandarinen und ein wenig Wein mit Wasser bildeten das einzige Labsal. Ebenso zugedeckt wie Mr. Pott fügten wir uns ohne Murren. Man lernt im Orient Ergebung in das Unabänderliche. Inschallah, wie Gott will!

Als ich so da lag, fiel mir ein, daß ich im Reisehandbuche gelesen hatte, Aegypten sei die Wiege der menschlichen Gesittung. – »Karl,« fragte ich, »wie kommt Dir diese Wiege vor?« – Er jappte nur noch.

Gegen Acht Uhr legte sich die Hitze, und als wir bei einbrechender Nacht in Assiut ankamen, befanden wir uns ziemlich verhältnißmäßig. Der Zug fährt bis an das Nilufer. Kaum waren wir vom Bahnhof ins Freie getreten, als zwei Wilde, schattenhaft von Gesicht und Händen, wie die uns umgebende Dunkelheit, mich faßten und vorwärts zogen. Die Füße verloren den wagerechten Halt, es ging eine steile, steinige, staubige Böschung hinab, wobei ein dritte Wilder mit einer Laterne unten auf der Erde vorleuchtete. Meinen Karl hatten sie sich in gleicher Manier gelangt. »So,« dachte ich, »morgen ist Schlachtfest, nun blüht uns der Wurstkessel.« – Wie aber schon manchmal, hatte ich mich wiederum geirrt, und das Menschenfresserische einige Breitengrade zu dicht an die Zivilisation verlegt, denn die Muffis sorgten in rührender Weise erstens für uns, daß wir auf dem Wege nach dem Postdampfer nicht stürzten, und zweitens für sich, indem sie an Bord so lange aufs Neue Bakschisch verlangten, bis ein Matrose mit der Karbatsche kam und hinhaute, wo er traf. Da purzelten sie vom Schiff herunter und verschwanden in der Finsterniß. Vor dem Dampfer, am Ufer und auf dem Schiffsrumpfe, der zum Anlegen dient, lagerten arabische Leute, Männer, Weiber und Kinder, Eßwaare und kleine Gebrauchsgegenstände zum Verkauf auf Matten ausgebreitet, je mit einem Lichtlein, das spärlichen Schein gab. Die Unterdeckpassagiere versahen sich mit Kleinigkeiten für die Reise, und so bot dieser Mark ein seltsam ägyptisches Bild.

Unsere in Kairo auf der Post genommenen Fahrscheine trugen die Nummer der Kabine, von denen sechs im Ganzen vorhanden waren, fast so geräumig wie auf großen Dampfern, und sauber gehalten. Das Schiff selbst mochte in der Größe einem der großen Spreedampfer gleichkommen. Mr. Pott übernahm es, mit dem Koch das Abendessen zu bereden und wir gingen vor allen Dingen an die Waschung, die Staubspuren der Eisenbahn zu tilgen.

Nach einer halben Stunde trafen wir uns in der am Stern des Schiffes gelegenen Kajüte miteinander wohlauf und erquickt durch die reine, frische Nachtluft. Auch Herr Zwilchhammer hatte sich erholt. Der arabische Steward brachte das Mahl: Rührei, kalten Schinken und kalte Schnepfen, sehr lecker. Dazu einen leichten Burgunderwein zu dem billigen Preise von zwei und einem halben Franken die Flasche. Mr. Pott hatte den Wein sofort in einen großen Thonkrug stellen lassen, so daß er kühl und lieblich zu trinken war. Als süße Speise erschien ein Auflauf mit eingemachten jungen Datteln von delikatem Geschmack. – »Sie verstehen es,« sagte ich anerkennend zu Mr. Pott. – »Oh,« erwiderte er. »Es ist nicht schwer, auch Vergnügen am Reisen zu haben, man muß nur von dem Vorhandenen das Beste aussuchen und sagen, wie man es wünscht. Für mein Geld verlange ich das Recht, welches ich beanspruchen kann, vollständig. Wer Schlechtes annimmt, wo er Gutes fordern darf, schreibt sich selbst den Grund zu von Unzufriedenheit. Doch muß man dabei wissen, daß ein gutes Wort viel weiter dringt als Heftigkeit und Zornigkeit. Ich sehe in jedem Mann einen anständigen Mann, so lange er nicht das Gegentheil beweist; welche Stellung er im Leben einnimmt, ist gleichgültig, und so behandle ich ihn.«

Mein Karl fand Mr. Potts Reiseweisheit lobenswerth und fügte hinzu, daß scheltende, befehlshaberische Mitreisende Einem die schönsten Genüsse verleiden könnten, indem sie durch großpratschiges Betragen überall Skandal machten und Erbitterung erregten, unter der dann alle zu leiden hätten. – »Das kommt vom Mangel an Erziehung,« sagte Mr. Pott. »Lebensart will ebensowohl vererbt oder erworben sein wie Geld.« – »Es giebt verschiedene Sorten von Bildung,« mengte ich mich in das Gespräch, »aber welche Nummer die Bergfeldten hat, daran kann eine Sphinx sich den steinernen Kopf zerbrechen.« – »Ist diese Dame vielleicht eine Freundin von Ihnen?« fragte Mr. Pott. – Bevor ich eine Antwort gewählt hatte, sagte Herr Zwilchhammer, der bis dahin ruhig zugehört hatte: »Wenn ein Konversationslexikon hier wäre, ließe sich der Begriff Bildung leicht feststellen, allein dergleichen wird man hier in dieser Wildniß wohl vergeblich suchen.« – »So glaube ich auch,« sagte Mr. Pott. »Aber der Burgunder ist gut, und das ist die Schuldigkeit von dem Restaurateur. Wollen wir noch eine Bouteille nehmen?«

»Morgen ist wieder ein Tag,« entschied mein Karl. »Ich denke, wir gehen in die respektiven Kojen.«

Gesagt, gethan, die Bettkästen nahmen unsere ermüdeten irdischen Hüllen auf. »Weißt Du, was ich morgen in mein Notizbuch schreibe?« fragte ich meinen Karl, als ich lag. – »Nein.« – »Daß die Betten im Orient sich durch Härte auszeichnen. Schon auf dem »Gwalior« durften sie weicher sein. Wir hätten in Bologna von den Federkopfkissen kaufen sollen, die dort am Bahnhof für die Nachtreise vermiethet werden. Man drückt sich ja die Ohren in den Schädel hinein.«

Für wirklich Müde ist der Schlaf dasselbe wie Opium. Mir war, als hätte Dr. Wrenzchen seiner geliebten Schwiegermutter (mitunter äußert Er ja eine gewisse Erbschafts-Zärtlichkeit) einen Gemüselöffel voll eingegeben, so daß ich von dem Lärm, der um Mitternacht bei der Abfahrt entstand, nur für kurze Zeit erweckt wurde. Mit dem Gedanken, ob wir wohl den im Reisebuche sich auf Sandbänken sonnenden Krokodilen, dem Ibis und dem Pelikan begegnen würden, versenkte ich mich in die zweite Hälfte der Nacht.

Am Morgen erhoben wir uns mit der Sonne. Wie goldene Blitze schossen ihre Strahlen im glühenden, wolkenlosen Osten auf, breit lag das trübe Wasser des Nils vor uns, der nur aus der Ferne blau glitzert. An beiden Seiten, bald hoch, bald niedrig, fassen dunkle, schlammfarbige Ufer den Strom ein, Streifen von Fruchterde, welche bis an die hohen Ränder des Wüstengebirges reichen, die wie kahle, gelbe Schutzmauern das Nilthal begrenzen. Oft ist der fruchtbare Streifen nur schmal, wie ein Fahrweg, dann wieder dehnt er sich auf etliche Meilen aus, überall beackert und bestellt. Dörfer und Städte, Wäldchen von Dattelpalmen und grünende Felder gleiten an dem Auge vorüber, ein Wandelbild, das trotz seiner Einförmigkeit dennoch ununterbrochen fesselt, weil die Sonne Aegyptens ihren Glanz darüber gießt, und das Grün der Fluren unter dem azurblauen Himmel in wunderbarem Gegensatze zu den öden Gebirgszügen steht, deren Umrisse wie mit einem spitzen Bleistift gezeichnet erscheinen. Zuweilen treten die weißgelben Abhänge der Wüste dicht an den Fluß; wildes Geröll ist das Kleid der Berge, kein Moos schmückt sie, kein Halm, kein Strauch. Und doch tragen sie Spuren menschlicher Thätigkeit. Hoch oben am Rande, in der Mitte, an schier unzugänglichen Stellen, öffnen sich viereckige Löcher, die Eingänge zu ehemaligen Grabkammern, die längst ihre Inhaltes beraubt sind. Auch der Felsrand der Wüste war ein Bestattungsort der alten Aegypter, wie das Gräberfeld bei Giseh und Sakkara. Der grünende Garten des schwarzen Erdreiches gehörte den Lebenden, der starre, öde Fels und die Wüste den Todten. So waren Tod und Leben geschieden, und doch so nahe bei einander.

Herr Zwilchhammer richtete seine Kamera, Bilder von den steilen Höhen mit den Grablöchern aufzunehmen. Namentlich eine Ansicht machte sich sehr malerisch. Unten auf einer Landzunge stand ein weißes Kuppelgebäude, das Grabmal eines muselmännischen Heiligen, von einigen Palmen und einer Sykomore beschattet. Beduinen hatten ihr Zelt in unmittelbarer Nähe aufgeschlagen und saßen in ruhiger Betrachtung bei den Kameelen, die mit hochgerecktem Halse die Morgenluft einsogen. Dicht dahinter erhob sich jäh die zerklüftete Felswand mit einer Schlucht, die in das Gebirge verlief. Herr Zwilchhammer drückte, der Apparat schnickte und die Aufnahme war gemacht. »Ich bin neugierig, wie es geworden ist,« sagte ich. – »Das werden wir später erfahren,« entgegnete er. »Noch ist auf der Platte nichts zu sehen, erst unter chemischer Behandlung kommt das Bild zum Vorschein.« – »Das ist merkwürdig.« – »Nur den Lichteindruck nimmt die Platte auf,« belehrte er mich, »der sich sogar wochenlang hält.« – »Wie ist das möglich?« – »Ueber das ›Wie‹ dieser Erscheinung steht noch nichts Sicheres in den Büchern. Es ist eben sonderbar, daß das Wesen des unsichtbaren Bildes auf der photographischen Platte unseren Physikern bis jetzt unklar ist, obgleich die Photographie täglich ausgeübt wird, Tausenden Beschäftigung giebt, neue Industriezweige ins Leben gerufen hat und garnicht mehr entbehrt werden kann. Wir haben maßgebendere Theorien von den Vorgängen auf dem Sirius und der Sonne als von dem Spiel der Kräfte bei photographischen Aufnahmen.« – »Das wäre. Vielleicht denken die Hochgelehrten, das Photographische ist nicht weit genug weg und deshalb zu gering. Zeigen Sie mir mal die Platte, es muß doch etwas daran zu sehen sein.« – »Unmöglich. Wenn nur eine Spur Tageslicht daran käme, wäre sie verloren. Der schwache Schein einer rubinrothen Lampe muß uns bei den Arbeiten in der Dunkelkammer genügen.«

Dies Geheimnißvolle regte mein Interesse für die Photographie bedeutend an, und mit einer Art Jagdvergnügen half ich Herrn Zwilchhammer, nach aufnehmungswürdigen Gelegenheiten spähen. Wenn der Dampfer bei einem Städtchen anlegte, um die Post auszufertigen, gab es alle Hände voll zu thun. Herr Zwilchhammer äugelte durch seinen Apparat, ich half ihm beim Wechseln der Rahmen, in denen sich die Platten befanden, und mein Karl schrieb den Namen der Ortschaft auf, den wir uns dann von dem Postmenschen sagen ließen, einem jungen Kopten in gelbgrauer Joppenuniform mit grünem Besatz. Dieser war gleichzeitig Kommandant des Schiffes und hatte nach dem Rechten zu sehen. Vorne am Bug saß der arabische Steuermann, ernst und gemessen das Steuerrad drehend, ohne auf etwa Anderes Acht zu geben, als auf die Krümmungen des Flusses und das Fahrwasser, das sich täglich ändert, weil die Sandbänke sich verschieben. Durch Glockenzeichen giebt er dem Maschinisten Befehle, der seinen Stand hinten im Raum hat. Das Schaufelrad ist nämlich am Stern angebracht und treibt das flache Fahrzeug nach Art der Schraubenschiffe von rückwärts. Auf diese Weise gelingt es, auch bei niedrigem Wasserstand stromauf zu kommen.

Das Annehmen und Abgeben der Post war jedesmal ein eigenartiges Schauspiel. An den Uferwällen hatte sich Volk versammelt: Weiber, von Kopf zu Fuß in dunkelblaue Tücher gehüllt, Männer in malerischen Trachten, Lappen, Lumpen, je nach ihrem Vermögen, Kinder von gänzlicher Zeuglosigkeit oder mit Hemdchen aus grellfarbigem Kattun angethan. Schreiend und lärmend drängten sich die, welche Lebensmittel zu verkaufen hatten, bei der dort herrschenden allgemeinen Gewerbefreiheit in rücksichtsloser Marktfreiheit an das Schiff, mit den Unterdeckspassagieren Geschäfte anzubändeln, und lebhaftester Handel entspann sich. Da wurde Käse angeboten, gebratenes Ziegenfleisch, Etliche hatten gebackene Fische, Eier, Datteln, Lauch. Andere kamen mit Zuckerrohr, Salatstauden, lebenden Kaninchen und Tauben. Brot war ein begehrter Gegenstand. eine mir unbekannte braune Masse, in Gestalt kleiner Kegel, fand ebenfalls Nehmer; es war, wie ich nachher erfuhr, eingedickter Rohrzucker. Herr Zwilchhammer zielte mit seinem Apparat auf den Trubel und meinte, diese Aufnahmen müßten in Europa Aufsehen erregen, da sie ein getreues Bild von dem Treiben am oberen Nil lieferten, geradezu eine Völkerkarte von Menschen und ägyptischen Gesichtern im Ausdrucke der Leidenschaft.

Abseits von der erregten Wildenmenge, hoch am Ufer, hielt die Post: zwei Reiter zu Pferde in blauer Turko-Uniform und ein Kameel zum Tragen der Briefkiste. Wie Bildsäulen standen die herrlichen arabischen Rosse, weiße Schimmel mit seidenglänzender Mähne, neben dem Kameel, das, allerdings sehr praktisch eingerichtet, auf Schönheit jedoch keinerlei Anspruch machen kann. Nie ward mir der Adel des Pferdes so augenscheinlich wie hier durch den Gegensatz zu dem stets mißmüthigen Lastthiere.

Zwei Gensdarmen, mit aufgepflanztem Bajonett, geleiteten den Landpostführer durch den Menschenknäuel auf das Schiff. Einer ging, Platz machend, vorauf. Der Zweite folgte dem Träger der Kiste, die, an den Ecken mit Messing beschlagen, manchen Stoß vertragen konnte. In der Briefkammer auf dem Schiffe ward diese Kiste gegen eine andere ausgetauscht, und nachdem die Papiere unterschrieben und die Uhren verglichen, traten die Drei den Rückweg in gleicher Weise an. Dann wurde das Kameel mit der Kiste beladen, der Landpostbeamte stieg auf das Thier, und die kleine Karawane setzte sich in Bewegung. Ein bewaffneter Reiter vorauf, das Kameel in der Mitte, der zweite Reiter als Deckung, so zog die Post landeinwärts, mit frohen Nachrichten und traurigen, Geld bringend und Schulden einfordernd, in treuer Pflichterfüllung. Wie die Post, so auch die Zivilisation.

Unser Post-Kapitän war ein junger, in jeder Beziehung aufmerksamer Mann, der ein wenig Deutsch sprach, im Englischen sich jedoch fertig auszudrücken verstand, weshalb Mr. Pott als Dolmetscher angestellt wurde. Nun erfuhren wir, daß kurz vorher mit demselben Schiffe Schliemann und Virchow nach Assuan hinaufgefahren seien; einer von ihnen habe in der Kabine geschlafen, die mein Karl und ich inne hatten, wer jedoch, das war ihm entschwunden. So hatte denn einer von uns in einem berühmten Bette genächtigt, aber was half das, da die genauen Atteste darüber fehlten? Konnte ich mich Schliemanns rühmen oder Virchows, oder war mein Karl Derjenige, dem das Glück des geweihten Pfühls zu Theil geworden? Ewiger Zweifel wird über dieser hochwissenschaftlichen, interessanten Thatsache walten.

Als der Postfritze meinen Kummer sah, suchte er mich mit dem dritten Passagiere zu trösten, der zugleich nach Assuan gereist sei, und den er bei der Rückkehr in Luqsor abholen sollte. Dies war nach der Visitenkarte, die er als Adresse aufbewahrte, Lieutenant Fischer. »Den stelle ich,« sagte ich zu meinem Karl, »der muß berichten. Vielleicht kennt der das richtige Bett.«

Je länger wir auf dem Nil fuhren, um so trauter ward uns der Strom. Die reine frische Luft erquickte trotz der Nachmittagssonne, die nicht übel auf das leinene Schutzdach brannte, und wohliges Nichtsthun mit traumhaftem Leben umfing uns. War diese Vorüberziehen der fremdartigen Landschaften doch wie das Schauen im Traum. Nichts erinnerte an die Heimath. Die Bäume und Sträucher, die Vögel auf dem Wasser und den Sandbänken, die Menschen und ihre Behausungen, das Alles gehörte einer anderen Welt an. Die Nilschlammhütten trugen hohe, schräg zugehende Stockwerke, die ihnen das Aussehen von Festungen verliehen, und doch sind diese mit alten Thonkrügen durchmauerten Aufsätze nur harmlose Taubenhäuser, deren Bewohner in dichten Schaaren über den Palmenhainen kreisten oder gurrend auf den Reisigzweigen saßen, welche den Eingang in die Schlupflöcher erleichtern. Bei den Dörfern wateten Büffel im Nil, und verschleierte Weiber schöpften Wasser aus dem Flusse. Auf dem Kopfe trugen sie die großen schweren Thonurnen nach ihren Hütten, schlanke Gestalten, barbeinig wandelnde Säulen, von indigogefärbten Laken umschlottert.

An den steileren Uferwänden arbeiteten Männer am Schaduf; dies ist die Schöpfvorrichtung nach Art der Ziehbrunnen im Gegensatz zu der Sakkiye, die von Zugthieren getrieben wird. Der Eimer daran ist ein kesselartig geformtes Ziegenfell, das Gegengewicht ein großer Klumpen Nilschlamm. Damit hebt ein Fellache das Wasser in eine Grube, die in das Ufer gehöhlt ist, aus dieser schöpft ein Zweiter in eine weiter nach oben angebrachte Vertiefung und so fort ein Dritter und Vierter, bis das Wasser den hochgelegenen Acker erreicht. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend stehen die Fellachen in den Spalten des Ufers, die sie schürften, um einen Halt zu haben, mit maschinenmäßiger Ausdauer bei ihrem schweren Tagewerk, ohne welches die Saaten und Anpflanzungen verdorren würden. Ihr blaues Gewand haben sie von sich gethan, nur ein Hüftentuch bekleidet sie; kaum heben sich die nackten braunschwarzen Körper von dem feuchtdunklen Erdreiche ab, als wären sie aus demselben Schlamme gebildet, dem sie ihr Leben mühselig abgewinnen. Herr Zwilchhammer meinte, auf einer gewöhnlichen Photographie würden sie schwer zu erkennen sein, in dem Apparate jedoch, den er zu erbauen vorhabe, müßten sie ebenso unheimlich zum Vorschein kommen wie in der Wirklichkeit. Unheimlich war das rechte Wort, so denke ich mir unselige Todte, die ein erbarmungsloser Fluch zu endloser Arbeit aus dem Grabe aufscheucht. Und doch ist's nicht so arg. Sie sind gewohnt, also zu werken, und bei ungekochter Pflanzenkost obendrein. Nur am Abend essen sie Warmes, das die Weiber vor der Schlammhütte am Kameelmistfeuer bereiten, namentlich Bohnen und Linsen, mit Zwiebeln stark gewürzt und reichlich mit Sesamöl und Butter gefettet. So sagte der Postmensch auf unser Befragen aus. Als ich zu wissen begehrte, wie das schmeckte, antwortete er: »very good«. Fleisch bekommen sie selten, Milch und Eier, Käse dagegen täglich zu dem flachen Brote, das, wie ich mich selbst überzeugte, trotz seiner grauen Farbe kräftigen Wohlgeschmack besitzt. Europäische Landarbeiter würden mit dem Fellachen niemals wetteifern können, unmöglich wäre es ihnen, bei derselben dürftigen Verpflegung auch nur annähernde Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Am Abend giebt auch der Fellache sich seinem Keef hin, und da er kein anderes Leben kennt, als das hergebrachte, hält er seine Lage noch lange nicht für die schlechteste. So kann der Mensch die bedauerlichste Existenz ertragen, wenn er sich nur zufrieden fühlt.

Mancherlei Fahrzeuge begegneten uns. Fischerboote, mit braunen kraftarmigen Gesellen darin, sahen wir, und Frachtschiffe, mit Waaren und Passagieren, die vom Dorfe zur Stadt fuhren, welche sich von jenem nur durch die Größe und einige weiße Minarehs unterscheidet, keineswegs aber durch die Bauart der Nilschlammhäuser. Auch einen Postdampfer begrüßten wir und ein Räderboot der Firma Cook & Sohn, das mit zurückkehrenden Engländern vollgepfropft war. Ganz wunderlich nahmen sich die Gullenflöße aus: schwimmende Berge von Thonkrügen, deren Mündungen mit Nilschlamm verstopft sind. In Kenneh werden diese Krüge fast für ganz Aegypten getöpfert, ihre Scherben sind es, die sich millionenweise in den Schutthügeln der untergegangenen Städte finden, woraus hervorgeht, daß diese wasserkühlenden Gefäße schon im Alterthum massenhaft verbraucht wurden. Wer ihre Tugenden kenne lernte, vermißt sie ungern, gewiß würden sie in Berlin zur heißen Zeit Anklang finden, zumal sie wenig mehr als den Transport kosten.

Auch Dahabiyen holten wir ein, reizende auf dem Fluße treibende Sommerwohnungen, von braunen Bootsleuten mit riesigen Rudern unter taktmäßigem Gesange vorwärts gezwängt. Freundlich glänzten die Kajütenfenster der Einen; blühende Gewächse rahmten die Thür ein, echte Teppiche lagen auf dem Deck, zierliche Korbmöbel dienten zum Sitzen im Freien, eine Puppenstube kann nicht reizender sein. Als wir vorbeirauschten, trat ein junges Paar aus der Kajüte unter die Blumeneinfassung der Thür. Er hatte seinen Arm um ihre liebliche Gestalt geschlungen, ihre Hand ruhte auf seiner Schulter. Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Ich winkte ihnen mit dem Taschentuche zu. Das sollte ›vergnügte Flitterwochen‹ bedeuten. Ich glaube, sie haben es verstanden, denn glückselig lächelnd grüßten sie wieder. So eine Hochzeitsreise mit der Dahabiye auf dem Nil muß geradezu überirdisch sein. Wir fühlten uns schon wonnig auf dem Postdampfer, wie unbeschreiblich Jenen wohl zu Muthe sein mochte in der süßen Abgeschiedenheit inmitten des uferbelebten Stromes. Wer da noch einmal jung wäre.

Und wenn nun der Abend kam, woher nahm die untergehende Sonne die Farbe, mit der sie den Himmel in ungeahnte Pracht versetzte und das Gebirge? Tiefblau und violet füllten sich die Schluchten der Höhenzüge, brennendroth leuchteten die lichtgetroffenen Abhänge. Wie eine Feuerbrunst loderte der Abendhimmel, orangegelb, goldfarbig, mit blutrothen Streifen untermischt. Sobald die Sonne gesunken war, erlosch der Farbenzauber, die weißen Felsen erschienen grau, das lohende Gelb ermattete. Nach kurzer Weile aber kamen die Wunder der Dämmerung. Tiefer Purpur wallte von unten auf, wo die Sonne entschwunden war, und tönte sanft bis zur höchsten Wölbung des Himmels ab. In seinem Widerschein schimmerten die wilden Gebirgsränder der Wüste rosig; wie aus schwarzem Purpur geschnitten, hoben sich die Palmen des Nilufers von dem verglimmenden Hintergrunde ab. Dann erschien ein Stern nach dem andern, anfangs bleich, kaum sichtbar, allmälig aber an Helligkeit zunehmend, bis das letzte Tageslicht gegangen war und das Heer der Sterne am nächtlichen Himmel funkelte. Welch' ein Glanz, welch' ein Glitzern. Lange Lichtlinien zogen die Sterne in dem Wasser des Nils, ihr Schein breitete mildes Licht über die in Schweigen ruhende Gegend. Nur das Bellen der Hunde scholl vom Ufer her, wenn unser Schiff an bewohnten Stätten vorbeiarbeitete. Wie ein silberner Schein schwebte die Milchstraße über uns und im Westen erhob sich ein ähnliches, noch helleres Licht in Gestalt einer schmalen Pyramide. Nie hatte ich Derartiges zuvor gesehen und auch meines Karls Schulunterricht war hier zu Ende. Mister Pott wußte jedoch Bescheid. »Oh,« sagte er, »das ist das Sodeiekel-Leit.« – »Was für'n Ei?« fragte ich nach. – »Mister Pott meinte das Zodiakal-Licht,« erläuterte Herr Zwilchhammer, »das ›i‹ wird bekanntlich im Englischen wie ›ei‹ ausgesprochen.« – »Auf das ›i‹ kommt es hier nicht an, sondern auf das Licht,« stieß ich ihn zurecht. »Was hat es damit auf sich? Als Licht schlägt es doch in Ihr photographisches Fach!« – »Gelesen habe ich allerdings darüber, aber nach der Beschreibung würde ich es nicht erkannt haben.« – »Woher stammt es denn?« – »Diese Erscheinung ist den Gelehrten noch ein vollkommenes Räthsel.« – »Herr Zwilchhammer, machen Sie keine Flausen. Die Gelehrten wissen Jedes; oder besuchen Sie nie populäre Vorlesungen? Herr Krause hat mir einmal ein Buch zum Lesen gegeben, ich glaube, es hieß ›Kraft und Saft‹, darin stand, daß die Wissenschaft Alles erklärte und längst heraus hätte, daß es keinen Herrgott gäbe, der wäre durch das Fernrohr und den Spektralkasten exmittirt. Ich klappte das Buch zu und brachte es ihm zurück. Wenn ich ihn wieder sehe, werde ich ihm sagen: ich für meine Person bliebe bei dem alten Glauben so lange, bis er für seine Person mir alle Geheimnisse des Himmels verdeutscht. Mit dem wunderbaren Lichte da kann er ja den Anfang machen.«[Das Zodiakallicht ist an interplanetaren Staubteilchen gestreutes Sonnenlicht.]

Ich hatte noch mehr auf dem Herzen, aber Zwilchhammer war im Grunde genommen nicht die richtige Adresse und auch das Aufwart-Muffi kam und meldete, das abendliche Mittagessen sei bereit. Mister Pott hatte es nach Sonnenuntergang angeordnet, damit wir das Einbrechen der Nacht ungestört genießen konnten. Unser griechischer Koch übertraf alle Erwartungen, seine Gerichte waren mannichfaltig und vorzüglich zubereitet. Ein Geschmortes von Geflügellebern mit Champignons mundete meinem Karl so gut, als wenn ich ihm recht etwas mit Liebe und Sechzehngroschenbutter gekocht hätte.

Der nächste Morgen brachte windiges Wetter. Der Nil schlug Wellen und das Schaufelrad warf Wasser auf das Oberdeck. Von der Wüste fegten Windstöße Sandwolken auf, die auch unser Schiff trafen. Dann war die ganze Gegend minutenlang in einen Schleier gehüllt, die Ferne verschwand und die Nähe erschien trübe und verschwommen. Um Zusammenstöße zu vermeiden, ließ der Maschinist die Dampfpfeife ertönen. Ihr Echo hallte von den Gräberwänden der arabischen Wüste wieder, aber das schrille Rufen der Neuzeit fand Keinen in den Grabkammern zu wecken. Die Mumien sind den Fellachen längst zur Beute gefallen, wie die alte Zeit der neuen. Gegen Mittag konnte Herr Zwilchhammer Bilder nehmen, da der Wind sich legte. Die Ufer bleiben bei, wie am gestrigen Tage. Von lustigen Affen, die sich in den Lianenranken des Urwaldes schaukeln, keine Rede, und von den Tausenden von Ibissen, Flamingos und sonstigen Ausstopfvögeln war höchstens das erste halbe Dutzend vorhanden. Bädeker und Meyer müssen den Rest nachliefern. »Karl,« fragte ich, »hast Du noch kein sonniges Krokodil bemerkt, ich sehe mir schon die Augen danach aus?« – »O ja,« erwiderte er, »eins, das in Kairo irgendwo als Ladenschild hing, aber es hatte zu viel Stroh gefressen und war geborsten.« – »Karl, verwildere nicht. Du bist auf dem besten Wege!«

Je weiter wir hinauf kamen, um so ungemüthlicher wurde der Eindruck, den die Muffis bei den Anlegestellen machten. Und die Fliegen! Wo Menschen waren, gab es Massen. Unvergeßlich bleibt mir ein Kind, das splitternackt auf der Schulter seiner Mutter reitend (wie alle kleinen Kinder der niederen Klassen getragen werden), mit beiden Händen den Kopf seiner braven Marmi umklammerte, die ihrem Sprößling keine Aufmerksamkeit widmen konnte, weil sie genug mit dem Zusammenhalten ihres dunkelblauen Lakens zu thun hatte, das, wie ich vermuthe, ihr einziges Kleidungsstück war. Dieses Kind war am Leibe ziemlich hellfarbig, im Gesicht dagegen rabenschwarz. Als ich Herrn Zwilchhammer auf das Naturspiel aufmerksam machte, alxte das Kleine mit der einen Hand in seiner Physiognomie herum, und siehe da, das Schwarze flog davon – es waren lauter Fliegen. Die Nerven zingern mir noch.

Oft genug sah ich schon in Kairo, daß die Fliegen den Kindern wie Brilleneinfassungen in den Augen saßen, aber dies war das erste, das sich so vollständig zum Fliegenstock ausgebildet hatte. Das Unbegreiflichste war mir die Mutter. Daß solches Weib die Thiere nicht wegpüstert. Einem Menschen mußte ich meine Empörung ausdrücken, und dies war unser Kapitän. Dieser setzte uns durch Mr. Pott auseinander, daß die Mütter es für gut hielten, wenn die Fliegen den Kindern die Augen krank machten, denn hübsche Kinder würden beneidet, schlechte Menschen würfen ihnen dann den bösen Blick zu, und das Unglück käme über sie. Lieber häßlich und entstellt, als elend. Ueberdies sei es vorteilhaft, die Fliegen, welche satt wären, sitzen zu lassen: jage man sie fort, fänden sich neue hungrige ein, die das Kind nur um so heftiger peinigten.

Ueber Ansichten läßt sich nicht streiten; wo man von den Anfangsgründen des Hygienischen noch keine Ahnung hat, ist Karbol eine überflüssige Entdeckung. So viel ward mir aber klar, daß die zahlreichen Augenleidenden, halb und ganz Blinden in Aegypten mit der Fliegenzucht zusammenhängen. Der Sandwind und der Staub reizen die Augen, die Fliegen naschen an dem kranken Auge des Einen und setzen ihre schmierigen Füße an die entzündeten Lider eines Anderen, und das Gift der Krankheit ist übertragen. Wir gebrauchten die Fliegenwedel deshalb auch mit Forsche, sobald die Postauswechslung uns in die Nähe von Fellachenansammlungen brachte und das geflügelte Unzeug Appetit auf uns verspürte.

Immer weiter strebte unser Schiff. Eine Palmenart, die erst in Oberägypten gedeiht, mit gegabelten Aesten und schirmförmigen Blättern, Dumpalme genannt, brachte einige Unterbrechung in die Dattelpflanzungen. Auch blühende Mohnfelder bekränzten das schwarze Ufer und wurden fleißig bewässert, damit sie Opium für die Apotheker liefern. Früher soll das Opium- und besonders das Hanfrauchen stark im Schwunge gewesen, jetzt dagegen ziemlich ausgerottet sein. Mit größter Strenge fahnden die Zollbeamten auf die Einführung des Haschisch, das vom Hanf kommt und die Menschen entnervt. Da der Mensch jedoch ohne Betäubung nicht leben zu können scheint, destilliren die wohlhabenden Fellachen sich einen Branntwein aus gegohrenen Datteln, den sie Raki nennen und als Medizin betrachten. Unser Postmann wußte gut Bescheid und ich hatte viel aufzuschreiben.

Das Einzige, was mir Kummer verursachte, war die Uhr. Um ein wissenschaftliches Tagebuch zu führen, hätte ich doch alle Stationen aufschreiben müssen, und die Minute unserer Ankunft, wie z. B. Homran 6 Uhr 25; Kasr Wel Sayad 9 Uhr; Dechna 11,25; Kenneh 2,15; Kus 5,50; Nakada 6,20; Kamula 8,15; Luqsor 10 Uhr Abends, damit man den Fahrplan pünktlich kontrolirt. Aber die alte wirrselige Butterdose war noch in der Zeit vom Tage vorher begriffen, als wir in derselben Nacht bei Luqsor landeten.

Wilde mit Laternen nahmen uns in Empfang und zogen uns eine steinige Böschung hinauf, die noch stolperiger war, als das Ufer bei Assiut. Hilfreicherweise lag das Hotel Karnak unmittelbar an dem hohen Uferrande, ein weitläufiges Gebäude mit großem Speisesaal und Wohnzimmern, die einen nach blühenden Orangen duftenden Palmengarten umschlossen. Von der Terrasse blickte man auf den Strom hinab und auf die Sternenbilder, die dort unten noch einmal in zitternden, glänzenden Strichen widerstrahlen.

In den eben ausreichend möblirten Zimmern herrschte Dumpfigkeit, wir ließen die Abendkühle durchziehen und lüfteten die, wenn auch harten, so doch saubern Ruhestätten. Da der Kellner, ein Neffe des Wirths, Deutsch sprach, wurde Mister Pott seines Dolmetscheramtes vorläufig enthoben und zum Kellermeister ernannt. Er kundschaftete Münchener Löwenbräu in Flaschen aus, und mein Karl fand den Kladderadatsch und die Nationalzeitung. »Sieh da,« rief ich, »kaum haben wir den Fuß in Oberägypten ans Land gesetzt, und Deutschlands Gaben erfreuen uns. Ist das Bier auch nicht vom Faß, sind die Zeitungen auch einige Wochen alt, das schadet nichts. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen.« Das thaten wir denn auch, zumal wir aufblieben, um den Postdampfer von Assuan zu erwarten, mit dem Leutnant Fischer eintreffen sollte. Der Kellner erzählte, daß oben bei Wadi-Halfa und Assuan herum aufständische Derwische Angriffe auf den Dampfer gemacht hätten, und man nicht wisse, ob das Schiff ausgeraubt sei. Das Schlimmste werde vermuthet.

Diese Nachricht war nicht angethan, unsere Stimmung zu erhöhen, denn außer dem Leutnant waren auch Schliemann und Virchow in jener Gegend. »Ist unseren Landsleuten auch nur ein Haar gekrümmt, wird das Deutsche Reich Rechenschaft fordern,« sagte mein Karl. »Dazu hat es gottlob die Macht.« – »Glaubst Du, daß Virchows wegen Krieg angefangen würde?« fragte ich, »Der ist doch so sehr gegen Militärvermehrung und kolonialische Seemacht, daß er es am Ende garnicht annähme, wenn ihm zur Hülfe gekommen werden müßte.« – »Wo es die Ehre der Nation gilt, wird der Einzelne nicht gefragt, und daß das Reich, Jedem, wo er auch sei, Schutz angedeihen lassen kann, das ist die Wirkung seines Ansehens. Und Ehre und Ansehen stehen auf demselben Brett. Doch hoffen wir das Beste, Gerüchte sind stets viel ärger, als ihre Ursachen.«

Während wir hin und her dachten, war Mister Pott zu dem Entschlusse gekommen, in der Frühe mit dem Dampfer nach Assuan hinauf zu fahren und an den Kämpfen gegen die Wilden theilzunehmen. Vergebens bat ich ihn, sich zu schonen, da ihn ja die ganze Angelegenheit gar nichts anginge, aber er war nicht zu halten. »Wie Sie auch frikassirt werden, wir bewahren Ihnen stets ein herzliches Angedenken,« sagte ich zum Abschied. – »Ich verlasse mich auf mein gutes Gewehr,« entgegnete er. »Es ist Pflicht, die Wilden zu zivilisiren.«

Ich konnte lange nicht einschlafen. Die Zivilisirung mittelst Pulver und Blei schob allerlei Gedanken, die garnicht zusammenpassen wollten, wie auf Karren herbei, daß ich mich nicht durchfinden konnte. Wenn die Wilden nun auf ihre Art glücklich sind, haben wir das Recht, ihnen unsere Angewohnheiten mit dem Schießprügel beizubringen? dachte ich. Und wenn sie Mister Pott in Kochstücke hauen, nehmen sie dann nicht auch ihr Recht in Anspruch? Was würde die Welt sagen, wenn die Eskimos die Neger glücklich machen wollten und sie todtschlügen, wenn sie sich Robbenanzüge und Leberthran nicht gefallen ließen? Und wie viele Wollsocken werden für die Heidenkinder gestrickt, weil man es sündhaft findet, wenn sie barft in der Hitze herumlaufen. Bei all diesen Bestrebungen muß doch das Klima zunächst in Betracht gezogen werden, und sämmtlich, was sonst damit zusammenhängt.

Als wir in der Frühe hochkamen, war der Dampfer mit Mister Pott längst fort. Wir tranken Kaffee, aber die Butter zum Brod war ungenießbar, richtige Bergfeldten-Butter, die ebenso grüngelb schmeckte, wie sie aussah. In Aegypten lernt man Klingel-Bollen schätzen, das ist gewiß. Talg war entschieden mang.

Da Herr Zwilchhammer schon in aller Frühe mit seinem Apparat und Mundvorrath aufgebrochen war, beschlossen wir, unseren Konsular-Agenten allein aufzusuchen, und machten uns auf den Weg. Auf der Hotel-Terrasse saß ein dickes Weib und rauchte Wasserpfeife. Mein Karl meinte, sie wöge mindestens hundert Kilo, ich gab ihr noch Zehn zu. Ich glaubt nicht, daß sie Nilwasser trank, denn das ist so gut wie Marienbad.

Das Haus unseres Konsular-Agenten war leicht aufgefunden. Die schwarz-weiß-rothe Flagge wehte fröhlich auf dem Dache. Wir wurden von seinem Sohne, Herrn Mochareb Todrus, empfangen, eine Treppe hinaufgeleitet in ein hübsches immer, das mit einigen Divans und Tischen möblirt war. An den Wänden hingen Photographien von vielen berühmten Reisenden, die sie dem würdigen alten Herrn zum Geschenk gemacht hatten, der nach einer Weile im Kaftan, mit Turban auf dem Haupte, uns feierlich begrüßte. Der alte Herr Todrus sprach kein Deutsch, der Sohn hingegen war unserer Sprache sowie des Englischen und Französischen ausgezeichnet mächtig. Wir wurden mit Kaffee und Zigaretten bewirthet, und besahen dann die treffliche Sammlung von Alterthümern, die zwei Nebenräume einnahm. Sehr belehrend waren die ausgesonderten Fälschungen, die schlaue Araber mit bewunderungswürdigem Nachahmungsgeschick herstellen, um die Kauflust der Fremden zu befriedigen. »Karl,« sagte ich, »das Hereinlegen scheint mir ebenso weit verbreitet, wie das Hereinfallen. Vielleicht ist es schon so alt, wie die Welt steht.« – »O ja,« entgegnete er. »Die Schlange legte Eva hinein, und die ihren Mann.« – »Warum war er so dumm?« trumpfte ich ihn ab und richtete mit diplomatischer Wendung die Frage an Herrn Mochareb: »Was ist das Forschungswertheste von dem Gebröckel?« – »Dieser Skarabäus,« antwortete er, indem er mir einen graugelben Stein reichte, der, in Form eines Käfers geschnitten, auf der unteren Seite, wie ein Petschaft, eingegrabene Zeichen trug. Ich wußte nichts daraus zu machen, und mein Karl meinte nach einigem Besinnen: »Merkwürdig, daß die alten Aegypter auch schon ihre Käfer hatten.« – »Der Skarabäus war das Symbol des Werdens, der Entstehung und der Wiedergeburt und daher heilig,« sagte Herr Mochareb. »Man gab sein Abbild den Mumien mit. Dieser hier ist selten, denn die mit einem Ring umzogene Schrift nennt den Namen Ramses des Zweiten, des großen Eroberers, unter dem Kunst und Wissenschaft in Aegypten blühten.« – »Wann lebte der Mann?« fragte mein Karl. – »Etwa Tausendvierhundert Jahre vor Christi Geburt.« – »Dann wäre der Stein vor über Dreitausend Jahren geschnitten?« – »Ja.«

Das reizte mich. Nun hätte ich ihn haben mögen. – »Fanden Sie ihn selbst?« erkundigte ich mich. – »Die Fellachen durchwählen den Gräberschutt und bringen das Gefundene zum Verkauf.« – »Wo sind die Gräber?« – »Hauptsächlich in Theben, auf der anderen Seite des Nils.« – Herr Mochareb führte uns auf einen freien Umgang, von wo aus wir das andere Ufer erblickten; einen grünen Streifen bebauten Landes, hinter dem eine grau-gelbsandige öde Fläche lag, die von Höhenzügen begrenzt war. In den Abhängen konnten wir viereckige dunkle Oeffnungen erkennen, Gräbereingänge, und auch Bauwerke machten sich bemerkbar. »Das ist Theben,« sagte er. Dort lag die hundertthorige Stadt, die Residenz der Pharaonen. »Sie werden morgen ihre ehemalige Größe an den Trümmern erkennen. Ich werde Ihnen meine Esel und Diener zur Verfügung stellen. Um sechs Uhr warten sie am jenseitigen Ufer.«

»So früh?« fragte ich. – »Theben erfordert mehrere Tage auch nur zu oberflächlicher Besichtigung,« entgegnete er.

»Er schneidet mit dem großen Messer auf,« dachte ich. »Was kann dort in der Wüstenei viel zu sehen sein.«

Herr Mochareb übernahm nun unsere Führung nach den Ruinen des Tempels von Luqsor. Wir gingen durch das Dorf an den Nilschlammhütten vorbei. Ich sah mir einige von inwendig an. Nackte Wände, einige Strohmatten auf der Erde, aus Palmenrippen geflochtene Körbe zum Sitzen, einige Kameelhaardecken, etliche Töpfe und Wasserkrüge war der gewöhnliche Hausrath. Ein aus Nilschlamm gemauerter Divan mit einem Teppich darüber war schon Luxus. Was die Fellachen an Werthsachen besitzen, tragen sie entweder bei sich oder verstecken es. Den Getreidevorrath bewahren sie in runden, aus Nilschlamm geformten Behältern auf, die fast wie Oefen anzusehen sind, aber doch mehr Aehnlichkeit mit Champignons haben. Erst kommt nämlich ein hoher runder Fuß und darauf ist der backofenartige Raum für die Lebensmittel.

Auf diese Weise können weder Skorpione noch Schlangen oder anderes Geziefer dazu, das auch den jungen Hühnern nachstellt, die deshalb in ganz gleichen, ungebrannten Nilschlammschränken verbleiben, bis sie kräftig und groß genug sind sich zu wehren oder mit Erfolg zu fleuchen. Das wichtigste Geräth außer dem Kaffeetopf ist die Handmühle aus zwei Steinscheiben, mit welchen die Weiber das Korn zu Brotmehl vermahlen. Diese Arbeit ist hart und schwer; wenn man das gesehen hat, bekommt man erste eine Ahnung davon, was es heißt, Sklavin zu sein. Allerdings giebt es Mühlen, Herr Todrus besitzt eine, die von einem Pferde gedreht wird, aber dem Armen fehlen die Groschen, der läßt sein Weib an der Handmühle seufzen, die Aermste von Allen. Wie Manche schreibt bei uns, die könne das Sklavenleben nicht mehr ertragen und müsse zu Wasser gehen. Und worin besteht es? Meistens in eigener Unordnung oder in nicht genug Amüsiren.

Wir wanderten durch die engen Dorfgassen auf der Straße, die aus demselben trockenen und graulichen Schlamm besteht, wie die Häuser, bis Alt-Aegypten aus dem Boden auftaucht, und zwar in Gestalt von hohem Quadergemäuer, das mit eingemeißelten Menschen- und Thiergestalten und Inschriften überall versehen ist, wo sich Platz gefunden hatte. Das heißt: kein Stein war unbearbeitet. Die ganzen Wände waren so zu sagen ein geschichtliches Werk in Bilderschrift. Es ist wirklich Schade, daß die Aegypter nicht gleich dabei geschrieben haben, was es heißen soll, damit der gewöhnliche Reisende es auch lesen könnte. Warum immer etwas Ausgenommenes für die Gelehrten?


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