Julius Stinde
Frau Buchholz im Orient
Julius Stinde

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Eine Landparthie nach den Pyramiden.

Wie die Thiere genauer gehen als Uhren. – Warum die Polizeileutnanten mit der Bronzezeit um sich warf. – Ein halber Meter Frühstück. – Unsere Gefährten. – Die Beduinen von Giseh. – Was die Pyramiden sind. – Die oder der Sphinx. – Das Gräberfeld. – Ein Blick in die Heimath. – Der Schech mit dem Prügel. – Auf und in der Pyramide. – Von lebensgefährlichen Freiheiten.

Zu einer reellen Landparthie gehören drei wesentliche Bestandtheile: die Gesellschaft, welche das Ganze unternimmt, die Essabilien, worauf man sich im Voraus freut, und der Kremser, der die Familienkreise sammt Verpflegung in die entferntere Umgebung befördert. Das klingt beinahe wie ein Rebus, aber eine Landparthie ist auch eine Art Orakel, da kein Mensch vorher weiß, wie sie ausfällt. Das heißt, wenn die Bergfeldten mit macht, kann ich prophezeihen. Paree, daß sie anfängt?

Kremser gab es nun in Kairo nicht, man mußte sich mit einzelnen Wagen behelfen; die Hauptsache war die Verabredung, spätestens zwischen neun und zehn Uhr Morgens bei den Pyramiden zu sein und die Abfahrt danach einzurichten. Die Empfehlungen von Alexandrien hatten uns zu Landsleuten geführt, die sich unserer in der reizendsten Weise annahmen. Man ist in der Wildfremde ja ziemlich verbiestert, und gar wohl thut es, vorsorglich mit gutem Rath und praktischer Anleitung gegängelt zu werden.

Meine einzige Sorge war das rechtzeitige Aufstehen, denn die Uhr war durch und durch boshaft geworden. Gerade wenn es sich um Genauigkeit handelte, schnappte sie ein, und ging nicht weiter. Freilich hatten wir dem Zimmerwilden Bescheid gesagt, aber so viel war mir vom Arabischen bewußt, daß es, nach dem Lernbuche gesprochen, gewöhnlich das Verkehrte zu Wege bringt. Das Einzige, worauf ich mich verließ, waren die Thiere.

Vor unserem Fenster nämlich in der Palme des Nachbarhofes nistete ein Stoßvogelpaar, das sich Junge zugelegt hatte, die früh Morgens mit unlöschbarem Hunger aufwachten und demgemäß nach Nahrung schrieen. »Karl,« sagte ich, »wenn man die Thiere nur einmal ordentlich satt machen könnte, daß sie mit dem Schlung stille wären. Umgebracht dürfen sie nicht werden, wie Herr Zwilchhammer sagt, da sie noch von alten Zeiten her in heiligem Ansehen stehen. Frühere Gebräuche haben allerdings etwas Ehrwürdiges, aber sie müssen nicht belästigen.« – »Die Thiere gehen genauer als die Uhr,« entgegnete er. »Daß ich die Kartoffel auch mitnehmen mußte.« – »Es geschah wegen des Stehlens.« – »Noch ist uns nichts weggekommen!« – »Nur Geduld.« – »Die Wilden scheinen mir ehrlicher als manche Zahme.« – »Haben wir die Wäsche schon wieder?« – »Die trocknet.« – »Nach meiner Meinung müßte sie längst brechen.« – »Thu' mir den Gefallen und schlaf ein. Die Uhr war Deine Idee, ich wäre mehr als froh, wenn sie gestohlen würde.« – »Das Amerikanische wird doch überall so sehr gelobt.« – »Angepriesen, wolltest Du sagen.« – »Karl, Du treibst Alles auf die Spitze, warte damit, bis Du bei den Pyramiden bist, die sind höher als mein Begriffsvermögen.«

Die Thiere ächzten uns beim Morgengrauen wach. Mein Karl brachte die Uhr in Gang, die ebenfalls eingedust war, dann kam der Wilde uns wecken, und dann tranken wir Kaffee. Auf Mr. Pott's Anrathen, den wir am Abend vorher gesprochen, beorderte mein Karl kühlende Erfrischungen und Eis sowie Früchte, Bananen und Mandarinen. Herr Arthur Kaulla aus Stuttgart, ein unterhaltsamer Tischnachbar, schloß sich an, und etwas nach Achten sauste der schwarze Kutscher mit uns ab.

Der Weg durch die Stadt ging durch neu verbreiterte, mit schattigen Akazien bepflanzte Straßen, an blühenden Anlagen, an der Kaserne und dem Exerzierplatz vorbei bis an den Nil, über den eine eiserne Gitterbrücke führt. Der Strom war mit kleinen Dampfschiffen und zahlreichen Nilbarken belebt, und auf der Brücke begegneten uns Landleute, welche Grünfutter für die Esel und Pferde, Feld und Gartenfrüchte für die Menschen zur Stadt brachten, und zwar entweder zu Kameel oder zu Esel. »Sind die Leute hier so musikalisch, daß sie Alle Flöte blasen?« fragte ich, nachdem mit aufgefallen war, daß sowohl Reiter wie Fußgänger mit Vorliebe etwas Blasrohrartiges an den Mund brachten. – »Sie frühstücken Zuckerrohr,« erklärte Herr Kaulla. – »Ohne was dazu?« – »Damit sind sie zufrieden.« – »Solche Genügsamkeit. Wie es sich wohl auf einem Kameel reitet?« – Hättest Du Lust, Wilhelmine?« fragte mein Karl. – »Ich fürchte, die Bewegung ist für mich doch wohl zu schwankend. Wer darauf sitzt, pendelt ja immerwährend vor- und rückwärts. Ich zweifle nicht, daß drei Wochen Kameel das Mittelstück schlank kriegen und Schweninger bedeutende Konkurrenz machen würde, aber wer garantirt, daß das Rückgrat nicht dabei aus dem Charnier geräth? Und wenn das Kameel durchgeht? Verstehst Du es zu kommandiren? Ehe Du Prr! Prr! herausbringst, ist es mit Dir in der Wüst, und da haben die Gesänge Davids ein Ende.«

Auch Ziegenheerden wurden zur Stadt getrieben, wo die Milch in den Straßen frisch vom Euter verkauft wird, und Wasser zwischenplumpen unmöglich ist. Es sind komische Thiere. Braun von Farbe mit langen Schlappohren und einer Ramsnase, die wohl nur dadurch zu erklären ist, daß die Urziege sich an dem Urschaf versah, und die krummste Nase, weil hochinteressant für die Wissenschaft, sich weiter vererbte. Ohne Populäre Vorträge würde man an die Lösung solcher Fragen nicht herangehen, aber da erkennt man, wie leicht so was ist. Warf doch die Polizeileutnanten im vorigen Winter mit der Bronzezeit um sich, als wäre das Cuivre poli garnichts mehr werth.

An dem Nilufer in der Nähe der Brücke wird ein Markt abgehalten, an dem sich fast ausschließlich Wilde betheiligen. Dort blüht der Zuckerrohrhandel, und wer Talent zum Kaufmann in sich spürt, findet Gelegenheit genug, ein eigenes Geschäft zu gründen. Knaben von höchstens acht Jahren sieht man am Wege: drei, vier Stangen Zuckerrohr sind ihr Waarenbestand, der Schatten einer Akazie ist ihr Dach, die schwarzgraue Erde zugleich Ladentisch und Sessel. Der Beduine hält mit seinem Kameele, im Nu ist er vom Thiere herunter und um ein Stück Rohr entspinnt sich ein Hinundhergehandele, als gälte es eine ganze Plantage. Schließlich erwirbt er sich einen halben Meter Frühstück, springt auf die vierbeinige Lokomotive und zieht von dannen.

Bei dem vizeköniglichen Palaste von Giseh biegt die Allee ab und richtet sich schnurgerade auf die Pyramiden zu. Früher mußte man über den Nil setzen und mit Eseln hinreiten, als aber die Kaiserin Eugenie die Eröffnung des Suezkanals mit ihrer Gegenwart verweltgeschichtlichte, ließ der Khedive diese Straße von Tausenden von Fellachen in kürzester Zeit aufwerfen, damit der hohe Besuch einen einschmeichelnden Fahrweg vorfände. Jetzt genießen alle Reisende diese Wohlthat und erfreuen sich an den herrlichen Lebbach-Akazien, die rasch und saftig wachsen, denn schon jetzt nach knapp zwanzig Jahren, breiten die Bäume ihre Zweige über die Straße aus.

Je näher man kommt, um so deutlicher stellt sich heraus, wie sehr der Zahn der Zeit die Pyramiden angenagt hat: die aus weiter Ferne scharf erscheinenden Begrenzungslinien zeigen sich schartig und ausgekerbt. Rechts und links vom Wege liegen bebaute Felder, etliche palmenumstandene graue Fellachendörfer, mittelst Schöpfrädern bewässerte Kleeweiden, auf denen Vieh gehütet wird und weiße Kuhreiher Nahrung suchen. Aus den Dörfern kommen bakschisch-schreiende Kinder. Gerade aus steigt die Wüste wie gelbe Sandhügel auf und verliert sich am Horizont in schmalen Streifen. Kurz vor dem Pyramidenfeld von Giseh holten wir die anderen Wagen der Landparthie ein. In dem ersten waren Franz Pascha und Frau, Herr Holz und Frau, letztere eine Schwester der Frau Franz Pascha, in dem zweiten saßen der Seelsorger der deutschen Kolonie, Herr Pastor Boit, und Herr Dr. Vollert mit seiner jungen Gattin, der Bibliothekar der vizeköniglichen Büchersammlung.

Die Chaussee vor Versandung zu schützen sind, wo die Steigung beginnt, Mauern aufgeführt, aber der Sand lagert sich dennoch ab, und um den Pferden eine Erleichterung zu gewähren, steigt man hier aus und geht zu Fuß. Wir begrüßten uns, froh über den windstillen Tag und die Frische der Morgenluft. In der That war der gelinde Hauch, den die Wüste uns zusandte, von wunderbarer Reinheit.

Nun setzten wir den Fuß in den ersten Wüstensand. Er war wie gewöhnlicher gelber Sand. Wir wollten gerührt eine Probe mitnehmen, aber daran läßt sich die Wüste doch nicht erkennen, denn es gehören auch die Felsgesteine dazu, und die unendliche Ausdehnung der kahlen, todten Einöde.

Nur unbeholfen kamen wir vorwärts, woran jedoch weniger der sandige, aufwärts führende Weg schuld war, als das Andrängen der Wilden. Die Beduinen von Giseh halten nämlich jeden Fremden für ein ihnen verfallenes Opfer, von dem sie so viel Bakschisch herausschlagen, wie nur möglich, sei es nun als Führer, als Begleiter beim Besteigen der Pyramiden, oder als Händler mit Antiquitäten. Wie man auch abwehrt . . . . sie wanken nicht. Und dabei hat die Bande sich etliches Deutsch angewöhnt. Einer von ihnen, ein brauner Lulatsch in weißem Hemd und schwarzem Kaftan, mit einer runden, weißen Nachtmütze auf dem Kopf, hatte es auf meinen Karl abgesehen. »Herr Baron,« redete er, und deutete auf die Pyramiden, »Herr Baron, schneidig, kolossal, pyramidal.« – »Nanu,« rief ich, »wer mag ihm das beigebracht haben?« – »Jedenfalls Berliner,« lachte mein Karl. Das Muffi grinste über das ganze Gesicht; es war entzückt über seine Sprachkenntnisse. »Herr Baron,« fing er wieder an, und holte einen Fetzen aus dem Busen, der früher mal ein Taschentuch gewesen war, »Herr Baron, Antika.« Er wickelte das Tuch auseinander und bot uns die darin enthaltenen, verschimmelten Münzen für vier Franken an. »Das Zeug gilt ja nichts,« sagte ich, um ihn loszuwerden. – »Antika, schneidig, kolossal,« entgegnete er. Er quälte so lange, bis mein Karl ihm für eine Handvoll Münzen einen Franken gab. In demselben Augenblick kam ein anderer Beduine ebenfalls mit Münzen. Verächtlich blickte er auf unsern Einkauf, und sagte: »Musch Antika.« – »Nix falsch,« vertheidigte sich der Erste. »Abdallah, pyramidal,« und die Münzen seines Konkurrenten mit dem Finger betippend, sagte er, überlegen wie ein Professor: »Kullo falsch.« – »Karl,« bemerkte ich, »wenn mich nicht Alles täuscht, hat der Wilde uns hineingesenkt. Und das schneidig!« – Das Heiterste aber war, daß Ehren-Abdallah für seine Beschummelung noch extra Bakschisch verlangte. »Hier hast Du Bakschisch,« sagte mein Karl, und wollte ihm die alten Münzen retour geben. Da lachte er uns aus. So ein Gnuff.

Sonderbarer Weise machten die Pyramiden in der Nähe nicht den gebirgigen Eindruck, den sie aus der Ferne versprachen. Das wird wohl an der Umgebung liegen, an der weiten Leere, die Jedes winzig erscheinen läßt. Man muß ihre Größe erst herausfinden, indem man sie umschreitet, und sich mit der Berechnung aushelfen, daß die Steine der Cheops-Pyramide für sechzig Kölner Dome langen. Nun stehen aber auf dem Todtenfeld von Giseh drei große Pyramiden und sechs kleinere, und von hier aus erblickt man die Stufenpyramide von Sakkara, und nach Dahschur hinüber noch eine Anzahl, darunter die sogenannte Knickpyramide, die eine ungewöhnliche Form besitzt, als wäre sie eingeknickt.

Unwillkürlich begehrt man zu wissen, wozu diese Steinmassen aufeinandergehäuft wurden, welchen Zweck sie hatten?

Hierüber ward uns sachgemäße Auskunft.

Die Pyramidengegend, die sich weit bis in die blaue Ferne hin erstreckt, ist ein großer Begräbnißplatz. In der Nilebene begruben die alten Aegypter ihre Todten nicht, weil die regelmäßig wiederkehrenden Ueberschwemmungen die Mumien bald vernichtet haben würden, und den Aegyptern Alles daran lag, den einbalsamirten Körper zu erhalten, mit dem die geläuterte Seele ein neues Leben beginnen durfte. Darum suchten sie die Hochebene auf und hölten dort Grabkammer neben Grabkammer aus. Ueber die Hochebene aber drang die Wüste vor, der Wind wehte den gelben Sand herbei.

Da kamen die Könige auf den Gedanken, sich bei Lebzeiten Grabmäler zu errichten, die das Wehen nicht verdeckte, und so entstanden die Pyramiden. In diesen Bauwerken, groß und gewaltig wie die Macht der Pharaonen, glaubten sie die Königsmumien unantastbar gesichert, bis zu dem Tage der Auferstehung.

Dies entnahm ich dem Gespräch unserer gelehrten Gefährten, und gab ihnen Beifall, denn hoch aus dem Sande ragen die Pyramiden noch jetzt hervor, obgleich die Wüste fast fünftausend Jahre Zeit hatte, sie einzusanden. Sie konnte es nicht; Cheops und seine Kollegen hatten sie richtig taxirt.

Wie schwierig der Bau der Pyramiden war, geht daraus hervor, daß ein eigener Weg angelegt werden mußte, um die Steine aus den Brüchen herbeizuschaffen, an dem allein zehn Jahre gearbeitet wurde. Diese Steine sind meterhohe Blöcke, die den jetzigen Außenseiten der Pyramiden das Ansehen von einem unregelmäßigen Treppauf-Treppab verleihen.

Nachdem wir die kolossalen Steinhaufen genügend angesehen, begab sich die Gesellschaft, von einer Garnison Beduinen begleitet, über Gestein und durch Sandkuten nach dem östlichen Abhang des Pyramidenfeldes. Was ich dort erblickte, erfüllte mich mit schauerndem Zagen. Vor uns erhob sich ein Riesenhaupt mit zertrümmerten Zügen, ein Wesen, halb Mensch, halb Thier, wie erstickt und erstarrt, aus dem tödtlichen Sande. Es war die Sphinx.

Wir kletterten in die Vertiefung hinab, die gerade durch das letzte Freilegen dieses ältesten Denkmals entstanden war, stiegen auf die aus gebrannten Ziegeln gemauerten Tatzen des Löwenleibes, der nach hinten zu vollkommen verschüttet ist, und sahen nach oben. Rathhaus hoch ist die Höhe des Felsens, dem die Bildhauer die Gestalt der Sphinx gaben, und dadurch ein Werk schufen, das in seiner stillen Größe Furchtbares spricht, Furchtbares schweigt. »Vater des Schreckens,« nennen die Araber das Steinbild.

Welche Bedeutung mochte die Sphinx wohl gehabt haben?

Herr Pastor Boit las uns, nachdem wir uns im Schatten des Ungethüms gelagert hatten, aus einem Buche vor, was die Forscher für richtig halten. Darnach heißt es nicht die Sphinx, sondern der Sphinx, und ist keineswegs die Veranlassung zu den Räthselecken in den Familienblättern, sondern war die Darstellung des Sonnengottes, der hier auf dem Gräberfelde den Verstorbenen die Auferstehung verheißt. Wie das junge Licht des Morgens das Dunkel besiegt, und die Fruchtbarkeit die Dürre, so überwindet die Seele den Tod. Genau nach Osten ist das Antlitz des Sphinx gerichtet, die Strahlen der aufgehenden Sonne treffen sein Haupt, seine jetzt zerstörten Augen leuchteten ihr entgegen, und die heute noch mild lächelnden Züge grüßten das Tagesgestirn als den Verkünder des wiederkehrenden Lebens. Vor ihm breitete sich das Fruchtland aus, das Steinbild des Gottes sollte es vor der Versandung schützen. So war den alten Aegyptern der Sphinx heilig, und mit Ehrfurcht hafteten auch unsere Blicke an der Hinterlassenschaft des Volkes, von dem uns Jahrtausende trennten, als wir gingen, den Quaderbau aus Granit und Alabaster und einige der kleineren Gräber zu besuchen.

Der Granitbau ist hauptsächlich für Fachleute bestimmt, die ihre Bewunderung laut werden lassen über die Kunst, mit welcher die Aegypter so große Granitblöcke herbeigeschafft, gefügt und glänzend polirt haben. Ob es ein Tempel war oder ein Grab, darüber grübeln die Forscher noch, die Beduinen aber benutzen ihn, den Fremden eine Sonderfreude zu bereiten. Sie fassen sich an, knien in den Sand, wiegen sich hin und her und singen dazu. Und was sie singen, – man kann es ziemlich erkennen, – das ist der Schunkelwalzer. – Von wem sie das wohl lernten? Ich fürchte, auch wieder von Berlinern. Was soll man dazu sagen? Den Wilden gelten die Ueberreste der Vorzeit nur als Bakschischkapital, und wenn sie mit dem Schunkelwalzer noch etwas verdienen, schätzen sie ihn als werthvolle Bereicherung ihrer Erwerbsquellen. Dazu kommt, daß die Fremden gewöhnlich in dem Quaderbau den Eß- und Trinkkober entfalten, wobei sie fidel werden und den Wilden solcherlei Kultur beibringen.

Wo aber lag die Königsstadt, die ihre Todten allhier begrub? Volkreich muß sie gewesen sein, denn meilenlang erstreckt sich das Gräberfeld. In einer halben Stunde kann man mit der Eisenbahn von Kairo die Station Bedraschehn erreichen, in deren Nähe jetzt ein Schutthügel mit einigen elenden Fellachenhütten die Stätte des einzigen Memphis andeutet. Kein Tempel, kein Palast blieb stehen, wie hinweggefegt ist die alte Herrlichkeit. Nur der Riesenkirchhof ist noch vorhanden.

Es läßt sich nicht leugnen, daß eine Landparthie nach den Pyramiden ihr Angreifendes hat. Abgesehen von der brennenden Sonne, dem beschwerlichen Wandern und dem Geplänkel mit den Wilden, sind die geistigen Eindrücke keine Kleinigkeit. So fühlten wir denn auch Alle das Bedürfniß der Stärkung, und der Vorschlag, in dem Kiosk zu pikniken, der damals für die Kaiserin Eugenie an dem Fuße der Cheopspyramide erbaut worden war, fand berechtigen Anklang. In dem oberen Saale, dessen Wandgemälde nach zwanzig Jahren schon mehr verblichen sind als die bemalten Wände der ägyptischen Gräber, stand ein langer Tisch, ohne jeglichen Kunstgewerbefleiß zusammengenagelt; man sah ihm noch die Eile an, in der er gezimmert worden war. Natürlich hatten feinstes Gedeck und schönstes Geschirr die Unbehobeltheit des Möbels den Augen der hohen Herrschaften entzogen. Auch wir breiteten schlohweißes Tischzeug darüber und ließen uns an der ehemaligen Kaiserinnentafel nieder. War unsere Versammlung auch nicht so glanzvoll, wer weiß, ob es damals besser schmeckte? Uns mundete es trefflich.

Wir waren unter uns. Die Wilden wagten sich nicht herein, da der Kiosk nur selten und den Beduinen erst recht nicht erschlossen wird; Ruhe und Behaglichkeit gesellten sich zu uns. Und noch ein unsichtbarer Gast nahm Theil: das Gefühl, eines großen Vaterlandes Kinder zu sein. Wir waren ja alle Deutsche. Und dies Gefühl fand seinen Ausdruck in einer Rede, die mit dem Hinweis auf die zerbröckelnden Zeugnisse untergegangener Herrschermacht begann, dann das Schicksal der Frau betonte, der in diesen Räumen gehuldigt wurde, als Frankreich den Gipfel seines Ruhmes erklommen und die nun des Thrones verlustig, seit dem Tode ihres im Zululande erschossenen Sohnes aller Hoffnung bar, von den Menschen Mitleid heische. Von gefallener Größe raunen die Steine der Pyramide und die Mauern des Kiosks uns zu, die wir Zeugen der großen Zeit sind, in der Deutschland, das oft zertretene und gedemüthigte, auf den Ehrenplatz geführt wurde, den es jetzt einnimmt. Gott hat den Helden gesegnet, der mit starker Hand das zerfahrene Reich endlich, endlich einigte, um ihm das höchste Gut der Völker zu geben – den Frieden. So lange deutsche Art und deutsches Wort auf Erden bleiben, wird ein Name in Liebe und Dankbarkeit genannt werden: der Name unseres Kaisers Wilhelm. Ihm gelte unser Gedenken in dieser Stunde, Ihm weihen wir dieses Glas.

Die Gläser klangen in wehmüthiger Feier, wußten wir doch alle, daß das Herz unseres geliebten Kaisers in schwerer Sorge um seinen herrlichen Sohn bangte, den das Siechbett in San Remo fern von der Heimath hielt. An dem Sonntage vor unserer Abreise hatten wir den Kaiser an dem Eckfenster gesehen, als am Abend vorher trübe Nachrichten aus der Villa Zirio eingetroffen waren. Tausende hatten sich um die Mittagszeit vor dem Palais eingefunden, Tausende, aus allen Ständen, jeglichen Alters. Nun zog die Wache mit klingendem Spiel auf, und sein Volk grüßend, erschien der Kaiser. Nicht der laute Jubel wie sonst wohl ward kund, der Schmerz drängte ihn zurück, aber die Häupter der Männer entblößten sich ehrfurchtsvoll, und erst leise, dann schwellend und machtvoll anwachsend, erscholl es: »Heil Dir im Siegeskranz«. Die Liebe erkor das Lied zum Boten, daß es dem Kaiser sage, sie sei unwandelbar, in der Freude wie im Leide.

Als ich die Pyramiden zum ersten Male am blauen Horizont erblickte, ahnte ich da, daß es mir in ihrer Nähe wie Schuppen von den Augen fallen sollte über das, was war, und das, was wir erleben? Wird nicht auch einmal unsere Zeit der grauen Vergangenheit angehören, und das Urtheil der Nachwelt wie kurz zusammenfassen, wie wir eine Meinung über das Alte bilden? Ach, und wie wird der Spruch über die ausfallen, denen der eigene Vortheil über das Gemeinwohl ging, persönliche Eitelkeit mehr galt als fördernde Hingebung an das Ganze, und kleinliches Nörgeln edler däuchte als einmüthiger Verfolg großer Ziele? Pyramiden hinterläßt Deutschland den späteren Jahrtausenden nicht, sich selbst und seinen Namen muß es erhalten.

Wer Giseh besucht, wünscht eine Erinnerung mitzunehmen, wozu der in einer Bretterbude murksende Wüstenphotograph die beste Gelegenheit bietet. Da derselbe Deutsch sprach – er stammt aus Ungarn – einigten wir uns bald. Unsere ganze Gesellschaft wurde malerisch auf den unteren Felsblöcken der Pyramiden gruppirt, – verschiedene Wilde dazwischen gepflanzt – auch Holzens Teckel mußte mit, – und im Handumdrehen war die Aufnahme gemacht. Die Wilden, Abdallah an der Spitze, verlangten natürlich für ihre Mühewaltung Bakschisch, der ihnen jedoch insofern unerwartet ausgezahlt wurde, als der Schech der Beduinen, der Häuptling vom Ganzen, mit dem großen Knüppel unter sie fuhr. Sie flohen von dannen. Der würdige Schech dagegen blieb, und bat sich seinerseits ein Trinkgeld aus. Uns wurde versichert, daß er eine halbe Million besitze, mit der er jedoch nichts weiter anzufangen wisse, als sie zu haben. Die Wilden sind nämlich bedürfnißlos und geldgierig.

Es dauerte nicht lange, bis die Geprügelten wieder herankamen, um uns zur Besteigung der Pyramide zu überreden. Wer ein Freund von Rheumatismus ist, unterlasse es nicht, denn es soll oben prachtvoll zuchen. Ich fragte, ob man nach Kamerun hinsehen könne, erhielt aber zur Antwort, es läge zu weit wärts. Das ganze Unglück von Kamerun ist eben seine Wärtsigkeit, und außerdem soll es aus sehr sandreichen Gefilden bestehen. So quadratmeilig die Wüste auch ist, als Grundstück hat sie doch nur schwachen Werth. Das Land Aegypten hingegen, so weit es bewässert wird, ist ein fetter Bissen, und den haben die Engländer in ihren Schutz genommen.

Hätten wir früher ein Samoa gehabt oder sonstige Kriegsschiffsberechtigung auf dem Ozean . . . so gut wie andere Völker würde das deutsche Reich auch geschützt haben, wenn nicht besser! Aber dies war gegen die Interessen des Steuerzahlers.

Ich für meine Person ließ das Pyramidenbesteigen, denn ich sah, welche schenierliche Arbeit das ist, an einer Engländerin, die sich vorgenommen hatte, sich zu rühmen, daß sie oben gewesen sei. Zwei Beduinen faßten ihre Hände und zogen, während ein Dritter in der Tournürengegend nachdrückte. Ohne diese Handgriffe kann man nicht von einer Stufe auf die andere gelangen, da jede derselben etwa so hoch ist, wie ein Tisch. Es war jammervoll zu betrachten, wie die Beduinen die Aermste zerrten. Zeitweilig schien es durch den Krimmstecher, als sei der Engländerin die Puste in der Sonnenhitze ausgegangen, aber Ausruhen galt nicht; die Wilden griffen feste an, zogen und schoben so lange bis die Spitze erreicht war. Dann kam der Abstieg. Nun mußte die etliche hundertmal von einem Block auf den anderen hopsen, wobei die Beduinen nur aufpaßten, daß sie sich nicht überschlug und herabstürzte. Jedesmal, wenn sie auf die Hacken sprang, fühlte ich mit, wie es einen ordentlichen Quuck in ihrem Innern gab. Aber hatte sie genug, als sie bei dem Eingang in die Pyramide ankam? Erst recht nicht. Auch da kroch sie mit den Hemdenkerls hinein, obgleich drinnen alle Sehenswürdigkeiten längst beobachtet und ausgeräumt sind und man ohne Kerze überhaupt nichts sieht. Sie schien bei ihrer Rückkehr aus dem Grabgange nicht sonderlich erbaut, denn sie beorderte ihr Wägelchen und trollte nach Kairo ab. Dort in den Hotels sind immerwährend einige Fremde bettlägerig, weil sie nach den Anstrengungen der Pyramidenbesteigung drei Tage, wie gemartert, kein Glied rühren können und nur im ausgestreckten Zustande die Nummern ihrer Knochen nicht fühlen.

Gut berathen, schenkten wir uns die Strapaze und waren mit dem Zusehen überzufrieden. Dagegen genossen wir den Blick auf das grüne Fruchtland, auf Kairo mit seinen Minarehs und Kuppeln, und auf den kahlen Höhenzug des Mokattamgebirges, das sich im Scheine der abendlichen Sonne röthete.

Auf dem Rückwege stürzten Bakschisch zischende Kinder aus einem Graben hervor, in dem sie lauernd gelegen, daß die Pferde scheuten und die Kutscher blindlings mit der Peitsche auf die zeternden Rangen losschlugen. Ein Beduine, der sich eine Flinte gekauft hatte, probirte ihre Güte aus, indem er auf offener Landstraße die Bäume anschoß.

»Ich will froh sein, wenn wir unumgeworfen ankommen,« sagte ich, »die Volksfreiheiten sind hier schon mehr lebensgefährlich. Ein Schutzmann wüßte garnicht, wen er zuerst aufschreiben sollte.«

Wir langten ganz und lebend im Hotel an. Das Zimmermuffi brachte die Wäsche; sie war ausgezeichnet, und es fehlte kein Stück. »Nein,« rief ich, »dieses Land! Halb sind sie zivilisirt, wie bei uns, und halb sind sie wild. Und Pyramiden dazu. Man kommt sich selbst unbegreiflich vor.«

 

 


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