Heinrich Stilling
Buntes Allerlei
Heinrich Stilling

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Johann Christian Grabbe.

Grabbe stand schon an der Haustüre, als ihm einfiel, daß er seinen »Christus« vergessen habe.

»Sind es die versoffenen Burschen wert, daß ich mein armes Kreuz noch einmal anstrenge und mich hinaufquäle? Nein, sie verstehen doch nichts davon; aber ich habe es dem braven Burgmüller versprochen! Nein, ich laufe die drei Treppen nicht hinauf, ich kann's einfach nicht.«

Er verließ das Haus. Er ging langsam wie immer, den Rock zurückgeschlagen, den Daumen der einen Hand in der Tasche über der Hüfte, in der anderen Hand den Regenschirm, den Kopf auf die Brust gesenkt.

»Na, Grabbe«, sagte der Theaterdirektor 88 Herr Immermann, »man schmiedet wohl ein welterschütterndes Drama?«

Grabbe hob den Kopf, und seine Augen blitzten Immermann an:

»Ja, an dem ›Christus‹ arbeite ich jetzt!«

Da sagte Immermann:

»Bravo, Grabbe, Sie wagen sich an Stoffe, alle Achtung! Ob das nicht vielleicht etwas für uns ist?«

»Warum nicht, Herr Direktor, soll ich Ihnen einige Szenen daraus vorlesen? Ich habe das Manuskript zufällig bei mir.« Er suchte in nervöser Hast in allen Taschen. »Da drüben ist ja eine Bank.«

»Lassen Sie es vorläufig nur einmal«, sprach Immermann und klopfte ihm auf die Schulter, »ich habe heute gar keine Zeit, und dann müßte ich auch erst mit seiner königlichen Hoheit sprechen!«

»Mit seiner königlichen Hoheit?«

»Nun, damit er die Besatzungstruppen ausgiebig verstärkt; denn, sagen Sie, Grabbe, 89 wieviel tausend Statisten brauchen Sie für Ihr neuestes Werk?«

Er lachte laut, sein Bäuchlein wackelte heftig.

Grabbe betrachtete ihn mit bösen Augen; aber er wagte nicht zu antworten. Ihm fiel ein, daß er bis heute noch nicht die Rollen ausgeschrieben hatte für Immermanns Stück »Das Gericht von St. Petersburg«, und die lumpigen Groschen dafür waren doch schon längst verpulvert.

Es war, als hätte Immermann die Gedanken Grabbes gelesen. Er sagte: »Grabbe, sagt auch Euer ›Christus‹: Gebet dem König, was des Königs ist! Gabt Ihr dem Düsseldorfer Theater, was dem Düsseldorfer Theater ist? Habt Ihr die Rollen nun endlich ausgeschrieben?«

»Gewiß, Herr Kriminalrichter« – das war Immermann einmal gewesen –, schnob Grabbe, »ich habe sie sogar bei mir«, und wieder suchte er heftig in allen seinen Taschen.

Da lachte Immermann abermals laut auf 90 und ging seines Weges. Grabbe blickte ihm nach »Du Hund, ich . . . ich . . . ich . . .«

Aber seine Wut dauerte nicht lange. Er dachte an seinen Freund Burgmüller, der sicher schon in der Kneipe saß und auf ihn wartete.

»Ich hab's ihm versprochen, und seit Wochen bezahlt er für mich, und auch die anderen Herren bezahlen immer für mich! Ich muß mich nun doch endlich einmal revanchieren. Außer dem Burgmüller sind's ja Kamele; aber ich bin doch so ein vorzüglicher Deklamator, und dann will doch der Hauptmann Rastel den Berliner Buchhändler mitbringen. Wie heißt er doch nur?«

Also kehrte er wieder um und quälte sich die drei Treppen hinauf in sein Zimmer. Es dauerte lange Zeit, bis er das Manuskript »Christus« in der furchtbaren Unordnung gefunden hatte. Aber doch fand er es endlich, tief in den Bettkissen versteckt. Das war aus Vorsicht geschehen; denn wie häufig hatte er schon, wenn er abends nach Hause kam und 91 Fidibusse für seine Pfeife suchte, ganze Akte seiner Dramen in Flammen aufgehen lassen.

Spät war es, als Grabbe in den »Stolzen Pfau« trat.

Bei der Küche blieb er stehen und sog gierig den Bratenduft ein.

»Herrgott, wenn ich Geld hätte!«

Aus der offenen Wirtsstube kamen Lärm und Gelächter.

»Guckt den Grabbe an«, schrie eine rohe Stimme, »der läßt sich gleich an der Quelle nieder, der säuft den Rum aus den Kochtöpfen.«

Grabbe trat in die Wirtsstube:

»Ja, Herr Hauptmann, ich muß mir den Rum aus den Kochtöpfen saufen, was kann ich dafür; aber schön schmeckt's doch, das ist die Hauptsache.«

Er fiel auf einen Stuhl neben Burgmüller nieder, ergriff dessen volles Glas und trank es aus. 92

»Christian«, sagte Burgmüller, »sei vorsichtig auf den leeren Magen!«

»Schweig, ich komme gerade von einem Diner bei Immermann und habe mich für acht Tage vollgefressen.«

»Sie können saufen, Grabbe«, sagte bewundernd vom andern Tischende her der Hauptmann, »mordsmäßig saufen.«

»Und ich bleibe immer nüchtern, das ist das wirklich Große daran«, rief Grabbe über die Anerkennung hocherfreut: »Sie kennen doch den Major von Bärensprung; er gilt als der standfesteste Trinker in der preußischen Armee; aber so wahr ich hier sitze, meine Herren, ich war damals ein blutjunger Auditor, ich habe ihn unter den Tisch getrunken. Es war eine reine Pracht.«

»Herr Christian Dietrich Grabbe lebe hoch!« schrie der Hauptmann und fuchtelte mit seinem Glas in der Luft herum.

Grabbe erhob sich und winkte dem Hauptmann zu, dabei sagte er leise zu Burgmüller: 93 »Die Stimmung wird ja ausgezeichnet, ich will sie gleich ausnützen!«

Laut rief er dann:

»Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre warmen Ovationen. Als karges Entgelt werde ich mir erlauben, sofern es Sie nicht langweilt, Ihnen einiges aus meinem neuesten Werk ›Christus‹ vorzulesen.«

Er hob seinen Stuhl auf den Tisch und kroch hinauf, indem er beiläufig seinem anderen Nachbar das Glas leerte.

Der etwas schwerhörige Hauptmann hatte anstatt »Christus« Christian verstanden. Er schlug sich auf die Schenkel, daß es klatschte: »Aus seinen Memoiren liest er uns vor, der Schweinigel, das wird etwas geben!«

Er setzte sich in Positur, legte die Hand an das Ohr und wurde ganz aufmerksam.

»Herr Hauptmann«, bemerkte sein Nachbar, der Buchhändler, »die Sache heißt nicht Christian, sondern ›Christus‹ und scheint ein Drama zu sein.« 94

»Was?« schrie nun der Hauptmann und ließ sein Ohr los, »ein Drama und es heißt ›Christus‹? Sie sind wohl nicht ganz gescheit, Grabbe? Zeigen Sie mir das Ding einmal her!«

Grabbe reichte gehorsam sein Manuskript herunter. Der Hauptmann blätterte darin.

»Na, ja«, sagte er endlich, »manche Stellen scheinen ja für den militärischen Fachmann ganz interessant zu sein. Aber, Menschenskind, was fällt Ihnen ein, so mir und dir nichts, unseren Herrn Jesus Christus auf die Bühne zu bringen? Ist das denn nicht so eine Art von Majestätsbeleidigung?«

»Auf alle Fälle ist es ungeheuer geschmacklos«, meinte der Buchhändler, »was sagt denn der Herr Immermann dazu?«

»Immermann, der Nimmerkann«, tobte nun Grabbe, »der nimmer kann, was ich kann, der soll urteilen können? Mein Christus ist das gewaltigste Drama auf Jahrhunderte hinaus!«

»Sie sollten sich schämen, den Herrn 95 Immermann zu beschimpfen«, rief der Buchhändler, »Sie kommen doch gerade aus seinem Haus und haben dort gegessen.«

»Aber nichts zu trinken bekommen«, lachte der Hauptmann, »wir kennen den Theaterdirektor Immermann!«

»Prost Grabbe!«

»Prost Herr Hauptmann!«

Noch einige Male versuchte Grabbe im Verlaufe des Abends auf seinen »Christus« zurückzukommen; aber außer seinem Freund Burgmüller wollte ihn keiner anhören. Der am frühesten betrunkene Buchhändler versuchte sogar Grabbe von seinem erhöhten Sitze herunterzuziehen, um den verdammten Gotteslästerer durchzubläuen.

Uebrigens wäre es Grabbe gar nicht mehr möglich gewesen, aus dem Manuskript vorzulesen; denn es schwapperte schon längst in einem See von Rum und Arrak, der sich zu den Füßen des Dichters gebildet hatte.

Um zwei Uhr bewies Grabbe schlagend, daß 96 er noch vollkommen nüchtern sei. Er kletterte auf seinen Stuhl und stimmte die Marseillaise an, die er mit gewaltiger Stimme herunterbrüllte. Der Hauptmann protestierte heftig gegen diesen Gesang. Er sei Monarchist und preußischer Offizier, der Satan habe ihn in diese verdammte demokratische Literatengesellschaft eingeführt, das würde ihm den bunten Kragen kosten.

Der Buchhändler wurde darüber erregt. Er erklärte, er sei weder Literat noch Demokrat, er habe ein christliches Verlagsgeschäft, und unter seinen Autoren seien zwei Superintendenten und ein österreichischer Hofrat. Auch sei er aus mindestens eben so guter Familie wie der Hauptmann. Einer seiner militärischen Vorfahren käme schon in Wallensteins Lager vor.

Zur Abwechslung sang Grabbe nun: »Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?«

Das wirkte beruhigend. Der Hauptmann, der in der Richtung der Türe gestolpert war, 97 kehrte wieder um, wankte mit Tränen in den Augen an den Tisch und erklärte Grabbe für den brävsten Burschen in Düsseldorf.

Auch der Buchhändler fühlte das Bedürfnis, etwas gutzumachen und meinte, Grabbe solle nun seinen »Christus« vorlesen, man sei jetzt in der richtigen Stimmung.

Der Hauptmann war von dieser genialen Idee entzückt.

Nun begann ein eifriges Suchen nach dem Manuskript, bis die Kellnerin Lina erklärte, sie habe schon vor einigen Stunden schmutziges und feuchtes Papier zusammengeballt und fortgeworfen.

Bei dieser Erklärung sagte Grabbe: »Lina, du hast der deutschen Literatur sehr weh getan!«

»Dafür will ich Ihnen sehr lieb tun, Herr Grabbe!« und gab ihm einen Kuß auf den Mund.

»Pfui«, meinte sie aber gleich darauf, »was riechen Sie wieder nach Rum, Herr Grabbe.« 98

»So behandelt dich ein Weib«, sprach der Hauptmann und breitete seine Arme aus, »komm an die Brust eines deutschen Mannes, Grabbe, ihm dünkt der dir entströmende Duft gar lieblich.«

 

Es war vier Uhr, als Grabbe, vom Hauptmann und vom Buchhändler geleitet, nach Hause kam.

An der Haustüre entließ er die beiden, die weitertorkelten, und kroch die drei Treppen in die Höhe. Er hatte es nicht nötig (er wäre es wohl auch gar nicht fähig gewesen), Licht anzuzünden; denn der Vollmond schien hell in die Kammer.

Von der Wand riß er eine große Landkarte und warf sie mitten in die Stube. Dann kniete er nieder und kroch auf sie zu.

»Nun bin ich über Afrika«, sagte er, und nach einer Weile: »nun komme ich über Rom – und jetzt überschreite ich die Alpen – und – jetzt lege ich mein Hirn auf Deutschland.« 99

So blieb er einige Augenblicke liegen. Dann sprang er plötzlich, wie von Furien gepeitscht, auf, eilte an das Fenster und rief hinaus:

»Gute Nacht, Ihr Hunde!«

»Hunde«, klang ein fernes Echo zurück.

Er schleppte sich wieder zur Karte, warf sich nieder und schlief augenblicklich ein. 100

 


 


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