Heinrich Stilling
Buntes Allerlei
Heinrich Stilling

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Der Maulesel.

Diese Geschichte kommt aus vergangenen Tagen. Aus jenen Tagen, wo der Mensch noch nicht so von seiner Wichtigkeit überzeugt war, wie er es heute ist. Auch verstand er noch die Sprache der Tiere, und die Tiere waren sehr zutraulich. In ihren Augen zuckte noch nicht die Furcht vor dem verschlagenen Zweibeiner, als welcher sich dieser Mensch in den kommenden Jahrtausenden erwies. Aber ich erzähle euch damit nichts Neues. Ihr wißt das alles selber aus eurer Kindheit, aus Grimmschen und anderen Märchen. –

Irgendwo lebte der gute alte Mann und mit ihm sein Esel. Auch der Esel war nicht mehr sehr jung; aber er war nicht so unglücklich darüber wie etwa sein Herr. Gerade im 18 Gegenteil. Gerne versammelte er das junge Volk des Hofes um sich, erzählte Wunderdinge aus seinem arbeitsreichen Leben, ermahnte die Jugend, ihm nachzufolgen, und zum Schlusse wies er gerne auf die Ruhe und Behaglichkeit hin, die sich das verdienstvolle Alter gönnen dürfe. Und sicher hätte er als würdigen Abschluß einen lateinischen Spruch zitiert; aber leider konnten damals die Menschen und erst recht nicht die Esel lateinisch.

Trotzdem klang unseres Esels Rede schön, und wenn zufällig der Herr in der Nähe stand, der dann still vor sich hin lächelte, erlebte der Hof oratorische Leistungen von unbestreitbarem Werte:

J . . . a! J . . . a!

Aber jede Idylle findet einmal ihr Ende, und so geschah es auch hier: eines Tages erschien der Maulesel auf dem Hofe. Der Sohn des alten Mannes war aus fernen Landen zurückgekehrt und hatte den Maulesel mitgebracht. 19

»Ein äußerst fleißiges Tier«, bemerkte er zu seinem Vater, »äußerst fleißig und viel intelligenter als unser Alter.«

»Aber wohin sperren wir ihn?« fragte der Vater und zog die Stirne in Falten.

»Natürlich zu dem anderen Esel«, war die rasche Antwort des Sohnes, »es ist doch natürlich, daß die beiden Esel zusammenkommen!«

»Mein lieber Junge, zwei Esel, und besonders wenn der eine noch ein Maulesel ist, in einem Stall . . .« Aber der alte Mann vollendete den Satz nicht.

Inzwischen fand die denkwürdige und folgenschwere Begegnung der beiden statt.

»Mein lieber Herr«, begann der Maulesel sofort, als er neben dem anderen Wohnung bezog, »es tut mir wirklich leid, daß ich Sie in Ihrer traulichen Einsamkeit störe; aber im großen und ganzen lebt es sich zu zweien doch viel besser, um so mehr als wir ja nahe Verwandte sind. Sehen Sie, man hätte Ihnen ja eine Kuh oder einen Ochsen als Stallnachbar 20 geben können, und wenn man schon Zwangsmieter bekommt, dann ist einem die eigene Verwandtschaft doch immer noch am liebsten. Blut ist dicker als Wasser, lieber Herr . . .«

»Sooo«, sagte der Esel, »sind Sie ein Esel?«

Da wieherte der Maulesel hell auf:

»Ich und kein Esel? Ich stamme aus einer der feinsten Eselsfamilien des Landes. Was meine Großmutter war, die war eine der intelligentesten Eselinnen ihrer Zeit. Sie haben sicher schon ihren Namen gehört, und was meine Frau Mutter anbetrifft . . .«

»Ich habe niemals genealogische Studien gemacht«, sagte der alte Esel, der zum ersten Male seinen Nachbar genauer in Augenschein nahm, »ich habe dafür zu sehr um meinen Lebensunterhalt kämpfen müssen. Uebrigens Ihre Bemerkung betreffs etwaiger Einquartierung einer Kuh oder eines Ochsen finde ich deplaciert. Wie sollten so ungeheure Tiere durch diese Türe kommen? Außerdem hätte ich da auch noch ein Wort mitzureden.« 21

Da begehrte der Maulesel auf:

»Ich fühle in Ihren Worten eine ganz unberechtigte Animosität. Ich habe mit den feinsten Eseln der Welt in freundschaftlichen Beziehungen gestanden, und ich muß Sie wirklich ersuchen . . .«

»Ich will's nicht leugnen«, unterbrach ihn der Esel, »ich fühle eine unerklärliche Abneigung Ihnen gegenüber! Ihr wieherndes Lachen schmerzt meine Ohren, und Ihre starke Behaarung (dabei betrachtete er den Schwanz des Maulesels) ist auch kein gutes Zeichen . . . Wie war doch der Name Ihres Herrn Vaters?«

»Mein Vater«, sagte der Maulesel und klappte einige Male seine langen Ohren auf und nieder, »nein, ich muß Ihnen schon offen sagen, die Fliegenplage in diesem Stalle ist scheußlich. Ich bin Besseres gewöhnt, ich halte es hier auf die Dauer nicht aus.«

»Halt«, dachte der Esel, »hier ist etwas nicht in Ordnung. Junge, Junge, ich glaube, du kennst deinen Vater nicht. Sollte man mir 22 einen illegitimen Esel zum Nachbar gegeben haben? Da soll aber doch verschiedenes aufhören!«

So ahnungslos war unser armer Esel, so furchtbar ahnungslos.

»Ich bin mit dem Maulesel wirklich sehr zufrieden«, sagte der Vater am folgenden Tage zu seinem Sohn, »das ist wirklich ein fleißiges Tier, viel fleißiger als unser alter Esel.«

»Siehst du«, erwiderte der Sohn, »die Kreuzung zwischen Pferd und Esel ist gar nicht übel.«

O weh, der neugierige, alte Esel war in der Nähe gewesen und hatte das Gespräch angehört. Ganz grau vor Wut, stürzte er auf seine Herren los und schrie erregt:

»Also das ist des Rätsels Lösung, einer, wo der Vater ein Roß ist, habt ihr mir zum Stallgenossen gegeben? Ihr Eselsverderber, ihr Hunnen!«

Unglücklicherweise kam eben wohlbeladen der Maulesel über den Hof. Da hinkte der 23 alte Esel auf ihn zu und schrie: »Du Roßbub, du verfluchter, wenn du nicht machst, daß du von meinem Hofe herunterkommst, trete ich dir ins Maul, bis du verreckst!«

Schon kniff der Maulesel seinen behaarten Schwanz zwischen die Beine, um auszureißen, als der Sohn des Alten vor den zornmütigen Esel sprang:

»Vergreife dich nur an meinem Maulesel«, schrie er, »du faules Biest! Tust du's, dann schlag' ich dir alle Knochen im Leibe zusammen. Der Maulesel ist mir und meinem Vater viel lieber als du alte Schlafhaube.«

»Sehen Sie, mein Lieber«, rief wieder mutig geworden der Maulesel und sah höhnisch dem alten Esel nach. Der trottete gesenkten Hauptes dem Stalle zu, den er lebend nicht mehr verlassen wollte. Denn die würdige und einzige Antwort, die der letzte eines edlen alten Eselsgeschlechts geben konnte, war der Hungerstreik, und den setzte er so heroisch durch, bis man eines Tages seine Leiche vor dem 24 Troge fand. Da lag er, lag so, wie nur ein vornehmer Esel liegen kann.

Ihr guten Zuhörer, langweile ich euch? Ich will mich beeilen, die grause Tragödie zu schließen.

Seit diesem Tage verlor merkwürdigerweise der Maulesel sein nie rastendes Maulwerk. Gewiß, er tat seine Pflicht redlich noch manches Jahr, und seine Herren waren sehr zufrieden mit ihm; aber er war ein mürrischer, alter Geselle geworden.

Es kam der Tag, wo auch er in das Eselparadies – nein, wird ein Leser sagen, in das Mauleselparadies – eingehen sollte, und an seinem Sterbelager stand wehmütig sein junger Herr, dem er ein so guter Maulesel gewesen war.

»Kann ich noch etwas für dich tun?« sprach der Herr.

»Ja«, sagte der Maulesel, »setze mir einen Denkstein, wie das bei euch Menschen üblich ist.« 25

»Gewiß«, antwortete der Herr gerührt, »du sollst einen haben mit goldener Inschrift:

Hier ruht unser geliebter Maulesel,
      geboren . . .«

Da schlug der sterbende Maulesel noch einmal die Augen weit auf und wimmerte:

»Herr, ich bitte dich, schreib nicht Maulesel, Herr, ich bitte dich, schreib Esel und (hier wurde seine Stimme schon ganz undeutlich) begrab mich neben ihm, du weißt schon neben wem!«

J . . . a! J . . . a! Das ist die Mär vom Maulesel. 26

 


 


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