Ludwig Steub
Sommer in Oberbayern
Ludwig Steub

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Unsere Schriftsteller

Friedrich Lentner hat bekanntlich mancherlei geschrieben, zwei Romane und mehrere feine, zum Teil humoristische Novellen, auf bayrischem und Tiroler Boden spielend. Sein Ruf hat jedoch das Fichtelgebirge nicht überstiegen, obwohl er hierzulande hoch geschätzt und gepriesen wird. Als er gestorben war, zeigten sich auch eine Menge Gönner und Gönnerinnen, Verehrer, Bewunderer, welche sich eifrigst nach der Herausgabe seines Nachlasses, vielmehr Zusammenstellung seiner in Zeitschriften zerstreuten Novellen erkundigten und diese ungemein beeilt wissen wollten. So erschien denn (bei Gebrüder Scheitlin in Stuttgart) der erste Band seines Nachlasses, eine bis dahin ungedruckte Erzählung aus Tirol, welcher ein guter Freund die Lebensbeschreibung des Verlebten vorgesetzt hatte. Als aber das Büchlein fertig im Schaufenster stand und etwas Zuspruch wünschte, hatten sich Gönner, Verehrer und Bewunderer mit einemmal ganz verlaufen. Zur Zeit bedenkt sich nun der Verleger natürlicherweise, ob er den zweiten Band, zu dem er das Zeug schon längst in Händen hat, noch nachschieben solle. Wir erwähnen aber diese Geheimnisse nur, weil sich einige teilnehmende Herzen dem Argwohn hingeben, der gute Freund, der sich um die Herausgabe angenommen, sei aus Lässigkeit oder Widerwille an der Zögerung schuld.

Immerhin sieht man daraus, wie wenig Glück und Segen es bringt, bei uns und in den Nachbarstaaten der schriftstellernde Liebling des Publikums zu sein. In diesem Stücke wenigstens scheint die Metropole der Intelligenz an der Spree einiges voraus zu haben. Ist ihr niederes Volk viel roher, so möchte leicht ihr gebildetes auch etwas gebildeter, wenigstens viel bücherlustiger sein als das unsere, und dort, in dieser Stadt allein, als Schriftsteller, Talent oder Genius, als einer unter vielen rezipiert zu werden, wäre vielleicht ebenso nützlich und angenehm, als in Ober- und Niederbayern, München, Freising, Landshut, Tirol und Vorarlberg, Allgäu, Schwaben und Neuburg nebst den angrenzenden Territorien als erster und einziger zu gelten. Aber warum sollen unsere Geistespflanzen nicht auch im kalten Boden gedeihen wie unsere Rettige?

Wie ganz anders ist es freilich anderswo, in den milderen Ländern, wo die Muse alle Abende zum Tee kommt? Dort stehen dem künftigen Literaturgeschöpf schon vom Zeitpunkt der Empfängnis, bis es das Licht der Welt erblickt, die Bulletins schriftstellernder Hebammen zur Seite, die auf seinen Zustand und den der männlichen Mutter liebevoll aufmerksam machen. In dem Feuilleton, in den Miszellen oder in den Notizen eines der gelesensten Journale findet man eines Tages: Unser N.N. soll an einen nationalen Roman aus dem Hofleben der Vandalenkönige denken usw. Nach einigen Wochen heißt es im »Deutschen Museum«: Der Roman sei begonnen, aber in die Tage Friedrichs des Großen verlegt worden, da der begabte Autor jene Urzeit viel ärmer an Situationen gefunden, als er einst vermutet; doch sei über die Person der Heldin noch nichts bekannt, daher allenthalben enorme Spannung. Später lesen wir in der »Europa«: Die Heldin sei nahezu gefunden – wahrscheinlich eine anhalt-zerbstische Hofdame, was sehr interessant. Noch später zeigt sich unter Pariser Korrespondenten und englischen Parlamentsreden in der »Kölner Zeitung« die Notiz, jene etwas verfrühte Nachricht bestätigt sich dahin, daß es eigentlich ein Höckermädchen aus Potsdam sei – eine äußerst erfreuliche Wendung, da Hofdamen längst nicht mehr populär. Kaum haben wir uns die äußerst erfreuliche Wendung zurechtgelegt, so lesen wir in der »Leipziger Zeitung« ganz unerwartet die Mitteilung, der geistreiche Verfasser sei an einen kleinen Hof befohlen worden, um der pensionierten Herzogin von X. sein Manuskript vorzulesen, und die hohe Frau sei freudig überrascht gewesen, bei einem bürgerlichen Schriftsteller so wahrhaft vornehme Gesinnungen anzutreffen. Namentlich habe ihr auch seine aristokratische Auffassung der Liebe zugesagt, die in dem Roman fast geschlechtslos erscheine. – Über den ersten Ausgang des Buches gehen mystische Andeutungen in die Welt, die sich in der blauen Ferne leicht so verstehen lassen, als habe man vor dem Laden Queue gemacht. Noch dieselbe Woche erscheinen in den besten Blättern Anzeigen und Besprechungen voller Jubel, daß endlich das längst ersehnte Werk an den Tag getreten, eine längst gefühlte Lücke unserer Literatur ausgefüllt und diese um ein Meisterwerk bereichert sei. So wird, sagen unsere Schriftsteller, der stiere Publikus kirre gemacht, er gewöhnt sich an den Namen, lernt ihn aussprechen, ja wiederholen, und frohlockt zuletzt, wieder einen berühmten Deutschen mehr zu haben. Der Berühmte aber wird Tischgenosse der Götter und erfreut sich unsterblichen Lebens.

Aus dieser reichen Fülle des Betriebes, sagen unsere Schriftsteller, blühen für uns nur die Anzeigen in den Leipziger und Berliner Blättern. Wir werden da, wenn wir es verdienen und uns nicht Julian Schmidt mit seiner Universalkratzbürste einen blutrünstigen Hieb versetzt, günstig, sehr günstig, oft ungemein günstig besprochen, aber damit ist's auch vorbei. Unsereiner, sagen unsere Schriftsteller, ist dort wie ein schönes Bauernmädchen, das man vom Berge herab als Jodlerin zu einem Münchner Hauskonzert geladen – sie wird drei Stunden lang von jedem ausgezeichnet, sie gilt an diesem Abende mehr als alle übrigen, aber man würde es ihr doch sehr übelnehmen, wenn sie sich zur Familie rechnen wollte. So auch wir – wir singen mit Beifall unsre Liedlein und sind entlassen. In den Übersichten, Rückblicken, Generalberichten über die dramatische, lyrische, novellistische Jahresernte, sagen unsere Schriftsteller, in den Literaturgeschichten usw. ist kein Raum für uns; wir haben keine Journale, die uns lieben und loben und unser Gedächtnis fortpflanzen, wenn wir eben nicht auf dem Markte sind; wir blühen einmal, wie die Seelilie, und versinken dann wieder, kurz: wir leiden an unfreiwilliger Verschollenheit und unseren Schmerzensschrei will niemand hören. Vielleicht geht's aber den fröhlichen Österreichern, vielleicht den biederen Schwaben ebenso. Und vielleicht kann man allen mit gleichem Recht die Frage stellen: »Warum haltet ihr euch nicht auch ein Orchester, in dem die Posaunen der Anerkennung und die Trompeten des Lobes von tüchtigen Lungen geblasen werden? Warum schreibt ihr nicht auch eure Blätter, die in jedem Mondenwechsel wenigstens einmal euren Stil, eure Komposition, eure Charakterschilderungen, eure Landschaftsbilder, eure Abendröten ins Gedächtnis rufen? Warum seid ihr so rückhaltsvoll gegen eure Freunde und gebt ihnen keine Anweisung, wie sie die Tiefe eurer Intentionen, die Konsequenzen eures Gedankenspiels, das Großartige eures Genius sicher herausfühlen, lebhaft darstellen und mit Liebe preisen sollen? Ihr seid aber kaum auf der heimischen Erde beachtet – was wollt ihr denn von den Fremden?«

Und damit ist denn allerdings eine andere Wunde aufgerissen, ohne daß die erste zugeht. Der gewöhnliche Bürger findet nämlich, wenn er den Versuch wagt, das meiste, was bei uns gedruckt wird, noch zu hoch, die ungewöhnlichen aber, die in Reichtum und Üppigkeit leben, stellen selbst den Versuch nicht an. Den öffentlichen Würdenträgern hat die Vorsehung zwar Weisheit und gestickten Kragen, aber meistens wenig Glücksgüter verliehen. Der fette Landpfarrer spielt nachmittags seinen Tarock und hat für solche Sachen keine Zeit. Der Gutsbesitzer kauft sich vor dem Sylvesterabend den Sulzbacher Kalender und spricht: »Zu lesen genug für's nächste Jahr!« Der hohe Adel endlich schwelgt, wie seine Gönner behaupten, lediglich in fremden Literaturen – wie seine Kenner sagen: »In gar keiner.« Im allgemeinen aber stellt man sich erstaunt, daß der Schriftsteller, der stets mit dem Geistigen beschäftigt sei, überhaupt wenigstens durch den Hunger noch mit dem Irdischen zusammenhänge und wundert sich, daß er nicht, wie hysterische Seherinnen, sein ätherisches Dasein mit einer wöchentlichen Rosine fristen könne. Daß ein Volksteil, ein Stamm, der eine eigene Literatur haben möchte, sich dafür auch etwas kosten lassen müsse, gilt als eine selbstsüchtige Meinung, als eine habgierige Überspanntheit. Die Reichen und die Vornehmen, wenn sie sich nicht gänzlich ferne halten, bezeigen ihre innige Teilnahme lieber dadurch, daß sie zum Verfasser senden, er möchte ihnen doch sein neuestes Buch, das so interessant sein solle, auf etliche Wochen zum Lesen leihen. In allen anderen Dingen steigt der Luxus auf, in der Pracht der Gemächer wie in den lukullischen Gastmählern, nur in diesem Stücke bewahren sie die Einfachheit der Väter, die ihre Unterschrift mit einem Kreuze fertigten.

So lebt der Autor, ob er die Wissenschaft, ob er die Dichtkunst betreibt, unbeachtet, höchstens belächelt, doch in sich selbst vergnügt dahin, bis etwa das Gerücht auskömmt, daß ein fremdes Talent in unsere gastliche Hauptstadt versiedelt werden soll, wonach dann der gewöhnliche und ungewöhnliche Bürger, der Würdenträger, der Landpfarrer, der Gutsbesitzer, der Aristokrat, der Philister und der Idiot mit einer Stimme aufkreischen: »Haben wir denn nicht unseren A, unseren B, unseren C? Warum denn die Landeskinder hintansetzen?« – bei welchen Worten aber niemand neidloser und herzlicher in sich hineinkichert, als eben unser A, unser B, unser C.

 


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