Ludwig Steub
Sommer in Oberbayern
Ludwig Steub

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Auf der Alm

Die Almerinnen führen fast ein Leben wie die Elfen, streifen in der Frühe mit leichten Sohlen über die tauigen Alpenkräuter, verschwinden im Morgennebel, singen aus dem Felsgestein, daß man nicht weiß von wannen es kommt und schallt, trinken nur Milch und Wasser und schlummern im Heu, das sie kaum eindrücken. Das Almenleben hat so viel eingeborene Poesie, daß selbst die Tausende von Schnaderhüpfeln und die schönsten Lieder vom Berge sowie die süßinnigsten Zithermelodien diesen tiefen und wahren Zauberbrunnen nicht ganz ausschöpfen. Wenn einer einmal einen dreibändigen Walter Scottschen Roman darüber schreiben wollte, der würde sehen, was ihm da alles entgegenkömmt: Die Almerin selbst mit ihren achtzehn Jahren und ihrem unbewachten Almenherzen, die Jägerburschen mit ihrem Stolz, die Wildschützen mit ihrem Haß, der Bauer im Dorf unten mit seiner Bäuerin, der Schwärzer mit seinem Tirolerwein, der Grenzwächter mit seiner Pflicht, der Kaplan mit seinem wunderbaren Finger Gottes, der städtische Reise-Enthusiast und Bergbesteiger mit seiner Dummheit, der Münchner Maler mit seinen himmlischen Gedanken, die er nie verkörpern kann, der Praktikant vom Landgericht mit seinen bösen Lüsten, der feurige Bue von der Zell mit seinen eifersüchtigen Ansprüchen auf das Almenherz, nach dem so viele trachten, dazu die Hütte, die Herden, der düstere Hochwald, die Mittagsonne auf den einsamen Triften und die Mondscheinnächte, wo Mädchenworte am weichsten klingen – es könnte einer mit der rechten Kunst schon etwas Monumentales daraus aufbauen. Daß aber keiner darüber geht, der's nicht versteht, sonst zerreißen wir ihn, wie die thrakischen Weiber den zweckwidrigen Sänger Orpheus, und werfen sein Haupt in den Innstrom, auf daß es traurig jodelnd hinausflöze in das almenlose Flachland.

Eine Almenhütte ist gewöhnlich so gelegen, daß ihr ohne Mühe und Beschwer nicht beizukommen ist. Das Vieh tritt nämlich an diesem seinen Sammelplatz den Rasen auf und weicht ihn mit allerlei natürlichen Mitteln durch und durch. Hat man aber, etwa von einem Stein zum andern springend, diesen Stadtgraben, das »Tret«, glücklich zurückgelegt, so lohnt ein freundlicher Willkomm der Sennerin und alles Gute, was Almenwirtschaft bieten kann. Küche, Speise- und Sprechzimmer sind derselbe Raum, nebenan ein Schlafgemach, rückwärts ein geräumiger Stall für die Stunden eines Unwetters oder zu großer Sonnenhitze. Vor der Hütte sprudelt ein Brunnen mit klassischem Wasser. Innerhalb ist der Herd, zugleich auch Ruhebank, mit einem großen Käsekessel. An den hölzernen Wänden sind Schüsselrahmen, mehrere Pfannen, Milchkübel und dergleichen. Da die Kultur, wie schon hundertmal gesagt, alles beleckt, so findet man auch sächsische Steingutteller und Tassen mit Ansichten aus der sächsischen Schweiz oder vom Rhein. In einer Ecke ist ein kleines Kruzifix und etliche Heiligenbilder ringsum, was die Idee eines Hausaltärchens andeutet. Auch sonst finden sich da und dort zum Zierart verschiedene Malereien angeklebt. So sieht man in einer Hütte auf einem großen Bilderbogen eine Schlacht der Franzosen mit den Kabylen dargestellt, und selbst aus den Tagen unserer eigenen Bewegung haben einige Bilder schon die Hochalmen erreicht.

Die Sennerin ist an Werktagen voller Schmutz, welcher sich jedoch kegelförmig verjüngt. Während nämlich die Füße von der Begehung des Trets sich in einem Überschuh von idyllischem Alpenkot züchtig verhüllen und so jedes Urteil über Größe oder Kleinheit trüglich machen, so nimmt die Reinlichkeit nach oben immer zu, über Mieder und Rock, und das Gesicht wird des Tages sogar mehrere Male gewaschen. Nicht selten sind ein paar schöne blaue Augen darin und etwas erlaubte rotbackige Schalkheit, um welche sich blonde Haare ringeln. Eine halbe Stunde Rast hat da noch wenige Junggesellen gereut. Seltsam klang aber die Antwort, als man sich diesmal nach der Liebe erkundigte: Selbe sei hierorts ganz abgeschafft! Als man sich auf einige Almenlieder bezog, welche die Sache in einem anderen Licht darzustellen scheinen, entgegneten die Almerinnen, das sei Poesie und zum guten Teil Verleumdung. Auf den Audorfer Almen empfange man nur anständige Besuche und nach dem Gebetläuten überhaupt keine. Sonst habe man genug zu tun, die Kühe zu melken, zu buttern, zu kochen und die Hütte auszuwaschen; denn wenn auch die Mädchen selber schmutzig sind, ihre Herberge wissen sie sehr reinlich zu halten. Am Abend dann, nach getaner Arbeit, setzen sie sich auf die Sommerbank vor der Türe und jodeln ihre lieblichen Weisen in den Äther hinaus. Des Sonntags legen sie ihre schönsten Gewänder an, gehen allenfalls ins Tal hinab zur Kirche oder besuchen sich oben, auch aus größeren Fernen, um miteinander zu plaudern, zu singen und Zither zu spielen. Übrigens tut man unrecht, wenn man sich die Dirnen gar zu naiv und alpenhaft vorstellt.

Hier also, lieber Leser, hier erscheine um den Tag Maria Himmelfahrt herum, auf den sich alle Kräuter freuen, und wenn der liebe Gott deine Sünden nicht durch Regenwetter straft, vielmehr zur Belohnung deiner Verdienste um Staat und Kirche der zitternde Sonnenglast und der tiefblaue Äther über den Hochweiden liegen und alles über die schöne Sommerzeit frohlockt, die Blümlein und die Kühlein und die Sennerin, so kannst du deine eingebildete Wichtigkeit vergessen und dich mit heiterem Abandon in dem vollen Grase wälzen und dich ganz aufgehen lassen in almerischer Lust. Hier kannst du mit wonniglicher Neugier dich umtun um alle die sieben Sachen, die dir in der Schreibstube fremd geworden, kannst auch selber die Rinder melken und den Butter ausrühren.

Für uns Süddeutsche ist's ein wahres Unglück, daß Butter, welches früher männlich war und in Schwaben, Bayern, Österreich annoch ist, hinter unserem Rücken weiblich wurde. Wir erlernen's nicht und blamieren uns nur damit in den Teezirkeln. Die Sennerin lacht sich zwar schief, wenn ein Norddeutscher die gute Butter lobt, aber was hilft uns das?

 


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