Ludwig Steub
Alpenreisen
Ludwig Steub

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Die Saltner von Meran

Nicht unerwähnt darf hier die Figur des Saltners bleiben. Unter Saltner versteht man im allgemeinen einen Flurschützen, auf den Alpen einen Hirten, im Weinlande aber zunächst den Traubenhüter. Der Saltner muß ein Mann des besten Leumunds sein; er darf sich nie in verdrießliche Geschichten einlassen, nie eine Strafe erduldet haben. Er wird jedes Jahr am fünfzehnten August eingestellt, bleibt, bis die Güter abgeleert, erhält des Tages ungefähr einen Gulden, auch verschiedene andere Reichnisse und holt sich das Essen abwechselnd bei den Bauern. So schätzt man sein Einkommen während der drei Monate seiner Dienstzeit dem jährlichen eines wohlbestellten Knechtes gleich. Dieser zuträglichen Lage willen sind die Stellen sehr gesucht, und es findet eine förmliche Kandidatur statt, indem der Aspirant zeitig genug bei den Bauern, in deren Markung ihm die Würde verliehen werden soll, umherzieht und sie mit Züchten um ihre Stimme bittet. Der Saltner hat wenigstens um Meran herum eine eigene wunderliche Tracht, nämlich eine lederne Jacke von besonderem Schnitt, lederne Hosen, kurze Stiefel und einen dreispitzigen Hut, der mit Hahnenfedern, Gamsbärten und Eichhornschwänzchen verziert ist. Als Waffe führt er eine rostige Hellebarde. Dazu läßt er sich den Bart wachsen und wäscht sich nicht, so daß, wer nicht Bescheid weiß, ihn leicht für einen Räuber oder Banditen halten mag. Zarten Damenkehlen entfährt bei seinem ersten Anblick gern ein Schrei des Schreckens, und ein britischer Tourist soll einmal gar auf die Knie gefallen sein und, die volle Börse darbietend, den Saltner um sein Leben gebeten haben. Gegen die Unbill der Witterung schützt ihn eine Art Taubenkobel, der auf vier mannshohen Stangen in das Gut gestellt wird und zugleich zur Spähe dient. Der Saltner hat viel Plag' und Mühsal, um seinen Dienst so zu verrichten, wie das Herkommen es verlangt. Man nimmt zwar an, daß er des Schlafes so gut bedürfe wie andere Menschen, allein er soll sich doch nie schlummernd betreffen lassen – weder bei Tag noch bei Nacht. Selbst der Kirchenbesuch ist ihm erlassen, wie den Sennen auf der Alm. Auch des Essens wegen darf er sich aus seiner Markung nicht entfernen und überhaupt Speise und Trank nur nebenher einnehmen, stehend oder laufend, ohne Abbruch der beständigen Wache. In diesem Stücke ist der Bauer übermäßig streng, prüft den Saltner oft arglistig und gibt die bündigsten Verweise und Drohungen, wenn der Mann eines Augenblicks nicht wachsam befunden wird. Ein Hauptziel seiner Tätigkeit ist die Beobachtung der verbotenen Wege. Von der Zeit an nämlich, wo der Saltner eingestellt wird, werden auch die Weingüter, die das übrige Jahr offenstehen und zum Durchgang dienen, für geschlossen erklärt, und insbesondere alle Fußpfade, die hindurchführen, bis auf die unentbehrlichsten als verboten ausgezeigt, was durch eine hölzerne Hand geschieht, die auf einer Stange steckt und mit Berberitzenzweigen umwunden ist. Wer solche verbotene Steige bei Tag betritt und enthaltsam ohne Angriff auf die Trauben seines Weges wandelt, dem naht sich der Saltner mit Höflichkeit, zieht den Hut und bittet um den ›Tabakkreuzer‹, eine ideelle Münze, welche gewöhnlich durch einen Groschen dargestellt wird. Wer bei Nacht in die gleiche Lage kommt, zahlt um ein gutes mehr und setzt sich auch unlieblichen Reden aus. Die volle Wucht saltnerischer Ahndung fällt natürlich auf jene, welche, sei's bei Tag oder Nacht, ihrer Lüsternheit erliegen und im Weinberg naschend ergriffen werden. Freilich wird den Saltnern bei ihrer Verpflichtung vor der Obrigkeit bescheidene Manier gegen die herrischen, menschliche Milde gegen die mindern Leute eingeschärft; doch vergeht selten ein Jahr, ohne daß man von blutigen Stößen zwischen den pflichttreuen Wächtern und naschhaften Dieben zu hören bekäme. Übrigens ließe sich von den Sitten und Bräuchen, auch von dem Aberglauben der Saltner, noch allerlei erzählen.

 


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