Ludwig Steub
Alpenreisen
Ludwig Steub

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Alpine Höflichkeit

Im Pustertal

Unter den tirolischen Bauern gilt der Pusterer so ziemlich als der gröbste, eine Bemerkung, die natürlich seiner Ehrenhaftigkeit, Religiosität und Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland keinen Eintrag tun soll. Auch bei meinem Aufenthalte, obgleich er nur acht Tage währte, glaubte ich in diesem Fache so manche kleine Erscheinung wahrzunehmen, die mich anheimelte, weil sie mich an mein engeres Vaterland erinnerte und in der Ansicht bestärkte, welche ich über die Reinheit des bajuwarischen Geblüts im Pustertal früher hier niedergelegt habe. Grobheit ist eigentlich nur ein metamorphischer Stolz – wer dem Nebenmenschen nicht durch seine Stellung, durch Reichtum und Macht imponieren kann, der sucht die innere Größe wenigstens in der Schlagfertigkeit der Zunge, in der Festigkeit des Auftretens durchschimmern zu lassen und dadurch gewissermaßen die Gleichheit herzustellen. Der Bajuware ist nur deswegen der gröbste der Germanen, weil er auch der stolzeste ist.

 

Im Oberinntal

Also ins Nachtquartier, auf die Post in Mals. Hier wird schon eine Milderung der Sitten verspürt; doch schien eine weise Vorsehung dafür sorgen zu wollen, daß mir der Übergang zu den feineren Manieren des untern Etschlands nicht gar zu grell erschiene. Unter der Türe des Posthauses stand nämlich eine breite weibliche Gestalt in mittleren Jahren, welche sich behaglich ausspreizte, daß ich nur mit Mühe neben ihr durchschlüpfen konnte. Nachdem dies geschehen, befand ich mich im ›Fletz‹ und sah mich vergeblich nach einer Türe um, die allenfalls in eine anständige Stube führen konnte.

»Wie ist's denn hier?« fragte ich endlich die Gestalt, »wo ist denn das Gastzimmer?«

Diese drehte notdürftig das Haupt herum und sagte phlegmatisch: »Droben!«

»Sind Sie die Posthalterin?«

»Ja, die bin ich.«

»Wirklich? Ja, grüßen Sie denn Ihre Gäste nicht, wenn sie ankommen?«

Ich weiß nicht mehr, was sie antwortete, bemerke aber gerne, daß der Postmeister ein ganz gefälliger, aufmerksamer Mann ist. Auch die Preise sind erträglich, und der majestätische Ortler schaute sogar ganz unentgeltlich in mein Schlafzimmer herein.

 

Im bayerischen Gebirge

Die Höflichkeit der Bedienung in weiterm Sinne, also Hausknechte, Kutscher, Schiffer und dergleichen miteingeschlossen, sie kann nur nach landesüblichem Maßstabe gemessen werden, und wir protestieren entschieden gegen jede Vergleichung mit dem Auslande. Auf unsrer Hochebene versteht nämlich jedermann grob zu sein; nicht bloß Landgerichtspraktikanten, Eisenbahnconducteure, Hypothekenschreiber, Theaterkassierer, Truhenlader und Postillione, sondern selbst graduierte Personen, Anwälte, Richter, Ärzte, junge und alte Professoren, bedienen sich zur Sicherung und Erhöhung ihrer Bedeutsamkeit oft mit Geschick der derberen Landesmanier. Sie scheint ihnen in Friedenszeiten die beste Fahne für Mannesmut und Kraft, und mancher dieser Tapfern blickt waffenstolz hernieder auf die feinern Leute. Wer diesen freien unverschleierten Gedankenaustausch zu schätzen weiß, der braucht nur von der Nordsee gegen den Wendelstein zu reisen, und wird finden, daß die Eindrücke immer angenehmer werden, gerade wie der, welcher vom rauhen Brenner hinunter nach dem rebenreichen Brixen und Bozen gen Italien zieht – nur darf sich jener nicht zu lang in Bamberg aufhalten, da sonst die ersten Empfindungen im Hauptland wesentlich geschwächt werden. Sollte übrigens des Guten mitunter zuviel geschehen, so ist dagegen der Pilger befreit von jener Aufdringlichkeit, die in der Schweiz so lästig fällt. Er ist immer Herr seiner selbst; es gibt keine Lohnbedienten, keine Führer, keine Schiffer, keine Schnitzwarenhändler, keine Blumenmädchen, die ihn auf der Straße anhalten, den Weg vertreten und seine konstitutionelle Freiheit beschränken. Was der Fremde allenfalls von dieser Gattung bedarf, das läßt sich eher suchen und ist oft schwer zu finden.

 

In Vent

Das Wirtshaus zu Vent ist eine sehr ärmliche Anstalt. Frisches Fleisch kommt nur bei feierlichen Gelegenheiten vor, sonst hält man zum Bedarf der Fremden geräuchertes Kuhfleisch, mager, dürr und ranzig, eine höchst unleckere Nahrung. Das Brot wird alle vierzehn Tage vom äußeren Tale hereingeholt und ist also dreizehn Tage altbacken. Der Wein kommt im Winter auf Schlitten über Zwieselstein herein, und dazu muß als Bahn, wenn der Pfad ausgeht, auch der gefrorene Bach behilflich sein. Die Betten waren nicht lang genug für uns, was anzudeuten scheint, daß die Reisenden der Mehrzahl nach kürzer sind als wir.

Den Abend füllten wichtige Gespräche über die Fernerfahrt, die wir vorhatten. Einige Bauern gaben darüber ihre Gutachten ab, die aber sehr weit auseinanderwichen. Die einen erklärten den Gang für höchst bedenklich, die andern für ein Kinderspiel, vorausgesetzt, daß gut Wetter sei. Der Wirt nannte Nicodemus von Rofen als den besten Mann für Gletscherreisen. Dieser würde morgen früh erscheinen um, als am Sonntag, in die Kirche zu gehen, und der würde uns führen, wohin wir wollten. Unter großen Hoffnungen schlüpften wir zuletzt in die kleinen Betten und verfielen in sanften Schlaf.

Am andern Morgen, es war der 6. August 1842, erschien Nicodemus von Rofen und erklärte sich, wie vorausgesagt war, ohne Umschweife bereit, uns übers Niederjoch nach Schnals zu führen, vorher aber gedenke er noch ins Amt zu gehen, welches samt Predigt bis zehn Uhr dauern sollte. Zu gleicher Zeit lud uns auch der Wirt ein, mit ihm in die Kirche zu wallen, da das Haus geschlossen werde. So gingen wir willfährig und bescheiden auf die Kirche zu. An der Pforte bemerkte uns der Gastfreund, hier sollten wir stehenbleiben, denn die Plätze im Innern seien alle ausgeteilt und für uns keine Unterkunft. Blieben also einige Zeit an der Türe stehen, bis die männliche Alpenjugend immer dichter herandrängte und mit groben Ellenbogen auch den Raum auf der Schwelle besetzte. Unter dieser Bedrängnis mußten wir wider Willen ins Freie treten. Mittlerweile fing es zu tröpfeln an, und wir verehrten unsern Gott in leisem Regen, waren etwas trübselig und mischten in unser Gebet hie und da ironische Betrachtungen über die sieben Seligkeiten der Bergreisen und die Gemütlichkeit der Älpler. Dies dauerte eine gute Weile. Endlich kam der Wirt mit den Schlüsseln, und wir trachteten fröhlich der Herberge zu und versprachen uns, da vorderhand keine Hoffnung zum Aufbruch war, viele Belehrung von den Gesprächen, die wir mit den Betern führen wollten, wenn sie nach dem Gottesdienste durstig ins Wirtshaus kommen würden, nahmen auch zu diesem Zwecke schon vorhinein einen guten Platz. Alsbald aber wälzten sich die Venter und ihre Nachbarn vollzählig zur Stubentüre herein, besetzten alle Tische und Stühle, die noch frei waren, und etliche, welche nicht mehr unterkommen konnten, blickten von der Schwelle begehrlich ins Gemach. Um diese Zeit nahte der Wirt, fragte, ob es uns hier nicht zu lärmend sei, und als wir mit einem vernehmlichen ›Nein‹ geantwortet, drehte er seine Rede und bat uns freundlich, ja sehr freundlich, zu bedenken, daß die Stube gerade für so viel Männer gebohrt sei, als in die Kirche gingen, daß da an Sonn- und Feiertagen jeder seinen Platz haben wolle und daß es gar keinen Frieden geben würde, bis auch die andern auf der Schwelle noch zu sitzen kämen. Dabei stellte er uns vor, wie angenehm und ruhig unser Schlafgemach sei, und es wäre ihm sehr lieb, wenn wir da hinübergingen. »Ei was?« brummte da der eine von uns, »wir sind ja hier wie die Parias; erst wollen sie uns nicht in der Kirche leiden, und nicht einmal im Wirtshause!«

»Ach«, sagte der andere, »es sind gute Leute; tun wir ihnen den Gefallen.« Nun nahm der Wirt vergnügt unser Trinkzeug und trug's hinüber, und wir folgten in unser armseliges Schlafgemach. Stühle waren nicht darinnen, und so legten wir uns in notwendiger Verkürzung auf die Betten. Leider wußten wir gar nicht, was wir anfangen sollten. Lesen, Schreiben, Rechnen schien alles nicht am Platz und an der Zeit. Auch zum Reden fielen uns nur ärgerliche Bemerkungen ein, die wir lieber unterdrückten. Alle Viertelstunden aber ging einer hinunter und traf verabredetermaßen mit Nicodemus von Rofen zusammen, um das Wetter zu beurteilen, denn beim ersten sichern Anzeichen von Besserung sollte es weitergehen.

Endlich, es war um halb zwölf Uhr, und der Regen hatte schon seit einiger Zeit aufgehört, endlich sagte Nicodemus: »Es hebt!« und mahnte zum Aufbruch. Er ließ sich noch eine fette Suppe geben, während wir einige Lebensmittel zu uns steckten und die Rechnung berichtigten. Bei letzterem Geschäfte gewannen wir übrigens die Überzeugung, daß es in Vent zwar ziemlich schlecht, aber auch ziemlich teuer zu leben sei.

Vent ist seitdem für die Touristen bekanntlich ein Klein-Paris geworden. Der Herr Kurat Franz Senn, des Lengenfelder Nattes letzter ›Bue‹, der seit 1860 dort als Seelsorger waltet, hat alles aufgeboten, um den Reisenden, die dieses sein Reich besuchen, das Leben im Tale und das Steigen auf den Bergen so angenehm als möglich zu machen. Im Sommer 1861 hatte er in seinem Häuschen, das nur zwei leidliche Zimmer aufwies, bereits über zweihundert Touristen zu beherbergen. Aber schon im nächsten Jahre wurde ein Neubau unternommen und seitdem auch alle Jahre etwas hinzugesetzt, so daß jetzt zwei Gaststuben, elf Zimmer und dreißig Betten vorhanden sind. Auch eine Bibliothek, mit alpinen Werken reich versehen, steht dem Gaste zur Verfügung.

 


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