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Zarin PKatharina II.

Zarin Katharina II.
Bildquelle: wikipedia.org

Liebschaften Katharinas der Zweiten.


Katharinas Ehe. – Ihre erste Liebschaft mit Ssaltykow, dem Kammerherrn ihres Gemahls. – Die Geburt des Prinzen Paul. – Ssaltykows Sturz. – Poniatowski wird Katharinas Liebling. – Die Entdeckung dieses Verhältnisses. – Poniatowskis Verbannung. – Gregor Orlow. – Seine Allmacht. – Projekt seiner Heirat mit der Zarin. – Sein Sturz. – Seine und Katharinas Kinder. – Alexis Orlow, der Mörder Peters des Dritten. – Ein Rekrut, ein Offizier und ein Edelmann, Günstlinge der Kaiserin. – Das Amt eines Günstlings, – Seine Pflichten und seine Besoldung. – Potemkin wird Günstling. – Seine Tyrannisierung der Zarin. – Sein Ende als Günstling. – Potemkin als Minister. – Sein Tod. – Die übrigen Günstlinge: Sawadowsky, Soritsch, Korsakow, Lanskoi, Jermolow, Mamonow und Subow. – Katharinas Ende.


Katharina die Zweite war nicht bloß die größte, sondern auch die liederlichste Fürstin ihrer Zeit.

Alle ihre Liebschaften aufzuzählen, ist ermüdend; ich beschränke mich darauf, nur die markanten hervorzuheben.

Schon als Katharina ihren Bräutigam Peter nach seiner entstellenden Krankheit sah, fühlte sie sich von ihm abgestoßen; als sie ihn dennoch heiratete, geschah dies gewiß mit der festen Absicht, für das verlangende Herz anderswo als beim Gatten Liebesglück zu suchen, eine Absicht, die noch mehr wuchs, da der junge Gemahl die ersten Jahre der Ehe durch körperliche Gebrechen völlig entmannt war.

Dazu diese Umgebung.

Hof und Adel, Bürgertum und niedere Volksklassen, alles war gleich verroht und moralisch ruiniert. Liebesabenteuer, wenn man diese schmutzigen Sachen noch so nennen darf, spielten an diesem Hofe die Hauptrolle, und an der Spitze der erbärmlichen Wirtschaft stand die Zarin Elisabeth selbst. Der jungen Großfürstin wurden nicht nur unabsichtlich schlechte Beispiele gegeben, sondern man teilte ihr auch Hofdamen und Begleiter zu, welche im schlechtesten Rufe standen.

Der Großfürst selbst war stets mit seinen Maitressen beschäftigt. Denn ob er, wie bemerkt, die ersten Jahre seiner Ehe an körperlichen Gebrechen litt, fühlte er sich doch leidenschaftlich zu Frauen hingezogen. Nur nicht zu seiner eigenen, sondern zu Personen, die auf seine Tollheiten eingingen. Oft kam es vor, daß Katharina mit diesen Maitressen des Großfürsten zusammenstieß, und dann gab es arge Skandale, da jene der Gemahlin ihres Liebhabers verächtlich begegneten.

An diesem Hofe, unter diesen Verhältnissen wäre Katharina nicht rein und unschuldig geblieben, selbst wenn sie ein engelhaftes, keusches, ehrliches Gemüt gehabt hätte. Sie aber hatte schon früh sich verstellen gelernt; seit sie am Petersburger Hofe war, kannte sie diese Kunst besser als alle anderen; sie hatte auch mehr Veranlassung dazu. In dem Verkehr mit ihrer Mutter, in dem Verkehr mit der Kaiserin und ihrem Gemahl war die größte Vorsicht, die peinlichste Verhüllung der Wahrheit erforderlich. Jeder Schritt mußte berechnet, jede Handlung schlau überdacht, jede Offenherzigkeit unterdrückt werden. –

Der Großfürst beschäftigte sich damit, Ratten zu hängen, und als er schon 28 Jahre alt war, spielte er noch mit Puppen!

Katharina aber war ein üppiges, kraftvolles Weib, das nach physischer Betätigung verlangte. Der Großfürst kümmerte sich nicht um sie, konnte ihr nicht genügen. Sie verlegte sich aufs Reiten, auf unermüdliches Tanzen. Aber beides kräftigte sie nur, erregte noch mehr ihre sinnliche Natur – und kein Ausweg …

Nicht daß sie fiel, kann uns daher wundernehmen – sondern daß sie so lange Stand hielt …

Das eheliche Unglück des Großfürstenpaares blieb dem Hofe nicht verborgen, und bei den damaligen Verhältnissen wagte gar mancher, seine Augen zur Großfürstin zu erheben, um ihr Ersatz anzubieten. Wenn sie auch die erste Zeit wirklich Widerstand leistete, so fehlte es trotzdem wenigstens nicht an Verdächtigungen, daß sie heimlichen Umgang mit dem oder jenem hätte. Die Leute in jener Atmosphäre der niedrigsten Sinnlichkeit konnten sich nicht denken, daß die Frau eines solchen Mannes ohne Liebschaft existieren könnte. Endlich aber wurde Katharina so lange verdächtigt, bis sie selbst an ihre Schlechtigkeit zu glauben anfing und die Bahn des Lasters betrat.

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Vgl. die Schriften über Peter den Dritten und Paul. Ferner: Mémoires de l'impératrice Catherine IIe. Londres 1859. – Memoirs of the princess Daschkow, London 1840 (Deutsch: Hamburg 1857. Französisch in der Bibliothèque russe-polonaise, Paris 1860). – Neuverändertes Rußland oder Leben Katharinas der Zweiten. 1771–1772. – Münnich, Mémoires. Ebauche pour donner une idée de la sorte du gouvernement de l'empire de Russie, 1774. – Catharina II., dargestellt in ihren Werken zur Beherzigung der Völker Europas. Berlin 1794. – Katharina II., Abriß ihres Lebens und ihrer Regierung, Berlin 1797. – Tannenberg, Leben Catharinas II., Leipzig 1797. – Über das Leben und den Charakter der Kaiserin von Rußland. Mit Freymütigkeit and Unparteylichkeit. Altona 1797. (Von Seume.) – Katharina II., Ein historischer Versuch. Im historisch-genealogischen Kalender für 1798, Berlin. – Castéra, Histoire de Cathérine II ee. Paris 1799. – Levesque, Histoire de Russie. Hambourg 1800. – Masson de Blamont, Mémoires secrètes sur la Russie et particulièrement sur la fin du Règne de Cathérine II e e, et le commencement de celui de Paul Ier, Amsterdam et Paris 1800 bis 1803. Deutsch: Berlin (Jolowicz) o. J. – Georgi, Bemerkungen auf einer Reise im Russischen Reich, St. Petersburg 1775. – Pallas, Reise durch Rußland 1771–1776. – J. H. C. Meyer, Briefe über Rußland, Göttingen 1778. – Arndts Petersburger Journal, 1776–1785. – Johann Heinrich Busse, Journal von Rußland, Petersburg 1794–1796. – Büsching, Magazin für die neue Historie und Geographie, 1767 ff. – Heinrich von Reimers, St. Petersburg am Ende seines ersten Jahrhunderts, Petersburg 1802. – Kurzgefaßte Lebensgeschichte Catharinas II., Augsburg 1797. – Katherina II. vor dem Richterstuhle der Menschheit. (Angeblich: St. Petersburg) 1797. – Storch, Gemälde des russischen Reiches, 1797–1803. – Catharina II., Kaiserin von Rußland, Chemnitz 1804. – N. Karamsin, Lobrede auf Katharina II., Riga 1802. – De La Vaux, Histoire secrète des amours de Catharine II ee. – Alexandre Prince de G., Cathérine II ee de Russie et ses favoris, Wurzbourg. – Abbé Georgel, Voyage à Saint-Pétersbourg en 1799–1800, Paris 1818. – F. W. Borck, Peter Pawlowitsch Semenows merkwürdige Begebenheiten während der Regierung Katharinas der Zweiten, Berlin 1884. – Madame la duchesse d'Abrantès, Catherine II ee, Paris 1835. – Lettre d'un Russe à un Russe, simple réponse au pamphlet de Madame la duchesse d'Abrantès, Paris 1885. – (Prince de Ligne), La Cour de Russie il y a cent ans, de 1725–1783, Berlin 1858. – Prince de Ligne, Portrait de S. M. Cathérine II ee, Dresde 1897. – Schlözer, Katharina II. und Friedrich der Große, Berlin 1859. – Jauffret, Catherine II ee, Paris 1860. – Capefigue, La grande Cathérine, Paris 1862. – Ségur, Mémoires ou souvenirs et anecdotes, Paris 1827. – Mémoires du Prince de Ligne, Bruxelles 1860. – Sabathier de Cabres, Cathérine II ee, sa cour et la Russie. 1772. – Lebrun, Mémoires, Paris 1870. – Arneth, Joseph II. und Katharina II., Wien 1869. – Karl Hillebrand, in der Deutschen Rundschau XXV, 888. – J. Grot, Über Katharinas Jugend, in der russischen Zeitschrift »Das alte und das neue Rußland«, 1875, I, 122. – Kutlebitzky, im Rußky Archiv 1866, 8 und 9. – Memoiren des Fürsten Nikolay Wassiljewitsch Repnin (des Gegners Potemkins) im »Rußky Archiv« 1869, 3. – A. A. Baschilow schildert das Hofleben unter Katharina in der »Sara« 1871, 12, und im Almanach zum Neuen Jahr, Moskau 1850. – Dmitrijew: Blick auf mein Leben, Moskau 1866. – Komarowsky, Memoiren, im Rußky Archiv 1867, 2, 4, 5, 6, 10. – Komarowsky, Das XVIII. Jahrhundert, Moskau 1868. – Siebigk, Brautfahrt Katharinas II., Dessau 1875. – A. Brückner, Katharina II. Berlin 1883. – W. Vogt, Vortrag über Katharina II., im »Sammler« der Augsburger Abendzeitung vom 19. Februar 1890. – Crusenstolpe, Der russische Hof. – Heibig. Russische Günstlinge. – Schlosser, Geschichte des XVIII. Jahrhunderts. – Golowin, Russische Geheimnisse. – Leben Potemkins (von Helbig), in der »Minerva« 1798, III. – Vie du prince Potemkin, par Cérenville, Paris 1808. – Lewschin, Leben Potemkins. Petersburg 1811. – Anekdoten zur Lebensgeschichte Potemkins, Freistadt am Rhein 1792. – Briefe von Katharina II. an Potemkin, im Rußky Archiv 1870, 2 und 3. – Papiere des Fürsten Potemkin, Rußky Archiv 1865. – Über ein Fest Potemkins vgl. den Brief eines Ungenannten im Rußky Archiv 1866, 3. – A. Brückner, Potemkin, St. Petersburg 1891, russisch. – Karabanow, Gregor Orlow, Rußkaja Starina V. 139. – Barssukow, Gregor Orlow, Rußky Archiv 1878, 50–58. – Biographie Subows, Rußkaja Starina XVI und XVII. – Jacob Paul Lacroix, Deux lettres inédites de Cathérine II ee à Stanislaus Poniatowsky, Paris 1873. – Bilbassoff, Geschichte Katharinas der Zweiten. Aus dem Russischen von Pezold, Berlin 1891. Verlag von Siegfried Cronbach. – K. Waliszewski, Le Roman d'une impératrice, Cathérine II. 5 e éd. Paris 1893. – Waliszewski Autour d'un trône, Cathérine II. 7 e éd. Paris 1897. – Charles de Mouy, Corresp. du roi Stanislas Auguste Poniatowski et de Mad. Geoffrin, Paris 1875. – Labande, Un diplomat français (Chavalier de Corberon) à la cour de Catherine II., Paris 1901

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Charakteristisch ist, daß als ihr erster Vertrauter ein Kammerlakai Tschernyschow genannt wird; als Zarin Elisabeth dies hörte, beförderte sie den Tschernyschow zum Offizer – versetzte ihn aber zugleich nach Orenburg, und am Tage, da Tschernyschow versetzt wurde, schuf die Kaiserin einen neuen seltsamen Posten am Hofe; sie beauftragte, wie bereits (S. 193) berichtet, eine gewisse Frau Tschoglokow »mit der Beförderung der ehelichen Vertraulichkeit des Großfürstenpaares«.

Frau Tschoglokow war aber ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Nicht nur, daß es ihr nicht gelang, die eheliche Vertraulichkeit des Großfürstenpaares zu befördern, bemerkte sie nicht einmal, daß vor ihren Augen sich ein Hofmann nach dem anderen in Katharina verliebte und daß es dem einen nach dem anderen gelang, die Gunst der schönen Frau zu gewinnen; ja, der eigene Mann der Tschoglokow sank Katharina verehrungsvoll zu Füßen.

1749 befand sich der großfürstliche Hof in dem elenden Nest Rajewo. Hierher kam Graf Kirill Rasumowsky, der Bruder des Günstlings und Gemahls der Zarin Elisabeth, häufig zum Großfürstenpaar auf Besuch. Als Katharina ihn fragte, was ihn eigentlich zu so häufigen Besuchen in diesem elenden Neste veranlasse, sagte er: »Die Liebe«.

»Wie? In wen können Sie hier verliebt sein?«

»In wen? In Sie!«

Katharina sagt in ihren Memoiren 20 Jahre später, als sie dieser Episode ihres Lebens gedenkt: »Ich lachte von Herzen, denn ich hatte in meinem Leben nichts von dieser Liebe geahnt.«

Bald wußte sie mehr davon …

Eines Tages warf sich ihr – Tschoglokow, der Gemahl ihrer Aufpasserin, zu Füßen, gestand ihr seine heiße Liebe und bat um Erhörung – aber er war – nach den Worten Katharinas – »blind und frech, zu dick, und sein Geist war ebenso schwerfällig wie sein Körper« – – und sie wies ihn ab.

Besser erging es dem Grafen Sachar Grigorjewitsch Tschernyschew. Er war jung, geistreich, heiter und weder dick noch frech. Er gefiel Katharina, er verstand, ihr zart zu schmeicheln, er sandte ihr gefühlvolle Gedichte – sie blieb nicht unempfindlich. »Einmal,« erzählt sie selbst, »bat er mich, ihm eine Zusammenkunft auf meinem Zimmer oder an einem anderen Orte zu bestimmen. Ich antwortete, das sei ganz unmöglich – meine Zimmer seien unzugänglich, und ich könne sie auch nicht verlassen. Er sagte, er sei bereit, sich als Diener zu verkleiden. Ich wies ihn entschieden ab.« Und sie versichert, die ganze Geschichte wäre dann im Sande verlaufen, was aber sehr unwahrscheinlich ist, wenn man die später vermauert gefundenen heißen Liebesbriefe Katharinas an den Grafen Sachar Grigorjewitsch liest …

Ihr Geschmack an der Liebe war jedenfalls erweckt, und dem Nächsten – schlug sie nichts, gar nichts mehr ab.

Das war der Kammerherr Ssergey Ssaltykow, der Intimus und Kammerherr des Großfürsten, der erste historisch beglaubigte Günstling Katharinas.

Obgleich noch ein ganz junger Mensch, hatte Ssaltykow schon zahllose galante Abenteuer hinter sich. Es war ein Held, wenn es darauf ankam, Frauenherzen zu erobern: da scheute er keine Kämpfe, keine Frechheiten, keine mühselige Ausdauer; mit der tugendhaftesten Gattin, mit der sittsamsten Jungfrau nahm er es auf. Aber all sein kecker Mut verschwand, und seine Haut brachte er schnell in Sicherheit, wenn in der Nähe der bestürmten Damen ein Schützer oder Rächer auftauchte.

Ssaltykow hatte aus Liebe ein hübsches Hoffräulein der Kaiserin, Matrjona Pawlowna Balk, geheiratet. Aber kaum war er als Kammerherr beim Großfürsten angestellt, verliebte er sich in Katharina, da er bemerkte, wie unglücklich sich die schöne Großfürstin in ihrer jungen Ehe fühlte.

Er sah, wie Katharina in der Einsamkeit von Oranienbaum, wo Elisabeth dem großfürstlichen Thronfolgerpaar den Aufenthalt angewiesen hatte, von erschlaffender Langeweile gepeinigt wurde, er erkannte, daß ihr Charakter keineswegs für ein stilles, beschauliches Leben geschaffen, sondern lebhaft und auf laute Vergnüguugen gerichtet war, und hielt sich ganz dazu befähigt, ihr Erheiterung und Befriedigung zu verschaffen.

Er bewog den Großfürsten, Feste zu veranstalten, und befaßte sich mit interessanten Programmen zu denselben, und wenn die Großfürstin ihr Vergnügen über die Überraschungen äußerte, versäumte Ssaltykow nicht, sich ihr als den alleinigen Urheber der eigens für sie erfundenen Zerstreuungen zu entdecken.

Der Großfürstin gefiel dies.

Einst, bei einem Konzerte in der Wohnung der Aufpasserin Frau Tschoglokow, wo auch Ssergey Ssaltykow hinkam, gestand der letztere seine Liebe. Katharina fragte ihn, was er denn erwarte. Er entwarf ein leidenschaftliches Bild seiner Sehnsucht, seiner Hoffnungen.

»Aber Ihre Frau, die Sie erst vor kurzem geheiratet haben und die, wie man sagt, Sie sehr liebt, was würde Ihre Frau dazu sagen?« fragte Katharina.

Ssaltykow entgegnete:

»Eine augenblickliche Verblendung habe ich teuer bezahlt. Ein Moment der Sinnenlust hat mich fürs ganze Leben an diese Frau gebunden.«

Katharina wandte alle möglichen Mittel an, um ihn abzulenken. Umsonst. Er wurde immer leidenschaftlicher und wilder. Und sie ließ ihn reden und hörte schweigend und glücklich zu. Aber plötzlich raffte sie sich zum letzten Versuch auf und rief:

»Woher wissen Sie denn, daß mein Herz noch frei ist?«

Er ließ sich nicht beirren. Er zählte alle Männer bei Hofe auf und fragte:

»Wer steht wohl über mir? Wenn Sie jemanden lieben, kann Ihre Wahl nur auf mich gefallen sein.«

Dieses Selbstbewußtsein verblüffte sie – aber sie gab sich noch nicht gefangen.

Da wurden sie in ihrer Unterhaltung unterbrochen.

Es dauerte noch einige Zeit, bis Katharina es wagte, die Grenzen der Sitte zu überschreiten.

Ssaltykow, dem sich die Sache zu lange hinzog, fingierte endlich, um eine Entscheidung herbeizuführen, eine Reise.

Bei dem Abschied von der Großfürstin zeigte er ein erregtes Wesen und ließ merken, daß ihm die Trennung sehr schwer sei, ja, er ließ sogar Thränen fließen.

Katharina war von der Komödie gerührt, fragte um den Grund, gestand ihm auch ihre Liebe, bat ihn, nicht lange fortzubleiben – und der Bund der edlen Seelen war geschlossen.

Um mit dem Geliebten ungestörter zu sein, erheuchelte Katharina, als der Großfürst mit ihr nach Petersburg reisen wollte, eine Krankheit.

Der Großfürst reiste allein – ließ aber zur Pflege der Großfürstin seinen Freund und Kammerherrn Ssaltykow zurück. Für Katharinas Krankheit war dieser allerdings der beste Arzt …

Ssaltykow ließ nach und nach die Vorsicht aus den Augen und fing an aufzufallen und unbequem zu werden. Die Kaiserin Elisabeth, die ja selbst so tugendhaft war, erfuhr von dem Verhältnis und war empört, ließ sich aber von der schlauen Katharina besänftigen. –

Die Wache der Tschoglokow hatte also gar nichts genützt.

Schließlich wurde sogar die Tschoglokow selbst von der Atmosphäre der Liebe ringsherum angesteckt und verliebte sich in den Fürsten Iwan Petrowitsch Repnin. Zum Glück für die vernarrte Frau Tschoglokow starb ihr Mann kurze Zeit darauf – im April 1754 – und die Ehebrecher hatten freies Spiel.

An Stelle des verstorbenen Hofmarschalls der Großfürstin wurde Alexander Iwanowitsch Schuwalow, ein naher Verwandter des Günstlings der Elisabeth, ernannt. Das war ein schrecklicher Gesellschafter für Katharina, die damals zum drittenmal, von Ssaltykow, schwanger war – die ersten beiden Male, von ihren früheren Liebhabern, endeten mit Fehlgeburten.

Nicht allein durch sich selbst, sondern auch durch die Stellung, die er einnahm, war Alexander Schuwalow das Schreckbild des Hofes, der Stadt, des ganzen Reiches: er war das Haupt des kaiserlichen Inquisitionsgerichtes, das damals »die geheime Kanzlei« hieß. Dazu seine ekelhafte Persönlichkeit: er hatte immerfort krankhafte Zuckungen im Gesicht und schnitt die widerwärtigsten Grimassen. Und solch ein Mensch ward zum ständigen Begleiter der jungen schwangeren Frau erwählt.

Ende August 1754 näherte sich Katharina ihrer Niederkunft. Man scheint nicht sehr für ihre Bequemlichkeit gesorgt zu haben. Sie befand sich mit ihrem Gemahl im Sommerpalast zu Petersburg, bekam für sich aber bloß zwei Zimmer in einem abgelegenen Schloßteil – zwei langweilige, schlecht möblierte Zimmer, fast ohne Möbel. In diesen Zimmern gebar Katharina am 20. September den späteren Kaiser Paul Ssergejewitsch – genannt: Paul Petrowitsch! … Man nahm das Kind – den gewünschten Thronerben – sofort von der jungen Mutter – und ließ diese ganz allein im Krankenzimmer zurück, ohne sich um sie zu bekümmern – vergessen lag sie da … Der Großfürst betrank sich mit seinen Lakaien und Frauenzimmern; die Kaiserin beschäftigte sich mit dem Neugeborenen … Katharina weinte und stönte, aber niemand half ihr …

Nach der Taufe des Prinzen kam endlich die Kaiserin in das Zimmer der Großfürstin und brachte ihr auf einer goldenen Schüssel ein Geschenk von 100&#160;000 Rubel, einen Halsschmuck, zwei Ringe und Ohrringe. Katharina freute sich mit dem Gelde, denn sie hatte viele Schulden, aber über die Geschenke bemerkt sie in ihren Memoiren: »Solch einen armseligen Halsschmuck und so elende Ringe hätte ich mich geschämt, meiner Kammerjungfer zu schenken.« Übrigens war auch ihre Freude über das Geld nur kurz. Vier Tage, nachdem sie es zum Geschenk erhalten hatte, erschien der Sekretär der Kaiserin bei Katharina und bat sie um Himmelswillen, ihm für die Kaiserin 100&#160;000 Rubel »zu leihen« – Katharina gab es notgedrungen her und sah es nie wieder …

Gleich nach der Geburt Pauls wurde sein wirklicher Vater, Ssergey Ssaltykow, nach Schweden geschickt. Katharina gibt in ihren Memoiren an, daß die Zarin Elisabeth mit dem ehebrecherischen Verhältnisse der Gemahlin Pauls mit Saltykow einverstanden war, um auf diese Weise den »rechtmäßigen« Thronerben zu bekommen. Nur war der da, nun mußte Ssaltykow verschwinden. Mémoires 169, 170. – Brückner meint, Katharina habe mit dieser Behauptung einen Trumpf gegen Paul ausspielen wollen, um ihn an der Thronfolge zu hindern. (Vgl. Brückner, Katharina II, S. 47.) In des Grafen J. J. Sievers Denkwürdigkeiten zur Geschichte Rußlands von K. L. Blum (Leipzig und Heidelberg 1868) heißt es Band IV 267:

»Katharina fand keine Stütze an ihrem Gemahl. Peter blieb ein unerzogener, roher, wenn auch gutmütiger Knabe sein Leben lang. Seine Tante, die ihn zu ihrem Nachfolger berufen hatte, gab dem jungen Paare eben kein erbauliches Beispiel zur Nachahmung. Gutmütig, aber flach, von einem Genuß zum anderen eilend, aber immer gelangweilt, ohne Sinn für etwas Höheres, von mehr als slavischer Trägheit, verkam Elisabeth mehr und mehr im Wirbel der Schlemmerei und Lüste. Da konnte die altdeutsche Sittsamkeit, welche Katharina an den Hof mitgebracht, auf die Länge nicht vorhalten. Noch jetzt lebt in den höheren Kreisen Rußlands das Gerücht, man habe der jungen Fürstin, die sich zuerst gegen den Andrang des Unwesens stemmte, den schönen jungen Ssaltykow als Kammerherrn beigegeben, damit er sie verführe. Die Verführung gelang …«

Für Katharina war die Entfernung des Geliebten ein großes Unglück. Sie ward sehr niedergeschlagen und ging wochenlang nicht aus ihren Zimmern.

Erst am 40. Tage nach der Geburt des Prinzen bekam die Mutter selbst ihr Kind zu Gesicht. Sie sagt darüber: »Je le trouvai fort beau, et sa vue me réjouit un peu.« Aber sie sah ihn nur einen Augenblick, die Kaiserin nahm ihn sofort wieder zu sich.

Diese Sorgfalt Elisabeths für das Kind und die Nichtbeachtung Katharinas machten die letztere unmutig und riefen auch sonst die abenteuerlichsten Gerüchte hervor, so daß man behauptete, Katharinas Kind sei mit einem von Elisabeth vertauscht worden …

Das Traurigste für Katharina aber war: daß sie wieder allein stand, wie früher, daß sie weder Gattenliebe noch mütterliche Liebe zu betätigen hatte und infolgedessen immer mehr auf ein uneheliches Liebesleben hingedrängt wurde.

Ssaltykow kehrte aus Schweden wohl bald zurück, wurde jedoch darauf sofort nach Hamburg geschickt und verhindert, nach Rußland wieder zurückzukommen.

Anfangs war Katharina trostlos, sie tröstete sich aber, als sie erfuhr, daß Ssalykow sich schon vor ihr getröstet hatte und allen Frauenzimmern nachlief. »Environ ce temps-là j'appris comme quoi la conduite de Serge Soltikoff avait été peu mesurée. Outre cela il en avait conté à toutes les femmes qu'il avait recontrées. Au commencement je ne voulais rien en croire, mais à la fin je l'entendis répéter de tant de côtés, que ses amis mêmes ne purent le disculper.« Mémoires de l'impératrice Chathérine IIe. Londres 1859. 240.

Er war ihrer Liebe unwert gewesen – sie sah sich nach einem Würdigeren um. Diesen fand sie schnell.

Anfangs Juli 1755 kam der englische Gesandte Sir Charles Hanbury Williams nach Petersburg und stellte sich auch dem großfürstlichen Hofe in Oranienbaum vor.

In seiner Suite befand sich Graf Poniatowski, ein Pole – jung, liebenswürdig und gewandt und hübsch. »Dem Äußeren nach konnte sich nur Ssaltykow mit ihm messen«, sagt Katharina – »an Geist übertraf Poniatowski ihn.« Kaum hatte letzterer die Großfürstin gesehen, so war er auch in sie verliebt und wußte seine Neigung so reizend und zart einzukleiden, daß Katharina ihm leicht anheimfiel.

Für Katharina charakteristisch ist es wieder, daß sie gar nicht verlangte, der Geliebte sollte, wenn auch auf gefahrvollen Wegen, zu ihr zu dringen suchen, sondern daß sie selbst das Wagnis unternahm, in Winternächten, mit Männerkleidern vermummt, in das englische Gesandtschaftshotel zu schleichen.

Dies wiederholte sie so lange, bis sich gefahrlosere Zusammenkünfte bewerkstelligen ließen. Die Gelegenheit dazu verschaffte ihnen – Peter.

Er, der von dem neuen Verhältnisse seiner Frau damals augenscheinlich ebensowenig Ahnung hatte wie von den früheren, faßte für den Liebhaber der Großfürstin eine starke Zuneigung, weil Poniatowski sich schlauerweise plötzlich als fanatischen Verehrer und Lobredner Friedrichs des Großen zu erkennen gab. Ohne den jungen polnischen Edelmann konnte Peter nun gar nicht mehr leben; Poniatowski mußte immer im großfürstlichen Palast sein, und als er eines Tages plötzlich von der polnischen Regierung nach Warschau berufen wurde, bemühte sich der Großfürst selbst nachdrücklich um seine Rückkehr nach Petersburg.

Es gelang ihm, dies zu erwirken. Poniatowski erhielt die Stelle eines polnischen Gesandten am russischen Hofe, und Peter hatte wieder seinen Konversationskameraden und Katharina ihren Liebhaber.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 1757 fühlte Katharina wieder ihre Niederkunft herannahen. Der Großfürst, Graf Schuwalow und die Kaiserin wurden benachrichtigt. Nach einer kurzen Weile erschien als erster der Großfürst: »in seiner holsteinischen Uniform, in ›bottes fortes‹, Sporen, mit der Schärpe umgürtet und einem großen Degen an der Seite.« Katharina fragte ihn erstaunt, was diese Parade in diesem Augenblick zu bedeuten habe. Der Narr antwortete: »Wahre Freunde erkennt man nur in wichtigen Lebenslagen. In dieser Uniform will ich meine Pflicht als holsteinischer Offizier erfüllen und das holsteinische Haus – meinem Eide gemäß – beschützen. Sie sind krank, Kaiserliche Hoheit, ich bin zu Ihrer Hilfe herbeigeeilt …« Er war betrunken! … Es war übrigens blinder Lärm gewesen – erst 24 Stunden später gebar Katharina ein Mädchen Anna, mit Unrecht genannt Anna Petrowna.

Damals wußte der Großfürst schon, daß Katharina nicht ihm allein als Weib angehörte. Denn er sagte einmal in Gegenwart von Hofleuten, zufolge Katharinas Versicherung: »Dieu sait où ma femme prend ses grossesses; je ne sais pas trop si cet enfant est à moi et s'il faut que je le prenne sur mon compte.«

Trotzdem erkannte er das Kind an, heuchelte Freude über seine Geburt und ließ seinen Verwandten durch Expreßboten das »frohe« Ereignis mitteilen.

Kurze Zeit darauf überraschte der Großfürst eines Abends, durch die Neider des polnischen Glückskindes aufmerksam gemacht, den jungen, als Friseur verkleideten Poniatowski mit der Großfürstin …

Peters Zorn war nur kurz.

Katharina stellte ihm vor, wie ein öffentlicher Skandal sich nicht mit seiner Würde vertrage, und sagte ihm zugleich, daß ja auch er nicht gerade ein Muster ehelicher Treue sei, sondern mit der dicken Woronzow in einem öffentlichen Verhältnis lebe.

Peter gab klein bei und ließ Katharina und ihren Galan frei, und die Dinge liefen seinetwegen wieder ihren alten Lauf.

Nicht so milde aber urteilte diesmal die »sittenstrenge« Zarin Elisabeth. Sie bestand darauf, daß Poniatowski vom Hofe verbannt wurde.

Er ging wieder nach Warschau und führte einige Zeit eine unbedeutende Existenz. Als aber Katharina, mit der er in ununterbrochenem Briefwechsel blieb, später Selbstherrscherin geworden war, leuchtete sein Glück von neuem auf und die ruhmvollste Zeit seines Lebens begann.

Obgleich Katharina seit Poniatowkis Verbannung ihr Herz mehrmals weiter verschenkt hatte, behielt sie für den noch immer schönen Polen so viel Gefühl, daß es einige Zeit hieß, sie würde ihn heiraten. Dazu kam es allerdings nicht, aber um ihn für den Verlust ihrer Hand zu trösten, entlohnte die Kaiserin den einstigen Liebling mit der Königskrone seines Vaterlandes. Weder vor ihm noch nach ihm hat der Günstling einer Fürstin so hohen Lohn für solche Dienste gefunden.

Der Emporkömmling zeigte sich des Thrones völlig unwürdig, und niemand kann ernstlich das endliche jämmerliche Schicksal beklagen, das ihm von derselben Kaiserin bereitet wurde, die ihn erst so hoch erhoben hatte.

Poniatowski verdankte seine glückreiche Laufbahn einzig seiner Schönheit.

Er galt als einer der schönsten Männer jener Zeit. Er war von stattlicher Gestalt, von freundlichem einschmeichelnden Wesen und großer Herzensgüte. Seine Bildung wurde jedoch von einer unerträglichen Phraseologie aufgehoben. Sein Charakter war halb, schwächlich, beinahe feige, höheren Aufgaben nicht gewachsen, nur gut für kleinliches Hofleben und wollüstige Weiber.

Darum war er von seltenem Glück begünstigt, solange er sich in den ihm zusagenden Sphären bewegte und sich damit begnügte, Weiberherzen zu beherrschen. Darum litt er jähen Schiffbruch, als er ein großes Staatsboot zu leiten unternahm. Am 15. November 1795 wurde Stanislaus August gezwungen, dem Throne, den er ohnedem bloß für Katharina verwaltet hatte, zu entsagen. Die russische Regierung übernahm die Bezahlung seiner Schulden im Betrage von drei Millionen Dukaten und gab ihm eine Pension von 200&#160;000 Dukaten, wozu Preußen und Österreich mit je 40&#160;000 beisteuerten. Bis zum Tode Katharinas blieb er in Grodno. Paul der Erste rief ihn nach Petersburg, wo er seine letzten Tage ziemlich ruhig im Kreise der kaiserlichen Familie und im Verkehr mit befreundeten Gelehrten verbrachte; er starb schon am 12. Februar 1798.

Poniatowkis unmittelbarer Nachfolger als Liebhaber Katharinas war Gregor Orlow.

Schon unter Peter dem Großen hatte ein Orlow Bedeutung. Eine Anektode erzählt:

Zur Zeit, als Peter sich der Strjelitzen entledigte, geschah es, daß ein junger Mensch dieser verwegenen Miliz, Namens Iwan Orell – zu deutsch: Johann der Adler – als an ihn die Reihe kam, sein Haupt auf den Block zu legen, einen im Wege liegenden Kopf eines Kameraden mit dem Fuße wegstieß und sagte: »Ich muß mir hier doch Platz machen.« Peter der Große, der bei Hinrichtungen gewöhnlich zugegen war, erstaunte ob des seltenen Galgenhumors, begnadigte sofort den jungen Menschen und steckte ihn als gemeinen Soldaten in ein Linienregiment. Hier erwarb sich Iwan durch seine Tapferkeit den Rang eines Offiziers und Edelmannes.

Der Sohn dieses Mannes heiratete erst in seinem dreiundfunfzigsten Jahre ein sechzehnjähriges Mädchen und bekam trotz seines vorgeschrittenen Alters noch neun Söhne, von denen besonders zwei, der zweite und dritte, bekannt geworden sind: Gregor und Alexey. Beide waren außerordentlich schöne und stattliche Männer, und dieser Umstand versprach ihnen bei den Verhältnissen des Petersburger Hofes von vornherein eine glänzende Laufbahn.

Der Feldzeugmeister Graf Peter Schuwalow, ein eitler und stolzer Herr, wollte den schönsten und stattlichsten Offizier zum Adjudanten haben; man stellte ihm Gregor Orlow vor, der damals in einem Artillerie-Regiment diente. Der junge Mann gefiel dem General und erhielt sofort die Stellung.

Schuwalow hatte jedoch nicht bloß den schönsten Offizier zum Adjutanten, sondern auch die schönste Frau der Residenz, die Fürstin Jelena Stepanowna Kurakin, zur Geliebten. Die schönste Frau verliebte sich in den schönsten Mann, und Maitresse und Adjutant freuten sich hinter dem Rücken des Generals ihres Lebens, bis der Betrogene sie überraschte und der zärtlichen Idylle ein jähes Ende bereitete.

Orlow wurde aus dem Hause gejagt und von Schuwalow wegen schwerer – Amtsverletzungen verklagt, so daß ihm die Verbannung nach Sibirien sicher schien. Allein sein Malheur wurde die Ursache zu seinem Glück.

Sein Abenteuer blieb in der Stadt nicht unbekannt, und auch Katharina erfuhr davon. Sie wünschte den schönsten Offizier der Residenz zu sehen und brachte bald und vorsichtig eine Zusammenkunft zustande. Da Katharina im Palast nur schwer jemand unbeobachtet empfangen konnte, ging sie, wie früher zu Poniatowski, in allerlei Verkleidungen in Orlows Wohnung.

Katharina nannte Gregor Orlow in ihren Schreiben an Voltaire einen »Helden, der dem edelsten Römer zur besten Zeit der Republik zu vergleichen ist«. In einem Briefe an eine Freundin bezeichnet sie ihn als »den schönsten Mann seiner Zeit; die Natur hat ihn verschwenderisch mit Gaben des Herzens und Geistes ausgestattet; er hat Wissen, Scharfblick, rasche Auffassungsgabe und schlichtes, natürliches Wesen.«

Katharina hatte damals schon den Plan, sich dereinst von Peter, von dem sie wußte, daß er sie zu verstoßen trachtete, zu befreien und die Selbstherrschaft an sich zu reißen. Als sie Kaiserin geworden war, machte sie Orlow mit ihren Absichten bekannt und fand seine freudige Zustimmung zu dem Unternehmen.

Bei Orlow versammelten sich zahlreiche Offiziere; sie zechten zusammen, waren gute Kameraden und bereit, einander jeden Gefallen zu erweisen.

Mit Orlow hatte Katharina in jeder Beziehung eine gute Erwerbung gemacht. Er brachte bald die Offiziere auf Katharinas Seite; er erzählte ihnen von den Leiden der schönen Kaiserin und entflammte sie alle zu aufopfernder Verehrung für sie.

Gregors Haus, das bisher bloß eine Brutstätte sinnlicher Orgien gewesen war, wurde zum Herde der Revolution. Wie diese geschah und gelang, ist aus der Geschichte bekannt.

Gleich nach Peters feiger Abdankung und seiner durch Gregor Orlow angeregten und durch Alexey Orlow vollführten Ermordung, wurde der Günstling der Zarin als solcher öffentlich erklärt. Er erhielt bei allen Feierlichkeiten seinen Platz neben dem Thron und bezog, nach bewährtem Muster der Liebhaber früherer Zarinnen, sogleich im Palais eine Menge Zimmer, die an die Appartements der Kaiserin stießen. Er bekam ferner die Grafenwürde, den Kammerherrnschlüssel, die höchsten Orden, die höchsten Ehrenstellen und war lange Jahre hindurch der Einzige, der das Porträt der Monarchin im Knopfloch tragen durfte; das Bild war von einem mächtigen Brillanten, einem sogenannten Tafelstein, in Form eines Herzens eingefaßt. Daß Orlows Reichtümer in die Millionen wuchsen, ist natürlich: der prachtvolle Stegelmannsche Palast in Petersburg an der Moyka, in dem später Koscziusko wohnte, ferner die heute der kaiserlichen Familie gehörigen Güter und Schlösser Gatschina und Ropscha und zahlreiche Güter in Livland, Estland und im Innern Rußlands waren Orlows Eigentum.

Seine Macht glich der eines Regenten. Er hatte das Recht, aus allen kaiserlichen Kassen auf seine bloße Unterschrift hin bis 100&#160;000 Rubel zu entnehmen.

Aber dies alles genügte ihm nicht; sein Ehrgeiz ging noch höher: er wollte nicht bloß der Günstling der Kaiserin, sondern ihr Gemahl, ihr Herr, wollte selbst Kaiser sein.

Katharina war von diesem Manne so sehr beeinflußt, daß sie sein Heiratsprojekt akzeptierte und es dem Volke bekannt machte. Allein sämtliche hohe Ratgeber widersetzten sich dem abenteuerlichen Plan, der endlich aufgegeben werden mußte.

Zum Troste Orlows wurden seine Einkünfte erhöht und ihm der Fürstenstand verliehen. Allmählich aber fing Katharina an, seiner überdrüssig zu werden und sich zu freuen, daß sie sich nicht für ewig an ihn gebunden hatte.

Daß sein Glücksstern so jäh versank, hatte Gregor Orlow selbst verschuldet. Seine Anmaßung überstieg alles Erträgliche, und sein Benehmen gegen die Kaiserin war von der größten Roheit; er mißbrauchte sein Verhältnis zu ihr in rücksichtsloser Weise, er rühmte sich öffentlich, daß Katharina alles nur ihm verdanke, und daß er imstande sei, sie wieder zu entthronen.

Die Kaiserin suchte daher nach einer Gelegenheit, ihn zu entfernen, ehe er ihr gefährlich wurde.

Da brach im Jahre 1771 die Pest in Moskau aus und raffte über 150&#160;000 Menschen hinweg. Um die entsetzten Bewohner der alten Residenzstadt zu beruhigen, sandte die Kaiserin ihren Günstling dorthin, vielleicht in der stillen Hoffnung, daß die Epidemie ihn an der Rückkehr verhindern würde.

Allein Gregor Orlow, der einen geschickten Arzt mit sich hatte, kehrte nach erfolgreicher Arbeit heil nach Petersburg zurück, und die Kaiserin mußte die größte Freude heucheln und ihm zu Ehren sogar eine Medaille schlagen lassen, auf der er, ein zweiter Curtius, in den Pfuhl des Verderbens springt. In Zarskoje-Sselo wurde ihm alsdann nach römischer Sitte ein marmorner Triumphbogen errichtet, damit das Andenken an seinen kühnen Besuch des verpesteten Moskau der Nachwelt nicht verloren gehe.

Jetzt mußte die Kaiserin auf einen neuen Vorwand für Orlows Entfernung denken, und sie sandte ihn endlich nach Fockschanj, einer kleinen Ortschaft in der Walachei, wo ein Kongreß zum Abschluß des Türkenkrieges stattfinden sollte.

Orlows Begleitung war die eines Monarchen. Er hatte Marschälle, Kammerherren, Kammerjunker, Pagen, Bediente und zahlreiche Equipagen. Küche und Weine waren auserlesen. Seine Kostüme funkelten von Gold und Juwelen.

Katharina hoffte, daß Orlow recht lange fortbleiben werde. Allein als der Günstling eines Tages von einem aus Petersburg mit Depeschen zu ihm gesandten Kurier zufällig erfuhr, daß die Kaiserin sich die Zeit seiner Abwesenheit mit anderen Liebhabern vertreibe, erkannte er die Schlinge, in die er geraten war, bestieg eine einfache Kibitka und raste ununterbrochen Tage und Nächte hindurch nach der Residenz zurück.

Man war am Hofe bereits von seiner Rückkunft unterrichtet, und die Kaiserin sandte ihm einen Boten entgegen und ließ ihm sagen: »Sie schlage ihm vor, das Schloß Gatschina zu einstweiligem Aufenthalte zu nehmen.«

Orlow war der Verzweiflung nahe, natürlich nicht über den Verlust der Geliebten, sondern über den Verlust seiner Macht, und aus Ärger, daß er sich hatte hintergehen lassen.

Was nun folgte, klingt unglaublich, und man müßte die Erzählungen hiervon als übertrieben von sich weisen, wenn sie nicht von verschiedenen guten und wahrhaften Augenzeugen übereinstimmend mitgeteilt worden wären.

In Gatschina war Orlow interniert und tobte in ohnmächtiger Wut. Aber die Kaiserin in ihrem Palais fühlte sich nicht weniger als eine Gefangene. Sie zeigte eine so große Angst vor Orlow, daß man sie gar nicht beruhigen konnte. »Sie kennen Orlow nicht; er ist fähig, mich umzubringen,« jammerte sie immerfort. Sie ließ vor der Tür ihres Schlafzimmers einen Riegel anbringen, und ihr Kammerdiener mußte mit geladenen Pistolen stete Wache halten.

Schließlich fand es Katharina für angemessen, mit dem verflossenen Günstling in Unterhandlungen zu treten, um einen Vergleich zu erzielen; aber Orlow war nicht zu bewältigen und wollte auf seine Stelle als Liebhaber der Zarin nicht verzichten. Katharina schickte ihm eine Million, um ihn milder zu stimmen; er wies das Geld schroff zurück.

Es waren fürchterliche, für Katharina schandvolle Monate. Sie lebte in fortwährenden Ängsten vor dem rasenden Manne, der ihr allerdings nicht nahe kommen konnte, sondern auf seinem Schlosse abgesperrt und gut bewacht war.

Als alles nicht half, begann man Orlow zu drohen, man würde ihn auf seinem Gute Ropscha für Lebenszeit internieren. Wenn er aber nachgeben und auf seine Günstlingswürde verzichten wollte, so könnte er seine Titel und eine Pension von 150&#160;000 Rubel jährlich behalten und, mit Ausnahme von Petersburg und Moskau, überall leben, wo es ihm gefiele.

Wieder ging er nicht auf die Wünsche der Regierung ein, und auf die Drohung wegen Ropscha antwortete er mit Spott.

Nun wurde, der Versuch gemacht, ihn als verrückt hinzustellen und so auf gute Manier in irgend ein sicheres Nest zu bringen. Er wich der Übermacht, und man transportierte ihn nach dem kaiserlichen Lustschlosse Zarskoje-Sselo. Hier lebte er aber ganz gemütlich und versammelte täglich zahlreiche Vornehme der Residenz, bis er einmal, als die Vorsicht seiner Wächter eingeschläfert war, im Monat Dezember 1772, in aller Stille nach Petersburg entwich.

Katharinas Entsetzen, als der gefürchtete Orlow plötzlich vor sie hintrat, ist begreiflich. Der ehemalige Günstling aber verzieh der »undankbaren« Kaiserin und söhnte sich mit ihr aus. Er verzichtete jetzt freiwillig auf seine Stelle als Liebhaber und erhielt dafür von der Zarin alle seine Würden zurück, ferner eine jährliche Pension von 150&#160;000 Rubel, 6000 Bauern, ein in Frankreich gearbeitetes Silberservice im Werte von 250&#160;000 Rubel und den Marmorpalast, der später von der Regierung zurückerworben und zur kaiserlichen Residenz eingerichtet wurde. Er zeigte sich der Kaiserin für ihre Großmut dadurch erkenntlich, daß er von den ihm geschenkten Millionen ein Teilchen von 460&#160;000 Rubeln abbrach und der Kaiserin den aus dem Schatze des Nadir-Schach stammenden mächtigen Brillanten kaufte, der heute noch im Besitz der russischen Krone ist. Auch ließ er auf seine Kosten den Bau des Arsenals in der Hauptstadt aufführen.

Nicht lange jedoch hielt seine Ruhe an. Wenn er sich auch über den Verlust der Günstlingsstellung getröstet hatte, so zehrte doch an ihm die Erinnerung an seine frühere Macht und an seine jetzige Unbedeutendheit. Er fing an zu reisen und suchte sich zu zerstreuen, war bald da, bald dort, blieb längere Zeit in Moskau und kam wieder nach Petersburg. Hier verheiratete er sich endlich mit einem Hoffräulein Ssinowiew, einer Verwandten seiner Mutter. Katharina war darüber glückselig und beschenkte die Frau ihres einstigen Günstlings mit einem goldenen Toilettenservice von unschätzbarem Wert.

Die junge Fürstin Orlow soll eine vortreffliche Dame und auf ihren Gemahl von großem und günstigem Einfluß gewesen sein. Leider starb sie schon kurze Zeit nach ihrer Hochzeit, und Orlow begann von neuem sein wüstes Leben. Bald brach eine zehrende Krankheit in ihm aus, die ihn schnell dem Wahnsinn entgegenführte. In seinen Visionen sah er dann immerfort die blutende Erscheinung Peters des Dritten und wußte sich vor Angst und Verzweiflung nicht zu retten. – Doch dauerten seine Qualen nicht lange; im April 1783 starb dieser Mann, der durch mehr als 12 Jahre der Liebling Katharinas gewesen war.

Zeitgenossen entwerfen kein schlechtes Bild von seinem Charakter. Er besaß Verstand, Mut, Entschlossenheit, gutes Herz und zeigte sich, besonders in seinen letzten Lebensjahren, von einer seltenen Rechtschaffenheit.

Katharina hatte mit Orlow mehrere Kinder. Am bekanntesten wurde der im Jahre 1762 geborene Sohn, Basil Gregorjewitsch, der nachher den Beinamen Bobrinsky erhielt. Er war der Kaiserin im Äusseren verblüffend ähnlich, hatte aber den wilden, ausschweifenden, unbezähmbaren Charakter des Vaters. Gleich nach seiner Geburt wurde er zu einem Ofenheizer Schkurin, der später Kammerherr und Geheimrat wurde, gegeben und von diesem erzogen, bis er in das Landkadettenkorps kam. Dann aber ließ man die Maske fallen und es als ein öffentliches Geheimnis gelten, daß der junge Basil Gregorjewitsch ein Sohn der Kaiserin und Orlows sei. Seine Mutter schenkte ihm eine Million Rubel. Aber da Bobrinsky das Geld, besonders in Paris, nach dem Muster seines verschwenderischen Vaters, achtlos auf die Straße warf, wurde ihm das Geschenk wieder entzogen und ihm fortan bloß eine jährliche Pension von 30&#160;000 Rubel ausgezahlt. Paul der Erste erhob ihn in den Grafenstand. Über Bobrinsky: Schreiben Katharinas an ihn, Russ. Arch 1876. III. 13. Castéra II. 35. Helbig, Russische Günstlinge 364. Bobrinskys Tagebuch aus dem Jahre 1779, Russ. Archiv 1877, III. 117. Vgl. A. Komarowskys Memoiren im »Achtzehnten Jahrhundert« I. 393. 398. 401. (Russisch.)

Ein anderer Sohn Orlows und der Kaiserin hieß Galachtheon; er wurde Offizier, starb aber früh infolge grenzenloser Ausschweifungen in London. Ein dritter Sohn starb schon als Kind. Zwei Töchter Orlows und Katharinas wurden als Nichten der Protassow, eines der »Probierfräulein« der Zarin, in Petersburg erzogen; eine von ihnen heiratete den Grafen Buxhövden, die andere einen Herrn Klinger.

Orlow hatte neben seinem Verhältnisse mit der Kaiserin noch zahlreiche mit Hofdamen Noch früher als mit der Kaiserin stand er auch mit der Fürstin Daschkow in Beziehung.. Als die Kaiserin davon erfuhr, legte auch sie sich keinen Zwang mehr auf. Besonders war es Alexis Orlow, der Bruder Gregors, der bei ihr in großer Gunst stand, schon deshalb, weil er bei der Revolution viel Wirksamkeit entfaltet hatte. Er war am Morde Peters des Dritten bekanntlich direkt beteiligt.

Alexis bekleidete neben Gregor die höchsten Ehrenstellen im Reiche. Aber das stille Leben am Hofe genügte seinem Ehrgeiz nicht. Er schlug deshalb der Kaiserin vor, daß sie ihm eine Flotte gegen die Türken anvertraue. Der Plan schmeichelte ihrer Ruhmsucht; sie ernannte Orlow zum Großadmiral der russischen Flotte im Archipelagus und unterzeichnete ein Dekret, wodurch ihm diktatorische Gewalt erteilt wurde, er konnte mit der Flotte alles unternehmen, was ihm beliebte, ohne Verantwortung tragen zu müssen.

Die ganze Expedition des Alexey Orlow blieb jedoch eine pomphafte Komödie, die viel Geld kostete und ganz unnütz war. Nur wenige unbedeutende Eroberungen wurden gemacht, und diese – mußte man nach abgeschlossenem Frieden den Türken wieder zurückgeben.

Nur eine einzige Tat Orlows erregte Aufsehen in der Welt und wurde von den Russen zu einer Großtat gestempelt: die Verbrennung der türkischen Flotte bei Tscheßme. Alexis Orlow erhielt davon den Namen Tscheßmenskoy. Für die Überlieferung dieser Tat an die Nachwelt trug der eitle Sieger selbst die angestrengteste Sorge. Der Maler Philipp Hackert mußte das Schauspiel der Verbrennung nach Orlows Angaben von vier verschiedenen Standpunkten darstellen. Um dem Künstler die schauervolle Begebenheit möglichst anschaulich vor Augen zu führen, ließ der Großadmiral im Hafen von Livorno ein Kriegsschiff in die Luft sprengen. Die Gemälde, die übrigens vortrefflich gelangen, befinden sich im Besitz des Zarenhauses.

Als Gregor Orlow die Stelle eines Liebhabers bei der Kaiserin verlor, schickte Katharina an Alexey einen Boten und verbot ihm ebenfalls, nach Petersburg zu kommen. Diesen Befehl nahm sie erst nach einigen Jahren zurück und empfing alsdann ihren siegreichen Admiral mit verspäteten, aber um so größeren Ehren. Auf dem Theater wurden eigens für seine Verherrlichung gedichtete Stücke aufgeführt, in denen er, Peter der Große und Katharina die Zweite als handelnde Personen auftraten. Medaillen mit seinem Porträt als Kriegsgott wurden geprägt, in Zarskoje-Sselo zum Andenken an seine »Ruhmestaten« Marmormonumente errichtet und – last not least – ungeheure Reichtümer über ihn ausgeschüttet.

Aber seine Glanzzeit war doch zu Ende. Andere Sterne leuchteten am Lebens- und Liebeshimmel der Kaiserin. Alexis Orlow fühlte sich zurückgesetzt und nahm seine Entlassung. Sie wurde ihm gern gewährt. Er lebte nunmehr in Zurückgezogenheit in Moskau, bis Paul den Thron bestieg und sich seiner erinnerte.

Paul ließ nämlich sogleich nach seinem Regierungsantritt den Grafen Alexis Orlow nach Petersburg kommen, damit er – die Leiche Peters des Dritten, dessen Blut an seinen Händen klebte, aus dem Alexander-Newsky-Kloster in die Festung überführte.

Das mag der fürchterlichste Tag im Leben des Alexis Orlow gewesen sein … Wenige Wochen darauf ging er auf Reisen – und blieb bis nach Pauls Ermordung im Ausland. Er starb erst 1808 in Moskau und hinterließ eine legitime Tochter und einen natürlichen Sohn; der letztere glich seinem Vater in Gestalt und Schönheit und wurde eine kurze Zeit hindurch von der alternden Katharina ebenfalls zu intimen Diensten herangezogen.

Die beiden Orlows führten auch alle ihre zahlreichen Brüder und Vettern an den Hof. Iwan Gregorjewitsch Orlow, der älteste von den Brüdern, wurde mit Gregor und Alexis zugleich erzogen, kam alsdann als Unteroffizier zur Garde, zeichnete sich bei der Revolution von 1762 aus, wurde deshalb Graf und bekam außer großen Gütern eine Pension von 20&#160;000 Rubel jährlich, wie sie jedem der Hauptteilnehmer an der Verschwörung zuteil wurde. – Der vierte Orlow, Fedor, beteiligte sich nicht direkt an der Revolution, hatte aber trotzdem, schon als Mitglied der Familie Orlow, ein gutes Los gezogen. Als er im Türkenkriege Gelegenheit zu einigen Heldentaten fand, wurde er überschwenglich gefeiert und belohnt. Er starb Ende der neunziger Jahre in Moskau. – Wladimir Orlow, der jüngste von den Brüdern, wurde von 1762–1765 mit großem Pomp in Leipzig erzogen; nach seiner Rückkehr ernannte man diesen Jüngling zum Direktor der – Akademie der Wissenschaften und zum Kammerherrn. Obgleich er sonst nicht viel bedeutete, beliefen sich seine Einkünfte doch auf 130&#160;000 Rubel jährlich. – Von den übrigen vier Brüdern Orlow weiß ich nichts Besonderes zu melden; es wird auch ihnen nicht schlecht ergangen sein. – Die Vettern und anderen Verwandten bekamen gute Stellen, waren jedoch nicht so hervorragend, um Erwähnung zu verdienen.

Die Orlows, Brüder und Vettern, bildeten am Hofe zu Petersburg einen stattlichen Nebenhof. Sie glänzten durch Schönheit, Lustigkeit und den von der Kaiserin erhaltenen Reichtum. Sie veranstalteten wunderbare Festlichkeiten und streuten verschwenderisch Schätze unter das Volk. Kein Hof jener Zeit hat so seltsame Tage gesehen.

Während der Herrschaft der Brüder Orlow hatte Katharina neben ihnen nur wenige und unbedeutende Liebhaber:

Ein aus einem Dorfe nach Petersburg gebrachter Rekrut Andreas gefiel der Kaiserin, als sie ihn zufällig sah, so sehr, daß sie ihn nicht in ein Regiment, sondern in eine Livree steckte. Als Bedienter wurde er von Katharina einige Zeit lang zu sehr intimen Diensten benützt, bis Gregor Orlow darauf kam und den – Bedienten als Hauptmann zur Armee schickte. Später veranlaßte die Kaiserin seine Rückkehr nach der Residenz und gab ihm ein hohes Amt in ihrer Umgebung.

Nicht so gut erging es einem jungen Offizier, Namens Wissensky, in den die Kaiserin so verliebt war, daß es schien, der unbedeutende Offizier könnte das Glück der Orlows machen. Aber Wissenskys Traum war kurz. Er wurde plötzlich abgedankt und nach einer entfernten Provinz befördert.

Länger dauerte die Position eines jungen Edelmannes Alexander Wassiltschikow, der von der Kaiserin im Jahre 1772 erwählt wurde und 22 Monate an ihrer Seite blieb. Er gilt als der uneigennützigste und bescheidenste aller Liebhaber Katharinas. Er hatte keine Neider, weil er jedem half und keinem im Wege stand. Er machte keine großen Ansprüche, doch bekam er trotzdem von der Kaiserin nicht weniger als 100&#160;000 Rubel bares Geld, 7000 Bauern, für 60&#160;000 Rubel Brillanten, ein Silberservice im Werte von 50&#160;000 Rubel und ein prächtiges Palais, das auf 100&#160;000 Rubel geschätzt ward. Als Potemkin die Gunst der Kaiserin zu gewinnen begann, wurde Wassiltschikow mit einer Jahrespension von 40&#160;000 Rubeln zur Ruhe gesetzt. Er heiratete nunmehr und führte in Moskau die glücklichste Ehe von der Welt.

Alle Kaiserinnen von Rußland haben Günstlinge gehabt, aber keine trieb die Zahl derselben so hoch wie Katharina die Zweite, die tatsächlich jede 24 Stunden und noch öfter die Liebhaber wechselte Der Ironie wegen will ich in Erinnerung rufen, daß Katharina wörtlich die Reine, die Keusche bedeutet.. Die Stellung eines Liebhabers war einfach ein Staatsamt, – das höchste und einträglichste und dabei amüsanteste, wenigstens so lange Katharina schön blieb – das in Rußland damals zu vergeben war. Eine schöne Gestalt und ein hübsches Gesicht und vor allem ausdauernde Kraft waren die Verdienste, die für das Amt befähigten.

Die Anstellung des Günstlings verlief folgendermaßen: Der neugewählte Favorit wurde zuerst zum Generaladjutanten ernannt, damit er ohne Aufsehen zu erregen die Kaiserin überallhin begleiten konnte.

Er bewohnte im Palaste mehrere Zimmer, die unmittelbar mit denen der Kaiserin zusammenhingen. Am ersten Tage der Amtsübernahme erhielt er 100&#160;000 Rubel, und am ersten eines jeden Monats fand er 12+160;000 Rubel auf seinem Nachttisch. Der Hofmaischall hatte den Auftrag, für ihn eine Tafel von 24 Kuverts bereit zu halten und für seine ganze Haushaltung zu sorgen. Ohne Erlaubnis der Kaiserin durfte der Günstling nicht einmal den Palast verlassen. Selbstverständlich durfte es ihm auch nicht einfallen, anderen Damen sich zu nähern.

Sobald Katharina auf einen Mann ihr Auge geworfen hatte, wurde einer hierzu bestimmten Dame, der »Probiererin«, befohlen, den Betreffenden zu Tisch zu laden. Hier erschien auch die Kaiserin, sprach mit dem Auserwählten und suchte zu erforschen, ob er ihre Gunst und Gnade verdiene. Und wenn er ihrem Geschmacke und ihren Ansprüchen zusagte, mußte zunächst die Probiererin – lange Zeit war dies eine kleine und ziemlich häßliche Frau, namens Perekussichina, später die hübsche junge Frau Pratasow – durch 24 Stunden die Kräfte des Erwählten erproben und der Kaiserin rapportieren: »In jeder Hinsicht vortrefflich« oder »Nicht für Majestät geeignet«.

Hatte endlich auch der Leibarzt den Gesundheitszustand des Kandidaten für gut befunden, so war die Sache fertig. Wenn ein Günstling ausgedient hatte, wurde er reich beschenkt und erhielt einfach Befehl, auf Reisen zu gehen und nie mehr vor das Angesicht der Kaiserin zu kommen; diesen Befehl befolgte nur ein einziger nicht: Potemkin.

Das russische Volk und die Beamten des Staates gewöhnten sich an diese Zustände. Man fand es bald natürlich, daß die Kaiserin sich einen Liebhaber hielt, der ihr nach den schweren Regierungssorgen Genuß und Zerstreuung bot, der sie bei guter Laune erhalten mußte. Auch der häufige Wechsel der Liebhaber wurde nicht ungern gesehen. Das Beispiel der Orlows hatte gelehrt, wie gefährlich ein ständiger Günstling werden könnte. Man suchte der Kaiserin auch immer unbedeutende Männer zuzuführen und diese nach kurzer Zeit durch andere zu ersetzen. Zuweilen täuschte man sich jedoch und in einem solchen scheinbar unbedeutenden Menschen steckte ein Glücksgenie wie Potemkin …

Gregor Potemkin wurde 1736 in der Nähe von Smolensk – nach anderen 1743 zu Warschau – geboren und erhielt als Sohn eines verabschiedeten Offiziers eine einfache Erziehung. Anfänglich sollte er – Geistlicher werden, als man aber militärische Talente an ihm entdeckte, schickte man ihn nach Petersburg und gab ihn seiner schönen Gestalt wegen in ein berittenes Garderegiment.

Bei der Thronentsetzung Peters des Dritten war er Wachtmeister und einer von denen, die man für die Kaiserin gewonnen hatte. Als die Revolution vorüber war, wurde er Offizier und Kammerjunker und nach Schweden geschickt, um die Thronbesteigung der neuen Selbstherrscherin zu melden.

Nach seiner Rückkehr hatte er einmal den Wagen der Kaiserin zu geleiten. Wie er nach Beendigung der Dienstpflicht sich entfernen will, ist sein Pferd widerspenstig und nicht von der Stelle zu bringen.

Die Kaiserin schaut auf. Der junge Offizier gefällt ihr. Da sagt sie:

»Ihr Pferd ist klüger als Sie.«

Er verstand den Blick und den Wink, und der Plan, Günstling zu werden, stand in ihm fest.

Damals blühten aber noch die übermächtigen Brüder Orlow. Potemkin ließ trotzdem seine Hoffnung nicht sinken, und endlich gelang es ihm, in einer unbewachten Stunde zur Kaiserin zu dringen. Sein Glück betörte ihn, und er sprach laut davon. Eines Tages spielte er mit Alexis Orlow und rühmte sich der hohen Gunst, die er genoß. Orlow gab ihm eine stolze Antwort, sie kamen in Wortstreit, und Potemkin erhielt einen Schlag ins Gesicht, der ihm ein Auge raubte. Die Ursache des Skandals wurde offenkundig, und das Ende war, daß Potemkin erst zur Armee und dann in seine Heimat geschickt wurde.

Hier lebte er einige Zeit in verdrießlicher Einsamkeit und ging schon wieder mit der Absicht um – Mönch zu werden. Plötzlich fiel es ihm ein, der Zarin zu schreiben. Er tat es, erzählte von seiner heißen Sehnsucht und Liebe, und bat Katharina, ihm abermals ihre Gunst zu schenken.

Die Kaiserin, die unterdessen von den Orlows erlöst worden war, berief ihn sofort an den Hof zurück und überließ sich ihm von neuem. Seine Gewalt über ihr Herz ward unumschränkt. Er wußte und mißbrauchte es. Er verlangte immer mehr und mehr Vorteile, und er soll, nach Birons Muster, die Kaiserin sogar geschlagen haben, wenn sie sich zuweilen zu einer Weigerung aufzuraffen wagte. Endlich wollte er das Höchste, die Hand der Kaiserin erlangen.

Zu diesem Zwecke wurde er, der unersättliche Wüstling, plötzlich der frömmste Mann der Residenz. Mit dem Beginne der Fasten verzichtete er auf seine berühmte Küche und zwang sich, Wurzeln zu essen und Wasser zu trinken. Täglich ging er zur Beichte und hatte dabei in weiser Voraussicht den Beichtvater der Kaiserin zu seinem eigenen gewählt. Dem gestand er seine intimen Beziehungen zur Zarin und klagte, daß sein beunruhigtes Gewissen ihm nicht mehr erlaube, in einer wilden Ehe zu leben, und bat den Geistlichen, daß er die Kaiserin zu einer geheiligten Ehe bewegen möchte. Und die frommen Worte unterstützte der allmächtige Günstling mit blinkendem Gold und gleißnerischen Versprechungen. Und das Herz des Priesters war nicht von Stein und seine Tasche nicht mit tausend Fäden vernäht. Mit Tränen in den Augen beschwor er die Kaiserin, abzulassen von ihrem verdammten Sündenleben und Gott durch einen heiligen Ehebund zu versöhnen.

Und die kluge freigeistige Katharina ließ Potemkin rufen und sagte ihm zärtlichen Tones:

»Ich liebe dich und dennoch will ich dir entsagen, um nicht dein Seelenheil zu gefährden; wenn du nicht länger mein Geliebter sein willst und die Strafe des Himmels fürchtest, so gehe – ich nehme einen anderen.«

Da erschrak der fromme Potemkin und ließ Ehe einfach Ehe sein und wollte bei seiner alten Stellung als Liebhaber bleiben. Aber Katharina war seiner überdrüssig geworden und befahl ihm, der Sitte gemäß, zu verreisen. Er tat, als ob er gehorchen würde, kam jedoch am nächsten Tage wieder in den Palast und setzte sich unbefangen der Kaiserin gegenüber. Sie zürnte ihm nicht und behielt ihn am Hofe.

Nun begann zwischen Katharina und Potemkin ein Verhältnis, das einzig in seiner Art ist. Die Liebe ist tot, es lebe die Freundschaft. Und Potemkin als Freund der Kaiserin ist weit mächtiger noch, als er früher als ihr Liebhaber gewesen war. Nachdem er die Liebe der Kaiserin verloren hatte, behielt er doch ihr Vertrauen unbeschränkt bis an sein Lebensende. Er selbst war es, der seiner kaiserlichen Maitresse neue und immer neue Liebhaber zuführte, die als seine Kreaturen in seinem Sinne bei der Kaiserin wirkten, die seinen Einfluß nie mehr ins Wanken kommen ließen.

So war er der einzige, der nach dem Ende seiner Liebschaft mit der hohen Frau noch immer der mächtigste Mann im ganzen russischen Reiche blieb. Die Schätze, die er von der Kaiserin erhielt, sind ungeheuer. Sein Hauptvergnügen war, auf dem Sofa liegend, seine Juwelen mit der einen Hand in die Luft zu werfen und mit der anderen wieder aufzufangen; er nannte das: Katarakt spielen. Bei einem Gastmahl, welches er seiner Geliebten, der Fürstin Dolgoruckow gab, ließ er zum Dessert – Brillanten servieren.

Er hatte sich ein Zimmer nach seiner eigenen Erfindung einrichten lassen, wozu er den Schlüssel stets bei sich trug. In diesem Zimmer waren Schränke und Regale mit zahllosen Abteilungen wie in Bibliotheken angebracht. Alles war dicht gefüllt mit Bänden in Folio, Quart und Oktav; aber die Blätter dieser Bücher bestanden aus – Banknoten.

Er besaß, wie einst Mentschikoff, der Günstling Peters des Großen und Katharinas der Ersten, einen eigenen Hof mit zahlreichen Beamten und Dienern, einen Hof, der an Glanz und Aufwand dem der Kaiserin nicht nachstand. Nicht zu schildern ist die Üppigkeit seiner Feste. Um für seine Maitressen Melonen oder Blumen holen zu lassen, sandte er Kuriere viele Hundert Werste weit, nach Astrachan oder nach Paris, nach Polen oder Taurien. Die seltensten Gerichte, die kostbarsten Weine ließ er auftragen. Während des Essens spielte die Hofkapelle des Fürsten, und in den Pausen der Musik sangen wunderschöne Sängerinnen melodische Lieder. »Hier,« sagt ein Bewunderer Potemkins, ein Mann, der augenscheinlich an diesen Festen teilgenommen hat, »hier war die einzige Gelegenheit, den Fürsten sorgenlos und in seiner tiefsten Herablassung zu sehen; denn obgleich Potemkin durch seine majestätische Erhabenheit sich bei jedem Ehrfurcht zu verschaffen wußte, so vergaß er doch hier nicht, jedem seiner Gäste auf die herablassendste Art, und ohne einen Unterschied zu beobachten, zu begegnen.«

Nach aufgehobener Tafel, die zwei bis drei Stunden zu dauern pflegte, überließ sich der Fürst dem Gespräche mit den Gästen, und dann ging es zum Kartenspiel, Man spielte aber nicht um Geld, sondern um – Edelsteine. Dabei ging es so still zu, als wenn alles im Zimmer gestorben wäre; es durfte nur gespielt, nichts gesprochen werden.

Noch glänzender als seine Mittagstafelfeste waren Potemkins Bälle, die mindestens je 100000 Rubel kosten mußten. Hierzu waren Generale und Diplomaten aus allen Gegenden geladen.

Im Jahre 1779 gab Potemkin bei Gelegenheit der Geburt von Pauls Tochter Katharina ein großes Fest; auf seinem Landgute Oserki, am Ufer der Newa, hatte er prachtvolle Bauten und einen Tanzsaal aufführen lassen, während auf dem Wasser ein schwimmender Tempel lag, an dessen Front und Zinnen die Namen der Mitglieder der kaiserlichen Familie prangten. Das Souper wurde in einer Grotte eingenommen, die ganz genau einer Grotte in den kaukasischen Bergen nachgebildet, mit Myrten, Lorbeer uud Rosen geschmückt war und einen malerischen Wasserfall besaß. Ein Sängerchor trug Lieder in altgriechischer Sprache vor.

Kurz vor seinem Tode, am 28. April 1791, veranstaltete Potemkin ein Fest, das alles bisher Dagewesene tief in den Schatten stellen sollte. Künstler und Industrielle hatten zu tun, um das Haus auszuschmücken; neue Möbel, Gobelins, Teppiche wurden erworben, 200 große Kronleuchter und die kostbarsten Spiegel der Stadt herbeigeschafft, für die Beleuchtung 16000 Pfund Wachs gekauft. Die Glaslaternen hatten die Formen von allerlei Obst und Blumen. Für das Volk waren Freitische und zahlreiche Geschenke in Kleidern und Stiefeln bereitgestellt, um im Momente des Erscheinens der Kaiserin verteilt zu werden. Schüchtern sahen sich die Armen schon von früh morgens die schönen Sachen an, aber es ging das Gerücht: wer vor der Zeit herandrängt, wird zum Militär genommen. Da harrten die Leute fein säuberlich aus, bis ihre Stunde kam. Plötzlich verbreitete sich die Nachricht, die Kaiserin sei schon da, und nun gab es kein Halten mehr; niemand wollte zu kurz, kommen, alles stürzte wild auf die Eßwaren und die Geschenke los, eine heillose Verwirrung entstand, und erst durch gewaltsame Mittel konnte man die Plündernden wieder auseinanderjagen …

Das war die Einleitung.

Nach und nach sammelten sich die Gäste. In ihren stolzen Equipagen kamen sie daher, zuletzt die Kaiserin. Man konnte sich kaum fassen ob der Pracht. Das Glänzendste war der Tanzsaal; 74 Paare in Maskenkostümen eröffneten den Tanz unter Gesängen zum Lobe der Kaiserin, die von Derschawin gedichtet waren und aus verborgenen Galerieen und Tiefen erschollen: »Mahomed ist bezwungen, die Donau ist in den Händen der Russen, seit man das Todesröcheln von Ismael her vernommen. Die Kaiserin gleicht Minerva, Potemkin Mars, der Enkel der Kaiserin, Alexander, erinnert an Alexander den Großen, sein Bruder Konstantin an den Hersteller von Byzanz, den großen Konstantin; die Macht des alten Rom und der Glanz von Hellas vereinigen sich unter Rußlands Zepter.«

Die originellen Tänze wurden nach Potemkins. eigenen Angaben von den berühmten Meistern Le Picq und Canziani arrangiert, die für diesen Abend 6000 und 5000 Rubel erhielten.

In den anderen Räumen gab es gewaltige Porzellanöfen mit allerlei chinesischen Nippsachen und daneben hölzerne Pfosten, die wie Marmorsäulen bemalt waren. Neben einer wundervollen Uhr mit absonderlichem Schlagwerk und eigentümlicher Maschinerie, die 42000 Rubel gekostet hatte, stand auf einem künstlichen Elefanten eine persische Puppe, die durch mechanisches Anschlagen an eine Glocke zum Schauspiel einlud: zu einer Komödie »Les faux amants« und einer Pantomime »Der Kaufmann von Smyrna«, wo auf einem Sklavenmarkt alle Völker als Sklaven erschienen – mit Ausnahme des freien russischen Volkes!! … Unterdessen bricht der Abend an; alles strömt in den Garten: 140000 Lampen und 20000 Kerzen erhellen ihn. Zahllose Fruchtbäume entzücken das Auge – aber ihre Früchte, so täuschend, so naturwahr, bestehen aus – Glas. Künstlich ist auch der Rasen, der saftig schimmernde, künstlich sind die Grotten mit den Spiegeln innen, die alles tausendfach wiederstrahlen. In der Mitte des Gartens sprudelt eine Fontäne eau de lavande in die Lüfte. Neben ihr funkelt eine Pyramide von Gold und Edelsteinen – aber die sind echt. In wunderbaren Nestern zwitschern seltene Singvögel. In einem säulengetragenen himmelblauen Tempel steht das marmorne Standbild der Zarin, umhüllt von Purpur, in der Hand ein Füllhorn haltend, aus .dem Schätze von goldenen Münzen und kostbaren Orden fallen, und darunter leuchtet die Inschrift: »Der Mutter des Vaterlandes – meiner Wohlthäterin« … An den Stufen dieses Tempels sank Potemkin – der einen karmoisinroten Frack und einen Überwurf aus den seltensten Spitzen trug, und sein Hut war von Edelsteinen so schwer, daß ein Adjutant ihn ihm nachtragen mußte – vor der Zarin nieder und sprach angeblich von ihm verfaßte Verse: »Que puis-je t'offrir en hommage? Je suis moi-même ton ouvrage, Mon pouvoir et mon sort sont sortis de ta main.« Uber 30000 Personen waren bei diesem Feste anwesend, dessen Kosten in die Hunderttausende gingen. Für Wachs allein waren über 70000 Rubel verausgabt worden!

Bei solchen Festen war der Fürst selbst gewöhnlich der Ausgelassenste, denn er äußerte einmal: daß der Mensch, um seiner Bestimmung vollkommen fähig zu werden, ebensosehr der Freude, des Vergnügens, wie der Nahrung bedürfe. Nur geschah es allzu oft, daß bei solchen Festlichkeiten die Laune des Hausherrn auch böse Störungen bewirkte. Der Fürst, der eben noch ausgelassen lustig gewesen war, konnte im nächsten Moment in größte Verdrießlichkeit geraten.

Die meisten Anlässe zu solchen Mißstimmungen des »Erhabenen« – wie man Potemkin häufig nannte – gaben die Maitressen des Fürsten, die sich aus den schönsten Frauen der Zeit rekrutierten und deshalb bei den Bällen auch das Wohlgefallen anderer, nicht nur ihres Gebieters, erregten. Zuweilen kam es nun vor, daß diesen leichten Damen der eine oder andere flotte Herr, der sich um ihre Gunst bewarb, nicht gleichgültig blieb und von ihren Herzen den Vorzug vor dem alternden Gebieter erhielt. Wenn Potemkin dies merkte, stürzte er auf die Ungetreue los, riß ihr wütend den Schmuck vom Haupte und jagte sie auf der Stelle schmachvoll davon. Ja, zuweilen wurde er so aufgebracht, daß er überhaupt die Fortsetzung des ganzen Festes einstellte und seine Gäste nach Hause schickte. Nach einigen Stunden schon bereute er aber, daß er seine Gäste die Schuld einer ungetreuen Maitresse entgelten ließ, und er sandte schleunig Boten zu den Verjagten, um sie sofort wieder zurückbringen zu lassen, und die Bälle gingen fröhlich und fortab ungestört zu Ende …

Daß sich die Leute dies gefallen ließen, ist ein Zeichen jener Epoche. Von Potemkin nahm man alles geduldig hin. Er war allmächtig. Die Großen des Reiches krochen vor ihm im Staube, selbst der Thronfolger zitterte in seiner Gegenwart.

Gewiß muß man ihn einen außerordentlichen Menschen nennen. Doch konnte er seine Rolle nur in Rußland und nur im Rußland Katharinas der Zweiten spielen. In seiner Person vereinigte er die seltsamsten Fehler und Vorzüge. Neben seinem Verschwendungswahnsinn grinste spöttisch der Geiz. Seine Despotie und Hartherzigkeit wurden nur durch seine Furchtsamkeit und Unbesonnenheit, sein Ehrgeiz und Hochmut nur durch seine Schmeichelkunst übertroffen. Er verschenkte Millionen an seine Maitressen und blieb schmutzige Kleinigkeiten schuldig. Niemand war so abergläubisch und niemand so schlau als er. Er besaß große Phantasie, und selbst die unglaublichsten Dinge nahm er kühn in Angriff und kein Hindernis hielt ihn von der Erreichung eines Zieles zurück. War dieses aber gewonnen, dann verfiel er in Schlaffheit und Überdruß und nützte das Gewonnene nicht aus.

Er schuf für sich zahllose Ämter und fiel dem Lande zur Last, und doch war er dem Lande unentbehrlich; und als er starb, blieb eine unausfüllbare Lücke zurück. Er trug ungeheuer viel auf seinen Schultern, kein zweiter konnte das nach ihm tun. Aber die Ämter freuten ihn nicht, der Ehrgeiz nach immer Neuem raubte ihm die Zufriedenheit und Ruhe. Und alles an ihm war Unruhe und Unordnung: seine Tätigkeit, sein Benehmen, sein Charakter.

Wo er war, verbreitete er Unbehaglichkeit; wer ihn sah, fürchtete seine Launen. Er hatte wenige Menschen lieb und liebte diese auf seine Weise. Wer ihm schmeichelte, war ihm willkommen; wer ihm widersprach, war sein Todfeind. Er vergaß, was man ihm Gutes getan, und vergaß nie, was man ihm Böses erwiesen. Er versprach viel und erfüllte fast gar nichts.

Kaum jemand in so hoher Stellung besaß so wenig wirkliche Bildung wie er, und doch hatte er von allen Gegenständen ausgebreitete Kenntnisse. Der Mangel des Studiums wurde bei ihm durch großartige Talente der Anempfindung, durch leichte Auffassung und vortreffliches Gedächtnis ersetzt. Mit Gelehrten und Künstlern, mit Geistlichen und Handwerkern konnte er sich in gleicher Weise eingehend unterhalten.

Seine Launen waren unglaublich. Heute wollte er Herzog von Kurland, morgen König von Polen werden. Plötzlich wollte er der Weltlichkeit entsagen und in ein Kloster eintreten, tat Buße und kasteite sich. Und 24 Stunden später gab er die ausgelassensten Festlichkeiten. Heute wollte er Feldherr, morgen Staatsmann, einmal bloß Höfling, ein andermal nur Privater und endlich wieder alles auf einmal sein. Er erbaute kostbare Paläste und ehe sie noch fertig waren, verkaufte er sie. Zuweilen lag er wochenlang in einer Spelunke bei einer Dirne und war nicht zu bewegen, seine Ämter zu führen; dann trat er, mit den Orden aller Länder der Welt geschmückt, plötzlich vor den Thron und forderte die Teilung der Türkei. Eben fuhr er in einer goldstrotzenden Equipage, und gleich darauf gab er zu Hause in bloßen Füßen, mit ungekämmten Haaren und ungewaschenem Gesicht – Audienzen.

Er führte Kriege mit seltenem Glück, weil er das Geschick hatte, sich gute Kräfte dienstbar zu machen. Auch hier spielten seine Launen eine große Rolle. Der Anlaß zur Einnahme von Ismael im Jahre 1790 durch Suworow war die Folge – einer Wette Potemkins mit einer von ihm geliebten Dame. Diese besuchte den Fürsten in seinem Kriegslager in Jassy, und als bei der Tafel die Rede auf die damals stattgehabte Belagerung von Jsmael kam, meinte sie, es wäre unmöglich, diese Festung einzunehmen. Potemkin aber erwiderte: »Madame, ich stehe dafür, daß Ismael in zweimal vierundzwanzig Stunden in meinen Händen ist.« – »Das wird aber nur unter ungeheuren Opfern möglich sein.« – »Eine Kleinigkeit«, rief der Fürst, »Rußland hat Menschen genug«. Potemkin gewann die Wette, die dem Lande 20+000 Menschen kostete. – In Jassy war es übrigens auch, wo Potemkin große Warenmagazine angelegt hatte, damit während des Kriegszuges seine ihn begleitenden Maitressen sich genügend mit Schmuck und Modesachen versorgen konnten.

Er zauberte in öde Steppen bevölkerte Dorfschaften, um die durchreisende Zarin über den Wert seiner Eroberungen zu täuschen. Er war der findigste Kopf, der jemals in Rußland gedacht und gelogen hat.

Man hat ihn nicht mit Unrecht das Spiegelbild Rußlands genannt. Er war so übermächtig wie das Zarenreich; wie dieses waren sein Geist und sein Charakter mit fruchtbaren Gebieten neben gewaltigen Wüsten erfüllt. In ihm vereinigten sich der Asiate und Europäer, der Slave und der Tartar, die Barbarei des Mittelalters und die mattbeleckte Kultur des modernen Halbasiens.

Daß er Feinde ohne Zahl hatte, wird man begreiflich finden. Seine Gegner nannten ihn den »Fürsten der Finsternis« und bezeichneten ihn als Dämon seines Vaterlandes. Als eines Tages die Kaiserin erkrankte, gab Potemkin sofort Befehle, sein Haus mit Bollwerken und Schanzen zu umziehen, die er mit Leuten, auf die er sicher vertraute, besetzen ließ. Denn er fürchtete mit Recht im Falle des Ablebens der Kaiserin für seine Sicherheit, für sein Leben. Aber es kam anders – er starb vor Katharina.

Seltsam wie sein Leben war sein Tod.

Er hatte sich ein Jahr lang von aller Tätigkeit ferngehalten und Schwelgereien hingegeben.

Plötzlich raffte er sich auf und zog in den Krieg. Aber ehe er noch zur Armee gelangen konnte, befiel ihn bei Jassy der heftige Ausbruch einer seit lange in ihm wühlenden, durch seine Ausschweifungen erzeugten Krankheit. Statt sich zu schonen, überließ er sich argen Schwelgereien und Zechgelagen. Da verließen ihn seine Kräfte, auf offener Landstraße brach er zusammen und starb eines ruhmlosen Todes, in Gegenwart nur weniger Begleiter, die ihn wie einen Bettler auf einem Mantel in die Stadt schleppen mußten …

Potemkin hinterließ ein Vermögen, mit dem man einen Staat glücklich machen könnte. Außer den vielen Bankanweisungen auf alle Handelsplätze in Europa, die ungezählte Millionen betrugen, besaß er auch einen unermeßlichen Schatz an Brillanten, Silber, Gold und Porzellangefäßen. Dabei hatte er über drei Millionen – Schulden. Seine Erben waren fünf Nichten und drei Neffen; besonders die ersteren, mit denen allen der Oheim auch zärtlichere Verhältnisse unterhielt, wurden reich bedacht. Jede erhielt 12000 polnische Bauern. Die Neffen bekamen je 4000 Bauern und je einen dritten Teil des Mobiliarvermögens.

Als Katharina Potemkins Tod erfuhr, war sie wieder einmal verzweifelt.

Sie hatte sich daran gewöhnt, in Potemkin eine Stütze ihres Thrones zu sehen. Nun fürchtete sie sich, nun wankte und krankte sie und siechte dahin.

Bei der Nachricht von seinem Tode klagte sie: »Jetzt ist niemand da, auf den ich mich stützen kann; Potemkin ist nicht zu ersetzen, er ist nie käuflich gewesen.«

Graf Eszterházy, der damals als Emigrant am russischen Hofe lebte; schrieb an seine Frau: »Seit dem Tode Potemkins ist hier alles in Trauer versenkt. Noch keinmal ist die Kaiserin ausgegangen; es gab keine Eremitage – keinen kleinen Hofzirkel –; sogar hat sie nicht in ihren Gemächern Karten gespielt.«

In ihren Briefen an Grimm schilderte die Kaiserin ihren Schmerz über den erlittenen Verlust: »Mon élève, mon ami et presque mon idole est mort«, und sie hält ihm eine begeisterte Nachrede: »la qualité la plus rare en lui était un courage de cceur, d'esprit et d'âme, qui le distinguait parfaitement du reste des humains, et ceci faisait que nous nous entendions parfaitement bien et laissions babiller les moins entendus à leur aise. Je regarde le prince Potemkine comme un très-grand homme, qui n'a plus rempli la moitié de ce qui était à sa portèe.«

Sie hegte die tiefste Bewunderung für Potemkins Geistesgaben, sie konnte ihn nicht entbehren, sie bedurfte immerfort seines Rates. Als er jahrelang im Süden weilte, vermißte sie ihn schwer. Während des zweiten Türkenkrieges schrieb sie ihm zweimal wöchentlich. Da spielt auch die Sorge um die Gesundheit des Fürsten eine große Rolle; sie bittet ihn, ja sich zu schonen; mit allerlei Kosenamen redet sie ihn an: Täubchen, Seelchen, Mon coeur, Väterchen, Monbijou, Papa, Lieber, dankbarer Zögling, Schüler. »Sei versichert«, schrieb sie 1780, »daß meine Freundschaft zu dir, mein Herzlicher, deiner Anhänglichkeit gleichkommt.« Ein andermal: »Öde ist es ohne dich; bist du nicht bei mir, komme ich mir vor wie ohne Hände.« Sie nennt ihn un des plus grands, des plus drôles et des plus amusants originaux de ce siècle de fer. Als sie 1778 ein Service von Sèvres-Porzellan für ihn bestellt, fügt sie hinzu: das sei »pour le premier rongeur de doigts de l'univers, pour mon cher et bien-aimé prince Potemkin, et pour qu'il soit plus beau, j'ai dit qu'il est pour moi.« Sie kann nicht genug seine Schönheit schildern – auch er ist, wie Gregor Orlow, »der schönste Mannn seiner Zeit.« Seine Liebenswürdigkeit, seine Ideen sind unerschöpflich, und auch seine »gute Laune« lobt sie überschwenglich! Und endlich sagt sie: »II a plus d'esprit que moi et tout ce qu'il faisait était profondément réfléchi.«

Aber er verstand es auch, nachdem er schon lange von ihr geschieden war, ihre Freundschaft noch immer anzufachen durch solche Briefchen: »Matuschka, rodnaja Matuschka – Mütterchen, lieb Mütterchen – allergnädigste Kaiserin, lassen Sie mich nicht ohne Nachrichten. Kennen Sie denn das Maß meiner Anhänglichkeit nicht? … Die Bekümmernis durch solche Ungewißheit raubt mir alle Kraft. Ich bin schlaflos und nehme keine Speise; ich bin schlimmer als ein Kind … So nötig es ist, nach Cherson zu reisen: ich kann mich nicht entschließen, dahin aufzubrechen. Wenn mein Leben nicht ganz wertlos ist, so sagen Sie mir wenigstens das eine: daß Sie gesund sind« – –

Ja, Potemkin war der Kaiserin alles gewesen, die Stütze ihres Thrones und ihr findigster und geschicktester Kuppler, der besser als alle anderen die schönsten und kräftigsten Männer für die Zarin herbeizuschaffen wußte.

Als Potemkin seine Stelle als Liebhaber der Kaiserin niederzulegen gezwungen war, sorgte er dafür, daß wenigstens eine seiner Kreaturen diesen wichtigen Posten bekam: Peter Sawadowsky.

Peter Sawadowsky war der Sohn eines russischen Geistlichen aus der Ukraine. Durch die Sorgfalt seines Vaters erhielt er eine Erziehung, das heißt: etwas Unterricht in Lateinisch, Geschichte und Philosophie. Er kam zuerst als Schreiber nach Petersburg in das Haus des Grafen Rasumowsky und wurde von diesem an den Grafen Rumjänzow empfohlen, der ihn in seine Kanzlei nahm, aber bald der Kaiserin als Kabinettssekretär überließ.

Die Monarchin fand Gefallen an dem jungen Sekretär und zeichnete ihn von allem Anfange aus, aber mit großer Vorsicht, um nicht Potemkin, der damals noch Liebhaber war, eifersüchtig zu machen. Als Potemkin zurücktreten mußte und merkte, auf wen das Auge der Kaiserin schaute, war er selbst so klug, den Sawadowsky als seinen Liebesnachfolger vorzuschlagen, ein Vorschlag, der schon ganz unnötig war, aber des Scheines wegen dankbar angenommen wurde. Das geschah im November 1774.

Sawadowsky bezog im Palais die Zimmer, die bisher Potemkin innegehabt hatte, und bekam, obgleich er noch immer Sekretär war, den Titel eines Generalmajors. Er behielt seine Stellung nicht lange. Als er versuchte, den mächtigen Potemkin, den er im Herzen der Kaiserin besiegt hatte, auch aus ihrem Kopfe zu verdrängen, wurde er selbst abgedankt. Er blieb aber bei Hofe und bekam einflußreiche Stellen; er war nach Potemkin der einzige, der nach seiner Entlassung aus der Günstlingsstellung in der Nähe der Monarchin bleiben durfte.

Potemkin sah sich sofort nach einem Ersatz für Sawadowsky um, damit nicht die Kaiserin selbst vielleicht einen wählte, der ihm unangenehm werden konnte.

Am Hofe lebte der Serbe Soritsch, ein Schützling Potemkins. Er besaß die für Katharina nötigen Eigenschaften: Schönheit und Kraft, aber es fehlte ihm an Verstand und Charakter, was wieder Potemkin zusagte. Der letztere ernannte Soritsch zu seinem Adjutanten und stellte ihn in der kleidsamen Uniform eines Husaren-Oberstleutnants der Kaiserin vor. Sie war mit der Wahl Potemkins zufrieden, und noch am nämlichen Tage bezog Soritsch die Favoritenzimmer. Er bewohnte dieselben elf Monate lang. An Geschenken bekam er von der Kaiserin: an barem Geld über eine halbe Million, darunter 20 000 Rubel für seine erste Einrichtung, 80 000 für die Einrichtung auf seinen Gütern, 240 000 für Bezahlung seiner Schulden, und außerdem den bestimmten monatlichen Günstlingsgehalt. Außer dem baren Gelde erhielt er 1500 Bauern, einige Güter in Livland im Werte von 120 000 Rubel; da dieses Geschenk der Kaiserin aber zu gering schien, legte sie aus der Kronskasse noch die Einkünfte dieser Güter während der letztverflossenen zehn Jahre dazu. Ferner bekam Soritsch die Stellung eines Kommandeurs des Maltheserordens für Polen, was 10 000 Rubel jährlich einbrachte, und schließlich schenkte die »großmütige« Monarchin ihrem Geliebten die ansehnliche Stadt und Herrschaft Schklow in Polen, die 450 000 Rubel wert war. Den Diamantenschatz des Günstlings aufzuzählen, wäre vergebliches Bemühen: seine Achselbänder, seine Hüte, selbst seine Schuhschnallen bestanden aus Brillanten und anderen Edelsteinen.

Wer weiß, wieviel er noch dem Staat gekostet hätte, wäre er nicht, gleich Sawadowsky, so dumm gewesen, sich gegen Potemkin einmal aus einem geringfügigen Anlasse aufzulehnen. Sofort begab sich Potemkin zur Kaiserin und stellte ihr vor, daß es für sie, die aufgeklärteste Fürstin ihrer Zeit, die Freundin der liberalsten Größen der Welt, recht unangenehm und demütigend sei, einen solchen ungebildeten Menschen wie diesen Soritsch in ihrer nächsten Nähe zu haben. Katharina verstand zwar, daß Potemkin anderes meinte, als er sagte, aber da sie einer Abwechslung in ihrem Liebesleben immer geneigt war, fand sie, daß Potemkin recht hatte, und beauftragte ihn, dem Soritsch einen würdigeren Nachfolger zu geben.

Der Hof befand sich damals – im Juni 1778 – in Zarskoje Sselo. Soritsch saß heiter in seinem Zimmer und spielte mit seinen Diamantenschätzen, als der Befehl der Kaiserin kam, daß er sich sofort auf seine Güter zu begeben hätte, ohne die Monarchin noch einmal sehen zu dürfen.

Er mußte in derselben Stunde nach Schklow abreisen, wo er sich für den Verlust der Günstlingsstellung durch ein fürstliches Leben entschädigte. Er machte den größten Aufwand; sogar eine eigene Theatergesellschaft hielt er sich. Solange Katharina lebte, ging es ihm gut, er bekam immer neue Mittel; nach ihrem Tode versiegte der schmutzige Bronnen, aus dem er schöpfte, und er geriet in Verlegenheiten; seine Besitzungen mußte er verpfänden, seine Schätze verschleudern. Einmal hatte es geschienen, als ob sein Glücksstern wieder hätte aufleuchten wollen. Als ein späterer Günstling, Mamonow, 1787 Potemkin gefährlich zu werden drohte, führte der letztere geschickt eine Zusammenkunft zwischen Katharina und Soritsch herbei, in der Hoffnung, Mamonow zu stürzen und den alten Günstling Soritsch an dessen Stelle zu setzen. Soritsch war noch immer schön und kraftvoll und gefiel auch Katharina – aber nur für einen Tag. Dann wurde er mit Geschenken wieder entlassen und nach Schklow zurückexpediert, wo er noch zur Zeit Pauls lebte.

Als Ersatz für Soritsch empfahl Potemkin der Kaiserin zur Auswahl den Kürassierhauptmann Korsakow, den Livländer Bergmann und einen gewissen Bonzow, einen unehelichen Sohn des Grafen Woronzow. Katharina sprach mit allen dreien und ging endlich auf Korsakow zu, der die Wache in ihrem Vorzimmer zu halten pflegte und ihr schon früher ins Auge gefallen war, reichte ihm ein Bouquet und sagte:

»Bringen Sie das dem Fürsten Potemkin. Ich wünsche ihn zu sprechen.«

Korsakow kam zu Potemkin, dieser verstand den Wink, und um »den Überbringer eines kaiserlichen Geschenks zu belohnen«, machte er den Hauptmann zu seinem Adjutanten, worauf die Kaiserin am nächsten Tage ihn zu ihrem eigenen Flügeladjutanten ernannte und ihm zunächst die Zimmer einräumte, die zuletzt Soritsch in Zarskoje Sselo bewohnt hatte.

Korsakow hatte eigentlich nur die Zimmer gewechselt. Früher wachte er im Vorzimmer, jetzt im Schlafzimmer der Kaiserin. Aber der undankbare Mann war der Kaiserin untreu. Katharina überraschte ihn in ihrem eigenen Schlafzimmer mit der schönen Hofdame Gräfin Bruce in der denkbar zärtlichsten Lage. Im ersten Augenblick war die Zarin starr vor Staunen über diese Kühnheit, dann aber verlachte sie den Toren, der sein Glück verspielte und – nahm einen anderen. Gräfin Bruce wurde für immerdar vom Hofe verbannt; Korsakow, der früher Güter und Geschenke im Werte von über eine Million erhalten hatte und jetzt als Abschiedszahlung noch 170 000 Rubel bekam, folgte ihr, wandte sich aber bald von ihr ab und lebte mit der Gräfin Stroganow-Trubetzkoy.

Das große Glück, das die Günstlinge machten, verwirrte vielen Leuten die Köpfe. Ein Ministerialsekretär Iwan Strachow, ein häßlicher, kleiner, ungebildeter Mensch mit rohen Manieren, den die Kaiserin einmal huldvoll angeredet hatte, bildete sich seitdem fest ein, daß er Günstling werden müßte. Er drängte sich immer in die Nähe der Kaiserin und suchte ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Das gelang ihm, die Kaiserin amüsierte sich über ihn. Als sie sich einmal mit ihm allein befand und sich an seinen holprigen Versuchen, ihr zu gefallen, belustigte, sagte sie gutgelaunt:

»Iwan Strachow, bitten Sie sich eine Gnade aus.«

Entzückt sank der kleine Kerl in die Kniee und schrie aus Leibeskräften:

»Deine Liebe, Majestät!«

Das war der Kaiserin zu viel: er durfte nie mehr in ihre Nähe kommen. Aber ein Mann, der sie so liebte, sollte nicht unglücklich sein. – Katharina schenkte dem Strachow Geld, Bauern und Güter, gab ihm den hohen Wladimirorden und machte ihn zum Vicegouverneur von Kostroma. So hatte Iwan Strachow doch sein Glück gemacht wie ein Günstling, ohne daß er die Anstrengungen des Amtes durchmachen mußte. – Alexander Lanskoy war ein Edelmann aus guter Familie und diente bei der Chevaliergarde. Noch als Korsakow in Gnade stand, wurde er der Kaiserin bekannt und von ihr zu ihrem »Generaladjutanten« in spe bestimmt. Da sie sich nämlich damals in interessanten Verhältnissen befand und auch sonst kränklich war, stellte sie Lanskoy vorläufig zur Disposition und gab ihm ein Wartehonorar von 10 000 Rubel monatlich zu seinem Unterhalt. Lanskoy setzte sich mit Potemkin in Verbindung und bat um dessen Protektion. Die ward ihm zu teil; Potemkin behielt Lanskoy einige Monate bei sich und brachte ihn dann in der heiligen Woche 1780 der indessen gesundeten Kaiserin wieder in Erinnerung. Lanskoy trat nun sofort sein Amt an.

Er gewann über Katharina in kurzer Zeit große Macht, obgleich er sich bemühte, unbedeutend und einflußlos zu erscheinen, und er hätte gewiß alle übertrumpft, wenn ihn nicht ein jäher Tod 1784, als er erst 27 Jahre zählte, hingerafft hätte. Er war den großen Anforderungen seiner Stellung nicht gewachsen, und die Mittel, welche die Arzte ihm gaben, um ihn zu stärken, ruinierten ihn erst recht.

Die Zarin war – wie schon so oft, wenn ihr ein Geliebter gegen ihren Willen entrissen worden war – ganz verzweifelt, aufgelöst in Jammer und Weh, hielt sich tagelang in ihrer Kammer verschlossen, wollte keinen Menschen sehen, hören, nichts von der Regierung, nichts vom Lande wissen, klagte sich an, klagte den Himmel an, wollte die Regierung niederlegen, wollte sterben, und wie eine tiefbekümmerte Witwe trug sie Trauer.

Ihr einziger Trost war die Gesellschaft einer Schwester Lanskoys, die dem Verstorbenen sehr ähnlich war. An Grimm schrieb Katharina in diesen Tagen schwerer Leiden und Bekümmernisse: »Mein Glück ist vernichtet. Ich glaube diesen Schmerz nicht überleben zu können, ich habe gehofft, mein junger Freund wird eine Stütze meines Alters sein.« Sie schildert, wie er fähig gewesen war, wie er an Kenntnissen, an Geschmacksentwickelung weitergedieh, sie habe ihn erzogen, er sei dafür dankbar, sanft gewesen, habe an allem teilgenommen. »Meine Stube, welche mir so lieb war,« schließt sie dann, »erscheint mir wie eine leere Höhle, in welcher ich wie ein Gespenst umherwandle, ich bin so erregt, daß ich keinen Menschen sehen kann, ohne in Schluchzen auszubrechen; ich kann nicht schlafen und nicht essen; die Lektüre langweilt mich; zum Schreiben fehlt mir die Kraft; ich weiß nicht, was aus mir werden wird; aber das weiß ich, daß ich in meinem ganzen Leben nicht so unglücklich gewesen bin, als seit mein lieber Freund mich verließ.«

Nicht so wie Katharina schwärmten die anderen Leute für Lanskoy. Er befaßte sich zwar nie mit Staatsgeschäften, wurde aber doch von allen gefürchtet. Um seine Gunst bewarben sich Joseph der Zweite, Friedrich Wilhelm der Zweite und Gustav der Dritte. Er aber gab jedem einen Korb – so groß fühlte er sich. Daß er starb, war für Rußland ein Glück – er war unersättlich habgierig und hinterließ an barem Gelde allein über sieben Millionen, abgerechnet die vielen Millionen, die seine Sammlungen von Bildern und Medaillen und seine Güter wert waren. Bei diesem Reichtum war er von grenzenlosem Geiz und ließ selbst seine nächsten Verwandten in schändlichster Weise darben. Er vermachte sein Vermögen der Kaiserin, diese aber gab alles »großmütig« an seine Verwandten, nur die Sammlungen und das Silbergeschirr kaufte sie um hohes Geld zurück – um es den neuen Günstlingen zu schenken.

Lanskoy wurde im Garten zu Zarskoje-Sselo begraben, und die Kaiserin ließ über dem Grabe eine schlichte aber kostbare Marmorurne errichten. Eines Nachts wurde das Grab aufgewühlt, der Sarg erbrochen und die Leiche verstümmelt und mit schmähenden Inschriften beklebt. Darauf ließ Katharina die Überreste in ein eigenes Mausoleum bringen.

Beim Tode Lanskoys schwor Katharina: »Lanskoy war der letzte. Nie mehr soll eines Mannes Mund den meinen berühren, nie mehr eines Mannes Herz an meinem schlagen.« Und sie schwor es hoch und feierlich, weil sie zu sterben glaubte. Aber sie blieb leben, und das Leben stellte Ansprüche an sie.

Allerdings, über ein volles Jahr war seit Lanskoys Tod verstrichen; und von einigen kleinen Übertretungen abgesehen, die wir nicht genau kontrollieren können, hatte Katharina während dieses riesigen Zeitraumes allen Versuchungen tapfer widerstanden – dann aber kam die Reaktion.

Sie sah sich nach einem neuen Generaladjutanten um. Die Fürstin Daschkow schlug der Kaiserin ihren Sohn vor, einen schönen jungen Offizier. Die Kaiserin nahm ihn zur Probe und er gefiel ihr. Aber Potemkin fürchtete den Einfluß der Daschkow und setzte es durch, daß der Kandidat nach der Probe wieder heimgeschickt wurde.

Statt seiner empfahl Potemkin den 22jährigen Unteroffizier Alexander Jermolow und dies sagte der Kaiserin zu, obgleich er blond war – Katharina mochte die Blonden nicht – und eine häßliche platte Nase hatte.

Aber die lange Pause seit Lanskoy war unerträglich, und in der Eile, das Versäumte schnell und reichlich wieder gut zu machen, sah die Kaiserin jetzt nicht mal mehr, wie früher, auf schöne Gestalten – sie nahm, was sie gerade am Wege sah – und nahm den ebenso unliebenswürdigen wie unschönen Jermolow in ihr verwaistes Heim.

Jermolow war ein vorzüglicher Mensch und beliebt. Er half, wem er konnte, war rechtschaffen, so viel man es damals zu sein vermochte, und sagte die Wahrheit, wo er es für nötig fand. Diese Tugend wurde sein Unglück. Er deckte einige Unregelmäßigkeiten Potemkins auf, und als die Kaiserin dem allmächtigen Manne Vorwürfe machte, sagte der Fürst:

»Ich sehe wohl, woher diese Klagen kommen. Ihr weißer Mohr« – so nannte er Jermolow wegen seiner blonden Haare und seiner Plattnase – »Ihr weißer Mohr sagt Ihnen das alles. Sie können aber wählen zwischen ihm und mir.«

Katharina wählte und – Jermolow war entlassen.

Auf Jermolow, der verhältnismäßig wenig Geschenke erhielt – in seinen 16 Monaten etwa 500+000 Rubel – folgte Alexander Mamonow, Kapitänleutnant der Garde. Auch er wurde von Potemkin angestellt. Potemkin rühmte der Kaiserin den 24jährigen Mann und verabredete mit ihr, daß Mamonow ihr eine Zeichnung überbringen würde. Ihre Rezension über die Zeichnung soll das Urteil über den Überbringer sein. Mamonow kommt zur Kaiserin und bringt die Zeichnung. Katharina sieht sich aber nicht diese, sondern den Überbringer an und sagt:

»Sagen Sie dem Fürsten: die Zeichnung ist gut, aber das Kolorit schlecht –« das heißt: schöner Wuchs, aber häßliches Gesicht.

Trotz dieses schlechten Kolorits wurde Mamonow gewählt und erlangte ein hohes Ansehen.

Er war nächst Potemkin der begabteste unter Katharinas Günstlingen. Katharina rühmte ihn natürlich, so wie sie früher die anderen gerühmt hatte: »Er ist wie ein Engel, ein unschätzbarer Mensch, er wird von Tag zu Tage liebenswürdiger.« Er besaß musikalische Talente, künstlerische Neigungen und war vielseitig gebildet. Aber einen Fehler hatte er: die alternde Kaiserin genügte ihm nicht; er knüpfte mit einer Gräfin Skawronska, einer Nichte Potemkins, ein Verhältnis an. Diesmal wurde ihm von Katharina verziehen, und Mamonow machte seinen Fehler durch desto größeren Pflichteifer gut, er entsagte feierlich der Gräfin Skawronska, fing aber eine neue Liebschaft mit einer anderen jungen Dame, der Prinzessin Schtscherbatow, an.

Katharina erfuhr davon und war von der Eifersucht wie vernichtet. Um sich Gewißheit zu verschaffen, ließ sie Mamonow rufen und sagte ihm:

»Ich werde alt, mein Lieber, und es ist wohl nötig, daran zu denken, daß deine Zukunft sichergestellt werde. Ich will dich daher mit einer ebenso reichen als vornehmen Dame verheiraten.«

Da gestand Mamonow sein Verhältnis mit Fräulein Schtscherbatow.

»Es ist also doch wahr!« rief Katharina aus und hatte Mühe, sich aufrecht zu erhalten. Eifersucht und verletzter Stolz wühlten in ihr. Aber dennoch gewann sie es über sich, den jungen Mann straflos freizugeben. Mit einigen heftigen Äußerungen zu ihrer Umgebung war die schlimme Geschichte abgetan. »Es ist nicht zu sagen, was ich darunter leide,« erzählte sie vertrauten Personen. »Wenn er nur nicht so lange geschwiegen, mich nicht so hinters Licht geführt hätte. Aber Gott mit ihm und ihr. Mögen sie glücklich sein.« Dagegen äußerte sie sich gereizter über Mamonow in einem Schreiben an Potemkin, der ihr – Mamonows Klugheit fürchtend – schon vor Monaten geraten hatte, diesen Günstling zu entlassen. Jetzt sah sie ein, wie recht er gehabt hatte. »Ich habe,« schrieb sie, »bei dieser Gelegenheit eine bittere Lektion erhalten, aber so schnell wie möglich dieser Farce ein Ende gemacht.« Um den Schein nicht zu verletzen und der Welt nicht zu viel Grund zum Klatschen zu geben, ließ Katharina die Hochzeit Mamonows auf ihre Kosten veranstalten und machte dem jungen Paare großartige Hochzeitsgeschenke. In den Kreisen der Ausländer erzählte man, daß die Kaiserin vor Erregung in eine »gewisse Verstandesverwirrung« geraten war.

Mamonow war praktischer als sein Vorgänger Jermolow. Gleich am ersten Tage seines Amtes bekam er 60+000 Rubel, als Generaladjutant der Kaiserin bezog er 15+000 Rubel monatlich, abgesehen von den Gehältern für die übrigen zahlreichen Titel und Würden, die er besaß. An jedem seiner Geburtstage und Namenstage – er war von 1787 bis 1789 Günstling – schenkte ihm die Kaiserin 100+000 Rubel, außerdem bei verschiedenen Gelegenheiten über eine Million. Dazu rechne man seine Besitzungen, die jährlich 63+000 Rubel abwarfen, die 2700 Bauern, die er in Nischny-Nowgorod hatte, und die Edelsteinschätze.

Katharinas Liebesleben endigte – wie zeitgenössische Witzbolde sagten – mit einer platonischen Liebe – ihr letzter Liebhaber war nämlich Plato Subow.

Plato Subow war der Sohn eines reichen und hohen Staatsbeamten, aber ziemlich ungebildet. Er diente als 22jähriger Mann in der Garde zu Pferde und sprang schnell in die Bresche, die Mamonows plötzlicher Austritt geschlagen hatte. Er war der einzige Günstling nach Potemkin, der nicht von letzterem dazu erhoben wurde. Potemkin war damals von der Hauptstadt abwesend, und die Kaiserin hatte keine Lust zu warten. Subow war zwar auch nicht übermäßig schön, weder kräftig, noch geistreich, aber – die Not drängte.

Nachdem Mademoiselle Probiererin ihn erprobt und Doktor Rogerson ihn untersucht und beide den Kandidaten für gut befunden hatten, zog Katharina ihn sofort ins Palais, und da Mamonow ausnahmsweise bis zu seiner Vermählung die eigentlichen Günstlingszimmer behielt, trat die Kaiserin dem neuen Günstling einige ihrer eigenen Zimmer ab.

Die Leute staunten nicht, als am anderen Tage dieser junge unbekannte Mensch mit der alt und fett gewordenen Zarin Arm in Arm – ein zärtliches Paar – wandelte. Er ging bedeckten Hauptes, hinter ihm her aber waschelten demütig die Großen des Reiches, die Hüte in den Händen, buhlend um einen Gnadenblick aus dem Auge des Burschen, der gestern noch in ihren Vorzimmern herumgelungert hatte …

Subow begnügte sich nicht mit der Stellung eines Liebhabers, sondern suchte auch zu politischer Bedeutung zu gelangen, was ihm schnell gelang. Bald entschied seine Stimme die wichtigsten Angelegenheiten, und er hätte sicher Potemkin verdrängt, wenn dieser nicht gerade gestorben wäre. Subow häufte ebenfalls ungeheure Reichtümer auf; gleich am ersten Tage erhielt er 30+000 Rubel für seine Ausstattung. Die Einkünfte seiner Güter allein beliefen sich auf über 200+000 Rubel.

Subow blieb der letzte offizielle Günstling der Kaiserin. Nachdem Katharina mit einem gräßlichen Schrei ihr Leben geendet hatte, war Subow so weise, als einer der ersten dem neuen Monarchen zu huldigen. Und Paul sagte huldreich zu ihm: »Freund meiner Mutter, sei auch der meinige.«

Anfangs vertragen sie sich auch gut. Aber Pauls Launen wechselten schnell, und als er eines Tages die Entdeckung machte, daß aus der von Plato Subow verwalteten Artilleriekasse 18+000 Rubel fehlten, entsetzte er den ehemaligen Günstling all seiner Amter. Plato Subow ging ins Ausland, kehrte aber bald wieder und rächte sich an Paul: er war einer der Hauptverschwörer, die den Zaren 1801 ums Leben brachten.

Subow war noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt, als die sechzigjährige Katharina ihn zu ihrem Liebesgenossen erwählte. Sie behandelte ihn daher nicht bloß als Liebhaber, sondern auch als Sohn, sorgte für seine – Erziehung und gewann ihr eigenes Werk dann immer mehr lieb, so daß er zuletzt ihr Abgott und – ihr geliebtester Günstling wurde.

Sie pries ihn, wie früher die anderen, überschwenglich in einem Briefe an Grimm: »Le général Souboff est laborieux, intègre, rempli de bonne volonté et d'une excellentissime tournure d'esprit; c'est un homme dont vous entendrez parler; il ne tient qu'à moi de nouveau d'en faire un factotum.«

Nur hatte er denselben Fehler wie Lanskoy: er war für Katharina zu schwach, sie zog daher zu seiner Unterstützung seinen Bruder Valerian, der jünger und stärker als Plato war, und den schönen kraftvollen Peter Ssaltykow herbei. Mit diesen drei Personen trieb die alte, hinsiechende Katharina ein Leben, das schauderhafter und schmachvoller weder in der Geschichte der Höfe noch in der Geschichte der Sitten zu finden ist. Sie errichtete eine geheime Gesellschaft, die nur aus ihren Günstlingen und ihren allervertrautesten Höflingen und Damen bestand. Man versammelte sich zweimal in der Woche unter dem Namen der »kleinen Einsiedelei« in einem von Katharina hierzu bestimmten Hause. Alle waren maskiert, und unter dem Schutze der Maske durfte man sich die größten Freiheiten erlauben. Es wurden obszöne Tänze und Spiele aufgeführt, bis die Leute in den nötigen Dusel hineinkamen, um dann wie wilde Tiere übereinander herzufallen … Während die Kaiserin Millionen für ihre Orgien und Günstlinge verschwendete, klammerten Hungersnöte ihre dürren Arme um das darbende geknechtete russische Volk …

Zum Glücke dauerte es jetzt nicht mehr lange. Der von Ausschweifungen verzehrte Leib der Kaiserin hielt nicht mehr stand …

Im 67. Jahre ihres Lebens besaß Katharina noch Reste von Schönheit. Ihre Haare waren beständig mit einer antiken Einfachheit und einem ganz eigenen Geschmack geordnet. Sie war von mittlerer Größe, wurde aber frühzeitig sehr stark; man sagt ihr indessen nach, daß keine Frau von ähnlicher Stärke sich so geschmackvoll und anmutig hätte kleiden können. Ein Zeitgenosse beschreibt sie: Durch ihre Munterkeit und das Zutrauen, das sie in ihrem Privatumgang einflößte, schien sie Jugend und Frohsinn um sich zu verewigen. Wer den Zutritt bei ihr hatte und ihrer Toilette beiwohnte, wurde durch ihre Leutseligkeit und ihr zutrauliches Benehmen hingerissen; sobald sie aber ihre Handschuhe angezogen hatte, um ihr Zimmer zu verlassen und in den anderen Sälen öffentlich zu erscheinen, nahm sie auch sogleich einen ganz anderen Gang und ein anderes Gesicht an. Die liebenswürdige muntere Frau verwandelte sich plötzlich in die ernste majestätische Kaiserin. Wer sie alsdann zum erstenmal sah, fand sie gewiß nicht unter der Idee, die er sich von ihr gemacht hatte; er sagte gewiß: Ja, sie ist es; sie ist die nordische Semiramis! Auf sie so wenig, wie auf Friedrich den Großen, konnte man den Grundsatz anwenden: Praesentia minuit famam.

Sie ging langsam und mit kleinen Schritten; ihre Stirne war heiter, ihr Blick ruhig und oft gesenkt. Sie grüßte mit einer kleinen Verbeugung, die nicht ohne Grazie war, aber mit einem gekünstelten Lächeln, das mit der Verbeugung kam und schwand. Reichte sie einem Fremden die Hand zum Kusse, so tat sie es mit viel Höflichkeit, und gewöhnlich fragte sie ihn mit einigen Worten über seine Ankunft in Petersburg und über seine Reise. Aber kaum öffnete sie den Mund, so löste sich die künstliche Harmonie, die große Katharina veränderte sich, und man sah nur noch die alte Frau mit dem leeren Mund, mit den eingefallenen, verbuhlten Wangen, und ihre Stimme war unartikuliert und rauh, ihr Untergesicht erhielt während des Sprechens etwas Grobes, Abstoßendes, und ihre Blicke, wenn sie einen Moment aus der Rolle flogen, bekamen etwas Falsches, und eine Falte an der Nasenwurzel vollendete das Ganze. In jener Zeit wurde sie von dem Maler Lampi gemalt Sie war sehr geschmeichelt, aber die Falte an der Nasenwurzel fehlte auch nicht; als Katharina sie sah, war sie sehr zornig; Lampi mußte das Bild übermalen, und jetzt kam Katharina als blühende Frau heraus, wie sie in ihren besten Jahren gewesen war. …

In ihrer allerletzten Lebenszeit war Katharina körperlich ganz herabgekommen. Die einst so schöne Frau war infolge ihrer übermäßigen Ausschweifungen nicht nur gealtert und häßlich, sondern geradezu ein unappetitlicher Klumpen von Fleisch und Fett und Kleidern geworden. Das Treppensteigen wurde ihr zur Last, und man mußte sie stützen und beinahe tragen, jeder Schritt tat ihr so weh, daß die Gänge in ihrem Palast mit den weichsten Teppichen über und über bedeckt werden mußten. Sie war unförmlich fett, ihre Beine waren immer geschwollen und voll übelriechender Wunden; der Geruch, der von der hohen Frau ausging, soll unerträglich gewesen sein, und Katharina verbrauchte deshalb ein kleines Vermögen für Parfüms, mit denen sie sich von früh bis abends und von abends bis früh übergießen ließ. Ein ehemaliger Corsar, Lambro-Cazzioni, den der Admiral Ribas nach Petersburg gebracht hatte und der hier den Hofnarren spielte, wandte bei ihr sein Mittelchen an, um die Unannehmlichkeiten zu bannen: kaltes Seewasser, mit dem er so oft als möglich die Füße der Kaiserin wusch, eine Prozedur, die ihm natürlich gut bezahlt wurde, aber ihr trotzdem nicht half. Das Übel verschlimmerte sich und brachte Katharina immer mehr der Verfaulung bei lebendigem Leibe entgegen. Im November 1796 endlich brach sie, nachdem sie sich trotz ihres bedrohlichen Zustandes mit ihren Favoriten den ganzen Vormittag fröhlich unterhalten hatte, kraftlos zusammen und verschied in langem qualvollen Todeskampf, zur Freude ihres Sohnes Paul, den sie haßte und der auch für sie nicht gerade Liebe empfand.

Man hat verschiedenemal die Sittenlosigkeit Katharinas zu bemänteln gesucht, man hat gesagt: »eine so groß angelegte Natur mochte leicht dazu gelangen, von dem Hergebrachten auf dem Gebiete bürgerlicher Sitte abzuweichen«.

Und worin bestand denn eigentlich Katharinas himmelstürmende Größe?

Es ist nicht zu leugnen, daß Katharina die Große den Namen einigermaßen verdient, wenn man ihre politische Herrschaft damit bezeichnen will; doch man muß darauf hinweisen, daß sie in ihren kriegerischen Unternehmungen vom Glücke überaus begünstigt war. Im Innern des Landes aber herrschten Willkür und Verderben, wie in den schwersten Zeiten früherer Jahrhunderte. Jeder General, jeder Gouverneur war ein Despot, der nach seinem Willen praßte und bedrückte. Ehrenstellen, Gerechtigkeit, selbst wissenschaftliche Grade wurden öffentlich verkauft an Personen, die weder Bildung noch Charakter, weder Ehre noch Verdienste hatten. Und dann diese Günstlingswirtschaft. Es ist nicht notwendig, hier noch einmal die wüste moralische Anarchie breit auszumalen, die früher entrollten Bilder sprechen in ihrer Knappheit für sich, brauchen keine Kommentare. Man zähle nur beiläufig allein die Summen zusammen, die dem Volke abgewürgt wurden, damit gemeine Männer, deren Verdienst einzig und allein in ihren physischen Kräften bestand, Millionen in Saus und Braus – und nicht immer im eigenen Lande – verschlemmen konnten. Das Staats vermögen, das Volksvermögen sah jeder als eine herrenlose Beute an. Der Auswurf des Reiches lagerte an den Stufen des Thrones und nannte sich Minister, Feldherr, General, Graf und Fürst. Freilich, ein Volk, das sich dergleichen gefallen läßt, verdient nichts Besseres ….

Bei Hofe herrschte eine ungeheure Verschwendung. Jeder Günstling wollte den anderen übertrumpfen. Nicht bloß die Frauen gingen wie diamantengeschmückte Götzen, sondern auch die Männer. Solche Feste, wie sie hier stattfanden, konnte sich kein anderer Hof jener Zeit leisten. Nie hat man so reiches Tafelgeschirr von Gold und Silber, Porzellan, Alabaster und Porphyr gesehen, wie bei einem Feste, das der Graf Scheremetjew 1787 in Moskau gab. Unzählige Krystallvasen, mit den kostbarsten Edelsteinen eingefaßt, schmückten die Tafel. Vor dem Kuvert der der Kaiserin, der zu Ehren das Fest stattfand, stand ein Füllhorn von Gold mit dem Namenszug »Katharina die Zweite« … Bei Festen Besborodkos, der gewöhnlich in einem goldenen Wagen durch die Residenz fuhr, sah man goldene und silberne Pyramiden von mehreren Ellen Höhe und Breite … Bei einem anderen Feste wurde ein Hazardspiel gespielt, zu dem der Wirt den Gästen Haufen von Gold und Diamanten zur freien Verfügung stellte … Zu geschweigen von Potemkins bereits geschildertem Luxus! … Katharina selbst stand ihren Günstlingen und Hofleuten nicht nach. Sie baute sich feenhafte Paläste mit entzückenden Gartenanlagen und zeigte besonders auf ihren Reisen solchen wahnsinnigen Übermut, daß ihre Fahrt nach der Krim über 10 Millionen Rubel verschlang und noch ungeheure Summen als Nachtrag kamen.

Vor diesen Schatten versinkt das Licht, das Katharinas Regierung umfloß, wie ein Johanneswürmchen im Dunkel einer undurchdringlichen Nacht. Was sind ihre Institute, ihre Monumente, ihre Kriegstaten, gegen die Wunden, die sie dem Staatsleben mit ihrer Günstlingswirtschaft schlug – Wunden, aus denen das Reich noch heute blutet! Mit ihren Ausschweifungen hielt nur ihre Ruhmsucht, richtiger ihre grenzenlose Eitelkeit gleichen Schritt. Aus Eitelkeit ließ sie große Bibliotheken und Kunstsammlungen anlegen, nicht aus wahrem Eifer für Künste und Wissenschaften. Nur jene großen berühmten Männer wurden von ihr gefördert und belohnt, die ihr laut schmeichelten. Aber keine Talente oder Genies, die im Verborgenen blühten, sind von ihr entdeckt und geschützt worden. Sie war bloß eifersüchtig auf den Ruhm anderer Fürsten, und wenn sonst irgendwo Neues geschaffen wurde, das Aufsehen erregte, wollte sie es auch haben Die Sucht Katharinas, alles zu beginnen, ohne es zu Ende zu führen, gab Joseph dem Zweiten Gelegenheit zu einem vortrefflichen Witz. Unter Katharina wurden angeblich 300 Städte gegründet, in Wahrheit waren es meist Flecken, die im ersten Stadium des Baues stecken blieben. Als Kaiser Joseph der Zweite mit Katharina Taurien besuchte, forderte ihn die Kaiserin auf, den zweiten Grundstein zur Stadt Jekaterinoslaw zu legen, zu welcher sie eben den ersten gelegt hatte. Joseph erzählte dann später, er habe mit Katharina ganz allein an einem Tage eine großartige Arbeit getan. Sie hätte den ersten Stein zu einer neuen Stadt gelegt und er – den letzten!

Ihre Eitelkeit machte sie auch zur Schriftstellerin. Der Schriftstellerruhm Friedrichs des Großen ließ sie nicht ruhen. Anch' io sono pittore! Und sie sprang in die Literatur mit einem ganzen Haufen elender Theaterstücke Unter den Schauspielen, die Katharina in russischer Sprache schrieb, und bei deren Abfassung der Sekretär der Kaiserin Dershawin als – sagen wir: Mitarbeiter gilt, war das interessanteste eine »historische Vorstellung«, betitelt »Oleg«, eine Sammlung von Szenen, teils Tragödie, teils Komödie, sogar Oper und Ballett. Das Stück wurde bei Gelegenheit des Friedensschlusses mit den Türken in Petersburg aufgeführt, und das war keine Kleinigkeit, denn 700 – sage siebenhundert – Personen wurden darin beschäftigt. Der Inhalt ist aus der russischen Geschichte genommen und stellt eine ganze Epoche derselben vor. In dem ersten Akt legt Oleg den Grund zu Moskau, in dem zweiten ist er zu Kijew, wo er sein Mündel Igor verheiratet und auf den Thron setzt. Hier sind ziemlich geschickt alte Heiratszeremonien der Zaren und Nationaltänze eingefügt. Hierauf verreist Oleg, um gegen die Griechen zu Felde zu ziehen; man sieht ihn mit seiner Armee vorbeimarschieren und sich einschiffen. Im dritten Akt ist er zu Konstantinopel. Der Kaiser Leo geht mit ihm einen Waffenstillstand ein und empfängt ihn mit der größten Herzlichkeit. Während die beiden Fürsten an der Tafel sitzen, singen junge Griechen und Griechinnen Chöre zu Olegs Lob und tanzen vor ihm die alten Tänze Griechenlands. Auf einer Rennbahn werden vor Oleg die olympischen Spiele aufgeführt. Hierauf erhebt sich aus der Tiefe ein Theater, auf dem Szenen des Euripides in griechischem Kostüm dargestellt werden. Endlich nimmt Oleg Abschied vom Kaiser und hängt seinen Schild an einer Säule auf, zum Zeichen, daß er in Konstantinopel war und – zur Aufforderung an seine Nachfolger, einst auch dahin zu kommen! … Bemerkenswert ist, daß dieselbe Kaiserin, die Komödien verfaßte und nach schriftstellerischem Ruhm jagte, ihren Gesandten am Hofe zu Turin, den Fürsten Bjeloselsky, seines Amtes entsetzte, einzig und allein, weil er ein Trauerspiel geschrieben hatte und sich zuviel mit schöngeistigen Dingen abgab. Oder geschah dies aus kollegialem Neid? hinein und schrieb eine Einleitung zu dem Gesetzbuch vollständig aus – Montesquieu und Beccaria ab …

Katharina hat kein Hehl daraus gemacht, daß sie in punkto Liebe freier dachte als alle anderen Menschen. Sie sagte, nicht entschuldigend, sondern bloß philosophisch erklärend: »Ich gefiel; folglich war die eine Hälfte des Weges der Versuchung schon zurückgelegt, und in solchen Fällen liegt es im Wesen der menschlichen Natur, daß es auch an der anderen Hälfte nicht fehlt – denn versuchen und versucht werden hängen nahe zusammen, und trotz der Einprägung der schönsten moralischen Maximen in den Geist ist man, so wie die Sinnlichkeit sich hineinmischt und zum Vorschein kommt, schon unendlich weiter, als man glaubt, und ich weiß noch immer nicht, wie man die Versuchung verhindern kann. Flucht allein könnte vielleicht helfen, aber es gibt Fälle, Lagen, Umstände, wo Flucht unmöglich ist – denn wie soll man fliehen, ausweichen, den Rücken kehren inmitten eines Hofes? Schon dies würde Geschwätz hervorrufen. Wenn man also nicht flieht, so ist meiner Ansicht nach nichts schwieriger, als dem zu entgehen, was uns im Grunde gefällt. Alles, was man hiergegen sagen mag, sind Äußerungen der Prüderie, welche dem menschlichen Herzen nicht eingegraben sind, und niemand hält sein Herz in seiner Hand und kann es, indem er die Hand schließt oder öffnet, nach Belieben zusammendrücken oder fahren lassen.«

Schon zu Lebzeiten Katharinas wurden viele Satiren auf sie geschrieben, gemalt und in Kupfer gestochen. Unter den letzteren befand sich ein Stück, das besonders in Polen verbreitet war, da ja Katharina die eigentliche Zerstörerin der Freiheit dieses Königreiches ist. Es hieß: Katharinas Mahlzeit. An der Tafel sitzt Katharina. Auf der einen Seite bieten ihr einige Kosaken blutige Glieder von Schweden, Polen und der Türkei dar; auf der anderen Seite liegt eine Reihe junger nackter Männer, wie Tonnen in einem Weinkeller, und ein altes Weib – es soll die »Probierin« vorstellen – preßt aus den lebendigen Fässern den Saft, den sie der Kaisei in in einem Pokal zu trinken gibt. Darunter stehen einige gemeine Verse.

Eine andere possierliche Zeichnung ließ die große Katharina mit einem Fuße auf Warschau, mit dem anderen auf Konstantinopel stehen und mit ihrem weiten Rocke alle europäischen Regenten bedecken, die unter ihr lagen und über das sprachen, was sie sahen. Auch der Papst fehlt nicht; und er ruft aus: »Ach, welch ein Abgrund des Verderbens!« Stanislaus Poniatowski, der König von Polen aber erwidert darauf: »Auch ich habe zu seiner Vergrößerung beigetragen …«


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