Stendhal
Aphorismen aus Stendhal
Stendhal

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Moralisches, Psychologisches, Politisches.

Welche Torheit von dem zu sprechen, was man liebt! Was gewinnt man dabei? das Vergnügen, selbst einen Augenblick bewegt zu werden durch den Widerschein der Seelenbewegung in Andern. Aber ein Dummkopf, den es ärgert, daß du allein sprichst, wirft etwa ein Witzwort hin, das dir deine Erinnerungen beschmutzen wird. Daher kommt vielleicht die Keuschheit der wahren Leidenschaft, die die gemeinen Seelen nachzuahmen vergessen, wenn sie die Leidenschaft spielen wollen.

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Wird die Geduld des Lesers so weit gehen, mir einen gastronomischen Vergleich durchzulassen? Man kennt den Vers von Berchoux:

Et le turbot fut mis à la sauce piquante.

In Paris serviert man die Flunder und die pikante Sauce getrennt. Ich wünschte, daß die deutschen Geschichtsschreiber sich mit dieser schönen Sitte befreundeten und daß sie die Thatsachen, die sie entdeckt haben, und ihre philosophischen Reflexionen dem Publikum in besonderen Schüsseln auftischten. Man könnte dann aus ihrer Geschichtsschreibung Nutzen ziehen und das Lesen der Gedanken über das Absolute für gelegenere Zeit aufschieben. In dem Zustande vollständiger Mischung, worin uns diese beiden guten Sachen geboten werden, ist es schwierig, die bessere zu genießen.

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Wir hatten Burgunderweine von acht oder zehn verschiedenen Sorten. Man kann sie Blumensträußen vergleichen. Im Verein mit einer interessanten Unterhaltung – aber das ist ein sine qua non – erhöhen sie die Entrücktheit des Augenblicks. Sie machen den Menschen für einige Stunden gut und fröhlich. Und es ist eine Dummheit von uns, die wir so selten gut, so selten fröhlich sind, die Wunder der heiligen Flasche zu vernachlässigen.

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Die Männer, die ich auf den Straßen bei Dijon treffe, sind klein, mager, lebhaft, farbig; man sieht, daß der gute Wein alle diese Temperamente beherrscht. Um aber ein außergewöhnlicher Mensch zu sein, ist es mit einem logischen Kopf nicht genug, es ist auch ein gewisses feuriges Temperament nötig.

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Genf, den . . . 1837.

Ein vornehmes Haus hat mit vielen Kosten von England eine ernste Köchin kommen lassen. Glaubt aber nicht, daß es sich um eine Köchin handle, die die Kochkunst nicht leicht nimmt: was bedeuten gastronomische Genüsse einer Familie, die es unternimmt, in Europa die großen monarchischen und religiösen Interessen wiederherzustellen? Es handelt sich um eine Köchin, die niemals lacht. Wirst du, o wohlwollender Leser das glauben?

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Man versteht in dem hiesigen schönen Lande diejenigen Wahrheiten besser, die mit der Sozialökonomie zusammenhängen, als die, welche die Analyse des menschlichen Herzens und die Literatur angehen.

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Ich möchte wissen, welcher Reisende es zuerst ausgesprochen, daß in der Schweiz Freiheit sei.

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Les peuples sont inintelligibles les uns pour les autres.

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Man kann in Cosenza oder in Pizzo gut und brav sein, und doch seinen Feind ermorden lassen. Zur Zeit der Guisen dachte man in Paris ebenso. Und es ist nicht fünfzig Jahre her, da war es in Neapel, wenn man sich in gewissen Fällen nicht durch einen Mord rächte, dieselbe Schande, wie wenn man in Paris eine Ohrfeige hin nimmt, ohne dafür Genugthuung zu fordern.

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Im Mittelalter gab, wie in unsern Tagen, die Stärke allein Gesetze. Aber heutzutage sucht die Macht ihren Handlungen wenigstens einen Anschein von Gerechtigkeit zu geben. Vor tausend Jahren existierte der Begriff der Gerechtigkeit vielleicht im Kopfe eines etwaigen mächtigen Barons, der, während langer Wintertage in sein Schloß gesperrt, aufs Nachdenken verfiel. Der gemeine Haufen, auf den Tierzustand beschränkt, dachte nur daran, sich die zum Leben notwendigen Mittel herbeizuschaffen. Die Päpste, deren Macht auf der Herrschaft von Ideen beruhte, hatten darum, mitten unter entwürdigten Wilden, die allerschwerste Rolle zu spielen. Da es galt, entweder unterzugehen oder geschickt zu sein, gebar sich bei ihnen, wie überall, das Talent aus der Notwendigkeit. Und so wurden mehrere Päpste des Mittelalters außergewöhnliche Menschen.

Man wird mich richtig dahin verstehen, daß es sich hier nicht um die Religion handelt, noch weniger um die Moral. Diese Männer haben es, ohne physische Gewalt, verstanden, über wilde Tiere zu herrschen, die nichts als die Herrschaft der Gewalt kannten: daß ist ihre Größe.

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Glücklich die großen Männer, deren Gedächtnis den herrschenden Gewalten einen leidenschaftlichen Haß einflößt! Ihr Ruhm wird deshalb einige Jahrhunderte länger dauern. Seht Machiavelli: die Bösewichter, denen er die Maske abgezogen, stempeln ihn zum Ungeheuer.

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Die Nachbarschaft des Meeres läßt keine Kleinlichkeit aufkommen. Jeder Mensch, der auf der See war, ist mehr oder weniger frei davon. Nur, wenn er dumm ist, erzählt er nichts als von Stürmen, und wenn er ein gescheiter und affektierter Pariser ist, leugnet er, daß es Stürme giebt.

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Or, selon moi, les tyrans ont toujours raison. Ce sont ceux qui leur obéissent qui sont ridicules.

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Eine republikanische Regierung, wenn sie ihren Bürgern auch eine Menge Rechte läßt, ist dafür gezwungen, ihnen eine Menge Verpflichtungen aufzulegen, die mir für meinen Teil sehr unbequem wären. Es scheint wirklich, daß die bürgerlichen Rechte einer Republik nicht ohne zahlreiche Beschränkungen der individuellen Freiheit bestehen können. In den Vereinigten Staaten Amerika's ernenne ich den König, ernenne ich den Polizeikommissar, ernenne ich meinen Straßenkehrer: aber wenn ich Sonntags zu rasch gehe, komme ich in Mißkredit. Man nimmt an, daß ich gehe, um mir das Vergnügen eines Spaziergangs zu machen, und nicht um mich in die Kirche zu begeben. Mit einem Wort, ich muß mit Aengstlichkeit darauf bedacht sein, daß ich das Mißfallen keines einzigen der Handwerker errege, die in meiner Straße Läden besitzen.

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En général, l'homme bon, c'est l'homme heureux, el le bonheur n'est pas de posséder, mais de réussir.

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Nicht die Narren, die nach der Revolution schreien, sind die wahren Revolutionäre, sondern jene sind's, die die Revolutionen unvermeidlich machen.

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10. Juli 1828. – Eine englische Dame brachte aus London die Facsimile von acht oder zehn Briefen Bonaparte's mit. Sehr verschieden von der Mehrheit der Eroberer, die rohe Naturen waren, war Napoleon toll vor Liebe während seines ganzen Feldzugs von 1796. Dadurch zeichnet er sich aus, ebenso wie durch seinen Kult des wahren Ruhms und der Meinung der Nachwelt, der dem Monsieur Bourienne so albern erscheint.

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Alexander VI. (Lanzoli Borgia) einer der größten Männer seines Jahrhunderts.

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Wie Schillers Marquis Posa, wie der jüngere Brutus, so war auch Crescentius ein lebendiger Anachronismus. Er gehörte in ein andres Jahrhundert. Die französische Revolution hat dieser Art Männer, ebenso hochherzig wie unbrauchbar, einen Gattungsnamen verschafft: die Girondisten.

Um auf die Menschen zu wirken, muß man ihnen bis zu einem gewissen Grad ähnlich sein, muß man bis zu einem gewissen Grad Schurke sein.

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Die Römer, wie auch die heutigen Engländer, haben es fertig gebracht, ihren Frauen einzureden, daß sich zu langweilen die oberste Pflicht einer anständigen Dame sei. Erst gegen die Zeit Cäsars hin emanzipierten sich die reichen Frauen von diesem System: da prophezeite Cato den Untergang der Welt.

Die Tapferkeit fließt wahrscheinlich aus der Eitelkeit und aus der Freude, von sich reden zu machen; nicht umsonst sind soviele französische Marschälle aus der Gascogne hervorgegangen.

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Die Zweckmäßigkeit allein herrschte in den heroischen Zeiten, und wir kommen auf die Zweckmäßigkeit zurück. Dann kam die Ritterzeit, die die sonderbare Idee hatte, die Frauen zu Richtern über männliches Verdienst zu setzen.

Der Don Juan treibt dieses System auf den Gipfel. Er betet die Frauen an und will ihnen gefallen, indem er sie sehen läßt, bis zu welchem Grade er die Männer herausfordert. Der Gedanke über diese seltsame Folge der Ritterlichkeit, der Tochter der Religion, hat mich den ganzen Abend beschäftigt.

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Die Art von Philosophie, die da lehrt sich selbst zu töten, um sich aus der Verlegenheit zu ziehen, lähmt notwendig die Schwungfedern des Geistes. Der einfache Gedanke, sich das Leben zu nehmen, bietet sich schnell dar und ergreift den Geist durch einen Anschein von Größe. Er hindert zu denken, schwächt die Energie und erschreckt viel weniger als die Ungewißheit über die verzweifelte Lage, welche uns zu sterben veranlaßt. Auch nehmen sich jenseits des Rheines junge Verliebte alle Augenblick das Leben. Das erfordert weniger Willenskraft als seine Geliebte zu entführen, mit ihr in die Fremde zu gehen und ihr durch seine Arbeit ein angenehmes Leben zu verschaffen.


In der Kunst wie in der Gesellschaft ist nichts weniger rührend als der Selbstmord. Mit was soll man da sympathisieren? Mit denen sympathisiert, die das Unglück dahin treibt, Großes zu schaffen.

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Ich liebe die Kraft, und die Kraft, die ich meine, kann eine Ameise so gut zeigen wie ein Elefant.

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Die heutige Welt ist für die negativen Tugenden.

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Galeazzo II., ein Visconti, brachte 1362 die Universität von Pavia zur Blüte. Er ließ dort das bürgerliche und das kanonische Recht lehren, die Medizin, die Physik und jene Wissenschaft, die Napoleon solche Furcht einflößte und vor der man sich heute noch fürchtet: die Logik. Derselbe Fürst Galeazzo II. erfand eine sinnreiche Methode, einen Gefangenen einundvierzig Tage hintereinander mit gräßlichen Torturen zu quälen, ohne ihn doch ganz zu töten. Ein Chirurg pflegte den Gemarterten, auf daß man am einundvierzigsten Tag noch einen grausamen Tod über ihn verhängen konnte. Der Bruder des Galeazzo, Barnabo, trieb es in Mailand noch schlimmer. Ein junger Mailänder behauptete geträumt zu haben, daß er einen Eber getötet. Barnabo ließ ihm eine Hand abhauen und ein Auge ausreißen als eine Lehre der Verschwiegenheit.

Solche Fürsten, wenn sie nicht Vertiertheit und allgemeine Verdummung herbeiführen, erzeugen große Charaktere, wie es deren in Italien während des sechzehnten Jahrhunderts gegeben hat. In einzelnen Vorgängen des Privatlebens tauchen noch manchmal solche Charaktere auf; aber ihre Klugheit ist, sich versteckt zu halten; die Liebe ist heute fast die einzige Leidenschaft, in der sie zu Tage treten.

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Loches s. Indre. – Hier verstarb, nach zwölfjähriger Gefangenhaltung durch Ludwig XII., jener so außerordentliche Mann, Ludovico Moro, Herzog von Mailand, Freund und Schützer Leonardo da Vinci's. Er hatte das Geheimnis entdeckt, an seinem kleinen Hofe die Mehrzahl der bedeutenden Menschen seiner Zeit zu vereinigen. Und er hatte mit ihnen, was er selbst duels d'esprit nannte: man stritt frei und bis zum äußersten über alle Art Gegenstände.

Welcher Hof kann das heutzutag von sich rühmen? Ich erinnere mich noch seines liebenswürdigen Antlitzes und der Marmorstatue, die ich in der Certosa bei Pavia gesehen habe. Wahr ist es, daß er ein Schurke war. Aber das ist das Unglück ungefähr aller Fürsten seines Jahrhunderts. Er ließ seinen Neffen vergiften, um sein Nachfolger zu werden, aber er ließ nicht zweitausend seiner Unterthanen lebendig verbrennen, wie unser herrlicher Franz I., in Erwartung, sich dadurch das Bündnis mit einem andern Herrscher zu sichern.

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Ich liebe mehr die Gesellschaft von Männern, die über das vierzigste Jahr hinaus sind. Sie sind voller Vorurteile, weniger gescheit, aber viel natürlicher als alle, die seit 1796 lesen gelernt haben. Ich beobachte alle Tage, daß die jungen Leute mir gewisse Einzelheiten ihrer Sitten zu verbergen suchen; die ältern begreifen nicht, daß es da etwas zu erröten gäbe, sie sagen mir alles.

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Die Allerweltssittlichkeit nimmt immer mehr zu und so die Langeweile.

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Einen der hervorstechendsten Züge des neunzehnten Jahrhunderts wird die Nachwelt in dem völligen Mangel jener kleinen Kühnheit sehen, die nötig ist, um nicht wie alle Welt zu sein. Freilich sehen wir diese negative Tendenz in jeder Civilisation wirksam. Sie bringt alle Menschen eines Jahrhunderts ungefähr auf dasselbe Niveau und unterdrückt die außergewöhnlichen Menschen, von denen einige später den Namen von Genies erhalten. Aber im XIX. Jahrhundert geht die Wirkung jener nivellierenden Idee noch weiter; sie verbietet zu »wagen«, und jener kleinen Anzahl außergewöhnlicher Menschen, deren Geburt sie nicht hindern kann, im geringsten entgegen zu kommen.

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Merkt, daß die meisten originalen Autoren fast gänzlich aller Erziehung ermangelt haben. Man geht nur dann weit, wenn man nicht sieht, wohin man geht.

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Die tiefe Immoralität, die im Jahr 1800 im Heiligen Kollegium herrschte, ist nach und nach verschwunden, und der Geist mit ihr. In Rom wie anderswo regieren die Dummen oder machen den Regierenden bange, das ist der Geist der Restaurationen.

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Aretino war für sich ganz allein der Courrier français, der Figaro, der Intransigeant, u. s. w. mit einem Wort, die ganze Oposition des 15. Jahrhnnderts. Es ist merkwürdig, daß er nicht zwanzigmal ermordet wurde. Ein Jahrhundert später, als der Einfluß Karls V. und der deutschen Reformation alles in Italien erniedrigt hatte, hätte Aretin nicht sechs Monate gelebt.

Er starb lachend. Man gab ihm folgende Grabschrift, die ein Meisterwerk des Stils, und wo die oft so dunkle italienische Sprache einmal klar und durchsichtig ist:

Qui giace l'Aretin, poeta Tosco
Che disse mal d'ognun fuor che di Cristo,
Scusandosi col dir: non la conosco.

Die Dummköpfe verleumden ihn, das ist das Schicksal der Oposition. Er hat sehr unpassende Werke geschrieben, die aber, meiner Ansicht nach, weniger gefährlich sind als die Nouvelle Héloïse oder Petrarka's Sonnette.

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Was gehen mich die moralischen Eigenschaften eines Menschen an, der durch seine Verse, durch seine Musik, durch seine Farben oder durch seine Prosa mir Vergnügen machen will? Die Schriftsteller, über die man sich lächerlich macht, schreien immer, man griffe ihre Ehre an. Ei, ihr Herren! was scheert mich eure Ehre? Sucht mich zu unterhalten oder aufzuklären.

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Wie viel Leute es doch giebt, denen daran liegt, einem genialen Menschen, der der sozialen Autoritäten spottet, Schlechtigkeiten nachzusagen! – Man kann behaupten, daß in diesem Jahrhundert der erkauften Lobsprüche, der Cliquen und des Journalismus, der Neid das einzige sichere Zeichen großen Verdienstes ist.

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Den heutigen Fürsten, die so stolz aus ihre Tugend sind und die auf die kleinen mittelalterlichen Tyrannen so von oben herabsehen, möchte ich sagen:

Diese Tugenden, auf die ihr so stolz seid, sind nur Tugenden des Privatlebens. Als Fürsten seid ihr Nullen; die Tyrannen Italiens dagegen hatten private Laster und öffentliche Tugenden.

Ich gehe noch weiter: selbst diese ärmlichen Tugenden, von denen man uns so hochmütig spricht, ihr übt sie nur gezwungen. Die Laster eines Alexander's VI. würden euch in vierundzwanzig Stunden vom Thron stürzen.

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Für einen wohlerzognen Menschen bedeutet roh sein eine fremde Sprache sprechen, die gelernt werden muß und die man nie ordentlich beherrscht. Wieviel hochgestellte Leute sprechen diese Sprache heute mit einer seltenen Gewandtheit.

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Folgendes finde ich in meinem Tagebuch unter dem Datum Saint-Malo:

Nichts versteht man in der Provinz einfach zu machen, nicht einmal das Sterben. Acht Tage vor seinem Ende wird der Unglückliche durch die Thränen seiner Frau und Kinder, durch das ungeschickte Gerede seiner Freunde und zuletzt noch durch den fürchterlichen Anblick des Priesters über seinen gefährlichen Zustand aufgeklärt. Beim Anblick des Sakramentverwalters giebt sich der Kranke auf, alles ist für ihn vorbei. Von jetzt an beginnen die herzzerreißenden Scenen, die sich zehnmal des Tags wiederholen. Der arme Mensch stößt endlich seinen letzten Seufzer aus, in mitten des Schreiens und Schluchzens seiner Familie und seiner Dienstboten. Sein Weib wirft sich über seinen Leichnam. Man hört ihre gräßlichen Schreie auf der Straße, was für sie ehrenvoll ist, und so giebt sie den Kindern ein ewiges Andenken des Schreckens und des Elends mit: es ist ein abscheuliches Schauspiel.

Wenn in Paris ein Mann ernstlich krank wird, schließt er seine Thür zu. Eine kleine Anzahl Freunde drängen sich zu ihm. Man hütet sich sehr, trübselig über die Krankheit zu sprechen. Nach den ersten Worten über sein Ergehen erzählt man ihm, was in der Welt vorgeht. Wenn es zum Letzten kommt, bittet der Kranke seine Freunde, ihn einen Augenblick allein zu lassen; er möchte sich ausruhen. Die traurigen Dinge vollziehen sich, wie sie sich immer ohne unsre albernen Einrichtungen vollziehen würden, in der Stille und in der Sammlung.

Seht das kranke Tier an, es versteckt sich und sucht sich zum Sterben das dichteste Gestrüpp aus . . .

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Wenn der Provinzler außerordentlich schüchtern ist, so kommt das daher, weil er äußerst prätenziös ist; er meint, daß der Mensch, der zwanzig Schritte von ihm auf der Straße vorbeigeht, nur damit beschäftigt ist, ihn anzusehen. Und wenn dieser Mensch zufällig lacht, so weiht er ihm einen ewigen Haß.

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Wenn das Ministerium einem ganz bekanntermaßen unfähigen Dummkopf eine Auszeichnung giebt, lachen wir in Paris. Und es gäbe nichts zu lachen, wenn die Auszeichnung dem Verdienstvollsten gegeben würde: das Ministerium sorgt für unser Vergnügen. In der Provinz empört man sich über solch ein Schauspiel, man ist im Innersten entrüstet. Der Provinziale weiß immer noch nicht, daß auf dieser Welt alles Komödie ist.

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Ich bestieg eine landesübliche Kutsche, um die fünf Meilen von Dol nach Saint-Malo zurückzulegen. Ich hatte zu Reisegefährten reiche oder vielmehr reichgewordene Bürgersleute. Niemals habe ich mich in so schlechter Gesellschaft befunden. Meine Phantasie war glückselig, sie zerrten sie in den Kot hinab.

Die Leute sprachen unausgesetzt von sich und von dem, was ihnen angehörte: ihren Frauen, ihren Kindern, ihren Taschentüchern, die sie sich gekauft hatten und wobei sie dem Kaufmann einen Frank am Dutzend heruntergehandelt hatten. Das ist das charakteristische Zeichen des Provinzlers, daß alles, was ihm zu gehören die Ehre hat, den Charakter des Vortrefflichen annimmt: seine Frau ist besser als alle andern; das eben von ihm gekaufte Dutzend Taschentücher ist mehr wert als alle andern Dutzende. Nie sah ich die menschliche Kreatur in einem so häßlichen Lichte: diese Leute freuten sich an ihren Niedrigkeiten etwa wie ein Schwein, das sich im Kote wälzt. Und um Deputierter zu werden, muß man solchen Geschöpfen den Hof machen! Das sind die Könige der Zukunft . . .

Sie erklärten mir, wenn es auf die Wahlen geht, werden sie sicherlich keinen Hochmütigen nach Paris schicken. Ich verstand, daß sie mit diesem Titel die Abgeordneten beehren, die sich nicht ergebenst dazu verpflichten, ihre Kleider und Stiefel von ihnen und ihren Gevattern zu beziehen.

Um dazu berufen zu werden, die großen Handels- und Steuerfragen zu besprechen, die darüber entscheiden sollen, was Europa heute über hundert Jahre sein soll, muß man also damit anfangen, solchen Schweinhunden zu gefallen. Das ist niederträchtig.

Welch ein Unterschied zugunsten der Annehmlichkeit meiner Reise, wenn ich mit fünf Legitimisten zu thun gehabt hätte. Ihre Prinzipien hätten auch nicht verkehrter und dem Gemeinwohl feindseliger sein können, und weit entfernt, jeden Augenblick verletzt zu werden, hätte mein Geist alle Reize einer gebildeten Unterhaltung gekostet. Das ist also das Volk, für dessen Glück man, glaube ich, Alles thun muß.

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Le philosophe qui a le malheur de connaître les hommes méprise toujours davantage le pays où il a appris à les connaître.

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Das Unglück der Generation, die sich aus der gegenwärtig herrschenden entwickelt, ist, daß ein Mensch der am Morgen sechs Zeitungen verschlingen muß, keine Kraft mehr hat, den Rest des Tages noch etwas zu lesen. Und unglücklicherweise glaubt dieser Mensch sich noch im Stande, über Alles zu reden, wenn er die Zeitung gelesen hat . . .

Wie sind Montesquieu und Voltaire doch kalt im Vergleich zu den Tagesneuigkeiten.

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Les journaux auront créé la liberté et perdu la littérature.

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Nichts verdirbt nach meiner Ansicht so sehr das menschliche Antlitz als ausschließliche Geldliebe. Besonders ist der Mund bei diesen Menschen oft von abschreckender Häßlichkeit.

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Die Geselligkeit ist eine Blume der höchsten Kultur. Sie kann nicht eher wieder blühen, als bis das getrübte, vom Sturme der Revolutionen aufgerührte Quellwasser den Schlamm des Parteigeistes abgesetzt und seine frühere Klarheit wiedergewonnen hat.

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In den höheren Ständen, oder, um seine Stellung zu behalten, wagt man es nicht mehr, die Aufklärung zu hassen.

Man haßt aber wenigstens den Geist und man protegiert die Gelehrten.

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Nur zur Zeit großer Seelenerhebungen ist das Volk der guten Gesellschaft überlegen.

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