Stendhal
Aphorismen aus Stendhal
Stendhal

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Ueber Frauenschönheit, Liebe, Ehe.

So im Herumbummeln habe ich mir einen Begriff gebildet von der lombardischen Frauen-Schönheit, die eine der rührendsten ist und die kein großer MalerStendhal vergißt hier Luini. durch seine Gemälde unsterblich gemacht hat, wie es z. B. Correggio für die Schönheit der Romagna und Andrea del SartoWir würden heute andere nennen. für die florentinische that. Die florentinische Frauenschönheit zeigt zu viel männlichen Verstand an. Den Milaneserinnen kann man das nicht nachsagen. Sie sind ganz weiblich, obgleich sie dem Fremden, der von Berlin kommt, beim ersten Anblick sogar schrecklich erscheinen mögen und einem guten Franzosen, der aus den Pariser Salons weggelaufen ist, gewiß nicht geziert genug sind.

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Die Männerköpfe auf dem Ball heute Nacht hätten einem Bildhauer prachtvolle Modelle gegeben. Aber ein Maler wäre weniger zufrieden gewesen. Diese Augen, die so schön und untadelig gezeichnet sind, wollten mir manchmal geistlos erscheinen. Das Stolze, das Geistvolle, das Pikante findet man darin selten.

Die Frauenköpfe, im Gegenteil, zeigen oft die allerleidenschaftlichste Feinheit mit seltenster Schönheit verbunden. Die Farbe der Haare und der Augenbrauen ist von prachtvoll dunklem Kastanienbraun. Diese Frauen sehen kalt und finster aus, bis eine seelische Bewegung sie aufregt. Man darf hier nicht die rosigen Farben der englischen Mädchen und Kinder suchen.

Doch war ich diesen Abend vielleicht der einzige, der das Düstere in dieser Art Schönheit beobachtete. Aus den Antworten der Frau G., einer der geistvollsten Frauen hier, habe ich entnommen, daß das lachende und eroberungslustige Aussehen, das man in Frankreich so oft auf Bällen findet, hier für eine Grimasse gelten würde. Man lachte hier sehr über einige Kaufmannsfrauen zweiter Ordnung, die sich glänzende Augen machten, um so auszusehen, als ob sie vergnügt wären. Ich glaube aber dennoch, daß die schönen Mailänderinnen jenes Aussehen nicht verachten würden, wenn sie eben nur eine Viertelstunde auf dem Ball verweilen dürften. Der Ausdruck, den eine Frau ihrem Gesicht »giebt«, wird aber nach einigen Minuten notwendig zur Grimasse . . . Wenn ihr von keiner Leidenschaft bewegt seid, laßt eure Gesichtszüge in Ruhe, möchte ich allen Frauen zurufen. In solchen ruhigen Momenten war es, wo die schönen Züge der italienischen Frauen für mich, den Fremden, jenen düsteren und fast schrecklichen Ausdruck anzunehmen schienen. Der General Bubna, der in Frankreich war und hier für einen witzigen Kopf gilt, sagte heute Abend: Die Französinnen sehen unter sich einander an, die Italienerinnen die Männer.

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Trotz der einförmigen Traurigkeit, die der quälerische und mürrische Stolz der englischen Ehemänner nötig macht, und trotz der Strenge des schrecklichen Gesetzes, das man improper nennt, ist die Schönheit der Engländerinnen weit mehr mit einem Ball und seiner Aufgabe in Uebereinstimmung, als die Art Schönheit, die der Italienerin eigen ist. Eine Frische ohne gleichen und ein kindliches Lächeln beleben die schönen Züge der Engländerin, die nie Furcht einflößen und im Voraus zu versprechen scheinen, daß sie den Mann als unbedingten Herrn über sich anerkennen werden. Aber so viel Unterthänigkeit läßt an die Möglichkeit der Langeweile denken, wogegen das Feuer der italienischen Augen von vornherein den leisesten Gedanken an diesen Erzfeind glücklicher Liebe tötet. Mir scheint, daß man in Italien, selbst bei einem bezahlten Fräulein, keine Langeweile zu fürchten braucht.

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Draußen vor dem Thor von Livorno, wo ich viele Stunden zubringe, habe ich bei den Landfrauen sehr schöne Augen beobachtet. Aber es ist in diesen Gesichtern nichts zu finden von der süßen Sinnlichkeit und der Fähigkeit zur Leidenschaft, wodurch sich die lombardischen Frauen auszeichnen. Nie würdet ihr in Toskana eine starke Erregbarkeit finden, dagegen Geist, Stolz, Verstand und etwas fein Herausforderndes. Nichts ist reizvoller als der Blick dieser schönen Bäuerinnen. Aber diese lebhaften und durchdringenden Augen sehen aus, als ob sie euch lieber richten als lieben würden. Ich sehe darin immer nur einen hohen Grad von Verständigkeit, und niemals die Möglichkeit, aus Liebe Thorheiten zu begehen. Diese schönen Augen blitzen viel mehr vom Feuer des Widerspruchs als von dem der Leidenschaften.

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Was würde ich darum geben, um dem Leser, der die Güte gehabt hat, mir bis hieher zu folgen, deutlich zu machen, was das eigentlich ist: die Ruhe des Antlitzes einer schönen Römerin! Ich bin fest überzeugt, daß ein Mensch, der aus Frankreich nicht herausgekommen ist, sich keinen Begriff davon machen kann. In Paris verrät sich der Weltbrauch und eine gewisse Neigung, Gefallen zu erregen, durch eine unmerkliche Bewegung der Augen und der Mundwinkel, die allmählich zur Gewohnheit wird.

Eine Römerin sieht sich das Gesicht des Mannes an, der mit ihr spricht, wie man des Morgens, auf dem Lande, einen Berg ansieht. Sie würde sich für äußerst dumm halten, wenn sie Neigung zum Lächeln zeigte, ehe man etwas gesagt hat, was wert ist, daß sie lächelte. Diese völlige Unbewegtheit ihrer Züge macht das geringste Anzeichen von Teilnahme so schmeichelhaft. Ich habe auf dem Lande manchmal drei Tage hintereinander den Ausdruck der Züge einer jungen Römerin verfolgt. Sie blieben unbeweglich und nichts konnte sie aus diesem Ausdruck herausbringen. Sie deuteten keineswegs auf schlechte Laune, noch waren sie streng, noch hochmütig, noch irgend derartiges; sie waren einfach unbeweglich. Und der überlegenste Mann sagt sich: Welch ein Glück, ein solches Weib vor Liebe toll zu machen!

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Niemals, weder in Italien noch anderswo, habe ich die schönen englischen Kinder angetroffen, diese Engel mit den feinen gelockten Haaren um ihre reizenden Gesichtchen, mit den langen, seidenweichen, nach außenhin leicht gehobenen Augenwimpern, die dem Blick einen fast göttlichen Ausdruck von Sanftheit und Unschuld geben, diese Wesen mit der blendenden durchsichtigen, reinen, bei der leisesten Erregung sich färbenden Haut; diese märchenhaften Erscheinungen, denen der Ausländer auf den englischen Landsitzen begegnet und die er vergeblich über die ganze Erde hin suchen wird. Ich zögere nicht zu sagen, daß Raphael, wenn er sechsjährige Kinder und junge sechzehnjährige Mädchen des schönen England gekannt hätte, das Schönheitsideal des Nordens geschaffen hätte, das durch Unschuld und Zartheit rühren müßte, wie das des Südens durch das Feuer seiner Leidenschaften.

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Ein körperlicher Zug der Franzosen, der einen Russen sehr entsetzt hat, ist die erschreckende Magerkeit der meisten Tänzerinnen unserer Oper. Wenn ich darüber nachdenke, finde ich allerdings, daß viele unserer Modedamen außerordentlich schlank sind. Und sie haben diesen Umstand in den Begriff der Schönheit übergehen lassen. In Italien meint man dagegen mit Recht, daß die erste Bedingnis der Schönheit die Gesundheit sei, ohne welche die Wollust unmöglich ist.

Mein Moskowite findet, daß die Schönheit unter den französischen Frauen am seltensten ist. Er versichert mir, daß die schönsten Gestalten, die er in Paris gesehen habe, Engländerinnen gewesen seien.

Wenn man sich die Mühe des Zählens nimmt, im Bois de Boulogne z. B., so sind von hundert Französinnen achtzig angenehm und kaum eine wirklich schön. Unter hundert englischen Frauen sind dreißig grotesk, vierzig entschieden häßlich, zwanzig leidlich, obgleich wenig anmutig, und zehn sind Göttinnen auf Erden durch die Frische und Unschuld ihrer Schönheit. Auf hundert Italienerinnen kommen dreißig Karrikaturen mit Schminke und Puder über Gesicht und Hals; fünfzig sind schön, aber ohne einen andern als sinnlichen Reiz. Die zwanzig übrigen sind von der entzückendsten antiken Schönheit, und tragen, meiner Meinung nach, den Sieg selbst über die schönsten Engländerinnen davon. Die schönste englische Schönheit erscheint kleinbürgerlich, seelenlos, leblos, neben den göttlichen Augen, die der Himmel Italien verliehen hat.

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Die Schädelform ist häßlich in Paris; sie kommt der des Affen nahe, und das ist's, was die Frauen hindert, den ersten Angriffen des Alters Widerstand zu leisten. Die drei schönsten Frauen in Rom sind sicherlich fünfundvierzig Jahr alt. Paris liegt nördlicher, und doch ist dort nie ein solches Wunder beobachtet worden. Ich stelle meinem russischen General entgegen, daß Paris und die Champagne diejenigen Landschaften seien, wo die Kopfform allerdings die wenigst schöne ist. Die Frauen von Caux und die Arleserinnen nähern sich mehr den schönen Formen Italiens. Hier aber ist immer ein grandioser Zug vorhanden, selbst bei den entschieden häßlichen Köpfen. Man sehe sich nur die alten Frauenköpfe an, von Leonardo da Vinci, von Raphael und andern. Aber alles in allem bleibt Frankreich doch das Land, wo es die meisten »hübschen« Frauen giebt.

Sie verführen durch die zarten Genüsse, die sie jeden Augenblick verheißen, z. B. durch die Art ihre Kleider zu tragen, und diese Genüsse können von den leidenschaftslosesten Männlein genossen werden. Vor der italienischen Schönheit fürchten sich die matten Seelen.

Was die Schönheit der Männer anbetrifft, so geben wir, nach den Italienern, den jungen Engländern, wenn sie das schwerfällige Aussehen vermeiden können, den Vorzug.

Ein junger italienischer Bauer, wenn er häßlich ist, ist erschreckend abstoßend, der französische Bauer nichtssagend, der englische roh.

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Marseille. – Heute habe ich wirklich unter den Leuten aus dem Volk eine Menge Gesichter getroffen, die die Feinheit des griechischen Profils besitzen.

Es giebt ja auch in Genf außerordentlich hübsche Frauen, aber nichts ist verschiedener wie die Schönheit dieser beiden Landschaften. Die Genfer Schönheit hat schwerfällige Contouren, besonders nach dem Kinn hin, sie spricht von einer guten und einfachen Seele. Die Schönheit von Marseille zeigt eine feine und entschlossene Seele an. Auf meinem heutigen Spaziergang habe ich wohl zwanzig Köpfe gefunden, die mich an die griechischen Bas-Reliefs auf Grabsteinen erinnerten.

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Aber, wird mir irgend ein Duclos sagen, Sie sehen überall Liebe.

Ich antworte: Ich habe Europa durchreist, von Neapel bis Moskau, mit allen originalen Geschichtsschreibern bei mir im Wagen.

Sobald man sich auf dem Forum langweilt, oder, um spazieren zu gehen, nicht mehr seine Armbrust mitzunehmen braucht, ist das einzige übrigbleibende Motiv der Thätigkeit die Liebe.

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Die Nordländer haben vom Leben eine ernste, strenge, wenn man will tiefe Auffassung. In Rom, wo man vielleicht ebensoviel Geist besitzt wie in Edinburg, betrachtet man das Leben auf eine andere Art. Man macht hier lebhaftere und leidenschaftlichere Ansprüche ans Dasein, Ansprüche voll starker und vielleicht etwas unordentlicher Sensationen. Im ersten Fall ist die Ehe und sind die Familienbande durch die feierlichste Unantastbarkeit gedeckt. In Rom betrachtet der Fürst Colonna oder irgend ein andrer die Ehe als nichts weiter, denn als eine Institution, die den Zweck hat, die Stellung der Kinder und die Erbteilung zu regulieren.

Wenn ihr von einem Römer verlangt, er solle immer die nämliche Frau lieben, und wenn sie ein Engel wäre, so würde er dagegen ausrufen, daß ihr ihm drei Vierteile von dem raubtet, was das Leben lebenswert mache.

So ist also in Edinburg die Familie die Hauptsache und in Rom ist sie nur nebensächlich. Wenn das System der Nordländer manchmal die Monotonie und die Langeweile erzeugt, die wir auf ihren Gesichtern lesen, so schafft es dafür oft auch ein stilles Glück für alle Tage. Was in meinen Augen wichtiger ist: vielleicht hat das traurige System doch eine geheimnisvolle Analogie mit der Freiheit und allen Schätzen des Glücks, das sie über die Menschen ausgießt.

Das römische System erkennt nicht diese Menge kleiner Staaten an, die man Familien nennt. Dafür kann aber auch jeder das Glück suchen, wie er es versteht.

Wenn ich nicht fürchtete, in Stücke gerissen zu werden, würde ich hinzufügen, daß ich ein Land kenne, dessen Bewohner das Schlechte der beiden Systeme für ihren Gebrauch importiert haben.

Von den Klassen abgesehen, die mehr als zweihunderttausend Pfund Renten haben oder von sehr hoher Geburt sind, ist die Ehe in England fast unantastbar. In Italien dagegen kommt es bei einer Hochzeit keinem Menschen in den Sinn, an Unantastbarkeit und ewige Treue zu denken. Da der Ehemann das im Voraus weiß, da das eine bekannte und anerkannte Sache ist, so wird er sich nicht im Geringsten um das Benehmen seiner Frau kümmern, es sei denn daß er selbst in sie verliebt wäre, wodurch er eben aus der Stellung des Ehemanns in die des Geliebten einrückte.

Nun giebt es aber ein drittes Land, wo die Ehe durchaus nichts weiter ist als ein Börsengeschäft. Die Verlobten sehen sich erst, wenn die beiden Notare über den Heiratskontrakt einig geworden sind. Aber die Ehemänner dieses Landes nehmen nichtsdestoweniger die ganze unbedingte Treue in Anspruch, die sich in den englischen Ehen findet und gleichzeitig alle Vergnügungen, die die italienische Gesellschaft bietet . . .

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In Rom giebt es keinen Zwang, keine Conventionsgrimassen, deren Wissenschaft man anderwärts weltmännische Formen heißt. Gefällt man einer Frau, so wird sie das selten verbergen. Dite a . . . che mi piace, ist eine Redensart, die anzuwenden eine Römerin sich kein Gewissen macht. Wenn der Mann, der das Glück hat zu gefallen, das Gefühl teilt, das er einflößt, so sagt er: Mi volete bene? – Si. – Quando ci vedremo? Und auf solch einfache Weise knüpfen sich Neigungen an, die Jahre lang bestehen.

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Alles was in Europa mehr Eitelkeit und Geistreichigkeit als seelisches Feuer hat, nimmt die Denkungsweise der Franzosen an. Das konnten wir heute Abend wieder sehen. Die Art der schönen Römerinnen, zu lieben, ist der Mehrzahl der Fremden, unsrer Freunde, eine Sache, in der sie sich nicht auskennen. Hier in Rom giebt es keine Schönthuerei, keinen Zwang, keine von den herkömmlichen Formen, deren Kenntnis man anderwärts Weltgewandtheit oder sogar Tugend nennt.

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»Wenn eine Italienerin, sagte Frau T . . ., eine Ahnung vom Lächerlichen hätte, so würde die Liebe sie doch daran hindern, es bei dem zu sehen, den sie lieb hat.«

Glückselige Unwissenheit! Ich zweifle nicht, daß sie die Quelle des Glücks ist in diesem Lande.

Eine Frau der Gesellschaft, deren Geliebter vor sechs Wochen gestorben und die traurig ist, und also aufgelegt über das Menschenloos nachzugrübeln, sagte mir heute Abend am Schluß einer langen Unterhaltung: »Eine Italienerin vergleicht ihren Liebsten nie mit einem Ideal. Sobald sie vertraute Freunde sind, erzählt er ihr die wunderlichsten Dinge, die etwa seine Geschäfte, seine Gesundheit, seine Kleidung betreffen. Sie hütet sich, ihn sonderbar, wunderlich, lächerlich zu finden. Wie käme sie darauf? Sie behält ihn und sie hat ihn genommen, weil sie ihn liebte. Und die Idee, ihn mit einem Ideal zu vergleichen, erschiene ihr ebenso närrisch als die, zu sehen, ob der Nachbar lacht, um zu wissen, ob sie sich amüsiert. Seine Wunderlichkeiten gefallen ihr, und, wenn sie ihn ansieht, so geschieht es nur, um in seinen Augen zu lesen, wie sehr er sie in diesem Augenblick liebt.« Ich erinnere mich, sagte ich, wie eine Französin vor einem Jahre schrieb: »Ich fürchte bei meinem Geliebten nichts so sehr wie das Lächerliche.«

Acht oder zehn Jahre sind die durchschnittliche Zeitdauer der Liebe in diesem Lande. Eine Leidenschaft, die nur ein oder zwei Jahre anhält, macht die Frau als eine schwächliche Seele verächtlich, die ihres eigenen Willens nicht sicher ist. Die vollständige Gegenseitigkeit der Pflichten, die zwischen dem Liebhaber und seiner Geliebten besteht, trägt nicht wenig zur Beständigkeit bei . . .

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Seit dreißig Jahren ist in Italien kein Liebesroman erschienen. Es scheint, daß der von einer Leidenschaft vollständig eingenommene Mensch selbst für die liebenswürdigste Schilderung dieser Leidenschaft nicht empfänglich ist.

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Bei Melito. 28. Mai. – Einige Monate sind's, daß eine hiesige verheiratete Frau, ebenso bekannt wegen ihrer glühenden Frömmigkeit wie wegen ihrer seltenen Schönheit, die Schwäche beging, ihrem Geliebten in einem Bergwald, zwei Meilen vom Dorf entfernt, ein Rendez-vous zu geben. Der Liebhaber war glücklich. Aber nach diesem ersten Augenblick der Berauschtheit bedrückte die Ungeheuerlichkeit ihres Fehltritts die Seele der Schuldigen: sie blieb in finsteres Schweigen versunken. »Warum bist Du so kalt?« fragte der Liebhaber. – »Ich dachte daran, wie wir uns morgen wieder sehen könnten. Diese einsame Hütte im Wald ist der passendste Ort.« Der Liebhaber entfernt sich. Die Unselige kam nicht ins Dorf zurück, sie brachte die Nacht im Walde zu und beschäftigte sich damit, wie sie gestanden hat, zu beten und zwei Gräber zu graben. Der Tag erscheint und bald auch der Liebhaber. Aber statt der Liebe empfängt er den Tod von den Händen der geliebten Frau. Das unglückselige Opfer der Gewissensbisse begräbt ihren Liebhaber mit der größten Sorgfalt, dann kommt sie ins Dorf, beichtet dem Geistlichen und umarmt ihre Kinder. Abends kehrt sie in den Wald zurück, wo man sie bald tot findet, ausgestreckt in ihrem Grabe neben dem des Geliebten.

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Von Properz giebt es zwei Verse, die ich zu citieren vergesse habe, als ich von der italienischen Liebe sprach:

Heu! male nunc artes miseras haec secula tractant
    Jam tener assuerit munera velle puer.

Aber in welchem Lande könnte man sie nicht wiederholen! Die sinnliche Liebe führt immer zu dieser grausamen Wahrheit. Die große Liebe entfernt davon. Für italienische Damen braucht es zwei oder drei Jahre, bis sie bemerken, daß ein sehr schöner Bursch nichts als ein Esel ist; in Paris dagegen können zwei oder drei Jahre hingehen, bis ein geistreicher Mann, der sich schlecht anzieht und linkisch benimmt, nicht mehr für einen Dummkopf gilt.

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Die Liebe ist in Frankreich nicht mehr Mode, und man widmet heutzutage den Frauen kaum mehr als eine Höflichkeitsachtung. Wer sich anders als durch die Vermittlung des Notars seiner Familie verheiratet, gilt für einen Dummkopf oder wenigstens für einen Thoren, den man bedauern muß, und der dich wahrscheinlich bitten wird, ihm hundert Goldstücke zu leihen, wenn er aus seiner Verrücktheit aufwacht.

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A Paris, le véritable amour ne descend guère plus bas que le cinquième étage, d'où quelquefois il se jette par la fenêtre.

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Es hat vielleicht keine Frau Mailands die Schlagfertigkeit, die die Prinzessin Lambertini auszeichnete; aber mehrere haben ihre Geliebten glücklicher zu machen gewußt. Dieses Talent aber, mögen unsre philosophischen oder mystischen Frauen es mir verzeihen, dieses Talent ist, in den Grenzen der Tugend gehalten, der höchste Gradmesser für das weibliche Verdienst.

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Das Prinzip der französischen Liebe besteht darin, sich dem anzuschließen, was Gleichgültigkeit zeigt, dem zu folgen, was sich entfernt. Das Gegenteil beobachtet man in Italien. Ein Anschein von Kälte, die Ungewißheit über den hervorgebrachten Eindruck, macht dort jenen Wahnsinnsakt unmöglich, der der Anfang der Liebe ist, und der darin besteht, den Gegenstand seiner Liebe mit allen Vollkommenheiten zu bekleiden.

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Im Altertum hat die Liebe viele historische Thaten vollbracht, aber wenig Selbstmorde aus Melancholie. Der Mensch, der geneigt ist, seinen Feind zu töten, tötet sich nicht selbst, das hieße vor einem Andern zurückweichen.

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Ich glaube nicht, daß der eifrigste Altertumsforscher leugnen könnte, daß die Liebe, so wie wir sie heute empfinden, nicht eine rein moderne Sache sei. Sie ist eine der merkwürdigsten und unerwartetsten Früchte der Vervollkommnung der Gesellschaft.

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Die moderne Liebe, die, gleich dem Manschenillenbaum, durch die Schönheit wie durch das tötliche Gift ihrer Früchte einen so unheimlichen Reiz ausübt, gelangt zu ihrer höchsten Pracht unter den vergoldeten Fetzen der Höfe. Die äußerste Muße, das Studium des menschlichen Herzens, die grausige Einsamkeit mitten in einer Wüste von Menschen, die geschmeichelte oder aus unbemerkbaren Ursache verzweifelte Eigenliebe lassen sie hier in ihrem feinsten Zauber erscheinen. Der Grieche kannte diese Gefühle nicht. Ohne Muße keine Liebe.

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Ein Mensch, der nicht die Thorheiten der Liebe durchgemacht hat, hat so wenig eine Ahnung von den Todesängsten, die ein leidenschaftliches Herz brechen, als man eine Ahnung vom Mond hat, ohne ihn mit dem Herschel'schen Teleskop gesehen zu haben.

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Ist nicht die bequemste Zerstreuung für einen Menschen, den zärtliche Leidenschaften unglücklich gemacht haben, gerade diejenige, die ihm zufließt aus der Erinnerung eben dieser Leidenschaften?

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Die Scham, die Mutter der Liebe, ist eine Frucht des Christentums.

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Auf dem Largo di Castello habe ich ein Buch gekauft, dicht neben jenem sonderbaren, in einen Keller hineingebauten Theater, in das man durch den dritten Rang eintritt. Mein Buch trägt den Titel: Della Sugeriorità in ognicosa del sesso amabilissimo etc. 1504.

Wenn man die Geschichte der Frauen ein wenig studiert hat, so weiß man, daß Franz I. sie 1515 an den Hof berief. Vor diesem Zeitraum glich das Schloß jedes Edelmanns dem Hauptquartier eines Despoten, der gehorsame Sklaven und keine Freunde haben will. Sein Weib war nichts als eine Sklavin. Er hatte bei ihr das Recht über Leben und Tod. Wenn sie erdolcht wurde, so galt dies Ereignis als die Strafe für verratene Treue. Der Dolchstoß war vielleicht die Wirkung eines Wutanfalls bei einem auf seine moralische Ueberlegenheit eifersüchtigen Wilden. Oder der Tod der Schloßfrau war nötig, um eine andere Frau zu gewinnen die man nur haben konnte, wenn man sie heiratete.

An den galanten Höfen Franz I. und Heinrich II. waren die Frauen ihren Männern der Intrigue wegen nützlich. Ihre Stellung machte reißende Fortschritte nach der Seite der Gleichheit hin und zwar in dem Maße als sich die Furcht Gottes in den Herzen verringerte. Während des sechzehnten Jahrhunderts waren die Frauen in Frankreich nur Dienerinnen, in Italien ist gleichzeitig »die Superiorität des schwachen Geschlechts über die Männer«, eines der häufigsten behandelten Themata der Modelitteratur. Die Italiener, die der großen Liebe fähiger sind und zugleich weniger roh, weniger Anbeter der physischen Kraft, weniger kriegerisch, feudalistisch, erkannten dies Prinzip williger an.

Da die Ideen der Frauen nicht auf Bücher gegründet waren, denn glücklicherweise lasen sie wenig, sondern direkt aus der Natur der Dinge stammten, so führte diese Gleichbehandlung der Geschlechter eine erstaunliche Menge gesunden Verstand in die italienischen Köpfe ein. Mir sind hundert Regeln des Betragens bekannt, die man anderswo noch zu beweisen genötigt ist, und die in Rom wie Axiome angerufen werden.

Die Aufnahme der Frauen in die vollständige Gleichheit wäre das sicherste Zeichen der Civilisation. Sie würde die intellektuellen Fähigkeiten des menschlichen Geschlechtes und die Möglichkeiten seines Glückes verdoppeln. In den Vereinigten Staaten Amerika's sind die Frauen der Gleichberechtigung viel näher als in England. Sie besitzen in Amerika gesetzlich, was ihnen in Frankreich die Milde der Sitten und die Furcht vor dem Lächerlichen zufallen läßt. In einer kleinen Stadt Englands ist ein Kaufmann, der mit seinem Handel tausend Thaler verdient, Herr seiner Frau wie seines Pferdes. In demselben Stande in Italien stehen die Achtung, die Freiheit, das Glück einer Frau im Verhältniß zu dem Grad ihrer Schönheit.

Um die Gleichheit ganz zu erreichen, die die Quelle des Glücks beider Geschlechter wäre, müßte den Frauen das Duell gestattet werden: Die Pistole erfordert nur Geschicklichkeit. So könnte jede Frau, die sich zwei Jahre lang zur Gefangenen macht, nach dem Verfluß dieses Zeitraumes die Scheidung erlangen. Gegen das Jahr 2000 hin werden diese Ideen nicht mehr lächerlich sein!

 


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