Stendhal
Aphorismen aus Stendhal
Stendhal

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Ueber Skulptur.

Michelangelo kannte die Griechen, wie Dante den Virgil. Sie bewunderten beide, aber sie kopierten nicht. Darum spricht man von ihnen noch nach Jahrhunderten . . .

Im Charakter Michelangelo's lag zu viel Stolz, seine Verachtung für die Steinverhunzer, wie er die zeitgenössischen Architekten nannte, war zu aufrichtig, er war darum kaum danach angethan, einen nennenswerten Einfluß auf die jungen Leute auszuüben, die reichen Greisen den Hof machten und von ihnen beauftragt wurden, Kirchen zu bauen. Aber diese Künstler, heute längst vergessen, glaubten alle Michelangelo nachzuahmen. Und so pflegte er zu sagen: Mein Stil ist bestimmt, viele Dummköpfe zu machen.

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Der Mark Aurel ist die beste Reiterstatue in Bronze, die uns von den Römern geblieben ist. In Betracht des Ausdrucks, der wunderbaren Natürlichkeit und der Schönheit der Zeichnung, ist die Statue des Mark Aurel das Gegenteil von denen, die uns unsere Bildhauer in Paris herstellen. Z. B. hat der Heinrich IV. auf dem Pont-Neuf das Ansehen, als ob er nur damit beschäftigt wäre, nicht vom Pferd zu fallen. Mark Aurel ist ruhig und einfach. Er glaubt sich durchaus nicht verpflichtet, Charlatan zu sein. Er spricht zu seinen Soldaten. Man erkennt seinen Charakter und hört fast seine Worte.

Die materiellen Geister, die den ganzen Tag nur von dem Glück träumen, Geld zu erwerben oder von der Furcht, es zu verlieren, geben natürlich dem galoppierenden Ludwig XIV. auf der Place des Victoires den Vorzug. Und obwohl ich mein Leben um keinen Preis mit dieser Art Menschen verbringen möchte, gebe ich doch ohne Weiteres zu, daß sie völlig im Recht sind. Die mutige Handlung, die sie vollbringen, nämlich tapfer zu loben, was sie freut, ist die Basis des guten Geschmacks. Daher stammt auch meine Bewunderung für Herrn Simond von Genf, der über Michelangelo's jüngstes Gericht witzelte.

Die ungeheure Mehrzahl der Reisenden dachte wie Herr Simond, aber wagte nicht, es auszusprechen.

In unserer Bewunderung für Mark Aurel haben wir keinen Nebenbuhler.

Ein kunstliebender Fürst könnte versuchen, eine Copie des römischen Mark Aurel in irgend einen Winkel des Boulevard zu stellen. Diese Statue würde unseren Pariser geistreichen Leuten zuerst kalt und ohne Anmut erscheinen. Aber nach und nach, wie einmal die Zeitungen ihr Lob verkündeten, würden sie sie bewundern.

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Diese schauerlich ernsten Sätze schreibe ich in Lyon, vor einem Fenster, das die Place de Bellecour beherrscht mit der Statue Ludwigs XIV., die von einer Schildwache bewacht werden muß. Ich gestehe, Lyon hat mich trübe gestimmt.

Dies Standbild Ludwig XIV. ist, ästhetisch gesprochen, sehr flach, aber es ist großartig ähnlich. Das ist genau der Ludwig XIV. des Voltaire. Nichts könnte der ruhigen und natürlichen Majestät des Mark Aurel auf dem Kapitol unähnlicher sein. Das Rittertum hat hier seine Spuren zurückgelassen.

Uebrigens handelt es sich nicht um eine, sondern um zwei gleich schwierige Aufgaben: die des Fürsten und die des Bildhauers. Majestät darstellen, die nicht lächerlich wirkt, ist heutzutage eine böse Sache. Du machst gewisse Gesten, du hebst den Kopf hoch, um mir, mir aus der Kleinstadt, das Gefühl einzuflößen, daß du ein Fürst bist. Du würdest dir nicht die Mühe geben, diese Geste zu machen, wenn du allein wärest. Es ist natürlich, daß ich mir sage: Gelingt es diesem Komödianten? Finde ich ihn majestätisch? Diese einzige Frage zerstört allen Eindruck.

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Seit langem schon macht man keine heftigen Bewegungen mehr, und die Natürlichkeit ist aus der guten Gesellschaft verschwunden. Je wichtiger etwas ist für den, der es ausspricht, je mehr muß er davon unberührt scheinen. Was soll nun da die arme Plastik machen, die Bewegungen auszudrücken hat? Sie muß sterben. Wenn sie die Größen des Tages in der That begriffen darstellen will, ist sie meistens verdammt, eine Affektion nachzuahmen. Man sehe die Statue des Casimir Périer aus dem Père Lachaise. Er spricht mit Künstelei. Um zu seinen Kollegen von der Kammer zu reden, hat er den Mantel über seine Uniform gezogen; was den Gedanken veranlassen könnte, wenn diese Statue überhaupt einen Gedanken eingäbe, daß der Held auf der Tribüne einen Regen befürchtet.

Man sehe die Bewegung Ludwigs XIII. von Ingres, im Augenblick, wo er sein Königreich unter den Schutz der heiligen Jungfrau stellt. Der Künstler hat eine leidenschaftliche Geste ausdrücken wollen, und hat trotz seines großen Talentes nur eine Lastträgergeberde fertig gebracht. Die Madonna macht eine Schnute, um ernst und achtungsvoll auszusehen. Sie ist trotzdem nicht ernst. Sie kann gar nicht verglichen werden mit der Madonna eben jenes Raphael, den Ingres nachahmen will.

Man sehe den Heinrich IV. vom Pont-Neuf an: das ist ein Rekrut, der vom Pferde zu fallen fürchtet. Der Ludwig XIV. von der Place des Victoires zeigt mehr statuarisches Können. Das ist ein Herr Franconi, der vor einem vollen Cirkus sein Pferd Kunststücke machen läßt. Mark Aurel dagegen streckt einfach die Hand aus, um zu seinen Soldaten zu sprechen. Er denkt nicht daran, majestätisch sein zu wollen, um sich von ihnen Achtung zu erzwingen.

– Aber, sagte mir ein französischer Künstler, ganz stolz auf seine Bemerkung, die Schenkel des Mark-Aurel sind in die Seiten des Pferdes eingedrückt.

Ich antworte: »Ich habe ein Handschreiben Voltaires mit drei orthographischen Fehlern gesehen.«

Und ich hätte diesem braven Manne eine lebhafte Freude bereiten können, wenn ich ihm gesagt hätte, daß entgegen den Vorstellungen des gelehrten Quatremère, die Statue des Mark Aurel ganz aus Stücken zusammengeflickt ist. Wie hätte er voller Eitelkeit mit der Ueberlegenheit der heutigen Gießer geprahlt! . . . . Das Mechanische aller Künste vervollkommnet sich; man gießt zum Entzücken Vögel von der Natur ab; aber die Fürsten und großen Männer, die wir in die Mitte unserer öffentlichen Plätze setzen, haben das Ansehen von Komödianten, und noch dazu von schlechten.

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Von Vitellius sah ich eine wundervolle Büste. Sie ist das Ideal eines grand seigneur, der nach sinnlichen Genüssen gierig ist. Ich kenne drei oder vier Büsten, höchstens, die dieser vergleichbar sind: den Vater Trajan's im Vatikan, den alten Scipio in Bronce, in Neapel, den jungen Tiberius in Marmor. Den in Rom so bewunderten jungen Augustus finde ich diesen untergeordnet; er ist eine Arbeit aus dem Jahrhundert des Hadrian.

Eine Büste muß die Gewohnheit der Seele wiedergeben, nicht die Leidenschaft des Augenblicks. Aber darüber wäre viel zu sagen und man würde sich über die Gedanken, die mir diese herrliche Büste eingegeben, lustig machen. Wir haben in Frankreich kaum etwas anderes, als die Büste von Leuten, die fühlen, daß man sie ansieht, oder noch schlimmeres: die Büste von Fürsten, die sich in ihrer Würde aufspielen oder mit Einfachheit und Natürlichkeit schön thun.

»Freund, nimm doch deinen genialen Blick an«, sagte jene Frau zu ihrem berühmten Manne, der sich malen ließ. Und das Publikum mag sich noch so sehr über den genialen Blick lustig machen, es fällt doch darauf hinein. Desaix würde in unsern Salons für einen Dummrian gelten. Der Franzose sieht die Tapferkeit nur unter der Gestalt eines Tambour-Major's.

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Ich hatte oft die Ehre, mit Canova die Frage der Gesten zu behandeln, die so wichtig sind für die Skulptur, deren einziges Ausdrucksmittel sie bilden. Der moderne Mensch aber perhorreszirt die Geste, und vielleicht wird selbst Italien, wenn es auf dem Grad der heutigen französischen Civilisation angelangt sein wird, sich die Geste abgewöhnt haben.

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Bei Tambroni sprachen wir manchmal vor Canova von der Notwendigkeit für die Bildhauer civilisierter Nationen, die Gesten berühmter Schauspieler nachzuahmen, also eine Imitation zu imitieren. Wir hatten gut pikant sein, Canova hörte uns kaum zu. Er hielt wenig von philosophischen Diskussionen über Kunst. Er liebte es offenbar mehr, über den reizenden Bildern zu träumen, die ihm seine Phantasie vorstellte. Eines einfachen Handwerkers Sohn, hatte ihn die glückliche Unwissenheit seiner Jugend vor der Ansteckung aller Aesthetiken bewahrt, von Lessing und Winkelmann, die über den Apollo des Belvedere Phrasen machten, bis zu den Herren Schlegel, die ihn gelehrt hätten, daß die antike Tragödie nichts war als Skulptur. Wenn solche Kunsttheorien für uns andere den Zauber der Unterhaltung ausmachten, so kam das wohl daher, daß wir eben keine großen Künstler waren. Um angenehmer Bilder teilhaft zu werden, hatten wir es nötig zu sprechen.

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Eines Abends sprach Canova von den Anfängen seiner Laufbahn: »Ein venetianischer Edelmann stellte mich durch seine Freigebigkeit so, daß ich um meine Subsistenz nicht mehr zu sorgen brauchte, und so habe ich das Schöne geliebt.« Da die Damen ihn lebhaft darum baten, fuhr er fort, uns sein Leben zu erzählen, Jahr für Jahr, mit jener völligen Einfalt, die den Hauptzug dieses virgilischen Charakters ausmacht.

An weltliche Intriguen dachte Canova nur, um sich vor ihnen zu fürchten. Er war ein Arbeiter, einfältigen Geistes, der vom Himmel mit einer schönen Seele und mit Genie begabt worden. In den vornehmen Gesellschaftssälen suchte er nach Schönheiten und bewunderte sie voller Leidenschaft. Mit fünfundzwanzig Jahren war er noch so glücklich, nicht orthographisch schreiben zu können; und mit fünfzig Jahren wies er das Kreuz der Ehrenlegion zurück, weil er einen Eid hätte leisten müssen. Zur Zeit seiner zweiten Pariser Reife (1811) lehnte er eine herrschaftliche Wohnung seitens Napoleons ab. Man bot sie ihm an, wo er sie haben wollte, nahe bei Paris oder entfernt davon, z. B. in Fontainebleau, und außerdem einen Gehalt von fünfzigtausend Francs, sowie vierundzwanzig tausend Francs für jede Statue, die er für den Kaiser machen würde. Canova aber weigerte sich, diese glänzende Existenz und diese Ehrenerweisungen anzunehmen, die ihn in den Augen der ganzen Welt als den größten der lebenden Bildhauer proklamiert hätten; er kehrte nach Rom in seine bescheidene Wohnung zurück.

Er fürchtete für sein Genie, in diesem Frankreich, dem Lichte der Welt, das damals von Siegen und Ehrgeiz erfüllt war, wie heute von Industrie und politischen Diskussionen.

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Notre-Dame de Brou ist die letzte Kirche, die vom gotischen Geiste inspiriert ist. Sie wurde im Jahr 1511 begonnen. (Raphael, 1483 geboren, war damals achtundzwanzig Jahre alt. Das Licht herrschte in Italien, Gallien befand sich noch in Finsternis.)

. . . Man urteile über die Geduld der Handwerker und über den Geschmack der zahlenden Fürsten: Alles was in Metall auszuführen schwer scheinen würde, in Brou findet man es in Marmor vollbracht. Weinblätter giebt es da, die drei Daumen von dem Marmorblock abstehen, aus dem man sie gemeißelt hat. Und der ganze Chor, siebenundneunzig Fuß lang, weist diese Arbeit auf. Eine solche Geduld, ein solche mehr als mönchische Entsagung, kann sie sich mit dem geringsten Genie verbinden!

Auf einem andern Gebiet erzeugt diese erhabene Geduld das Talent jener Akademie-Litteraten, das absolute Monarchen so gern bezahlen.

Die Statuen von Brou sind übrigens ziemlich gut. Der Bildhauer verstand sein Handwerk und wußte, daß die plastische Kunst nicht anders leben kann als durch das Nackte.

Seit dreihundert Jahren waren die Nacktheiten von Brou niemandem ärgerlich gewesen. Im Jahr 1832 aber haben sich die Seminaristen darüber aufgehalten, und der Hammer hat allem abgeholfen, was ihre keuschen Blicke verletzte.

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Das Nackte besaß bei den Griechen einen Kultus, bei uns stößt es ab. In Frankreich gewährt die breite Masse den Namen des Schönen nur dem, was weiblich ist.

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Der Plastiker muß ein tiefgründiges Wissen und vor allem einen kühnen Charakter haben, um Kolossalbilder machen zu können. Sonst sehen sie aus wie Miniaturen unter einem Vergrößerungsglas.

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In der Peterskirche. – Hat man sich von der Betrachtung der Kuppel endlich losreißen können, so kommt man ins Innerste der Kirche; aber wenn man Seele hat, ist man bereits ermüdet und man bewundert nur noch aus Pflicht.

Im Innern der Tribuna bemerkt man vier riesenhafte Bronzestatuen, welche auf ihren Fingerspitzen, mit Grazie, wie Tänzer in einem Ballet von Gardel thun würden, einen ebenfalls bronzenen Sessel stützen. Er dient dem Holzstuhl als Einfassung, den St. Peter und seine Nachfolger lange Zeit für ihre geistlichen Amtshandlungen in Gebrauch hatten. An dem geringen Eindruck, den diese vier Kolossalstatuen machen, erkennt man den Geist des Bernini. Was hätte nicht Michelangelo mit dieser Bronzemasse für eine Wirkung hervorgebracht, an einem Ort, wo der Beschauer durch die Kolonnaden, durch den Anblick der Kirche und der Kuppel so glücklich vorbereitet war! Aber Michelangelo fehlte es an Talent zur Intrigue, um sich in Arbeit setzen zu lassen.

Es ist selbstverständlich, daß die gelbfarbigen Glasfenster Bernini's Erfindung sind. Die Totalwirkung scheint mir »hübsch«, und darum dieses Tempels, der »schön« ist, gänzlich unwürdig. Aber diese zwei Worte sind in vielen nordischen Köpfen auch nicht deutlich getrennt.

Ein geistreicher Papst könnte irgend einer Kirche in Amerika mit Bernini's vier Statuen ein Geschenk machen. Sie sind für Philister bewundernswert, aber durch ihre komische Uebertreibung der Stelle ganz unwürdig, die sie in St. Peter einnehmen.

Das Rokoko, das Bernini in Mode gebracht hat, ist im Kolossalstil besonders abscheulich.

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Wir sind dann zu einem gräßlichen Grabmal gekommen. Ein riesiges Skelett aus vergoldetem Kupfer hebt eine Draperie von gelbem Marmor auf: das ist die letzte Arbeit Bernini's. Ich leugne nicht, daß hier ein gewisses Feuer der Ausführung vorhanden ist, das die Blicke des Volkes anzieht. Oft genug sah ich vor diesem Werk die Sabinischen Bauern mit offenem Maule stehen. Aber was gemacht ist, den gemeinen Menschen zu rühren, empört meine Freunde. Das ist das große Dilemma der Künste und der Litteratur im neunzehnten Jahrhundert.

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Zuletzt sind wir bei der berühmten Gruppe des Bernini angelangt, bei der Kapelle, die von einem Großonkel unseres Freundes, des liebenswürdigen Grafen Corner gebaut worden ist.

Die heilige Theresia ist hier in der Extase der himmlischen Liebe dargestellt, sie ist von lebendigstem und natürlichstem Ausdruck. Ein Engel, mit einem Pfeil in der Hand, scheint ihre Brust zu entblößen, um ihr den Pfeil ins Herz zu stoßen. Er blickt sie ruhig und lächelnd an. Welch göttliche Kunst, welche Sinnlichkeit! Unser guter Mönch, in der Meinung, daß wir sie nicht verständen, erklärte uns diese Gruppe. »E un gran peccato«, schloß er, daß diese Statue leicht die Idee einer profanen Liebe wecken könne.

Wir haben dem Ritter Bernini alles Unrecht verziehen, das er der Kunst zugefügt hat. Hat der griechische Meißel jemals etwas diesem Kopfe der heiligen Theresia ähnliches hervorgebracht? Bernini hat in dieser Statue die leidenschaftlichsten Briefe der jungen Spanierin zu übersetzen gewußt. Die griechischen Bildner des Illissus und des Apollo haben, wenn man will, Besseres geleistet; sie haben uns den majestätischen Ausdruck der Kraft und der Gerechtigkeit gegeben. Aber wie weit es ist von da zur heiligen Theresia!

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