Stendhal
Aphorismen aus Stendhal
Stendhal

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Ueber Kunst im Allgemeinen.

Es ist das ein Verhängnis: der Mangel an Physiognomie scheint an allem zu kleben was modern ist. Alles hetzt uns, wie auf Verabredung, ins Langweilige.

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Eine traurige Betrachtung beherrscht alle andern. Das System der zwei Kammern wird die Welt durcheilen und den schönen Künsten den Todesstoß geben. Anstatt schöne Kirchen zu bauen, werden die Herrscher daran denken, ihr Geld auf der Bank von England sicher zu legen, um im Fall ihres Sturzes reiche Privatleute zu sein.

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Nur in kranken Muscheln findet man Perlen. Ich verzweifle an der Kunst, seit wir einer Regierung der öffentlichen Meinung entgegengehen. Unter ihr wird es immer als Absurdität erscheinen, eine Peterskirche zu bauen. Giebt es nicht tausend nützlichere Arten, fünfhundert Millionen auszugeben? Giebt es nicht zweihunderttausend Arme zu unterstützen, die Hälfte der römischen Campagna fruchtbar zu machen, acht oder zehn großen römischen Familien die Majorate abzukaufen und an zweihunderttausend Bauern aufzuteilen, die nichts als einen Acker verlangen, um keine Räuber sein zu müssen?

Um 1730 hatte die päpstliche Regierung, ich weiß nicht durch welchen Zufall, eine Million auszugeben. War es besser, die Fassade von San Giovanni im Lateran zu bauen, oder einen Quai, der den Tiber entlang von der Porta del Popolo bis zur Engelsbrücke führte!

Die Fassade ist häßlich; aber darauf kommt es nicht an. Der Papst entschied sich für die Fassade, und Rom wartet heute noch auf einen Quai, der vielleicht das Fieber vermindern würde.

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Jedes Jahrhundert hat seine Aufgabe. Darauf muß es seine ganze Kraft wenden. Unsere Aufgabe (des revolutionären Frankreichs) besteht darin, politische Konvertiten zu machen. In dieser Absicht reden wir, betrogene Betrüger, ewig von Güte, Gerechtigkeit, Nützlichkeit. Alle Mühen und Diskussionen, die wir aufwenden, um der Welt die Güte, die Gerechtigkeit u. s. w. einzureden: zu einer Zeit, als Hannibal Caracci sich um die Aufmerksamkeit der Welt bemühte, standen alle diese Kräfte im Dienst der schönen Künste.

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Die Bedingungen, die für das Gedeihen der Künste nötig sind, sind oft denen geradezu entgegengesetzt, unter denen allein die Völker glücklich werden. Außerdem können jene Bedingungen nicht dauern. Es ist dazu vor allem viel Muße nötig und starke Leidenschaften. Aber die Muße erzeugt den äußeren Schliff, und die Abgeschliffenheit und Höflichkeit tötet die Leidenschaften. Darum ist es unmöglich, ein Volk für die Künste zu erziehen. Alle edlen Seelen wünschen eine Wiedererweckung Griechenlands. Aber man würde eher etwas den Vereinigten Staaten ähnliches züchten können, als ein Zeitalter des Perikles. Wir nähern uns der Herrschaft der öffentlichen Meinung, und die öffentliche Meinung wird nie Zeit haben, sich für die Kunst zu begeistern. Was thut's? Die Freiheit ist das Notwendige, und die Kunst etwas Ueberflüssiges, das man sehr wohl entbehren kann.

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Das Jahrhundert der Budgets und der Freiheit kann nicht zugleich das der schönen Künste sein. Die Eisenbahnen, die Armenpflege sind hundertmal mehr wert als die Peterskirche. Aber diese so nützlichen Dinge haben nichts mit der Schönheit zu thun. Daraus schließe ich, daß die politische Freiheit die Feindin der Kunst ist. Der Bürger New-Yorks hat keine Zeit, das Schöne zu empfinden. Dennoch hat er oft diese Prätension. Aber ist nicht jede Prätension eine Quelle der Verstimmung und des Unglücks? Es tritt also ein durchaus peinliches Gefühl an die Stelle des wirklichen künstlerischen Genusses. Dennoch ist die politische Freiheit höher zu schätzen als alle Basiliken der Welt. Ich möchte übrigens nach keiner Seite hin schmeicheln.

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Wenn das aktive Leben zu stark ist, erdrückt und erstickt es die schönen Künste . . . Wo es dagegen gar kein aktives Leben giebt, versinken die Künste ins Leere und Nichtige, wie in Rom. Was die moralische Lotterigkeit in Italien wertvoll macht, ist die Natur dieses Volkes, das selbst bei den Redeschlachten des zwei Kammersystems sein Glück immer in die schönen Künste setzen wird. Das Theater San Carlo hat die Neapolitaner ihrem Könige anhänglicher gemacht als die beste Konstitution es gethan hätte.

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Wendet der Naivste unter uns nicht einen großen Teil seiner Zeit daran, nur um darüber nachzudenken, welche Wirkung er auf Andere hervorbringt? Der aber, der dem Publikum zu trotzen scheint, beschäftigt sich vielleicht am meisten mit ihm. All diese Zeit über denkt der wirklich Unbefangene an seine Leidenschaft oder an seine Kunst. Kann man sich da wundern über die Ueberlegenheit der naiven und ehrlichen Künstler? Aber sie werden auch weder Zeitungsartikel in den freien Ländern, noch Ehrenkreuze unter monarchischen Regierungen erhalten.

Um also in Zukunft hervorzuragen, wird man sehr reich oder hochadelig sein müssen. Dann wird man sich über alle kleinen Versuchungen erhaben finden. Glaubt ihr, daß Jemand ohne wahrhaftige Seelengröße in der Kunst des neunzehnten Jahrhunderts etwas Hervorragendes wird leisten können! Man kann viel Talent mit einer schwächlichen Seele verbinden. Seht Racine an, der ein Höfling sein möchte und vor Kummer stirbt, weil er Scarron erwähnt hat in Gegenwart seines Nachfolgers (Ludwigs XIV).

Man darf den Menschen nicht für besser halten als er ist. Ich bin überzeugt, daß mehr als ein rechtschaffener Künstler durch die Erfolge der Intriganten beunruhigt und entmutigt wird. Um also in Zukunft hervorzuragen, muß man reich oder adlig geboren sein. Das werden die Künste und Wissenschaften durch die Protektion der Regierenden gewonnen haben. In gewissen Ländern ist ein Schuster glücklicher daran, als ein Maler. Von der Gewöhnlichkeit seines Berufes geschützt, wird der Schuster, der Tüchtiges leistet, sicher sein Glück machen. Ein schlechter Schuhmacher aber, der zufällig für den Minister arbeitet, wird deswegen nicht von dem ganzen Troß der bezahlten Charlatans dem öffentlichen Neide ausgesetzt . . .

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Wenn man aber reich und adelig geboren ist, wie soll man der Eleganz, der Ueberverfeinerung entgehen und sich jene Urfülle an Kraft erhalten, die den Künstler macht und von der Welt so lächerlich gefunden wird?

Ich wünschte von ganzem Herzen, mich hierin zu täuschen.

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Alfieri fehlte es an einem Publikum. Der gemeine Haufen ist den großen Männern notwendig, wie dem General die Soldaten.

In der Civilisation wachsen die Menschen wie die Pflanzen im Keller. Wenn man von Rom nach Paris zurückkehrt, erstaunt man über die außerordentliche Poliertheit und die erloschenen Augen aller Leute, mit denen man zu thun bekommt.

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Die Künste wurden in Italien gegen 1400 geboren. Sie erbten das Feuer, das die Republiken des Mittelalters in den Herzen hinterlassen hatten. Dies geheiligte Feuer, diese leidenschaftliche Hochherzigkeit atmet in Dante's Dichtung, die Herz und Geist Michelangelo's bildete.

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Die edlen Römer, die die Raphael u. s. w. arbeiten ließen, vermochten es, die Talente zu werten. Sie waren nicht von der Art der modernen Fürsten, die im Schoße ihrer Paläste ihr Leben in Unfähigkeit hinbringen und jeden höhern Ehrgeiz verlernt haben. Es waren Männer, die nur eben erst ihre Macht verloren, aber allen Stolz und alle Ansprüche darauf bewahrt hatten, und die, im heimlichen Bestreben diese Macht zurückzuerobern, die schwierigen Leistungen zu schätzen und alles Große zu würdigen verstanden. Im Allgemeinen bot das sechzehnte Jahrhundert nirgends jene dumpfe Ruhe unsrer alten Monarchien, wo alles unterworfen zu sein schien, wo aber in Wirklichkeit nichts zu unterwerfen war.

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In Italien begünstigten die allgemeinen Umstände noch ferner die Kunst; denn der Krieg ist ihr durchaus nicht entgegen, so wenig wie allem, was es im Menschenherzen Großes giebt. Man vergnügte sich; und während düstre Religionsstreitigkeiten und puritanischer Pedantismus die kalten Bewohner des Nordens noch trübseliger machten, baute man hier die Mehrzahl der Kirchen und Paläste, die Mailand, Venedig, Mantua, Rimini, Pesaro, Ferrara, Florenz, Rom und alle Winkel Italiens verschönern.

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Zur Zeit Raphaels und Michelangelo's war das gemeine Volk, wie immer, um ein Jahrhundert zurück; aber die höchsten Kreise schwärmten für die Schriften Aretino's und Machiavelli's. Ariost gab Raphael für seinen Parnassus im Vatikan Ratschläge, und die Scherze, die er in seiner göttlichen Dichtung verstreute, fanden in den Palästen der Edlen lauten Widerhall. Die Religion brachte auf die höheren Klassen kaum eine andre Wirkung hervor als die, den Greisen eine Leidenschaft zu geben: sie heilte sie von der Langeweile und vom Ekel aller Dinge durch die Furcht vor der Hölle.

Diese ungeheuerliche Furcht, vereinigt mit der Erinnerung an die Liebe, die Leidenschaft der Jugend, sie hat die Meisterwerke der Kunst geschaffen, die wir in den Kirchen bewundern. Von 1450 bis 1530 entstanden die schönsten Sachen. Sechzig Jahre später erzeugte die Ruhmbegierde eine neue Schule zu Bologna. Sie ahmte alle anderen nach, aber sie hatte auf weniger jungfräuliche Leidenschaften zu wirken. Naivetät schadet vielleicht dem Verstande, aber ich halte sie unerläßlich für jeden, der in der Kunst etwas erreichen will.

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Im fünfzehnten Jahrhundert war man feinfühliger. Die Konvenienzen erdrückten das Leben nicht. Man hatte noch keine großen Meister nachzuahmen. In der Litteratur hatte die Dummheit noch kaum ein anderes Mittel, sich zu verhüllen, als sich hinter Petrarka zu verstecken. Uebergroße Höflichkeit hatte noch nicht die Leidenschaften ausgelöscht. In allem war weniger Routine und mehr Natürlichkeit. Die großen Männer machten ihre Leidenschaft ihrem Talente dienstbar.

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Die Loggien, unsterblich durch ihre herrliche Decke, sind mit entzückenden Arabesken geschmückt, die auf Schritt und Tritt die Phantasie in Ueberraschung versetzen. Das ganze liebenswürdige Zeitalter Leo's X. ist darin enthalten. Damals hatte der Genfer oder Amerikanische Puritanismus die Welt noch nicht verdüstert. Die Puritaner thun mir leid, sie sind durch ihre Langweiligkeit selber am meisten gestraft. Den tristen Menschen kann ich nur raten, diese Arabesken nicht anzusehen. Ihre Seele würde doch nicht fähig sein, deren erhabene Grazie zu fühlen.

Der Regen von drei Jahrhunderten ist nicht imstande gewesen, diese Liebesmärchen von der Leda zu verwischen. Eine konsequente Moral müßte sie mit dem Maurerhammer herunterschlagen lassen. So war der Papst Leo X. Die Liebestollheiten einer Leda setzte er hart neben die berühmtesten Scenen der heiligen Geschichte. Es ist weit von Leo X. zu Leo XIII. (Leo XII.)

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Leo X. hatte für die Wunder der Kunst die lebhafte Empfänglichkeit eines Künstlers. Dieser Fürst bildet darum eine Ausnahme unter den großen Männern, die der Zufall auf Throne gesetzt hat. Er ist auch allen traurigen Dummköpfen ein Aergernis.

Dieser Papst liebte die Jagd. Seine Mahlzeiten wurden durch Spaßmacher erheitert, die damals noch nicht von den Höfen verbannt waren. Er verschmähte es, eine langweilige Würde zur Schau zu tragen. Ueber die Eitelkeit der Dummen an seinem Hofe machte er sich in jeder Weise lustig. Er fand es seiner nicht unwürdig, diesen Eseln jeden Schabernack zu spielen. Die ernsten Geschichtsschreiber möchten darüber aus der Haut fahren. Leo ließ sich manchmal hinreißen, den Zudringlichen Würden zu verleihen, die gar nicht existierten, und die also Gefoppten zum Gespötte des Hofes zu machen. Rom war entzückt von dieser Art Geist seines Herrschers. Das war Geist von seinem Geist.

Die Sitten des Papstes waren nicht reiner und nicht skandalöser als die aller großen Herren jener Zeit. Man muß immer im Auge behalten, daß erst seit Luther die Konvenienzen so ungeheure Fortschritte gemacht haben. Ganz Rom war damals heiter und guter Laune. Leo X. besonders liebte es, lachende Gesichter um sich zu sehen. War eine Jagd gut gelungen, so überhäufte er mit Wohlthaten die Veranstalter und alles was sich um ihn befand. Man vergegenwärtige sich deutlich den ursprünglichen Geist und die Talente der Italiener zur Zeit der Renaissance, man vergesse besonders nicht, daß damals noch keine militärische Steifheit die höfische Grazie verdarb, und man wird zugeben, daß in der ganzen Weltgeschichte nichts liebenswürdigeres aufzufinden ist, als der Hof Leo's X.

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Eines der unglücklichsten Ereignisse für Italien und vielleicht für die Welt war der frühe Tod Lorenzo's des Prächtigen.

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In Nantes hat mich nichts auf so lange Zeit hinaus interessiert, als wie das Grabmal des letzten Herzogs der Bretagne, Franz II., und seiner Gemahlin Marguerite von Foix. Man sieht es im südlichen Kreuzarm der Kathedrale. Dieses Werk wurde 1507 von Michael Colomb ausgeführt und ist eines der schönsten Denkmäler der Renaissance. Oder ist es vielleicht nicht erhaben genug? Man kennt nur dieses eine Werk von dem großen Bildhauer, geboren in Saint-Pol-de-Léon. Eine naive Grazie, eine rührende Einfachheit charakterisieren diese reizenden Statuen. Vor allem sind sie keine Kopien eines immer sich gleichbleibenden, immer kalten Idealmodells. Das ist z. B. der große Fehler der Köpfe Canova's. Guido Reni war der erste, dem es einfiel, um 1570, die Köpfe der Niobe und ihrer Töchter abzuschreiben. Die Schönheit that ihre Wirkung und entzückte alle Herzen. Man sah darin die Verheißung der Seelenstimmungen, die man den Griechen zuschrieb. Im ersten Augenblick der Begeisterung bemerkte man nicht, daß alle Köpfe des Guido sich ähnlich sahen, und daß sie nichts weniger als die Verfassung der Seelen um 1570 darstellten. Seit jenem liebenswürdigen Maler haben wir nun nichts als die Kopien von Kopien, und nichts ist erkältender und langweiliger als diese großen sich griechisch nennenden Köpfe, die die Skulptur überschwemmt haben.

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Wie verschieden würden die Genüsse sein, die wir der Litteratur und den Künsten verdanken, wenn man den Apollo, den Laokoon und die Manuskripte des Virgil und des Cicero erst im neunzehnten Jahrhundert entdeckt hätte, als das ursprüngliche Feuer, das der Civilisation durch die Völkerwanderung gegeben wurde, bereits zu fehlen begann . . .

Die vier Figuren von Michel Colomb sind schön, und dennoch besitzen sie, wie die Madonnen von Raphael, eine auffallende Individualität.

Einer meiner gestrigen Freunde, der die Güte hatte, mir als Führer zu dienen, giebt mir mit dem ganzen Feuer eines ächten Bretonen sein Ehrenwort, daß die Gestalt der Justitia die Züge der in der Bretagne vergötterten Königin Anna zeige. Die anderen Statuen seien gleicherweise Porträts, und ich finde nichts glaubwürdiger.

Der Ausdruck dieser Köpfe hat den Anflug einer gar reizvollen und insbesondere ganz französischen Neigung zu geistreich feinem Spott. Das Mittel, wodurch Michel Colomb diese Wirkung erreicht hat, ist einfach: Die Augen sind am äußeren Winkel etwas hinaufgezogen, und das Unterlid ist leicht konvex, wie bei den Chinesen.

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So oft ich mich in Nantes aufhalte und meine Geschäfte es mir irgend erlauben, verweile ich alle Abend eine halbe Stunde vor diesem wunderschönen Denkmal. Von seiner besondern Schönheit ganz abgesehen, bin ich überzeugt, daß dieses Werk für die Skulptur ungefähr das bedeutet, was Clément Marot und Montaigne für den geschriebenen Gedanken sind. Ich muß hier gleich einem Einwand der Kritik vorbeugen. Sie würde nicht verfehlen, geltend zu machen, daß Montaigne immerfort die alten Autoren zitiere. Ich rede aber von dem, was in Montaigne's Stil wirklich französisch und individuell ist.

Als ich gestern Abend vor den Statuen des Michel Colomb träumte, vergnügte ich mich damit, mir vorzustellen, was wir geworden wären, wenn wir niemals Maler wie Charles Lebrun und litterarische Führer wie Laharpe gehabt hätten.

All diese Mittelmäßigkeiten, die die Götzen des großen Haufens sind, fehlten uns, wenn Virgil, Tacitus, Cicero und der Apollo von Belvedere erst im Jahr 1700 bekannt worden wären. Wir hätten dann keinen nackten, mit seiner Perrücke geschmückten und die Keule des Herkules schwingenden Ludwig XIV. auf der Porte St. Martin; wir hätten nicht einmal den Ludwig XIV. von der Place des Victoires, der mit nackten Beinen und in der Perrücke aufs Pferd steigt. Wir wären auch verschont geblieben von all den zugespitzten Tragödien des Voltaire und seiner Nachahmer, die, was fast unglaublich scheint, Nachahmungen sein sollen des aus lauter Einfachheit oft ein wenig trocknen griechischen Theaters. Unser Theater würde dann dem Lope de Vega's und Alarcon's ähneln, die die Kühnheit hatten, spanisches Empfinden darzustellen. Man nennt ihre Stücke, gute oder schlechte, romantisch, weil sie geradezu ihren Zeitgenossen zu gefallen suchten, ohne im Geringsten daran zu denken, etwas nachzuahmen, was früherhin von einem Volke für gut gefunden wurde, das von dem sie umgebenden so verschieden war als nur möglich.

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Die Züge der Venus von Milo drücken ein gewisses edles und ernstes Vertrauen aus, das eine erhabene Seele kündet, aber sich auch recht wohl mit dem Mangel an Freiheit des Geistes verbinden kann. Das war bei meiner Reisegefährtin nicht der Fall: man sah, daß dieses Wesen der Ironie fähig war, und das ist's, glaube ich, was mich an eine der Statuen des Michel Colomb erinnerte. Diese Fähigkeit, das Lächerliche zu sehen, die allen Romanheldinnen abgeht, war sie es nicht, die dem Ausdruck einer großen Seele, so wie gewöhnliche Unterhaltung sie spiegeln kann, einen unendlichen Wert zufügte? Dieses Antlitz ließ den Gedanken der Unbedeutendheit oder der Verständnislosigkeit nicht aufkommen, was man von der griechischen Schönheit nicht immer sagen kann.

Darin besteht, meiner Meinung nach, der große Nachteil für diese Schönheit im Wechsel der Zeiten, worauf sie antworten könnte, daß sie eben den Griechen des Pericles hätte gefallen wollen, und nicht den Franzosen, die Crébillon's Romane gelesen haben. Ich aber, der ich auf der Loire schwamm, las diese Romane und mit lebhaftem Vergnügen.

Die Künste hätten in Frankreich zu gleicher Zeit wie der Cid müssen geboren werden. Die Religionskriege hatten die Geister entflammt, die durch die lange und unwürdige Feudalherrschaft kümmerlich geworden waren, und die Intriguen der Fronde waren den Köpfen ebenfalls zu gut gekommen. Die Franzosen hätten damals schöne Sachen machen können. Aber trotz der Dummheit, die in den Worten Siècle de Louis XIV ausgedrückt ist, eins ist richtig: dieser Fürst erstickte sehr rasch das heilige Feuer, das ihm Angst machte. Jene tolle Leidenschaft, die das Vaterland vergöttert und Alles was groß ist, begeisterte noch den großen Corneille; aber für den eleganten Racine war das nur noch ein bengalisches Feuer, gut für dichterische Wirkungen. Der letzte Narr jener von da an lächerlichen Hochherzigkeit, war der Marschall von Vauban.

La Bruyère, von Bossuet beschützt, hat uns aufs deutlichste das völlige Verschwinden jener edelmütigen Begeisterung gezeigt, jener flammenden Leidenschaften, deren gewisse Arten der Litteratur wohl entbehren können, die aber für die bildenden Künste unerläßlich sind. Die Pest von Jaffa ist nur darum das beste Bild unserer Zeit, weil der Maler von Handlungen, wie die in seinem Bild dargestellten, begeistert war. 1796 war er in Mailand, im Hauptquartier der italienischen Armee, und galt für den allerverrücktesten der Franzosen. Seine Liebe für Frau P . . ., sein Tod haben es bewiesen, daß er kein Akademiker war.

Das Frankreich von 1837 hat für sich nur noch eine, in Wirklichkeit allerdings ungeheure Ueberlegenheit. Es ist die Königin des freien Gedankens in dem armen bevormundeten Europa.

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Es geschah den Schülern des Giotto, was den Schülern des Racine, was den Schülern aller großen Künstler geschehen wird. Sie wagen in der Natur nicht die Dinge zu sehen, die der Meister nicht daraus genommen hat. Sie setzen sich ganz einfach vor die »Effekte«, die er gewählt hat und kopieren sie, d. h. sie versuchen sich gerade an dem, was, bis zu einer Aenderung des Nationalcharakters, der große Mann eben unmöglich gemacht hat.

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Bis wann werden wir in den Künsten unsern Charakter völlig unter der Nachahmung begraben haben? Wir, das größte Volk, das je gelebt hat (ja, selbst nach 1815), wir kopieren die kleinen Bevölkerungen Griechenlands, die zusammen kaum zwei oder drei Millionen Einwohner ausmachen.

Wann werde ich ein Volk sehen, das so weit erzogen ist, alle Dinge einfach auf ihre Nützlichkeit oder Schädlichkeit hin zu beurteilen, ohne Rücksicht auf Juden, Griechen und Römer?

Uebrigens beginnt diese Revolution, ohne daß wir es wissen. Wir glauben uns getreue Anhänger der Alten; aber wir haben zu viel Verstand, um etwa in der menschlichen Schönheit ihr Ideal mit all seinen Konsequenzen anzunehmen. Hierin wie anderswo haben wir zweierlei Glauben und zweierlei Religionen. Die Anzahl der Begriffe ist seit zweitausend Jahren so wunderbar angewachsen, daß die menschlichen Köpfe die Fähigkeit verloren haben, konsequent zu sein. Es entspricht nicht unsern Sitten, daß eine Dame sich in eingehender Weise über männliche Schönheit äußere; sonst würden viele geistreiche Frauen in Verlegenheit kommen. Eine Dame bewundert wohl die Statue des Meleager im Museum, aber wenn dieser Meleager, den die Kenner mit Recht als ein vollendetes Ideal männlicher Schönheit betrachten, mit seiner wirklichen Gestalt und genau mit dem Verstand, den diese Gestalt ankündigt, in ihren Salon träte, würde er schwerfällig und sogar lächerlich erscheinen.

Das kommt daher, daß die Empfindungen der Leute von guter Erziehung heute nicht mehr dieselben sind, wie bei den Griechen.

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Die Eigenschaft, die uns am antiken Schönheitsideal am wenigsten sympathisch ist, ist die Kraft. Stammt das aus dem undeutlichen Bewußtsein, daß die Kraft immer mit einer gewissen Schwerfälligkeit des Geistes gepaart ist?

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Die übergroße körperliche Kraft hat einen großen Nachteil: der sehr starke Mann ist gewöhnlich dumm. Er ist ein Athlet; seine Nerven haben fast keine Empfindlichkeit. Jagen, Trinken und Schlafen ist sein Leben.

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Man möge sich das Bild der stärksten Männer, die man gekannt hat, zurückrufen. War ihre körperliche Kraft nicht begleitet von einer verzweifelt schwerfälligen geistigen Eindrucksfähigkeit? Konnte man von diesen riesigen Körpern große Thaten erwarten?

Sogar bei den Alten, die doch die Kraft, und mit Recht, so sehr bewunderten, war Herkules, der Prototyp der Athleten, mehr seines Mutes als seines Verstandes wegen berühmt. Die Lustspieldichter, die immer frech sind, haben sich sogar erlaubt, diesen Gott als großen Tölpel lächerlich zu machen.

Es giebt vielleicht auf Erden nichts Traurigeres und Dümmeres als einen Athleten, wenn er krank ist.

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Das große Publikum fühlt so sicher, obwohl undeutlich, das Vorhandensein eines modernen Schönheitsideals, daß es dafür ein Wort gefunden hat: Eleganz.

Worin besteht die Eleganz? Vor allem in der Abwesenheit aller Art Kraft, die sich nicht in Beweglichkeit verwandeln kann.

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Der Unterschied zwischen dem modern Schönen und dem antik Schönen entspricht genau dem Unterschied, der besteht zwischen dem Salon und dem Forum.

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Wer kennt nicht die fade Statue der Jeanne d'Arc, die an der Stelle errichtet ist, wo die englische Grausamkeit die Jungfrau verbrennen ließ? Und wer begreift nicht die Unbrauchbarkeit der griechischen Kunst, um diesen so eminent christlichen Charakter zu schildern?

Die geistvollsten der Griechen hätten vergebens versucht, diesen Charakter zu verstehen, dies seltsamste Produkt des Mittelalters, seiner Thorheiten wie seiner heroischen Leidenschaften. Allein Schiller und eine junge Prinzessin haben dies fast übernatürliche Wesen verstanden.

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Unsre Oberflächlichkeit kennt die Alten absolut nicht. Unglaubliche Indecenz eines Grabmals im Hof der Studii in Neapel. Ein Priapusopfer und mit dem Gotte spielende Jungfrauen! Wie weit ist es von da bis zur Idee der christlichen Totenmesse.

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Nichts Komischeres giebt es, als unsre Urteile über die Alten und ihre Kunst. Da wir nichts weiter lesen, als von der Zensur zernagte platte Übersetzungen, wissen wir nicht, daß man dem Nackten bei ihnen einen eignen Kultus weihte, während es bei uns abstößt. Die Masse in Frankreich wendet die Bezeichnung des Schönen nur auf Weibliches an. Bei den Griechen aber gab es keine Galanterie; dagegen eine Liebe, die uns Modernen verabscheuungswürdig ist. Welchen Begriff würde ein Einwohner von Otahiti sich von unserer Kunst bilden können, für den alles, was bei uns aus der Galanterie stammt, wegfiele?

Um die Antike zu kennen, muß man eine größere Menge mittelmäßiger Statuen sehen und studieren. Und dieses Studium ist überall anderswo als in Rom und Neapel ein illusorisches. Und gleichzeitig muß man Plato und Plutarch aus dem Grunde lesen.

Lustig ist, daß wir behaupten, in der Kunst den griechischen Geschmack zu haben, wo uns doch die hauptsächlichste Leidenschaft fehlt, die die Griechen für die Kunst empfänglich machte.

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Meine Reisegefährten sind schon ein wenig des Bewunderns müde. Täglich erwarten sie mit Ungeduld ihre Briefe aus Paris.

Ich habe das seltene Glück, immer mit Leuten umzugehen, die liebenswürdigen Geistes und von gefälligsten Umgangsformen sind; aber was mir eine schöne Freske erscheint, da sehen sie nur ein Stück verräucherter Mauer.

Man braucht einiger Vorbereitungsstudien für eine Romreise. Was diese ärgerliche Wahrheit noch unangenehmer macht, ist der Umstand, daß alle Welt fest glaubt, die Kunst zu lieben und Kenner zu sein. Man kommt nach Rom aus Kunstliebe, und ebenda läßt euch diese Liebe im Stich, und wie das gewöhnlich so geht, der Haß tritt an ihre Stelle.

Das Ideal jener verwünschten vorbereitenden Studien, auf die man nach einigen Tagen schlechter Laune wohl oder übel verfallen muß, wäre, daß das Auge sehen lernte, ohne daß das Gehirn sich vollstopfte mit den Vorurteilen des Lehrers, der zu sehen lehrt . . .

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Es ist das eine traurige Wahrheit: man hat in Rom nicht eher einen Genuß, als bis die Erziehung des Auges vollendet ist. Voltaire hätte die Raphaelischen Stanzen mit Achselzucken und einem witzigen Epigramme verlassen.

Denn der »esprit« ist kein Vorteil, um die Art Glück zu genießen, die diese Gemälde geben können. Ich habe scheue, träumerische Menschen kennen lernen, Menschen, die alles Selbstbewußtseins und aller Schlagfertigkeit ermangelten und die rascher als andre die Fresken Luini's in Sarano bei Mailand und die Raphaels im Vatikan zu genießen im Stande waren.

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Es ist vielleicht ein Unglück, vom Himmel eine Seele bekommen zu haben, die die göttlichen Schönheiten des Raphael oder des Correggio zu empfinden wenig fähig ist. Aber eine offenbare und grobe Lächerlichkeit ist es, ein Gefühl zu heucheln, das man nicht empfindet . . . Verzweifelt aber an eurem Herzen nicht: manch eine Frau läßt einen kalt an dem Tage, wo man ihr vorgestellt wird, und sechs Monate darauf ist man wahnsinnig in sie verliebt.

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Verständnis für die Kunst ist ein Privilegium, und zwar ein teuer erkauftes, durch wieviel Leiden, durch wieviel Dummheiten, durch wieviel Tage tiefster Niedergeschlagenheit!

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Als ich aus dem Museum der antiken Malereien in Portici heraustrat, begegnete ich drei englischen Marineoffizieren, die eintraten. Zweiundzwanzig Säle sind es. Im Galopp fuhr ich nach Neapel. Aber ehe ich an die Magdalenenbrücke kam, bin ich von den drei Engländern eingeholt worden. Sie sagten mir am Abend, diese Gemälde seien großartig und gehörten zu den merkwürdigsten Dingen des Weltalls. Sie hatten sich drei bis vier Minuten in dem Museum aufgehalten . . .

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Ach, alle Wissenschaft ähnelt in einem Punkte dem Greisentum, dessen schlimmes Symptom die Kenntnis des Lebens ist, als welche uns hindert, in Leidenschaft zu geraten und um nichts Thorheiten zu begehen. Ich wünschte, nachdem ich Italien gesehen habe, daß ich in Neapel das Wasser des Lethe fände, Alles vergessen, und dann meine Reise von vorne anfangen, und so meine Tage hinbringen könnte. Aber dies wohlthätige Wasser existiert nicht. Jede neue Reise, die man in diesem Lande macht, hat ihre besondere Physiognomie, und unglücklicherweise schleicht sich nach und nach immer mehr Wissenschaft ein. Statt die Ruinen des Jupiter-Tempels wie vor sechsundzwanzig Jahren zu bewundern, zappelt meine Phantasie in alle den Dummheiten, die ich darüber gelesen habe.

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Vor einigen Jahren war einer der geachtetsten Pariser Gelehrten hier; man sprach in der Gesellschaft viel von einer prachtvollen und riesenhaft großen etruskischen Vase, die der Fürst Pignatelli soeben gekauft hatte. Unser Gelehrter kommt mit einem Neapolitaner, um sich die Vase anzusehen. Der Fürst war abwesend. Ein alter Diener führt die Neugierigen in einen Saal zur ebenen Erde, wo auf einem Holzpostament die Vase zu sehen war. Der französische Archäologe prüft sie sorgfältig, bewundert besonders die Feinheit der Zeichnung, das Fließende der Formen. Er zieht sein Notizbuch heraus und versucht zwei oder drei Gruppen zu kopieren. Nach dreiviertel Stunden tiefster Bewunderung geht er fort, indem er dem Diener ein reiches Trinkgeld giebt. »Wenn Euer Excellenz morgen Vormittag wiederkommen wollen, sagt der Diener dankend, so wird der Fürst da sein und Sie werden das Original sehen können.«

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Man möchte sagen, das Studium der Altertümer zerstöre im Kopf eines Menschen notwendig die Fähigkeit Schlüsse zu ziehen. So werden diese Gelehrten alle geistige Schwächlinge und zuletzt Pedanten und Akademiker, d. h. Leute, die über nichts mehr die Wahrheit zu sagen wagen, aus Furcht, einen Kollegen (oder Minister) zu verletzen.

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Die Begegnung von Geist und Müßigkeit ist immer für beide vorteilhaft. Wenn die Schriftsteller den Weltleuten Ideen geben, so macht die Kunst zu leben, die sie dafür eintauschen, sie selber verständiger, liebenswürdiger, glücklicher. Die Leute der Feder lernen den wahren Wert der Wissenschaft und der Weisheit erkennen, indem sie sehen, wieviel diese Dinge zur Führung und zur Verschönerung des Lebens beitragen können. Sie lernen, daß es Quellen des Glückes und des Stolzes giebt, die viel wichtiger und besonders viel reicher sind, als das Handwerk des Lesens, Denkens und Schreibens.

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Die Franzosen bewundern im Achilles des Racine Dinge, die er gar nicht sagt. Das kommt daher, daß der Begriff, den man sich vom Sohne des Peleus macht, viel mehr von La Harpe oder von Geoffroy gegeben worden ist, als durch die Verse des großen Dichters. Hier sind es wieder einmal die Abhandlungen über den Geschmack, die den Geschmack verderben und bis in die Seele des Zuschauers hinein die Empfindungen fälschen.

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Man fühlt hier sehr rasch die Notwendigkeit, sich eine Idee vom antiken Schönen zu machen und das Vergnügen an guten Statuen wird dann leicht verdoppelt. Nur muß man allen sinnlosen Phrasen nach Plato und Kant und ihrer Schule aus dem Wege gehen. Die Scheinphilosophie und ihre Dunkelheit mag sehr am Platze sein, wenn man zu guten jungen wißbegierigen Leuten spricht; vor den Werken der Kunst vernichtet sie die Fähigkeit zu genießen.

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Nicht infolge eines jähen Gefühlsrausches fühlt man die Kunst im Norden der Alpen. Ich glaube, man kann fast sagen, daß der Norden nur durch das Denken hindurch zur Empfindung gelangt. Solchen Leuten darf man nicht anders von Skulptur reden als in Formeln der Philosophie. Damit das große Publikum Frankreichs zum Kunstgefühl kommen könnte, müßte man das poetische Pathos aus Corinne anschlagen, das edle Seelen empört und alle Zwischentöne ausschließt.

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Unsre heutigen Menschen können sich nicht dazu erheben zu begreifen, daß die Alten nie etwas zum Schmücken gemacht haben, daß bei ihnen das Schöne nur ein Ausfluß des Nützlichen ist. Wie sollten unsre Künstler in ihrer Seele lesen können? Es sind gewiß Leute von Ehre und Geist. Aber Mozart hatte noch Seele, und sie haben keine. Eine tiefe und leidenschaftliche Träumerei hat sie nie zu Thorheiten veranlaßt. Dafür haben sie auch Orden, die ihnen Adelsrang geben.

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Unsre Leidenschaft für das Land und den Wald von Riccia dauert an. Trotzdem sind wir diesen Morgen nach Rom gegangen, und der Zufall hat uns in die Stanzen des Vatikan geführt. Heute verstanden wir Raphael, wir sahen seine Werke an mit einem Grade der Leidenschaft, der alle Einzelheiten entdecken und nachfühlen ließ, so verräuchert die Malerei auch sein mag.

Man kann das Kleidermaß eines Mannes nehmen, der gleichgiltig und kalt ist wie Childe-Harold, und der, von der Höhe seines Stolzes herab, seine Gefühle beurteilt und sogar seinen Verstand, dessen er viel besitzt. Aber in keines Menschen Macht steht es, ihn dahin zu bringen, daß er Glück empfinde durch die schönen Künste. Da muß der Stolz sich herablassen, sich Mühe zu geben, aufmerksam zu sein: man kann das Vergnügen nicht wie eine Pille verschlucken.

Das war's, was ich in gemeinen Worten bei mir dachte, ohne daß ich es meinen Freunden gesagt hätte.

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Um ein ausgezeichneter Mensch zu werden, bedarf es jener Seelenglut mit zwanzig Jahren, jener, wenn man will, dummen Einfältigkeit, die man kaum wo anders als in der Provinz trifft.

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Der Mann von Genie, der natürlich öfter sich als Andern gleicht, ist zu Paris notwendig lächerlich.

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Wenn ihr einen Augenblick darüber nachzudenken geruhen wollt, so werdet ihr sehen, daß die Urteile der Künstler über einander nur Aehnlichkeitscertifikate sind. Wenn Raphael gefunden hätte, daß der oberste Vorzug eines Malers das Kolorit sei, hätte er seinen Stil verlassen, um den des Sebastiano del Piombo oder den des Tizian anzunehmen.

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Man braucht keine Gründe, um ein Kunstwerk schön zu finden. Es macht einfach dem Auge Vergnügen. Ohne diese instinktive oder wenigstens unbewußte Freude des ersten Augenblicks giebt es weder Malerei noch Musik. Dennoch habe ich in Königsberg Leute kennen lernen, die auf dem Weg des Verstandes und durch metaphysische Vernunftgründe hindurch zum Genuß der Kunst gelangen wollten. Die Nordländer urteilen auch in der Kunst nach vorgefaßten Schul-Meinungen, die Südländer aber darnach, ob etwas ihren Sinnen augenblicklich eine Lust und eine Freude ist.

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Ich werde meiner Ehre schaden und mich in den Ruf eines bösen Menschen bringen. Was thut's? Der Mut kann sich in allen Ständen finden. Und es gehört mehr Mut dazu, den Zeitungen zu trotzen, die über die öffentliche Meinung verfügen, als sich den Verurteilungen der Gerichtshöfe auszusetzen.

Montaigne, der geistreiche, der wißbegierige Montaigne, reiste gegen 1580, um sich zu heilen und zu zerstreuen, nach Italien. Manchmal Abends schrieb er auf, was er Bemerkenswertes gesehen hatte. Er bediente sich dabei unterschiedslos des Französischen oder des Italienischen, als ein Mann, bei dem die Trägheit kaum von dem Wunsche zu schreiben dominiert wird, und der, um sich dazu überhaupt zu entschließen, des kleinen Reizes bedarf, den die Ueberwindung von Schwierigkeiten im Gebrauch einer fremden Sprache darbietet.

Als Montaigne im Jahre 1580 durch Florenz kam, waren es erst siebzehn Jahre seit dem Tode Michelangelo's. Der enthusiastische Ruhmeslärm, der sich um Raphael erhoben hatte, war noch nicht verstummt. Die wunderbaren Fresken del Sarto's, Raphaels und Correggio's blühten in ihrer ganzen Frische. Nun denn, Montaigne, dieser Mann des Geistes, der so wißbegierig, so müßig war, er sagt kein Wort darüber. Die Leidenschaft eines ganzen Volkes für Kunstwerke hat ihn zweifellos veranlaßt, sie zu betrachten; denn sein Genie besteht darin, die Besonderheit eines Volkes aufmerksam zu erforschen und zu ergründen. Aber die Fresken Correggio's, Michelangelo's, Leonardo da Vinci's und Raphaels hatten ihm offenbar nichts zu sagen.

Nehmt zu diesem Beispiel das Voltaire's, wenn er über die Kunst spricht. Oder besser noch, wenn ihr das Talent habt, nach der lebenden Natur zu urteilen, seht euch die Augen eurer Nächsten an, horcht in die Gesellschaft hinein, und ihr werdet das seltsame sehen: Der französische Geist, l'esprit par excellence, das göttliche Feuer, das in La Bruyère's Caractères, das in Candide, das in den Pamphleten von Courier, den Liedern von Collé blitzt und flimmert, es ist ein sicheres Präservativ gegen künstlerische Begeisterung.

Diese unangenehme Wahrheit, die immer mehr in unsern Verstand einzudringen beginnt, verdanken wir einer Reihe von Beobachtungen an den französischen Reisenden, die wir in Rom in den Galerien Doria und Borghese getroffen haben. Je mehr wir am Tage vorher, in der Gesellschaft, bei einem Manne Feinheit, Leichtigkeit des Geistes und prickelnden Witz gefunden hatten, je weniger zeigte er Verständnis für Bilder.

Die wenigen Reisenden, die mit dem glänzendsten Geiste den Mut vereinigen, der die vornehmen Männer macht, bekennen frei, daß ihnen nichts so langweilig vorkommt, wie Bilder und Statuen. Einer von ihnen sagte, als er ein herrliches, von Tamburini und Signora Boccabadati gesungenes Duett hörte: »Ebenso gern würde ich mit einem Schlüssel auf eine Zange schlagen hören.«

Diese Ausführungen werden dem Autor seinen Ruf eines guten Franzosen rauben. Aber man soll niemandem schmeicheln, nicht einmal der Nationalität. Die Heuchler werden sagen, ein Mensch, der ein so mißratenes Kind seines Volkes ist, um Männern wie Montaigne, Voltaire, Courier, Collé, La Bruyère das künstlerische Gefühl abzusprechen, muß ein bösartiger Charakter sein.

Diese Bosheit, die alle gutmütigen und zarten Seelen, für welche man einzig schreibt, mit einer peinlichen Empfindung zurückstößt, erhält aus folgender sehr einfacher Erklärung eine neue Beglaubigung. Der französische Geist kann nicht leben, ohne auf die Eindrücke aufzupassen, die er auf Andere hervorbringt. Das künstlerische Gefühl aber kann sich nicht bilden, ohne die Angewöhnung einer etwas melancholischen Traumverfassung. Die Ankunft eines Fremden, der diese Stimmung stört, ist für einen melancholischen und träumerischen Charakter immer ein unangenehmes Ereignis. Ohne daß solche Menschen egoistisch oder auch nur egotistisch genannt werden dürfen, sind für sie nur die tiefen Eindrücke, die ihre Seelen um und um werfen, wichtige Ereignisse.

Sie versenken sich ganz in diese Eindrücke und gewinnen daraus eine glückliche oder unglückliche Stimmung. Ein in solche Prüfung versenkter Mensch bemüht sich nicht, seinen Gedanken in eine pikante Redensart einzukleiden, er denkt an die Andern gar nicht.

Und das künstlerische Gefühl kann sich nur in solchen Seelen erzeugen.

Selbst im lebhaftesten Rausch seiner Leidenschaften dachte Voltaire an die Wirkung, die er durch die Art, seinen Gedanken auszudrücken, erzielen würde.

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Da die meisten der berühmten Geistesmenschen melancholischen Temperaments sind, glaubt der verständige Mann, der zufällig der »Freund« des Genie's ist, gute Gründe zu haben, sich über ihn lustig zu machen. In diesen Beziehungen ist der geniale Mensch der Unterliegende.

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Wenn ein junger Mann, der nie dumme Streiche begangen und blos viel gelesen hat, mir von Kunst zu sprechen wagt, lache ich ihm ins Gesicht. Lerne erst sehen, sage ich ihm, und dann werden wir zusammen reden. Wenn dagegen ein durch viel Leid bekannter Mann mich auf die Künste anredet, so bringe ich das Gespräch auf die kleinen Eigenheiten der hervorragenden Menschen, denen er begegnet ist, als er achtzehn oder zwanzig Jahr alt war.

Ich scherze über die Lächerlichkeiten ihrer Person oder ihres Verstandes, damit mein Mann mir bekenne, ob er damals, in seiner ersten Jugend, diese Lächerlichkeiten beobachtet und als eine Art Trost für seine Inferiorität empfunden hat; oder aber ob er diese Menschen als Vollkommenheiten anbetete und sie nachzuahmen suchte. Jeder, der mit achtzehn Jahren einen großen Mann nicht so geliebt hat, um sogar seine Schwächen zu verehren, ist nicht dazu angethan, mit mir über Kunst zu reden.

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Sich mit dem Studium der Kunst zu befassen, rate ich nur den paar wenigen Menschen, die sich in Folge einer zärtlichen Leidenschaft viele lächerliche Handlungen vorzuwerfen haben.

Aber man wird gut thun, nur mit wenigen Leuten über diesen Gegenstand überhaupt zu reden.

Der weltliche Stand thut nichts zur Sache.


Nichts macht den Menschen so wenig für die Kunst geeignet als die Talente und Gewohnheiten, durch die man Reichtum erwirbt. Nicht weniger stehen im Weg jene Talente, durch die man in hohe Stellungen gelangt. Hinderlich ist ferner die große geistige Schlagfertigkeit und der »Esprit« überhaupt. Nur eine melancholische Verfassung disponirt zur Kunst.

Ein feindlicher Geist scheint mir auch der Geist der Ordnung. Er verträgt sich nicht mit jenem träumerischen Wesen, das seinen eigenen Zustand so süß findet, und weil es nicht herausgerissen sein mag, immer alles auf die nächste Minute aufschiebt.

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Die Genüsse der Eitelkeit fließen aus der lebhaften und schnellen Vergleichung unserer selbst mit Andern. Man braucht dazu immer die Andern. Das genügt, um die schöpferische Einbildungskraft lahm zu legen, deren Flügel sich nur in der Einsamkeit entfalten, weit weg von jedem Gedanken an die Andern.

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Die Starken und Kalten werden nur durch ihre Gewissensbisse bestraft, wenn sie etwa solche haben sollten; die zarten und hochherzigen Seelen aber haben in weltlichen Geschäften immer Unglück. Sie sollten sich darum ausschließlich mit der Kunst beschäftigen.

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Ein schönes Klima ist der Schatz des seelisch begabten Armen. Welch ein Glück für arme Künstler wie Horaz, Virgil und Properz, wenn die Hauptstadt der Welt eine günstige Lage hat. Stellt euch vor, Paris läge bei Montpellier oder an der Stelle von Voulte bei Lyon. Der ganze zartere Teil der Künste ist unmöglich, oder wenigstens stentata unter einem Klima, wo die Nerven tags dreimal auf eine verschiedene Art und Weise aufgezogen werden Ich vergleiche die Nerven den Saiten einer Harfe. Was wird Plato und seine Schule dazu sagen?

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(Der Künstler.) – Er ist weit entfernt, den groben Vergnügungen nachzugehen, er flieht sie vielmehr; sie würden seine geistigen Fähigkeiten zerstören und seine Kraft, das Erhabene zu empfinden und darzustellen, abschwächen. Er opfert dem Durste nach unsterblichem Ruhme alles, Leben und Gesundheit. Das wirkliche Dasein ist ihm nur das gemeine Gerüst, durch welches er seinen Ruhm erheben will, er lebt nur in der Zukunft.

Man sieht ihn die Menschen fliehen, sich in Einsamkeit vergraben, sich kaum die nötigste Nahrung gestatten. Zum Lohn für soviel Sorgen, wenn er der Sohn eines heißen Himmels ist, wird er Extasen haben, wird er Meisterwerke schaffen, wird er halb wahnsinnig in der Mitte seiner Laufbahn sterben. Und von solch einem Mann verlangt unsre ungerechte Gesellschaft, daß er weise, maßvoll und klug sei? Wenn er klug wäre, würde er dann sein Leben dahingeben, um euch zu gefallen, euch braven und mittelmäßigen Tröpfen?


Der Philosoph aber fragt: Wornach soll man das Leben schätzen? Nach einer langen Folge langweiliger Tage, oder nach der Lebhaftigkeit und Tiefe des Glücks?

Es ist lange, daß man das Wesen des Genie's erkannt hat, und seit dieser Zeit möchten gern alle Handwerker in der Kunst uns glauben machen, daß sie dieses Wesen haben. Die Geschichte wird die Antwort geben:

Mais plus ils étaient occupés
Du soin flatteur de le paraître,
Et plus à nos yeux détrompés
Ils étaient éloignés de l'être.

Erinnert ihr euch, daß zu Anfang der Revolution, gewisse junge Maler durch ihre Kleidung aufzufallen suchten? Das war ein Gipfel der Kleinlichkeit . . .

(In unsern Tagen haben wir das von Dichtern erlebt. Anm. des Uebers.)

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Ein Maulwurf guckte zu seinem Loch heraus und sah die Nachtigall, die singend sich auf einer blühenden Akazie schaukelte. Du mußt sehr thöricht sein, sprach der Maulwurf, um dein Leben in einer so unbequemen Stellung zu verbringen, auf einem Zweig, den der Wind bewegt und wo das gräßliche Licht, das mir Kopfschmerz macht, deine Augen blendet.

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Der gemeine Mensch findet in seiner Seele nichts, was dem Genie entspräche; sein tägliches Verdienst ist die Geduld.

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Das ist die erste Stufe des Geschmackes, die Wirkungen der Natur zu übertreiben, um sie fühlbarer zu machen. Dieses Kunstgriffs bediente sich oft der hinreißendste der französischen Prosaschriftsteller (Rousseau). Auf einer höheren Stufe erkennt man, daß durch Uebertreibung die Wirkungen der Natur ihre unendliche Mannigfaltigkeit und ihre Kontraste verlieren, die so schön sind, weil sie ewig sind, und schöner noch, weil die einfachsten Gemütsbewegungen sie in Erinnerung bringen.

Wenn man nur im geringsten übertreibt, wenn man aus der Sprache etwas anderes als einen klaren Spiegel macht, vermag man wohl einen Augenblick stark zu wirken, aber ärgerliche Rückwirkungen werden nicht ausbleiben.

Ich rede nicht von dem gewöhnlichen Menschen, der geboren ist, um das Pathos in »Corinne« zu bewundern. Die feiner fühlenden Menschen des neunzehnten Jahrhunderts haben das große Unglück: wenn sie Uebertreibung wittern, fühlt ihre Seele sich nur noch zur Ironie aufgelegt.

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Keine Gnade für die Mittelmäßigkeit; sie vermindert unsere Empfindungsfähigkeit für die Kunst.

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Wenn ich nicht fürchtete, bei moralischen Leuten anzustoßen, gestände ich, was ich zu aller Zeit gedacht habe, ohne es auszusprechen: daß eine Frau immer dem gehört, wirklich gehört, der sie am meisten liebt. Und diese Ketzerei möchte ich gern auch auf Kunstwerke ausdehnen.

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Die allzu heftige Liebe zum Schönen macht uns fast zu Misanthropen. Wir werden geneigt, die kühlen Menschen für schlechte Menschen zu halten. Glücklich das holländische Temperament, das imstande ist, das Schöne zu lieben, ohne das Häßliche zu hassen.

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Das künstlerische Gefühl ist unmoralisch, es macht den Verführungen zur Liebe geneigt, es versenkt in Müßiggang und disponiert zur Uebertreibung.

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Schönheit ist Glücksverheißung.

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Wir sind nicht mehr glücklich genug, um nach der Schönheit zu trachten; wir begnügen uns mit dem Nützlichen.

 


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