Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

So also hatte sich dem Schindelmacher sein zurückgekehrtes Leben geoffenbart: Durch die Märchen der Frühe war es über seine gereckten Schultern als taustarke Ruhe hingeflossen; auf seinen stürmenden Ruf hatte es mit einem jauchzenden Echo geantwortet, das ihn vollends wach gerüttelt hatte; und endlich, das erste mal nach so langen Jahren, hatte ein manneszorniger Wille den Weg zu den verfallenen Minen seiner Kraft gefunden, um sie in toller That zu sprengen. Vor seinem schnaubenden Lachen war die Wut Josephas in ohnmächtiges Weinen umgeschlagen.

Alles das war aus seiner einsamen Todessehnsucht, die ihn auf dem Heimwege überfallen, herübergewallt auf tausend geheimnisvollen Wegen. Es tropfte auch aus den zahllosen Wunden; die er in seiner Geducktheit empfangen. Wie durch dämpfende Watte empfand er jetzt jenen jahrelangen unwürdigen Zustand.

In der ersten Freude seines Wiedererwachtseins vergaß er ganz, daß er noch krank sei.

 

*  *  *

 

Am Abend ging Franz Tone heim mit der sinkenden Sonne wie immer. Er trug nicht wie sonst seine vertrocknete Brotrinde im roten Taschentuche wieder nach Hause. In schmalzender Gemächlichkeit hatte er die harte Kruste als sein Mittagsbrot verzehrt. Jene wilde Unruhe, jenes Wogen losgelöster Wände war ganz aus ihm geschwunden. Sein Schritt war wieder wie sonst, nur etwas länger und ruhiger. Der Kopf, leise nach vorn geneigt, nun nicht müde hängend; wie suchend. Seine Augen glänzten dabei in gleichmäßiger, weiter Schöne. In den starken Falten seines groben Gesichts lag Verklärung.

So ging er hin, achtlos auf alles Aeußere. Sein Sinnen sah auf das Bunte in ihm, das Licht. Und als er um eine Biegung zu treten im Begriff stand, bemerkte er, daß der Dorfweg durch spielende Kinder gesperrt sei. Sie drehten sich im Kreise und sangen:

»Florian, Florian,
Hat gelegen sieben Jahr.
Sieben Jahr sind um,
Florian dreht sich um.«

Er fand sich nicht einmal versucht, wie sonst mit einem ärgerlichen Brummen vorüberzugehen, sondern blieb, von dem niedrigen Geäst eines Pflaumenbaumes gedeckt, stehen und sah mit Interesse dem wippenden Kreisgang der Kinder zu.

Derweil verglomm der Tag in seliger Ohnmacht. Die Schatten woben eifrig immer schwerere Schleier. Da vor ihm auf dem Wege tanzten die Kleinen in süßer Eintönigkeit und sangen das Lied von dem auferstandenen Florian der versunkenen Sonne nach. Seine Aufmerksamkeit ward zur starren Rührung.

»Florian dreht sich um!«

Die Kinder schrieen es noch ein letztes mal im Uebermut auf, haschten einander, gaben sich schäkernd den »Letzten« und verschwanden in den umliegenden Häusern, aus denen man schon nach ihnen gerufen hatte, durch das Astgewirr der Obstgärten. Und alles war ganz still. Ueber dem Walde wachte die Nacht auf.

Franz schrak auf aus den Banden eines Entschlusses, dessen Regen durch den Gesang der Unmündigen, fern in seiner Seele entstanden war. Mechanisch fiel er in seinen gleichmäßigen Gang. Als er über die Stelle schritt, auf welcher die Kinder getanzt hatten, blieb er unwillkürlich stehen und sah im Kreise umher. Dabei schüttelte er seinen Kopf und lächelte voll Genugthuung in sich hinein. »Was aso de Kender nich ålls wessa. – Ja, åber verstehn thun s'es nich. Dås kömmt freilich erscht speter. Denn wes Menschakend mag ei dr Jugend Essig?«

Dann schritt er wieder weiter; aber aus seiner gesammelten Haltung ging hervor, daß der begonnene Gedanke tiefer drang, sich vielfältiger verknüpfte mit all dem Ruhenden in ihm.

Zwischen dem ersten Berghaus und dern Dorfe, das, nun schon in Nebel gehüllt, links zu seinen Füßen lag, blieb er abermals stehen.

Der werdende Entschluß arbeitete sich zur Klarheit herauf. – – – – – – »Florian, Florian, hat gelegen sieben Jahr … … siehst de, Tone, ålls stimmt. – »Sieben Jahr sind um« … auch. – »Florian dreht sich um« … nee, das nie: dreht sich em un ledt of dr linka Seite, was er frieher of dr rechta derträn hot. – – – – – Verleicht under dr Fichte denka das Zwee … åber! Påßt uf! – Florian stieht uf, zieht sich ein reen Hemde å, gieht ei em gekåhrta Stiebla; sieht zu em blanka Fanster naus; eßt wenns leita thutt un schleft ei em saubern Bette wie vr sieba Jåhrn, wie er sich hinleete.«

Alles das sprach er in jenen undeutlichen Murmellauten, mit welchen das Tiefste aus uns klingt. Das so leise tönt, weil es schon redet, wenn seine Stärke eben erst im Kernhause des Willens sich sammelt. Dann stieg er rüstig weiter, erleichtert, als sei er erst jetzt mit seiner Arbeit fertig geworden.

Denn auch seine Seele hatte endlich ein Tagewerk vollendet, nach dem er verlangt hatte mit seinem stumpfen Kummer, seiner Verbitterung und stachelnden Schwäche. Je höher er kam, desto wärmer wurde die Luft, als hole er den Strom heißer Menschengebete ein auf ihrem Wege zum Vater.

Die sternlosen Weiten der Sommernacht erfüllten gebrochene Stimmen der Höhe, gleich verwehtem Stammeln.

Nichts auf Erden gab Antwort als das verhaltene Traumsausen des schlafenden Waldes.

Der Schindelmacher fand die Hausthür offen; aber alles schien in tiefster Ruhe zu liegen.

Er klopfte an die Thür seiner Wirtsleute, weil er sich erinnerte, daß er auch gestern um sein Abendessen gekommen sei: »Seffla! – Seffla! – Ullrich!«

Niemand gab Antwort. Ein Klinken mit dem Thürdrücker, ein nochmaliges Rufen blieb auch erfolglos. Nur ganz schwaches Kichern glaubte er zu hören, als es ganz still geworden war um ihn.

»Sie lacht. Lon mr'sche.«

Er sagte es mit überlegener Ruhe und ging in seine Stube.

»Manne, manne … un drnåch.«

Mit sicherem Lächeln sprach er seinen Entschluß noch einmal über sich in die dumpfe Nacht, ehe er einschlief.

 

*  *  *

 

Vor Sonnenaufgang, in tiefer Dunkelheit, stand Franz auf, zog sich schnell seine Sonntagskleider an, indem er auf nichts um sich her sah, und verließ eilig sein Zimmer.'

Die Zeit bis zum Frühstück verbrachte er im Freien.

Ullrich ging an ihm vorüber, die Radwer vor sich herschiebend, auf welcher die blinkende Sense lag. Der Kleine fuhr nach Futter und würdigte ihn keines Blickes. Gleichgültig sah der Alte ihm nach. Das Weib hastete ein und aus und that, als sei er gar nicht für sie vorhanden.

Es störte ihn nicht.

Nach einer Stunde betrat er hinter dem heimkehrenden Manne mit sicherem Schritt die große Wohnstube, grüßte ruhig und ließ sich an dem gewohnten Platze nieder.

Die beiden Leute machten Gebärden des Unwillens darüber. Der Schindelmacher aber begegnete ihrem feindseligen Blick mit solch ruhigem Auge, daß sie verwirrt wurden. Sie verließen das Zimmer und kamen lange nicht wieder zum Vorschein.

Franz machte sich's, überlegen lächelnd, bequem: hängte seine Mütze an den Wandrechen, knöpfte seinen Rock auf und stützte sich breit auf den Tisch.

Nach einer Weile guckte das Weib eilig zur Thür herein. Als sie den Ausgedinger noch immer gemächlich dasitzen sah, warf sie ihm einen drohenden Blick zu und verschwand sofort wieder, indem sie die Thür wild zuschlug.

Viertelstunde auf Viertelstunde verrann.

In dem Kartoffeltopfe begann es zu pfeifen. Das Wasser in einem anderen Gefäß lief stoßweise über.

Franz wich und wankte nicht.

Endlich erschienen die beiden wieder.

Nachdem sie einigemal zwecklos im Zimmer umhergegangen waren, nahm das Weib Kaffeewasser und Kartoffeln von der Platte des Herdes.

»Was machst dn då, Weib?« frug Ullrich mit erkünsteltem Erstaunen.

»Nu, ich nehm ålls runder. Ich hå keen Hunger, ich hå mich gestern zu sehr geärgert.«

»Ich mag auch nie assa,« echote der Mann sein eingelerntes Sprüchlein.

»Åber ich,« donnerte plötzlich der Alte los, hieb seine Faust auf den Tisch und sprang in die Höh.

»Hier, mein Essen her, da, eene und eene halbe Stunde wart ich druf. Nu is genug,« setzte er nach einer Weile drohend hinzu und machte entschlossen einen Schritt in die Stube, nach den beiden hin.

»Gibs ihm! … Gibs ihm!.« platzte in angstvoller Verwirrtheit der Kleine auf sein zornmütiges Weib los, die vor Wut schon wieder zu zittern begann. Er quirlte in der Stube umher, zog in komischer Entrüstung seine spitzen Schultern hoch hinauf und warf scheue Blicke auf den Alten, der noch immer straff dastand, die Faust steif auf den Tisch gestemmt.

»… gibs ihm … gibs ihm … gibs ihm,« wiederholte Ullrich fortwährend in ratloser Ohnmacht.

Als er aber sah, daß Franz sich wieder ruhig setzte, überfiel ihn ein wilder Mut. Er rannte an ihm vorüber, spuckte vor ihm aus und rief, seine leise, sanfte Art ganz vergessend, heiser schreiend: »Hier … da – … ja … gibs ihm … dem, dem … Pfui Deifel!«

Dann räumte er der Sicherheit halber schnell das Zimmer.

Das Weib sah sich allein und wagte nun auch nicht mehr, zu widerstehen. Sie schob dem Wartenden verächtlich das Essen hin und wandte sich zum Gehen. An der Thür aber übermannte sie ihre Wut. Sie drehte sich um und lachte in gellendem Hohne auf:

»Haha; – ma mecht går! – So ein alter Kreppasetzer – – – eim Sonntichstååte – – – å em Wochatage – – – mh! – mh! – verpocht och a, nu do, do – – heiljes Laba! – Wo gieht n de Freite hin?«

Sie vergaß alle Vorsicht. Mit jedem ihrer erregten Ausrufe trat sie einen Schritt näher. Nun stand sie dicht vor dem achtlos weiteressenden Ausgedinger.

»Wo gieht n de Freite hin?« wiederholte sie zornbebend. »Du Wåmmser, griß mr deine Zuttel, die …«

Aber sie konnte nicht vollenden.

Blitzschnell sprang Franz auf und packte sie hart am Handgelenk.

»Ullrich! – Jesses Maria! – Hilfee!«

Wie eine Feder flog der Mann herein und, indem er toll auf- und zusprang, schrie er drohend:

»Wås? wås? wås? – låß lus, sä ich! lus, sä ich! – Was, du wellst mei Weib … «

»Hiels Maul Du – – Zåppelmån!«

Mit herrischer Plumpheit, voll Verachtung, schneidet der Schindelmacher dem Feigen die Rede ab und läßt dabei sanft die Hand Josephas fahren.

Darauf sieht er milde lächelnd und stumm von einem zum andern, eine geraume Zeit, und seine weiche Seele sammelt sich von dem Sturm der Empörung. Mit einem freundlich-gedankenvollen Nicken des Kopfes leitet er dann das Folgende ein: »Nch! – nja, ja! – Wås seid ihr tomm! Franz Tone, dr ale Schendelmacher, der sei Lebtag kee Kend nich betribt hot, dich haun, Seffla, jetze, wo under deim Härze schon leise ein andersch, kleenes, zu schlon åfengt? – Beileibe nich! – Nee; aber hit't eich, ich bin kee Tännlich; åber auch ein weidner Stecka brecht. – So, fr jetze is genung. Dås andere brengt der Mettich. Em zwölfe bin ich då zum Assen. – – Und nu, ei Gots Nåma, alle zwee!«

Mit feierlichen Schritten, ohne sich noch einmal umzusehen, verließ der Alte die Stube.

Betroffen, gedankenvoll verharrten Mann und Weib eine Weile auf dem Platze.

»Wås meenst de nu, Ullrich?«

»Haha …«

»Ja!«

»Hm, hm. –«

»Ein Laps best de, dåß du's weßt.«

»Un Du?«

So rangen sie gegen die Beklemmung, die der stille Ernst des Alten über sie gebracht hatte. Darnach begab sich jedes schweigend an die gewohnte Arbeit.

Es mochte wohl eine Stunde vergangen sein, als Ullrich von seiner Beschäftigung jäh auffuhr:

»Du,« rüttelte er sein Weib an der Schulter »verreckt is unser Mån, dås meen ich.«

»Wenn de recht hättst, un s wär dr gehlniche Wahnsenn, dåß s schnell ein Ende machte. Åber bei dem Alder, wo sol do s Gehlniche herkomma. Mir macha's viel zu gutt mit m,« vollendete sie bekümmert.

Niedergeschlagen schafften sie fort.

 

*  *  *

 

Die Leute auf den hohen Bergen spielen ein Würfelspiel, indem sie ihr Feld bebauen. Bald treten bei zeitigem Frühjahr späte Nachtfröste ein; bald kommt der Winter zu früh, bald zu spät. Wenn aber ja einmal das gemähte Getreide vollkörnig auf dem Stoppel liegt, entsteht einer jener andauernden Regengüsse, welche in waldreichen Gegenden so häufig sind.

Der einzige Ausweg in den Zeiten der oft wiederkehrenden Not ist der Hunger oder das Geld.

Darum weint man in diesen einsamen Hütten, welche dem Himmel so nahe sind, um einen verlorenen Fünfzigpfennig wochenlang. Läßt ein Kind auf seinem Wege zum Krämer den Pfennig, für welchen es Zichorie kaufen sollte, achtlos aus seinem Händchen gleiten, daß er sich eilig zwischen den Steinen auf Nimmerwiedersehen verkriecht, so schlagen Vater und Mutter es unbarmherzig, und seine Geschwister sehen es lange scheel von der Seite an, als hafte ein schwerer Makel auf ihm.

Einst aber kam in einer Familie gar ein Thalerstück abhanden. Die Leute des ganzen Berges sprachen von dem »Unglück«. Der Vater derselben Familie war todkrank. Nach Wochen erhob er sich wohl wieder von seinem Lager. Aber er war wie gebrochen. Es lag eine Schlaffheit über ihm, als habe er einen unersetzlichen Verlust erlitten. Meistens schwieg er wie aus Erschöpfung; seine Unterhaltung waren leidende Ausrufe: »Åch, nu ja!« – »Nu, nu!« – »Herr Du mein!« – »Gotla, Gotla!«

Nur wenn er auf seinen verlorenen Thaler zu sprechen kam, veränderte sich sein ganzes Wesen.

Er wartete immer, davon reden zu können. Alles andere ließ er leer an sich vorübergehen.

Dann aber reckte er sich aus seiner Versunkenheit auf; sein Auge begann zu schimmern; seine Arme fuhren eilig durch die Luft. Bald stand er steif und starr in der Stube und stöhnte die Erzählung seines Schrecks heraus; dann kauerte er sich wieder hin und murmelte trostlos von dem ewig Verlorenen.

Gewöhnlich brach er hier ab, nahm die Pfeife, welche ihm ausgegangen war, mit zitternder Hand vom Tische und ging erschüttert nach Hause.

Aber der Herrgott erbarmte sich seines Grames.

Einst führte der Arme einen Verirrten aus dem tiefen Walde auf den rechten Weg. Weil der reiche Herr kein kleineres Geldstück bei sich trug, schenkte er dem Führer einen blanken Thaler.

Still; zitternd; wie auf den Zehen; in der Nacht; scheu; kam er nach Hause. Bebend vor stummem Glück saß er auf der Bank und seine aus den Angeln gehobene Seele wagte nicht, sich zu rühren.

Als er sich umständlich überzeugt hatte, daß alle Kinder tief schliefen, löschte er das Licht aus. Dann ließ er sein bestürztes Weib in die Hand fühlen, in welcher er den Thaler hielt.

»Ein Thåler?!« stotterte diese in glücklicher Verwirrung.

»Ein harter … fester … Thåler, Weib! – Weib!! fiehl och. – Gotla, Gotla!« antwortete er, verzückt hauchend.

Am andern Morgen lag er tot im Bett, ein seliges Lächeln auf seinem Gesicht, den Thaler mit der kalten Hand krampfhaft umspannt haltend.

Das Glück hatte ihn getötet.

Dieser Beklagenswerte war der Vater Josephas gewesen. Die inbrünstige Geldliebe hatte sie von ihm geerbt. Aber sie ging nicht ruhig umher wie er. Ihr Naturell hatte diese Schwäche zur Leidenschaft gesteigert, zum Geiz, der scharf wie ein Messer, spitz wie ein Dorn war. Sie schrie fortwährend gellend, als ob sie immer von Dieben umlagert sei, welche durch laute Rufe verscheucht werden müßten.

Nun war sie guter Hoffnung.

Dieser Zustand, der das »Wesen des Weibes ja stets so tief beeinflußt, machte ihren Geiz wilder, gieriger, rücksichtsloser.

Und ihr Mann, dem die Natur jede Körperkraft versagt hatte, unterwarf sich dieser Sucht.

Spannend, wie gewisse Raupenarten, schlich er umher, geräuschlos wie ein Reptil, mit süßlichen, lauernden Augen.

Wollte ja seine Kraftlosigkeit in Behagen umschlagen, so wirkte das laute Gekeif seines Weibes wie ein Rutenschlag, der seine dienstfertige Habgier zu neuem Regen brachte. Das waren dann Entschlüsse und Pläne, die sich geheim und kühl in seiner Seele wanden, wie die mageren Leiber hungriger Schlangen.

 

*  *  *

 

Der alte Franz ging geraden Wegs, an der Schnur seines unabänderlich gewordenen Entschlusses zu Kroner, dem Bauer.

»Gib mr a Lohn,« sagte er schlicht, »ich arbt heite nich mehr un verm Donnerstag kommende Woche rechn nie of mich.«

»Nu ja, du host jo a Sonntichkrom å. Warum dn gråde of a Donnerstag?«

»Nu 's rechnt sich besser, s is gråde de hålbe Woche,« antwortete Franz ausweichend. Dann aber, als schäme er sich seines Zagens, setzte er schnell und überlaut hinzu: »Mitwoche is mei Gebortstag, do werds andersch.«

.«Ja, du meenst met a Ullrich Leita?« warf Kroner zweifelnd hin.

»Jo, un met ållem.«

»Ha, Aler, wenns och wåhr wär. Verrechn dich åber nie!«

»Kroner! … Pauer! …«

Des Schindelmachers Worte klangen wie ein Ausbruch. Doch keine Wildheit verletzte die stete Ruhe seiner Haltung.

»Jo, jo,« begütigte Kroner, »ich genn drsch, ålle eim Dorfe … åber, åber … na, du best jo gefåßt, då … acht Mark sein?«

»Hm, hm!«

»Då sein se. – Un of a Denstag komm un hul dr a Gebortstagsgeschänke bei'n mr. – Ei Gots Nåma! Gut Glecke vir dr Hand, aler, guder Kalle!«

»Ich dank scheen. Ei Gots Nåma.«

So ging er. Kein Zweifel an dem Gelingen seines Vorhabens stieg in ihm auf.

Mit einem stillen Lächeln der Gewißheit schritt er wieder den Berg hinan.

 

*  *  *

 

Das Mittagessen war vorüber. Der alte Schindelmacher wischte sein Messer am Tisch von den Kartoffelresten rein, prüfte langsam mit dem Daumen die Schneide, sah forschend seinen Wirtsleuten ins Gesicht, sann wieder eine Weile, an der Schneide entlang schauend, ließ die Klinge dann scharf in die Schale schnappen, steckte das Messer in die Westentasche, schob das leere Geschirr von sich weg, stemmte entschlossen beide Ellbogen auf den Tisch und begann, indem er ein rauhes: »Na!« hervorstieß.

Ullrich und Josepha beobachteten belustigt das seltsame Betragen Franz', lachten dabei ruckweise durch die Nase, stießen sich unter dem Tisch mit den Füßen und saßen dann in komischem Ernst ganz still. Der Kleine zog, um Josepha seine Ueberlegenheit zu beweisen, seine Brauen bis in die halbe Stirn hinauf.

»Ihr seid jetze sieba Jahr ofm Berge,« setzte der Schindelmacher ein.

»Jach, nee, ma mecht går!« unterbrach ihn Ullrich in höhnischer Verwunderung.

» … ihr hått åber dås, wås … «

»Ullrich, lach och, lach, lach … hoho, hahaha!« gellte Josepha dazwischen und der magere Mann wieherte gehorsam hinterher.

»… nich wås ofm Någel do …«

»Zeig amol, wås De droffe host!« und Ullrich guckte auf die Hand des Alten.

Der Schindelmacher senkte stumm den Kopf. Sein Atem begann hörbar zu gehen.

»Manne is Sonntich, Seffla, da spiela de Hannig Mädla Popelmån,« füllte Ullrich die Pause aus.

»Hiels Maul – siehst des denn nie, dr ale Påthe werd glei flerrn,« verwies es ihm sein Weib und blies zum Zeichen ihrer Entrüstung beide Backen auf.

Nun hob der Alte seine Augen wieder. Sie waren leicht eingekniffen. Er fixierte beide sinnend und lächelte kalt und überlegen.

Seinen Plan ändernd, begann er wieder geschäftsmäßig. Aber seine Worte kamen, wie über ein Hindernis stolpernd, heraus: »Brengt amol a Kauf har!«

»A Kauf wil a. Lauf Mån! Mei allerschinster Got, Jesses, Jesses, a Kauf, a so wås zu drlaba. Mån schnell, hul a, schnell, schnell! Ich starb a noch vir Kommer.«

Das Weib rang die Hände, als komme die höchste Angst über sie.

»Jo, Weib, bale.«

Wie ein Ball flog Ullrich gegen die Wand hin, riß von dem dort angeschlagenen Brett eine alte, zerknitterte Zeitung und breitete sie vor dem Schindelmacher aus:

»Hier, Wohlgeboren, Herr Anton Franz vom Eschberge, Anteil Kaltenbach.«

Er drängte sich dienstfertig an den Alten heran und machte einen possierlichen Bückling nach dem anderen.

Franz riß hart das Knie zurück, welches Ullrich berührte. Seine Augen weiteten sich, brannten. Aus den Wülsten seiner niedrigen Stirn wich alles Blut. Alle Falten gruben sich tiefer. Aber er bezwang sich mit Gewalt.

»Is dås werklich dr Kauf, Ullrich?« frug er, und seine Stimme ward leise.

»Ju, Härr,« nickte der Gefragte in blöder Treuherzigkeit.

»Is dås dr Kauf?«

Seine Frage kam mit einem vibrierenden Hauchen hervor.

»Ju – Härr – Mån –« stotterte in beginnender Furcht Ullrich und suchte an ihm vorbeizuschlüpfen.

Aber Franz packte ihn am Genick.

»Is dås der Kauf, Perschla? – Du?«

Nun hatte seine Wut die Banden der Geduld zersprengt. Wie zwischen aufeinanderreibenden Steinen wurden die Worte laut: dumpf, knirschend.

Der Kleine machte zappelnde Bewegungen, aus der Faust des Alten sich loszuwinden. In Bangen starrte er in seine furchtbaren Augen und schrie, wie seiner Sinne nicht mehr mächtig, irr: »Ju – Mån – dr Kauf – ju – ju … hach – – Seffla … «

Voll Ekel schleuderte der Alte Ullrich wie ein Ungeziefer aus der Hand, daß er in die Stubenecke an das Topfbrett flog. Eine Schüssel fiel von dem Stoß auf den Boden und zerbrach. –

Nun erkannte Josepha den furchtbaren Ernst, riß sich von ihrem Platze los und wollte zur Thür hinaus.

Der Alte vertrat ihr den Weg: »Hier bleibst de. Wer is schuld, dåß s aso komma mußte? – Spielt met wem ihr wellt, met mir nemme!«

Ullrich hatte sich unterdes wieder auf die Beine gearbeitet. Seine Lippen flogen vor Zorn, seine Stirn war bleich wie Porzellan, die Augen flackerten. Hin und wieder fuhr er, wie zur Begründung seiner Wut, ans Knie und stieß einen stöhnenden Fluch aus.

Des Mannes Feigheit brachte Josepha in ekstatische Wut:

»Of de Frässe mecht ich dich schmeißa, elendes Gestecke! Da, was suchst de noch? – De Scherba nim und zerreiß dem ala Rendviehche de Lårve!«

Mit Fäusten drang sie auf den Furchtsamen ein.

Franz schob sie weg.

»Stelle seidr beede,« sprach er drohend, schritt zum Tisch und warf sein Geld auf die Platte. »Hier! – sein acht Mark.«

»Das kunnst de bale sän,« sprach Josepha schnell begütigt und warf dem Kleinen hinter dem Rücken des Alten einen Blick zu, der soviel sagte als: Du håst doch recht, a håt a Wåhnsenn, und – an den Tisch herantretend, setzte sie hinzu:

»Do brauchst de a Mån nie ufzuschmeißa. – … ees, zwee, dreie,« begann sie nach einer Weile zu zählen, indem sie mit dem Zeigefinger auf die Geldstücke tippte, »s stimmt!« und wollte den Betrag einstreichen, weil sie allen Ernstes annahm, »der Bamåffe« sei so verwirrt, daß er sich anschicke, seine Härte auf diese Weise abzubitten.

Aber Franz schob ihre gierige Hand weg und sah sie kopfschüttelnd an.

»Halt! a su meen ichs nie, tommes Weib!«

Dann reckte er sich zu seiner ganzen Größe auf. Ein tiefer, heiliger Ernst senkte sich wie ein Schleier über die groben Züge seines Gesichtes. So ehrfurchtgebietend sehen nackte Felsenberge aus, wenn der Abend seine ersten Sonnennebel über die stumme Herbheit ihrer Schrunden stäubt.

Und die steingrauen Falten begannen mit mürrischer Feierlichkeit:

»Der Geizige is auch ein Saufsack: sei Schnåps is es Geld. Dås brengt ihn em a Verstand. –

Hätt ich dir mei Wertschoftla nie verschrieba, s kennde senn, du häst noch ålle Femfe åls Hofemäd un der åls Ochsa – kalle.«

Die so Beschimpften rührten sich grimmig. Aber Franz beschwichtigte sie und setzte fort:

»Gut, gut! – s is verbei … verbei …«

Da, ohne daß er es wollte, ging ihm die Stimme aus. Eine nicht zu besiegende Schwäche, die Scham des Toren, kam über ihn aus diesem Gedanken. Nur einen Moment. Dann aber, an dem Stabe seiner wiedergeborenen Innenkraft richtete er sich auf:

»Die acht Mark senn vier Tage, der heit'ge Sennobnd mitgerechnet. Denstag sein se ålle. Bis dat hie ga ich dr Zeit, Seffla. Mach alls ei Ordnung ei meim Stiebla, de Diela wåsch mr, de Ueberzüge, a Stab vo a Wända, de Spennweba vo a Fenstern, mei Wäsche mach reen.

s muß andersch wrn, ålls, ålls, ålls!

Ich hå geschlofa – wår gestårba – hå getraumt … … wås weß ich? – ich seh zurecke, denn mr hån ach ennwige Aja, do leits wie ein nebliger Pusch, wie ein dompiger Kaler – – un då – – – wach ich uf, un seh mich em: Da lieg ich aler Esel ei der Ecke ofm Kehrichte. –

Ålls gieht ruf un 'nunder … … aber dennoch … … amol … Mitwoche is mei Gebortstag … dat muß sichs ändern … muß? … muß?! … mu – u – ß!!«

In Absätzen hatte der Schindelmacher gesprochen; anfangs stotternd; dann zitternd, im Schwung seiner letzten Sehnsucht.

Nun sah er, erschüttert von dem Bekenntnis seiner verzweifelten Lage, die beiden prüfend an. Er bebte in Spannung, gleich einem unheilbaren Kranken, der seine letzte Zuflucht zum Gift genommen hat und nun mit großen, erschrockenen Augen im Bett sitzt und mit klopfendem Herzen auf die Wirkung wartet.

Ullrich und Josepha aber hatten Herzen, die längst unter der unverwandten Selbstsucht erkaltet waren. Mit Hohn auf ihren betretenen Gesichtern, so erwiderten sie das Forschen seines Blickes. Ihre Seelen blieben abgekehrt.

Darum begann er, von dem hartnäckigen Widerstand der beiden eingeschüchtert, in die demütigbittende Art verfallend:

»Siehch, Seffla – Ullrich – Kender seid'r geger mir – – ich bitt eich, seid gut geger mich. Behandelt mich nie wie en Lumps. Jetze setzt der Zank und Streit of dr Schwelle. Wås kån dn nie's Lacha aus- un eigiehn. Seht, wie wårsch frieher … als de Gatte …

Er brach stockend ab, ohnmächtig. Sein Gesicht ward im Schreck schlaff.

Das Weib lächelte erleichtert: er is doch erre.

Der Alte stierte in seine Ratlosigkeit: oh! es is ålls emsonst; sie lacha dich noch aus.

Einen Moment nur. Dann kam Wildheit über ihn.

»Hm m m …« ein kochendes Brummen. »Ha!« riß er in verzweiflungsvoller Wut den Kopf herauf, »Verflucht! – Gott strof mich nie – de Peitsche wellt ihr, wie Hunde. Gut, de Peitsche selld r hån. – Bis zum Denstage komm ich in das Haus nemme. Drnoch, is datt nie ålls wie ich gesät hå … seht eich de Scherba a of dr Diele, aso werd alls, so wahr ich Franz Tone heeß.«

Mit zitternder Hand strich er das Geld vom Tische und ging ohne Gruß mit donnernden Schritten hinaus.

»Er is verreckt,« lachte das Weib hinterher.

»Nu, wie ich säte,« bestätigte Ullrich mit Genugthuung.

 

*  *  *

 

Oberhalb des Hauses, dort, wo in der Wiese die ersten Sträucher des Waldes standen, hockten in regungsloser, ewiger Plumpheit drei Felsblöcke. Zwei kleinere rechts und links, ein großer in der Mitte. Ihre grauen Leiber, aus deren tiefen Rissen Moos und da und dort selbst Büschel eines feinhalmigen Grases hingen, steckten tief in dem Erdboden.

Auf den größeren zu lenkte der Schindelmacher seine Schritte. Am Fuße desselben stand er, wie überlegend, still. Es war ihm, als habe ein brutaler, unvorhergesehener Stoß seine Gedanken getroffen und von der geraden Straße seines Planes hinabgeschleudert, daß sie weder das alte, sichere Tempo, noch die alte Richtung wiederfinden konnten. Er wußte gar nicht, warum er an dem Steine stehe, daran hinaufgucke und warte. Doch … … doch ein traumhaft aufgetauchter Drang hatte ihn hierher getrieben: Dann würde etwas herabkommen auf ihn. So stand er und wartete. Aber es kam nicht.

Darum kletterte er hinauf und setzte sich so zurecht, daß das ganze wellige Flachland drunten vor ihm lag. Und er wartete … aber es kam nicht mehr über ihn.

Mit weichen, freundlichen Worten hatte er seinen Wirtsleuten alles sagen wollen. Die Erfüllung hatte er vorempfunden wie die süße Seligkeit eines Marienliedes. Diese Wildheit aber, zu welcher ihn der Spott seiner Wirtsleute aufgepeitscht hatte, sah er nun an wie die Bestätigung des Mißlingens.

Und dann diese zornbleichen Gesichter mit dem geheimen Hohne! Dies leise stechende Lachen des Kleinen, welches er verschwommen hinter sich hatte aufklingen hören!

Noch standen seine inneren Bilder fest; aber er fühlte einen Wirbel ihnen nahen, es legte sich wie ein erschöpfter Schleier über sie, eine kranke Glut, die alles zitternd umfloß, daß die Umrisse seiner Gedanken und Hoffnungen verschwammen.

»Ach nee,« tröstete er sich, »dås is bloß de Hetze,« und blieb und wartete.

Die Sonnenglut stieg gegen die dritte Nachmittagsstunde noch. Ihn dürstete: er blieb sitzen.

Heimkehrende Steinmetzen riefen ihm zu: er gab sich den Anschein, als schlafe er, und rührte sich nicht.

Mit inbrünstiger Ausdauer überwand er den Hunger. Hoffend sah er die Schatten des Abends sich in den Thälern einnisten. Erst das süßvertraute Abendgeläut der Glocken trug eine trügerische Beruhigung in sein flutend gewordenes Innere.

Schnell verließ er den erhöhten Ruhesitz. Er spürte, daß es ihm unmöglich sei, einen Blick auf das einsame Haus unter der Fichte zu werfen. Dann konnte jenes Wanken wieder in ihm beginnen.

Darum, fluchtartig, mit eilendem Schritt, rettete er den Schatz schwacher Gewißheit ins Thal.


 << zurück weiter >>