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IV.

Aber am folgenden Morgen war es anders.

Schon hatte das Avegeläut in den Thälern ausgeklungen. Die Axt der Holzmacher pochte schon aus dem nahen Walde. Selbst der alte Hannig saß schon auf der Bank vor dem Hause und blinzelte in die Sonne.

Aus der Stube des Schindelmachers drang noch kein Laut.

»Ullrich, gieh amol un horch å dr Tiere, es riehrt sich noch nischt eim Stibla,« sagte das Weib zu dem Kleinen.

Er ging. Nach einer Weile kam er zurück und schüttelte den Kopf, indem ein vergnügtes Lächeln die magere Haut über seinem spitzen Gesicht in fadenscharfe Falten spannte:

»Seffla, wås meenst de, wenn a tot wär?«

»Gieh und siehch glei orndtlich, Gustla, gieh. A thåt mr schon gestern aso komsch.«

In glücklicher Ungeduld sprudelte das Weib diese Worte auf den Kleinen, der sich in gehobener Stimmung abermals auf den Weg machte.

Leise drückte er die Thür auf und spähte mit langem Hals in die Stube des Ausgedingers.

Das Weib war zu ihm getreten und schaute mit gespannter Neugier über seine Achseln in den kleinen Raum.

Franz lag regungslos auf dem Rücken in seinem Bett. Seine Augen starrten nach der Decke hin. Wie ein Toter sah er aus. Nur um seine Lippen spielte eine lebendige, verwunderte Freude.

Der Kleine stutzte.

»No, wås siehst n Mån?« frug Josepha ungeduldig, schob Ullrich beiseite und polterte über die Schwelle. Da schrak der Alte in die Höh und sah enttäuscht auf die beiden.

»Hä, hä,« wandte sich das Weib höhnisch zu ihrem Manne, »dås war mr eener zum Sterba. Eh der ni de letzte Schendel vom Dache gefrassa hot, leet a sich nie hin. Der is grundglupsch, den kenn ich besser.«

Ullrich ward blaß. Sein stummes Lächeln war häßlich. Mit leise bebenden Worten antwortete er:

»Nä, Seffla, der sterbt nie, der verfault bei lebendigem Leibe. – Gell, Tone, dås werscht de macha. – A fengt jo schon a, rich, wies stinkt. Pfui Teifel!« und spuckte aus.

Wieder war es das Gift dieser süßlichen Stimme, das den Alten ganz zu sich brachte.

»Gieht, gieht, ich komm glei,« antwortete er schüchtern und drehte sich gegen die Wand.

»Un schnell, Ullrich hot keene Zeit. Du sollst de Katoffan emfåhrn,« gebot ihm hart das Weib im Abgehen. Dann fiel hinter den beiden die Thür laut ins Schloß und Franz stieg behutsam aus dem Bett.

Sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit an, als er sich allein sah. Im Ankleiden hielt er einigemal inne und sann vor sich hin.

»Wås wår dås ei dr Nacht?« frug er sich und schüttelte den Kopf.

Dann sah er unter das Bett: ein paar schmutzige Hemden, alte Schuhe und Stiefeln an denen große Krusten trocknen Kothes klebten.

»Dås leeft nie,« überlegte er.

Er klopfte da und dort prüfend an die Wand und untersuchte, ob alle Fenster geschlossen seien.

Er fand nichts Verdächtiges. Trotzdem stand es in ihm fest, daß heute nacht etwas geschehen sei.

Er erinnerte sich greifbar deutlich an alles, besonders daran, wie er im Bett gesessen und das Stille, Schwarze angesehen hatte und wie etwas Unnennbares aus ihm durch den starren Blick seines Auges in dasselbe hineingeflossen war, eine stille Erleichterung zurücklassend. Der Krampf einer inneren Verknotung hatte sich gelöst und sein Wesen war in erschöpftem Aufatmen ins Breite geflossen.

So war er eingeschlafen, so war er erwacht.

Schon spielte der Morgensonnenstrahl mit dem Staub seines Stübchens, als er seine Augen öffnete. Er that es mit Wohlbehagen. Als ob er im Schlaf ein kräftiges Essen zu sich genommen habe, so behaglich war ihm beim Aufstehen. Seine Seele hatte Wurzeln bekommen. Wie auf breiter, fester Unterlage dehnte er sich.

Und alles das hatte ihm der stille Schatten gebracht, der nächtlich an ihm vorübergewandelt war.

Gerüttelt hatte es ihn auch, fiel ihm ein, wachgerüttelt …

Jetzt, da er stand und darüber nachsann, kam ihm der Gedanke, daß er in der Nacht aufgestanden sei.

Allein, er hatte doch so tief und fest geschlafen!

Wie konnte ihm so etwas in den Sinn kommen: fest geschlafen zu haben und dabei aufgestanden sein.

Doch je leidenschaftlicher er den rätselhaften Widerspruch verwarf, desto hartnäckiger kehrte er wieder.

»Ich wer a wing ei de Sonne sehn, då werds vergiehn,« dachte er und schaute angestrengt ins Licht hinaus, indem er sich bemühte, auf irgend etwas seine ganze Aufmerksamkeit zu lenken. Allein dieser widersinnige Gedanke verdrängte jede Wahrnehmung und beherrschte hartnäckig sein Bewußtsein. Eigentlich war es kein Gedanke; es war mehr ein Zustand, der scharf umrissen, gleich einem Begriff ihn erfüllte. Aber er war doch nicht stetig: er wandelte sich ab, floh, drang an; zerfloß zu einem zitternd leichten Licht in dem Gefüge seiner Seele, schloß sich zusammen, wie ein befreiender Plan. In all seinen Veränderungen blieben seine äußeren Grenzen scharf und klar, und sein ganzes Wesen dehnte sich in ihnen so sicher und still, wie er es schon lange nicht gefühlt hatte.

Jetzt eben schwebte es wieder herbei und doch aus einem lebendigen Regen in ihm, und er empfand es wie hüpfende Wellen eines schnellen Bergwassers, wie goldgleißende Staubkörnchen, die leicht zum Tanze aufstehn … also doch: aufgestanden. Alle diese Vorgänge waren einem geheimen Verstehen so ganz klar und dem wachen Verstände des Alten so unbegreiflich, daß eine heiße Beängstigung über ihn kam.

Alte Leute werden manchmal verrückt! – Mit bebender Hand strich er sich die grauen Haare hinter die Ohren. Vielleicht war er es schon! – –

Voll Schreck öffnete er die Weste, welche er eben zugeknöpft hatte, wieder, riß sein schmutziges Hemd auseinander und starrte auf die behaarte, mächtige Brust:

»Dås sein Hååre,« sann er, »då und dort eene groë, und då åm Maja stißt der Odem rauß un rei. – – A Verrecktes weß dås doch nemme.«

»Gutt, gutt,« murmelte er nun befriedigt, wandte sich und verließ mit festen Schritten sein Stübchen.

Als er aber die Wohnung seiner Wirtsleute betrat, den dumpfen Geruch gekochter Rüben atmete, des Weibes widerlich gellende Stimme hörte und den mageren Mann mit behutsamen Schritten wie eine Spinne umherschleichen sah, kam die alte Schlaffheit über ihn. Er setzte sich wie immer leise an den Tisch, langte sich zaghaft eine Kartoffel aus der Schüssel und schnitt sich schüchtern ein kleines Stück Butter auf seine Brotschnitte.

Allein in ihm lag doch nicht eine solche vollständige Kraftlosigkeit wie sonst. Eine Unruhe lebte da fort, eine aufstehende Bitterkeit.

»Mån, Du machst jo heite ein Gesechte wie ein zertratner Låtscha,« höhnte der Kleine, der sich auch, ihm gegenüber, an den Tisch gesetzt hatte.

»Lach du meintswegen, wenn de kannst,« brauste das »Auferstandene« rauh-trotzig aus seiner Seelentiefe, ganz gegen seinen Willen, der noch stumpf und ruhend in ihm lag.

»Na nu?«

Der Kleine prallte vor diesem natürlichen Zorn des Alten wie vor etwas Unerhörtem zurück.

Aber als er den Mut wiederfand, den Ausgedinger scharf, forschend anzusehen, saß schon wieder der müde Alte von immer ihm gegenüber.

Ein schwach zuckendes Beben war alles, was das geheim erwachte Leben in die tiefen Falten seines groben Gesichts warf.

Das gab dem Zwerg seine schneidende Härte zurück.

Nach einem kurzen lauernden Brüten stieß er kochend heraus: »Jetzt sieh'ch, daß de de Kühe rausnemmst!«

Plump-willig wie ein frommer Stier erhob sich Franz und trottete hinaus.

»Ich wer dich kuranza!« rief in wilder Kühnheit Ullrich hinter seinem breiten Rücken her.


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