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III.

In derselben Nacht wachte er plötzlich auf und war ganz munter.

Er fühlte sich an die rechte Achsel, denn dort spürte er noch den Druck der Hand, welche ihn gerüttelt hatte, daß er aus seinem leeren Schlafe jäh aufgefahren war.

»Wer is då?« frug er in das Dunkel, in welchem der Schein des späten Mondes wie ein phosphoreszierender Schleier lag.

Nichts.

»Wer?« wiederholte er dringender und richtete sich im Bette halb auf.

Dann starrte er lange mit weiten Augen bohrend in die zitternde Stille.

Je länger er so dasaß und sich bemühte, desto quälender ward ihm die Gewißheit, daß er in einer unendlichen, schwarzen Weite verlassen und verloren kaure, in die kein Licht, keine Hilfe dringen könne. Alles Menschenlebendige zum Errufen zu fern.

»Alleene, ganz alleene, ich, bloß ich,« sann er leer vor sich hin in träger Dumpfheit.

Aber es war doch keine Täuschung gewesen, daß ihn etwas geweckt hatte aus seiner Nacht, denn in sich fühlte er ein gespanntes Hinhorchen nach irgend etwas.

»Verleicht dreckts r s Herze ab un do is se komma un håt mich geweckt weils Zeit is.«

Sein Haupt fiel ihm auf die Brust. Er zog die Knie herauf und ließ seine Seele in diesen Gedanken hineinstieren wie in einen tiefen Born, regungslos und doch in einem kalten Krampf.

Aber er fand nichts, kein Ende, keinen Entschluß.

Nach Langem sank es wieder still in ihn wie Schnee aus wolkenschweren Weiten:

»Wer sällds sein? – Wen hätt' ich eim Himmel un of dr Arde, ders gut mit mr meent?« –

Aber den Namen seines toten Weibes behielt er als geheimes Wissen für sich. Denn er fürchtete, dadurch den Geist zu verscheuchen, den er nun immer deutlicher um sich fühlte.

Behutsam legte er sich wieder hin, horchte und wagte nicht, sich zu rühren.

»Wenns wåhr is, kemmts drei mol,« dachte er und spürte wie Erwartung seine Brust einschnürte.

Sein Blut brauste vor den Ohren wie ein meilenferner Wald.

Glitt da nicht etwas an der Wand hin, leise wie ein streichendes Kleid? – – – – Ja! – – – und die Schritte? – – – nein! – – – doch! – – – wie wenn ein schwacher Wind ein dürres Blatt über den Boden rollt – ein leises Picken – – dazwischen ein huschendes Schleifen – am Tisch vorbei – weiter nach dem Ende des Bettes hin – peinigend – langsam.

Mit weiten Augen folgt er der Richtung der geheimnisvollen Laute.

Es weht wahrhaftig hin, kaum wahrnehmbar, und doch unterscheidet es nun auch sein Blick genau, je länger er ihm folgt: im eintönigen, zitternden Grau um ihn, etwas schwarzes, ohne Arme, ohne Beine, ohne Kopf, massig wie eine Wand.

In den stillen Bewegungen aber liegt doch die Gravität eines gebietenden Wesens und jetzt wo ein schwebendes Neigen über dasselbe kommt, spürt er wie sein Tiefstes in ihm wie stammelnd sich auf die Knie wirft.

»Nichts, nichts,« beschwichtigt er sich und fühlt doch, wie sein Inneres sich aufthut, als wolle er den unbeschreiblichen Schatten in sich saugen in eiskaltem Hunger.

Da steht es endlich still an seinem Bettrande, ein Abgrund in der Luft, unbeweglich.

Gebannt schaut er hinein; ganz machtlos; voll Qual. Er fühlt, wie etwas Unnennbares durch den zitternd stehenden Strahl seines Auges dort hineinfließt in das düster Wartende.

Das kommt aus den heiligsten Weiten seiner Seele. Mit weichschattenden Flügeln der Nachtvögel weicht es, wie eine Wolke von dem glänzenden Spiegel eines Kinderauges, so schwindet es. Hinter ihm thut sich eine blasse Fläche auf mit einem lichtzitternden, unendlichen Horizont. In den angstvollen Hallen seines sichtbaren Fühlens, aber hob sich, schwach und schlaff, ein Wunsch nach Hilfe.

Dann ist die Erscheinung vorüber und die Nacht hat ihn aufgesogen, ganz, ohne Rest, selbst kein unruhiger Traum bleibt übrig.

 

*  *  *

 

Ein Ruf, der todmüde in eine leere Weite sich verliert, ohne ein Echo zu wecken, war das Leben des alten Schindelmachers nach dem Tode seines Weibes.

Er sehnte sich nicht nach ihr, damit seine Tage bunt um ihn hüpfen sollten. Er verlangte nach ihr, wie der gefällte Baum nach der Wurzel.

Aber es war kein formenreiches, vielgestaltiges Verlangen. Wie ein schwerer, regungsloser Nebel lastete es über ihm, daß seine Jahre hingingen, gleich gepreßten Atemzügen, die weder kräftigen, noch entlasten.

Zwecklos wie der Wind wandelte er umher.

Wie der Waldbaum fühllos die dürren Nadeln fallen läßt, sanken die Gedanken aus seiner Seele.

Seine Träume selbst verödeten.

Zuletzt waren es nur noch träge durcheinanderwogende Wände, lebenslose Rufe, leere Geräusche, lastende Berge, dumpfe Flucht, sinnlose Angst.

Mißmutig ging er zu Bett.

Sein Aufstehen war eine Flucht.

Oft lehnte er lange vor Tagesanbruch schon angekleidet am Fenster und sah sehnsüchtig nach dem Walde hinauf. Wenn dann der erste, gelbe Strich über dem Berge aufglomm, kam das Gefühl der Sicherheit in ihn.


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