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V.

Das große Haus hatte am Hochzeitstage gejauchzt mit den Geigen der Musikanten, mit dem hüpfenden Lachen der jungen Mädchen, mit den tiefen, breiten Lauten aus froher Männerbrust.

Dann war in tiefer Nacht, ohne erkennbaren Grund, eine unfreundliche Müdigkeit über das Gebäude gekommen.

Die nüchternen Gäste fühlten sie, erhoben sich eilig von ihren Plätzen und wünschten dem Brautpaare eine gute Nacht, wobei die Männer laut lachten und von den Weibern deshalb auf den Rücken geschlagen wurden. Die jungen Mädchen aber stahlen sich mit roten Wangen hinweg. Um zwei Uhr schwankten die letzten Trunkenen, der Sicherheit halber zu einem großen Trupp verknotet, aus dem Hausthor auf die Straße und begannen sofort zu singen:

»Morgenrot, Morgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod.«

Das Haus ächzte eine Weile mit den verrosteten Angeln seiner Thore ärgerlich dazu, dann sank es im Morgengrauen lauschend über das junge Paar.

*  *  *

Die Marsel-Bäckerin hatte ihrer Tochter durchaus eine Aussteuer geben wollen. Aber auf Griebels Bitten war es dann unterblieben.

»Ich håb vor ålls vul. Wo sellde ich 's 'n hinstella? Iberål hot's multum viel genung. Hiel drsch. Wås amål ibrich bleit, is uns doch nie verlorn.«

So hatte Leonore nichts, was ihr die Eingewöhnung leicht machte. Kein leises Lied tönte durch bekannte Geräte aus ihrer Vergangenheit herüber und verband so ihr neues mit dem alten Leben. Als habe sie eine Kluft übersprungen, kam sie sich vor. Ganz zaghaft und unsicher war sie in der Fülle und Wohlhabenheit, deren Herrin sie nun sein sollte. – Dazu hatte sie ihr früheres Leben nie mit dem Ernst und der Aufmerksamkeit gelebt, die von innen kommen. Alle Jahre ihrer Bewußtheit waren gleichsam nur mit Gesten angefüllt. Keine Verpflichtung für die Zukunft lag in ihnen, als nur der Zwang der Gravitation äußerer Bewegungen. Und diese hatten in ihrem kleinen, engen Mutterhause den Schein einer gewissen Innerlichkeit angenommen. Nun aber war es, als gehe ihrer Gelenkigkeit der Atem aus.

Ganz ratlos saß sie da.

Es war den dritten Morgen beim Frühkaffee.

Ihr Mann frug sie:

»Nu, Lorla, best 'n gestern drieba gewast ei a Stuba?«

»Nein.«

»I – – ja nun – – warum dn nie, he?«

»Ich mag nich, ich ... e ... getrau mich nich. Es is als ob ich mich fürchte.«

»Warum sprichst 'n ›fürchte‹? Warum denn nie ferchte? – Du best doch nie ei dr Kerche un ach nie ei dr Schule.«

»Dås is auch drvo ... ...

Du warscht lacha ... hörst du? ... lacha ... hier ... spürst du nich, das geht nich. – Das is alles zu groß, zu scheen, zu, zu, ... ich kann drsch nich sän. –

Siehste Joseph, hier kännte ich beten überall; in der Stube und in der da drinne.«

Der Kaffeelöffel, den sie in der Hand hielt, zitterte, so erregt war sie durch die Worte, welche aus ihrer Furcht und Ratlosigkeit heraufklangen. Sie sah eine Weile unbeweglich vor sich hin und als sie dann ihr Gesicht erhob, blieb das rechte Auge starr in fremder Richtung stehen, von dem kraftlosen Lide nur halb geschlossen.

»Da wärsch jå grade, åls wenns wåhr wär, dåß ei unsm Hause umgieht.«

»Umgieht ... umgeht! ach nu, das nich! aber durch den langen, finstern, hohchen Flur ...« unwillkürlich dehnte sie jedes Wort wie feierlich singend.

»Ach wås, Gemare!«

»Gemare?«

»Nu, Lorla.«

»Sprich nie Lorla.«

»Is nie hibsch?«

»Lore is auch nich hibsch; åber Lorla? nein! Geh amal und sags zur Thire naus, im Flur ahinder; da wirscht 's spieren. – Als wenn eens mit Holzlatschen klufft ... ja, wahrhaftig klufft, a so is.«

»Ach, Lore oder Lorla, doas is doch egal.«

»Aber, wenn ich dich bitt!?«

»Nu, Jesses och a, meinswejen; då komm. Mir sein fertich met 'm Friesticke. Då wer ich amål iberål hin met dr giehn, ehb ich ei de Werkstelle muß.«

Einige Schritte ging sie auf dem Flur vor ihm her mit ihrem zuckenden Trippeln und der zierlichen Beweglichkeit ihres schmalen Leibes. Plötzlich wandte sie, stehenbleibend, sich um.

»Nein geh du zuerscht, Joseph.«

»'s is breet genung, mir kenna auch neber nander giehn.«

»Nein, geh zum voraus.«

Und nun stand sie hinter seinem breiten Rücken, der sich nun mit der gleichmäßigen Gravität der kurzen, dicken Beine, in rundem, ruhigen Wiegen vor ihr hinschob. Sein breiter Schatten strich fest und sicher neben ihm an der hohen Wand hin. Dann stieg er ruckend, wie eine gewichtige Last, vor ihr die Treppe hinauf. Es war ihr eigentümlich. Sie sah nur immer auf den großen herrischen Schatten ihres Mannes und dann auf den dünnen, zitternd-hinhuschenden Strich, den ihr Leib warf. Es kam ihr unbegreiflich vor, wie jemand in diesem großen, ernsten, geheimnisvollen Hause sich so sicher und selbstverständlich bewegen könne. Aber sie sagte nichts, weil sie fürchtete, ihr Mann werde sie auslachen oder ungehalten sein.

So blieb die geheime Verwunderung zeugend in ihr.

Dann gingen sie von Stube zu Stube. Es waren vier, je zwei durch eine breite Thür verbunden, deren weißer Anstrich schon den gelblichen, anheimelnden Ton des Alters besaß.

Alle Räume waren mit Möbeln angefüllt: große, protzige, breite Schränke aus Mahagoni; niedrige lange Sofas, mit braunem Leder überzogen; steiflehnige Polsterbänke mit blumigem, verblichenem Überzug; hohe und würdige Spiegel; lange Tafeln; runde und eckige Tische und Tischchen; Betten, deren Federfülle bis an die halbe Wand reichte. Überall standen alte Krüge, Vasen und Gläser. Alles war mehr aufgestapelt als geordnet, wie im Speicher eines Einrichtungsgeschäfts. Deswegen machte der Reichtum einen stumpfschweren Eindruck. Die leere Freude am Besitz hatte alles aufgehäuft.

Leonore wand sich scheu an all diesen Sachen vorüber und wenn ihr Mann mit einem Blick, der zur Bewundrung aufforderte, stehen blieb, so fühlte sie zaghaft mit den Fingern auf das Gerät und flüsterte: »Ach!« – »Nein aber!« – »Nein, nein!«

Die letzte Stube war verschlossen. Als Joseph sie öffnete, drang ein muffiger Dunst, eine schwere Stickluft daraus hervor.

Beide blieben auf der Schwelle stehen, der Tuchmacher mit einer komischen Ehrfurcht auf seinem feisten Gesicht.

»Nu?« frug er nach einem langen Stillschweigen in gekränktem Tone.

»Was is n das!« begann Leonore gehorsam, ein wenig verwirrt über diesen Vorwurf.

»Dås stammt vo meinem Urururgrußvater aus 'm sechzehnten Jahrhundert. Der håt dås Haus gebaut. Er wår Ratsherr un a so går Borjemeester vo Altenrode.«

Leonore betrachtete nun alles genauer. Es waren abgegriffene, alte Stücke, von Würmern arg mitgenommen, der Überzug auf Sofa und Stühlen blaß und äußerst zerschlissen.

»Vo dat aus gehärt dås Haus zo unser Familje.«

»Eim sechzehnten Jahrhundert,« redete Leonore mit einem eigentümlichen Tiefton und schüttelte voll Verwunderung den blonden Kopf. Sie hatte nur halb auf die Worte ihres Mannes gehört. Der Laut ihrer Stimme klang aus der Ferne ihres Inneren, von einer heimlich-sympathischen Macht hervorgebracht. Und je länger sie auf die alte Einrichtung hinsah, um so mehr ward ihr alles zu einer märchenhaften Geschichte, die sie einmal gewußt in früher Kindheit und lange vergessen hatte, lange ... lange ...

»... lange«, murmelten ihre Lippen halblaut. Der Mann dachte, es sei eine Antwort auf seine Worte, sagte ein gewichtiges »Jaja!« schloß die Thür wieder zu und geleitete sie hinaus auf den Flur.

»Då driba,« wies er quer über den Flur auf eine Reihe von Thüren, »is de Wolle, de Farbe, de Zuthåt un de fertige Wåre – komm!«

»Nein zeig mr das ein andermal!« sagte sie gereizt.

Sie waren den Flur hingeschritten und an der Bodenstiege angekommen, die in ihn mündete. Ein dämmeriger Schatten floß herunter.

Als Joseph sie hinaufführen wollte, wehrte sie ängstlich: »Nein, Joseph, nein!«

»Na, komm auch schonn, kindsche Liese. Dås frißt dich nie uf. Ich bin jo derbeine.«

»Nein, heite nie, ein andermal.«

»Nu, do sieh 'ch åch wingste amål nuf.«

Und sie that einen scheuen Blick in den halbdunklen Raum.

»Då håt' ei Kista und Kåsta noch viel ales Gelumpe,« sagte er geschmeichelt und wandte sich zum Abstieg.

*  *  *

Aber dieser Rundgang nützte sie doch auch nichts. Sie kam nicht zur Herrschaft über ihre neue Lage. Noch immer ängstigte sie die Höhe und der Reichtum der Räume; die geraden, breiten Fluchten, die jeden spielenden Verkehr zurückwiesen; das kollernde, lange Echo, das jeder laute Schall wachrief und das dann beunruhigend bis in die fernste Zeit ihres Innern zurücklief, sich aber nie friedlich verlor, sondern die Aufgeregtheit bis in die Weiten ihrer raumlosen Seele trug.

Und ihre Unruhe wuchs. Ihr Trippeln ward noch kürzer, ihre Stimme in der Tiefe ihres Klanges wie eingezwängt.

»Wås sol ich doch macha, Mutter!« frug sie bekümmert in der kleinen, niedrigen Stube, wo sie den Mut zum unverfälschten Dialekt wiederfand. »Ålls is a so fremde, un gruß un weit. s liegt mr wie Blei ei a Bän'n. Åm liebsta mecht ich mich hinsetza un senna, a so recht eis Bloë nei.«

»Ich weß schon wie de bst, 'Mädl. Gell ock, de Hände of de Scherze un trama, wie de's åls Kend gemacht håst. –Dat werds eim Leben nie besser. A so wås zwiogt ma åm Besta mit'm Besm, mit'm Håder, ei dr Kechascherze un de Röcke rufgeschwänzt. – Un ds wil ich dr noch sagen: Verdirb der deinen Mån nich. Auf Händen mußt du den tragn wejen dem Glecke, dåß er dich armes Ding genumma håt.«

Nun erfüllte Leonore das Haus mit ihrem lauten Fleiße und brachte durch ihre eiligen Bewegungen Leben in die stillen, ernsten Räume. Sie durchmaß sie mit ihrer äußeren Kraft und drang mutig in die geheimsten Winkel. So ward ihr alles nach und nach bekannt. Allein, wenn sie dann still saß nach der Arbeit, so hatte sie doch die Empfindung, als sei sie nur fluchtartig durch alles hingeeilt und eine wollüstige Furcht überkam sie, daß sie seiner hemmenden Gewalt entgangen sei. Diesem regungslosen, fremden Bann entronnen, trank sie in tiefen Zügen die Wunder ihrer Persönlichkeit. Als ob, von lästigem Zwange befreit, etwas unwiderstehlich und doch mit zitternder Scheu aus ihr herauswachsen wolle, ganz, ganz hoch und breit in wunderbaren Farben, mit wallenden, schönen Tönen.

Dann heftete sie wohl gespannt den Blick auf die Thür, die bald aufgehen und das Überraschende hereinlassen müsse.

In einem solchen Moment fiel ihr plötzlich ein Kinderliedchen ein, das sie als ganz kleines Mädchen gelernt hatte. Sie sang es mit ihrer dünnen, weichen Vogelstimme, anfangs noch schüchtern, dann immer tiefer und voller, recht aus innerster Seele heraus, zuletzt ganz lang hinvibrierend.

Solange der Ton wiederzitterte in der stehenden Luft um sie, war ihr heimlich. Allein jener blinde, große Drang, der sie wie innerlich auseinanderspannte, kam doch wieder. Eine tiefe, geheimnisvolle Pein erfüllte sie, gegen die sie sich nur wehren konnte mit dem fiebernden Regen ihrer Glieder, als mache sie dadurch die fühlende Wand, gegen die es von innen drängend anwuchs, stumpf, empfindungslos.

Ihr Mann aber sah in ihrem Ringen nichts als die häusliche Tüchtigkeit. Sein Schritt wurde noch behaglicher und länger; er trug sein großes Haupt noch stolzer und saß noch breiter in sicherer Herrschaft.

In ihrer Ratlosigkeit drängte sich Leonore dicht an ihn, in den ruhigen Schatten seines breiten Wesens.

Die gleichmäßigen Wellen seiner Seele fluteten herrschend in sie.

Ihr bebender Leib empfing demütig seine erste Frucht.


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