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III.

Joseph Griebel war ohne jede Ferne. Sein genügsames Hoffen hatte stets fertige Verhältnisse vorgefunden. Noch nie in seinem Leben war er zu tiefen, fiebernden Atemzügen gekommen. Er hatte seine Jahre genossen wie ein immer gleichmäßig gebackenes Brot.

Die Gesetze seiner Väter waren die Gesetze seines Willens.

Er unterschied sich von ihnen wie ein jüngerer von einem älteren Balken. Behauen, zugerichtet, ausgetrocknet, haltbar, mit allen hergebrachten Kanten und Schnörkeln versehen, nur von hellerer, empfindsamerer Farbe, lag er an seinem Platze.

Der Tod seines Vaters hatte ihn dahingetragen mit hastigem, stürzendem Griff und ein paar erschütternden Schlägen seines Hammers.

Da war ein Stöhnen und Knirschen durch das feste Gefüge seines Wesens gegangen, und von den Hammerschlägen des Todes war ein langer, tiefer Ton in dem Holze seiner Seele erwacht. Durch alle Zellen seiner Vergangenheit pflanzte er sich fort und als er bis an den dünnen Markfaden seiner Jugend gelangt war, mit einem immer leiseren, aber innigeren Vibrieren, ward ein letztes Hauchen von Sehnsucht daraus. Der dünne Faden lebendigen Markes begann noch einmal mitzuschwingen mit dem wärmeren Pulsen schon müder Säfte.

Leise Bilder glommen durch einen weißen, zarten Schleier zu ihm her mit verblaßten, reinen Farben. Eine Flut leichter Töne lag in dem Duft, der von ihnen ausging.

Da sein Wesen noch von keinem Fehltritt mißtrauisch, von keiner Enttäuschung zweifelnd, von keiner seelischen Verwicklung verknorrt worden war, erhob er sich in seiner plumpstrotzenden Gesundheit und überließ sich rückhaltlos dem weichen, schönen Taumel. Unter dem Einfluß dieses letzten, frühlingswarmen Sonnenblickes nahm der würdige, fertige Balken noch einmal die Formen eines Menschen an.

Sein ganzes biedere, nützliche, nüchterne Leben kam ihm wie eine große, leblose Lücke vor. Nur das Zarte, Fremde, Leise hatte Gewicht für ihn. So mußte er Leonore finden.

Wie eine Frühlingsblume, die ein gnädiger November der kraftlosen Erde abgeschmeichelt hat, fand er sie.

Und er trug sie sich mit bebender Hand heim in die große, leblose Lücke seines Lebens. Das ernste Haus auf der Walkergasse nahm sie auf mit dem frohesten Dröhnen seiner vielkammerigen, weiten Brust.


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