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II.

Sein junges Weib hieß mit ihrem Mädchennamen Leonore Marsel.

Ihr längst verstorbener Vater war der letzte Sprosse eines seit Geschlechtern verarmten freiherrlichen Hauses gewesen, Karl August Theodor von Marsal, seines Zeichens Bäcker.

Er hatte in einem der kleinen Häuser auf der Walkergasse geräuschlos seine Semmeln und sein Brot verkauft; mit einem scheuen, betretenen Gesicht.

Eine Reihe seiner Vorväter war durch den Glanz der großen Vergangenheit wild und toll geworden. Allmählich hatten die engen Räume der Armut den Trägern des großen Namens die stolzen Flügel gebrochen; und die Sehnsucht lag in ihnen wie ein unabwendbarer Kummer, eine zwecklose, stets neugeborene Qual.

Sie verkümmerten nach und nach an den kleinen Fenstern und dem dürftigen Hausgerät. Das kärgliche Essen sog ihnen die Kraft aus, und die Gesundheit und Fülle ihrer Leiber schrumpfte zusammen unter dem unbarmherzigen Drucke schlichter Gewänder.

Der Wohlklang ihrer kraftvollen Glieder artete zu krankhafter Zierlichkeit aus. Der lange, freie Gang verengte sich zum Trippeln, und das schwingende Spiel der feinen Hände verdarb zur prahlerischen Grimmasse.

– Mit den Wunden ihrer Seele zeugten sie die Kinder und das Gift ihrer Einbildung reichten sie ihnen als die Milch der ersten Märchen.

Das geheimste, tiefste Leben ihres Herzens ward ein ohnmächtig verzitternder, dünner Ton.

Nur an dem schönen Haar ging der Verfall des Geschlechtes spurlos vorüber. Ja, je trostloser seine Trümmer wurden, um so reicher floß die Fülle seines goldgleißenden Glanzes.

Und auch die großen, leise singenden Augen schmückte der verheimlichte Wahn, an dem sie langsam hinsiechten, immer glänzender.

In dem letzten des verwucherten Stammes, dem Bäcker Karl August Theodor, waren die Wunden blutleer geworden; die Einbildung ein trocknes, würgendes Fieber.

Dies reichte gerade noch aus für die Seele eines zarten Mädchens, dessen Leben wie das Verlöschen einer Flamme einsetzte.

Schon auf dem Todbette liegend empfing der Vater die Nachricht von der Geburt einer Tochter. Ein Schreck machte ihn noch blasser. Dann winkte er die Hebamme mit einer matten Handbewegung näher zu sich:

»Leonore Marie von Marsal«, hauchten seine Lippen und ein kraftloses Lächeln krümmte seinen Mund.

Das Weib aber ging wieder zu dem Kinde.

Dieses that den ersten, dünnen Schrei.

Davon starb der Kranke.

Niemand bemerkte es. Denn er schlich sich mit dem Zittern eines abgefallenen, dürren Blattes aus der Welt, das unter dem ersten, armen Morgenstrahle erbebt, weil der Reif einer langen Nacht sich von ihm zu lösen beginnt.

*  *  *

Mit dem Mitleid kleiner Seelen, das so demütigt, ermöglichten die Bewohner der Walkergasse es der jungen Witwe, das Geschäft ihres Mannes mit Hilfe eines älteren Gesellen fortzuführen.

Noch ganz im Glanze einer peinlichen Liebe war August Theodor von seinem Weibe gegangen. Nicht einmal den ersten, kraftlosen Mutterstolz hatte er aus ihren Augen trinken dürfen.

So wuchsen die Schauer ihres einzigen Glückes aus dem Grabe ihres Mannes.

In der Blüte ihres Hoffens geknickt, um die Erfüllung ihrer Sehnsucht durch das Schicksal betrogen, immer mit den verborgenen Waffen der Muttersorge um das Leben ihres Kindes kämpfend, ward sie ein Glied des unglücklichen Geschlechtes, das in ihrem Manne unter leisen Zuckungen sich unter die Erde geflüchtet hatte.

Er war ihr in jener Zeit der Ehe gestorben, wo der Verstand noch ohnmächtig gegen die Bilder ist, die das junge Blut in das bunte Herz schreibt. So nahmen seine Gestalt und die Geschichte seiner Familie übertriebene Dimensionen und Farben an.

Die stückweisen Erzählungen aus den Truhen seiner Erinnerung klangen in ihr wieder wie rätselhaft große Töne, die ein Luftzug aus gnädigleiser Ferne trägt. Die häßlichen Geräusche des Trümmerfalles blieben ihr verborgen.

Wie sieches Morgenrot über einem kümmernden Blümchen, wachte ihre Seele über Leonore, ihrem einzigen Kinde.

Nur an Sonntagen, wenn das Feiertagslicht in müßiger Schöne vor dem stilleren, kleinen Bäckerladen spielte, spann sie Glanfäden in die traumsüchtige Seele des kleinen Mädchens.

In der Woche, wenn der Fleiß auf klappernden Holzschuhen durch die engen Räume eilte, prägte sich das Kind dann die gehörten Geschichten in tausend verschwiegenen Spielen ein. – Leonore war zu gebrechlich zart, an der gesunden Kost der derben Spiele gleichaltriger Nachbarkinder teilzunehmen. Der Instinkt ihrer Schwäche hielt sie auch davon zurück.

Die Mutter mußte den Hunger ihrer Erkenntnis nur immer mit den zeitfernen, großen Geschichten füttern, die, vielfältig persönlich verändert, sie von den Erzählungen ihres Mannes behalten hatte.

So ging Leonoren das engzellige Leben früher Kindheit verloren, die Gesundheit unmittelbarer Wallungen, die Frische selbstthätigen Erlebens.

Ihr Inneres wurden maßlose, verdämmernde Räume, rätselhafte Schwingungen, geheimnisvolle, unirdische Töne und Farben, ein Vorrat unendlich duftiger Schemen, an den sich nichts anschließen, der nichts klarthätiges gebären konnte.

Mit einer unverdienten Last, wie wir alle, kam sie zur Welt; mit einer Verscheuchtheit trat sie ins Leben; ihre Klarheit begann mit einer Friedlosigkeit.

Still dasitzen, mit den langen, schmalen Fingern im Schooß spielen, indessen ihre Augen in Fernen schauten, die hinter allen Gegenständen lagen, das behagte ihr.

Als die Mutter merkte, was ihre Liebe angerichtet hatte, war es zur Besserung schon zu spät.

Ihr Wesen, das eine Kristallisation von Splittern darstellte, war schon in den Grundlinien der Regellosigkeit erstarrt.

Mit Gewalt wurde das Mädchen nun zu allen häuslichen Verrichtungen angehalten. Sie fügte sich auch den Geboten der Mutter, fegte, wusch, stand hinter dem Ladentisch, half beim Backen; aber sie that es mit dem leidenden, geheimen Widerstreben kraftloser Naturen.

Dieses emsige Leben, mit seinen lauten, rücksichtslosen Geboten; unruhigen, wimmelnden Wünschen; brennenden Fragen; heftigen Entscheidungen ertrug sie wie ein lästiges Klappern. Und je weiter es durch Übung in ihr vordrang und sich mit Härte festsetzte, um so inbrünstiger war das Zurückschnellen in das bunte, weiche, unräumliche Rätsel ihrer innersten Seele.

Wie in langen Glockentönen hätte sie reden mögen; es war ein weitergreifendes Ausspannen in ihr, wie wehender Wind, gleitende Wellen.

Wenn ein geheimnisvolles Brausen in den Höhen wach wurde, das die Wolken geräuschlos faltete wie große, steife Gewänder und den Bäumen ein würdig-leises Neigen abnötigte, fühlte sie sich wohl und heimisch.

Und aus all der Hilflosigkeit ihrer blinden Sehnsucht wuchs ein traumweinender Wunsch nach Macht.

Der Spott hatte ihr den Stolz an dem adligen Namen zur Freude der Mutter bald geraubt. Die Märchen ihrer Jugend verschwanden unter dem Geräusch mühsamer, oft kümmerlicher Jahre. Nie kam es ihr später in den Sinn, etwas anderes sein zu wollen, als die Tochter der Marsel-Bäckerin.

Aber mit geheimem Weinen, mit Beklemmung und dem beengenden Gefühl der Fremdheit und Verlassenheit ertrug sie den Zwiespalt ihrer Natur.

So disharmonisch war auch ihr Leib; zart. Aber es war nicht die abgerundete Zierlichkeit eines Vogels. Denn sobald sie ging, breitete das Spiel ihrer langen Arme eine steife Würde über die spitze Beweglichkeit ihrer Glieder, die an das Komische streifte.Ein herber Zauber lag auf ihrem Körper, dem alle weibliche Fülle fehlte. Ihr reiches Haar hatte die Farbe der müden Novembersonne.

Eines ihrer weichblauen, singenden Augen lag halbverdeckt von einem kraftlosen Lide und stand oft starr, indeß das andere sich still bewegte, als klinge durch seine Regungen ein geheimnisvolles Lied herauf aus den maßlosen, verdämmernden Räumen ihrer Seele.


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