Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Achtzehntes Buch.

Das Leben in Florenz.

Erstes Kapitel.

Nachdem Graf d'Erfeuil einige Zeit in der Schweiz zugebracht und sich in der Alpennatur ebenso gelangweilt hatte, als er vorher die Kunstschätze Roms ermüdend gefunden, ergriff ihn plötzlich das Verlangen, nach England zu gehen, wo, wie man ihn versichert, des Gedankens wahre Tiefe zu finden sei. Und eines schönen Morgens erwachte er mit der fertigen Ueberzeugung, daß er dieser jetzt vor allem Anderen bedürfe. Da indeß dieser dritte Versuch nicht viel besser gelang als die beiden ersten, fiel ihm, wiederum plötzlich und eines schönen Morgens seine Zuneigung für Lord Nelvil ein, und mit dem Grundsatze, daß nur in der wahren Freundschaft das wahre Glück zu finden sei, reiste er nach Schottland ab. Auf dem Landsitze Lord Nelvils angekommen, erfuhr er, daß dieser abwesend sei, wenn auch nur, um auf dem benachbarten Schlosse der Lady Edgermond einer großen Festlichkeit beizuwohnen. Unverzüglich bestieg der Graf ein Pferd, um den Freund dort aufzusuchen, den wiederzusehen ihm ein so höchst dringendes Bedürfniß geworden war. Während er schnell dahinsprengte, gewahrte er am Rande der Straße eine regungslos liegende Frauengestalt. Er hielt an, stieg ab, ihr zu Hülfe zu eilen, und wie groß war sein Erstaunen, als er, trotz ihrer tödtlichen Blässe, Corinna erkannte! Vom lebhaftesten Mitleid erfaßt, suchte er, mit Hülfe seines Bedienten, aus Zweigen eine Art Bahre herzurichten, um sie auf diese Weise nach dem Schlosse der Lady Edgermond zu schaffen. Allein eben jetzt kam Theresina herzu, die im Wagen sitzen geblieben war, denselben jedoch, über die verzögerte Rückkehr der Herrin besorgt, endlich verlassen hatte, und da sie annahm, nur Lord Nelvil könne diese in einen solchen Zustand versetzt haben, bestimmte sie, man müsse die Erkrankte nach der nächsten Stadt bringen. Graf d'Erfeuil begleitete Corinna auch dorthin; und während der acht Tage, welche die Unglückliche nun in Fieber und Geisteszerrüttung zubrachte, verließ er sie keinen Augenblick; so war es also der frivole Mann, der ihr im Elende half, während der empfindungsvolle ihr das Herz gebrochen!

Corinna war, als sie ihre Besinnung wieder hatte, von diesem Widerspruch nur allzu schmerzlich ergriffen; sie dankte dem Grafen in tiefer Bewegung. Seine Antwort verrieth ein Bemühen, sie schnell zu trösten; er war edler Handlungen fähiger, als ernster Worte, und Corinna konnte in ihm viel eher einen Beistand, als einen Freund finden. Sie suchte ihre Verstandeskräfte zu sammeln, sich das Geschehene ins Gedächtniß zurückzurufen; es kostete sie lange Mühe, sich zu erinnern, was sie gethan, und weshalb sie so gethan. Vielleicht begann sie schon, ihr Opfer zu groß zu finden, vielleicht dachte sie daran, Lord Nelvil wenigstens ein letztes Lebewohl zu sagen, ehe sie England verließe: da fand sie am zweiten Tage, nachdem sie wieder bei Bewußtsein war, in einem öffentlichen Blatt, das ihr durch Zufall in die Hände kam, folgende Mittheilung:

»Lady Edgermond hat soeben erfahren, daß ihre Stieftochter, von der sie geglaubt, sie sei in Italien gestorben, noch lebt, und sich in Rom unter dem Namen Corinna eines großen literarischen Rufes erfreut. Lady Edgermond rechnet es sich zur Ehre, sie anzuerkennen und mit ihr die Erbschaft des kürzlich in Indien verstorbenen Bruders des Lord Edgermond zu theilen.

»Lord Nelvil wird sich am nächsten Sonntage mit Miß Lucile Edgermond vermählen, der jüngsten Tochter Lord Edgermonds und seiner Wittwe, Lady Edgermond. Der Ehekontrakt wurde gestern unterzeichnet.«

Zu ihrem Unglücke wurde Corinna nicht wahnsinnig, als sie diese Nachricht las; aber eine jähe Umwälzung ging in ihr vor. Alle Interessen des Lebens wichen von ihr; sie fühlte sich eine zum Tode Verurtheilte, nur daß sie noch nicht wußte, wann das Urtheil vollzogen werde, und von Stunde an herrschte allein die Stille der Verzweiflung in ihrer gebrochenen Seele.

Graf d'Erfeuil trat jetzt in ihr Zimmer; er fand sie bleicher noch und schattenhafter, als sie selbst im ohnmächtigen Zustande ihm erschienen war; voller Sorge fragte er nach ihrem Befinden. »Es geht mir nicht schlechter, und ich möchte übermorgen abreisen. Es ist ein Sonntag«; fügte sie mit feierlichem Ernst hinzu, »ich denke nach Plymouth zu gehen, und mich dort nach Italien einzuschiffen.« – »Ich begleite Sie«, erwiderte Graf d'Erfeuil, »nichts hält mich hier zurück, und es wird mir ein Vergnügen sein, diese Reise mit Ihnen zu machen.« – »Sie sind gut«, entgegnete Corinna, »wahrhaft gut; man muß nicht nach dem Schein urtheilen ... «, sie hielt inne; dann fuhr sie fort: »Ich nehme bis Plymouth Ihre Begleitung an, denn ich bin nicht gewiß, daß ich mich allein dort hinfände; nachher, wenn ich nur erst einmal in der Kajüte bin, führt mich das Schiff hinweg; und in welchem Zustande ich dann auch sei, das ist ja ganz gleichgültig.« – Sie wünschte nun, allein zu sein; lange weinte sie vor Gott und bat ihn um Kraft, ihren Schmerz zu tragen. Das war nicht mehr die ungestüme, die aufstrebende Corinna; ihre reiche mächtige Lebenskraft war erschöpft, und dieses gänzliche Vernichtetsein, von dem sie sich nicht eigentlich Rechenschaft geben konnte, gab ihr Gelassenheit. Das Unglück hatte sie überwunden: müssen denn nicht früher oder später auch die Widerstrebendsten den Nacken unter sein Joch beugen lernen?

Am Sonntage verließ Corinna Schottland, vom Grafen d'Erfeuil begleitet. »Heute also!« – sagte sie, als sie sich vom Bette erhob, um in den Wagen zu steigen, »Heute!« Graf d'Erfeuil fragte, was sie meine; sie antwortete jedoch nicht, und versank wieder in Stillschweigen. Der Weg führte an einer Kirche vorüber, und Corinna bat ihren Begleiter, für einen Augenblick dort hineintreten zu dürfen. Vor dem Altar sank sie auf die Kniee und betete für Oswald und Lucile, die sie in Gedanken wohl eben jetzt an gleicher Stätte knieen sah. Als sie aber wieder aufstehen wollte, wankte sie, vor übermächtiger Erschütterung, und nur gestützt auf den Grafen und Theresina vermochte sie die Kirche zu verlassen. Wo sie vorüberschritt, erhoben sich die Betenden in mitleidiger Ehrfurcht. »Ich sehe wohl recht krank und traurig aus?« fragte sie den Grafen, »es giebt jüngere und glücklichere Menschen als ich, die sich um eben diese Stunde triumphirend vom Altare wenden.«

Graf d'Erfeuil hörte das Ende dieser Worte schon nicht mehr; er war gut, aber nicht mitfühlend. Gewiß, er hatte Corinna herzlich lieb, aber dennoch langweilte ihn ihre Niedergeschlagenheit unterwegs recht sehr, und er versuchte, sie derselben zu entziehen, als ob man nur zu wollen habe, um alle Noth des Lebens zu vergessen. »Ich hatte es Ihnen ja vorhergesagt«, äußerte er zuweilen. Eine sonderbare Art zu trösten, diese Genugthuung, welche die Eitelkeit sich auf Kosten des Schmerzes erlaubt!

Corinna machte die unerhörtesten Anstrengungen, um zu verbergen, was sie litt; denn vor oberflächlichen Menschen schämt man sich seiner großen Leidensfähigkeit: mit keuschem Gefühl hält man Alles zurück, was nicht verstanden wird, was man erst erklären muß, und bewahrt still diese Geheimnisse der Seele, für welche man Erleichterung nur von Menschen erfahren kann, die sie ohne Worte verstehen. Auch Vorwürfe machte sich Corinna, für Graf d'Erfeuils Freundschaftsbeweise nicht dankbar genug zu sein; doch seine Stimme, sein Ton, sein Blick verriethen so viel Zerstreuung, so sehr das Bedürfniß sich zu amüsiren, daß man unaufhörlich im Begriffe stand, sein großmüthiges Thun zu vergessen, wie er selbst es vergaß. Es ist ja ohne Zweifel sehr schön, wenn man wenig Gewicht auf dasselbe legt, aber für gewisse Charaktere kann die Sorglosigkeit, mit welcher man über den eigenen Edelmuth hinwegsieht, wohl auch den Eindruck der Leichtfertigkeit machen.

In ihren Fieberfantasien hatte Corinna fast all ihre Geheimnisse verrathen, und aus den öffentlichen Blättern erfuhr der Graf das Uebrige. Zu wiederholten Malen wollte er mit ihr über das, was er ihre »Angelegenheiten« nannte, reden; aber schon dieser Ausdruck war hinreichend, um ihr Vertrauen zu erstarren; sie flehte ihn an, den Namen Lord Nelvils lieber gar nicht zu nennen. Als sie sich vom Grafen d'Erfeuil trennte, wußte sie, in banger Verlegenheit, nicht, wie sie ihm ihre Dankbarkeit ausdrücken solle; denn war es ihr auch lieb, fortan allein zu sein, so schied sie doch höchst ungern von einem Manne, der ihr so viel ächte Güte bewiesen. Sie versuchte ihm zu danken, doch die einfache Natürlichkeit, mit der er sie bat, nicht weiter davon zu reden, hieß sie verstummen. Darauf ersuchte sie ihn, Lady Edgermond mitzutheilen, daß sie auf die Erbschaft des Onkels gänzlich Verzicht leiste, und fügte hinzu, er möge sich des Auftrages in solcher Weise entledigen, als habe er ihn von Italien aus erhalten; es solle ihrer Stiefmutter nichts von ihrem Aufenthalt in England bekannt werden.

»Und darf Lord Nelvil es wissen?« fragte Graf d'Erfeuil darauf. Corinna bebte, und schwieg einige Augenblicke. »Sie werden es ihm bald sagen können«, erwiderte sie endlich; »ja bald! Meine römischen Freunde sollen Ihnen melden, wenn es so weit ist.« – »Pflegen Sie wenigstens Ihre Gesundheit, theure Corinna«, sagte Graf d'Erfeuil; »wissen Sie wohl, daß ich recht besorgt Ihretwegen bin?« – »Wirklich?« erwiderte Corinna lächelnd, »aber ich glaube selbst, Sie haben Recht.« – Der Graf reichte ihr den Arm, um sie an den Strand zu geleiten; im Begriffe, sich einzuschiffen, wendete sie sich noch einmal diesem England zu, das sie auf immer verließ, und das den einzigen Gegenstand ihrer Liebe und ihres Leides zurückbehielt. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, den ersten, die sie in des Grafen Gegenwart vergoß. »Schöne Corinna«, sagte er, »vergessen Sie einen Undankbaren; erinnern Sie sich der Freunde, die Ihnen so herzlich ergeben sind, und denken Sie doch mit Vergnügen an die großen Vorzüge, die Sie noch besitzen.« – Während dieser Rede entzog ihm Corinna ihre Hand und trat ein paar Schritte von ihm zurück; dann schnell diese Regung bereuend, reichte sie ihm beide Hände hin und sagte ihm sanft Lebewohl. Graf d'Erfeuil bemerkte durchaus nicht, was in ihr vorgegangen war. Er bestieg mit ihr das Schiff, empfahl sie dem Capitän auf's Dringendste, und kümmerte sich mit liebenswürdiger Sorgfalt um alle die Einzelheiten, durch welche ihr die Ueberfahrt angenehmer gemacht werden konnte. Dann, während er sich mit dem Boot an's Land zurückbegab, grüßte er noch lange mit dem Taschentuch nach dem Schiffe hinüber. Corinna erwiderte ihm voll inniger Dankbarkeit; aber ach! war denn dies der Freund, auf welchen sie zählen sollte?

Oberflächliche Gefühle haben zuweilen eine lange Dauer; da sie nicht hochgespannt sind, zerreißen sie auch nicht. Sie schmiegen sich den Umständen an, verschwinden mit diesen, kehren mit diesen wieder; während die tiefen, leidenschaftlichen Zuneigungen unwiederbringlich zerreißen und nichts an ihrer Statt zurücklassen, als eine schmerzende Wunde.

Zweites Kapitel.

Bei günstigem Wind erreichte Corinna Livorno in kaum vier Wochen. Sie litt während dieser Zeit beständig am Fieber; das körperliche mischte sich dem Seelenleiden bei, und in ihrer gänzlichen Zerrüttung hatte sie von all diesen verworrenen Schmerzen keine klaren Eindrücke mehr. Sie schwankte bei ihrer Ankunft, ob sie sich nicht zuerst nach Rom begeben solle; aber wenngleich ihre besten Freunde sie dort erwarteten, hinderte sie ein unübersteiglicher Widerwille, an dem Orte zu leben, wo sie Oswald gekannt hatte. Sie gedachte ihrer Wohnung, der Thür, durch welche er zweimal des Tages einzutreten pflegte, und die Vorstellung, dort ohne ihn leben zu müssen, machte sie schaudern. Aus diesem Grunde entschied sie sich, nach Florenz zu gehen; da sie ein Vorgefühl hatte, als werde der Rest ihres Lebens dem Gram nicht gar zu lange Widerstand leisten, war sie es ganz zufrieden, sich allmählig vom Dasein loszulösen, und hiermit zu beginnen, indem sie allein lebte, fern von den Freunden, fern von der Stadt, die Zeuge ihrer Triumphe gewesen, fern von einem Aufenthalte, wo man versuchen würde, ihren Geist neu anzuregen, wo man verlangen würde, sie solle sich zeigen, wie sie früher war; sie, die in ihrer unbezwingbaren Niedergeschlagenheit auf jede Anstrengung mit Widerwillen sah.

Als sie sich dem fruchtbaren Toscana, dem von Blumen duftenden Florenz näherte, kurz: als sie ihr Italien wiedersah, empfand sie doch nichts als Trauer. Nur Schwermuth bereitete ihr jetzt der Anblick dieser Gefilde, über welche ihr Kinderauge einst in trunkener Lebensfreude hingeschweift. »Wie schrecklich«, sagt Milton, »ist eine Verzweiflung, die sich in dieser milden Luft nicht zu beruhigen vermag!« – Um die Natur zu verstehen, bedarf es der Liebe oder der Religion; und in diesem Augenblick hatte die beklagenswerthe Corinna das köstlichste der irdischen Güter verloren, ohne dafür jene Ruhe gefunden zu haben, welche tief empfindenden und unglücklichen Menschen dann allein noch durch die Frömmigkeit gewährt werden kann.

Toscana ist ein lachendes, reich bebautes Land; auf die Einbildungskraft aber wirkt es nicht wie die Umgebungen Roms. Die Römer haben einst die ursprünglichen Einrichtungen jenes Volkes, das früher Toscana bewohnte, so völlig vernichtet, daß von den Bauten des Alterthums, die Rom und Neapel so interessant machen, hier fast nichts mehr übrig geblieben ist. Dafür hat das Mittelalter Erinnerungen zurückgelassen, die noch ganz das Gepräge seines republikanischen Geistes tragen. In Siena z. B. wird der öffentliche Platz, wo das Volk sich versammelte, wie der Balcon, von welchem aus seine Lenker es anredeten, auch dem am wenigsten zum Nachdenken geneigten Reisenden noch von Bedeutung sein; überall fühlt sich's heraus, daß dort eine demokratische Regierungsform gewaltet hat.

Ein wahres Vergnügen ist's, die Toscaner, selbst die der untersten Klassen, sprechen zu hören. Ihr Ausdruck ist vornehm und bilderreich; er kann einen Begriff von dem reinen Griechisch geben, das in Athen vom ganzen Volke geredet wurde, und wohlklingend war, wie lauterste Musik. Es ist ein ganz seltsames Gefühl, mit dem man sich inmitten eines Volks sieht, dessen Individuen alle gleich gebildet, alle von höherem Stande zu sein scheinen; und wenigstens die Täuschung dieses Gefühls gewinnt man auf Augenblicke in Toscana durch diese allgemein verbreitete Reinheit der Sprache.

Das heutige Florenz erinnert am meisten an den Abschnitt seiner Geschichte, welcher der Thronerhebung der Medici vorausging. Die Paläste der vornehmsten Familien sind gewissermaßen nur Festungen, die auf nachdrückliche Vertheidigung vorbereitet standen; außen sieht man noch die eisernen Ringe, bestimmt die Standarten der Parteien zu tragen. Genug, Alles war dort viel mehr darauf eingerichtet, die Gewalt des Einzelnen, eine jede für sich, zur Geltung zu bringen, als sie für das allgemeine Wohl zu concentriren. Die Stadt scheint für den Bürgerkrieg gebaut. Der Justizpalast hat Thürme, von welchen aus man den nahenden Feind erspähen und zugleich sich gegen ihn vertheidigen konnte. Man sieht hier Paläste von wunderlichster Gestalt, welche daraus entstand, daß ihre Erbauer sie nicht über einen Boden ausdehnen wollten, auf welchem feindliche Häuser geschleift worden. Derartig war der Haß der Familien unter einander. Hier verschworen sich die Pazzi gegen die Medici; dort ermordeten die Guelfen die Ghibellinen, die Spuren des Kampfes und der Rivalität finden sich eben überall. Jetzt aber liegt das Alles wieder im Todesschlaf und nur die Steine haben noch einige Physiognomie behalten. Man haßt sich nicht mehr, weil es nichts mehr zu behaupten giebt, weil die Einwohner sich um die Lenkerschaft eines ruhm- und machtlosen Staates nicht mehr streiten. Das Leben, welches man heutzutage in Florenz führt, ist wunderbar einförmig: Nachmittags geht man am Ufer des Arno spazieren, und Abends fragt man sich, ob man dort gewesen ist.

Corinna richtete sich in einem, nicht fern von der Stadt gelegenen Landhause ein, und meldete dem Fürsten Castel-Forte ihre Absicht, dort bleiben zu wollen. Dies war der einzige Brief, den sie schrieb; sie hatte jetzt einen Abscheu vor den herkömmlichen Beschäftigungen des Lebens; es kostete sie viel Mühe, den geringsten Entschluß zu fassen, die kleinste Anordnung zu treffen. Ihre Tage schleppten sich in völliger Unthätigkeit hin. Sie stand auf, legte sich nieder, stand wieder auf; öffnete vielleicht ein Buch, ohne auch nur den Sinn von ein paar Seiten zu fassen; stundenlang stand sie am Fenster, oder eilte rastlos im Garten umher, oder griff nach einem Blumenstrauß, an dessen Duft sie sich zu betäuben suchte. Das Gefühl vom Dasein verfolgte sie wie ein nie rastender Schmerz. Auf tausendfache Art suchte sie dieses reiche Denkvermögen in sich zu beschränken, das ihr ja doch nicht mehr, wie sonst, hohe weitreichende Betrachtungen vor die Seele führte, sondern nur das eine, eine Bild, den einen furchtbaren Gedanken, der ihr das Herz zerfleischte.

Drittes Kapitel.

Eines Tages beschloß Corinna die Kirchen von Florenz zu besichtigen; sie gereichen der Stadt zu großer Zierde. In Rom, erinnerte sie sich, hatten ein paar im Dom von St. Peter verbrachte Stunden ihrer Seele, wenn sie schwankte, stets das Gleichgewicht zurückgegeben; jetzt hoffte sie von den florentinischen Kirchen eine ähnliche Wohlthat zu empfangen. Ihr Weg zur Stadt führte durch ein Gehölz, das sich anmuthig an dem Ufer des Arno entlang zieht. Es war ein köstlicher Juni-Abend. Rosen in unglaublichem Ueberfluß erfüllten die Luft mit Wohlgeruch, und die Mienen der Lustwandelnden sprachen von Glück und frohem Genießen.

Von dieser Lebensfreudigkeit, wie die Vorsehung sie den meisten Geschöpfen verleiht, fühlte sie sich grausam ausgeschlossen; aber sie dankte dieser Vorsehung doch und segnete sie für ihre Güte gegen den Menschen. »Ich bin vielleicht nur eine Ausnahme von der allgemeinen Regel«, sagte sie sich, »es giebt ein Glück für Alle sonst, und diese entsetzliche, diese mich tödtende Fähigkeit zu leiden ist nur meine eigene Art, ist ein Zufall in meinem Sein. Allmächtiger Gott, weshalb aber mußte ich zum Dulden solcher Schmerzen ausersehen werden? Darf ich denn nicht bitten, gleich deinem göttlichen Sohn, daß dieser Kelch an mir vorübergehe?«

Das thätige, lebhafte Treiben der Stadtbewohner setzte sie in Verwunderung. Seit sie keinen Theil mehr hatte am Leben, begriff sie nicht, was die Menschen gehen, kommen, eilen macht. Langsam schlich sie über die großen Steine des florentinischen Pflasters hin; sie hatte die Idee verloren: irgendwo anzukommen, weil sie sich nicht mehr erinnerte, wohin sie gehen wollte. Endlich fand sie sich vor dem berühmten Werk Ghiberti's, den ehernen Thüren der Taufkapelle von St. Johann, welche neben der Cathedrale von Florenz liegt.

Sie bewunderte eine Zeit lang diese unermeßliche Arbeit; ganze Völkerschaften von Bronze, in sehr kleinem Maßstabe, aber in den schärfsten Umrissen ausgeführt, liefern eine Menge der verschiedenartigsten Physiognomien, von denen jede eine Absicht, einen Gedanken des Künstlers ausdrückt. »Welche Geduld!« rief Corinna, »welche Hochachtung für die Nachwelt! Und dennoch: wie Wenige betrachten auch nur mit einiger Aufmerksamkeit diese Thüren, durch welche die unwissende Menge mit Zerstreuung, wenn nicht gar mit Geringschätzung drängt. O, was ist es dem Menschen schwer, der Vergessenheit zu entrinnen, und wie mächtig ist der Tod!«

In dieser Cathedrale wurde Julius von Medici ermordet; nicht weit von hier, in der St. Lorenz-Kirche liegt die marmorne, mit Edelsteinen geschmückte Kapelle, in welcher sich die Gräber der Mediceer und die von Michel Angelo ausgeführten Statuen des Julian und Lorenzo befinden. Die des Lorenzo von Medici, wie er dem Racheplane gegen den Mörder seines Bruders nachsinnt, nennt man ehrend »den Gedanken Michel Angelo's«. Am Fuße dieser Statuen stehen Michel Angelo's große Meisterwerke: »der Tag und die Nacht«. Das Erwachen des einen und besonders der Schlummer der andern sind von merkwürdiger, großartiger Schönheit. Ein Dichter machte auf die Statue der Nacht Verse, die mit folgenden Worten endigten: »Sie lebt, obwohl sie schläft; erwecke sie, wenn Du's nicht glaubst, und sie wird zu Dir reden.« Michel Angelo, der auch die Dichtkunst übte, ohne welche alle Einbildungskraft so bald verdorrt, antwortete im Namen der Nacht:

Grato m'è il sonno, e più l'esser di sasso.
Mentre che il danno a la vergogna dura,
Non veder, non sentir m'e gran ventura:
Però non mi destar, deh parla basso.

Anmerkung des Verlages: Wohl mir, daß ich schlafe, mehr noch, daß ich von Stein bin. So lange Schmach und Schande bei uns dauern, ist nichts zu sehen, nichts zu hören, das glücklichste Schicksal; deshalb erwecke mich nicht, bitte sprich leise!

Michel Angelo ist der einzige Bildhauer aus neuerer Zeit, welcher der menschlichen Gestalt einen Charakter gegeben hat, der weder der antiken Schönheit, noch unserer heutigen Gesuchtheit gleicht. Man glaubt den Geist des Mittelalters in seinen Meisterwerken ausgesprochen zu finden: eine kraftvolle und düstre Seele, standhafte Thätigkeit, scharfe und kühne Formen, Züge, die das Gepräge der Leidenschaft tragen, aber das Ideal der Schönheit nicht wiedergeben. Michel Angelo ist der Genius seiner eigenen Schule; er hat nichts nachgeahmt, nicht einmal die Antike.

Sein Grab befindet sich in der Kirche von Santa Croce. Er wollte, daß es einem Fenster gegenüber liege, aus welchem man den, von Filippo Brunelleschi erbauten Dom sehen kann; als ob seine Asche in der Nähe dieser Kuppel, dem Vorbild der von St. Peter, noch unter dem Marmor erzittern solle. Diese Kirche von Santa Croce birgt eine Versammlung großer Todten, wie sie glänzender wohl im ganzen Europa nicht zu finden sein dürfte. Corinna wandelte in tiefer Bewegung unter diesen Gräberreihen umher. Hier liegt Galilei, den die Menschen verfolgten, weil er die Geheimnisse des Himmels entdeckte. Weiterhin Macchiavelli, der die Kunst des Verbrechens, mehr zwar als Beobachter, denn als Verbrecher, offenbarte, dessen Rathschläge aber doch mehr den Unterdrückern, als den Unterdrückten zu Gute kommen. Aretino, der seine Tage dem Scherze widmete, und auf Erden nichts Ernstes sonst empfand, als den Tod. Boccaz, dessen lachende Einbildungskraft den zwiefachen Geißeln des Bürgerkrieges und der Pest widerstand. Ein Gemälde zu Ehren Dante's, als ob die Florentiner, die ihn in den Qualen des Exils sterben ließen, jetzt mit seiner Größe prahlen dürften!

Auch noch mehrere andere, ehrenvolle Namen sind an dieser Stelle zu finden; Namen von Menschen, die während ihres Lebens berühmt waren, welche aber von Geschlecht zu Geschlecht schwächer nachtönen, bis ihr Klang völlig erstirbt.

Die Besichtigung dieser von so edlen Erinnerungen geschmückten Kirche versetzte Corinna in begeisterte Stimmung. Der Anblick der Lebenden hatte sie entmuthigt; die schweigende Gegenwart der Todten belebte, für einen Augenblick wenigstens, dieses Streben nach Ruhm, von dem sie früher getrieben ward. Festeren Schrittes ging sie unter den stolzen Wölbungen hin und her, und durch ihre Seele zogen große Gedanken, wie einst. Um das Chor herum wandelten junge Priester, langsam und leise singend. Sie fragte einen von ihnen, was diese Ceremonie bedeute. »Wir beten für unsere Todten«, antwortete man ihr. »Ja, Ihr habt Recht«, dachte Corinna, »sie »Eure Todten« zu nennen; es ist das einzige glorreiche Eigenthum, das Euch bleibt! O, warum hat Oswald die Gaben getödtet, die mir der Himmel verliehen, und die mir dienen sollten, in gleichgestimmten Geistern heilige Begeisterung zu entflammen! O, mein Gott!« rief sie, auf die Kniee sinkend, »nicht aus eitler Ruhmbegier flehe ich dich an, mir die Schätze wiederzugeben, die ich durch deine Güte besaß. Wohl sind sie die Besten unter Allen, diese dunklen Heiligen, die für dich zu leben und zu sterben wußten; aber es giebt für die Sterblichen verschiedene Bahnen, und das Genie, wenn es die erhabene Tugend feiert, das Genie, welches sich dem Preise alles Edlen, Wahren und Menschlichen weiht, könnte doch wenigstens in den Vorhof des Himmels aufgenommen sein.« – Corinnens Augen waren während dieses Gebets niedergeschlagen, und überrascht ruhte jetzt ihr Blick auf der Inschrift eines Grabes, neben welchem sie hingesunken war: »Allein bei meinem Aufgange, allein bei meinem Untergange, bin ich auch hier noch allein!«Anmerkung der Autorin: Alfieri sagte, er habe, als er in der Kirche Santa Croce herumging, zum ersten Mal die Liebe zum Ruhm gefühlt; dort liegt er denn auch begraben. Die Grabschrift, die er zum Voraus für seine hochachtbare Freundin, die Gräfin Albani, und für sich aufgesetzt hatte, ist der rührendste und einfachste Ausdruck einer langen, vollkommenen Freundschaft.

»Ach!« rief Corinna, »dies ist die Antwort auf mein Gebet! Welches Streben kann Den beseelen, der allein ist auf Erden? Wer würde sich meiner Erfolge freuen? Wer nimmt Theil an meinem Schicksal? Welches Gefühl könnte meinen Geist zur Arbeit anspornen? Seines Blickes bedarf ich als Lohn!«

Auch noch eine andere Grabschrift fesselte ihre Aufmerksamkeit: »Beklagt mich nicht!« – sagt ein, in der Jugend gestorbener Mann: »Wenn Ihr wüßtet, wie viele Schmerzen dieses Grab mir erspart hat!« – »Welche Lossagung vom Leben diese Worte predigen!« dachte Corinna, und ihre Thränen flossen: »dicht neben dem Gewühl der Stadt diese Kirche, die den Menschen, wenn sie nur wollten, das Geheimniß von Allem offenbaren könnte; aber man geht an ihr vorüber, und die wunderbare Illusion des Vergessens läßt die Welt unablässig weitertreiben auf ihrer Bahn.«

Viertes Kapitel.

Der Antrieb zu einer gewissen Gedankenthätigkeit, in welchem Corinna für einige Augenblicke Erleichterung gefunden hatte, führte sie am folgenden Tage nach der Bildergallerie. Sie hoffte so ihre alte Liebe zur Kunst wieder zu erwecken, um dann vielleicht auch an ihren früheren Beschäftigungen wieder Interesse zu gewinnen. In Florenz hat die Kunst noch sehr republikanische Institutionen: Statuen und Gemälde werden zu jeder Zeit mit der größesten Bereitwilligkeit gezeigt; unterrichtete, von der Regierung besoldete Männer sind als öffentliche Beamte zur Erklärung der Kunstwerke angestellt. Dies ist noch ein Recht jener Ehrfurcht für die Talente aller Gattungen, wie sie in Italien immer da war. Besonders noch ist sie in Florenz heimisch, wo die Mediceer sich ihre Macht durch ihren Geist verzeihen lassen wollten, ihren Einfluß auf das Geschehende durch den freien Aufschwung, den sie wenigstens dem Gedanken gewährten. Das florentinische Volk hat ungemein viel Sinn für die schönen Künste, und zieht diese Neigung in seine Frömmigkeit hinein, die in Toscana eine geregeltere ist, als im ganzen übrigen Italien. Nicht selten verwirrt es die Gestalten der Mythologie mit denen der biblischen Geschichte. Ein Florentiner kann dem Fremden eine Minerva zeigen und sie Judith nennen, einen Apollo rühmen und ihn David heißen, und kann allenfalls auch noch bei der Erklärung eines Basreliefs, das die Einnahme von Troja vorstellt, versichern, daß Cassandra eine gute Christin war.

Die florentinische Gallerie ist eine ungeheure Sammlung; man könnte dort viele Tage zubringen, ohne schließlich sonderlich mit ihr vertraut zu sein. Corinna schritt prüfend durch alle diese Reichthümer, aber zu ihrem Kummer fand sie sich zerstreut und gleichgültig. Die Statue der Niobe erregte ihre Aufmerksamkeit: diese Ruhe, diese Würde, inmitten des tiefsten Schmerzes schienen ihr bewundernswerth. Ohne Frage würde die Gestalt einer lebenden Mutter in ähnlicher Situation gänzlich zusammengebrochen sein; aber das Ideal der Kunst bewahrt auch noch in der Verzweiflung die Schönheit und die Anmuth. Nicht das geschilderte Unglück ist's, was in den Werken des genialen Künstlers so tief erschüttert, sondern die Kraft, welche sich die Seele in diesem Unglück bewahrte. Unweit der Statue der Niobe ist der Kopf des sterbenden Alexander; diese beiden höchst verschiedenen Physiognomien geben viel zu denken. In der des Alexander liegt Staunen und Entrüstung, die Natur nicht besiegt zu haben. Die Todesqual der sorgenden Mutterliebe malt sich in den Zügen der Niobe; sie zieht die Tochter mit herzzerreißender Angst an ihre Brust, und der Schmerz, welcher aus diesem wundervollen Angesichte spricht, drückt den Charakter jenes Verhängnisses aus, das bei den Alten auch einer frommen Seele nirgend eine Zuflucht übrig ließ. Niobe richtet den Blick gen Himmel, aber hoffnungslos, denn die Götter selbst sind ihre Feinde.

Zu Hause angelangt, versuchte Corinna über das Gesehene nachzudenken: zu schaffen, wie sie es früher gethan; aber eine unüberwindliche Zerstreutheit hielt sie lange bei der ersten Seite fest. Wie fern lag ihr jetzt das Talent des Improvisirens! Mit Mühe suchte sie nach jedem Wort; oft schrieb sie Dinge ohne allen Sinn, Dinge, vor denen sie sich beim Durchlesen selbst entsetzte, die wie geschriebene Fieberfantasien klangen. Unfähig, wie sie nun einsah, die Gedanken von der eigenen Lage abzuwenden, versuchte sie zu schildern, was sie litt; aber das waren nicht mehr allgemeine Ideen, weltumfassende Gefühle, in welche die Herzen aller Menschen einstimmen können: das war nur der Schrei des persönlichen Schmerzes, jener auf die Dauer so eintönige Schrei, eintönig wie die Klage des Nachtvogels! In ihren Ausdrücken lag zu viel Gluth, zu viel Ungestüm, zu wenig Abstufung: das war Unglück, und nicht mehr Talent. Um gut zu schreiben, bedarf es ohne Zweifel der wahrhaftesten Erschütterung, aber sie darf nicht herzzerreißend sein. Glück ist zu Allem nöthig; und selbst die schwermüthigste Poesie muß eine gewisse Erhebung athmen, zu welcher Kraft sowohl, als mindestens doch eine gewisse Glücksfähigkeit des Geistes erforderlich ist. Der wahre Schmerz ist unfruchtbar; was er hervorbringt, ist meist nur düstre, ewig auf den einen Gedanken zurückdrängende Ruhelosigkeit. So durcheilte jener von einem unseligen Zauber umstrickte Ritter vergeblich tausend Irrwege, um sich immer wieder auf derselben Stelle wiederzufinden.

Durch den schlechten Stand von Corinnens Gesundheit wurde ihr Talent noch vollends untergraben. In ihren Papieren fanden sich Betrachtungen, die sie während dieser Zeit niederschrieb, als sie vergebliche Anstrengungen zu zusammenhängender Arbeit machte; es mögen einige davon hier folgen.

Fünftes Kapitel.

Einiges aus Corinnens Gedanken.

»Mein Talent ist dahin! Das thut mir weh. Ich hätte gewünscht, daß wenigstens der Ruhm meines Namens einst zu ihm dringe, hätte gewollt, daß er, wenn er meine Schriften läse, die Sympathie in ihnen wiederfände, die uns einst zu einander zog.

»Ich irrte, als ich hoffte, er werde nach der Rückkehr in seine Heimat, zu seinen alten Gewohnheiten sich noch die Anschauungen und die Denkweise bewahren, welche allein uns vereinigen konnten. Es läßt sich gegen eine Frau, wie ich es bin, so viel einwenden! Und auf alles das giebt es nur die eine Antwort: mein Geist und meine Seele! Aber was gilt den meisten Menschen diese Antwort?

»Man hat indessen unrecht, die Ueberlegenheit des Geistes und der Seele zu fürchten: sie ist äußerst sittlich, diese Ueberlegenheit: denn Alles zu verstehen macht sehr nachsichtsvoll, und aus tiefer Empfindungskraft geht große Güte hervor.

»Wie kommt es nur, daß zwei Wesen, die sich ihre innersten Gedanken anvertrauten, die miteinander von Gott, von der Unsterblichkeit der Seele und von ihren Schmerzen geredet, wie kommt es, daß sie jemals einander wieder fremd werden können? Welch unergründliches Geheimniß ist die Liebe! Welch wundervolles Gefühl oder welches Nichts! Heilig wie das Märtyrerthum oder kälter als die kälteste Freundschaft. Es giebt nichts Unfreiwilligeres als sie; aber kommt sie vom Himmel oder stammt sie aus irdischer Leidenschaft? Muß man sich ihr unterwerfen, oder sie bekämpfen? Ach! was für Stürme erschüttern das Menschenherz!

»Das Talent sollte doch Rettung gewähren können. Domenichino, der Freiheit beraubt, malte die herrlichsten Bilder an die Wände seines Gefängnisses; zum Gedächtniß seiner Anwesenheit ließ er Meisterwerke zurück. Er jedoch litt nur durch äußere Verhältnisse; das Uebel lag nicht in der Seele! Ist es dort, dann wird Alles zur Unmöglichkeit, dann ist die Quelle von Allem versiegt.

»Zuweilen prüfe ich mich, als wäre ich mir eine Fremde, und habe dann Mitleid mit mir selber. Ich war geistreich, gut, wahr, großmüthig, gefühlvoll – warum wandelt sich das Alles zu so vielem Schmerz? Ist die Welt denn wirklich böse, und berauben uns gewisse Eigenschaften der Waffen, anstatt uns Kraft zu geben?

»Es ist schade um mich; ich wurde mit einigem Talent geboren und werde, wiewohl ich berühmt bin, sterben, ohne daß man mich kennt. Wäre ich glücklich gewesen, hätte die Fiebergluth der Leidenschaft mich nicht verzehrt, so würde ich mit hohem Sinn das menschliche Schicksal in meine Betrachtung gezogen, und in demselben noch ungekannte Beziehungen zwischen der Natur und dem Himmel entdeckt haben; aber das Unglück hat mich mit eisernem Griff erfaßt! Wie kann ich frei denken, wenn es sich mit jedem Versuch aufzuathmen so schmerzhaft fühlbar macht ?

»Warum zog es ihn denn nicht an, eine Frau glücklich zu machen, deren Inneres er allein erschließen konnte? die nur zu ihm aus Herzensgrund zu reden vermochte? Ach, man kann sich wohl von den gewöhnlichen Frauen trennen, die nach dem Zufall lieben; aber das Weib, dem es Bedürfniß ist, in dem Manne, den es liebt, ein Vollkommenes zu sehen, das sich neben schwärmerischer Einbildungskraft ein scharfsichtiges Urtheil erhielt, für dieses giebt es nur einen Gegenstand im Weltall!

»Ich hatte das Leben aus Dichtern kennen gelernt; es ist nicht also. Die Wirklichkeit hat etwas Zähes, Trockenes, das zu überwinden man vergeblich anstrebt.

»Wenn ich mir meine früheren Erfolge zurückrufe, überkommt mich ein Gefühl des Zorns. Weshalb mir sagen, daß ich bezaubernd sei, wenn ich nicht geliebt werden sollte? Wozu mir Vertrauen einflößen, auf daß es noch fürchterlicher sei, enttäuscht zu werden? Wird er bei einer Andern mehr Geist, mehr Verständniß, mehr Zärtlichkeit finden als bei mir? Nein, er wird weniger finden und befriedigt sein, denn er wird sich in Uebereinstimmung mit der Gesellschaft wissen. Welche lügnerischen Freuden, welche eingebildeten Leiden sie giebt!

»Im Angesichte der Sonne und des gestirnten Himmelsgewölbes, da bedarf es nur der Liebe, und daß man sich einander würdig fühle. Aber die Gesellschaft, die Gesellschaft! Wie sie das Herz verhärtet und den Geist verkleinlicht! Wie sie nur auf das hinleben läßt, was man uns nachreden könnte! Wie rein und leicht könnten wir athmen, wenn die Menschen sich eines Tages wiederfänden: jeder vom Einflusse des Andern befreit. Wie viel neue Gedanken, welche wahren Gefühle würden ihnen zuströmen!

»Auch die Natur ist grausam. Mein Angesicht – es wird verwelken, und umsonst empfände ich dann die herzlichste Neigung: in erloschenen Augen kann meine Seele sich nicht mehr malen, nicht mehr könnten sie für mein Flehen erweichen.

»Es wühlen Schmerzen in mir, die ich niemals, auch nicht im Schreiben, werde ausdrücken können; die Kraft fehlt mir dazu; nur die Liebe vermöchte diese Abgründe zu erforschen!«

»Wie glücklich sind die Männer! Sie können in den Krieg gehen, ihr Leben aussetzen, an die Ehre sich fortgeben, der Begeisterung und Gefahr sich überlassen. Doch für die Frauen giebt es im Außenleben nichts, was ihnen Linderung gewährte; vor dem Unglück brechen sie hülflos zusammen und ihr Dasein ist nichts mehr als eine lange Todesqual.

»Musik, wenn ich sie höre, ruft mir zuweilen meine Talente, ruft mir Gesang, Tanz und Dichtkunst zurück, und das Verlangen faßt mich, vom Unglück erlöst zu sein, es mit der Freude nochmals zu versuchen. Aber dann schüttelt mich plötzlich ein innerer Schauder; es ist, als wäre ich ein Schatten, der noch am Leben bleiben möchte, während des Tages anbrechende Strahlen und das Nahen der Lebendigen ihn zu verschwinden zwingt.

»So gern möchte ich für die Zerstreuungen der Welt empfänglich sein; früher liebte ich sie und sie waren mir wohlthätig. Die Beweglichkeit ihrer Eindrücke war meinem Geiste vortheilhaft, weil das einsame Nachdenken mich oft zu sehr ins Weite führte. Jetzt verräth mein starres Auge, daß meine Gedanken erstarrten: Heiterkeit, Anmuth, Einbildungskraft, was ist aus euch geworden? Ach! ich möchte noch einmal hoffen können, noch ein einziges Mal; und wär's auch nur auf einen Augenblick! Doch Alles ist erstorben, die Wüste ist ohne Erbarmen: der Tropfen Wasser ist versiegt, wie die Quelle, und das Glück auch nur eines Tages wird so schwierig wie das Geschick eines ganzen Lebens.

»Ich finde ihn strafbar gegen mich; vergleiche ich ihn aber mit andern Männern, wie erscheinen mir diese dann erbärmlich, beschränkt, unnatürlich! Und Er: ein Engel! Aber ein Engel mit dem feurigen Schwert, der mein Leben vernichtete. Der Geliebte wird zum Rächer der Fehler, die man auf Erden begangen; die Gottheit leiht ihm ihre Macht.

»Nicht die erste Liebe ist unauslöschlich, sie kommt aus dem Bedürfnis zu lieben; wenn man aber das Leben kennen lernte, wenn man auf der Höhe seiner Urtheilskraft steht; und dann dem Geiste, dem Herzen begegnet, das man bis dahin vergeblich gesucht, dann ist das Ideal von der Wirklichkeit bezwungen und man hat ein Recht, unglücklich zu sein.

»Wie unsinnig, werden im Widerspruch damit die meisten Menschen sagen, wie unsinnig: aus Liebe zu sterben. Als ob es nicht tausend andre Weisen gebe, wie sich's leben läßt. Für Den, der sie nicht fühlt, ist jede Art von Begeisterung lächerlich. Poesie, Aufopferung, Liebe und Religion, sie haben denselben Ursprung. Es giebt Menschen, in deren Augen diese Gefühle Thorheit sind. Wenn man will, ist Alles Thorheit, mit Ausnahme der Sorge für die Existenz; in allem Uebrigen kann es Irrthum und Täuschung geben.

»Er allein verstand mich. Das besonders macht mein Unglück so schwer; und vielleicht wird er noch einst finden, daß auch ich allein ihn verstand. Ich bin zugleich die anspruchloseste und anspruchvollste Frau; alle wohlwollenden Menschen genügen mir zu vorübergehender Gesellschaft, aber mit innerstem Vertrauen, mit wahrhaftigster Neigung konnte ich auf der Welt nur Oswald lieben. Sein Geist, seine Fantasie, sein Gefühl, welche Vereinigung! Wo in der Welt fände sie sich wieder? Und der Grausame besaß alle diese Eigenschaften, oder wenigstens ihren zauberhaften Schein.

»Was hätte ich den Andern zu sagen? Mit wem noch zu reden? Welcher Zweck, welch Interesse bliebe mir? Ich habe das bitterste Leid, das beseligendste Gefühl erfahren, was kann ich noch fürchten? was hoffen? Die todte Zukunft ist für mich nur das Gespenst der Vergangenheit.

»Warum sind die glücklichen Situationen so vorübergehend? Was ist an ihnen vergänglicher als an den andern? Ist der Schmerz ein Gesetz der Natur? Das Leiden ist für den Körper nur ein Krampf, aber für die Seele ein dauernder Zustand.

Ahi! null altro che pianto al mondo dura.

Ach in der Welt ist dauernd nichts, als Thränen.

»Eine andere Welt! Ein künftiges Leben! Das ist meine Hoffnung. Aber so mächtig ist diese Gegenwart, daß wir unser irdisches Fühlen und Leiden noch im Himmel wieder suchen. Wo beginnt die Schattenwelt, wo ist die Wirklichkeit? Es giebt nichts Gewisses, als den Schmerz; nur er hält unbarmherzig, was er verspricht.

»Ohne Unterlaß sinne ich über die Unsterblichkeit nach; zwar nicht über die, welche uns die Menschen zuerkennen. Nein, jene Kommenden, welche, um mit Dante zu reden, die gegenwärtige Zeit die alte nennen werden, sie beschäftigen mich nicht mehr. Aber an die Vernichtung meines Gefühls will ich nicht glauben. Nein, o mein Gott, ich glaube nicht daran. Es ist für dich, dies Herz, das er nicht wollte, und das du noch gnädig aufnehmen wirst, nachdem ein Sterblicher es verschmäht.

»Ich fühl's, daß ich nicht lange leben werde, und dies giebt mir Geduld. In meinem Zustande ist es süß, allmählig zu ermatten; damit stumpft auch die Fähigkeit zu leiden ab.

»Ich weiß nicht, warum man in der Verwirrung des Schmerzes des Aberglaubens fähiger ist, als der Glaubenskraft. In Allem finde ich eine Vorbedeutung und weiß doch mein Vertrauen in Nichts zu setzen. Ach! wie süß ist die Andacht im Glücke! Wie dankbar gegen das höchste Wesen muß Oswalds Gattin sein!

»Gewiß ist's: der Schmerz bildet den Charakter aus; in Gedanken hält man seine Fehler gegen sein Unglück und glaubt sie in sichtbarer Verbindung mit einander zu finden; allein auch diese heilsame Wirkung sollte ihre Beschränkung haben.

»Ich bedarf vorher noch tiefernster Sammlung, ehe ich den stillen Uebergang zu einem stillern Leben antreten kann:

... ... tranquillo vareo
A più tranqilla vita.

»Wenn ich nur erst völlig krank sein werde, muß doch auch Ruhe über mein Herz kommen. In den Gedanken eines Sterbenden ist oft so viel Unschuld, und die Gefühle, welche dieser Zustand bringt, sind mir eben recht.

»Unbegreifliches Räthsel des Lebens, das weder von der Leidenschaft, noch vom Schmerz, noch vom Genie gelöst zu werden vermag, wirst du dich dem Gebete offenbaren? Vielleicht erklärt eine einzige Idee – die einfachste von allen – diese Mysterien! Vielleicht standen wir in unseren Grübeleien tausendmal dicht vor ihrer Lösung; nur ist der letzte Schritt unmöglich, und unser nach allen Richtungen vergebliches Bemühen ermüdet zuletzt die Seele. Es ist Zeit, daß die meine zur Ruhe gehe.

»Ferinossi al fin il cor che balzò tanto.«

»Still ward das Herz, das einst so heftig schlug.«

Sechstes Kapitel.

Fürst Castel Forte trennte sich von Rom und nahm seinen Aufenthalt in Florenz. Corinna war ihm für diesen Beweis seiner Freundschaft sehr dankbar, wenn es sie auch etwas befangen machte, daß sie die Unterhaltung nicht mehr mit all dem Zauber erfüllen konnte, den sie früher hineinzulegen vermochte. Sie war zerstreut und schweigsam; die Abnahme ihrer Gesundheit raubte ihr auch die nöthige Kraft, um selbst nur für einen Augenblick über die Gefühle, welche sie beherrschten, zu siegen. Sie zeigte in ihrer Rede noch jene Theilnahme, welche aus dem Wohlwollen für Andere fließt, aber der Wunsch zu gefallen, belebte sie nicht mehr. Eine unglückliche Liebe erkältet alle anderen Zuneigungen. Man kann es sich selbst kaum verdeutlichen, was in der Seele vorgeht; aber so viel man durch das Glück gewann, so viel verliert man durch das Leid. Das reiche, gesteigerte Lebensgefühl, mit welchem die beglückte Liebe der ganzen Schöpfung froh wird, erstreckt sich auf alle Beziehungen des Lebens und der Gesellschaft, und wenn diese unermeßlich schöne Hoffnung zerstört wurde, ist das Dasein verarmt. Eben deshalb gebietet die Pflicht mit doppelter Strenge den Frauen, und mehr noch den Männern, die Liebesleidenschaft, welche sie einflößen, zu fürchten und hoch zu halten, auf daß Geist und Herz der Betroffenen nicht auf immer zu Grunde gehe.

Mit zarter Sorgfalt suchte Fürst Castel-Forte nur solche Gegenstände in den Kreis ihres Gesprächs zu ziehen, welche Corinna früher von Wichtigkeit waren; aber minutenlang blieb sie die Antwort schuldig, weil sie ihn nicht gleich im ersten Augenblick vernommen hatte; endlich gelangte Ton und Gedanke bis zu ihr, und sie erwiderte dann etwas, das weder die Färbung, noch die Beweglichkeit ihrer sonst so bewunderten Redeweise hatte, das indessen die Unterhaltung doch ein wenig vorrücken ließ und ihr gestattete, von Neuem in Träumerei zu versinken. Schließlich machte sie wohl noch eine wiederholte Anstrengung, um die Güte des Fürsten nicht ganz zu entmuthigen, und dann geschah es oft, daß sie ein Wort mit dem andern verwechselte, oder das Gegentheil von dem äußerte, was sie soeben gesagt, bis sie mitleidig über sich selber lächelte, und den Freund für diese Art von Narrheit, deren sie sich wohl bewußt war, um Verzeihung bat.

Absichtlich hatte der Fürst gewagt, mit ihr von Oswald zu reden, und es schien, als fände sie daran ein trauriges Vergnügen. Aber nach solchem Gespräch gerieth sie stets in einen so leidensvollen Zustand, daß der Freund es für besser, ja für nothwendig erachtete, den Gegenstand unbesprochen zu lassen. Der Fürst besaß ein theilnehmendes Herz; allein wie großmüthig ein Mann auch immer sei: er hat keinen Trost für das Gefühl, das eine Frau einem Andern widmet, zumal wenn er selber von dieser Frau auf's Höchste eingenommen ist. Etwas Eigenliebe von seiner Seite, etwas Schüchternheit von der ihren beeinträchtigten ein unbedingtes Vertrauen; und überdies: wozu hätte es auch nützen sollen? Nur für den Kummer giebt es Hülfe, der auch von selber heilt.

Täglich gingen sie zusammen an den Ufern des Arno spazieren. Der Fürst, in liebenswürdigster Schonung, versuchte es hierbei mit den verschiedensten Unterhaltungsstoffen. Sie dankte ihm oft mit einem Händedruck. Zuweilen wollte sie diese oder jene Frage des Gefühls erörtern; aber schnell füllten sich ihre Augen mit Thränen. Sie litt sehr von ihrer eigenen Fassungslosigkeit, und meist suchte der Fürst sie rasch von solchem Thema abzubringen: es war so schmerzlich ihr Zittern und ihre Blässe zu sehn. Einmal auch fing sie plötzlich mit gewohnter Anmuth zu scherzen an; verwundert blickte ihr der Freund ins Auge, aber da eilte sie auch schon hinweg und zerfloß in Thränen.

»Verzeihen Sie mir, ich wollte liebenswürdig sein«, sagte sie nachher, ihm die Hand reichend; »doch will es nicht gelingen. Seien Sie großmüthig genug, mich zu ertragen, wie ich bin.« – Von dem Zustande ihrer Gesundheit war Fürst Castel-Forte auf das Aeußerste beunruhigt. Zwar drohte ihr noch keine nahe Gefahr, aber unmöglich konnte sie lange leben, wenn nicht irgend ein glücklicher Umstand ihre Kräfte erneuerte. Um diese Zeit erhielt Fürst Castel-Forte einen Brief von Lord Nelvil, und obwohl er in der Sache nichts änderte, da er dessen Vermählung bestätigte, so enthielt dieser Brief doch Worte für Corinna, die sie sehr gerührt haben würden. Der Fürst überlegte lange, ob die Mittheilung derselben Corinna nicht eine nachtheilige Aufregung bereiten möchte; bei ihrer großen Hinfälligkeit war seine Unschlüssigkeit darüber sehr verzeihlich. Während er noch schwankte, traf ein zweiter Brief von Lord Nelvil ein, der ebenfalls voll warmen Gefühls für Corinna war, aber zugleich die Nachricht von Oswalds Abreise nach Amerika enthielt. Nun war der Fürst entschlossen, ihr nichts zu sagen. Vielleicht hatte er hierin Unrecht; denn Corinna's bitterster Schmerz war es eben, daß Lord Nelvil ihr nicht schrieb. Sie wagte nicht, dies Jemand zu gestehen; aber obgleich er auf immer von ihr geschieden war, würde ihr ein Beweis seines Gedenkens, ein Wort von ihm, sehr theuer gewesen sein. Dieses grausame Stillschweigen, das ihr nicht einmal Gelegenheit gab, seinen Namen zu nennen, oder nennen zu hören, dies war ihr fast das Entsetzlichste!

Ein Leid, von dem uns Niemand spricht, ein Leid, das in Tagen, in Jahren nicht die mindeste Veränderung erfährt, und keinem Ereigniß, keinem Wechsel unterworfen ist, das schmerzt viel tiefer noch, als eine ganze Reihe bittrer Erfahrungen. Fürst Castel-Forte folgte dem allgemeinen Grundsatz, nach welchem man auf alle Weise ein Vergessen herbeizuführen suchen muß; die Menschen aber, die mit leidenschaftlicher Treue lieben, für diese giebt es kein Vergessen; für diese ist es immer noch besser, eine Erinnerung unablässig zu erneuern, die Seele durch Thränen zu ermatten, als sie zu zwingen, daß sie sich in sich selbst verschließe.


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