Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Vorwort.

Wenn der geistvolle Michelet irgendwo die Entdeckung macht, daß »das erste Buch, das wirklich für eine Frau geschrieben wäre, in der französischen Literatur noch geschrieben werden müsse«, so hat er einigen Grund zu dieser eigenthümlichen Klage. Nicht, als ob der englische Maßstab der landläufigen Wohlanständigkeit der höchste wäre, den man an ein dichterisches Werk legen könnte! Im Gegentheil, – eine schöne Literatur, die nur noch für den Theetisch in den Drawingrooms geschrieben wird, die nur noch darauf bedacht ist, die zarten Seelchen von sechzehn Jahren ja nicht zu beleidigen, ist ganz gewiß eine Epigonenliteratur, die mit starken Schritten ihrem Verfall entgegengeht. Aber ein Anderes ist es: nur für Frauen schreiben, und ein Anderes: gar nicht mehr für Frauen schreiben, oder, um es genauer auszudrücken: gar nicht mehr so zu schreiben, daß ein harmonisches, im besten Sinne keusches Gemüth seine Freude daran haben kann. Und dieser Vorwurf, die Sympathie der reinlichen Geister verscherzt zu haben und zu verscherzen, bleibt allerdings – eine Menge ehrenvoller Ausnahmen selbstverständlich abgerechnet – in der Hauptsache auf der neueren französischen Literatur haften.

Die Literatur ist, im Ganzen und Großen, das treue Spiegelbild des Geisteslebens der Gesellschaft, in welcher und für welche sie geschrieben wird. Eine Gesellschaft nun, in der, wie in der französischen, der Scharfsinn und der Sensualismus das entschiedene Uebergewicht über den Tiefsinn und das Gemüth haben, muß nothwendig eine Literatur hervorbringen, die sich mehr durch glänzenden Esprit als durch große Gedanken auszeichnet, die mehr sinnlich als sittlich, mehr kritisch als productiv ist, die uns mehr reizt als rührt, und mehr beunruhigt und verstimmt als erhebt und bildet. Unter dem Vorwande, die intimsten Beziehungen der Gesellschaft aufdecken zu wollen, wendet man sich mit Vorliebe zu den Nachtseiten der Gesellschaft, und indem man sich den Anschein giebt, die geheimsten Herzensfasern blos zu legen, wühlt man gierig in den Eingeweiden. Zuletzt bleibt dann noch immer die Ausflucht, zu sagen, daß in der Societät, die man schildert, noch viel schlimmere Dinge vorgehen, daß man das Abscheuliche nur berichte, um Abscheu, und das Ekelhafte nur auftische, um Ekel zu erregen, und daß somit die Liaisons dangereuses des Choderlos de Laclos und die Fanny des Herrn Feydeau sehr moralische Bücher seien.

Diese Beweisführung hat bei uns Deutschen nie recht verfangen wollen; wir beklagen die Frivolität und den Cynismus als widerwärtige Ingredienzien der neueren französischen Literatur, und haben uns – zum wenigsten in neuerer Zeit – in unsern Ansichten, unsern Urtheilen, unserm Geschmack dadurch nicht eben verwirren lassen. Die Anstrengungen der Verleger, die uns mit – wo möglich noch dazu schlechten – Übersetzungen dieser Sorte Literatur beglücken wollten, sind fast ohne Ausnahme vergeblich gewesen.

Aber es ist noch eine andere Eigenthümlichkeit, die wir unsern überrheinischen Nachbarn kaum weniger verzeihen können, da dieselbe uns vielfach den Genuß im Uebrigen geistvoller Bücher verleidet. Diese Eigenthümlichkeit ist ein Ausfluß der centralisirenden Tendenz, die dem französischen Geiste nun einmal in allen Sphären theoretischer und praktischer Bethätigung inhärirt, und in der Politik den Imperialismus, in dem socialen Leben die Mode, und in der Literatur, trotz aller scheinbaren Willkür, eine gewisse sterile Einseitigkeit in der Auffassung der Verhältnisse, in der Genesis der Gedanken, ja in dem Ausdruck selbst hervorbringt. Das ewige Rücksichtnehmen auf das qu'en dira-t-on ist der freien Entfaltung des poetischen Genius so ungünstig wie möglich. Wenn man sich consequent daran gewöhnt, zu schreiben, nicht wie man könnte, sondern wie man muß, um den Baal der Mode nicht zu beleidigen, kann man schließlich nicht mehr schreiben, wie man müßte, um eine große Wirkung, eine Wirkung, die sich nicht auf Paris und nicht auf Frankreich beschränkt, hervorzubringen. Das Wort Lamartine's, daß Gott, wenn er der Menschheit eine Idee offenbaren wolle, sie in die Brust eines Franzosen pflanze, ist eine kindische Rotomontade. Die großen humanen Gedanken, an deren Verwirklichung sich die Menschheit unserer Tage abmüht, haben nicht von französischen Geistern ihre größte Vertiefung erfahren, und sind nicht in französischer Sprache am präcisesten formulirt worden – ihr großes Jahr 89 in allen gebührenden Ehren!

Unter den französischen Autoren seit der Revolution haben sich Wenige von den beiden schlimmsten nationalen Fehlern: der Frivolität und der Einseitigkeit, so fern gehalten, und stehen deßhalb Wenige uns Deutschen in ihrem Denken und Empfinden näher, als die Schriftstellerin, welcher die Franzosen das beste Buch über Deutschland verdanken: Frau von Staël.

Es kann nicht die Absicht dieses kurzen Vorwortes sein, weder eine Biographie dieser merkwürdigen Frau, noch eine Analyse ihres außerordentlichen Genius zu geben. Ueber die Daten ihres Lebens bietet jedes gute Conversationslexikon die wünschenswerthe Auskunft, und die Würdigung ihrer Leistungen auf den mannigfaltigen Gebieten, auf denen sie thätig war, ist bei uns vielfach, zuletzt von Kreyßig,Anmerkung des Verlages: Fr. Kreyßig, Studien zur französischen Cultur und Literaturgeschichte. Berlin, Nikolaische Verlagshandlung, 1865. mit mehr oder weniger Glück versucht worden. Nur einige wenige Punkte sollen hier hervorgehoben werden, die dazu dienen mögen, denjenigen Leser, welcher durch dieses Buch zuerst mit ihr bekannt wird, über die exceptionelle Stellung, welche Frau von Staël in der französischen Literatur einnimmt, einigermaßen zu orientiren.

Und hier ist in erster Linie die politische Opposition bedeutsam, welche sie Zeit ihres Lebens dem Manne machte, in welchem sie, nicht mit Unrecht, eine Verkörperung jenes trotz all seiner glänzenden Eigenschaften einseitigen, schematistischen, dogmatischen Geistes erblickte: dem Gründer des ersten französischen Kaiserreichs, Napoleon Bonaparte. Wenn man sieht, wie diese Frau, die auf der andern Seite wieder so ganz Französin ist, niemals durch den Prunk und den Pomp des Imperialismus über den trockenen Kern, der in dieser funkelnden Schale stak, verblendet ist; wenn man wahrnimmt, wie sie – die feurige Patriotin – mit der Nüchternheit eines Benjamin Franklin sich durch nichts bestimmen läßt, »ihre Pfeife zu theuer zu kaufen«, wenn man liest, wie sie mit prophetischem Scharfblick den Tag erschaut, der »einst kommen würde«, und der schneller kam, als es die Weisesten der Weisen sich träumen ließen – so könnte man ihr, und hätte sie kein anderes Verdienst aufzuweisen, aufrichtige Bewunderung gewiß nicht versagen. Eine solche, durch alle Wechselfälle des Lebens standhaft bewahrte Haltung, findet ihre Erklärung nur zum kleineren Theil in den Zufälligkeiten der Abstammung, des Familieneinflusses, der Verbindungen, des besonderen Schicksals; sie kann in ihrem tiefsten Grunde nur begriffen werden aus einem der Seele eingebornen, durch Umstände wohl zu kräftigenden, aber durch keine Umstände zu vernichtenden Trieb, der, wie die Magnetnadel nach dem Pol, immerdar nach dem Einen weist, was Noth thut, weil das Leben ohne dies Eine nicht werth ist, gelebt zu werden. Dieses Eine aber ist die Freiheit, die Freiheit, die sich nicht auf Bayonette, sondern auf Vernunftgründe stützt, die Freiheit, der alle bluttriefende gloire sehr gleichgültig, ja verhaßt ist, wenn dieselbe in ihrem Gefolge den Cäsarismus einherführt.

Wie sehr dieser edle Freiheitstrieb der Seele dieser großen Frau immanent war, wird durch Nichts schlagender bewiesen, als dadurch, daß sie die Tyrannei auf allen Gebieten, die ihr überhaupt zugänglich waren, bekämpfte. Was auf politischem Gebiete der Imperialismus ist, der sich an die Stelle des Selbstbestimmungsrechtes des Volkes setzt, ist auf dem gesellschaftlichen das Dogma, das das Selbstbestimmungsrecht des Individuums aufhebt, und dem Herzen vorschreiben will, wie es schlagen soll. Auch in dem Kampfe gegen diesen Imperialismus der Sitte, den sie mit nicht minderer Leidenschaft ihr Leben hindurch führte, haben sie ohne Zweifel ihre persönlichen Schicksale: die Convenienz-Ehe mit einem nicht geliebten Manne u. s. w., bestärkt und angefeuert; aber hier ebenso wie dort ist es doch nur die freigeborne, feurige Seele, die sich ihr legitimes Recht nicht verkümmern lassen will, und ohne Unterlaß mit Aufbietung aller Energie, eifrig, leidenschaftlich nach dem Einen ringt, »was noth thut«.

Wenn ihr berühmtes Buch über Deutschland die Hauptschlacht ist, welche Frau von Staël dem politischen und nebenbei auch, wie es das Thema mit sich brachte, dem ästhetischen Imperialismus lieferte, so sind ihre zwei großen Romane Delphine (1802) und Corinne (1808) die Schläge, die sie gegen die Tyrannei einer engherzigen, in Aeußerlichkeiten verkommenen Welt führt. Beide Romane haben die bestimmte Tendenz, die Freiheit der Individualität und die Rechte des Herzens gegen die Hypokrisie der officiellen Moral zu vertheidigen. Die Figuren sind in beiden Romanen ungefähr die nämlichen, nur die Masken, die Namen sind verschieden. Corinne, die Dichterin, ist eine höhere, mächtigere Heldin, als Delphine, die französische Salondame; auch treten in unserm Roman die psychologischen Contraste schärfer hervor, als in dem andern, und aus diesen Contrasten natürlich auch die Idee, auf deren Herausarbeitung es der Dichterin ankam; überdies giebt der Boden, auf dem unser Roman spielt, eine glänzendere Staffage, als es dort möglich war.

Das Werk heißt »Corinne ou l'Italie«, und mit Recht, denn es ist von Italien, von dem italienischen Leben, der italienischen Landschaft, der italienischen Kunst mindestens ebenso viel, wenn nicht mehr die Rede, als von den Personen der Geschichte. Auf diese Weise haben wir nun freilich eine der anziehendsten Schilderungen Italiens, die je geschrieben sind, mit in den Kauf bekommen, aber es ist nicht zu leugnen, daß das Dichterwerk als solches dadurch – nicht besser geworden ist.

Oder, um es genauer auszudrücken: es hat durch dieses Ueberwuchern der Staffage sehr wesentlich verloren; der Hintergrund wird oft ganz und gar zum Vordergrund; und wir wissen manchmal nicht mehr, ob wir einen Roman, oder ob wir eine Reisebeschreibung lesen. Die Schale ist eine Welt zu weit für den Kern; und hier muß denn gesagt werden, was der Grund dieses ästhetischen Mißverhältnisses ist.

Frau von Staël ist kein poetischer Genius in dem Sinne, den wir damit verbinden. Ihre Einbildungskraft, so weit sich dieselbe in dem Schaffen von lebenskräftigen Gestalten und in der Fähigkeit, diese Gestalten in Action zu setzen, bethätigt, ist sehr gering. Von der holden Kunst »des Fabulirens« hat sie kaum eine Ahnung. Ihre Personen treten nicht vor uns hin, wie bei Homer, oder Goethe, oder jedem großen Epiker: man weiß nicht wie, und doch greifbar deutlich; sondern sie giebt uns gleichsam nur die disjecta membra, die wir dann, so gut wir können, zusammensetzen müssen. Diese Menschen thun wenig, aber sprechen viel; mehr noch aber spricht die Dichterin selbst, die in dem Bewußtsein, daß ihre Helden eben poetisch auf schwachen Füßen stehen, fortwährend das Bedürfniß fühlt, sie zu stützen, sie keinen Augenblick allein läßt und immerfort bemüht ist, sie dem Leser zu interpretiren. Freilich ist diese Interpretation so beredt, so feurig, so geistreich, so scharfsinnig, daß wir darüber das Schemenhafte dieser Figuren beinahe vergessen, und schließlich doch an sie glauben müssen: an Corinne, das geniale, unglückliche Weib, die Verkörperung des freien Geistes im Staël'schen Sinne, an Oswald, den gentleman born and bred, die personificirte Wohlanständigkeit, die immer fragt: was würde mein seliger Herr Vater dazu sagen? an den Grafen d'Erfeuil, den Repräsentanten des weltmännischen Tactes, der sich durch seinen unregelmäßigen Herzschlag aus dem Tact bringen läßt, und an die Andern.

Doch ich sehe, daß ich in Gefahr bin, aus dem kurzen Vorwort eine lange Vorrede zu machen, und so will ich denn nur noch schließlich dem geneigten Leser die vorliegende Uebersetzung empfehlen, die sich freilich durch Gewissenhaftigkeit und liebevolles Eindringen in den Geist des Originals am besten selbst empfiehlt.

Berlin,

Friedrich Spielhagen.



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