Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Fünfzehntes Buch

Der Abschied von Rom und die Reise nach Venedig

Erstes Kapitel

Oswald hatte Corinnens Brief in tiefster Bewegung gelesen; ein verworrenes Durcheinander von Schmerzen kämpfte in ihm. Bald verletzte ihn ihre Schilderung des englischen Provinzlebens, denn mit Verzweiflung folgerte er daraus, daß eine solche Frau niemals in der Häuslichkeit glücklich sein werde; bald beklagte er sie über ihr Erduldetes und konnte sich nicht erwehren, die Offenherzigkeit und Einfachheit ihrer Erzählung liebevoll zu bewundern. Auf ihre früheren Neigungen war er eifersüchtig, doch je mehr er sich diese Eifersucht verbergen wollte, je mehr quälte sie ihn. Vor Allem aber, und auf das Bitterste, bekümmerte ihn der Antheil seines Vaters in Corinnens Geschichte; sein Herz war so beklommen, daß er nicht wußte, was er dachte, was er that. Er ging in der Mittagszeit, bei der heißesten Sonnengluth, ins Freie; um diese Stunde sind Neapels Straßen menschenleer; die Furcht vor der Hitze hält alle lebenden Wesen im Schatten zurück. Sich planlos dem Zufall überlassend, wendete er sich nach Portici hinaus; die senkrecht glühenden Strahlen fielen auf sein Haupt, um seine Gedanken zugleich aufzuregen und zu verwirren.

Corinna konnte indessen, nach einigen durchwarteten Stunden, der Sehnsucht, Oswald zu sprechen, nicht länger widerstehn. Sie eilte in sein Zimmer; mit tödtlichem Schreck gewahrte sie seine Abwesenheit um diese Stunde. Auf dem Tische lagen ihre Bekenntnisse, und da sie nicht zweifeln konnte, daß Lord Nelvil sich erst, nachdem er sie gelesen, entfernt habe, bildete sie sich ein, er wäre abgereist, und sie würde ihn nicht wiedersehen. Von rastlosem Schmerz erfaßt, versuchte sie dennoch zu warten, wiewohl jeder Augenblick sie zu verzehren schien; sie eilte in großen Schritten durch das Gemach, und hielt dann wieder plötzlich inne, in der Furcht, ein Klang, der seine Wiederkehr verkünde, könne ihr entgehen. Endlich, da sie sich nicht länger zu beherrschen vermochte, ging sie hinunter, um zu fragen, ob und in welcher Richtung Oswald ausgegangen sei. Der Wirth des Hotels erwiderte, Lord Nelvil sei nach der Seite von Portici hin, aber hoffentlich wohl nicht weit gegangen, denn eben jetzt würde ein Sonnenstich sehr gefährlich sein. In dieser neuen Sorge eilte Corinna nun, vergessend, daß sie selbst unbedeckten Hauptes und durch nichts gegen die Mittagssonne geschützt war, die bezeichnete Straße hinunter. Das weiße Lavapflaster Neapels, welches nur ausgebreitet scheint, um das Uebermaß von Licht und Hitze noch zu vervielfältigen, brannte gegen ihre Füße, und blendete sie fast mit den zurückgeworfenen Sonnenstrahlen.

Sie hatte durchaus nicht die Absicht, bis Portici zu gehen, und doch lief sie, von Angst und Unruhe getrieben, immer weiter, immer schneller. Auf der großen Straße war kein Mensch zu sehen; um diese Stunde halten sich selbst die Thiere verborgen und fürchten die Natur.

Sobald der leiseste Windstoß über die Straße zog, erhoben sich entsetzliche Staubwolken; die mit diesem Staub bedeckten Wiesen sind ohne Grün, ohne Leben. Von Schritt zu Schritt glaubte Corinna umzusinken; sie begegnete auch nicht einem Baum, der ihr Schatten oder eine Stütze bot, und ihr Verstand verwirrte sich in dieser flammenden Wüste. Es blieb ihr jetzt nur noch eine kurze Strecke bis zu dem Palast des Königs, unter dessen Säulengängen sie Schatten und Wasser gefunden hätte. Aber die Kräfte versagten ihr. Vergeblich zwang sie sich zum Gehen; sie sah ihren Weg nicht mehr; ein Schwindel überkam sie und neckte sie mit tausend noch sprühenderen Lichtern, als die des sengenden Tages waren, und diesen Lichtern folgte eine Wolke, welche sie mit dichter, aber nicht kühlender Dunkelheit umgab. Von brennendem Durst verzehrt, bat sie einen ihr begegnenden Lazzaroni, – das einzige Menschenwesen, welches um diese Zeit der Gewalt des Klimas zu trotzen wagte, – ihr einen Trunk Wasser zu holen; aber der Mann zweifelte nicht, daß diese zu solcher Stunde allein umherirrende, durch ihre Schönheit und elegante Kleidung so auffallende Frau eine Wahnsinnige sei, und mit Entsetzen eilte er von dannen.

Zum Glück kam jetzt Oswald zurück; er vernahm zuerst ungläubig, dann völlig außer sich, Corinnens klagende Stimme, und die bewußtlos Zusammensinkende in seine Arme nehmend, trug er sie unter die Arkaden des Königspalastes von Portici, wo er sie mit liebender Sorgfalt allmählig ins Leben zurückrief.

»Sie gelobten mir, nicht ohne mein Vorwissen mich zu verlassen«, sagte sie, noch halb verwirrt, zu Oswald; »ich mag Ihnen jetzt Ihrer Liebe unwerth scheinen, aber was hat das mit der Einhaltung Ihres Versprechens zu thun?« –

»Corinna«, antwortete Oswald, »noch nie hat der Gedanke, Sie zu verlassen, mein Herz erniedrigt; ich wollte nur über unsere Zukunft nachdenken, und mich besser sammeln, ehe ich Sie wiedersähe!« – »Nun also«, sagte Corinna, indem sie ruhig zu scheinen versuchte, »Sie haben Zeit dazu gehabt, – während dieser drei tödtlichen Stunden, die mich fast das Leben kosteten, haben Sie Zeit dazu gehabt. Sprechen Sie, sagen Sie, was Sie beschlossen haben.« – Ihr Ton, der so deutlich ihre Erschütterung verrieth, erschreckte Oswald. – »Corinna«, sagte er, vor ihr niederknieend, »die Liebe Deines Freundes ist unverändert; was habe ich denn erfahren, das Dich mir entzaubern könnte? Aber höre mich an«; und da sie immer heftiger zitterte, fuhr er dringend fort: »Höre mich ohne Schrecken an, mich, der ja nicht leben könnte, wenn er Dich im Unglück wüßte.« – »O«, rief Corinna, »von meinem Glück also sprechen Sie nur, und es handelt sich schon nicht mehr um das Ihre? Ich weise Ihr Mitleid zwar nicht zurück, in diesem Augenblick habe ich es nöthig; aber meinen Sie etwa, daß ich von ihm allein leben möchte?« – »Nein, wir werden Beide von meiner Liebe leben«, sagte Oswald; »ich komme wieder...« – »Sie kommen wieder!« unterbrach ihn Corinna; »ach, so wollen Sie also fort? Was ist denn geschehen, was ist denn verändert seit gestern? O, ich Unglückselige!« – »Geliebteste, laß Dein Herz nicht gleich so aufstürmen«, sagte Oswald, »und gestatte mir, – wenn ich's vermag, – Dir darzulegen, was ich überdacht habe; es ist weniger, als Du fürchtest, viel weniger. Ich muß nur«, erklärte er mit großer Anstrengung, »ich muß doch die Gründe wissen, welche mein Vater vor sieben Jahren unserer Verbindung entgegengesetzt haben kann; er hat mir nie davon gesprochen und ich bin über diesen Punkt ohne jede Kenntniß; aber sein innigster Freund, der noch in England lebt, wird mir angeben können, was er einzuwenden hatte. Wenn es, wie ich glaube, nur geringe Nebenumstände betrifft, werde ich kein Gewicht darauf legen, werde ich Dir verzeihen, daß Du Deines und meines Vaters Land, ein so edles Vaterland, verlassen konntest. Die Liebe wird Dich, hoffe ich, mit ihm verbinden, und Du wirst das häusliche Glück und seine stille Tugend selbst dem Glanze Deines Genius vorziehen. Ich hoffe Alles, ich will Alles thun. Doch wenn mein Vater sich gegen Dich erklärte, Corinna, will ich zwar nicht der Gatte einer Andern werden, aber niemals könnte ich der Deine sein.« –

Oswald rang nach Fassung; seine Stirn bedeckte kalter Schweiß; Corinna sah dies, und ergriff stumm seine Hand. »Wie! Sie reisen!« sagte sie endlich. »Sie gehen nach England – ohne mich!« – Er schwieg. »Grausamer!« rief sie verzweifelnd, »Sie antworten nichts, Sie bestreiten nicht, was ich sage. Weh mir! so ist's denn wahr! Ach, indem ich's sagte, glaubte ich es noch nicht.« – »Ich habe, Dank Ihnen, das Leben wiedergefunden, das zu verlieren ich nahe daran war«, erwiderte Oswald, »und dies Leben gehört während des Krieges meinem Vaterlande. Darf ich mich mit Ihnen verbinden, so verlassen wir uns nicht mehr, und ich werde Ihnen Ihren Namen und Ihre Existenz im Vaterlande wiedergeben. Ist dies glückliche Loos mir aber versagt, so kehre ich, bei eingetretenem Frieden, nach Italien zurück; ich würde dann lange an Ihrer Seite bleiben, und nichts weiter an Ihrem Schicksal ändern, als daß Sie einen treuen Freund mehr an mir hätten.« – »Ach! Sie würden nichts weiter an meinem Geschicke ändern? Und sind doch der einzige Gedanke meines Lebens geworden, und haben mich doch diesen berauschenden Trank kosten lassen, nach welchem es nur Glück oder Tod giebt! Aber sagen Sie mir wenigstens, wann – wann wollen Sie reisen? wie viel Tage bleiben wir noch?« – »Geliebte, ich schwöre Dir, daß ich Dich vor drei Monaten nicht verlasse, und selbst dann... –«

»Drei Monate!« rief Corinna, »eine so lange Zeit werde ich noch leben! Es ist viel, ich hoffte nicht so viel! Wir wollen gehen, mir ist jetzt besser; drei Monate – das ist ja eine Zukunft!« sagte sie mit einer Mischung von Freude und Trauer, die Oswald tief erschütterte. Darauf stiegen Beide schweigend in einen Wagen, der sie nach Neapel führte.

Zweites Kapitel

Bei ihrer Ankunft im Gasthofe fanden sie den Fürsten Castel-Forte, ihrer wartend. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, sie seien mit einander vermählt, und obgleich diese Nachricht dem Fürsten großen Schmerz verursachte, war er doch gekommen, um sich von der Wahrheit derselben zu überzeugen, und selbst jetzt noch, da sie für immer einem Andern gehörte, sich einen Platz neben ihr zu sichern. Mit großem Kummer bemerkte er Corinnens Schwermuth und äußerste Niedergeschlagenheit; er wagte indeß nicht sie zu fragen, da sie jeder Erwähnung dieses Gegenstandes auszuweichen schien. Es giebt einen Seelenzustand, in welchem man vor jeder Aussprache zurückscheut; ein Wort, das man sagt, oder hört, würde genügen, in unsern eigenen Augen die Täuschung zu zerreißen, die uns das Dasein noch erträglich macht. Und die Täuschung in leidenschaftlichen Gefühlen, welcher Art sie auch seien, hat das Eigenthümliche, daß man sich selber schont, wie man einen Freund schonen würde, den man durch eine Aufklärung zu betrüben fürchtet, und daß man, ohne es zu wissen, den eigenen Schmerz unter den Schutz des eigenen Mitleids stellt.

Am folgenden Tage suchte Corinna heiter und theilnehmend zu erscheinen; sie war ein sehr natürliches Weib, und wollte durchaus nicht mit ihrem Schmerze Effekt machen; auch glaubte sie, das beste Mittel, um Oswald festzuhalten, sei, sich so liebenswürdig zu zeigen, wie sonst. Sie fing also mit Lebhaftigkeit über einen interessanten Gegenstand zu sprechen an; plötzlich aber kam eine Art Abwesenheit über sie, und ihre Blicke irrten ziellos umher. Sie, die sonst die Leichtigkeit der Rede im allerhöchsten Grade besaß, zögerte in der Wahl der Worte, und bediente sich zuweilen eines Ausdrucks, der zu dem, was sie sagen wollte, nicht in geringster Beziehung stand. Sie lachte dann über sich selbst, und während des Lachens füllten ihre Augen sich mit Thränen. Oswald war in Verzweiflung über dies durch ihn verursachte Elend; er wollte allein mit ihr reden, aber sie mied sorgfältig jede Gelegenheit dazu.

»Was wollen Sie von mir wissen?« fragte sie ihn eines Tages, als er dringend um eine Unterredung bat. »Es ist schade um mich – was weiter? Ich empfand einigen Stolz auf meine Talente, liebte den Erfolg, den Ruhm; und die Huldigungen selbst alltäglicher Menschen waren mein Ehrgeiz. Jetzt frage ich nach nichts, und nicht das Glück hat mich von diesen eitlen Freuden abgewendet, sondern die tiefste Entmuthigung. Sie klage ich nicht an, es ist meine Schuld; vielleicht kann ich's überwinden. Es ereignen sich ja so viele Dinge in dem Innersten unserer Seele, die wir weder vorhersehen, noch lenken können! Und ich sehe es ja, Oswald, und erkenne es an: Sie leiden mit mir. Auch ich habe Mitleid mit Ihnen, und dies Gefühl ziemt ja wohl uns Beiden. Ach! es kann sich auf Alles, was athmet, erstrecken, ohne dabei viele Fehlgriffe zu begehen.«

Oswald war damals nicht weniger niedergeschlagen, als Corinna; er liebte sie sehr, doch hatte ihn ihre Geschichte in seiner Weise zu denken und zu fühlen verletzt. Er glaubte, sein Vater habe Alles vorhergesehen, Alles vorher erwogen, und fürchtete, die väterliche Mahnung zu mißachten, wenn er Corinna zur Gattin wähle. Indeß konnte er ihr auch nicht entsagen, und so sah er sich in die Schwankungen zurückgetrieben, denen er durch die Kenntniß ihrer Lebensverhältnisse zu entgehen gehofft hatte. Sie ihrerseits hatte das Band der Ehe mit Oswald nicht so sehr ersehnt, und wenn sie die Gewißheit gehabt hätte, er werde sie nie verlassen, würde sie nichts Weiteres für sich gewollt haben. Ihn aber kannte sie genug, um zu wissen, daß er kein anderes Glück, als das im häuslichen Leben begründete gelten lasse, und wenn er das Verlangen, sich mit ihr zu vermählen, aufgeben könne, so vermöge er es, weil er sie nicht mehr liebe. Oswalds Abreise nach England war ihr das Todeszeichen; sie wußte, wie vielen Einfluß die Sitten und Meinungen seiner Heimat auf ihn hatten; mit seinem Plan, an ihrer Seite in Italien zu leben, täuschte er sich selbst; klar sah sie voraus, daß, wenn er sich erst wieder im Vaterlande aufgehalten, der Gedanke, es zum zweiten Male zu verlassen, ihm entsetzlich sein werde. Ihre ganze Macht, das fühlte sie, lag in ihrem Zauber, und was ist solche Macht in der Abwesenheit? Was vermögen hohe, poetische Erinnerungen, wenn man von allen Seiten durch die Wirklichkeit, durch die Gewalt einer Gesellschaftsordnung umringt ist, die um so unerbittlicher zwingt, als sie sich auf edle und reine Principien gründet!

Corinna, durch diese Ueberlegungen gefoltert, hätte gern ihr Gefühl für Lord Nelvil einigermaßen verbergen mögen. Sie suchte mit dem Fürsten über Literatur und Kunst und Alles, was sie sonst interessirt hatte, zu reden; wenn aber Oswald ins Zimmer trat mit seiner stolzen Haltung, mit dem schwermüthigen Blick auf sie, der zu sprechen schien »Warum willst Du Dich von mir los machen?« dann war ihr Vorhaben vereitelt. Hundertmal wollte sie ihm sagen, daß seine Unentschlossenheit sie beleidige, daß sie entschieden sei, sich von ihm zu trennen; wenn sie dann indeß wieder sah, wie er unter der Last seines Schmerzes, gleich einem gebeugten Manne, den Kopf in die Hand stützte, wie er oft mit Anstrengung athmete, wie er am Meeresstrand träumte, oder bei schöner Musik den Blick zum Himmel wendete, – wenn sie diese stummen, für ihr Verständniß so wundersam beredten Weisen sah, dann hatte sie alle Kraft verloren. Der Ton, der Gesichtsausdruck, eine gewisse Anmuth der Bewegung – sie alle offenbaren der Liebe die verborgensten Innerlichkeiten unserer Seele; und es ist wohl gewiß, daß ein scheinbar so kalter Charakter, wie der Lord Nelvils, nur von der Frau, die ihn liebte, ergründet werden konnte. Die Gleichgültigkeit kann nichts errathen, und beurtheilt nur das, was offen daliegt. In schweigender Beklemmung beschloß Corinna sogar, zu verfahren wie früher, als sie zu lieben glaubte; sie rief ihren scharfen Beobachtungsgeist zu Hülfe, der die geringsten Schwächen gewandt entdeckte, und versuchte es ihrer Einbildungskraft abzunöthigen, daß sie ihr Oswald in weniger hinreißender Gestalt zeige; aber sie fand nichts an ihm, das nicht edel, rührend und einfach gewesen wäre; und wie soll man es denn auch anfangen, sich den Zauber eines durchaus klaren Charakters, eines vollkommen natürlichen Geistes zu entstellen? Nur wo es Affektation entdeckt, kann das Herz so jäh und plötzlich erwachen – das Herz, das nun erstaunt ist, hier geliebt zu haben.

Außerdem bestand zwischen Oswald und Corinna eine wunderbare, allmächtige Sympathie. Sie hatten nicht die gleiche Geschmacksrichtung, ihre Meinungen stimmten selten überein, und dennoch lebte und webte es auf dem Grunde ihrer Seele in geheinmißvoller Verwandtschaft, schöpfte dort das Lebensgefühl aus gleicher Quelle, gab es dort allerlei verborgene Aehnlichkeit, die eine und dieselbe Natur vermuthen ließ, wie sehr auch ihre äußerlichen Eigenschaften eine sehr von einander abweichende Gestalt angenommen hatten. Und indem also Corinna den Geliebten von Neuem beobachtete, ihn im Einzelnen beurtheilte, mit aller Kraft gegen den empfangenen Eindruck ankämpfte, hatte sie – das sah sie mit Schrecken – sich nur von der Unabänderlichkeit ihrer Liebe für ihn überzeugt.

Sie schlug dem Fürsten Castel-Forte eine gemeinschaftliche Rückkehr nach Rom vor, und Lord Nelvil fühlte, daß sie auf diese Weise das Alleinsein mit ihm vermeiden wolle; dies betrübte ihn zwar, doch widersetzte er sich dem nicht; er wußte nicht mehr, ob das, was er für Corinna zu thun vermochte, zu ihrem Glücke ausreichend sein würde, und dieser Zweifel machte ihn zurückhaltend. Corinna ihrerseits hätte gewünscht, daß er sich gegen die Reisegesellschaft des Fürsten gesträubt hätte, doch sagte sie es nicht. Ihr Verhältniß zu einander war nicht mehr einfach, wie sonst; zwar gab es noch keine Verstellung zwischen ihnen, aber schon machte Corinna einen Vorschlag, den sie von Oswald verweigert sehen wollte; und so drängte sich allmählig etwas Unklares in eine Liebe, die ihnen seit sechs Monaten ein wolkenloses Glück gegeben hatte.

Als sie Capua und Gaeta wieder berührten, dieselben Orte, die so kurze Zeit vorher Corinnens Seligkeit gesehen, stiegen bittre Betrachtungen in ihr auf, und diese schöne, zu Glück und Lebensgenuß aufrufende Natur vermehrte jetzt nur ihre Trauer. Wenn dieser Himmel nicht Vergessenheit zu gewähren vermag, dann wahrlich erhöht sein lachender Anblick, durch den Gegensatz, nur das innere Leid. Bei köstlicher Abendkühle kamen sie nach Terracina; dasselbe Meer brach seine Wogen an denselben Felsen. Nach dem Abendessen verschwand Corinna; da sie lange nicht wiederkam, ging Oswald beunruhigt, hinaus und sein Herz führte ihn an die Stelle, wo sie auf der Hinreise geweilt hatten. Er fand Corinna neben dem Felsen knieend, auf dem sie damals gesessen, und als er jetzt zum Mond aufblickte, sah er ihn mit einer Wolke bedeckt, genau so, wie es vor zwei Monaten um dieselbe Stunde gewesen war. Corinna erhob sich, und deutete nach der Wolke. »Hatte ich nicht Recht, an jene Weissagung zu glauben?« sagte sie, »und ist es nicht wahr, daß es ein Mitgefühl im Himmel giebt? Er hat mir die Zukunft vorhergesagt, und heute, sehen Sie, heute trauert er um mich. Vergessen Sie nicht Acht zu geben, Oswald, ob nicht die gleiche Wolke über den Mond hinwegzieht, wenn ich sterbe.« – »Corinna! Corinna! habe ich den tödtlichen Schmerz um Sie verdient, habe ich ihn verdient? Noch mehr solcher Worte, und ich sinke zusammen. Was ist denn mein Verbrechen? Durch Ihre Denkungsart sind Sie eine von der öffentlichen Meinung unabhängige Frau. Sie leben in einem Lande, wo diese Meinung niemals strenge ist, und wäre sie es, so würde Ihr Geist sie zu verachten wissen. Ich will, was auch geschehe, mein Leben mit Ihnen zubringen; ich will es; woher also dieser Schmerz? Wenn ich Ihr Gatte nicht werden kann, ohne ein Andenken zu beleidigen, das mit gleicher Gewalt, wie Sie es thun, meine Seele beherrscht, würden Sie mich dann nicht genug lieben, um in meiner Zärtlichkeit, in meiner nie ermüdenden Ergebenheit noch Glück zu finden?« – »Oswald«, erwiderte Corinna, »wenn ich glauben könnte, daß wir uns nie verlassen, hätte ich nichts mehr zu wünschen, aber........« – »Haben Sie nicht den Ring, das heilige Pfand?« – »Sie werden ihn zurückerhalten.« – »Nein, niemals!« rief er. »Ach, Sie werden ihn wiedererhalten, sobald Sie es wünschen; und wenn Sie aufhören mich zu lieben«, fuhr sie fort, »wird dieser Ring es mich wissen lassen. Sagt denn nicht ein alter Glaube, der Diamant sei treuer als der Mensch und sein Feuer erlösche, wenn der, welcher ihn gab, uns verrieth?« »Corinna!« rief Oswald, »Sie können von Untreue und Verrath sprechen? Ihr Geist umdunkelt sich, Sie kennen mich nicht mehr.« – »Verzeihung, Oswald, Verzeihung!« rief Corinna, »aber ein Herz in großer Leidenschaft ist mit wunderbarem Instinkt begabt, und seine Schmerzen werden zu Orakeln! Was bedeutet denn dies wehevolle Herzklopfen, das meine Brust durchbebt? O, mein Freund, wenn es mir nur den Tod verhieße, fürchtete ich's nicht!«

Nach diesen Worten entfernte sich Corinna sehr schnell, denn sie wollte keine längere Unterredung mit Oswald; sie gefiel sich durchaus nicht im Schmerz und vermied wo möglich die traurigen Eindrücke, aber sie kamen nur um so heftiger wieder, wenn sie sie zurückgedrängt hatte. Am folgenden Tage, als sie durch die pontinischen Sümpfe fuhren, hütete Oswald Corinna mit noch wärmerer Sorgfalt, als das erste Mal. Sie nahm es mit sanfter Dankbarkeit hin, aber aus ihrem Blicke sprach: »Warum willst Du mich nicht sterben lassen?«

Drittes Kapitel

Wie öde erscheint Rom dem von Neapel Kommenden! Man fährt durch das Thor St. Johann vom Lateran in die Stadt, dann lange, einsame Straßen hinunter. Das Geräusch von Neapel, seine Uebervölkerung und ihr lärmendes Treiben machen einen gewissen Grad von Unruhe zur Gewohnheit, nach welcher Rom anfangs ungemein öde erscheint. Nach einigen Tagen Aufenthalts gefällt man sich dort von Neuem. Wer aber einmal an ein zerstreuendes Leben gewöhnt ist, kehrt immer mit einem Gefühl der Schwermuth in sich selbst zurück, auch wenn man sich dabei zufrieden fühlt. Außerdem ist der Aufenthalt in Rom zu Ende des Juli, in welcher Jahreszeit man sich damals befand, sehr gefährlich. Einige Stadt-Viertel sind dann durch die ungesunden Dünste ganz unbewohnbar gemacht; nicht selten breiten sich die Fieber über die ganze Stadt aus. In diesem Jahre hatte man noch größere Besorgnisse, als gewöhnlich, und auf den meisten Gesichtern lag der Ausdruck geheimen Schreckens.

Bei ihrer Ankunft fand Corinna vor der Thür einen Mönch, der sie um die Erlaubniß bat, ihr Haus segnen zu dürfen, um es vor Ansteckung zu bewahren. Corinna gestattete es gern, und der Priester ging, Weihwasser sprengend und lateinische Gebete murmelnd, durch alle Zimmer. Lord Nelvil lächelte ein wenig über diese Ceremonie; Corinna war davon gerührt. »Für mich«, sagte sie, »liegt ein unbeschreiblicher Reiz in allen diesen religiösen, ich möchte fast sagen abergläubischen Gebräuchen, vorausgesetzt, solch ein Aberglaube enthalte nichts Feindliches, Unduldsames; der göttliche Beistand ist ja so nothwendig, wenn Gedanken und Empfindungen aus dem alltäglichen Kreislauf des Lebens heraustreten! Grade bei hervorragenden Geistern verstehe ich das Bedürfniß nach übernatürlichem Schutz.« – »Solch Bedürfniß ist ohne Zweifel vorhanden«, erwiderte Lord Nelvil, »aber kann es auf diese Art befriedigt werden?« – »Ich weise nie ein Gebet zurück, das sich mit dem meinigen vereinigen will, es komme mir, woher es wolle«, antwortete Corinna. »Sie haben Recht«, sagte Lord Nelvil, und der Armen und Kranken gedenkend, reichte er dem schüchternen, alten Mönche seine Börse hin; dieser entfernte sich mit Segenswünschen für das zurückbleibende Paar.

Sobald Corinnens Freunde ihre Heimkehr erfuhren, suchten sie sie eilig auf; Niemand wunderte sich, daß sie nicht als Oswalds Gemahlin wiederkam, Niemand wenigstens fragte nach den Hindernissen, welche dieser Verbindung im Wege gestanden hatten. Die Freude, sie wiederzuhaben, war zu groß, um Nebengedanken aufkommen zu lassen. Corinna war bemüht, sich ganz unverändert zu zeigen; doch gelang ihr das nicht, und sie fand ihre Schmerzen in Allem wieder, was sie unternahm. Sie suchte die Antiken- und Gemäldesammlungen, das Grab der Cäcilia Metella, den Garten der Villa Borghese wieder auf, aber der Aufenthalt an diesen sonst so geliebten Orten that ihr nur weh. Sie verstand das süße Genießen nicht mehr, das uns zwar über die Flüchtigkeit aller Lebensfreuden nicht täuschen kann, das uns aber lehrt, sie desto dankbarer aufzunehmen. Ein einziger, schwerer Gedanke lag drückend auf ihrem bangen Herzen, und die Natur, die nur Allgemeines sagt, hat keine Worte für ein übermächtiges, persönliches Leid.

Auch Oswalds und Corinnens gegenseitiger Verkehr litt jetzt unter einem peinlichen Zwang, der indeß noch nicht das ausgesprochene Unglück war; dieses erleichtert mit seinen heftigen Erschütterungen oft die gepreßte Brust und läßt aus dem Gewittersturme einen Blitz hervorleuchten, der Alles aufklären kann. Es war gegenseitige Zurückhaltung, es waren vergebliche Versuche den auf Beiden lastenden Umständen zu entrinnen, was ihnen ein wenig Unzufriedenheit miteinander gab. Kann man denn leiden, ohne anzuklagen, was man liebt? Und genügte es nicht eines Blickes, eines Tones, um Alles vergessen zu machen? Aber dieser Blick, dieser Ton, sie kommen nicht, wenn sie erwartet werden; sie fehlen, wenn sie nöthig sind. Nichts ist begründet in der Liebe; sie ist eine göttliche Macht, die in uns denkt und fühlt, ohne daß wir sie beeinflussen können.

In Rom griff jetzt plötzlich eine seit langer Zeit nicht mehr aufgetretene, ansteckende Krankheit um sich. Eine junge Frau erlag derselben, und Freunde und Familie, die sie nicht hatten verlassen wollen, starben mit ihr; das Nachbarhaus wurde vom gleichen Schicksal betroffen. Unausgesetzt war jene weißgekleidete Brüderschaft Roms in den Straßen zu sehen, welche verschleierten Angesichtes die Gestorbenen in die Kirchen trägt, – Todte, von Schatten getragen. Jene liegen mit unverhüllten Gesichtern auf einer Art von Bahre; nur über die Füße wirft man ihnen einen gelben oder rosenfarbenen Atlas, und oft spielen Kinder mit den erstarrten Händen des Hingeschiedenen. Derartige, zugleich schreckliche und anheimelnde Scenen werden von düstern, einförmig hingemurmelten Psalmen begleitet, denen alle Modulation fehlt, und in welchen nichts mehr von dem Klang einer menschlichen Seele zu finden ist.

Eines Abends, als Corinna mit Lord Nelvil allein war, und er eben sehr von ihrer schmerzlich befangenen Haltung litt, erhoben sich unter den Fenstern die ernsten, gedehnten Trauerklänge eines Leichenbegängnisses; sie hörten einige Zeitlang schweigend zu. »Vielleicht«, sagte Oswald zu Corinna, »vielleicht erfaßt auch mich morgen diese unerbittliche Krankheit, und Sie würden es dann bereuen, Ihrem Freund am letzten Tage seines Lebens nicht ein paar herzliche Worte gesagt zu haben. Corinna, uns Beide kann der Tod treffen; ist's denn nicht an dem Unvermeidlichen genug, müssen wir uns noch gegenseitig das Herz zerreißen?« Corinna, nun plötzlich von dem Gedanken an die Gefahr erschreckt, welcher Oswald inmitten dieser Seuche ausgesetzt sei, flehte ihn an, Rom zu verlassen. Er weigerte es auf das Bestimmteste. Darauf schlug sie eine gemeinsame Reise vor, und in diese willigte er offenbar sehr gern; denn er zitterte während dieser Epidemie schon längst für Corinnens Leben.

Ihre Abreise wurde auf den übermorgenden Tag festgesetzt; in der Frühe dieses Tages aber erhielt Lord Nelvil, der durch einen befreundeten Engländer, welcher Rom eben verließ, abgehalten worden war, Corinna seit dem vorgestrigen Abend zu sprechen, einen Brief von dieser, in welchem sie ihm schrieb, daß eine ebenso dringende als unerwartete Angelegenheit sie nöthige, nach Florenz zu reisen, und daß sie ihm also erst in vierzehn Tagen nach Venedig folgen könne; sie bat ihn, über Ancona zu gehen, und gab ihm dorthin einen scheinbar recht wichtigen Auftrag. Der Brief war liebevoll und ruhig abgefaßt, und seit Neapel hatte Oswald Corinnens Rede nicht so zärtlich und so heiter gefunden. Er glaubte deshalb an den Inhalt ihrer Zeilen und schickte sich bereits zur Abreise an, als es ihm einfiel, Corinnens Haus, ehe er Rom verlasse, noch einmal sehen zu wollen. Er geht hin und findet die Thür verschlossen; erst nach längerem Klopfen öffnet ihm die alte Hüterin des Hauses, berichtet, daß die Herrin mit ihrer ganzen Dienerschaft verreist sei, und steht allen weiteren Fragen Oswalds nicht Rede. Er begiebt sich zum Fürsten Castel-Forte, der ihm nichts von Corinna sagen kann, und auf das Aeußerste über eine Abreise verwundert ist, von welcher er nichts erfahren. Nun bemächtigt sich Oswalds die größeste Unruhe, und er beschließt, den in Tivoli wohnenden Haushofmeister Corinnens, der doch irgend welche Befehle erhalten haben mußte, aufzusuchen. Mit einer Schnelligkeit, die nur der Ausdruck seiner innern Aufregung war, erreicht er die Villa; alle Thüren stehen offen, und ohne Jemand anzutreffen, dringt er bis zu Corinnens Zimmer vor; hier findet er sie, im Halbdunkel auf ihrem Bette liegend, und nur Theresina an ihrer Seite. Er stößt einen Schrei aus, der Corinna zum Bewußtsein bringt, und als sie ihn nun gewahrt, richtet sie sich mit abwehrender Bewegung auf. »Kommen Sie mir nicht nahe«, ruft sie, »ich verbiete es Ihnen; ich sterbe, wenn Sie mich anrühren.« – Oswald war entsetzt, völlig verwirrt; schien es doch, als beschuldige die Geliebte ihn irgend eines Verbrechens, als hasse, als verachte sie ihn. An ihrem Bette niederknieend, richtete er so verzweifelnde, so unklare Fragen an sie, daß Corinna plötzlich auf den Gedanken kam, seinen Irrthum zu benützen: wie einem strafbaren Verräther gebot sie ihm, sich auf immer von ihr zu entfernen.

Bestürzt, beleidigt, wollte er hinaus. »Ach, Mylord, Sie werden doch meine arme Herrin nicht verlassen?« rief jetzt Theresina. »Sie hat all ihre Leute fortgeschickt, und selbst meine Pflege wollte sie zurückweisen, denn sie hat die ansteckende Krankheit.« – Jetzt verstand Oswald Corinnens edle, selbstverläugnende List, und mit einem Entzücken, mit einer Rührung, wie er sie nie empfunden, sank er an das Herz der Geliebten. Umsonst stieß diese ihn zurück, umsonst schalt sie entrüstet auf Theresina, die von Oswald gebieterisch hinausgeschickt wurde. Er schloß Corinna in seine Arme, bedeckte sie mit Thränen und Küssen. »Jetzt«, rief er, »jetzt stirbst Du nicht ohne mich! und wenn das unselige Gift in Deinen Adern fließt, dann, Dank dem Himmel, dann habe ich es wenigstens an Deiner Brust mit eingeathmet.« – »Grausamer! Geliebter! zu welcher Qual verurtheilst Du mich! O mein Gott! weil er ohne mich nicht leben will, wirst du nicht dulden, daß er sterbe.« Nach diesen Worten hatten Corinnens Kräfte sie auch schon wieder verlassen. Acht Tage lang schwebte sie in höchster Gefahr, und in all ihren Fantasien gedachte sie immer nur seiner. »Man soll Oswald von mir entfernen. Er darf mich nicht berühren! Man muß ihm verbergen, wo ich bin.« Als sie wieder bei Sinnen war, galt ihr erstes Wort dem Geliebten. »Oswald; Du bist da!« sagte sie, »im Tode, wie im Leben, werden wir also vereinigt sein.« – Und als sie ihn so blaß sah, gerieth sie in die tödtlichste Angst, und flehte um seinetwillen die Aufmerksamkeit der Aerzte an, die ihr den seltenen Beweis von Freundschaft gegeben hatten, sie nicht zu verlassen.

Oswald hielt unaufhörlich ihre glühenden Hände in den seinen; er leerte den Becher, den sie zur Hälfte ausgetrunken, er suchte mit solcher Begier die Gefahr der Freundin zu theilen, daß diese selbst darauf verzichtete seine leidenschaftliche Hingebung zu bekämpfen, und ihren Kopf auf seinen Arm lehnend ihn gewähren ließ. Kann denn die Zusammengehörigkeit zweier Menschen, welche sich genug lieben, um einzusehen, daß sie das Leben ohne einander nicht ertragen würden, kann sie nicht so weit gehen, um sie dem Tode, wie allem Andern gemeinsam entgegen zu führen?Anmerkung der Autorin: Man hatte zu Bologna um zwei Uhr Nachmittags eine Sonnenfinsterniß angekündigt; das Volk versammelte sich auf dem Marktplatz, um sie zu sehen, und als sie zu erscheinen zögerte, wurde es ungeduldig und rief ungestüm, wie nach einem Schauspieler, der auf sich warten läßt; endlich wurde sie sichtbar, und da ein nebliges Wetter es zu keinem rechten Effekte kommen ließ, und das Schauspiel also die Erwartung der Leute nicht befriedigte, fingen sie an zu lärmen und zu pfeifen. Glücklicherweise blieb Oswald von der Ansteckung verschont, und Corinna genas. Aber ein anderes Uebel war tiefer, denn je, in ihr Herz gedrungen: die von dem Freunde ihr bewiesene Großmuth und Liebe verdoppelten, wenn es noch möglich war, ihre Leidenschaft für ihn.

Viertes Kapitel.

Corinna und Lord Nelvil nahmen nun den Entschluß, nach Venedig zu reisen, um Roms todbringender Luft zu entgehen, von Neuem wieder auf. Ueber ihre weiteren Zukunftspläne beobachteten sie das frühere Stillschweigen, aber mit größerer Zärtlichkeit, denn je, gaben sie sich dem Ausdruck ihrer Liebe hin, und Corinna vermied nicht weniger sorgfältig, als der Freund, ein Thema zu berühren, das so leicht den göttlichen Frieden ihres Verkehrs stören konnte. Welch einen Glückesreichthum barg so ein mit ihm verlebter Tag! Mit welchem Entzücken genoß er die Unterhaltungen der Geliebten, folgte er ihren Bewegungen, errieth er ihre geringsten Wünsche, und dies Alles mit so beständigem, so anhaltendem Interesse, daß ein anderes Leben für ihn undenkbar schien, daß es unmöglich schien, er könne so viel Glück gewähren, ohne selbst glücklich zu sein. Corinna schöpfte Sicherheit aus der eigenen, tief empfundenen Beseligung. Wer eine Zeitlang in solchem Zustand lebt, glaubt endlich, dieser sei vom Dasein unzertrennlich, sei das wahre, eigentliche Leben. Er irrt. Corinnens Herzensangst hatte sich nur wieder beruhigt, und ihre Sorglosigkeit kam ihr noch einmal zu Hülfe.

Ihr letzter Tag in Rom fand sie indessen doch in tiefer Schwermuth, sie fürchtete und wünschte es für immer zu verlassen. In der Nacht vor dem Morgen der Abreise hörte sie eine singende Schaar Römer und Römerinnen unter ihren Fenstern vorüberziehen. Schlafen konnte sie doch nicht, so widerstand sie dem Verlangen nicht, es Jenen nachzuthun und noch einmal auf diese Art ihre geliebte Stadt zu durchwandern. Sie kleidete sich an, ließ Wagen und Diener in einiger Entfernung folgen, und dicht in einen Schleier gehüllt, der sie unkenntlich machte, erreichte sie bald bis auf wenige Schritte den fröhlichen Trupp, welcher auf der Engelsbrücke, gegenüber dem Mausoleum Hadrians, Halt gemacht hatte. Die Musik, an dieser Stätte, klang wundersam, als wolle sie dem Lauschenden erzählen, wie vergänglich und traumhaft alle Herrlichkeit der Welt sei. Es war, als sehe man den großen Schatten Hadrians in den Lüften schweben, der erstaunt ist, keine andere Spur seiner Macht auf Erden zu finden, als ein Grab. Die Schaar setzte ihren Weg weiter fort, immer in die schweigende Nacht hinaussingend. Zu dieser Stunde, wenn die Glücklichen schlafen, mochten die reinen sanften Klänge wohl Manche trösten, denen der Schmerz die Augen offen hielt. Corinna folgte ihnen, nachgezogen von dem unwiderstehlichen Zauber der Melodie, welcher uns die Müdigkeit vergessen läßt, und unserem Schritte Flügel leiht.

Vor der antoninischen Säule und der des Trajan machten die Sänger von Neuem Halt, und sangen diesen, wie auch dem Obelisken von St. Johann vom Lateran ihren Gruß entgegen. Die ideale Sprache der Musik stimmte würdig zu dem idealischen Eindruck dieser Monumente, und Begeisterung allein herrschte jetzt, während des Schlafes der gemeinen Tagesinteressen, in dieser ewigen Stadt. Endlich entfernte sich die singende Schaar, und Corinna blieb einsam neben dem Coliseum zurück, dessen Umkreis sie nun betrat, dem antiken Rom ein Lebewohl zu sagen. Wer das Coliseum nur bei Tage gesehen hat, kennt es nicht; wohl ist er schön, der festlich verklärende Glanz der italienischen Sonne; der Mond aber ist das Gestirn der Ruinen! Zuweilen liegt hinter den Oeffnungen des Amphitheaters, das bis in die Wolken aufzusteigen scheint, ein Stück des Himmelsgewölbes, gleich einem hinter dem Gemäuer herabgezogenen dunkelblauen Vorhang. Pflanzen, wie sie gern in der Einsamkeit grünen, schlingen sich um die zerbröckelnden Mauern und scheinen jetzt, in dem Halbdunkel der Nacht so wirr und fremdartig. Die Seele durchschauert heilige Rührung, wenn sie sich hier mit der Natur allein findet.

Die eine Seite des Bauwerkes ist viel verfallener, als die andere. Obwohl Zeitgenossen, kämpfen sie doch mit ungleichem Erfolg gegen die Zeit; der schwächere Theil unterliegt, der stärkere widersteht noch, um eben auch bald zusammenzustürzen. »Heilige Stätte«, rief Corinna, »wo in diesem Augenblicke kein menschliches Wesen mit mir lebt, wo nur meine Stimme allein meiner Stimme Antwort giebt, warum besänftigen sich die Stürme der Leidenschaften nicht an dieser Ruhe der Natur, die so gelassen die Generationen an sich vorübergehen läßt? Hat denn das Weltall nicht noch einen andern Zweck als den Menschen, und sind all seine Wunder nur da, um auf unsere Seele zurückzustrahlen? Oswald! Oswald! warum dich mit solcher Anbetung lieben? warum sich Empfindungen hingeben, die neben der Ewigkeit, neben den überirdischen Hoffnungen, die uns an die Gottheit knüpfen, doch nur Eintagsgefühle sind? Großer Gott! wenn es wahr ist, wie ich's ja glaube, daß man dich nur mehr bewundert, je mehr man des Nachdenkens fähig ist, dann hilf mir in der Gedankenwelt eine Zufluchtsstätte finden vor diesem Herzeleid! Ist denn der edle Freund, dessen geliebtes Auge ich nicht vergessen kann, nicht ein ebenso vorübergehendes Wesen, als ich? Und droben über den Sternen wohnt doch eine ewige Liebe, die allein der Unendlichkeit unseres Sehnens genügen sollte.« – Corinna blieb noch lange dort, in Träumerei versunken, endlich schlug sie ernsten Schrittes den Weg nach ihrem Hause ein.

Vorher aber wollte sie noch nach der Peterskirche gehen, um den Anbruch des Tages dort zu erwarten, und von der Höhe ihrer Kuppel herab der Stadt Rom einen Abschiedsgruß zu sagen. Als jener Wunderbau jetzt vor ihr lag, suchte sie sich in Gedanken vorzustellen, wie er, wenn einst auch Ruine, den kommenden Geschlechtern ein Gegenstand der Bewunderung sein werde. Im Geist sah sie diese aufrecht stehenden Säulen zum Theil darniederliegend, diesen Porticus zertrümmert, das Gewölbe aufgedeckt, aber selbst dann würde sicherlich der Obelisk der Egypter noch auf die neuen Trümmer herabschauen: dies Volk hat für eine irdische Ewigkeit gearbeitet. Endlich kam die Morgenröthe, und Corinna betrachtete von der Höhe St. Peters das alte Rom, das hier vor ihr lag, verloren in der Campagna, gleich einer Oase in Libyens Wüste. Verödung umgiebt es; aber diese Schaar es überragender Thürme, Kuppeln, Obelisken, Säulen, über welche wiederum die Peterskirche in ihrer Größe sich noch erhebt, verleiht seinem Anblick eine ganz außerordentliche Schönheit. Diese Stadt besitzt einen, so zu sagen individuellen Reiz. Man liebt sie, wie ein lebenathmendes Wesen; ihre Mauern, ihre Trümmer sind unsere Freunde.

Corinna wendete sich scheidend dem Coliseum, dem Pantheon, der Engelsburg, kurz all den Orten zu, deren Anblick so oft die Freuden ihrer Einbildungskraft erneuert hatte. »Leb wohl, du Land der Erinnerung!« rief sie, »leb wohl, du Stätte, wo das Leben weder von der Gesellschaft, noch den Ereignissen abhängig ist, wo die Begeisterung sich durch die Bewunderung äußerer Gegenstände, durch den innigsten seelischen Zusammenhang mit ihnen, nährt. Ich gehe fort; ich folge Oswald, ohne auch nur zu wissen, welches Loos er mir bestimmt; folge dem Manne, welchen ich dem unabhängigen Leben vorziehe, das mir so glückliche Tage gewährt hat. Vielleicht komme ich wieder zurück; aber mit verwundetem Herzen, mit gebrochener Seele, und selbst ihr, ihr schönen Künste und heiligen Monumente, und du Sonne, die ich in der dunstigen Atmosphäre meines Exils so oft angerufen habe – ihr Alle werdet mir dann nichts mehr sein!«

Corinna weinte viel heiße Thränen bei diesem Abschiede, doch dachte sie nicht einen Augenblick daran, Oswald allein reisen zu lassen. Frei aus dem Herzen kommende Entschlüsse haben das Eigenartige, daß man sie klar beurtheilt, sie vor sich selbst oft mit Strenge tadelt, und doch nicht zögert, sie zu fassen. Wenn Leidenschaft einen überlegenen Geist bemeistert, trennt sie die Urteilskraft gänzlich vom Handeln, und hat es gar nicht nöthig, die eine zu verwirren, um das andere irren zulassen.

Als Corinna aus der Kirche trat, lag auf ihren bleichen, von dem Schleier und dem halbgelösten Haar malerisch umrahmten Zügen ein ungewöhnlicher Ausdruck; eine Menge Menschen folgten ihr unter Beweisen der verehrendsten Anhänglichkeit bis zum Wagen, und sie seufzte noch einmal, als sie ein Volk verließ, dessen Empfindungen immer so leidenschaftlich und oft so liebenswürdig sind.

Das war aber noch nicht Alles; Corinna hatte auch noch den Abschied von ihren Freunden zu bestehen. Diese ersannen, um sie noch einige Tage zurückzuhalten, Festlichkeiten aller Art, und machten Verse, um sie in tausend Weisen anzuflehen, sie möge sie nicht verlassen; als sie nun endlich abreiste, wurde sie von ihnen noch meilenweit hinausbegleitet. Sie war tief gerührt; Oswald aber blickte still vor sich nieder; er warf es sich vor, sie so vielem Glück zu entziehen, wenn er auch wußte, daß es noch grausamer gewesen wäre, ihr zum Bleiben zuzureden. Er schien selbstsüchtig, da er Corinna so hinwegführte, und war es doch eigentlich nicht; denn die Furcht, sie durch sein Alleinreisen zu betrüben, bestimmte ihn mehr noch, als das Glück, welches er mit ihr genoß. Noch wußte er nicht, was er thun werde, und über Venedig vermochte er nicht hinauszudenken. Er hatte nach Schottland, an einen der Freunde seines Vaters geschrieben, um zu erfahren, ob sein Regiment bald zu aktivem Kriegsdienst herangezogen würde, und erwartete noch die Antwort. Zuweilen dachte er daran, Corinna mit nach England zu nehmen, um doch gleich wieder einzusehen, daß er auf immer ihren Ruf untergrabe, wenn er sie nicht als seine Frau dorthinführe. Ein andermal wollte er, um die Bitterkeit der Trennung zu mildern, vor der Abreise eine heimliche Trauung stattfinden lassen, und gleich darauf wies er auch diesen Gedanken zurück. »Giebt es für die Todten Geheimnisse«, sagte er sich, »und wo läge der Vortheil, wenn ich eine Verbindung geheim hielte, deren Vollziehung ohnehin nur durch die Macht eines Grabes gehindert wird?« – Kurz, er war sehr unglücklich. Seine Seele, der es in allen Gefühlsfragen stets an Kraft gebrach, war durch die widerstreitendsten Bedenklichkeiten auf das Grausamste bewegt. Corinna gab sich ihm vertrauend und in entsagender Ergebung hin; mit der großmüthigen Unvorsicht ihres Herzens begeisterte sie sich in ihrem Schmerz noch an den Opfern, welche sie dem Geliebten brachte; während Oswald, für ein fremdes Geschick verantwortlich, mit jedem Augenblick neue Bande einging, ohne die Möglichkeit sich ihnen zu überlassen, und weder seiner Liebe, noch seiner Gewissenhaftigkeit froh wurde, weil er der einen wie der andern nur durch ihr gegenseitiges Sichbekämpfen inne ward.

Beim Abschiede empfahlen Corinna's Freunde Lord Nelvil das Wohl derselben auf das Angelegentlichste. Ihm aber wünschten sie Glück dazu, von der edelsten aller Frauen geliebt zu sein; der geheime Vorwurf, den ihre Worte enthielten, bereitete Oswald neues Mißbehagen. Corinna fühlte das und suchte daher diese Freundschaftsbezeugungen, so liebenswürdig sie auch waren, abzukürzen. Indessen sagte sie doch, als die Scheidenden, welche sich von Zeit zu Zeit noch grüßend zurückgewendet hatten, ihren Blicken entschwunden waren, die einfachen Worte zu Lord Nelvil: »Oswald, ich habe keinen Freund mehr als Sie!« – O, wie fühlte er in diesem Augenblick die Notwendigkeit, sich ihr als Gatte anzugeloben! Er war nahe daran, es zu thun; aber wer viel gelitten hat, den hindert ein schwer zu besiegendes Mißtrauen sich seinen ersten Regungen hinzugeben, und er zittert vor allen unwiderruflichen Entschließungen, dann selbst, wenn das Herz sie befiehlt. Corinna glaubte zu erkennen, was in Oswalds Seele vorging; und mit schönem Zartgefühl lenkte sie das Gespräch auf die, sich vor ihnen ausbreitende Landschaft.

Fünftes Kapitel.

Ihre Reise fiel in den Beginn des Monats September; in der Ebene war das Wetter vortrefflich; als sie jedoch die Apenninen erreichten, fühlten sie das Nahen des Winters. Hohe Gebirge beeinträchtigen oft die Gleichmäßigkeit des Klimas, und selten kann man den malerischen Anblick erhabener Berggegenden mit dem Genuß einer milden Luft vereinigen. Eines Abends, als Corinna und Lord Nelvil unterwegs waren, erhob sich ein furchtbarer Gewittersturm; tiefe Dunkelheit umgab sie, und die, in jenen Gegenden so unruhigen Pferde zogen den Wagen mit unbegreiflicher Schnelligkeit; ein süßer Schauer durchbebte Beide, da sie sich so miteinander hinweggerissen fühlten. »Ach«, rief Lord Nelvil, »wenn man uns so aus allem Irdischen hinwegführte, wenn wir die Berge erklimmen, uns in ein anderes Leben hinüberschwingen könnten, wo wir dann meinen Vater fänden, der uns aufnehmen, uns segnen würde! Möchtest Du das, Geliebte?« Und er drückte sie stürmisch an sein Herz. Corinna war nicht weniger erschüttert: »Thue mit mir, wie Du willst; feßle mich wie eine Sklavin an Dein Geschick; hatten denn früher die Sklavinnen nicht Talente, mit welchen sie das Leben ihrer Gebieter verschönten? Mag es doch also zwischen uns sein. Das Weib wird Dir heilig sein, das sich an Dein Glück verliert, und Du wirst nicht wollen, daß sie jemals vor Dir erröthen müßte, möge auch die Welt sie verdammen.« – »Ich muß es ...« rief Oswald, »ich will – es muß Alles errungen oder Alles geopfert werden. Ich muß Dein Gatte sein, oder zu Deinen Füßen vor Liebe sterben, die Sehnsucht ersticken, die Du in mir erregst. Aber ich hoffe noch! Ich werde mich vor aller Welt Dir vereinen, mich Deiner Liebe rühmen dürfen. Ach, sage mir, Theure, habe ich durch die Kämpfe, welche mich zerrissen, nichts von Deiner Neigung verscherzt? Glaubst Du Dich weniger geliebt?« – Und er fragte in so leidenschaftlichem Ton, daß er Corinna für einen Augenblick ihr ganzes Vertrauen wiedergab. Reinstes und innigstes Empfinden beseelte jetzt Beide.

Die Pferde hielten, und Lord Nelvil stieg zuerst aus. Er fühlte nun den kalten schneidenden Wind, vor welchem ihn der Wagen geschützt hatte; man konnte sich auf Englands Küste wähnen. Diese eisige Luft stimmte nicht mehr zu dem schönen Italien, fächelte nicht mehr, wie die des Südens, Vergessenheit von Allem, außer der Liebe, zu. Oswald war bald wieder in seine schmerzlichen Betrachtungen zurückgesunken, und Corinna, welche die ruhelose Wandelbarkeit seiner Fantasie kannte, errieth ihn nur zu bald.

Am folgenden Tage erreichten sie das, auf hohem Bergesrücken gelegene St. Loretto, von welchem aus man das adriatische Meer erblickt. Während Lord Nelvil durch einige, auf die Reise bezügliche Anordnungen zurückgehalten wurde, ging Corinna nach der Kirche, in welcher eine, in der Mitte des Chors gelegene, mit recht schönen Basreliefs geschmückte Kapelle das Bild der heiligen Jungfrau umschließt. Das Marmorpflaster vor diesem Heiligthum ist von den auf den Knieen nahenden Pilgern völlig ausgehöhlt. Corinna war von diesen Spuren der Andacht bewegt, und auf dieselben Steine niedersinkend, wo vor ihr so viele Unglückliche geweint, betete sie mit Thränen zu jenem Bilde der Güte, dem Symbol der himmlischen Liebe. So fand sie Oswald. Er begriff nicht, wie eine Frau von ihrem überlegenen Geist sich derartigen Volksgebräuchen anschließen konnte, und Corinna las in seiner Miene, was er dachte. »Theurer Oswald«, sagte sie, »darf man denn immer wagen, seine Wünsche bis zum Allerhöchsten zu erheben? Wie könnten wir ihm all das Herzeleid anvertrauen? Ist es denn nicht tröstlich, eine Frau dafür als Fürbitterin wählen zu dürfen? Sie hat auf dieser Erde gelitten, denn sie hat gelebt; zu ihr flehe ich mit weniger Erröthen; ein unmittelbares Gebet wäre mir zu anspruchsvoll erschienen.« – »Auch ich bete nicht immer in directer Form«, entgegnete Oswald, »auch ich habe meinen Vermittler; der Schutzengel der Kinder ist ihr Vater; und seit der meinige im Himmel ist, habe ich oft Trost und unerwartete Hülfe und manche ruhige, weihevolle Stunde in dem erhebenden Gedanken an Ihn gefunden; mit seinem Beistand hoffe ich auch jetzt meiner qualvollen Unschlüssigkeit Herr zu werden.«–»Ich kann das verstehn«, sagte Corinna, »Jeder hat wohl im Stillen seine besondere und geheimnißvolle Vorstellung von dem eigenen Schicksal; sei es in Gestalt eines Ereignisses, das man immer gefürchtet hat, das gar nicht wahrscheinlich war und welches dennoch eintritt, oder einer Strafe, deren Beziehung zu unserem Unglück wir oft durchaus nicht herausfinden können. Von Kindheit auf z.B. begleitete mich die Furcht, einst in England bleiben zu müssen, während nun der Schmerz, nicht dort leben zu können, mich vielleicht noch in Verzweiflung stürzen wird. Ich fühle, wie in dieser Hinsicht ein Unbezwingliches in meinem Schicksale liegt, ein Widerstand, gegen den ich vergeblich ankämpfe, an dem ich zu Grunde gehen werde. Ein Jeder begreift innerlich sein Leben ganz anders, als es zur Erscheinung kommt. Man glaubt verworren an eine übernatürliche, ohne unser Mitwissen waltende Macht, die sich unter der Gestalt äußerer Verhältnisse verbirgt und allein die Ursache von Allem ist. Mein Freund, gedankenreiche Menschen tauchen unaufhörlich in den Abgrund ihres Selbstes hinunter, und finden nimmer, nimmer ein Ende!« Wenn Oswald Corinna so sprechen hörte, wunderte er sich stets, daß sie im Stande war, so leidenschaftliche Gefühle zu durchleben, und sich zugleich mit klarem Urtheil über dieselben zu stellen. »Nein«, sagte er sich dann wohl, »nein, nichts auf Erden kann Dem noch genügen, der die Unterhaltung einer solchen Frau genossen hat.«

In Ancona trafen sie Nachts ein, weil Lord Nelvil dort erkannt zu werden fürchtete. Trotz dieser Vorsicht erfuhr man aber seine Ankunft, und am folgenden Morgen versammelte sich die ganze Einwohnerschaft der Stadt vor dem Gasthause, in welchem sie abgestiegen waren. Corinna wurde durch Rufe geweckt, die sie durchschauerten: »Es lebe Lord Nelvil, es lebe unser Wohlthäter.« Sie kleidete sich schnell an, und ging hinaus, um sich in der Menge zu verlieren, denn sie sehnte sich, das Lob des Geliebten von fremden Lippen zu vernehmen. Lord Nelvil war endlich genöthigt, sich dem Volke, das ungestüm nach ihm verlangte, zu zeigen; er glaubte, Corinna schlafe noch und wisse nicht, was vorgehe. Wie erstaunte er daher, als er sie mitten auf dem Platze sah, schon bekannt, schon vertraut mit diesen dankbaren Menschen, welche sie anflehten, für sie den Ausdruck ihrer Verehrung zu übernehmen. Corinnens Einbildungskraft gefiel sich leicht in allen außergewöhnlichen Situationen; diese Einbildungskraft war ihr größester Reiz, doch zuweilen ihr Fehler. Sie dankte Lord Nelvil im Namen des Volks, und entzückte dieses durch die edle Anmuth, mit der sie es that. Sich mit den Bürgern identificirend, sagte sie »Wir«. »Sie haben uns gerettet, wir schulden Ihnen das Leben.« – Und als sie vortrat, um Lord Nelvil einen für ihn geflochtenen Kranz aus Lorbeer und Eichenlaub zu überreichen, wurde sie von unbeschreiblicher Bewegung ergriffen; in diesem Augenblick empfand sie tiefe Scheu vor Oswald, und als das enthusiastische Volk sich jetzt vor ihm niederwarf, beugte auch sie unwillkürlich das Knie, und reichte ihm den Kranz in dieser Stellung. Lord Nelvil, hievon auf das Aeußerste verwirrt, vermochte diese öffentliche Scene und solche von der angebeteten Frau ihm dargebrachte Huldigung nicht länger zu ertragen. Er entfernte sich schnell und zog sie mit sich hinweg.

Bei der Abreise dankte Corinna den Einwohnern Ancona's, die sie mit ihren Segenswünschen begleiteten, unter Thränen, während Oswald sich in die Tiefe des Wagens zurückzog und das vorhin empfundene peinliche Gefühl noch nicht überwunden zu haben schien. »Corinna mir zu Füßen! Mir, der ich den Boden küssen möchte, auf welchem sie wandelte. Habe ich solche Mißkennung verdient? Trauen Sie mir den unwürdigen Hochmuth zu......« – »Nein, sicherlich nicht«,unterbrach ihn Corinna, »aber ich wurde plötzlich von der Ehrfurcht hingerissen, die eine Frau immer für den Mann fühlt, den sie liebt. Die äußerlichen Huldigungen richtet man an uns, aber in der Wirklichkeit, in der Natur ist es die Frau, welche verehrend zu dem Manne aufschaut, den sie sich zum Beschützer wählte! – »Ja, und das werde ich Dir sein«, rief Lord Nelvil, »bis zum letzten Tage meines Lebens will ich Dein Beschützer sein, der Himmel ist mein Zeuge! So viel Güte, so viel Geist sollen sich nicht vergeblich unter das Obdach meiner Liebe geflüchtet haben.«– »Ach!« antwortete Corinna, »ich will sonst nichts, als diese Liebe; und welches Versprechen kann mir für sie bürgen? Genug – ich fühle, daß Du mich jetzt mehr als jemals liebst; trüben wir uns diese Rückkehr nicht.« – »Diese Rückkehr!« unterbrach Oswald. – »Ja, ich nehme das Wort nicht zurück«, sagte Corinna; »aber wir wollen es nicht erklären«; und lächelnd hieß sie ihn schweigen.

Sechstes Kapitel

Zwei Tage lang verfolgten sie die Ufer des adriatischen Meeres, das indessen von der romanischen Küste aus nicht den Eindruck des Oceans, nicht einmal den des mittelländischen Meeres macht. Die Landstraße streift oft dicht an das Wasser, dessen Rand von grünem Rasen bedeckt ist, und nicht so stellt man sich gemeinhin die Grenzen des furchtbaren Reiches der Stürme vor. In Rimini und Cesena verlaßt man den klassischen, römischen Boden mit seiner großen Geschichte, und die letzte Erinnerung, die sich darbietet, ist der Rubikon, den Cäsar überschritt, als er beschloß, sich zum Herrn von Rom zu machen. Durch ein seltsames Zusammentreffen liegt heute nicht weit von diesem Rubicon die Republik von St. Marino, und so besteht also diese letzte schwache Spur der Freiheit neben der Stätte fort, wo die Republik der Welt zerstört wurden ist. Von Ancona aus dringt man in Gegenden vor, die allmählig einen, von dem des Kirchenstaats sehr verschiedenen Anblick gewähren. Das Bolognesische, die Lombardei, die Umgebungen von Ferrara und Rovigo sind durch ihre Schönheit und Cultur bemerkenswerth; das ist die poetische Wüstenei nicht mehr, welche Roms Nähe und die furchtbaren, dort stattgehabten Ereignisse ankündet. Man verläßt dann

Die Tannen, die des Sommers Trauerkleid,
Des Winters Zierde sind,

verläßt die »Zapfentragenden, obeliskengleichen Cypressen«, die Berge und das Meer. Die Natur, wie der Reisende, sagt schrittweise den Strahlen des Südens Lebewohl. Zuerst wachsen die Pomeranzenbaume nicht mehr im Freien, und Olivenbäume, deren mattes, leichtes Grün sich für die Haine zu eignen scheint, in welchen die Schatten Elysiums wohnen, nehmen ihre Stelle ein; einige Meilen weiter hinauf verschwinden auch die Olivenbäume.

Wenn man in das Bolognesische kommt, hat man eine lachende Ebene vor sich, wo die Rebe in Kranzgewinden sich von Ulme zu Ulme zieht; das ganze Land sieht aus wie geschmückt zu einem Feste. Der Gegensatz zwischen ihrer innern Stimmung und dem leuchtenden Glanz dieser Gefilde bewegte Corinna tief. »Ach!« sagte sie seufzend zu Lord Nelvil, »weshalb nur zeigt die Natur den Freunden, die vielleicht bald von einander scheiden werden, so viele Bilder des Glücks?«–»Nein, sie werden nicht scheiden«, sagte Oswald, »täglich habe ich weniger die Kraft dazu. Ihre unveränderliche Sanftmuth fügt zu der Leidenschaft, die Sie einstoßen, noch den Zauber der Gewohnheit. Man ist mit Ihnen glücklich, als ob Sie nicht ein Weib von der wunderbarsten Begabung wären, oder man ist's vielmehr, weil Sie das sind; denn die wahre Ueberlegenheit führt zu vollkommener Güte; man ist mit sich, mit den Andern, mit der Natur zufrieden; welches bittre Gefühl könnte man empfinden?«

Sie erreichten Ferrara, eine der traurigsten Städte Italiens, denn sie ist ebenso ausgedehnt als öde. Die wenigen Menschen, welchen man von Zeit zu Zeit auf der Straße begegnet, gehen langsam, als ob sie wüßten, daß sie noch zu Allem Zeit haben. Man begreift es nicht, daß hier einst der glänzendste Hof gehalten worden ist, ein Hof, den Ariost und Tasso besangen. Man zeigt dort noch ihre eigenhändigen Manuscripte, wie auch das des Dichters des Pastor fido.

Ariost vermochte friedlich an einem Fürstenhofe zu leben; aber es ist zu Ferrara auch noch jenes Haus zu sehen, wo sie den Tasso als wahnsinnig einzusperren wagten, und man kann nur mit Rührung die vielen Briefe lesen, in welchen der Unglückliche nach dem Tode verlangt, der ihm nun seit so lange schon geworden. Tasso hatte jenes eigenthümlich geartete Talent, das denen, die es besitzen, so verhängnißvoll wird; seine Einbildungskraft wendete sich gegen ihn selbst, er wußte nur deshalb alle Geheimnisse der Seele, er war nur deshalb so reich an Gedanken, weil er so viele Schmerzen gekannt. »Wer nicht gelitten hat«, sagt ein Prophet, »was weiß Der?«

Corinnens Gemüthsstimmung hatte in mancher Hinsicht viel Aehnliches: ihr Geist war heiterer, sie empfing mannigfaltigere Eindrücke, aber ihre Einbildungskraft bedurfte ebenso auf's Aeußerste geschont zu werden; denn statt daß diese ihr den Gram verscheuchen half, steigerte sie nur seine Gewalt. Lord Nelvil täuschte sich sehr, wenn er, wie er das häufig that, annahm, Corinnens glänzende Fähigkeiten müßten ihr die Mittel zu einem von ihrer Liebe unabhängigen Glück gewähren. Wenn ein Mensch von hohem Geist mit wahrhafter Empfindung begabt ist, vermehrt sich sein Kummer an eben diesen vielen Fähigkeiten; er macht in seinem eigenen Gram so gut Entdeckungen, als in anderen Bereichen der Natur, und da das Unglück eines Herzens, das liebt, ein unerschöpfliches ist, fühlt man dies um so tiefer, je mehr man im Gedanken lebt.

Siebentes Kapitel

Um nach Venedig zu gelangen, schifft man sich auf der Brenta ein; von beiden Seiten des Kanals stehen die großen und, wie alle italienische Herrlichkeit, etwas verfallenen Paläste der Venetianer. Ihre Verzierungen sind meist sehr wunderlich und lehnen sich in keiner Weise an die antiken Vorbilder an. In der venetianischen Architektur spürt man die Folgen des Verkehrs mit dem Orient; es ist eine Mischung des Maurischen und Gothischen, welche sich wunderlich ausnimmt, ohne einem reinen Geschmack zu genügen. Die Pappel, dieser architektonisch-regelmäßige Baum, faßt den Kanal meist überall ein; der tiefblaue Himmel hebt sich stark ab gegen das leuchtende Grün der Ebene, das von dem ungeheuren Ueberfluß an Wasser so frisch erhalten wird. Himmel und Erde haben demnach so grell von einander abstechende Farben, daß diese Natur ein etwas zurechtgemachtes Ansehen und durchaus nicht das geheimnißvoll Unbestimmte hat, das uns den Süden Italiens so theuer macht. Der Anblick Venedigs ist mehr überraschend als angenehm; man glaubt zuerst eine überschwemmte Stadt zu sehen, und es bedarf vorher des Nachdenkens, um das Genie der Sterblichen zu bewundern, mit dem sie hier den Wassern einen Wohnplatz abgewannen. Neapel ist amphitheatralisch am Ufer des Meeres erbaut, während Venedig auf durchaus plattem Boden liegt, und seine Thürme den Masten eines unbeweglich in den Wellen ruhenden Schiffes gleichen. Trauer verdunkelt unsern Blick, wenn wir nach Venedig kommen. Man nimmt von der Vegetation Abschied, alle Thiere sind von hier verbannt, man sieht auch nicht eine Fliege. Der Mensch allein weilt hier, um mit dem Meere zu ringen.

Tiefes Schweigen liegt über dieser Stadt, deren Straßen Kanäle sind, und das Geräusch der Ruder ist dieses Schweigens einzige Unterbrechung. Es ist hier nicht das Land, denn man sieht keinen Baum; es ist auch nicht die Stadt, denn man hört kein Geräusch; nicht einmal ein Schiff ist's, denn es kommt nicht vorwärts: es ist eine Wohnstätte, aus welcher der Sturm ein Gefängniß macht; denn zu Zeiten kann man weder aus der Stadt, noch aus dem Hause heraus. Es giebt Leute in Venedig, die niemals aus einem Stadt-Viertel ins andere gekommen sind, die den Marcusplatz nicht kennen, und für welche der Anblick eines Pferdes oder eines Baumes das unerhörteste Wunder wäre. Die, auf den Kanälen dahin gleitenden, schwarzen Gondeln gleichen dem Sarge oder der Wiege, dem letzten oder dem ersten Bette des Menschen. Abends sieht man nur den Schein der den Gondeln zugehörigen Laternen vorüberziehn, denn jene selbst sind wegen ihres dunklen Aeußern kaum sichtbar. Es ist, als ob Schatten, von einem kleinen Stern geleitet, über das Wasser schweben. Alles ist an diesem Aufenthalt geheimnißvoll: die Regierung, die Gebräuche und die Liebe. Ohne Zweifel giebt es hier viel des Genusses für Herz und Geist, wenn es einem gelingt, in jene Verborgenheiten einzudringen; aber der Fremde muß den ersten Eindruck wunderbar traurig finden.

Corinna, die an Ahnungen glaubte, und deren erschütterte Einbildungskraft in Allem eine Vorbedeutung sah, sagte zu Lord Nelvil: »Woher kommt nur die tiefe Schwermuth, die mich beim Eintritt in diese Stadt ergreift? Ist es nicht ein Zeichen, daß mich irgend ein großes Unglück hier treffen wird?« – Eben jetzt ließen sich von einer der Inseln der Lagune drei Kanonenschüsse vernehmen. Corinna war erschrocken, und bebend fragte sie nach der Ursache derselben. »Eine Nonne nimmt heute den Schleier«, antwortete man ihr, »dort drüben in einem der Klöster, mitten im Meer. Bei uns ist es Brauch, daß in dem Augenblick, wo die Frauen ihr geistliches Gelübde ablegen, sie einen Blumenstrauß hinter sich zurückwerfen, den sie während der Ceremonie trugen. Dies ist das Zeichen der Weltentsagung, und die eben gelösten Kanonenschüsse verkünden solch eine feierliche Stunde.« – Ein Schauer überlief Corinna. Oswald fühlte ihre kalten Hände in den seinen, und sah die tödtliche Blässe ihres Gesichts. »Geliebte!« sagte er, »wie kann Ihnen der einfachste Zufall einen so lebhaften Eindruck machen?« – »Nein«, erwiderte Corinna, »das ist kein Zufall; glauben Sie mir, auch die Blüthen meines Lebens liegen hinter mir.« – »Während ich Dich mehr, als je, liebe«, unterbrach sie Oswald; »während mein ganzes Sein Dir gehört ......« – »Diese Donner des Krieges, welche anderswo Sieg oder Tod verkünden, feiern hier die verborgene Hinopferung eines jungen Mädchens«, fuhr Corinna fort, »fürwahr, eine unschuldige Verwendung für diese schreckliche, sonst die Welt erschütternde Waffe. Es ist wie ein feierlicher Rath, welchen ein entsagendes Weib allen den Frauen zuruft, die noch mit ihrem Schicksale ringen.«

Achtes Kapitel

Die venetianische Regierung entlieh in den letzten Jahren ihres Bestehens fast ihre ganze Gewalt von der Macht der Gewohnheit und der Einbildungskraft. Sie war furchtbar gewesen und milde geworden, war muthig aufgetreten, um sich nun schüchtern zu zeigen. Leicht hatte sie Haß erweckt, als sie sich gefürchtet zu machen wußte, und leicht war sie umgestürzt, als sie aufhörte, gefürchtet zu sein. Es war eine Aristokratie, die sich sehr um die Gunst des Volkes bemühte; nur suchte sie diese nach der Weise des Despotismus: sie unterhielt das Volk, aber sie klärte es nicht auf. Immerhin ist der Zustand des Amüsirtwerdens für ein Volk ein ganz angenehmer, besonders in Ländern, wo Geschmack und Fantasie bis in die untersten Klassen der Gesellschaft entwickelt worden sind. Nicht grobe, abstumpfende Lustbarkeiten bot man dem Volke, sondern Musik, Bilder, Improvisatoren, Festlichkeiten; und hiermit versorgte die Regierung ihre Unterthanen, wie ein Sultan seinen Serail. Als bestände es aus Frauen, verlangte sie vom Volke nur, sich nicht in die Politik zu mischen, und die höchste Gewalt nicht beurtheilen zu wollen. Doch um diesen Preis versprach sie ihm viel Unterhaltung und selbst hinreichenden Ruhm; die Beutestücke aus Konstantinopel, welche seine Kirchen schmücken, die auf öffentlichem Platze wehenden Standarten der Inseln Cypern und Candia, die korinthischen Pferde ergötzen hier das Auge des Volks, und den geflügelten Löwen hält es für das Sinnbild seines Ruhms.

Weil das Regierungssystem den Bürgern jede Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegenheiten untersagte, und Ackerbau, Jagd und Promenaden durch die Lage der Stadt zur Unmöglichkeit wurden, blieb den Venetianern kein anderes Interesse übrig als leichter Zeitvertreib: daher ist Venedig denn auch eine Stadt des Vergnügens. Der venetianische Dialekt ist weich und leicht, wie ein lieblicher Windhauch, und man begreift nicht, daß ein Volk, welches der Ligue von Cambray Widerstand leistete, eine so schmiegsame Sprechweise hat. Für Scherz und Anmuth ist dieser Dialekt reizend; aber wenn er sich ernstere Gegenstände zum Ausdrucke wählt, wenn man z. B. in so zarten, fast kindlichen Klängen Verse über den Tod recitiren hört, möchte man glauben, daß ein derartig besungenes Ereigniß nur eine poetische Täuschung sei.

Die Venetianer sind im Allgemeinen noch geistreicher, als die übrigen Italiener, weil die Regierung, wie sie auch sein mochte, ihnen doch öfter Gelegenheit zum Nachdenken geboten hat; aber ihre Einbildungskraft ist natürlich nicht so glühend, als die der südlichen Italiener. Die meisten der sonst sehr liebenswürdigen Frauen haben durch die Gewohnheit des Weltlebens eine Sentimentalität angenommen, welche, ohne die Freiheit ihrer Sitten im Mindesten zu beschränken, ihren Liebeshändeln eben nur noch die Affektation beigemischt hat. Ein großes Verdienst muß den Italienerinnen bei all ihren Fehlern gelassen werden: sie sind ohne Eitelkeit. In Venedig, wo es mehr Geselligkeit giebt, als in irgend einer andern Stadt Italiens, ist dieses Verdienst zwar etwas verloren gegangen. Denn Eitelkeit entwickelt sich besonders durch die Gesellschaft; sie ertheilt ihren Beifall so oft und so schnell, daß alle Berechnungen nur dem Augenblick gelten können, und daß man, um Erfolg zu haben, der Zeit auch nicht eine Minute Credit geben kann. Dessen ungeachtet fand sich in Venedig noch viel von der Leichtigkeit und Originalität italienischer Formen. Die vornehmsten Damen empfingen alle ihre Besuche in den Cafes des Marcusplatzes, und dies seltsame Durcheinander verhinderte, daß die Salons nicht allzu sehr ein Tummelplatz für die Anmaßungen der Eigenliebe werden konnten.

Auch von den Sitten des Volks und den alten Gebräuchen war noch Manches geblieben, und diese Gebräuche lassen stets Ehrfurcht gegen die Vorfahren und eine gewisse Jugend des Herzens voraussetzen, welche der Vergangenheit und des gerührten Gedenkens derselben nicht müde wird. Der Anblick der Stadt ist an sich schon höchst geeignet, eine Menge Erinnerungen und Ideen zu erwecken. Der Marcusplatz, unter dessen rings herumlaufenden blauen Zelten eine Menge Türken, Griechen und Armenier müßig ruhen, wird durch eine Kirche abgeschlossen, deren Aeußeres viel eher das Ansehen einer Moschee, als eines christlichen Tempels hat. Man gewinnt hier eine Vorstellung von dem schlaffen Leben der Orientalen, die ihre Tage in den Cafés mit Rauchen und dem Trinken von Sorbet hinbringen; auch sieht man Türken und Armenier in offenen Barken, nachlässig ausgestreckt, mit Blumentöpfen zu ihren Füßen, vorübergleiten.

Männer und Frauen der höchsten Stände gehen nie anders, als in schwarzem Domino aus. Die gleichfalls immer schwarzen Gondeln, denn in Venedig findet das Gleichheitssystem hauptsächlich in Aeußerlichkeiten seinen Ausdruck, werden oft von weißgekleideten, rothgegürteten Schiffern gelenkt. Dieser Gegensatz hat etwas Auffallendes; es ist, als ob man das Festkleid dem Volke überlassen hätte, während die Großen immerwährender Trauer hingegeben sind. In den meisten europäischen Städten muß der Dichter mit sorgfältigem Takt das Alltagstreiben aus seinen Beobachtungen aussondern, weil unsere Gebräuche, selbst unser Luxus nicht poetisch sind. Aber in Venedig giebt es nichts Alltägliches; Wasser und Barken machen aus den einfachsten Situationen ein malerisches Bild.

Auf dem Quai der Slavonier trifft man gemeinhin Marionetten, Marktschreier und Erzähler, die sich in jeder nur möglichen Gestalt an die Einbildungskraft des Volkes wenden. Besonders die Erzähler verdienen Aufmerksamkeit; fast immer sind es Episoden aus dem Tasso und dem Ariost, die sie, zur großen Bewunderung ihrer Hörer, in Prosa vortragen. Diese, im Kreis um den Sprechenden gruppirt, und meistens nur halb gekleidet, sitzen bewegungslos und in gespanntester Aufmerksamkeit da; man reicht ihnen von Zeit zu Zeit ein Glas Wasser, das bezahlt wird, wie anderswo der Wein; und so beschäftigt ist dann der Geist dieser Leute, daß jene einfache Erfrischung Alles ist, was sie während ganzer Stunden bedürfen. Der Erzähler begleitet seine Rede mit den lebhaftesten Geberden; seine Stimme ist laut, er wird zornig, wird leidenschaftlich, und doch sieht man, daß er im Grunde vollkommen gelassen ist; man könnte ihm sagen, was Sappho zu der Bacchantin sagte, die mit kaltem Blut sich aufgeregt stellte: »Bacchantin! Was willst Du, da Du nicht trunken bist?« – Die belebte Pantomime der Bewohner des Südens läßt indeß niemals den Gedanken an etwas Gemachtes aufsteigen. Sie ist ihnen von den Römern, die auch so viel Gestikulation aufwendeten, überkommen, und hängt mit ihrer lebhaften und poetischen Stimmung innig zusammen.

Die Fantasie eines im Vergnügungstreiben befangenen Volkes war durch das Blendwerk der Macht, mit welchem die venetianische Regierung sich zu umgeben wußte, leicht in Banden zu halten. Nie sah man einen Soldaten in Venedig, und man drängte sich ins Theater, wenn dort zufällig irgend eine Komödie das Auftreten eines solchen, vielleicht noch mit einer Trommel versehenen in Aussicht stellte. Es genügte, daß der Sbirre der Staatsinquisition, mit dem Schilde an der Mütze, sich zeigte, um bei einem öffentlichen Feste dreißigtausend Menschen zur Ordnung zu weisen. Es wäre eine schöne Sache, wenn diese Allgewalt sich auf die Ehrfurcht vor dem Gesetz gegründet hätte; aber sie zog ihre eigentliche Kraft aus der Scheu vor den geheimen Maßregeln, welche dies Gouvernement zur Aufrechthaltung der Ruhe anwendete. Die, in ihrer Art nie wieder dagewesenen Gefängnisse waren im Palast des Dogen, einige derselben lagen sogar unter dessen Gemächern. Auch das »Maul des Löwen«, in welches alle Denunciatoren hineingeworfen wurden, befindet sich im Palast des Regierungshauptes. Der Saal, welcher den Staatsinquisitoren als Aufenthalt diente, war schwarz behängen, und empfing sein Licht nur von oben; die hier gefällten Urtheile glichen schon im Voraus Verurtheilungen. Die sogenannte Seufzerbrücke führte von dem Palast des Dogen nach dem Staatsgefängniß hinüber. Wenn man über den Kanal fuhr, welcher diese Gefängnisse umgiebt, vernahm man wohl oft dumpfe Rufe nach Hülfe und Gerechtigkeit; doch diese ächzenden, verzweifelnden Stimmen wurden nicht erhört. Wenn endlich ein Staatsverbrecher verurtheilt war, verließ er, durch eine auf den Kanal führende kleine Thür tretend, Nachts das Gefängniß und bestieg eine ihn erwartende Gondel, die ihn nach einer bestimmten Stelle der Lagune führte. Hier, wo es verboten war zu fischen, wurde er ertränkt. Entsetzlicher Gedanke dies bis über den Tod hinausgetragene Geheimniß, welches dem Unglücklichen sogar die Hoffnung raubt, er könne mit seiner Leiche den Seinen erzählen, daß er gelitten hat, und nicht mehr ist!

Um die Zeit, als Corinna und Lord Nelvil nach Venedig kamen, war seit dem Aufhören solcher Executionen nahezu ein Jahrhundert verflossen; aber das die Einbildungskraft so beherrschende Geheimniß lastete noch auf der Stadt, und obwohl Lord Nelvil am wenigsten der Mann war, sich in irgend einer Weise in die politischen Interessen eines fremden Landes zu mischen, fühlte er sich doch von dieser Willkür ohne Erbarmen, die in Venedig über allen Häuptern schwebt, sehr bedrückt.

Neuntes Kapitel.

»Sie dürfen sich nicht lediglich an die peinlichen Eindrücke halten, welche diese verborgene Gewalt auf Sie hervorbringt«, sagte Corinna zu Lord Nelvil, »Sie müssen auch die großen Eigenschaften dieses Senats ins Auge fassen, der aus Venedig eine Republik für den Adel machte und denselben früher zu jener Energie, zu jener hochstrebenden Großheit anspornte, die selbst dann noch eine Frucht der Freiheit ist, wenn sie sich auf eine kleine Zahl beschränkt. Sie werden sehen, daß sie, streng gegeneinander, wenigstens unter sich die Tugenden und die Gerechtigkeit einsetzten, die Allen hätten eigen sein sollen. Sie werden sie so väterlich für ihre Untergebenen finden, als man es sein kann, wenn man diese Menschenklasse einzig und allein des physischen Wohlergehens bedürftig hält. Endlich werden Sie ihnen auch den edlen Stolz auf ihr Vaterland zuerkennen müssen, ein Vaterland, das ihr besonderes Eigenthum ist, und welchem sie dennoch die Liebe des Volkes, das in so vieler Hinsicht davon ausgeschlossen ist, zuzuwenden wissen.«

Sie besichtigten zusammen den Saal, in welchem früher der große Rath der Zweihundert sich versammelte; er ist mit den Bildnissen sämmtlicher Dogen geschmückt; an der Stelle des Portraits desjenigen, der als Verräther an seinem Vaterlande enthauptet wurde, hat man einen schwarzen Vorhang gemalt, auf welchem sein Todestag und die Art seiner Hinrichtung angegeben ist. Die königlichen Prachtgewänder, in welchen die andern Dogen dargestellt sind, verstärken noch den Eindruck dieses furchtbaren, schwarzen Vorhangs. Weiter befindet sich in diesem Saale ein Gemälde des jüngsten Gerichts, und eines von dem Augenblicke, wo der mächtigste der Kaiser, Friedrich Barbarossa, sich vor dem Senate Venedigs demüthigt. Es liegt ein schöner Sinn darin, daß man hier Alles vereinigte, was die Größe einer Regierung verherrlichend ausdrücken kann, um darauf eben diese Größe vor dem Himmel zu beugen.

Später gingen Corinna und Nelvil nach dem Arsenal. Vor der Thür desselben befinden sich zwei in Griechenland gemeißelte Löwen, die aus dem Hafen Athens hiehergeschafft wurden, um die Hüter der venetianischen Macht zu sein – regungslose Hüter, die nur das vertheidigen, was schon durch die Achtung, die man ihm zollt, stark ist. Das Arsenal enthält die Siegestrophäen ihrer Seemacht. Die berühmte Ceremonie der Vermählung des Dogen mit der Adria, wie auch alle übrigen Institutionen der Venetianer bezeugen ihre Dankbarkeit gegen das Meer. Sie haben hierin einige Aehnlichkeit mit den Engländern; Lord Nelvil machte diese Wahrnehmung mit lebhaftem Antheil.

Corinna führte ihn auch auf die Spitze des nahe der Kirche gelegenen Thurms von St. Marcus. Von dort aus breitet sich vor dem bewundernden Blick die ganze, in den Wellen ruhende Stadt aus, dazu der ungeheure Damm, welcher sie vor dem Meere schützt; in der Ferne die Küsten Istriens und Dalmatiens. »Dort, wo jene Wolken lagern, ist Griechenland«, sagte Corinna, »genügt nicht schon der Gedanke, uns zu erschüttern? Da giebt es auch noch Menschen mit hoher Fantasie, mit enthusiastischem Charakter, durch ihr Geschick zwar erniedrigt, aber vielleicht, wie wir, bestimmt, sich noch einmal aus der Asche ihrer Väter zu erheben. Es ist schon immer etwas um ein Land, das einmal groß gewesen; seine Bewohner erröthen wenigstens wegen ihres gegenwärtigen Zustandes, während in den von der Geschichte niemals geweihten Gegenden der Mensch nicht einmal eine Ahnung hat, daß es eine höhere Bestimmung giebt als die dunkle Knechtschaft, die ihm von seinen Voreltern überkommen ist.

»Dalmatien dort«, fuhr Corinna fort, »das ehemals von einem so kriegerischen Volke bewohnt wurde, hat noch heute seine wilde Eigentümlichkeit beibehalten. Die Dalmatier wissen so wenig von dem seit fünfzehn Jahrhunderten Geschehenen, daß sie die Römer noch jetzt »die Allmächtigen« nennen. Allerdings verrathen sie auch einige Kenntniß der Neuzeit, wenn sie Euch Engländer als die »Krieger des Meeres« bezeichnen; doch das ist nur, weil Eure Schiffe oft in ihre Häfen eingelaufen sind; sonst wissen sie wenig von der übrigen Welt. – Ich würde«, sagte Corinna nach einem Weilchen, »am liebsten solche Länder sehen, die sich in den Sitten, Trachten und der Sprache noch einige Originalität bewahrt haben. Die civilisirte Welt ist sehr einförmig, und um sie zu kennen, habe ich schon genug gelebt; man weiß in kurzer Zeit Alles Nöthige.« – »Ist das Ende alles dessen, was zum Denken und Empfinden anregt, abzusehen, wenn man mit Ihnen lebt?« – »Gott wolle diesen Zauber mir erhalten«, antwortete Corinna.«

»Aber bleiben wir noch ein wenig bei Dalmatien stehen«, hob sie wieder an, »wenn wir uns nicht auf solcher Höhe befänden, könnten wir nicht einmal die ungewissen Linien sehen, die uns jetzt das Land unklar von Weitem zeigen, wie eine Erinnerung im Gedächtnisse des Menschen. Die Dalmatier haben, wie auch die wilden Völker, ihre Improvisatoren; ebenso fand man diese bei den alten Griechen, und findet man sie bei allen Völkern, die Einbildungskraft und keine gesellschaftliche Eitelkeit haben; während der natürliche Geist eher eine epigrammatische, als poetische Form annimmt in Ländern, wo die Furcht, zum Gegenstand des Spottes zu werden, einen Jeden treibt, zuerst nach diesem, als nach einer Waffe zu greifen. Völker, die noch nicht zu weit von der Natur abgewichen sind, hegen vor dieser eine Ehrfurcht, die einer reichen Einbildungskraft sehr zu Statten kommt. »Die Höhlen sind heilig«, sagen die Dalmatier, und drücken damit ohne Zweifel einen unklaren Schrecken vor den Geheimnissen der Erde aus. Ihre Poesie gleicht, wiewohl sie Südländer sind, ein wenig der Ossianischen; doch kennen sie nur zwei sehr bestimmte Weisen, die Natur zu empfinden: sie zu lieben, und sie unter tausend glänzenden Formen zu vervollkommnen, wie die Alten es thaten, oder sich, wie die schottischen Barden, dem Schauer des Geheimnißvollen, der Schwermuth, welche Ungewisses und Ungekanntes meist hervorruft, zu überlassen. Seit ich Sie kenne, Oswald spricht diese letztere Weise mich an. Ehemals besaß ich Hoffnung und Leben genug, um die lachenden Gedankenbilder vorzuziehen, und mich der Natur zu erfreuen, ohne ein Verhängniß zu fürchten.«

»So wäre ich es denn«, sagte Oswald, »so bin ich es, der diese herrliche Einbildungskraft gebrochen hat, welcher ich die beseligendsten Freuden meines Lebens danke?« – »Nicht Sie sind anzuklagen«, antwortete Corinna, »sondern eine tiefe, große Leidenschaft. Das Talent bedarf der innerlichen Unabhängigkeit, welche eine wahrhafte Liebe niemals gestattet.« – – »Ach! wenn dem so ist«, rief Lord Nelvil, »so laß Dein Genie verstummen, auf daß Dein Herz ganz mir gehöre!« Er war sehr bewegt bei diesen Worten, und er fühlte, daß sie mehr noch versprachen, als sie sagten. Corinna verstand sie, aber wagte nicht, zu antworten, um ihr süßes Ausklingen nicht zu stören. Sie fühlte sich geliebt; und da sie in einem Lande gelebt hatte, wo die Menschen Alles dem Gefühle opfern, überredete sie sich, Lord Nelvil werde nicht im Stande sein, sie zu verlassen; sorglos und leidenschaftlich zugleich, bildete sie sich ein, es genüge, Zeit zu gewinnen, und hielt die Gefahr, von der man nicht mehr rede, auch für vorübergegangen. Kurz, Corinna lebte, wie die meisten Menschen leben, wenn sie lange von demselben Unglück bedroht sind: sie glauben schließlich, es werde nicht kommen, weil es noch nicht gekommen ist.

Die Luft in Venedig und auch das Leben, welches man dort führt, sind besonders geeignet, die Seele mit schmeichlerischen Hoffnungen zu wiegen; das ruhige Schaukeln der Barken macht zu Träumerei und Trägheit geneigt. Zuweilen hört man auf der Rialto-Brücke einen Gondoliere irgend welche Stanze aus dem Tasso anstimmen, worauf ihm ein anderer, vom entgegengesetzten Ende des Kanales her, mit der darauf folgenden antwortet. Die uralte Musik dieser Stanzen gleicht dem Kirchengesange und ihre Monotonie würde in geschlossenen Räumen sehr fühlbar sein. Aber im Freien und Abends, wenn diese verhallenden Töne sammt dem Wiederschein der untergehenden Sonne auf der Wasserfläche dahinziehen, und wenn Tasso's Verse diesem Zusammenspiel von Licht und Wohllaut auch noch ihre empfindungsvolle Schönheit beimischen, dann stimmen uns diese Gesänge zu süßer Schwermuth. Stundenlang fuhren Oswald und Corinna auf dem Wasser umher; zuweilen sprachen sie einige Worte, oder reichten sich auch wohl die Hand, meistens aber schwiegen sie und gaben sich den vaguen Gedanken hin, welche Natur und Liebe erzeugen.


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