Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Dreizehntes Buch.

Der Vesuv und die Umgegend von Neapel.

Erstes Kapitel.

Lord Nelvil war von seiner schmerzlichen Erzählung wie vernichtet, und lange verharrte er in tiefer Niedergeschlagenheit; selbst Corinnens holdestem Bemühen gelang es nur allmählig, ihn in die Gegenwart zurückzurufen. Die einbrechende Nacht, in deren Dunkel der Feuersturm des Vesuv immer sichtbarer hervortrat, regte endlich Oswalds Fantasie lebhaft an. Corinna benutzte den großartigen überraschenden Anblick, um ihn vollends seinen Erinnerungen zu entreißen; rasch zog sie ihn bis auf das aschige Ufer des glühenden Lavastroms.

Der Boden entwich ihnen unter den Füßen, fast ehe sie ihn berührten, als wolle er sie aus so lebensfeindlicher Sphäre zurückstoßen: die Natur hat in diesen Regionen zum Menschen kein Verhältniß mehr, er darf sich nicht mehr für ihren Beherrscher halten, sie entzieht sich seiner Tyrannei durch den Tod. Die Lava ist von düstrer Farbe, wie man sich einen Höllenfluß denken mag, und nur wenn sie Bäume oder Weinreben verzehrt, schlagen helle, glänzende Flammen auf. Langsam, schwer wälzt sie sich hinab, bei Tage schwarz, roth bei Nacht. Man hört bei ihrer Annäherung ein gewisses Geräusch von knisternden Funken, das um so unheimlicher wirkt, da es nur leise ist, und den Eindruck macht, als geselle sich hier noch Ueberlistung zu der furchtbaren Gewalt; so sachten, verstohlenen Schrittes schleicht der königliche Tiger seiner Beute nicht. Ohne je zu eilen, ohne je inne zu halten, rollt die heiße Fluth hinab, und häuft vor Mauern und Gebäuden ihre schwarzen, harzigen Massen auf, bis sie das Hinderniß in ihren Wogen begraben hat. Ihr Lauf ist keineswegs so rasch, daß die Menschen nicht vor ihr fliehen könnten; doch aber erfaßt sie, gleich der Zeit, die Unvorsichtigen und die Greise, die sich einbilden, es sei leicht, ihr zu entrinnen, weil sie so schweigend und schwerfällig anrückt. Mit ihrer rothen Gluth steckt sie den Himmel an, der als ein fortdauernder Blitz sich wiederum im Meere spiegelt, und die ganze Welt scheint in diesem dreifachen Brande aufzuflammen.

Aus dem Schlünde des Kraters hört man den Wind pfeifen, und sieht man ihn in Flammenwirbeln aufsteigen. Man entsetzt sich vor dem, was da unten vorgeht, und fühlt, daß ungekannte Mächte der Erde Schooß zerwühlen. Die den Rand des Kraters umgebenden Felsen sind mit Schwefel und Schlacken bedeckt, deren Farben etwas Teuflisches an sich haben. Ein Todtengrün, ein Schmutziggelb mit düstrem Roth bilden für das Auge die quälendste Dissonanz, etwa wie das Gekreisch der Hexen sein mochte, wenn sie Nachts den Mond auf die Erde herabriefen.

Die ganze Umgebung des Vulkans gleicht einer Hölle, und hier haben ohne Zweifel die Dichter ein Vorbild gefunden, um das Fegefeuer zu schildern. Hier begreift man auch, daß die Menschen einst an das Dasein eines zerstörenden, die Absichten der Vorsehung vernichtenden Geistes glaubten. Auf solcher Stätte fragt man sich, ob die göttliche Güte allein über den Wundern der Schöpfung wache, ob nicht irgend ein verborgenes böses Princip, wie im Menschen, so auch in der Natur zur Sünde dränge. »Corinna!« rief Lord Nelvil, »kommt der Schmerz von diesen teuflischen Ufern her, um uns arme Menschen zu verfolgen? Nimmt der Todesengel von diesem Gipfel aus seinen Flug? Wenn ich jetzt nicht in Dein himmlisches Auge blicken könnte, würde ich der Herrlichkeit dieser Welt und ihrer Gotteswerke vergessen; und doch verursacht der Anblick dieser Hölle, so furchtbar er ist, nicht solche Qual, wie das Nagen des Gewissens. Allen Gefahren kann man trotzen; aber wie soll Jemand, der nicht mehr ist, uns von den Vorwürfen befreien, die wir uns über ihm angethanes Unrecht machen? Dahin – dahin auf immer! O Corinna, das ist ein unerbittlich Wort von Feuer und Eisen! Die Qualen, welche der Wahnsinn in seinen Träumen erfindet, – das ewig sich drehende Rad, – das Wasser, das vor der verdorrenden Lippe zurückweicht, der Stein, der hinabrollt, nachdem man ihn emporgewälzt, – schwach nur schildern sie den furchtbaren Gedanken des Unmöglichen –des Unwiederbringlichen!«

Tiefes Schweigen lagerte rings um Oswald und Corinna; selbst die Führer hatten sich zurückgezogen, und lange Zeit hörten sie nichts, als das Zischen und Pfeifen der Flammen. Doch jetzt stieg von der Stadt her ein Läuten zu ihnen empor; es war der Glocken Ton, der durch die Lüfte hinaufzitterte, und ob er nun den Tod, ob er Geburt und Leben feierte – dieser Erdenruf zu dieser Stunde erschütterte sie tief. »Theurer Oswald«, sagte Corinna, »wir wollen fort von hier – hinunter zu den Lebendigen; diese Wüste beklemmt mir das Herz. Alle andern Berge nähern uns dem Himmel, entrücken uns dem kleinen Erdenleben, hier aber fühle ich nur Angst und Verworrenheit. Mir ist, als behandle man hier die Natur wie einen Verbrecher, als sei sie verurtheilt, den göttlichen Athem ihres Schöpfers nicht mehr zu empfinden. Das ist hier kein Aufenthalt für gute Menschen, gehen wir fort!«

Beim Hinabsteigen wurden sie von heftigem Regen überfallen, der in jedem Augenblick ihre Fackeln zu verlöschen drohte. Die Lazzaroni begleiteten sie mit ihrem ununterbrochenen Geschrei, das für Jemand, der es nicht als ihre gewohnte Weise kennt, etwas sehr Beängstigendes hat. Bei diesen Menschen findet sich, als Folge ihrer großen Faulheit und nicht geringern Leidenschaftlichkeit, ein Uebermaß von Lebenskraft, mit dem sie nichts anzufangen wissen. Ebenso indeß, wie ihre Gesichtsbildung viel ausgeprägter ist, als ihr Charakter, ganz ebenso haben weder Geist noch Herz an dieser Lebhaftigkeit vielen Antheil. In der Befürchtung, der Regen könne Corinna schaden, könne die Fackeln auslöschen, kurz, irgend welcher Unfall ihr begegnen, war Oswald auf das Sorglichste um sie beschäftigt, und dieses zärtliche Interesse hob ihr armes, bekümmertes Herz aus der Trauer empor, in welche die Mittheilung seines Gelübdes sie versetzt hatte. Am Fuße des Berges fanden sie ihren Wagen. Bei den Ruinen von Herculanum, die man gewissermaßen von Neuem verschüttete, um das über ihnen erbaute Portici nicht zu untergraben, hielten sie nicht an. Es war Mitternacht, als sie Neapel erreichten, und Corinna versprach Lord Nelvil beim Abschied, ihm folgenden Tags die Geschichte ihres Lebens einzuhändigen.

Zweites Kapitel.

Am nächsten Morgen wollte Corinna es über sich gewinnen, ihr Versprechen zu halten, und obwohl die ihr gestern gewordene nähere Kenntniß von Lord Nelvils Charakter ihre Ungewißheit steigerte, verließ sie doch, die niedergeschriebenen Erlebnisse in der Hand, zitternd, aber entschlossen sie abzuliefern, ihr Zimmer. Sie betrat den Salon des Gasthofes, in welchem Beide wohnten. Oswald befand sich schon dort; er hatte soeben Briefe aus England erhalten, und einer derselben, welcher auf dem Tische lag, zeigte Corinna eine Handschrift, bei deren Anblick sie in unaussprechliche Verwirrung gerieth; sie fragte, von wem der Brief sei. »Von Lady Edgermond«, erwiderte Oswald. »Sie stehen mit ihr im Briefwechsel?« unterbrach Corinna. »Lord Edgermond war der Freund meines Vaters; und weil der Zufall das Gespräch daraufführt, will ich Ihnen nicht verhehlen, daß Lord Nelvil wohl den Gedanken hatte, Lucile Edgermond dürfte einst eine passende Frau für mich sein.« – »Großer Gott!« rief Corinna und sank, fast bewußtlos, auf einen Stuhl.

»Woher diese schmerzliche Aufregung?« fragte Lord Nelvil; »was fürchten Sie von mir, Corinna, da ich Sie mit solcher Anbetung liebe? Wenn mein sterbender Vater es mir geboten hätte, Lucile zu heirathen, dann allerdings würde ich mich nicht für frei halten können, dann würde ich aber auch Ihrem unwiderstehlichen Zauber entflohen sein; nun hat er mir diese Wahl ja nur angerathen, und selbst hinzugefügt, daß man Lucile noch nicht beurtheilen könne, da sie noch ein Kind sei. Ich selbst habe sie nur einmal gesehen; sie war damals zwölf Jahr alt. Auch bin ich vor meiner Abreise keinerlei Verpflichtung gegen Lady Edgermond eingegangen, und die Schwankungen, die Unruhe, welche Sie an mir bemerkt haben, waren einzig aus des Vaters Wunsch entsprungen; denn ehe ich Sie kannte, hoffte ich ihn erfüllen zu können. Wie unbestimmt er auch geäußert war, es schien mir, als übe ich eine Art von Buße, wenn ich den Einfluß seines Willens auf meine Entschlüsse über seinen Tod hinaus verlängerte. Sie aber haben diesen Vorsatz besiegt, Sie haben mein ganzes Selbst überwunden, und mir bleibt nur noch, Ihre Verzeihung zu erstreben, für meine Schwäche und Unentschlossenheit. Corinna! nach einem Schmerz, wie ich ihn empfunden, richtet man sich nie ganz wieder auf. Er läßt die Hoffnungen verwelken, er giebt ein Gefühl peinlicher, düstrer Schüchternheit. Das Schicksal hat mir so wehe gethan, daß selbst jetzt, wo es mir das köstlichste Gut bietet, ich ihm noch nicht trauen mag. Aber alle Zweifel klären sich vor Dir, Corinna; ich bin Dein auf immer! ganz Dein! Dich würde mein Vater für mich gewählt haben, wenn er Dich gekannt hätte, Dich würde er.......–«

»Halten Sie ein – ich flehe Sie an – sprechen Sie das nicht aus!« rief Corinna unter Thränen.

»Was können Sie dagegen haben«, fragte Oswald, »wenn es mir Freude macht, Sie in Gedanken neben meinen Vater zu stellen, und so in meinem Herzen Alles, was mir lieb und heilig ist, zu vereinen?« – »Sie dürfen es nicht, Oswald; ich weiß gewiß, daß Sie es nicht dürfen!« – »Aber was können Sie mir denn mitzutheilen haben?« rief Lord Nelvil erschreckt; »Geben Sie mir die Blätter, die Ihre Vergangenheit erzählen, geben Sie sie mir!« – »Sie sollen sie erhalten«, entgegnete Corinna, »aber ich bitte noch um acht Tage Frist, – nur acht Tage. Was ich eben erfuhr, nöthigt mich, noch ausführlicher zu sein.« – »Wie!« sagte Oswald, »in welcher Beziehung könnten Sie zu......« – »Verlangen Sie jetzt keine Antwort«, unterbrach ihn Corinna; »Sie werden bald Alles wissen, und dies ist vielleicht dann das Ende, das furchtbare Ende meines Glücks. Vorher aber wünsche ich, daß wir zusammen noch dieses schöne, neapolitanische Land bewundern, und uns mit noch süßem Gefühl, noch empfänglicher Seele an seiner entzückenden Natur erfreuen. Ich will hier, in diesen holden Gefilden, den feierlichsten Lebensabschnitt feierlich begehen. Sie müssen eine letzte Erinnerung von mir sich bewahren, – von mir, wie ich war, wie ich immer geblieben wäre, wenn mein Herz sich hätte enthalten können, Sie zu lieben!«.

»O Corinna!« rief Oswald, »was wollen Sie mir mit diesen unheilkündenden Worten andeuten? Es ist doch unmöglich, daß ich etwas erführe, was meine Liebe, meine Bewunderung zu erkälten vermöchte! Wozu mir noch acht Tage dieses ängstigende Geheimniß vorenthalten, das eine Schranke zwischen uns aufzurichten scheint?« – »Ich will es so, theurer Oswald! Verzeihen Sie mir diesen letzten Gebrauch meiner Macht; bald werden nur Sie allein über uns Beide entscheiden. Ich werde mein Loos, wenn es ein grausames ist, ohne Murren von Ihren Lippen hinnehmen, denn mich fesseln auf dieser Erde keine Gefühle, keine Bande, die mich verurtheilen, ohne Ihre Liebe zu leben.« Nach diesen Worten ging sie hinaus, Oswald, der ihr folgen wollte, sanft mit der Hand zurückweisend.

Drittes Kapitel.

Corinna hatte beschlossen, wahrend der acht Tage des erhaltenen Aufschubes für Lord Nelvil eine Festlichkeit zu veranstalten, die wohl mehr den Charakter einer ernsteren Feier tragen sollte, denn sie knüpfte die schwermüthigsten Empfindungen an dieselbe. Wenn sie Oswalds Charakter prüfend übersah, war es fast unmöglich, sich über den Eindruck zu täuschen, den er von dem, was sie ihm zu entdecken hatte, empfangen werde. Man mußte Corinna als Dichterin, als Künstlerin beurtheilen, um ihr verzeihen zu können, daß sie der Begeisterung und der Kunst ihren hohen Rang, ihre Familie und ihr Vaterland geopfert hatte. Lord Nelvil hatte ohne Frage den erforderlichen Geist, um das Genie und seinen Reichthum gehörig zu würdigen; aber er war der Meinung, daß man die Verhältnisse des socialen Lebens über alles Andere zu stellen habe, und daß die erste Pflicht der Frau, und selbst des Mannes, nicht die Geltendmachung geistiger Fähigkeiten, sondern die Erfüllung der Jedem auferlegten Pflichten sei. Die nagenden Gewissensqualen, welche er erlitten, als er von der sich selber vorgeschriebenen Bahn abgewichen war, hatten seine strengen, ihm gleichsam angeborenen moralischen Grundsätze nur noch befestigt. Die Sitten, die Anschauungen seiner Heimat, eines Landes, in welchem man sich bei der gewissenhaftesten Hochachtung für Pflicht und Gesetz so wohl befindet, hielten ihn in Banden, nach mancher Richtung hin in recht engen Banden, und die, aus tiefem Kummer sich erzeugende Muthlosigkeit liebt Alles, was alltägliches Herkommen ist, was sich von selbst versteht, was keine neuen Entschlüsse, keine Entscheidung verlangt, die den uns vom Schicksal gegebenen Verhältnissen entgegen stände.

Oswalds Liebe zu Corinna hatte zwar seine ganze Empfindungsweise umgestaltet; den Charakter aber vermag die Liebe nicht völlig zu verändern, und Corinna erkannte diesen Charakter noch, aus der Leidenschaft heraus, von welcher er besiegt worden war. Vielleicht sogar war Lord Nelvil grade durch diesen Gegensatz zwischen seiner Natur und seinem Gefühl so anziehend; ein Gegensatz, der all seinen Liebesbeweisen nur noch höhern Werth verlieh. Nun aber nahte der Augenblick, wo die vorübergehenden Besorgnisse, die Corinna stets zurückgedrängt, und die sich nur gleich einem leichten, träumerischen Nebel über die verflossenen Glückestage gebreitet hatten, eine festere Gestalt annehmen, wo sie über ihr Leben entscheiden sollten. Ihre für das Glück geborene, an die holdbeweglichen Eindrücke des Talents und der Poesie gewöhnte Seele erstaunte über die Zähigkeit, über die herbe Unveränderlichkeit des Schmerzes; ihr ganzes Wesen bebte unter einer Erschütterung, wie sie Frauen, die seit lange zu leiden wissen, wohl kaum mehr fühlen.

Indeß betrieb sie mitten in dieser Herzensangst heimlich die Vorbereitungen zu einem glänzenden Tag, den sie noch mit Oswald durchleben wollte; so vereinigte sich in ihr auf romantische Weise Einbildungskraft mit Gefühl. Die in Neapel anwesenden Engländer, wie auch einige Neapolitaner und ihre Damen, wurden von ihr eingeladen, und der Morgen des festlichen Tages – des letzten vor einem Geständnisse, das auf immer ihr Glück zerstören konnte, – sah Corinna in einer Erregtheit, die ihren Zügen einen ganz neuen seltsamen Ausdruck gab. Unachtsamen Augen konnte dieser für lebhafte Freude gelten; Lord Nelvil jedoch errieth aus ihren raschen, etwas plötzlichen Bewegungen, aus dem nirgend haftenden Blick, was in ihrer Seele vorging. Umsonst suchte er sie durch die liebevollsten Versicherungen zu beruhigen. »Sie werden mir das Alles nach zwei Tagen wiederholen, wenn Sie dann noch so denken«, sagte sie; »jetzt thun Ihre gütigen Worte mir nur weh.« Und sie entfernte sich von ihm.

Als der Tag sich neigte, hielten die Equipagen der eintreffenden Gäste vor Corinnens Thür; wenn der Meereswind sich erhebt und mit kühlem Hauch die Luft erfrischt, erst dann ist es hier möglich, die freie Natur zu genießen. Bei der von Corinna und ihrer Gesellschaft unternommenen Promenade machte man zueist am Grabe Virgils Halt. Dieses Grab hat den schönsten Platz auf der Welt, denn es schaut auf den Golf von Neapel hinaus. Es ist so viel Ruhe, so viel Großartigkeit in dem Anblick, daß man glauben möchte, Virgil selber habe sich den Ort erwählt. Der einfache Vers aus der Georgica, dem Gedicht über den Landbau, hätte hier als Grabschrift dienen können:

Illo Virgilium me tempore dulcis alebat
Parthenope – – – – – – –

Anmerkung des Verlages: Zu jener Zeit empfing mich die sanfte Parthenope.

Seine Asche ruht hier noch, und sein Andenken zieht die Huldigungen des Weltalls nach dieser Stätte. Das ist Alles, was der Mensch dem Tode entreißen kann.

Petrarca hat einen Lorbeerbaum auf dieses Grab gepflanzt, und Petrarca ist nicht mehr, und der Lorbeer stirbt. Die um Birgits Gedächtniß willen massenhaft hieher wallfahrtenden Fremden haben ihre Namen auf die Mauer geschrieben, welche die Urne umgiebt. Von diesen dunklen Namen, die nur da zu sein scheinen, um den Frieden solcher Einsamkeit zu stören, fühlt man sich belästigt. Nur Petrarca war würdig, einen dauernden Beweis seiner Anwesenheit an diesem Grabe zurückzulassen. Schweigend steigt man von der ernsten Zufluchtsstätte des Ruhms hinab, und erinnert sich der Gedanken, der Anschauungen, welche der Genius des Dichters auf immer geheiligt hat. Das ist wie eine hohe Unterredung mit den kommenden Geschlechtern! Eine Unterredung, die von der Schriftstellerkunst immer fortgesetzt, immer erneuert wird. O Todesnacht, was bist du denn? Die Gedanken, die Gefühle, die Worte eines Menschen sind vorhanden, und was er selber war, sein Ich, das sollte nicht mehr sein? Nein, ein solcher Widerspruch ist unmöglich in der Natur.

»Oswald«, sagte Corinna zu Lord Nelvil, »die Eindrücke, welche Sie hier empfangen, können Sie nicht eben in festliche Stimmung versetzen; aber«, fügte sie mit einer gewissen Exaltation hinzu, »aber wie viele Feste feierte man nicht über Gräbern!« – »Meine Freundin«, antwortete Oswald, »was ist das für ein heimlich Leid, das Sie bewegt? Vertrauen Sie mir doch; ich danke Ihnen die sechs schönsten Monate meines Lebens; vielleicht gelang es auch mir über Ihre Tage einiges Glück zu breiten; o, und das Glück vergessen, das wäre Gottvergessenheit! Wer denn würde sich selbst um das stolze Entzücken bringen, einem Geiste wie dem Ihren zu genügen? Es ist schon so süß, dem Geringsten sich nothwendig zu fühlen; aber einer Corinna unentbehrlich sein, dies, glauben Sie mir, dies ist zu viel Glorie, zu viel Seligkeit, als daß man ihr freiwillig entsagen möchte!« »Ich glaube Ihren Versicherungen«, erwiderte Corinna, »aber giebt es denn nicht Augenblicke, wo etwas Gewaltsames, Grausiges über uns kommt, das unser Herz schneller, angstvoller schlagen läßt?«

Durch die Höhle des Pausilippus fuhren sie mit Fackeln; selbst um die Mittagsstunde hat man sich derselben zu bedienen, da die Straße fast in der Länge einer Viertelmeile den Berg durchbohrt, so daß in ihrer Mitte man kaum das Tageslicht an den beiden Enden hereinschimmern sieht. Ein ungemein starker Wiederhall begleitet die Fahrt durch dies lange Gewölbe; das Pferdegetrappel, das Geschrei ihrer Führer zerstückeln hier mit ihrem betäubenden, vielfach verdoppelten Geräusch jeden zusammenhängenden Gedanken. Mit ungewöhnlicher Schnelligkeit flog Corinnens Wagen dahin, und dennoch war sie nicht zufrieden gestellt. »Wie langsam das geht! Theurer Oswald, sorgen Sie doch für schnelleres Fahren«, sagte sie ungeduldig zu Lord Nelvil. »Und warum nun wieder diese Hast, Corinna?« fragte Oswald, »wenn wir sonst zusammen waren, suchten Sie nicht die Stunden abzukürzen, sondern genossen sie.« – »Ja, aber jetzt«, entgegnete Corinna, »jetzt muß Alles sich entscheiden, muß Alles zu einem Ende drängen, und ich möchte Alles beeilen, wäre es auch mein Tod!«

Mit herzlicher Freude begrüßt man am Ende der Höhle das Tageslicht und die Natur; und welche Natur ist's, die jetzt vor unsern Blicken lacht! So oft fehlen der italienischen Landschaft die Bäume; hier sind sie im Ueberfluß; und grade hier ist der Boden mit so viel Blumen und Kräutern bedeckt, daß jene Wälder, die der schönste Schmuck anderer Gegenden sind, hier schon zu entbehren wären. Bei Tage ist es in Neapel, wegen der entsetzlichen Hitze, selbst im Schatten unmöglich lange draußen zu verweilen; erst der Abend bringt von allen Seiten erquickende Kühlung, und in seinem weicheren Licht bietet sich das von Himmel und Meer umschlossene Land in weiter Ausdehnung dem entzückten Auge dar. Mit Vorliebe wählen die Maler besonders Neapels Landschaften für ihren Pinsel; denn die Durchsichtigkeit der Luft, der wechselnde Charakter der Gegenden, die wunderlichen Formationen der Gebirge sind im südlichen Italien hervorragende Eigenthümlichkeiten. Die Natur zeigt in diesem Lande eine Größe, eine Originalität, die von keinem Zauber anderer Gegenden übertroffen werden. »Ich führe Sie an den Ufern des Sees von Averno, nahe beim Phlegethon, vorüber«, sagte Corinna zu ihrer Begleitung, »und hier, vor Ihnen, ist der Tempel der Sibylle von Cumä. Wir werden auch die berühmte Stätte berühren, welche man unter dem Namen der Wonnen von Bajä kennt; doch rathe ich Ihnen, sich dort nicht weiter aufzuhalten. Wenn wir auf einem Punkt angekommen sein werden, wo das Auge die großen uns hier umringenden Erinnerungen der Geschichte und Poesie gleichzeitig zu übersehen vermag, wollen wir sie auch mit dem Geiste zusammenfassen.«

Auf dem Kap Misene hatte Corinna Vorbereitungen zu Tanz und Musik treffen lassen; sie waren mit künstlerischem Sinn geordnet. Die Matrosen von Bajä, in bunte, abstechende Farben gekleidet, und mehrere Orientalen, die einem im Hafen liegenden levantischen Schiffe angehörten, tanzten mit Bäuerinnen von den benachbarten Inseln Ischia und Procida, deren Trachten noch heute die griechische Abkunft verrathen. In einiger Entfernung erhob sich dann und wann ein vollendet ausgeführter mehrstimmiger Gesang, und auch die im Grünen verborgene Instrumentalmusik sendete in schmachtendem Echo ihre Töne von Fels zu Fels dem Meere zu, auf dessen silberner Fläche sie endlich im Abendhauch dahinstarben. Die entzückende Luft, welche man athmete, durchdrang die Seele wie ein Freudegefühl, das sich aller Anwesenden, selbst Corinnens bemächtigte. Diese wurde jetzt gebeten, sich in den Tanz der Landmädchen zu mischen, und sie willigte auch mit Vergnügen ein. Aber kaum hatte sie begonnen, als die düstersten Gedanken ihr auch schon solche Heiterkeit im abschreckendsten Lichte zeigten. Schnell verließ sie den anmuthigen Reigen und suchte, wie um auch den Klängen der Musik zu entfliehen, das äußerste Ende des Vorgebirges auf. Dort setzte sie sich nieder; Oswald ging ihr bald nach, doch hatte er sie kaum erreicht, da folgte ihm auch schon die übrige Gesellschaft, um Corinna zu bitten, sie möge an dieser schönen Stätte zur Freude Aller improvisiren. Willenlos und völlig verwirrt, ließ sie sich zu einem kleinen Hügel, wo man schon ihre Laute hingeschafft hatte, führen, ohne daß sie über das, was man von ihr erwartete, nachzudenken im Stande war.

Viertes Kapitel.

Indessen wünschte Corinna, daß Oswald sie noch einmal, wie bei der Feier auf dem Kapitol, im vollen Glanze ihres Talents hören möge; falls dieses Talent auf immer versinken mußte, dann sollten die letzten Strahlen vor seinem Erlöschen wenigstens noch den Geliebten treffen. Dieser Wunsch gab ihr die Begeisterung, welcher sie bedurfte, um sich über ihr stürmisch bewegtes Innere zu erheben. Corinnens Freunde und Gäste waren ungeduldig, sie zu hören. Selbst das Volk umgab in erwartungsvollem Schweigen den Kreis, in welchem Jene die Künstlerin umstanden; denn dieses Volk, das im Süden vermöge seiner Fantasie ein so guter Beurtheiler der Dichtkunst ist, kannte ihren Ruf, und auf all diesen neapolitanischen Gesichtern lag daher jetzt die gespannteste Aufmerksamkeit. Der Mond erhob sich am Horizonte; das letzte Tageslicht beeinträchtigte zwar noch seinen Glanz. Von der Höhe des kleinen Hügels, der, ins Meer hinaustretend, eben das Kap Misene bildet, überblickte man den Vesuv, den Golf von Neapel mit seinen Inseln, den reichen Strich Landes, welcher sich von Neapel bis Gaeta hinstreckt, kurz ein Stück Erde, wo die Vulkane, wo Geschichte und Poesie die zahlreichsten Spuren einer großen Vergangenheit zurückließen. So verlangten Corinnens Freunde denn auch einstimmig, »die Erinnerungen, welche dieser Boden erwecke«, als Gegenstand ihrer Improvisation zu wählen. Sie stimmte ihre Laute und begann in bebendem Ton. Ihr Blick war schön; aber wer sie kannte, mußte die Angst ihrer Seele darin lesen. Sie versuchte jedoch, ihren Schmerz zu bemeistern und sich, für einen Augenblick wenigstens, über ihre persönliche Lage zu erheben.

Corinnens Gesang in den Gefilden von Neapel.

»Natur, Poesie und Geschichte wetteifern hier in Großartigkeit; mit Einem Blick vermag man hier alle Zeiten, alle Wunder zu umfassen.

»Dort der See von Averno, ein erloschener Vulkan, dessen Wogen einst Entsetzen erregten: der Acheron und Phlegethon, deren Fluthen an unterirdischem Feuer sieden, sind die Ströme dieser einst von Aeneas besuchten Hölle.

»Das Feuer, diese schaffende und verzehrende Kraft, wurde um so mehr gefürchtet, als seine Gesetze den Menschen noch unbekannt waren. Die Natur offenbarte anfangs ihre Geheimnisse nur der Poesie.

»Die Stadt Cumä, die Höhle der Sibylle, und auch Apollo's Tempel lagen auf diesen Höhen. Hier das Gehölz, wo der goldene Zweig gebrochen wurde. Das Land der Aeneïde umgiebt uns, und die vom Genius geweihten Träume des Dichters sind Erinnerungen geworden, von denen man noch die Spuren sucht.

»In diese Fluthen stürzte ein Triton den verwegenen Trojaner, der es wagte, die Gottheiten des Meeres durch seine Gesänge herauszufordern. Diese hohlen, tönenden Felsen sind noch so, wie Virgil sie schilderte, denn die Einbildungskraft malt treu, wenn sie eine so mächtige ist. Der Geist des Menschen ist schöpferisch, wenn er die Natur versteht, und nachahmend, wenn er sie zu erfinden glaubt.

»Mitten unter diesen ungeheuren Massen, den alten Zeugen der Schöpfung, sieht man einen neuen, vom Vulcan erst erschaffenen Berg. Hier ist die Erde stürmisch, wie das Meer; sie tritt nicht, wie dieses, friedlich in die alten Grenzen zurück. Das schwere, durch des Abgrunds furchtbare Gewalten emporgehobene Element höhlt Thäler aus, thürmt Berge auf und seine versteinerten Wogen reden von den Stürmen, die sein Inneres zerreißen.

»Schlagen wir auf diesen Boden, so hallt das unterirdische Gewölbe davon wieder. Es ist, als wäre die bewohnte Welt nur eine deckende Oberfläche, die stets bereit ist, sich gähnend zu öffnen. Die Gegend von Neapel ist ein Bild der menschlichen Leidenschaften: verderblich und fruchtbringend, scheinen ihre Gefahren, wie ihre Freuden, aus diesen flammenden Vulcanen hervorzugehen, welche dieser Luft ihre Zauber verleihen, während sie unter unsern Füßen den Donner grollen lassen.

»Plinius studirte die Natur, um Italien besser bewundern zu können; er rühmte sein Vaterland als das schönste Land der Erde, da er andere Eigenschaften nicht mehr preisen konnte. Die Wissenschaft suchend, wie ein Krieger die Eroberungen, verließ er eben dieses Vorgebirge, um den flammenspeienden Vesuv zu beobachten, und diese Flammen vernichteten ihn.

»O Erinnerung, du edle Macht! Hier diese Stätte ist dein Reich. Von Jahrhundert zu Jahrhundert – welch seltsames Schicksal! – beklagt der Mensch, was er verloren hat. Es ist, als sei das Glück in die längst verflossenen Zeiten zur Bewahrung niedergelegt, und während der Gedanke sich seines Fortschreitens rühmt, und kühn in die Zukunft dringt, scheint unsere Seele schwermuthsvoll eine alte Heimat zu betrauern, die in der Vergangenheit begraben liegt.

»Wir beneiden den Glanz der Römer, und beneideten sie denn nicht wiederum die mannhafte Einfachheit ihrer Voreltern? Ehemals verachteten sie dies üppige Land, und nur ihre Feinde wurden von seiner wonnigen Herrlichkeit bezwungen. Sehet Capua dort in der Ferne; es beugte den Krieger, dessen unbeugsame Seele der alten Roma länger widerstand, als die ganze übrige Welt.

»Darauf bewohnten auch die Römer diese Orte. Als die Kraft der Seele ihnen nur noch diente, um Schmerz und Schande tiefer zu empfinden, gaben sie sich ohne Scham der Verweichlichung hin. Zu Bajä eroberten sie sich vom Meere eine Strecke Ufers für ihre Paläste. Man durchwühlte die Berge, um ihnen Säulenhallen und seltenes Gestein zu entreißen, und die zu Sklaven herabgekommenen Herren der Welt unterjochten die Natur, um sich über die eigene Unterjochung zu trösten.

»In der Nähe des Vorgebirges von Gaeta, das sich hier unsern Blicken zeigt, verlor Cicero das Leben. Ohne Rücksicht für die Nachwelt, beraubten die Triumvirn diese der Gedanken, welche jener große Mann noch hinterlassen haben würde. Das Verbrechen der Triumvirn dauert noch fort; noch an uns haben sie sich durch diesen Frevel vergangen.

»Cicero fiel unter den Dolchen der Tyrannen. Der unglücklichere Scipio ward aus seiner, damals noch freien Heimat verbannt. Er endete seine Tage nicht weit von diesem Gestade; die Ruinen seines Grabes nennt man die Veste des Vaterlandes; eine rührende Anspielung auf die Idee, von welcher seine große Seele erfüllt war.

»Marius flüchtete sich in die Sümpfe von Minturnä, unweit von dem Wohnsitz des Scipio. So haben zu aller Zeit die Nationen ihre großen Männer verfolgt und gequält. Aber diese werden durch die Apotheose entschädigt, und der Himmel, in welchem die Römer noch zu herrschen glaubten, nimmt unter seine Sterne Romulus, Numa, Cäsar auf: neue Gestirne, die vor unsern Augen ihre Strahlen des Ruhms mit dem Himmelslicht vereinigen.

»Und nicht das Unglück allein, auch das Verbrechen hat hier sein Gedächtniß zurückgelassen. Seht dort, am äußersten Rande des Meerbusens, die Insel Capri, wo das Alter den Tiberius überwand; wo dieser zugleich so grausame und wollüstige, so gewaltthätige und schlaffe Fürst endlich auch des Verbrechens müde ward, und sich in die niedrigsten Genüsse stürzte, als ob die Tyrannei ihn noch nicht genug erniedrigt habe.

»Das Grabmal Agrippinens liegt ebenfalls an diesem Strand, gegenüber der Insel Capri; erst nach dem Tode Nero's ward es errichtet. Der Mörder seiner Mutter fluchte auch ihrer Asche. Er wohnte lange in Bajä, umgeben von den Erinnerungen seiner Missethaten. Welche Ungeheuer versammelt hier der Zufall vor unsern Augen! Tiber und Nero stehen sich gegenüber!

»Beinahe von ihrer Entstehung an dienten die vulkanischen, aus dem Meere aufgestiegenen Inseln den Verbrechen der alten Welt. Den Blicken der Unglücklichen, die so mitten ins Meer, auf diese einsamen Felsen verwiesen waren, zeigte sich in der Ferne das Vaterland; sie suchten den Duft seiner Wälder in den Lüften zu erspähen, und erfuhren zuweilen, nach langem Exil, durch ein Todesurtheil, daß ihre Feinde wenigstens sie nicht vergessen hatten.

»O Erde! von Blut und Thränen getränkte Erde! Du hörst nie auf, Blumen und Früchte hervorzubringen. Bist du denn ohne Mitleid für den Menschen, und kehrt sein Staub in deinen mütterlichen Schooß zurück, ohne daß er ihn erzittern macht?«

Hier unterbrach sich Corinna, um einige Augenblicke zu ruhen. Die Anwesenden huldigten ihr mit Zweigen von Myrten und Lorbeer, die sie zu ihren Füßen niederlegten. Des Mondes weiches, reines Licht lag verklärend auf ihren Zügen; der kühle Meereswind trieb ihr Haar in malerische Unordnung; die Natur hatte offenbar ein Wohlgefallen daran, sie zu schmücken. Aber Corinna ward jetzt von tiefer Erschütterung überwältigt; als ihr Blick über diese entzückenden Gefilde, diesen wunderbar-herrlichen Abendhimmel schweifte, endlich an Oswald hing, der jetzt noch da war, und vielleicht nicht immer da sein werde, kamen Thränen in ihre Augen. Das Volk selbst, das ihr eben so lauten Beifall gezollt, nahm ihre Bewegung mit Ehrfurcht hin, und in tiefstem Schweigen erwarteten Alle gespannt ihre nächsten Worte, die ihnen das, was sie fühlte, mittheilen sollten. Sie präludirte längere Zeit auf ihrer Laute, und dann die achtzeilige Strophe nicht wieder aufnehmend, ließ sie in freier, selten absetzender Form ihr innerstes Gefühl ausströmen.

»Auch einige Erinnerungen an großes Herzeleid, auch einige Frauennamen, rufen Euer Mitgefühl an. Hier auf dieser Stätte, hier zu Misene, nahm Cornelia, die Wittwe des Pompejus, ihre edle Trauer mit in den Tod. An diesen Ufern beweinte Agrippina lange den Germanicus, bis derselbe Mörder, welcher ihr den Gatten raubte, sie würdig hielt, diesem zu folgen. Die Insel Nisida war Zeuge von Brutus' und Porcia's Abschied.

»So sahen die Frauen und Freundinnen jener Helden den Mann, den sie angebetet, zu Grunde gehen. Vergeblich folgten sie lange seinen Schritten, es kam doch der Tag, wo er ihnen entrissen ward. Porcia tödtet sich, Cornelia drückt die geheiligte Urne an die Brust, als werde sie ihrem Jammer Antwort geben, Agrippina erzürnt Jahrelang erfolglos den Mörder ihres Gatten; und diese unglückseligen Gestalten, den Schatten gleich, die an den Gestaden des ewigen Flusses umherirren, sie seufzen vergeblich nach dem jenseitigen Land. In müder langer Einsamkeit schwanken sie dahin; sie blicken fragend, ungläubig in diesem Schweigen umher; sie suchen am gestirnten Himmel, auf dem großen unendlichen Meere, in der ganzen Natur nach einer Erinnerung an den Verlorenen, nach einem Klang, wie des Geliebten Stimme, und finden ihn nimmer und nimmermehr!

»O Liebe! Du hehre Gewalt! Geheimnißvolle Begeisterung des Menschenherzens, die du Poesie, Religion und Heroismus in dir vereinigest, – was geschieht, wenn das Schicksal uns von dem Manne trennt, der das Geheimniß unserer Seele besaß, der uns das Leben erst gegeben, das wahre, das himmlische Leben! Was geschieht, wenn Entfernung oder Tod ein Weib auf Erden vereinsamen? Es sinkt dahin – es stirbt. Wie oft mögen die Felsen hier jenen verlassenen Wittwen als fühllose, kalte Stützen gedient haben – den einst so hoch beglückten Frauen, die sich sonst an das Herz eines Freundes, auf den Arm eines Helden lehnen durften!

»Vor uns liegt Sorrent; dort wohnte die Schwester des Tasso. Bei ihr, deren Leben in Dunkelheit verstrich, suchte und fand er ein Asyl vor der Ungerechtigkeit der Fürsten; langes Dulden hatte ihn fast der Vernunft beraubt, nur sein Genius blieb ihm, nur die Kenntniß von den göttlichen Dingen; alle irdischen Erinnerungen waren ihm verworren, verdorben. So durchirrt das Genie, entsetzt, zurückgestoßen von der Oedigkeit seiner Umgebung, und ihr bang entfliehend, das Weltall. Es findet in der Natur kein Echo mehr, und dieses leidensvolle Unbehagen eines Gemüths, dem diese Welt zu wenig Lebenslust, zu wenig Begeisterung, keine Hoffnung mehr giebt, – der Alltagsmensch hält es für Irrsinn!

»Das Verhängniß«, fuhr Corinna in immer steigender Bewegung fort, »das Verhängniß verfolgt die hochgestimmten Seelen, vor Allen die Dichter, deren Einbildungskraft aus der Fähigkeit zu lieben und zu leiden ihre Nahrung zieht. Sie sind wie Verbannte, aus höherer Sphäre vertrieben, und des Allmächtigen Güte durfte nicht Alles für diese kleine Schaar Erwählter oder Verstoßener anordnen. Was meinten die Alten, wenn sie mit so viel Entsetzen vom Fatum sprachen? Was vermag es, dieses Fatum über niedere, alltägliche Menschen? Sie treiben mit der Zeit hinweg, sie durcheilen fügsam die ausgetretene Lebensbahn. Die Priesterin aber, deren Mund ihnen des Orakels Sprüche verkündete, sie wird betroffen von furchtbarem Geschick. Ich weiß nicht, welche unwiderstehliche Gewalt das Genie ins Unglück hinabreißt; wenn es dem Gesange der Sphären lauscht, den ein sterbliches Ohr nicht mehr zu erfassen vermag, wenn es in ferne, geheimnißvolle Gefühlswelten dringt, die Andern unbekannt, wenn es überfließt von göttlicher Begeisterung, dann strauchelt es wohl leichter auf dem Pfad zu irdischem Glück.

»Erhabener Schöpfer dieser schönen Welt, beschütze uns! Unserem Aufschwunge fehlt die Kraft, unsere Hoffnungen sind trügerisch. Die Leidenschaften beherrschen uns mit wilder Tyrannei und lassen uns weder Freiheit noch Ruhe. Was wir morgen thun, entscheidet vielleicht über unser Loos; vielleicht sprachen wir gestern ein Wort, das keine Reue, keine Noth zurückrufen kann. Wenn unser Geist sich zu den höchsten Gedanken erhebt, fühlen wir, wie auf dem Gipfel hoher Bauwerke, einen Schwindel, der das unten Liegende vor unserem Blicke verwirrt. Aber auch dann selbst, auch dann verliert er sich nicht, der entsetzliche Schmerz, er verflüchtigt sich nicht in die Wolken; er zertheilt sie – durchbricht sie – und steigt auf zu dir, o Gott! Und ach, welch Urtheil will er uns verkünden!«

Bei diesen Worten zog tödtliche Blässe über Corinnens Angesicht; ihre Augen schlossen sich, sie wäre umgesunken, wenn Lord Nelvil nicht schon an ihrer Seite gewesen wäre, um sie zu stützen.

Fünftes Kapitel.

Corinna kam wieder zu sich, Oswalds Nähe und sein liebender Blick, der voll theilnehmender Sorge auf ihr ruhte, gaben ihr einige Fassung. Mit Erstaunen hatten die Neapolitaner ihre düstern Poesien vernommen. Sie bewunderten zwar die klangvolle Schönheit dieser Sprache, doch hätten sie gewünscht, ihre Verse wären von weniger trauriger Stimmung beeinflußt gewesen: denn die schönen Künste, und unter ihnen die Poesie, waren für sie nur da, um sich von den Sorgen des Lebens zu zerstreuen, nicht um sich tiefer in seine furchtbaren Geheimnisse hineinzugraben. Dagegen hatten die anwesenden Engländer Corinnens Improvisation mit einer Art heiliger Andacht vernommen. Solche tief-schwermüthigen, aber mit italienischer Gluth ausgedrückten Gefühle entzückten sie. Diese schöne Corinna, deren geistreiche Züge, deren lebenspendender Blick nur für das Glück bestimmt schienen, diese von verborgenem Leid betroffene Tochter der Sonne glich den noch frischen, noch leuchtenden Blumen, die, durch einen tödtlichen Stich vergiftet, einem nahen Tode entgegenwelken.

Die Gesellschaft schiffte sich ein, um nach Neapel zurückzukehren; nach der heißen Ruhe, welche über dem Erdboden lagerte, war der frische Meeresathem höchst erquickend. Goethe hat in einer köstlichen Romanze die Sehnsucht geschildert, welche uns bei großer Hitze ins kühle Element zieht: eine, aus bewegten Wassern emportauchende Nymphe singt dem jungen Fischer, der am Ufer sitzt, von der Herrlichkeit, dem wohligen Behagen, das er auf dem Grunde der Fluth finden werde. Sie lockt den, anfangs Gleichgültigen, in ihren »ewigen Thau« hinunter, bis er, von Sehnsucht erfaßt, halb von ihr gezogen und halb ihr entgegensinkend, auf immer in die kühle Fluth hinabtaucht. Diese magische Gewalt des Wassers gleicht gewissermaßen dem Blick der Schlange, der abschreckend anzieht. Die Woge, wie sie sich leise in der Ferne erhebt, in stetem Wachsen herbeirollt, und sich in eiliger, treibender Ueberstürzung am Strande bricht, sie ist gleich einem verborgenen Wunsche der Seele, der unbemerkt aufsteigt, und in unwiderstehlich zunehmender Gewalt das arme irrende Menschenherz an der Klippe zerschellen läßt.

Corinna war jetzt ruhiger, die lieblichen Abendlüfte fächelten ihr Frieden zu; um ihnen Stirn und Schläfen mehr preis geben zu können, hatte sie das schwarze Haar zurückgestrichen, und war so schöner denn je. Die in einer zweiten Barke folgende Musik von Blasinstrumenten wirkte zauberhaft; ihre Töne verbanden sich mit dem Meer, den Sternen, der berauschenden Süßigkeit eines italienischen Abends zu himmlischem Zusammenklang; sie waren die Stimme des Himmels inmitten der Natur. »Geliebte«, sagte Oswald leise, »süße Freundin meines Herzens, nie werde ich diesen Tag vergessen; kann es noch einen glücklicheren geben?« – Und wie er das sagte, standen seine Augen voll Thränen. Dann war sein Angesicht von unwiderstehlichem Ausdruck. Zuweilen auch, während heiteren Scherzes, bemerkte man, daß eine verborgene Rührung in ihm aufstieg, die seinem Wesen die edelste Anmuth verlieh. »Ach!« antwortete Corinna, »nein, ich hoffe auf keinen Tag mehr wie diesen; er sei wenigstens als der letzte meines Lebens gesegnet, falls er die Morgenröthe eines dauernden Glückes nicht ist, nicht sein kann.«

Sechstes Kapitel.

Das Wetter änderte sich, eben als sie Neapel erreichten; der Himmel umwölkte sich, und die heftig aufeinander treibenden Wogen verkündeten schon das heraufziehende Gewitter, wie wenn der Meeressturm sich aus dem Schooße der Fluthen erhöbe, um dem Sturm des Himmels zu antworten. Oswald war Corinna etwas vorausgeeilt, da er für deren Weg bis zum Hotel Fackeln herbeischaffen lassen wollte; auf dem Quai fand er eine Gruppe schreiender Lazzaroni versammelt. »Ach! der Arme!« riefen sie, »er kann nicht mehr mit den Wellen fertig werden, er geht unter!« – »Was sagt Ihr, Leute«, fragte Lord Nelvil heftig, »von wem sprecht Ihr?« – »Von jenem Greise dort«, antworteten sie, »er badete dort unten, nicht weit von den Molen; da ist er vom Sturm überrascht worden, und es fehlt ihm jetzt die Kraft, gegen die Wellen anzukämpfen, um das Ufer zu erreichen.« Oswalds erste Regung war, selbst ins Wasser zu springen; er dachte aber daran, welches Entsetzen Corinna, die ihm in wenig Augenblicken folgen mußte, dadurch bereitet werden könnte, und so bot er für die Rettung des Greises eine große Summe Geldes aus. Die Lazzaroni weigerten sich Alle, unter dem Vorgeben, daß die Gefahr zu groß, die Rettung unmöglich sei. In diesem Augenblick verschwand der Greis unter den Wogen. Länger zögerte Oswald nicht; er stürzte sich in die Fluthen. Sie schlugen auch ihm über dem Kopfe zusammen, doch rang er sich glücklich durch, erreichte den Greis, der einen Augenblick später verloren gewesen wäre, ergriff ihn und brachte ihn ans Ufer. Aber beim ersten Schritt, den er auf das Land setzte, fiel er in Folge der unerhörten Anstrengung, mit welcher allein solch ein Kampf gegen die wüthenden Gewässer bestanden werden konnte, bewußtlos nieder, und seine Todtenblässe glich der eines Sterbenden.Anmerkung der Autorin: Herr Dubreuil, ein ausgezeichneter französischer Arzt, hatte einen Freund, Herrn von Pameja, der ein ebenso vortrefflicher Mann war als jener. Herr Dubreuil wurde von einer tödtlichen und zugleich ansteckenden Krankheit ergriffen; als die allgemeine Theilnahme für ihn sich durch zahlreiche Besuche zu erkennen gab, welche zum Theil sein Zimmer betraten, sagte Herr Dubreuil zu Herrn von Pameja: Man muß die Leute nicht ins Haus lassen; Sie wissen, mein Freund, daß meine Krankheit ansteckend ist, es darf Niemand hier sein, als Sie. Welch ein Wort! Glücklich ist der, welcher es versteht. Herr von Pameja starb vierzehn Tage nach seinem Freund.

Corinna, die nichts ahnte, jetzt aber im Herbeikommen diese Menschenmasse, welche sich mit dem Klagerufe: »Er ist todt, er ist todt!« um einen Mittelpunkt zu drängen schien, voller Schreck bemerkt hatte, würde schnell vorübergegangen sein, wenn nicht einer der sie begleitenden Engländer von ihrer Seite fort und in das Gedränge geeilt wäre, um zu erfahren, was geschehen. Fast mechanisch folgte sie demselben, und das Erste, worauf nun ihr Auge fiel, war Oswalds Rock, den er vorhin abgeworfen hatte. In dem Glauben, dies sei Alles, was von ihm geblieben, griff sie darnach in convulsivischer Verzweiflung; und wie sie dann endlich ihn selbst erblickte, den scheinbar Leblosen, warf sie sich fast mit Entzücken auf den hingestreckten Körper des geliebten Mannes. Ihn leidenschaftlich mit den Armen umschlingend, fühlte sie voll unaussprechlichen Glückes noch die Schläge seines Herzens, das sich vielleicht bei ihrem Herannahen belebt hatte. »Er lebt!« rief sie, »er lebt!« und von nun an bewies sie mehr Kraft und Muth, als irgend Jemand der Umstehenden. Sie bestimmte die erforderlichen Hülfsmittel, und wußte sie geschickt anzuwenden; sie netzte das Haupt des Ohnmächtigen mit ihren Thränen, doch unterbrach sie, ohngeachtet ihrer schrecklichen Angst, ihr Mühen und Thun durch keine andern Schmerzensäußerungen. Sie vergaß nichts, sie verlor keinen Augenblick. Oswald schien ein wenig besser, nur hatte er seine Besinnung noch nicht wieder. Corinna ließ ihn in ihr Hotel schaffen; sie kniete neben ihm, gab ihm stärkende Essenzen und rief in leidenschaftlichster Zärtlichkeit seinen Namen. Das Leben mußte auf solchen Ruf wohl wiederkehren; und Oswald hörte ihn, er öffnete die Augen und drückte ihr die Hand.

War es nöthig, für die Seligkeit eines solchen Augenblicks die Qualen der Hölle durchzumachen? Arme Menschennatur! Nur durch den Schmerz erfahren wir, was Unendlichkeit ist; und unter allen Herrlichkeiten des Lebens giebt es nichts, das für die Verzweiflung entschädigen könnte, den Geliebten sterben zu sehn!

»Grausamer!« rief Corinna, »Grausamer! Wie konnten Sie mir das thun!«

»Verzeihen Sie, Corinna«, entgegnete Oswald mit matter Stimme, »und glauben Sie mir, Geliebte, als ich mich verloren hielt, da hatte ich Furcht – ich fürchtete für Sie!« – O wundervolle Sprache gegenseitiger Liebe, einer durch das Glück des Vertrauens erst vollendeten Liebe! – Corinna, von seinen tief zärtlichen Worten erschüttert, erinnerte sich derselben bis zu ihrer letzten Stunde mit jener Wehmuth, die, auf Augenblicke wenigstens, uns hilft, Alles zu verzeihen.

Siebentes Kapitel.

Oswalds nächster Gedanke war das Bild seines Vaters. Er griff darnach, und fand es auch, aber das Wasser hatte es bis zur Unkenntlichkeit verlöscht. »Mein Gott!« rief Oswald in schmerzlicher Betrübniß, »sein Bild selbst nimmst du mir!« Corinna bat Lord Nelvil, das Portrait herstellen zu dürfen; er gestattete es gern, ohne viel davon zu hoffen. Mit um so freudigerem Erstaunen empfing er es daher nach drei Tagen zurück, und jetzt war das Bild von noch treffenderer Ähnlichkeit als früher. »Ja«, sagte Oswald hoch erfreut, »Sie haben seine Züge, und ihren Ausdruck, wie durch höheres Schauen, erkannt. Der Himmel bezeichnet Sie mir durch solches Wunder als die Genossin meines Schicksals, weil er Ihnen die Erinnerung an denjenigen offenbart, der immer über mich bestimmen soll. Corinna«, fuhr er fort, sich ihr zu Füßen werfend, »herrsche endlich ganz über mein Leben. Hier ist der Ring, den mein Vater seiner Gattin gab; nie ward dies Symbol der Liebe von edlerer Hand an ein treueres Herz gegeben; ich nehme ihn von meinem Finger, und streife ihn auf den Deinen, und von dieser Stunde an bin ich nicht mehr frei; nicht frei, so lange Du ihn behältst. Ich spreche das heilige Gelöbniß aus, ehe ich weiß, wer Du bist; ich glaube Deiner hohen Seele; sie sagt mir Deine edelsten Geheimnisse, sagt mir Alles, was ich wissen muß. Wenn die Ereignisse Ihres Lebens in Ihrer Hand gelegen haben, müssen sie edel sein, wie Ihr Charakter; kamen sie von der Hand des Schicksals, und Sie wurden das Opfer derselben, so danke ich dem Himmel, daß ich berufen bin, sie vielleicht wieder gut zu machen. Darum also, o meine Corinna, sagen Sie mir Ihr Geheimniß; Sie sind dies dem Manne schuldig, dessen Gelübde Ihrem Vertrauen voranging.«

»Oswald«, erwiderte Corinna, »Ihre tiefe Bewegung entsteht aus einem Irrthum, den ich zerstören muß, ehe ich den Ring annehme. Sie glauben, daß ich die Züge Ihres Vaters vermöge eines Schauens mit dem Herzen errieth; darauf muß ich Ihnen bekennen, daß ich ihn mehrere Mal gesehen habe –« »Sie! meinen Vater gesehen!« rief Lord Nelvil, »und wie? Und wo? Ist es denn möglich? O mein Gott, wer sind Sie denn?« – »Hier ist Ihr Ring«, sagte Corinna mit erstickter Stimme, »jetzt schon muß ich ihn zurückgeben.« – »Nein«, entgegnete Oswald nach einigem Stillschweigen, »ich schwöre es, nie werde ich der Gatte einer Andern sein, bis Sie mir diesen Ring wiedersenden. Aber verzeihen Sie nur, daß ich die Verwirrung, die Sie in meiner Seele aufregen, nicht bemeistern kann; unklare Vorstellungen drängen sich mir auf – ach, diese Unruhe thut so weh!« – »Ich sehe es«, erwiderte Corinna, »und werde sie abkürzen; ich fühle es – Ihre Stimme ist nicht mehr dieselbe, Ihre Worte sind verändert. Wenn Sie meine Geschichte gelesen haben werden, wenn das furchtbare Abschiedswort ... –« »Abschied!« rief Lord Nelvil; »nein, Geliebte, auf dem Todbette nehme ich Abschied von Dir; fürchte nicht, daß es früher geschehe.« – Corinna ging hinaus, und einige Minuten später trat Theresina ins Zimmer, um Lord Nelvil von Seiten ihrer Herrin die folgenden Blätter zu überreichen.


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