Frau von Staël
Corinna oder Italien
Frau von Staël

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Siebentes Buch.

Die italienische Literatur.

Erstes Kapitel.

Lord Nelvil wünschte sehr, daß Herr Edgermond sich an Corinnens Unterhaltung, die selbst ihre improvisirten Verse aufwog, erfreuen möge. Am folgenden Tage versammelte sich die gleiche Gesellschaft bei ihr; und um sie zum Sprechen zu veranlassen, leitete er das Gespräch auf die italienische Literatur, und forderte ihren warmen Widerspruch durch die Behauptung heraus, daß England eine viel größere Anzahl wahrer Dichter, und zwar an Kraft und Gefühl überlegener Dichter, besitze, als Italien sich deren rühmen könne.

»Einestheils«, erwiderte Corinna, »kennen die meisten Ausländer nur unsere Dichter ersten Ranges: Dante, Petrarca, Ariost, Guarini, Tasso und Metastasio; während wir doch noch mehrere Andere, wie: Chiabrera, Guidi, Filicaja, Parini etc. besitzen, um Sannazar, Polician und Andere gar nicht zu zählen, die recht geistvoll in lateinischer Sprache geschrieben haben; und Alle vereinigen in ihren Versen Wohlklang mit großem Farbenreichthum. Alle wissen mit mehr oder weniger Talent die Wunder der Kunst und Natur in ihren Wortgemälden darzustellen. Gewiß, diese tiefe Schwermuth, diese Kenntniß des Menschenherzens, welche Eure Dichter auszeichnet, findet sich bei den unseren nicht, aber gebühren derartige Vorzüge nicht eigentlich auch mehr dem philosophischen Schriftsteller, als dem Dichter? Der volltönende Gesang des Italienischen eignet sich mehr zur Verherrlichung äußerer Gegenstände, als zum tiefen Gedankenausdruck. Unsere Sprache wird immer besser Empörung und Begeisterung schildern, als edle Trauer, weil dies sinnigere Gefühl, das gleichsam die zum Nachdenken gewordene Empfindung ist, mehr einen metaphysischen Ausdruck erfordert, während zornige Rachelust die Einbildungskraft entzündet und den Schmerz nach Außen wendet. Cesarotti hat die beste, geschmückteste Übersetzung des Ossian gemacht, aber beim Lesen ist's eigentlich doch, als hätten die Worte in sich selbst eine festliche Stimmung, die sich zu den düsteren Vorstellungen, welche sie wachrufen sollen, gar nicht recht schickt. Von unseren süßen Lauten kann man sich berauschen lassen, wie von dem Gemurmel des Wassers, wie von der Pracht der Farben, – was verlangen Sie von der Dichtkunst noch mehr? Weshalb die Nachtigall fragen, was ihr Gesang bedeute? Sie kann es nicht erklären, sondern beginnt einfach auf's Neue: man kann es nicht verstehen und giebt sich doch gern und ganz dem Eindruck hin. Das Versmaß, die wohlklingenden Reime, die flüchtigen, aus zwei kurzen Sylben gebildeten Endungen, welche in der That hinabgleiten, wie ihr Name (Sdruccioli) es ausdrückt, ahmen zuweilen den leichten Rhythmus des Tanzes nach; zuweilen auch erinnern ernstere Laute an Sturmesrauschen und hellen Waffenklang! Kurz, unsere Dichtkunst ist ein Wunder der Einbildungskraft, und man muß in all ihren Gestaltungen nur die schöne Befriedigung der Letzteren suchen.«

»Die Schönheiten und Fehler Ihrer Poesie erklären Sie ohne Zweifel so viel, als es möglich ist«, erwiderte Lord Nelvil, »aber wie wollen Sie es vertheidigen, wenn diese Fehler sich ohne jene Vorzüge in der Prosa finden? Und diese Schaar von Alltäglichkeiten, welche Eure Dichter mit ihren melodischen Gebilden so herauszuschmücken wissen, erscheint in der kühlen Prosa von ermüdender Rührigkeit. Die meisten Eurer prosaischen Schriftsteller haben heute eine so deklamatorische, so weitschweifige, so in Superlativen überfließende Sprache, daß man schließen möchte, sie schrieben Alle auf Kommando, mit zugetheilten Phrasen, nach allgemeinem Uebereinkommen; sie scheinen gar nicht zu ahnen, daß »Schreiben« seinen Charakter und seine Gedanken aussprechen heißt. Der literarische Styl ist für sie künstliches Gewebe, erzählte Mosaik, kurz, etwas ihrer Seele Fremdes, das mit der Feder, wie eine mechanische Arbeit mit den Fingern, gemacht wird. Sie besitzen im höchsten Grade das Geheimniß, einen Gedanken auszunützen, paradiren zu lassen, ihn aufzubauschen, oder ein Gefühl moussiren zu lassen, wenn man sich so ausdrücken darf; und dies in einem Grade, daß man versucht wäre, diesen Schriftstellern zu sagen, was jene Afrikanerin eine französische Dame fragte, die unter einer schleppenden Robe den größesten Reifrock trug: »Madame, und alles dieses sind Sie selbst?« Und wirklich, wo ist in solchem Wortgepränge, das vor einem einzigen wahren Ausdruck wie eitler Schwindel zerstieben müßte, der eigentliche Kern?«

»Sie vergessen«, unterbrach Corinna lebhaft, »vor Allen den Macchiavelli und Boccaz; dann Gravina, Filangieri; ferner aus unseren Tagen: Cesarotti, Verri, Bettinelli, und noch so viele Andere, die beim Schreiben auch gedacht haben.Anmerkung der Autorin: Cesarotti, (Alessandro) Berri, Bettinelli sind drei jetzt lebende Schriftsteller, die auf die italienische Prosa sehr günstig eingewirkt haben. Aber ich stimme mit Ihnen überein, daß man in Italien während der letzten Jahrhunderte, und seit unglückliche Verhältnisse es seiner Unabhängigkeit beraubten, alles Streben nach Wahrheit verloren hat, zuweilen selbst nicht einmal die Möglichkeit begreift, sie auszusprechen. Daraus ist denn die Gewohnheit entstanden, sich im Wortschwall zu gefallen, und an aufklärendes Denken sich nicht heranzuwagen. Da man gewiß war, durch seine Schriften keinerlei Einfluß auf die Dinge zu erlangen, schrieb man nur noch, um seinen Geist zu zeigen, was das sicherste Mittel ist, auch den bald einzubüßen; denn die meisten und reichsten Gedanken stießen dem zu, der seine Geistesthätigkeit auf edle, nutzbringende Zwecke richtet. Wenn die Prosaiker nach keiner Richtung hin auf das Glück einer Nation einzuwirken vermögen, wenn man nur um zu glänzen schreibt, kurz, wenn die Bahn schon das Ziel ist, dann dreht und wendet man sich tausendfach hin und her, und kommt doch nicht vorwärts. Es ist wahr, die Italiener fürchten die neuen Ideen, doch nicht aus literarischer Knechtschaft, sondern aus Faulheit. Charakter, Heiterkeit und Einbildungskraft sind bei ihnen höchst eigenartig geblieben, während ihre allgemeinen Begriffe, da sie sich nicht mehr die Mühe des Nachdenkens geben, höchst alltägliche sind; selbst ihre im Sprechen so treffende Beredsamkeit hat, geschrieben, nichts Natürliches; es ist, als ob sie sich während der Arbeit abkühlten. Ueberdies ist die Prosa den Völkern des Südens unbequem, sie schildern ihre wahren Gefühle nur in Versen. – Anders ist es in der französischen Literatur«, fuhr Corinna, jetzt zu Graf d'Erfeuil gewendet fort, »Eure Prosaiker sind meist viel beredtsamer, und auch poetischer, als Eure Dichter.« – »Es ist wahr«, entgegnete Graf d'Erfeuil, »wir haben in dieser Gattung die wahrhaft klassischen Vorbilder geliefert: Bossuet, la Bruyère, Montesquieu, Buffon, sie Alle können nicht übertroffen werden; dies gilt besonders von den beiden Ersten, welche dem nicht genug zu preisenden Jahrhundert Ludwig des Vierzehnten angehören, dieser großen Zeit, deren vollendete Muster man so viel als möglich nachahmen sollte; ein Rath, den die Ausländer, so gut als wir, zu befolgen suchen müssen!« »Ich kann doch schwerlich glauben«, antwortete Corinna, »daß es für die ganze Welt wünschenswerth sei, alle nationale Färbung, alle Originalität des Gefühls und des Geistes aufzugeben; und ich wage Ihnen zu prophezeien, Herr Graf, daß diese literarische Orthodoxie, wenn ich mich so ausdrücken darf, diese sich allen Neuerungen widersetzende Selbstzufriedenheit Ihre eigene Literatur auf die Länge sehr unfruchtbar machen wird. Das Genie ist wesentlich schöpferisch, und trägt stets den individuellen Charakter dessen, dem es angehört. Die Natur, welche nicht einmal wollte, daß zwei Blätter sich gleichen, hat den Geistesformen noch mannigfaltigere Verschiedenheit verliehen; und die Nachahmung ist eine Art von Tod, denn sie beraubt den Menschen seiner natürlichen Wesenheit.«.

»Möchten Sie nicht gar, o meine schöne Gegnerin, daß wir die altdeutsche Barbarei, die Nachtgedanken des Engländers Young, die Concetti der Italiener und Spanier bei uns aufnähmen?« fragte Graf d'Erfeuil spöttisch; »was würde, nach solcher Vermischung, aus dem Geschmack und der Eleganz des französischen Styles werden?« – Fürst Castel-Forte, der so lange geschwiegen, vermittelte jetzt: »Mich dünkt, daß wir Alle uns gegenseitig brauchen, und einander ergänzen sollten. Die Literatur eines jeden Landes zeigt denen, welche in sie einzudringen vermögen, ganz neue Gebiete des Denkens. Karl der Fünfte hat es schon gesagt: »Ein Mann, der vier Sprachen versteht, steht für vier Männer!« Wenn dieser große Politiker das mit Bezug auf die Geschäfte sagen konnte, – wie viel mehr gilt es für die Gelehrsamkeit! Die Ausländer verstehen Alle das Französische; so ist also ihr Gesichtskreis viel weitreichender, als der der Franzosen, welche keine fremden Sprachen wissen. Warum geben sie sich nicht häufiger die Mühe, sie zu lernen? Sie würden sich damit ihre ausgezeichneten Eigenschaften nur fester bewahren, und dann vielleicht auch eher entdecken, was ihnen zuweilen mangelt.«

Zweites Kapitel.

»Sie werden mir wenigstens zugestehn«, nahm Graf d'Erfeuil wieder das Wort, »daß wir in einer Beziehung von Niemand mehr zu lernen haben, und diese ist das Theater. Unsere Bühne ist entschieden die erste Europa's, denn ich denke nicht, daß die Engländer sich einfallen lassen, uns Shakespeare entgegenzuhalten.« – »Ich bitte um Verzeihung«, unterbrach Herr Edgermond, »sie lassen sich's einfallen.« – Und nach diesen Worten verfiel er wieder in Schweigen.– »Dann freilich habe ich nichts weiter zu sagen«, fuhr Graf d'Erfeuil mit einem Lächeln anmuthiger Geringschätzung fort, »es mag ein Jeder denken, was er will; ich aber glaube ohne Anmaßung bestimmt behaupten zu dürfen, wir seien in der dramatischen Kunst die Ersten. Und was nun die Italiener anbetrifft, die – wenn es mir erlaubt ist, aufrichtig zu sein – die haben von dramatischem Verständnis; auch noch nicht eine Ahnung. Die Musik ist ihnen Alles, das Stück nichts. Wenn der zweite Akt einer Oper bessere Musik enthält, als der erste, so fangen sie eben mit dem zweiten an; und wollen sie die beiden ersten Akte zweier verschiedener Stücke hören, nun, so spielen sie auch diese an demselben Abend, und legen dann wohl einen Akt aus irgend einer alten gewöhnlich die schönste Moral von der Welt enthaltenden Komödie dazwischen, einer Moral freilich, die aus lauter Weisheitssprüchen zusammengebraut ist, und welcher unsere Vorfahren schon, als zu veraltet, den Laufpaß gaben. Eure berühmten Musiker machen mit Euren Dichtern, was sie wollen. Der Eine erklärt, er könne nicht singen, wenn er in seiner Arie nicht das Wort felicità, habe; der Tenor verlangt das tomba; der dritte Sänger kann nur auf dem Worte catene Rouladen machen, und der arme Poet mag sehen, wie er diese verschiedenen Ansprüche mit der dramatischen Situation in Einklang bringt. Das ist noch nicht Alles; es giebt Virtuosen, welche nicht so schlechtweg auf ebener Erde erscheinen wollen, sie müssen sich zuerst etwa in einer Wolke ahnen lassen, oder von der Höhe einer Palastestreppe hinabsteigen, um ihrem Auftreten mehr Wirkung zu geben. In welcher rührenden oder heftigen Scene er auch sein Glanzstück abgesungen habe, der Sänger grüßt, und dankt für erhaltenen Beifall. Neulich in der Semiramis trat der Geist des Ninus, als er seine Arie beendigt hatte, vor, und machte in seinem Schattencostume dem Publikum eine große Reverenz; was natürlich das Schauerliche seiner Erscheinung nicht eben steigerte.

Man ist in Italien gewohnt, das Theater als einen großen Versammlungsort zu betrachten, wo man auf nichts als den Gesang und das Ballet hört. Mit Grund sage ich: man hört das Ballet, denn erst, wenn es beginnen soll, gebietet das Parterre Schweigen; und nun giebt es ein Meisterstück von schlechtem Geschmack. Die Grotesktänze ausgenommen, welche wahre Carikaturen des Tanzes sind, wüßte ich nicht, was an diesen Ballets ergötzen könnte; es wäre denn ihre Lächerlichkeit. Ich habe Dschingiskhan gesehen; Dschingiskhan als Ballethelden ganz mit Hermelin bedeckt, ganz in schöne Gefühle gehüllt; er tritt seine Krone dem Kinde des von ihm besiegten Königs ab, und hebt es dann auf seinem Fuße hoch in die Luft: die neueste Manier, einen Monarchen auf den Thron zu setzen. Auch der Aufopferung des Curtius wohnte ich bei, Ballet in drei Akten, mit allen möglichen Ergötzlichkeiten. Curtius, als arkadischer Schäfer gekleidet, tanzt erst noch lange mit seiner Geliebten, steigt dann auf ein lebendiges Pferd und stürzt sich mit demselben in einen feurigen Abgrund aus gelbem Atlas und Goldpapier, der eher das Ansehen eines Tafelaufsatzes als eines Abgrundes hatte. Kurz, ich habe einen ganzen Kursus römischer Geschichte von Romulus bis Cäsar, in Balletform, durchgemacht.«

»Alles, was Sie sagen, ist wahr«, erwiderte Fürst Castel-Forte sanft, »doch haben Sie nur von der Musik und dem Tanze gesprochen, und nirgend, dachte ich, versteht man unter diesen die dramatische Kunst.« – »O, es geht noch viel ärger zu«, unterbrach Graf d'Erfeuil, »wenn sie Tragödien darstellen, oder auch nur Schauspiele, die nicht etwa Schauspiele mit »lustigem Ende« genannt werden; man häuft in den fünf Akten mehr Schrecklichkeiten auf, als die Einbildungskraft erfinden kann. In einem der Stücke dieser Gattung tödtet der Liebhaber den Bruder der Geliebten im zweiten Akt; im dritten schießt er der Schönen selber eine Kugel vor den Kopf; im vierten giebt es ihr Leichenbegängniß; den nun folgenden Zwischenakt benützt der Schauspieler, welcher den Liebhaber darstellt, um vor die Lampen zu treten und dem Publikum mit der größesten Seelenruhe die, auf morgen zu hoffenden Harlekinaden anzukündigen, worauf er dann wieder im fünften Akt erscheint und sich durch einen Pistolenschuß umbringt. Eure tragischen Schauspieler sind mit der Frostigkeit und Riesenhaftigkeit der Stücke in voller Uebereinstimmung, denn sie begehen alle diese entsetzlichen Thaten mit der behäbigsten Gelassenheit. Macht einer von ihnen ein paar Bewegungen, so heißt es gleich, sie erinnerten an das Gebahren eines Priesters, und wirklich, man findet hier mehr Handlung auf der Kanzel, als auf der Bühne. Es ist ein wahres Glück, daß diese Leutchen in ihrem Pathos so friedlich sind, denn da weder sie, noch die Situation einige Großartigkeit besitzen, würden sie nur immer lächerlicher werden, je mehr Lärm sie machten. Und wäre diese Lächerlichkeit noch drollig! Aber sie ist nur langweilig. Es giebt in Italien so wenig ein Lustspiel, als eine Tragödie, und auch in diesem Wettlauf sind wir Franzosen die Ersten. Die einzige, den Italienern wirklich ureigne Gattung sind die Harlekinaden. Ein spitzbübischer, gefräßiger, memmenhafter Bediente; ein geprellter, geiziger oder verliebter Vormund, das sind die Träger des Stücks. Sie werden zugeben, daß es nicht vieler Anstrengungen für solche Erfindung bedarf, und daß der Tartüffe oder der Misanthrop etwas mehr Genie voraussetzen lassen.«

Den anwesenden Italienern mißfiel dieser Angriff des Grafen d'Erfeuil sehr; aber sie mußten doch darüber lachen. Der Graf liebte es, mehr Witz als Güte in der Unterhaltung zu zeigen. Natürliches Wohlwollen beeinflußte seine Handlungen, eine große Eigenliebe aber seine Worte. Fürst Castel-Forte und dessen Landsleute wünschten ungeduldig den Grafen widerlegt zu hören, doch da sie ihre Sache am besten durch Corinna vertheidigt glaubten, und das Vergnügen, im Gespräch zu glänzen, sie gar nicht reizte, baten sie Corinna, für sie zu antworten, und begnügten sich mit dem Anführen so bekannter Namen, wie Maffei, Metastasio, Goldoni, Alfieri, Monti. Corinna räumte zuerst ein, daß die Italiener kein Theater hätten; aber sie suchte zu beweisen, daß Verhältnisse und nicht Mangel an Talent die Ursache davon seien. Das Schauspiel, das seinen Stoff aus der Beobachtung der Sitten nimmt, kann nur in einem Lande bestehen, wo man täglich im Mittelpunkt einer glänzenden und zahlreichen Gesellschaft lebt: in Italien giebt es nur heftige Leidenschaften oder trägen Genuß; und diese großen Leidenschaften erzeugen meist Verbrechen und Laster von so greller Farbe, daß sie alle Charakterabstufungen auslöschen. Die, so zu sagen, ideale Komödie aber, die von der Einbildungskraft entlehnt und allen Zeiten, wie allen Völkern genügt, diese ist in Italien entstanden. Die Figuren des Harlekin, Brighella, Pantalon etc. finden sich in all diesen Stücken und in demselben Charakter wieder. Dabei haben sie immer Masken, nicht Gesichter; das heißt nämlich: ihre Physiognomie ist die einer gewissen Gattung von Menschen, nicht die einzelner Individuen. Den neueren Verfassern von Harlekin-Spielen gebührt, da sie alle Rollen, wie die Figuren eines Schachspiels, bereits gegeben fanden, nicht das Verdienst der Erfindung; aber Italien muß man es allerdings zusprechen, und diese fantastischen Personen, die von einem Ende Europa's bis zum andern alle Kinder und die Erwachsenen ergötzen, deren Fantasie sie noch zu Kindern macht, müssen als eine Schöpfung der Italiener betrachtet werden, die ihnen sicherlich ein Recht auf den Anspruch giebt, eine nationale Komödie zu besitzen.

»Die Beobachtung des menschlichen Herzens ist für die Literatur eine unerschöpfliche Quelle; doch die Nationen, welche sich mehr der Poesie als dem Nachdenken zuneigen, geben sich auch lieber dem Rausch der Freude als philosophischem Spotte hin. In dem auf Menschenkenntniß gegründeten Scherz liegt etwas Betrübendes: wirklich harmlose Heiterkeit wendet sich immer nur an die Einbildungskraft. Auch ist damit nicht gesagt, daß die Italiener Menschen, mit denen sie zu thun haben, nicht klug zu ergründen wüßten, nicht schlauer als irgend Jemand die verborgensten Gedanken zu entdecken verständen; doch dieses Talent gestaltet sich bei ihnen zur Lebensklugheit, und es ist nicht ihre Gewohnheit, davon einen literarischen Gebrauch zu machen. Vielleicht sogar würden sie ihre Entdeckungen nicht gern allgemein werden lassen, nicht gern ihre scharfsichtigen Wahrnehmungen veröffentlichen. Es liegt etwas Kluges und Verschlagenes in ihrem Charakter, das ihnen vielleicht anrathet, nicht auf der Bühne preis zu geben, was zur geschickten Leitung ihrer privaten Angelegenheiten dienen, – nicht in den Spielen des Witzes zu enthüllen, was in den Verhältnissen des wirklichen Lebens ihnen nützlich sein kann.

»Macchiavel indessen hat ohne Rückhalt uns alle Geheimnisse einer verbrecherischen Politik offenbart, und man sieht an ihm, welcher schrecklichen Kenntniß des Menschenherzens die Italiener fähig sind. Doch gehört natürlich solche Tiefe nicht in das Fach der Komödie, und allein der Müßiggang der eigentlichen Gesellschaft liefert die Gestalten für die komische Bühne. Goldoni z.B., der in Venedig, also in derjenigen Stadt Italiens lebte, wo noch das meiste gesellige Treiben ist, legt in seinen Lustspielen schon viel mehr Feinheit der Beobachtung an den Tag, als sich gemeinhin bei den andern Schriftstellern findet. Dennoch sind seine Dramen einförmig; sie bringen die gleichen Verwickelungen in vielfacher Wiederkehr, weil in den Charakteren der Personen wenig Abwechselung ist. Seine zahlreichen Lustspiele scheinen nach dem Vorbilde der Theaterstücke, wie sie im Allgemeinen sind, gemacht zu sein, nicht nach dem Leben. Der wahre Charakter italienischer Fröhlichkeit ist nicht Spott, ist vielmehr eine scherzende Fantasie, ist nicht Schilderung der Sitten, sondern poetische Uebertreibung; Ariost ergötzt die Italiener, nicht Molière.

»Gozzi, der Nebenbuhler Goldoni's, zeigt in seinen Dichtungen viel mehr Originalität; sie gleichen weniger dem regelrechten Schauspiel. Freimüthig-entschlossen, ohne jeden Rückhalt, hat er sich dem italienischen Geiste hingegeben, hat uns Feenmährchen dargestellt, und Possen und Harlekinaden in die Wunder eines Gedichts gemischt. Er ahmt durchaus nicht die Natur nach, läßt sich in den Eingebungen der Heiterkeit, wie in den Fantastereien der Feenwelt gehen, und führt den Geist auf alle Art über die Grenzen des in der wirklichen Welt Geschehenden und Ueblichen hinaus. Er hatte seiner Zeit einen schwindelerregenden Erfolg, und vielleicht sagt unter allen Lustspieldichtern seine Weise der italienischen Sinnesart am meisten zu. Um jedoch mit Gewißheit zu erfahren, was Lustspiel und Tragödie in Italien sein könnten, müßte es irgendwo hier eine normale Bühne und entsprechende Schauspieler geben. Da alle kleinen Städte ein Theater haben wollen, werden die wenigen Mittel, die noch zusammenzubringen wären, vollends zersplittert und gehen damit verloren. Die im Allgemeinen der Freiheit und dem Glück so günstige Theilung der Staaten ist Italien schädlich. Um den Vorurtheilen, die es verzehren, entgegenzuarbeiten, bedürfte es eines Mittelpunktes der Aufklärung und der Macht. Die Autorität der Landesverwaltung unterdrückt anderswo oft den persönlichen Aufschwung. In Italien aber wäre diese Autorität eine Wohlthat, wenn sie gegen die Unwissenheit der gesonderten Staaten und der vereinzelten Menschen ankämpfte, wenn sie mit nacheiferndem Streben über die durch das Klima bedingte Schlaffheit siegte, kurz, wenn sie dieser ganzen Nation, die sich jetzt mit einem Traum begnügt, ein Leben gäbe.«

Verschiedene solche und noch andere Gedanken wurden von Corinna geistreich entwickelt. Ebenso gut verstand sie sich auf die flüchtige Kunst der leichten, nie stehen bleibenden Unterhaltung, und auf jenes herzliche Gefallen-Wollen, das den Andern seinerseits zur Geltung zu bringen strebt; wenn schon sie sich im Gespräche oft jener Richtung ihres Talentes hingab, welche ihr Dichten aus dem Stegreife so berühmt machte. Verschiedene Male ersuchte sie den Fürsten Castel-Forte, sie mit seiner eigenen Meinung über den zu erörternden Gegenstand zu unterstützen; doch die Hörer lauschten ihrer schönen Rede zu gern, um es dulden zu wollen, daß man sie unterbreche.

Herr Edgermond besonders wurde nicht müde, Corinna zu sehen, zu hören; er wagte es kaum, ihr die Bewunderung, die sie ihm abnöthigte, auszusprechen; nur leise sagte er Einiges zu ihrem Lobe, und hoffte, es werde ihr Ohr erreichen, und ihm so den direkt ausgesprochenen Beifall ersparen. Trotz dieser Schüchternheit empfand er lebhaftes Verlangen, zu wissen, wie sie über das Trauerspiel denke, und er redete sie endlich darauf an.

»Madame«, sagte er, »vor Allem fehlt der italienischen Literatur wohl die Tragödie; mir scheint das Kind vom Manne weniger entfernt, als das italienische Trauerspiel von dem unseren; denn die Kinder hegen in ihrer Beweglichkeit, wenn auch nur flüchtige, doch wahre Gefühle, während der Ernst Eurer Tragödie etwas Gespreiztes, Uebertriebenes hat, das mir jede höhere Stimmung verdirbt. Finden Sie nicht, daß ich darin Recht habe, Lord Nelvil?« fuhr Herr Edgermond, gegen diesen gewendet, fort, und erstaunt, wie er über sich selber war, vor so vielen Leuten gesprochen zu haben, bat er nun Jenen, ihn zu unterstützen.

»Ich denke ganz wie Sie«, antwortete Oswald; »Metastasio, den man als den Dichter der Liebe preist, schildert diese Leidenschaft in allen Ländern, in jeder Situation mit den gleichen Farben. Wir müssen zwar seine Arien beifällig aufnehmen, die bald wegen ihrer Anmuth und ihres Wohlklanges, bald wegen großer lyrischer Schönheiten die höchste Bewunderung verdienen. Uns jedoch, die wir Shakespeare besitzen, den Dichter, welcher am besten der Menschen Charakter und Leidenschaften ergründete, uns ist es unmöglich, diese beiden Liebespaare auch nur erträglich zu finden, die sich in alle Stücke des Metastasio theilen, bald Achilles und Tircis, bald Brutus und Corilas heißen, und welche alle in einer Manier Liebesqualen singen, die uns kaum die Oberfläche der Seele streift, weil sie das stürmische Gefühl, welches das Menschenherz so emporfluthen läßt, mit schaaler Abgeschmacktheit schildert. Ein paar Bemerkungen, die ich mir über Alfieri's Leistungen erlaube, mache ich mit tiefer Ehrfurcht vor seinem Charakter. Ihr Ziel ist so edel, die Gefühle, welche der Verfasser ausdrückt, sind mit seiner persönlichen Haltung so sehr im Einklänge, daß seine Tragödien auch dann immer noch, gleich schönen Handlungen, gelobt werden müssen, wenn sie als literarische Erzeugnisse in mancher Hinsicht doch einer Kritik zu unterwerfen sind. Einige seiner Trauerspiele sind, dünkt mich, durch allzugroßen Kraftaufwand ebenso einförmig, als die des Metastasio durch Süßlichkeit. Es ist in Alfieri's Stücken ein solcher Verbrauch von Kraft und Großartigkeit, oder vielmehr eine solche Uebertreibung von Gewaltthat und Verbrechen, daß es unmöglich wird, noch den wahren menschlichen Charakter darin zu erkennen. Niemals sind die Menschen im Leben weder so boshaft, noch so edel, als er sie zeichnet. Die meisten seiner Scenen scheinen eigens das Laster und die Tugend im Gegensatz zeigen zu sollen, doch sind diese Widersprüche nicht mit den nothwendigen Abstufungen dargestellt. Wenn die Tyrannen in der Wirklichkeit ertrügen, was auf der Bühne die Unterdrückten ihnen ins Gesicht sagen, wäre man beinahe versucht, sie zu bemitleiden. »Octavia« ist eines der Trauerspiele, wo dieser Mangel an Wahrscheinlichkeit am auffallendsten ist. Seneca predigt darin unaufhörlich dem Nero, als ob dieser der geduldigste, und er, Seneca, der kühnste aller Menschen wäre. In der Tragödie geruht der Weltbeherrscher, sich zum Vergnügen der Zuschauer insultiren zu lassen, und mindestens einmal in jeder Scene wüthend aufzufahren, als ob es nicht von ihm abhinge, der Sache mit einem Wort ein Ende zu machen. Freilich geben diese fortwährenden Dialoge Seneca zu sehr schönen Antworten Gelegenheit, und man möchte seine edlen Gedanken in einer öffentlichen Rede, oder sonst wo, niedergelegt sehen; aber giebt man in dieser Weise eine Vorstellung von der Tyrannei? Das heißt nicht, sie mit abschreckenden Farben malen, das ist nur Wortfechterei. Wenn dagegen Shakespeare den Nero geschildert hätte, umgeben von zitternden Sklaven, welche kaum auf die geringste Frage zu antworten wagen, während er selber seine Aufregung zu verbergen und äußerlich gelassen zu scheinen sucht, und Seneca neben ihm an der Vertheidigungsrede von Agrippinens Ermordung arbeitet – wäre dann das Entsetzen nicht tausendmal größer gewesen? Und würde des Italieners noch so glänzender Wort- und Gedankenreichthum so tief-beredte Eindrücke auf des Zuschauers Seele hervorbringen, als der Engländer durch das Schweigen der Rhetorik und durch die Wahrheit seines Bildes sicherlich vermocht hätte?«

Oswald hätte noch lange so fortfahren können, ohne von Corinna unterbrochen zu werden; dem Ton seiner Stimme, der edlen Eleganz seiner Sprache lauschte sie mit nie ermüdendem Wohlgefallen; und ihre Blicke wendeten sich, selbst wenn er zu sprechen aufgehört, nur ungern von ihm ab. Langsam richtete sie dieselben jetzt auf die übrige Gesellschaft, die mit Ungeduld ihre Ansicht über das italienische Trauerspiel zu hören verlangte, und dann sich doch wieder zu Lord Nelvil zurückwendend, sagte sie: »Mylord, ich bin fast in Allem Ihrer Meinung; also antworte ich Ihnen nicht, um zu widerlegen, sondern um Ihren, nur vielleicht etwas zu allgemein gehaltenen Beobachtungen einige Ausnahmen hinzuzufügen. Es ist wahr, Metastasio ist viel mehr ein lyrischer, als dramatischer Dichter, und er schildert die Liebe etwa wie eine das Leben verschönernde Kunst, nicht als das innerste, urhebende Geheimniß unserer Schmerzen und unseres Glückes. Obwohl grade unsere Poesie sich vorzugsweise dem Preise der Liebe gewidmet hat, wage ich für's Allgemeine doch zu behaupten, daß wir alle anderen Leidenschaften mit mehr Tiefe und Empfindung auszudrücken vermögen. Durch vieles Schreiben von Liebespoesien hat man sich in diesem Genre bei uns eine herkömmliche Sprache geschaffen, und nicht das Gefühlte, sondern das Gelesene inspirirt unsere Dichter. Die Liebe, wie sie in Italien zur wirklichen Erscheinung kommt, gleicht durchaus der Liebe nicht, die unsere Poeten besingen. Ich weiß nur einen Roman, die »Fiammetta« des Boccaz, nach welchem man sich einen Begriff von dieser, hier mit durchaus nationalen Farben geschilderten Leidenschaft machen könnte. Unsere Dichter verfeinern und übertreiben das Gefühl, während doch der wahre Charakter der italienischen Natur ein rasches, aber tiefes Erfassen ist, das viel eher durch schweigendes, leidenschaftliches Handeln, als durch sinnige Worte zum Ausdruck kommt. Im Ganzen giebt unsere Literatur wenig von unserem Charakter und unseren Sitten wieder. Wir sind ein viel zu bescheidenes, fast möchte ich sagen, demüthiges Volk, als daß wir es wagten, ein völlig nationales, unserer Geschichte entnommenes, oder wenigstens mit den uns eigensten Gefühlen durchwebtes Trauerspiel besitzen zu wollen.Anmerkung der Autorin: Giovanni Pindemonte hat ein Theater herausgegeben, dessen Gegenstände alle aus der italienischen Geschichte entnommen sind. Ein höchst verdienstliches, sehr zu lobendes Unternehmen. Der Name Pindemonte ist auch durch Hippolit Pindemonte berühmt, einen der Dichter Italiens, der am meisten Weichheit und Anmuth hat.

»Alfieri ward durch einen wunderlichen Zufall, so zu sagen, aus dem Alterthum in die Neuzeit verpflanzt; zum Handeln geboren, durfte er nur schreiben. Sein Styl, wie seine Tragödien haben von dieser Einschränkung zu leiden. Er wollte auf dem Wege der schönen Literatur ein politisches Ziel erreichen, und dieses Ziel war sicherlich das edelste; doch gleichviel: wo ein solches vorhanden ist, entarten die Werke der Einbildungskraft gar zu leicht. Alfieri verlor endlich die Geduld, unter einem Volke zu leben, wo man zwar wohl etliche erfahrene Gelehrte und ein paar aufgeklärte Männer antreffen kann, dessen Literaten und öffentliche Lehrer aber der Mehrzahl nach keine ernsten Ziele verfolgen, sondern einzig an Novellen, Mährchen oder Madrigalen Gefallen finden, und deshalb wollte er seinen Tragödien ein edles, strengsittliches Gepräge geben. Er hat in denselben die Vertrautenrollen, die Theatereffekte und all dergleichen fortgelassen, um nur ganz und völlig die Wichtigkeit des Dialogs hervorzuheben. Es scheint, als wollte er die Italiener für ihre Lebhaftigkeit und natürliche Einbildungskraft einmal büßen lassen. Aber er ist dennoch sehr bewundert worden, weil er durch Geist und Gesinnung wirklich groß ist, und besonders weil die heutigen Einwohner Roms die den Thaten und Gefühlen der alten Römer gespendeten Lobeserhebungen mit einem Beifall aufnehmen, als ob er sie noch mit beträfe. Sie lieben Kraft und Unabhängigkeit, etwa wie sie die schönen Gemälde ihrer Gallerien lieben: als Kunstfreunde. Doch ist es darum nicht minder wahr, daß Alfieri nicht eigentlich das, was man ein italienisches Theater nennen könnte, geschaffen hat, daß er also nicht Tragödien schuf, in denen ein Italien ganz allein zugehöriges Verdienst zu finden wäre. Selbst die Sitten der Länder und Jahrhunderte, in welche die Handlung seiner Stücke eben fällt, hat er nicht charakteristisch wiedergegeben. Seine »Verschwörung der Pazzi«, »Virginia«, »Philipp der Zweite« sind durch Kraft und Erhabenheit der Ideen bewundernswürdig; aber man sieht darin immer den Abdruck Alfieri's, nicht den der Nationen und Zeiten, welche er in Scene setzt. Obwohl der Geist der französischen Schriftsteller und der Alfieri's nicht die geringste Aehnlichkeit haben, gleichen sie sich doch darin, daß die von beiden behandelten Gegenstände immer ihre, den Verfassern eigenste Farbe tragen.«

Graf d'Erfeuil, als er vom Geist der Franzosen reden hörte, nahm schnell das Wort: »Uns wäre es unmöglich, auf der Bühne die Inkonsequenzen der Griechen, oder die Ungeheuerlichkeiten Shakespeare's zu ertragen; dazu haben wir Franzosen einen zu reinen Geschmack. Unser Theater ist ein Muster von Feinfühligkeit und Eleganz; hierin zeichnet es sich besonders aus, und irgend etwas Fremdes bei uns einführen wollen, hieße uns in Barbarei stürzen.« – »Da wäre es ja ebenso gut«, sagte Corinna lächelnd, »wenn Ihr die große, chinesische Mauer um Euch herumzöget. Es giebt sicherlich in Euren tragischen Dichtern seltene Schönheiten, und es würden sich deren vielleicht noch mehre finden, wenn Ihr zuweilen gestatten wolltet, daß man Euch Anderes noch, als immer nur Franzosen auf die Bühne brächte. Wir Italiener würden an dramatischem Geist viel einbüßen, wenn wir uns an Regeln binden sollten, von denen wir nicht die Ehre der eigenen Erfindung haben, und von deren Zwang wir deshalb leiden würden. Aus der Einbildungskraft, dem Charakter, den Gewohnheiten eines Volkes muß seine Bühne hervorgehen. Die Italiener lieben leidenschaftlich die schönen Künste, Musik, Malerei, selbst die Pantomime, kurz Alles, was die Sinne einnimmt. Wie wäre es ihnen also möglich, sich mit einem herben, wenn auch beredten Dialog als einzige theatralische Unterhaltung zufrieden zu geben? Umsonst versuchte Alfieri, mit Hülfe all seines Genies, sie darauf zurückzuführen; er selbst hat gefühlt, daß sein System zu strenge war.Anmerkung der Autorin: In den nachgelassenen Werken Alfieri's findet sich sehr viel Anziehendes; sein ziemlich sonderbarer dramatischer »Essai« über sein Trauerspiel Abel beweist, daß er selbst die zu große Strenge seiner Schauspiele gefühlt, und eingesehen habe, man müsse auf der Bühne der Fantasie mehr Spielraum lassen.

»Die ›Merope‹ von Maffei, ›Saul‹ von Alfieri, ›Aristodemus‹ von Monti, und besonders die Dichtungen Dante's, wiewohl er keine Tragödien geschrieben, geben eine Vorstellung, was die dramatische Kunst in Italien sein könnte. In der Merope ist große Einfachheit der Handlung, aber eine glänzende, bilderreiche Poesie; und warum sollte man diese Poesie aus den dramatischen Werken verbannen? Unsere gebundene Rede ist so wundervoll, daß es hier mehr, als irgendwo sonst, ein Unrecht wäre, ihren Schönheiten zu entsagen. Alfieri, der, wenn er wollte, in jeder Gattung vortrefflich war, hat in seinem ›Saul‹ von der lyrischen Dichtkunst den herrlichsten Gebrauch gemacht; und hier ließe sich auch selbst die Musik mit Glück verwenden, nicht um sie dem Worte unterzulegen, sondern um Sauls wüthende Leidenschaftsausbrüche durch Davids Harfenspiel zu besänftigen. Wir besitzen eine so köstliche Musik, daß sie, begreiflich genug, die Genüsse des Geistes wohl etwas in den Schatten zu stellen vermag. Aber statt sie von einander trennen zu wollen, müßte man beide zu vereinigen suchen; zwar nicht so, daß man die Helden singen läßt, was alle dramatische Würde zerstört, sondern, wie bei den Alten, durch Einführung der Chöre; oder durch ein rechtzeitiges Eingreifen der Musik, das sich der Situation natürlich anpassen muß, wie dies im Leben ja auch so häufig vorkommt. Statt die Genüsse der Einbildungskraft auf der italienischen Bühne zu verringern, sollte man im Gegentheil sie vermehren und nach allen Richtungen hin vervielfältigen. Der Italiener lebhafte Neigung für Musik und großes Ballet ist ein Beweis von der Macht ihrer Fantasie, von der Nothwendigkeit, vor Allem diese anzuregen; und dies sollte auch bei der Behandlung ernster Gegenstände beobachtet werden, statt daß man, wie Alfieri es gethan, diese noch strenger macht, als sie sind. Die Nation hält die beifällige Aufnahme alles Hohen und sittlich Strengen für ihre Pflicht; doch wendet sie sich gern und bald ihrer angeborenen Neigung wieder zu. Diese aber könnte in der Tragödie befriedigt werden, wenn man sie mit dem Reiz und der Abwechselung verschiedener Dichtweisen, und mit all jener effektvollen Mannigfaltigkeit ausstattete, mit welcher Engländer und Spanier ihr Trauerspiel zu bereichern wissen.

Monti's ›Aristodemus‹ hat etwas von dem furchtbar erschütternden Pathos des Dante, und sicherlich ist dieses Trauerspiel mit Recht eines der bewundertsten. Dante, der in vielen Gattungen so große Meister, besaß auch jenes tragische Genie, das in Italien die meiste Wirkung gemacht hätte, wenn es auf irgend eine Weise der Bühne anzupassen gewesen wäre. Denn dieser Dichter weiß den Augen zu schildern, was in der Seele vorgeht, seine Einbildungskraft zeigt uns den wahren Schmerz, und wir fühlen ihn mit. Wenn Dante Tragödien geschrieben hätte, würden sie das Kind wie den Mann, die Menge wie den vornehmen Geist gefesselt haben. Die dramatische Literatur muß volksthümlich sein; die ganze Nation muß über sie urtheilen können, wie über eine öffentliche Thatsache.«

»Als Dante lebte«, sagte Oswald, »spielten die Italiener in Europa, und bei sich zu Haus, eine große politische Rolle. Vielleicht wäre es Euch jetzt unmöglich, eine Nationalbühne für das Trauerspiel zu erhalten. Damit eine solche bestehen könne, müssen große Ereignisse in Leben und Wirklichkeit die Gefühle entwickelt haben, welche man auf den Brettern darstellen soll. Unter allen Zweigen der Literatur ist keiner so wie die Tragödie von der Gesammtheit des ganzen Volks abhängig; die Zuschauer tragen fast ebenso viel dazu bei als die Autoren. Der dramatische Genius ist zusammengesetzt aus dem öffentlichen Geist, den Sitten, der Geschichte, der Regierungsform, aus Allem endlich, was täglich in das Gedankenreich eindringt, was unser sittliches Wesen ebenso erhält, wie die Luft, die man athmet, den physischen Körper nährt. Die Spanier, zu denen Ihr durch Klima und Religion Beziehungen habt, sind Euch an dramatischer Begabung sehr überlegen. Ihre Schauspiele sind erfüllt von ihrer Geschichte, ihrem Ritterwesen, ihrem Glauben, und deshalb sind sie eigenartig und voller Leben; aber freilich kann man ihre Erfolge auf diesem Gebiete auch bis zu der Epoche ihres historischen Ruhmes zurückleiten. Wie aber ließe sich in Italien jetzt etwas gründen, das zur Zeit seiner Größe nicht dagewesen ist?«

»Es ist unglücklicher Weise möglich, daß Sie Recht haben, Mylord«, erwiderte Corinna; »dennoch hoffe ich von dem natürlichen Schwung des italienischen Geistes, von seinem im Privatleben oft so regen Nacheifer immer noch viel für uns. Was uns aber vor Allem fehlt, sind die tragischen Schauspieler. Gezierte Worte veranlassen nothwendiger Weise auch eine falsche Deklamation. Es giebt ja sonst keine Sprache, in welcher ein großer Schauspieler mehr Talent entwickeln könnte, wie in der unseren; denn ihr melodischer Klang fügt der Wahrheit des Ausdrucks einen neuen Reiz hinzu; sie ist wie fortdauernde Musik, die sich dem Ausdruck der Gefühle beimischt, ohne ihm etwas von seiner Kraft zu nehmen.«

»Am besten werden Sie uns von dem Gesagten überzeugen, wenn Sie es uns durch die That beweisen«, unterbrach Fürst Castel-Forte; »ja, bereiten Sie uns das unbeschreibliche Vergnügen, Sie in einer tragischen Rolle zu sehen. Sie müssen den Ausländern, die Sie dessen würdig halten, den seltenen Genuß gewähren, ein Talent kennen zu lernen, das Sie allein in Italien besitzen, oder vielmehr, da Sie ihm Ihre große Seele aufdrücken: das einzig ist in der ganzen Welt.«

Corinna hegte vielleicht den geheimen Wunsch, vor Lord Nelvil zu spielen, um sich ihm damit im vortheilhaftesten Licht zu zeigen, doch wagte sie nicht, ohne seine Zustimmung einzuwilligen; ihre Blicke fragten ihn. Er verstand sie; und da er noch von der Schüchternheit gerührt war, die sie Tags vorher zu improvisiren hinderte, und auf Edgermonds Beifall nicht verzichten mochte, schloß er sich den Bitten ihrer Freunde an. Jetzt zögerte sie nicht mehr. »Wohlan«, sagte sie, sich gegen den Fürsten wendend; »so werden wir, wenn Sie wollen, den längst von mir gefaßten Plan ausführen, Romeo und Julia in meiner Uebersetzung zu spielen.« – »Romeo und Julia?« rief Herr Edgermond; »also können Sie englisch?« – »Ja«, entgegnete Corinna. – »Und Sie lieben den Shakespeare?« fragte Herr Edgermond weiter. – »Wie einen Freund, der alle Geheimnisse des Schmerzes kennt.« – »Italienisch werden Sie es aufführen?« rief Herr Edgermond, »und ich werde es hören! und auch Sie, theurer Nelvil! O, Sie Glücklicher!« – Doch schnell erröthend, bereute er das unbedachte Wort. Dieses durch Zartgefühl und Güte hervorgerufene Erröthen ist in jedem Alter schön. »Wie glücklich werden wir sein«, verbesserte er mit Verlegenheit, »einem so seltenen Vergnügen beiwohnen zu dürfen.«

Drittes Kapitel.

Alles war in wenigen Tagen eingerichtet; die Rollen vertheilt, und der Abend der Aufführung bestimmt. Diese sollte in dem Palast einer Verwandten des Fürsten Castel-Forte stattfinden, welche zugleich Corinnens Freundin war. Oswald empfand bei dem Herannahen dieses neuen Erfolges eine Mischung von Freude, Vergnügen und Unbehagen. Er genoß ihn schon im Voraus; aber im Voraus war er auch eifersüchtig; nicht etwa auf einen einzelnen Menschen, sondern auf das Publikum, welches Zeuge von der Begabung der Geliebten sein sollte. Er hätte am liebsten nur ganz allein ihren Zauber, ihren Geist gekannt; er hätte gewünscht, daß Corinna, schüchtern und zurückhaltend, wie eine Engländerin, ihr Genie und ihre Redekunst allein für ihn entfaltete. Wie ausgezeichnet ein Mann auch sei, vielleicht erfreut er sich nie ohne ein gewisses Mißbehagen der Ueberlegenheit einer Frau: wenn er sie liebt, ist sein Herz beunruhigt – liebt er sie nicht, ist seine Eigenliebe verletzt. Oswald war neben Corinna mehr berauscht als glücklich, und die Bewunderung, welche sie ihm einflößte, vermehrte seine Liebe, ohne seinen Plänen mehr Festigkeit zu geben. Er schaute zu ihr wie zu einem herrlichen, ihm täglich neu aufgehenden Gestirn empor; aber eben das staunende Entzücken, das sie ihm bereitete, schien ihm die Hoffnung auf ein ruhiges und friedliches Leben auszuschließen. Corinna war die sanfteste, fügsamste der Frauen; das Leben gestaltete sich mit ihr bequem genug, und man konnte sie, abgesehen von ihren glänzenden Eigenschaften, um der alltäglichen willen lieben. Indessen, um es noch einmal zu sagen, sie vereinigte in sich zu viele Talente, sie war nach jeder Richtung hin zu ausgezeichnet. Wie großer Vorzüge Lord Nelvil sich auch rühmen durfte, er glaubte ihr nicht ebenbürtig zu sein, und dieser Gedanke gab ihm Besorgnisse wegen der Dauer ihrer gegenseitigen Zuneigung. Vergeblich machte die Gewalt der Liebe Corinna zu seiner Sklavin; der um diese gefesselte Königin besorgte Herrscher erfreute sich seiner Macht nicht in Frieden.

Einige Stunden vor dem Beginn der Vorstellung geleitete Lord Nelvil Corinna in den Palast der Prinzessin Castel-Forte, wo man die Bühne aufgeschlagen hatte. Aus den Fenstern des Treppenhauses, in welchem sie sich eben jetzt befanden, sahen sie Rom und die Campagna in wundervollem Sonnenschein vor sich ausgebreitet. Oswald hielt Corinna einen Augenblick zurück und sagte: »Sehen Sie dieses köstliche Wetter, es ist für Sie, es ist um Ihre Erfolge zu verklären.« – »Ach, wenn dem so ist«, erwiderte sie, »dann sind Sie es, der mir das Glück bringt, dann danke ich nur Ihnen des Himmels Gunst.« – »Würden diese reinen und sanften Gefühle, welche die Freude an der Natur uns giebt, zu Ihrem Glücke ausreichend sein?« fragte Oswald. »Von dieser weichen Luft, von diesem träumerischen Frieden bis zu jenem geräuschvollen Saale, wo bald Ihr Name in jubelndem Echo widerhallen wird, ist es weit, sehr weit.« – »Oswald«, erwiderte sie, »wird mich denn dieser Beifall, wenn ich ihn erhalte, nicht nur deshalb erfreuen, weil Sie ihn miterleben? Und wenn ich Talent besitze, ist es dann nicht mein Gefühl für Sie, dem ich's verdanke? Poesie, Liebe, Religion, Alles endlich, was mit der Begeisterung zusammenhängt, stimmt auch mit der Natur innig überein. Wenn ich aufschaue in diese klare Himmelsbläue, fühle ich ihren Wiederschein in meinem Herzen, verstehe ich Julia besser, bin ich Romeo's würdiger.« – »Ja, du bist seiner würdig, himmlisches Geschöpf!« rief Lord Nelvil; »ja, sie ist Schwachheit, diese Eifersucht auf deinen Glanz; es ist Schwachheit, dieses Bedürfniß, allein mit dir im Weltall sein zu wollen. Geh nur, empfange die Huldigungen der Welt, geh; aber daß dieser Blick voll Liebe, der göttlicher noch ist als dein Genie, daß er nur auf mich gerichtet sei!« – Sie trennten sich darauf, und Lord Nelvil ging, sich in Erwartung des bevorstehenden Glückes im Saale einen Platz zu suchen.

Romeo und Julia ist ein italienischer Stoff; die Handlung geschieht in Verona; man zeigt dort noch jetzt das Grab der beiden Liebenden. Shakespeare hat dieses Stück mit der zugleich so leidenschaftlichen und so lachenden Einbildungskraft des Südens geschrieben, dieser Einbildungskraft, die im Glücke triumphirt und dennoch so leicht vom Glück zur Verzweiflung, von der Verzweiflung zum Tode übergeht. Alle ihre Eindrücke sind hinreißend schnell, und man fühlt dessenungeachtet, daß diese plötzliche Ergriffenheit, diese rasche Ueberwältigung unabänderlich sein werden. Die Gewalt der Natur, nicht die Oberflächlichkeit des Herzens, zeitigt in einem treibenden Klima die Entwickelung der Leidenschaften. Ein Boden ist darum nicht leicht, weil seine Vegetation sich rasch entfaltet; Shakespeare hat besser als irgend ein Ausländer den italienischen Volkscharakter begriffen. Diese Fruchtbarkeit des Geistes, welche tausend Weisen erfindet, um den Ausdruck ein und desselben Gefühls zu vermannigfaltigen, diese orientalische Redeblüthe, welche sich aller Gleichnisse aus der Natur bedient, um zu schildern, was im Menschenherzen vorgeht, hat Keiner wie er besessen. Es ist nicht, wie im Ossian, durchgehend ein und dieselbe Stimmung, nicht das immer gleiche Tönen, das beständig des Herzens zart empfindendste Saiten anklingen läßt. Dennoch geben die reichen Farben, welche Shakespeare in Romeo und Julia aufträgt, seinem Styl nicht etwa eine störende Gesuchtheit; sie alle sind ja nur die tausendfach schimmernden Brechungen desselben ewigen Lichtstrahls. Ueberquellendes Leben pulsirt in dieser Dichtung, und ein Glanz der Ausdrucksweise schmückt sie, welcher charakteristisch das Land und seine Bewohner zeichnet. Das ins Italienische übersetzte Trauerspiel »Romeo und Julia« ist gewissermaßen nur in seine Muttersprache zurückgekehrt.

Julia erscheint zuerst auf einem Balle im elterlichen Hause, dem Hause der Capulet, zu welchem Romeo Montague sich nur eingeschlichen hat, da jene die Todfeinde seines Geschlechtes sind. Corinna war in ein reizendes, jedoch der Sitte der Zeit entsprechendes Festgewand gekleidet. Edelsteine und Blumen vermischten sich kunstvoll in ihrem Haar. Anfangs überraschte sie, wie eine fremde Erscheinung; dann aber erkannte man ihre Stimme, ihr Gesicht, aber ein von dichterischem Ausdruck verklärtes Angesicht. Einstimmiges Beifallsrufen hallte bei ihrem Auftreten durch den Saal. Gleich ihre ersten Blicke fanden Oswald und verweilten auf ihm. Der Freude Götterfunken, ein süßes, sicheres Lebensgefühl malte sich in ihren Zügen; und wer sie so sah, dem schlug das Herz in Wonne und Furcht, der fühlte, daß so viel Glückseligkeit auf Erden nicht dauern könne. Sollte sich diese Ahnung nur für Julia, sollte sie sich auch für Corinna erfüllen?

Als Romeo sich ihr näherte, um ihr jene schmeichelnden glänzenden Verse über ihre Schönheit und Anmuth zuzuflüstern, billigten die Zuschauer entzückt diesen Ausdruck ihres eigenen Gefühls; und Allen schien seine plötzliche Leidenschaft, seine vom ersten Blick entzündete Liebe wahrscheinlich genug. Oswald gerieth ganz in Verwirrung; ihm war, als müsse sich nun Alles offenbaren, als wolle man Corinna für einen Engel unter den Menschen ausrufen, ihn selber fragen, was er für sie empfinde, sie ihm streitig machen, sie ihm rauben, es schwebte wie eine blendende Wolke an ihm vorüber, sein Bewußtsein schien ihm zu schwinden, er fürchtete noch alle Fassung zu verlieren und zog sich deshalb für einige Augenblicke hinter eine Säule zurück. Corinna suchte ihn ängstlich, während sie diese Worte:

»Too early seen unknown, and known too late!«Anmerkung des Verlages: »Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt!« mit so innerlichstem Gefühl sprach, daß Oswald erbebte, weil es ihm schien, als lege sie eine persönliche Beziehung hinein.

Die Anmuth ihrer Geberden, das Würdige ihrer Haltung, eine Miene, die Alles verrieth, was Worte nicht mehr sagen können, die Geheimnisse des Herzens aufdeckte, welche nie gesprochen werden, und doch das ganze Leben beherrschen, – er ward nicht müde, das Alles zu bewundern. Der Ton, der Blick, die geringsten Bewegungen eines wirklich großen, wirklich begeisterten Schauspielers sind eine fortdauernde Offenbarung des Menschenherzens; das Ideal der Kunst ist stets in diesen Offenbarungen der Natur zu finden. Die Harmonie der Verse, der Reiz der Stellungen verleihen der erdichteten Leidenschaft, was ihr so oft in der Wirklichkeit fehlt, Anmuth und Würde.

Im zweiten Akt erscheint Julia auf dem Altan, in ihrem Garten, um hier mit Romeo zu reden. Von allem Schmuck Corinnens waren nur die Blumen geblieben, und bald müssen auch diese verschwinden. Das halbe Licht auf der Bühne, mit welchem man die nächtliche Stunde anzudeuten sucht, breitete auch über Corinnens Züge weichere, rührendere Schatten. Ihre Stimme klang jetzt noch seelenvoller als während des glänzenden Festes. Ihre zu den Sternen emporweisende Hand schien diese anrufen zu wollen als allein würdige Zeugen so heiligen Zwiegesprächs! Und als sie wiederholt mit süßem Laut den Namen des Geliebten, den Namen Romeo's rief, vernahm Oswald mit Eifersucht den fremden Klang, obwohl er ja wußte, daß sie seiner dabei denke. Er saß dem Altan grade gegenüber, und so durften Corinnens Blicke alle auf ihn sich richten, als sie die folgenden, wundervollen Verse sprach:

»In truth, fair Montague, I am too fond
And therefore thou may'st think my haviour light!
But trust me, gentleman, I'll prove more true,
Than those that have more cunning to be strange. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – therefore pardon me.«

»Gewiß, mein Montague, ich bin zu herzlich.
Du könntest denken, ich sei leichten Sinns.
Doch glaube, Mann, ich werde treuer sein,
Als die, die fremd zu thun, geschickter sind. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Drum vergieb.«

Es lag hierbei in Corinnens Blicken ein so inniges Flehen, so viel Verehrung für den Geliebten, so viel Stolz über ihre Wahl, daß Oswald selbst sich so stolz als glücklich fühlte. Er hob das Haupt empor, das er in Erschütterung gesenkt hatte, und stand da, kühn wie ein Weltenbeherrscher, weil er in einem Herzen herrschte, das ihm alle Schätze des Lebens bot.

Als Corinna die Wirkung ihres Spieles auf Oswald gewahrte, steigerte sich die Erhebung ihrer Seele, mit welcher man allein Wunder vermag, immer mehr, und als beim Nahen des Morgens Julia den Gesang der Lerche, das Zeichen zu Romeo's Aufbruch, zu hören glaubt, hatte ihre Stimme einen fast übernatürlichen Zauber. Sie klang wie die Liebe selbst, und doch webte es darin wie ein heiliges Geheimniß, wie eine Erinnerung an den Himmel und eine Verheißung des Ausruhens in ihm, wie das göttliche Weh einer auf die Erde verbannten Seele, die bald in ihre himmlische Heimat zurückgerufen werden soll. Ach, welch ein wonnevoller Tag war es für Corinna, da sie so in der edelsten Rolle eines großen Trauerspiels vor dem Geliebten ihr eigenes Wesen ausströmen lassen durfte. Wie viele Jahre, wie so manches ganze Leben sind neben solchem Tage ohne Glanz!

Wenn Lord Nelvil selbst den Romeo gespielt hätte, würde Corinnens Beseligung nicht so vollständig gewesen sein. Dann würde sie die Verse auch des größesten Dichters haben zurückweisen mögen, um ganz aus ihrem allereigensten Herzen zu reden; vielleicht selbst hätte dann eine unbesiegliche Schüchternheit ihr Talent beschränkt; aus Furcht, sich sehr zu verrathen, hätte sie ihn nicht voll ansehn können; kurz, eine bis auf solchen Grad getriebene Wahrheit würde die künstlerische Täuschung zerstört haben. Aber süß war es, so wie es war! Den Geliebten da, sich gegenüber zu wissen, während sie jene Erhebung fühlte, die nur die Poesie einflößen kann, während alle Wonne einer heißen Leidenschaft, doch ohne deren Qualen, ohne deren Zerrissenheit, ihr reines Herz erfüllte, während die von ihr dargestellten Gefühle weder ganz persönlich, noch auch ganz von ihr gesondert zu denken waren, und sie nur einfach Lord Nelvil zu sagen schien: »Sieh, wie ich lieben kann!«

Es ist unmöglich, in den Gemüthserregungen des wirklichen Lebens mit sich, mit seiner Haltung zufrieden zu sein; denn abwechselnd reißt entweder die Leidenschaft hin, oder die Schüchternheit hält zurück; bald zu viel Bitterkeit, bald zu viel Hingebung; – während man auf der Bühne vollkommen, und doch ohne Gesuchtheit sein, die Ruhe dem Empfinden schön vereinen kann, kurz, für einen Moment in des Herzens süßestem Traum sich verlieren darf. Und dies war Corinnens reiner Genuß bei der Ausführung einer tragischen Rolle. Mit diesem Vergnügen durfte sie noch das ihres großen Erfolges, des laut gespendeten Beifalls vereinigen; und Alles legte sie mit einem Blick Ihm zu Füßen – Oswald, dessen Huldigung ihr mehr galt, als aller Ruhm der Welt! Ach! Einen Augenblick wenigstens war Corinna glücklich; einen Augenblick kannte sie, um den Preis ihrer Ruhe, jenes Entzücken der Seele, die sie bis dahin vergeblich ersehnt hatte, und die ihr ewig – ewig verloren sein sollte.

Im dritten Akt wird Julia im Stillen Romeo's Gattin. Im vierten Akt entschließt sie sich, als die Eltern sie zwingen wollen, sich einem Andern zu vermählen, aus der Hand eines Mönchs den einschläfernden Trank zu nehmen, welcher ihr den Schein des Todes geben soll. Mit erschütternder Wahrheit schilderte Corinna den Kampf zwischen Furcht und Liebe. Ihr ungleicher Gang, ihre matte Stimme, ihre bald leuchtenden, bald niedergeschlagenen Blicke verriethen die schrecklichen Bilder, welche sie bei dem Gedanken ängsteten, lebend in die Gruft ihrer Ahnen eingeschlossen zu werden; zeigten aber auch die Begeisterung der Leidenschaft, mit der eine so junge Seele über solch begreifliches Entsetzen den Sieg davon trägt. Oswald empfand etwas wie eine unwiderstehliche Neigung, ihr zu Hülfe zu eilen. Einmal richtete sie die Augen mit einer Gluth zum Himmel, die das Bedürfniß nach dem göttlichen Schutz, von dem ein menschliches Wesen sich nie lossagen kann, rührend ausdrückte; ein andermal glaubte Lord Nelvil zu sehen, daß sie die Arme, wie hülfeflehend, ihm entgegenstrecke; er erhob sich in diesem Wahn, und dann, von dem Erstaunen seiner Umgebung zu sich selbst gebracht, setzte er sich wieder, ohne indeß seine mächtige Bewegung verbergen zu können.

Im fünften Akt hebt Romeo seine Julia, die er todt glaubt, von der Bahre und drückt sie an sein Herz. Corinna war weiß gekleidet, ihr schwarzes Haar hing zerstreut um die Schultern, das Haupt neigte sich mit Anmuth und dennoch in rührender und düstrer Todeswahrheit an Romeo's Brust. In Oswald kämpften die entgegengesetztesten Empfindungen. Er konnte es kaum ertragen, Corinna in den Armen eines Andern zu sehn, er schauderte vor dem Bilde der Geliebten, aus dem alles Leben entflohen schien, und er empfand, wie Romeo, jene qualvolle Mischung von Verzweiflung und Liebe, von Tod und Wollust, welche diese Scene zur herzzerreißendsten aller Bühnenwirkungen macht. Als endlich Julia im Sarge erwacht, neben welchem sich der Geliebte soeben den Tod gegeben, und ihre ersten Worte nicht etwa von dem Graus der sie umstarrenden Leichengruft eingegeben sind, sondern sie sich mit dem Ausruf emporrichtet:

»Where is my lord? where is my Romeo?«

»Wo ist mein Gatte? wo ist Romeo?« da antwortete Lord Nelvil nur noch mit heftigen Thränen, und erst, als Herr Edgermond mit ihm den Saal verlassen, gewann er einige Fassung.

Nach beendigter Vorstellung war Corinna durch die Anstrengung ihres leidenschaftlichen Spiels sehr angegriffen. Oswald trat zuerst in ihr Zimmer, fand sie noch in Julia's Gewändern, und, wie diese, halb ohnmächtig in den Armen ihrer Dienerinnen. Im Uebermaß seiner Verwirrung wußte er nicht zu entscheiden, ob dies Wahrheit, oder noch Dichtung sei; und sich Corinna zu Füßen werfend, sagte er auf englisch mit Romeo's Worten: »Augen, blickt Euer Letztes: Arme, nehmt Eure letzte Umarmung!«

»Eyes look your last! arms, take your last embrace!«

Corinna, selbst noch verwirrt, rief entsetzt: »Großer Gott, was sagen Sie? Wollen Sie mich verlassen ? Könnten Sie es?« – »Nein, nein«, unterbrach Oswald, »nein, ich schwöre ...« – Eben jetzt drängte die Menge der Freunde und Bewunderer Corinnens in das Gemach, um sie zu sehen, und die Liebenden konnten sich während des ganzen Abends nicht mehr sprechen; man ließ sie nicht einen Augenblick allein.

Niemals hatte ein Trauerspiel in Italien solche Wirkung hervorgebracht. Die Römer priesen mit Entzücken das Stück, die Uebersetzung, die Schauspielerin. Sie versicherten, dies sei die wahre, den Italienern ziemende Tragödie, die ihre Sitten male, ihr Herz erhebe, ihre Fantasie bereichere, und welche durch einen abwechselnd lyrischen, hochpathetischen und wieder einfachen Styl ihre schöne Sprache zu rechter Geltung bringe. Corinna empfing das reich gespendete Lob mit sanfter, edler Bescheidenheit. Doch ihre Gedanken hingen an Oswalds unterbrochenem Schwur; unsicher suchte ihre besorgte Seele nach der Fortsetzung von diesem »Ich schwöre« – nach diesem einen Wort, das vielleicht das Geheimniß ihrer Zukunft enthielt.


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