Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Schloss

Am Nachmittag des anderen Tages, nachdem Frau Maxa für Leonore und Mäzli einen schönen Spaziergang angeordnet hatte, machte sie sich auf den Weg zum Schloss hinauf. Als sie sich dem hohen Gittertor nahte, wurde es plötzlich aufgemacht und, den Hut in der Hand, stand Herr Trius, jetzt einen tiefen Bückling machend, unter dem Tor.

»Kann ich den Herrn Baron treffen?« fragte Frau Maxa.

Mit einem neuen Bückling führte Herr Trius den Gast den Hügel hinan, lief dann einige Schritte vor, um sie zu melden, und lud mit einem dritten Bückling sie ein, heranzutreten; dann verschwand er. Herr Trius musste Befehl erhalten haben, seine gewohnte Weise etwas zu ändern.

Frau Maxa nahte sich dem alten Föhrenbaum und trat an den Sessel heran. Der Kranke streckte ihr die Hand entgegen.

»Sind Sie wirklich gekommen, Frau Maxa? Hat nicht ein alter Groll gegen den Übeltäter Sie zurückgehalten?«

Frau Maxa drückte die dargebotene Hand: »Es ist eine grosse, herzliche Freude für mich, dass Sie mir Ihr Tor aufgemacht haben, Herr Baron, wie habe ich danach ausgeschaut, ob es aufgehen möchte und ob man in irgend etwas Ihnen hilfreiche Hand bieten dürfte! Von einem alten Groll weiss ich nichts und habe nie davon gewusst. Leid und Schmerz haben wir alle getragen, die dieses Schloss und alle, die dazu gehörten, liebten.«

»Ich bin in die alte Höhle zurückgekehrt, um da zu sterben«, sagte der Baron. »Ich bin ein gebrochener Mann, Sie sehen es. Ich wollte allein bleiben, Vergangenes vergangen sein lassen, nichts weiter mehr; verlassen und vergessen sterben, so war’s recht. Da ist Ihre Kleine bei mir eingedrungen, wie, weiss ich nicht.«

»Ich bitte herzlich um Entschuldigung für die Freiheit des Kindes«, sagte Frau Maxa, »wie es das Eindringen in den Schlossgarten ausführen konnte, ist mir ein Rätsel. Ich wusste auch nichts davon bis gestern abend, als die Kinder beide vom Schloss zurückkehrten. Mein Schrecken war und ist gross, dass Mäzli Sie belästigt hat.«

»Das hat die Kleine nicht getan, sie ist recht der Mutter Kind«, sagte der Baron, »wo es fehlte, wollte sie gleich helfen, und was ihr lieb war, wollte sie mir bringen. Sie brachte mir Leonore. Und was will dieses Kind? Mit flehenden Augen begehrt sie, zu ihrem Onkel zu kommen, sie will bei ihm daheim sein, sie will ihn lieb haben wie einen Vater, sie will zu ihm reisen, wenn noch so weit, was ist da zu tun? Raten Sie, Frau Maxa.«

»Oh, Herr Baron, da ist nur eines zu tun«, erwiderte diese mit überquellender Freude, »der liebe Gott hat selbst das Kind in Ihr Haus geführt, wo kein Mensch ihm hätte den Weg auftun können, wie gross ein solcher Wunsch auch gewesen wäre! Nun gehört das Kind zu Ihnen, Sie nehmen es zu sich, Sie sind sein Vater und lassen sich pflegen und liebhaben von dem Kind. Und welchen Schatz Sie in Ihr Haus aufgenommen haben, das werden Sie bald empfinden. Oh, dann wird wieder ein Hauch der schönen alten Zeit durch Ihre Räume wehen und Sie selbst verjüngen, wenn Sie mit der jungen Leonore hier oben walten werden!«

Der Baron lächelte: »Maxa sah immer alles in idealem Licht. Wie soll denn dieses zarte Kind in eine Wildnis passen, wie dieses Schloss ist! Alles leer, öde, nichts, und niemand als ein Elender und sein alter Wächter. Nein, nein, Sie sehen, dass es unmöglich ist. Das Kind sehnt sich nach einer Heimat. Wollen Sie es bei sich aufnehmen? Da wird es eine solche finden oder hat sie schon gefunden. Es mag dann wissen, wer sein Onkel ist, und soll ihn besuchen.«

Frau Maxa war überrascht von dieser Wendung. Eine kleine Weile schwieg sie. Wie hätte sie sich vor wenigen Tagen noch über die Aussicht gefreut, Leonore bei sich behalten zu dürfen! Jetzt war alles anders geworden.

»Ich habe Leonore lieb wie ein eigenes Kind und hatte keinen grösseren Wunsch, als sie bei mir zu behalten«, sagte sie jetzt; »aber nun denke ich anders: die Kinder gehören zu Ihnen, das Schloss der Väter wird ihre Heimat sein, Leonore soll Sie umgeben mit ihrem lieblichen, wohltuenden Wesen und Ihr Herz erfreuen. Welches Schatzes ich Sie beraubt hätte, werden Sie empfinden, wenn Sie ihn einmal besitzen. Alle die lieben Menschen sind ja nicht mehr da; aber warum es so völlig öde und leer im Schlosse sein sollte, verstehe ich nicht; es muss alles ganz so sein, wie zur Zeit, da Sie es verlassen haben, so wollte es Ihre selige Mutter; denn sie erwartete ihren Ältesten immer zurück, und auch nach ihrem Tode sollte er bei seiner Rückkehr die Heimat ganz unverändert finden. Wo sie gewohnt und alles geordnet hat, da kann auch Leonore wohnen.«

»Will nicht Frau Maxa sich die Räume einmal ansehen, die sie so gut gekannt hat?« fragte der Baron gelassen.

Wie gern wollte sie das tun.

»Darf ich denn überall eintreten? Den Weg weiss ich wohl«, sagte sie.

»Gewiss, überall«, bejahte der Baron.

Mit tiefer Erregung trat Frau Maxa in die grosse Halle ein, wo sie die schönsten Tage der Kindheit in köstlichen Spielen mit der unvergesslichen Leonore, unter der Führung der jungen Barone zugebracht hatte. Hier war alles unverändert: der grosse steinerne Tisch mitten in der Halle, die steinernen Sitze an den Wänden, die Nischen mit den alten Rittern von Wildenstein darin.

Sie ging weiter nach dem Speisesaal — aber wie kahl sah es da aus: alle Ahnenbilder von den Wänden weg, alles das schöne blinkende Zinngeschirr, alle Krüge und Becher vom grossen Eichenschrank weggenommen. Wirklich, hier sah es kahl und leer aus. Frau Maxa schüttelte den Kopf.

Nun ging sie die Treppe hinauf, vor allem nach dem Zimmer des Barons, wie war wohl für ihn gesorgt? Sie blieb starr vor Schrecken unter der Türe stehen. Welch ein Raum? Kein Bildchen an den kahlen Wänden, kein kleinster Teppich auf dem uralten Fussboden. Eine leere Bettstelle, ein alter Rohrsessel, ein Tisch aus einem Bedientenzimmer hergeschleppt, das war alles. Frau Maxa schaute nochmals hin, ja, es war Baron Brunos Zimmer, das Balkonzimmer im Eckturm. Wo schlief der Baron?

Sie konnte nicht mehr hinschauen, sie lief nach dem Zimmer der Frau Baron. Alles leer — die dunkelroten Sammetsessel, das Sofa in der Ecke mit all den Kinderbildern darüberhängend — alles fort. In der Ecke die leere Bettstelle.

Frau Maxa lief nach dem Zimmer der Leonore, dem lieben Zimmer mit all den hübschen Bildchen rings an den Wänden, den hellblauen seidenen Sesselchen, dem halbrunden Ruhebettchen in der Ecke, dem kleinen Schreibtisch, auf dem immer die zwei vollen Rosevasen standen. Frau Maxa trat nicht ein, alles leer und kahl und öde, nur die Tapete mit den roten und blauen Blümchen sprach noch von einer alten schönen Zeit. Frau Maxa ging schnell weg, der Anblick war zu traurig. Nur einen Blick warf sie in den grossen Saal — er glich einer weiten Wüste. Kein Vorhang, kein Bild, kein Sessel, gar nichts. Wo war das ganze kostbare Damastmobiliar hingekommen? Konnte ein ungeheurer Raub im Schlosse stattgefunden haben und noch gar nicht bemerkt worden sein?

Es war ja möglich, Herr Trius konnte nicht wissen, was da war, und der Baron hatte sich wohl um gar nichts gekümmert. Jetzt lief Frau Maxa zurück.

»Armer Herr Baron Bruno, in welche Heimat sind Sie zurückgekommen!« rief sie aus, ganz erfüllt von dem niederschlagenden Eindruck, den sie eben empfangen hatte, »so hat es Ihre Mutter nicht gewollt. Wie musste Ihnen zumute sein, als Sie in die alten heimatlichen Räume eintraten, wie muss Ihnen jetzt noch zumute sein? Mir ist alles unbegreiflich.«

»Mir nicht«, sagte der Baron ruhig, »ich dachte, es müsse so sein. Habe ich es denn wert gehalten, als ich alles besass? Es ist nur gerecht, dass es wüst und leer hier um mich sei. Ich kam ja auch nur, hier zu sterben, in meinem Sessel konnte ich ja darauf warten; am Tage unter der Föhre, nachts drinnen in meinem Gelass, ich brauchte nichts weiter. Aber der Tod kommt nicht sobald, wie ich meinte. Warum wollen Sie mich zurück zum Leben wecken?«

»Ja, das will ich; nun wollen wir nicht vom Tode sprechen. Der liebe Gott hat etwas anderes mit Ihnen im Sinn, das glaube ich zuversichtlich«, sagte Frau Maxa lebhaft. »Für’s erste sehe ich ein, dass es das beste ist, wenn Leonore bei uns bleibt, und freue mich mehr, als ich sagen kann, über Ihre Erlaubnis. Aber damit sie uns nicht weggeholt wird, darf ich wohl in Ihrem Namen den Damen anzeigen, dass Leonore bis auf weiter Nachricht noch nicht abzuholen sei?«

Der Baron gab seine völlige und herzliche Zustimmung zu der Sache.

»Und nun, Herr Baron, muss ich noch eine Erlaubnis von Ihnen haben; es geht nicht anders: Sie erinnern sich doch der Apollonie, der langjährigen treuen Dienerin des Schlosses?«

Der Baron lächelte: »Jawohl, die hilfreiche Apollonie unserer Jugendtage ist nicht vergessen. Ihr Töchterchen hat mir auch schon Nachricht von ihr gebracht.«

»Sie ist die einzige, die vielleicht eine Ahnung davon hat, was hier vorgefallen ist«, fuhr Frau Maxa fort. »Ich werde gleich zu ihr gehen. Sollte sie Ihnen eine Mitteilung zu machen haben, so bitte ich noch um Einlass für sie. Sollte wirklich ein Raub vorliegen, dann müssen Sie mir die Erlaubnis geben, dass ich für das Nötigste sorge, das Ihnen fehlt. Es sorgt niemand für Sie, nun es doch so nötig wäre. Ihre Mutter hätte mir die Sorge um Sie auch übergeben, das weiss ich.«

»Das glaube ich auch«, sagte der Baron lächelnd, »so werde ich gehorsam sein müssen.«

Jetzt verabschiedete sich Frau Maxa, nicht ohne sich die Erlaubnis zu erbitten, in den nächsten Tagen wiederkommen zu dürfen. Dann stieg sie eilig den Berg hinab.

Apollonie hatte in ihrem Gärtchen zu schaffen. Frau Maxa trat unversehens bei ihr ein. Sie war so erfüllt von dem eben Erlebten, dass sie ohne alle Erklärung, wie sie auf das Schloss gekommen sei, der Apollonie gleich die Mitteilung der schrecklichen Verwüstung im Schlosse machte. Sie habe fest geglaubt, der Herr Baron müsse alles ganz so wiedergefunden haben, wie seine Frau Mutter es für ihn zurücklassen wollte. Und nun sei alles fort, nicht einmal ein Bett wäre mehr für ihn da, Tag und Nacht müsste der Kranke in seinem Sessel bleiben. Frau Maxa hatte in grosser Aufregung gesprochen.

Apollonie schlug die Hände zusammen und brach in die heftigsten Klagen aus: »Oh, wie konnte ich das voraussehen! Der Türk, der Barbar, dieser alte Heide von Trius«; schluchzte sie vor Zorn und Leid. »Darum hat er mir nie geantwortet, wenn ich so sorglich fragte, ob er auch die Betten recht unterscheide und auch dem Herrn das rechte Bett herausgenommen habe, alle Stücke mit blauen Kronen in der rechten Ecke bezeichnet. Nie hat er ein Wort geantwortet, nur mich angegrinst. Und nun hat er gar keines gefunden und auch nicht gesucht, und so musste der Herr darunter leiden! Alles ist ja da, alles, alles! Seine kleinsten Bildchen und Erinnerungstäfelchen! Und so muss er in die Öde und Leere heimkommen! Nicht umsonst hat es mich schlaflos gemacht Nacht für Nacht, dass ich nicht hinauf durfte, zu helfen und zu ordnen; aber ich habe doch nicht gemeint, dass es so sei, und ich bin noch schuld daran! Ich noch schuld daran!«

Auf das Drängen der Frau Maxa berichtete Apollonie endlich: als Baron Bruno nach seinem ersten, kurzen Besuch, bei dem er die Verheiratung seines Bruders, dessen Fortziehen nach dem Süden und den Tod der Mutter zuerst vernommen hatte, wieder abgereist war — Briefe hatten ihn ja nicht erreicht —, hatte sie alles Bewegliche im Schloss zusammengeräumt; denn sie hatte den Eindruck, sobald würde der Baron nicht wiederkommen, und war besorgt, die schönen Sachen möchten unterdessen verderben oder in dem menschenleeren Schloss von Dieben gesucht werden. So hatte sie jedes Ding sorgsam verpackt und von Hüllen und Decken geschützt nach den grossen Bodenkammern hinaufgebracht und mit doppelten Schlössern abgeschlossen. Da war ja alles so wohl verwahrt wie sonst nirgends, und sollte der Herr Baron einmal wiederkommen, so würde sie ja gleich gerufen werden, davon war Apollonie überzeugt; denn sie fühlte sich durchaus als zum Schloss gehörend, bewohnte ja auch immer noch das Gärtnerhaus. So würde sie dann bald alles in die alte Ordnung gebracht haben. Nun war alles so anders gekommen!

»Ich muss hinauf, gleich auf der Stelle«, keuchte Apollonie; denn die rasche Erzählung, verbunden mit den aufregenden Empfindungen, hatte sie ganz ausser Atem gebracht, »noch vor Nacht muss des Herrn Zimmer in Ordnung sein, das kann ich gut fertig bringen. Es ist oben alles gut geordnet, Zimmer für Zimmer, allemal was dazu gehört, jedes für sich eingepackt und zugedeckt. Aber wie komm ich nur hinein? Er lässt ja niemand hinein, der verstockte Schlosswächter!«

Frau Maxa beruhigte sie darüber; der Herr Baron werde dafür gesorgt haben, dass ihr aufgemacht werde, sagte sie, ermunterte auch die Apollonie, nur gleich nach dem Schloss hinaufzugehen, damit der Herr Baron wisse, woran er sei, und womöglich heute schon ein anderes Nachtlager für ihn bereitet werde. Dann verliess sie die Apollonie.

Leonore wusste, wohin die Mutter gegangen war. Als sie diese von weitem herankommen sah, stürzte sie mitten aus dem Spiel weg und ihr entgegen.

»Oh, Tante Maxa, hat er dir die Anschrift gegeben?« fragte sie erwartungsvoll.

»Der Schlossherr hat mir versprochen, du solltest sie haben, sobald er erst selbst recht genau weiss, wie sie lautet«, berichtete Frau Maxa.

Das war doch eine Hoffnung. Leonore freute sich, diese ihrem Bruder mitteilen zu können. Frau Maxa setzte sich gleich hin, um den Damen noch rechtzeitig die Mitteilung zu machen, dass Leonores Onkel zurückgekehrt sei und den Wunsch hege, seine Nichte noch einige Wochen in seiner Nähe zu behalten.

Unterdessen war, trotz der sie schwer hindernden Aufregung, die Apollonie mit ihrem für den Gang nach dem Schlosse notwendigen Anzug fertig geworden und lief nun den Berg mit einer Leichtigkeit hinan, als wäre sie eben um zehn Jahre jünger geworden durch die Hoffnung, endlich wieder ins Schloss eintreten zu dürfen. Nur das Tor weckte noch einige Sorgen in ihr. Würde es ihr denn auch wirklich geöffnet werden? Jetzt war sie da und zog die Glocke. Herr Trius erschien, sprach kein Wort, öffnete und ging schweigend davon. Apollonie wusste durch Mäzli genau Bescheid, wo der Herr zu finden war. Sie ging der Terrasse zu. Als sie sich dem Sessel nahte, da wurde Apollonie von dem Anblick des Kranken und von den Erinnerungen an alle früheren Zeiten so überwältigt, dass sie laut schluchzend herantrat und nur die Worte herausbrachte: »Oh, Herr Baron, Herr Baron! Und zu denken, dass ich schuld bin, dass der Herr Baron krank und leidend, nicht einmal ein Zimmer und ein Bett fand!« Apollonie konnte nicht weiter vor Schluchzen und Tränen.

Der Baron schüttelte ihr herzlich die Hand: »Na, Frau Apollonie, was ist’s denn? Wir warn ja immer gute Freunde. Was sollen Sie denn verschuldet haben?«

Nun erzählte Apollonie, wie die selige Frau Baron alle Räume des Schlosses unverändert lassen wollte, damit der Herr Baron Bruno die alte Heimat finde, wenn er wiederkehre, und wie sie es dann gewesen sei, die alles weggeräumt habe, damit es nicht verderbe, aber mit dem Gedanken, jedes Ding wieder an seine alte Stelle zu bringen, sobald der Herr Baron zu erwarten wäre; sie wusste ja, wo jedes Nadelkissen liegen und jedes kleinste Bildchen hängen musste. Nun flehte sie den Herrn Baron an, dass er ihr erlaube, heute noch sein Zimmer in Ordnung zu bringen und dann die nächsten Tage eines nach dem anderen, damit das ganze Schloss so werde, wie die selige Frau Mutter wünschte, dass er es finde.

Der Baron entgegnete, Apollonie möge nur tun, was sie für gut halte und was seine Mutter angeordnet habe, so werde es recht sein.

Jetzt lief Apollonie den Bodenkammern zu mit einer Wonne im Herzen, als ginge sie einem grossen Feste entgegen. Bald kam sie, mit Tüchern und Decken und Kissen beladen, von oben herunter, um gleich wieder, zu einer neuen Ladung gerüstet, hinaufzusteigen. So ging es ein paar Stunden lang; denn zwischen den Gängen mussten die zahlreichen grossen und kleinen Gegenstände geordnet werden. Nun mussten noch die dichten dunkelroten Vorhänge befestigt werden, die der Baron immer besonders geliebt hatte, mit deren Vorschieben man die grellste Sonnenglut in Fenstern und Balkontüren sofort in eine milde Abendröte verwandeln konnte. Jetzt stellte Apollonie sich mitten ins Zimmer und schaute rundum. Es fehlte nichts mehr, sogar die zwei Federn, die der Baron zuletzt gebraucht hatte, lagen noch auf der grossen Muschel am bronzenen Tintenfass, und daneben auf seinem Platz lag der schwarze Federwischer mit den roten und weissen Röschen auf dem Deckblatt. Die Röschen hatte Fräulein Leonore daraufgestickt. Von dem schneeweissen Bett mit den hohen Kissen drüben in der Ecke war die Decke ein wenig zurückgeschlagen, fertig gerüstet, den Kranken aufzunehmen. Über dem Bette hing das kleine Bild der Mutter, das er schon als Knabe da gesehen hatte, und ringsum die alten Bilder alle, jedes an seinem Platz; diesen kannte die Apollonie von jedem, soviele ihrer auch waren. Jetzt ging Apollonie nach der Terrasse hinunter, schon wehte ein kühler Abendwind durch die Zweige des Föhrenbaumes.

»Nun ist alles bereit, Herr Baron«, sagte sie, »nun werden wir Sie gemeinsam hinauftragen, das kann Herr Trius nicht allein, das weiss ich: dann werden Sie wohl ruhen diese Nacht.«

»Wo soll ich denn hingebracht werden?« fragte der Baron verwundert, »ich bin hier gut untergebracht.«

»Nein, nein, Herr Baron, hier wird es schon kühl, hier dürfen Sie nicht länger bleiben. Droben in Ihrem Zimmer ist alles bereit, da sind Sie wohl aufgehoben. So hätte es die selige Frau Mutter angeordnet, das können Sie glauben. Jetzt erlauben Sie mir, dass ich den Herrn Trius rufe.«

»So wird es wohl sein müssen«, sagte der Baron zustimmend.

Herr Trius hatte gute Ohren; er war gleich zur Stelle.

»Sie sollen mich forttragen«, sagte der Baron, »Frau Apollonie wird Ihnen zeigen, wie man es macht.«

Augenblicklich fasste diese den Baron fest um den Oberkörper.

»Tun Sie es ebenso, Herr Trius«, sagte sie, »dann legt der Herr Baron den einen Arm um meine, den anderen um Ihren Hals. hier unter den Füssen des Herrn geben wir uns die Hände, nun heben wir.«

Leicht und bequem wurde der Baron emporgehoben und nach seinem Zimmer getragen und hier auf sein frisches Bett gesetzt. Er lehnte sich an die bequemen Kissen und schaute um sich.

»Hier sieht es behaglich aus«, sagte er, seine Blicke da und dort wohlig ruhen lassend. »Frau Apollonie weiss herzustellen, was ich vernichtet glaubte. Ja, so sah alles hier vor Jahren aus!«

»Nun machen Sie’s dem Herrn Baron bequem für die Nacht«, flüsterte Apollonie Herrn Trius zu und entfernte sich. Sie ging nach der Küche.

»Du barmherziger Himmel, wie sieht es hier aus!« rief sie, den staubbedeckten, von Spinnweben überall durchzogenen Raum betretend. Sie öffnete den grossen Schrank: ein Laib Brot und eine Anzahl Eier lagen da. Wie sie auch weiter suchte, alle Schubladen, alle Fächer öffnend, Essbares war nicht mehr zu finden.

»Der Erzheide, er gibt dem Herrn Baron nichts als Eier!« stiess sie im Zorn und Leid aus; »aber ich weiss etwas.«

Richtig, noch lagen die Schlüssel im alten Versteck. Sie lief damit nach dem Keller. Im lang bekannten dunklen Raum, wo sie den Arm hineinstreckte, fand sie gleich, was sie wollte. In der Küche hatte sie erst die hochbestaubte Flasche zu reinigen. Alles musste erst gereinigt werden, was sie zur Hand nahm. Dann wurden ein paar Eier hoch zu Schaum geschlagen und ein Gläschen von dem alten Kraftwein dazugegossen. Das hatte der Herr Baron immer gern gemocht. Jetzt trat sie wieder in sein Zimmer, die gefüllte Tasse auf dem blankgeriebenen Kaffeebrett vor ihn hinsetzend. Alles glänzte ihm entgegen, Tasse, Löffel und Tellerchen. Ein so einladender Geruch stieg aus der Tasse auf, dass der Baron mit Lust die Erfrischung genoss. Herr Trius hatte sich zurückgezogen. Apollonie hatte die leere Tasse längst weggestellt, um sie fortzutragen; aber immer noch musste sie da und dort etwas ordnen, bis alles, was der Herr brauchen könnte, ihm auch nahe genug lag. Es war, als könnte sie nicht fertig werden.

»Ach, Herr Baron«, sagte sie endlich, als wirklich nichts mehr im Zimmer zu ordnen war, »mir ist, ich sollte noch so vieles zurechtmachen, ehe ich gehe. Eben habe ich die Küche gesehen. Ach, du barmherziger Himmel, wenn die selige Frau Baron da hineinschauen müsste! Und im Keller! Ach, überall! Ich meine, ich könne keine Ruhe mehr finden, bis ich alles in die alte Ordnung zurückgebracht habe. Die ganze Nacht durch wollte ich daran arbeiten, wenn Sie mir’s nur erlauben wollten, Herr Baron!«

»Nein, nein, da sollen Sie schlafen, wie ich auch zu tun gedenke, da Sie mich so gut gebettet haben«, sagte er lächelnd. »Aber wie wäre es, Frau Apollonie, wenn Sie wieder aufs Schloss kämen und die ganze Wirtschaft in die Hände nähmen? Sie verstehen das doch am besten?«

Die Apollonie starrte den Baron an, als könnte sie nicht fassen, was er ausgesprochen hatte.

»Na, was meinen Sie, wollen Sie?« fragte er.

»Ob ich will! Ob ich will, Herr Baron! Oh, mit tausend unaussprechlichen Freuden!« rief sie jetzt im hellen Entzücken aus.

»Oh, morgen schon Herr Baron, morgen schon — aber — ja, was wird der Herr Baron dazu sagen: ich bin eben nicht mehr allein, ich habe das Kind meiner Tochter übernommen; zwölf Jahre alt, brav und recht, aber natürlich noch keine Hilfe für Schloss und Garten.«

»Vortrefflich, eine heranwachsende zweite Apollonie. So kann später einmal die alte ausruhen und die junge fortfahren«, sagte der Baron. »Morgen ziehen Sie im Schloss ein, wie und wo, wissen Sie selbst am besten.«

Nun lehnte sich der Baron mit sichtlichem Wohlbehagen in seine Kissen zurück, und Apollonie wanderte mit einem Herzen voller Glückseligkeit ihrer Wohnung zu. Mit dem ersten Strahl des Tages stand sie am folgenden Morgen schon wieder vor ihrem Hause und packte das Nötigste für sich und das Kind auf einen Karren; das übrige konnte dann nach und nach zum Schloss hinaufgebracht werden. Eben erst hatte sie dem Loneli die grosse Nachricht mitgeteilt; denn am vorigen Abend hatte es schon geschlafen, als sie heimkehrte. Loneli war so überwältigt von der Aussicht, von heute an eine Bewohnerin des Schlosses zu werden, dass es mitten in der Stube stehen blieb, um das Unbegreifliche zu fassen.

»Komm, komm«, mahnte die Grossmutter, »heute gilt das Staunen nichts, da gibt’s Arbeit.«

»Was wird doch der Kurt sagen und Mea«, war Lonelis Hauptgedanke, den es ausrufen musste. Am liebsten wäre es gleich zu den beiden hingelaufen; denn in allen Lagen des Lebens war seine erste Frage, was diese zwei Hauptfreunde dazu sagen würden.

»Und erst ihre Mutter! Ja, was wird die Frau Pfarrer sagen«, setzte Apollonie mit Lebhaftigkeit hinzu. »Aber jetzt heisst es, alles in Ordnung zu bringen und dann erst hingehen. Auch zur Schule geht’s heut und morgen nicht, und dann ist’s Sonntag, bis dahin sind wir fertig.«

Flink packte Apollonie ihre Bündel fest, schloss ihre Tür ab, und nun ging es rüstig vorwärts, ohne Aufenthalt bis zum Schlosstor hinauf, wo heute geschellt werden musste. Diesmal liess Herr Trius auf sich warten. Endlich kam er langsam daher.

»Warum nicht schon vor Tag?« fragte er brummend.

»Weil Sie noch unter der Decke gelegen und mir nicht aufgemacht hätten, sonst wär ich wohl schon früher gekommen«, gab Apollonie schnell zurück.

Schweigend ging er voran. Es mochte ihm klar geworden sein, dass Apollonie nichts schuldig blieb und dass sie am Herrn des Schlosses einen guten Halt hatte. Nun zog die Apollonie in ihre alte Stube ein. Loneli begriff nicht, warum die Grossmutter sich einmal ums andere die Augen wischen musste; ihm kam der Einzug in die grosse, dunkel getäfelte Schlossstube wie ein unglaublich schönes Märchen vor.

Aber Apollonie liess sich nicht lange Zeit, ihren Gedanken und Erinnerungen nachzuhängen. Schon stand sie in der Küche und fuhr mit Wischer und Besen gegen alle die schönen Spinngewebe zu Felde. Kaum waren ein paar Stunden vergangen, da sah es auch schon so wohnlich gemütlich in der geräumigen Schlossküche aus, dass Herr Trius wohlgefällig schmunzelte, als er eintrat, um, unbekümmert um Staub und Spinnen, für sich und seinen Herrn einen Kaffee zu brauen, dem er als einzige Zugabe ein Stück trockenes Brot beizulegen pflegte. Dinge wie Milch und Butter, die er bei den Bauern umher hätte holen müssen, entbehrte er lieber, und sein Herr begehrte nichts weiter. Hier dampften ihm heute Milch und Kaffee entgegen, und dabei lag ein frisches Brot; die hölzernen Sitze um den Tisch schimmerten weiss gefegt, und nicht ein einziges Spinngewebe kitzelte belästigend seine Nase.

Apollonie füllte sofort die grosse, schon bereitstehende Tasse mit dem wohlriechenden Getränk und lud den Herrn Trius recht zuvorkommend ein, am Tische Platz zu nehmen. Die neue Ordnung gefiel ihm gar nicht übel; er setzte sich auch gleich hin und liess sich alles trefflich schmecken. Unterdessen hatte Apollonie ihr Kaffeebrett schön aufgerüstet. Sie hatte das gute alte Porzellan herausgeholt, das die Frau Baron immer im Gebrauch hatte. Neben den dampfenden Töpfchen stand die kleine Schale mit der goldgelben Butterkugel, und die frischen runden Weissbrötchen guckten ganz einladend aus dem Porzellankörbchen heraus. Apollonie stieg zum Zimmer ihres Herrn hinauf.

»Oh, das sieht gut aus, wie die alte Zeit«, sagte er, als Apollonie ihren Frühstückstisch neben ihn hinstellte. Er meinte, das Anschauen tue ihm schon gut, wenn er auch kaum etwas geniessen könne.

Damit war die Apollonie nicht einverstanden.

»Nur auch ein wenig, Herr Baron«, bat sie, »sonst kommen Sie ganz herunter, nur ein ganz klein wenig und dann nach und nach immer ein wenig mehr, das wird so gut tun. Tun Sie mir den Gefallen, ich habe Loneli zum Oberhüttensenn geschickt, er macht die beste Butter.«

Ein wenig musste der Baron schon essen; zu seiner Überraschung schmeckte es ihm gar nicht schlecht.

Als ihr Herr dann im schönen Morgensonnenschein, gut gebettet unter seiner Föhre sass, holte die Apollonie ihr Loneli herbei, dass es sich dem Herrn Baron zeige und danke, dass er es in sein Haus aufgenommen habe. Dann begann ein Arbeiten und Aufrüsten, ein Reinigen, ein gänzliches Herstellen aller Räume des Schlosses, das einen rastlosen Eifer vom Morgen bis zum späten Abend erforderte. Ein Wechsel der Tätigkeit trat nur ein, wenn die Zeit da war, wieder ein kleines Mal zu rüsten, was die Apollonie durchaus nicht als Nebensache betrachtete, seitdem sie erkannt hatte, wie sehr ihr Herr einer rechten Kräftigung bedurfte.

Musste für den Herrn Baron die Beschaffenheit der Küchenerzeugnisse in Betracht gezogen werden, so war für den Herrn Trius die Masse zu berücksichtigen; denn er hatte einen vorzüglichen Appetit, und die neue Küche gefiel ihm. Er begann auch, der Apollonie seine Anerkennung für ihre Leistungen zu bezeugen und folgte mit Bereitwilligkeit ihrer Aufforderung, alle die schweren Möbel vom Boden herunter nach den verschiedenen Zimmern befördern zu helfen.

Zwei Tage waren so in unausgesetzter Arbeit vergangen, Das meiste, was Apollonie vorgenommen, war beendet, der Sonntag war da. Als sie ihrem Herrn den Morgenkaffe ins Zimmer gebracht hatte, stand sie eine Weile wie unschlüssig mit der Türklinke in der Hand.

»Na, Frau Apollonie, da ist wohl noch etwas zu bemerken, doch keine Klage, dass ich Ihrem guten Kaffee nicht zuspreche, sehen Sie nur einmal meine guten Fortschritte an!«

Mit komischem Ernst wies der Baron auf seine leere Tasse und das einzige Brötchen hin, das liegen geblieben war.

»Gott Lob und Dank, etwas Weniges ist doch schon gewonnen!« bezeugte sie hoch erfreut, »und weil mich doch der Herr Baron fragte, so will ich es gleich sagen. Würde der Herr mir auch eine Sonntagsfreude machen und heut einmal durch alle Zimmer fahren, damit er auch weiss, wie es überall aussieht? Der Sessel steht schon vor der Tür.«

»Der Baron entgegnete, herzlich gern würde er ihr für die grosse Arbeit der Wochentage eine Sonntagsfreude machen; aber für diejenige, die sie sich wünschte, hätte ja sie allein die Mühe, und er sollte die Freude haben. Nun aber zu diesem Zwecke doch schon der schwere Rollsessel heraufgeschleppt worden sei, müsse auch der Zweck erfüllt werden, er sei ganz bereit dazu. »Sie bringen merkwürdige Dinge zustande, Frau Apollonie«, schloss der Baron, »den alten Bären von Trius wandeln Sie ja in ein gehorsames Schäfchen um.«

Hochbeglückt entfernte sich Apollonie, des Rufes harrend, der ihr die ersehnte Freude bringen sollte. Er liess nicht lange auf sich warten. Schon sass der Baron in seinen Sessel gebettet; aber an den Anordnungen des Herrn Trius hatte die Apollonie jedesmal noch etwas zu verbessern. So auch jetzt; dann übernahm sie die Leitung des Sessels mit dem deutlichen Wink, dass sie denselben jetzt ohne Hilfe fortzubringen gedenke. Erst brachte sie ihren Herrn nach dem grossen Saal, wo alle die schönen Feste der Familie und so vieler lieber Freunde gefeiert worden waren. Der Saal schimmerte in neuerstandenem Schmuck. Verwundert schaute der Baron umher, er sagte nichts. Dann ging es nach dem Turmzimmer, das seinem eigenen gegenüberlag; es war die Stube seines Bruders Salo gewesen. Schweigend schaute der Baron auch hier sich um. Das Zimmer war, wie es immer gewesen, mit den vielen schönen Ahnenbildern geschmückt. Salo hatte sie besonders geliebt.

Jetzt lenkte Apollonie dem Zimmer der Frau Baron zu. Hier stand und lag ringsum alles geradeso, wie sie es verlassen hatte. Apollonie hatte jedes kleinste Ding genau auf seinen Platz zurückgebracht. Sie bemerkte wohl, wie lange hier die Blicke ihres Herrn auf jedem Gegenstand ruhten. Viel länger als in den anderen Zimmern hatten sie nun schon hier verweilt, und noch gab der Herr kein Zeichen, dass er weiterzukommen wünsche.

»Auf jenem Lehnstuhl sass meine Mutter, als ich das letzte Mal mit ihr sprach«, sagte er jetzt; »das rote Nadelkissen lag auf dem Tischchen vor ihr, so wie heute. Ich stand vor ihr am Tischchen und setzte die Stecknadeln auf dem Kissen hin und her, während sie zu mir sprach. Ich meine, jedes Wort zu hören. Sie sollen mich heute nicht hinuntertragen, Frau Apollonie«, sagte er nach einer Weile, »ich muss ja nicht mehr vor den öden Zimmern fliehen, ich will meinen Sonntag hier verbringen.«

Im Herzen der Apollonie stieg eine grosse Freude auf; ihr Herr fing an, die Heimat wiederzufinden. Wenn sie ihm doch noch einmal lieb werden könnte! Nur noch in ein Zimmer hätte sie ihn so gern geführt, das hätte ihm gewiss einen fröhlichstimmenden Eindruck gemacht durch die lieblichen Bilder an allen Wänden und die ganze schmucke Ausrüstung. Die Frau Baron hatte den Raum ganz neu und besonders zierlich ausrüsten lassen, als ihre Nichte Leonore erwartet wurde, sie sollte das Zimmer bewohnen. Apollonie konnte ihren Wunsch nicht unterdrücken: »Wenn der Herr Baron nur noch eine einzige Fahrt machen wollte«, sagte sie bittend, »gleich könnten wir wieder zurückkehren.«

Er sei ganz bereit dazu, wenn sie die Mühe nicht scheue, sagte er.

Die Fenster des Zimmers schauten auf den Wald hinaus. Scharen von lustigen Vögelchen sassen in den dichten Zweigen der Tannen und sangen ihre Lieder durch die offenen Fenster herein so nah und laut, als wären sie die Zimmerbewohner. Es war, als lebte und lachte und frohlockte alles in diesem Raume. Der Herr Baron schaute überrascht auf die singenden Waldbäume hinaus und in das lachende Gemach zurück.

»Frau Apollonie, Sie haben Wunder getan!« rief er aus. »In zwei Tagen haben Sie die Trauerhöhle zu einem Ort umgewandelt, wo noch frohes Leben gedeihen könnte. Ich habe einen Gedanken, den will ich mir Ihnen besprechen. Führen Sie mich in das Zimmer meiner Mutter zurück, und wenn für Sie die passende Zeit dazu da ist, so kommen Sie zu einer Unterredung zu mir herein.«

So geschah es. Im Nachmittag hatte die Unterredung stattgefunden und längere Zeit gedauert. Loneli war schon seit einiger Zeit in stillem Glück auf der Terrasse hin und her gewandert und hatte sich ausgedacht, wie es sein werde, wenn es endlich Kurt und Mea benachrichtigen dürfe, wo es nun mit der Grossmutter lebe, und sie dann beide zum Besuch aufs Schloss kommen würden. Hier hatte es dann mit Kurt noch etwas ganz Besonderes auszuführen.

Jetzt rief die Grossmutter nach dem Kinde. Als es zu ihr in die grosse Stube eintrat, sass sie auf der Bank am Fenster, ganze Tränenbäche rollte ihr über die Wangen.

»Ja, Grossmutter, jetzt musst du schon wieder weinen«, sagte Loneli überrascht, »und hier ist es doch so schön, und alle Vögel singen draussen, soviel sie nur vermögen.«

»Oh, ich singe ja im Herzen mit ihnen, ich muss ja vor lauter Freude weinen«, sagte die Grossmutter. »Setzt dich her zu mir, Loneli; sobald ich reden kann, will ich dir sagen, was morgen geschehen soll. Ach, Loneli, ich meine, ich kann es vor Freude nicht erleben.« Jetzt überkam es die Apollonie noch einmal so sehr, dass noch eine ganze Weile verstrich, bis sie endlich Loneli mitteilen konnte, was morgen sein sollte.

Im Garten der Frau Maxa ging es heute so stille zu, dass man nicht vermutet hätte in dem weinlaubumrankten Gartenhäuschen die ganze Familie zusammenzufinden.

Ohne dass es ausgesprochen wurde, hatte jedes der Kinder im stillen den Gedanken, es werde wohl der letzte Sonntag mit Leonore sein, der keine heitere Stimmung aufkommen liess. Die Mutter hatte ein Spiel vorgeschlagen, das sonst alle ergötzte; aber sie selbst war heute nicht recht dabei. Vergebens hatte sie den ganzen Tag erwartet, Apollonie werde doch nun heute kommen, um über ihren Besuch im Schlosse Bericht zu erstatten. Nun war der Abend da und niemand gekommen, nicht einmal Loneli hatte sie geschickt, um irgendein erklärendes Wort von ihr zu bringen. Frau Maxa musste sich immer wieder fragen, was das bedeuten konnte; sie hatte alle Mühe, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten. Mäzli unternahm von Zeit zu Zeit eine kleine Wanderung, um zu erforschen, ob es etwa anderswo fröhlicher zugehe. Eben kam es von einem Besuch bei der Käthi zurück, die sich auf der Bank bei der Haustür niedergelassen hatte und dann und wann mit einem des Weges Kommenden ein kleines Gespräch führte. Mäzli brachte einen Brief mit.

»Jetzt sind die Damen gekommen, die Leonore holen wollen, das hat mir Käthi gesagt«, berichtete es, »ein Bub hat den Brief gebracht und sie hat ihn gefragt, von wem er sei; da hat er gesagt, er wisse es nicht.«

»Die Mutter nahm den Brief und las: »Ganz und gar keine Schreckensnachricht, Kinder«, sagte sie schnell, indem ein Rot der Freude über ihr Gesicht ging, »etwas völlig anderes enthält der Brief. Hört nur, da steht: ‘Der Schlossvogt von Wildenstein wünscht, dass seine jungen Freundinnen Leonore und Mäzli die Mutter bitten, mit ihnen und den Geschwistern den folgenden Tag auf Schloss Wildenstein zuzubringen’.«

»Das ist doch fein«, sagte Mäzli schnell; »dann kann Kurt einmal sehen, ob der Herr Schlossvogt und der Herr Trius nur ein einziger Mensch sind.«

Erst jetzt kamen die anderen Kinder recht zu sich, alle waren erst vor Schrecken, dann vor Überraschung wie gebannt gewesen. Jetzt brach ein lauter Freudenlärm los; denn eine Einladung für die ganze Familie nach dem Schlosse, das bis jetzt kein Mensch betreten durfte, das war nun wirklich ein ganz besonderes Ereignis, das kein Mensch hatte voraussehen können. Wie oft hatten die drei Ältesten mit verlangenden Augen dorthinauf geblickt und immer nur auf die verschlossenen Fenster und Türen getroffen, die keine Hoffnung aufkommen liessen, je in diese geheimnisvollen Räume hineinschauen zu können. Bruno und Kurt konnten kein Ende finden in ihren Ausrufen des Erstaunens und der Freude über die Aussicht auf den folgenden Tag. Mea stimmte mit der grössten Lebhaftigkeit in die Freudenrufe ein, bis sie auf einmal bemerkte, dass Leonore ganz still und traurig zuhörte.

»Oh, Leonore«, rief sie aus, »freust du dich denn gar kein bisschen mit uns auf den schönen Tag? Denk doch, wenn wir alle zusammen droben auf dem Schlosse bleiben und alles sehen dürfen.«

»Nein, ich kann nicht«, sagte Leonore, »es ist mir geradeso, als dürfe ich noch einen schönen Festtag mit euch feiern, bevor alles aus ist und ich gar nie mehr mit euch zusammensein kann.«

Nun war auch für Mea die Freude vorbei. Trotz der allseitigen Aufregung war endlich doch alles zu Ruhe gebracht, und die nächtliche Stille wurde durch keinen Laut mehr gestört, als eben jetzt, da Kurt im Traume die sonderbarsten Siegeslaute ausstiess. Er meinte, die höchste Zinne des rechten Schlossturmes erklettert zu haben.

Um zehn Uhr des anderen Morgens standen alle zum Auszug bereit. Bruno und Kurt stellen sich an die Spitze des Zuges, und als nun auch die Mutter zuletzt noch erschien, nachdem sie erst allen Kindern zu der notwendigen Ausrüstung hatte verhelfen müssen, gaben die beiden als Anführer das Zeichen zum Aufbruch.

Der Schritt, den sie anschlugen, war derart, dass die Mutter sie alsbald an das Ende des Zuges verweisen musste, wenn nicht alle ausser Atem auf dem Schlosse ankommen sollten. Die beiden Mädchen Leonore und Mea wurden jetzt an die Spitze geschickt, dann folgte die Mutter, Mäzli fest an der Hand haltend; denn würde es allein wandern, so wäre nicht abzusehen, was es bei der Ankunft auf dem Schlossboden, den es schon als ein Feld seiner besonderen Tätigkeit betrachtete, ausführen würde. Lippo hielt die andere Hand der Mutter fest; er strebte weniger nach Unabhängigkeit, als Mäzli tat. Die beiden Brüder zuhinterst mussten sich nun nach den Schritten der ersten richten. Aber Kurt hielt es bei dieser Ordnung nicht aus, seine Ungeduld war zu gross. Einmal lief er allen vor, einmal blieb er hinter allen zurück, um dann plötzlich wieder weit vorn hinter einer Hecke aufzutauchen. Diese Unordnung im Festzuge konnte Lippo nicht dulden; er liess die Mutter los und nahm den Bruno bei der Hand, so war doch die Ordnung bei denen hergestellt, die hintereinander wanderten.

Schon nahte man sich der Höhe. Dort war das bekannte, hohe Gittertor. Beide Torflügel standen weit offen.

Herr Trius, den Hut tief zu Erde gesenkt, stand zum Empfang auf seinem Platz. Sein Rock war von oben bis unten mit so grossen silbernen Knöpfen besetzt, dass er völlige Strahlen von sich warf und man wohl sehen konnte, das war sein Festgewand. Kurt war von dem feierlichen Empfang so betroffen, dass er sich gleich der Ordnung des Zuges wieder anpasste. Man stieg der Höhe zu. Mit Erstaunen sahen die Herannahenden, dass auf der Terrasse eine lange, festlich geschmückte Tafel stand, um und um mit Efeu und Blumen bekränzt. Gleich war die Terrasse erreicht.

Eben als Leonore sie betrat, Mea an der Seite, kam gemessenen Schrittes die Apollonie heran, als lasse die Feierlichkeit des Augenblicks ihr keine rasche Bewegung zu. Ihre Erscheinung in dem nie getragenen Staatskleid, das noch ein Geschenk der seligen Frau Baron war, sagte jedem unwillkürlich: das ist die Schlossapollonie. Ihr folgte Loneli im rosenroten Feströckchen, mit einem ungeheuren Blumenstrauss in der Hand. Es trat auf Leonore zu, überreichte ihr den Strauss und sprach mit lauter, feierlicher Stimme:

»Wir grüssen dich in deinem Heim,
Du junge Herrin von Wildenstein.«

Diesen Vers hatte die Apollonie aufgesetzt.

Leonore starrte auf Loneli und seine Strauss hin, dann schaute sie sich nach der Mutter um. Die Kinder standen alle in sprachloser Verwunderung um sie her.

Jetzt nahm die Mutter Leonore bei der Hand und führte sie zu dem nahen Sessel, wo der Baron sass und sich lächelnd den Vorgang betrachtete.

»Ich denke, nun wird der Herr Onkel seiner Nichte ja wohl die Anschrift geben, nach der sie so sehr verlangt«, sagte Frau Maxa, Leonores Hand in die des Barons legend. Jetzt verstand Leonore alles.

»Oh, mein Onkel, mein lieber Onkel«, rief sie aus und schlang ihre Arme um seinen Hals, »so sind Sie selbst mein Onkel! Ist es denn auch wirklich wahr, ist es wirklich wahr, ein so grosses, grosses unbegreifliches Glück?«

»Ja, Kind, ich bin dein Onkel, den du wie einen Vater liebhaben wolltest«, sagte der Baron. »Nenne mich nun auch ‘du’, ich will dein Vater sein. Kannst du mich nun liebhaben? Willst du gern hier bei mir daheim sein, Leonore?«

»Oh, mein lieber, lieber Onkel«, wiederholte Leonore in warmem Ton und umschlang ihn von neuem mit Zärtlichkeit. »Es ist gar nicht schwer, dich liebzuhaben. Wie du mir sagtest, mein Onkel in Spanien sei krank und elend wie du, da habe ich gedacht: ‘Oh, ich wollte, mein Onkel wäre ganz und gar so, wie der Herr Schlossvogt, dann hätte ich ihn gleich lieb.’ Ich kann es nur noch gar nicht begreifen, dass ich wirklich hier bei dir daheim sein darf, und Salo mit mir in deinem schönen Schloss und so nahe bei der Tante Maxa und allen, die ich liebhabe, wie sonst niemand auf der ganzen Welt. Oh, mein lieber Onkel, was wird nun Salo sagen! Nicht wahr, heute noch darf ich ihm schreiben, dass du unser Onkel bist und dass wir bei dir daheim sein dürfen?«

»Guten Tag, Herr Schlossvogt«, ertönte ganz nahe eine bekannte Stimme, und ein dickes, rundes Tätzchen drängte sich beharrlich zwischen Leonore und den Baron hinein, um dessen Hand zu erreichen. Mäzli hatte den ersten Augenblick benutzt, da die Mutter es von der Hand gelassen, um zu erledigen, was ihm am Herzen lag.

»Jetzt kann Kurt selbst einmal sehen, ob Sie und der Herr Trius ein einziger Mensch sind oder zwei; nicht wahr, das kann er, Herr Schlossvogt?«

»Jawohl, das muss ja durchaus in Ordnung kommen«, entgegnete der Baron, Mäzlis Hand schüttelnd, »wir wollen ihm gleich beweisen, dass Mäzli ganz gut weiss, wen es gesehen hat. Leonore wird mir ja nun ihre Freunde zuführen, dass ich sie auch kennen lerne.«

In unsäglicher Freude lief Leonore der Stelle zu, wo Frau Maxa mit Apollonie und allen Kindern in einer Gruppe zusammenstand; denn diese drängten im Eifer des Zuhörens immer näher auf die Mutter ein, die ihnen erklärte, wer der Herr im Sessel sei und welcher Heimat Leonore nun entgegensehe.

Eben wollten die Kinder ein Jubelgeschrei erheben, als Leonore hergelaufen kam; denn vor Freude hatten sie ganz vergessen, wo sie waren. Aber die Mutter dämpfte schnell noch den vollen Ausbruch. Ohne allen Freudenlärm ging es freilich nicht ab, bis die Mutter anzeigte, Leonore hole sie alle ab, um sie ihrem Onkel, dem Herrn Baron, vorzustellen.

Jetzt fuhr ein leiser Schrecken in alle. Sie wussten ja gar nicht, wie diese Vorstellung vor sich gehen würde; sie waren eigentlich in ihrem Leben noch niemand vorgestellt worden.

Aber Leonore, die sogleich die allgemeine Zögerung verstand, sagte: »Kommt nur, mein Onkel ist der liebste Mensch, den man nur finden kann, ihr werdet es gleich sehen.« Damit zog sie Mea mit sich, die anderen folgten nach. Kaum waren sie bei dem Sessel angelangt, so begann auch Leonore gleich, die Vorstellung auszuführen.

»Das ist Bruno, der allerbeste Freund meines Bruders, das steht in jedem seiner Briefe. Das ist Mea, meine allerbeste Freundin; gar nie in meinem Leben hatte ich eine Freundin wie Mea. Das ist Kurt —«

»Das ist nun mein Freund«, sagte der Onkel, »den kenn ich, das ist der Sänger. Unversehens wird der uns alle besingen, so gut wie den Herrn Trius.«

Ganz verblüfft schaute Kurt den Herrn Baron an. Wie konnte er das Lied über den Herrn Trius schon kennen? Keinem Menschen hatte er es gezeigt; die Mutter hatte es ja verboten; nur daheim hatte er es vorgelesen, und Mea hatte lachend die Verse wiederholt. Kein fremder Mensch konnte davon wissen, wie denn dieser Herr Baron.

»Ja, du kannst dann in dem neuen Lied auch sagen, dass der Herr Schlossvogt und der Herr Trius nicht ein einziger Mensch sind, sondern zwei, jetzt hast du’s gesehen«, sagte Mäzli, schnell die entstandene Pause benutzend.

Jetzt ging dem Kurt ein Licht auf: »Der kleine, freche Spatz ist’s«, sagte er sich, »der hat das Lied dahin geschleppt, wohin es nicht gehörte.« Kurt wusste ganz und gar nicht, was er sagen sollte.

»Und das ist mein Freund Lippo«, fuhr Leonore, den Kurt erlösend, fort. »Das ist ein so guter Freund; denk nur, Onkel, weil ich keine Heimat hatte, hat er mich eingeladen, bei ihm daheim zu sein in seinem Haus, das er dann einmal bekommt, wenn er gross ist.«

»Du hast ganz vorzügliche Freunde, Leonore«, sagte der Baron, »wir müssen sie recht oft bei uns auf dem Schlosse sehen, Frau Maxa wird es uns ja gestatten.«

»Und wie sehr sich dabei des Glückes ihrer Kinder freuen!« entgegnete sie, »wenn sie alle zusammen sich aller Herrlichkeiten in Schloss und Wald und Garten freuen dürfen!«

»Ja, alle zusammen, dann ist auch Salo dabei«, rief Leonore aus, »nicht wahr, lieber Onkel, der wird auch bald dabei sein?«

Mit feierlichen Schritten hatte sich Apollonie der belebten Gruppe unter dem Föhrenbaum genähert. Nun in diesem Augenblicke niemand sprach, setzte sie ein: »Sollte es den Herrschaften gelegen sein, die Tafel ist gerüstet.«

»Statt dass ich nun meinen werten Gast, unsere Frau Maxa zu Tisch führe, muss ich fragen, wer führt mich nun zu Tisch?« fragte der Baron.

»Ich!« — »Ich!« — »Ich!« —»Ich!« — »Ich!« — »Ich!« erscholl es von allen Seiten , und augenblicklich hatten im Rücken und auf beiden Seiten soviele Hände den Sessel erfasst, dass Apollonie für die ihrigen keinen Platz mehr gefunden hätte und sich nun schnell entfernte; sie hatte ja auch noch viel andere Arbeit vor sich.

»Nun fahre ich sechsspännig; das sieht anders aus als bisher«, sagte lächelnd der Baron.

Apollonie hatte so wundervolle Dinge für die Tafel ausgesonnen, und hier auf der weithin schauenden Terrasse und in der schönen Luft schmeckte alles so ganz ausserordentlich, wie den Kindern noch niemals eine Mahlzeit geschmeckt hatte.

Das Schönste von allem war aber, dass der Herr Baron, sobald die letzten Zeichen der Teilnahme an den goldenen Zuckerpflaumen verschwunden waren, sagte, nun würden die jungen Vögel einmal in aller Freiheit ausfliegen wollen, nun sollten sie nur auf- und davonfahren durch Wald und Feld und Beerenbüsche, wo es ihnen gefalle.

Wirklich, wie eine Schar junger Vögel schoss die Gesellschaft empor, und mit grosser Freude im Herzen machte sie Gebrauch von der Erlaubnis. Eines dem anderen nach, flogen sie dem nahen Wäldchen zu. Vor allem musste hier der ungeheuren Freude über das grosse Ereignis endlich Luft gemacht werden.

»Hurra, Leonore«, rief Bruno, »nun ist die Heimat für dich und für Salo gefunden! Und welche Heimat! Und so nahe bei uns! Nun bleiben wir immer beisammen und Salo mit uns.«

»Hurra, hoch der Baron!« schrie Kurt aus allen Kräften. »Hoch Schloss Wildenstein! Hoch die neue Heimat! Hoch die Apollonie! Wo ist denn Loneli?« unterbrach er plötzlich seine Hochrufe, »es sollte jetzt doch mit uns sein.«

Das wurde allgemein bestätigt.

»So hol ich’s.«

Kurt war schon wieder auf der Terrasse angelangt. Der Baron und Frau Maxa waren nicht mehr dort, sie sassen zusammen unter dem Föhrenbaum. Loneli half der Grossmutter die letzten Teller von der Tafel tragen.

»Apollonie, wir hätten gern das Loneli bei uns; es muss gleich mit uns kommen!« rief Kurt aus.

»Ja, wer sagt das? Wer sagt das?« wollte Apollonie etwas streng entgegnen; aber ihre Stimme klang mehr erfreut als gestreng.

»Wir alle, und Leonore noch besonders«, entgegnete Kurt schlau.

»So geh, Loneli; es ist heute ein grosser Festtag, du sollst ihn mitfeiern«, sagte die Grossmutter.

Strahlend vor Freude rannte Loneli an Kurts Seite davon.

Unter der Föhre sitzend, hatten der Baron und Frau Maxa vergangene Tage wachgerufen. Besonders bei den Erinnerungen an die selige Frau Baron schien der Sohn mit steigender Teilnahme und Bewegung zu verweilen. Es lag Frau Maxa daran, den Baron wissen zu lassen, wie treulich sie ihm von allem Nachricht zukommen lassen wollte, was in der Heimat vorging, was dann alles gar nicht in seine Hände gelangt war, da er nirgends eine bleibende Stätte hatte. Auch das sollte er wissen, mit welcher Sorge und Liebe sie seiner fortwährend gedachte und auf seine Rückkehr hoffte.

»Frau Maxa«, sagte der Baron nach einer Weile des Schweigens, »ich bin tief beschämt. Ich kam hierher in Hader und Groll gegen Gott und Menschen und wollte mein elendes Leben je eher je lieber abwerfen. Und hier, wo ich mich verlassen, vergessen oder verabscheut denke, kommt mir eine Freundlichkeit, eine Liebe, eine so unvergleichliche Treue entgegen, wie ich alles in meinem Leben nie verdient habe. Wie kann ich danken? Man kann nicht mehr gut machen, was man verschuldet hat.«

»Wenn man es selbst nicht mehr kann, so wissen wir, dass einer ist, der uns die Schuld abnehmen und tilgen kann und will, wenn wir ihn anrufen«, sagte Frau Maxa.

Der Baron schwieg.

»Baron Bruno, darf ich noch etwas sagen als alte Freundin?« begann Frau Maxa wieder.

»Alles, was Sie wollen; Sie werden mir nur Gutes sagen als meine alte Freundin Maxa«, erwiderte der Baron.

»Sie sind dem Namen Salo bis jetzt immer ausgewichen. Sie haben die Bitte, auch ihn aufzunehmen, nicht hören wollen; mit diesem Namen sind Ihnen bittere Erinnerungen verflochten. Aber Baron Bruno, Sie berauben sich selbst eines grossen Gutes, wenn Sie den Jungen, der diesen Namen trägt, fernhalten.«

Frau Maxa wurde immer wärmer.

»Lassen Sie ihn herkommen, wenn auch nur für kurze Zeit, dass Sie ihn doch einmal sehen! Wenn Sie es nicht aus Verlangen tun können, den zu sehen, der ein Reichtum und die Freude Ihres Lebens werden könnte, so schliessen Sie ihm das Tor der Heimat auf, weil es vor Gott das Rechte ist, so zu handeln, das fühlen Sie so gut wie ich.«

Der Baron schwieg eine Weile noch, dann sagte er: »Salo soll heimkommen.«

Frau Maxas Gesicht leuchtete hell auf vor Dank und Freude. Noch vieles hatten die beiden nun zu beraten und zu besprechen. Noch sassen sie unter der Föhre, als die Strahlen der scheidenden Sonne durch die Zweige glänzten und um das graue Schloss einen rosigen Schimmer der Verklärung woben. Eben kehrten die Kinder, die Wiesen heransteigend, nach der Terrasse zurück. Alle waren über und über mit Efeu, rotem Mohn und blauen Kornblumen bedeckt. Wie ein wandelnder Garten war der nahende Zug anzuschauen. In ihrem vollen Schmuck stürzten sie jetzt alle dem Sessel zu; denn die Apollonie hatte ihnen ein Zeichen gegeben, dass der Abendtisch noch einmal der Gäste harrte. Das war nun ein Triumphzug, als der Herr Baron, auf seinem Sessel thronend, das Löwenfell auf den Knien, von der blumenbedeckten Schar umgeben, dahergefahren kam. Am liebsten hätten die Kinder die Fahrt noch eine weite Strecke hin fortgesetzt. Mit grösstem Vergnügen wollte der Baron ein andermal eine solche Fahrt ins Land hinaus unternehmen, sagte er auf ihre Bitten, heute war nun keine Zeit mehr dazu da.

Als nach fröhlich beendetem Abendessen die Mutter das Zeichen zum Aufbruch gab, war es kein Zeichen zu betrübender Trennung. Schon hatte der Herr Baron angeordnet, Leonore sollte, von allen ihren Freunden begleitet, schon in wenig Tagen ihren Einzug im Schloss halten, und dann würde ja erst recht ein Hin- und Herbesuchen beginnen, das kein Ende nehmen würde.

Als der Baron Mäzlis Hand zum Abschied schüttelte, sagte er: »Mäzli hat mich zuerst aufgesucht und alle anderen nach sich gezogen, Mäzli bleibt meine besondere Freundin.«

»Ja, das will ich«, sagte Mäzli fest entschlossen.

Leonore nahm zuletzt von allen einen zärtlichen Abschied von ihrem Onkel. Da flüsterte sie noch einmal in sein Ohr: »Onkel, lieber Onkel, darf Salo auch heimkommen? Darf er bald kommen?«

Ein deutliches Ja war diesmal die Antwort. Jetzt war Leonores Herz so voll von überströmender Freude, dass diese noch einen Ausdruck finden musste.

»Oh, Tante Maxa«, rief sie, »können wir nicht unser Abendlied hier oben singen? Ich möchte so gern das Lied singen, das meine Mutter hier so oft gesungen hat.«

Frau Maxa war ganz einverstanden. Nun stellten sie sich alle um den Sessel des Schlossherrn her, und nachdem die Mutter angestimmt, sangen die Kinder alle mit.

»Herr, der du alles wohl gemacht,
Ich will nichts, als was du willst schenken,
Du machst es nicht, wie wir gedacht,
Du machst es besser, als wir denken.«

Nun musste der Heimweg angetreten werden. Solange nur noch ein Pünktchen vom Schloss zu erkennen war, schauten die Kinder immer noch einmal zurück. Der Tag da droben war gar zu schön gewesen.

Am anderen Tage gingen drei Briefe an Salo ab. Zwei, die von Bruno und Leonore geschrieben waren, ganz voller Entzücken über das wundervolle Ereignis, dass der Onkel hier war, und den unvergleichlichen Tag, den man bei ihm auf dem Schlosse zugebracht hatte; der dritte von Frau Maxa, der dagegen Salos Entzücken im höchsten Masse wachrief: Er erhielt den Ruf herzukommen, um die neue Heimat kenne zu lernen.

Mit Blitzesschnelle hatten sich in Nollagrund und weit darüber hinaus die Nachrichten verbreitet, Baron Bruno sei heimgekehrt, Apollonie sei wieder auf dem Schlosse als die alte regierende Schlossapollonie, dazu noch mit dem Enkelkind. Baron Salos Tochter sei auch da, der Sohn werde noch nachkommen, und die ganze Familie der Frau Pfarrer Bergmann habe einen ganzen Tag auf dem Schloss zugebracht, da sei eine unerhörte Freundschaft zwischen den zwei Familien entstanden.

Wenige Tage nach dem Festtag auf dem Schloss erschien die Frau Amtsrichter zum Besuch bei Frau Maxa. Sie teilte dieser mit, sie und ihr Mann fänden, das beste sei nun, wenn doch der Sohn von Baron Salo nun auch hierherkomme, man sorge gleich dafür, dass er auch in dem Hause in der Stadt ein Zimmer finde, wo ihre beiderseitigen Söhne wohnen würden. Dass so die Söhne der drei Hauptfamilien einer Ortschaft zusammenwohnen, sei sehr gut und wünschbar für alle, und wenn man sage, der Junge sei der Sohn eines Barons, bekomme er natürlich schon noch ein Zimmer in diesem Hause, wenn auch die Anfrage etwas spät geschehe. Der Schrecken vor diesen Verhandlungen mit der Frau Amtsrichter war vorüber für Frau Maxa. Sie sagte, der Herr Baron gedenke wohl, seinen Neffen herkommen und das Gymnasium der Stadt besuchen zu lassen. Er werde aber seine eigenen Anordnungen für den jungen Herrn treffen, das wisse sie von ihm selbst. Die Frau Amtsrichter bemerkte, das werde nun wohl nicht so unumstösslich sein, wie die Frau Pfarrer anzunehmen beliebe; ihr Mann werde auch noch ein Wort mit dem Herrn Baron sprechen können, dann entfernte sie sich. Bald nachher kam Loneli gelaufen, es musste durchaus mit Mea sprechen.

»Denk nur, Mea«, sagte das friedliebende Loneli hocherfreut, als diese herbeigekommen war, »Elvira lässt dir sagen, sie wolle nun wieder gut mit dir sein; aber dann müssest du sie mit Leonore bekannt machen, dass sie auch Freundinnen werden, und in der Schule wolle sie neben Leonore sitzen.«

»Das nützt nichts mehr, es ist mir auch gleich, ob sie nun lieber gut oder böse ist«, sagte Mea ruhig. »In die Schule kommt Leonore nicht, und ich komme auch nicht mehr; denk, Loneli, es kommt ein Fräulein aufs Schloss, die gibt uns allen Unterricht, und du musst auch einige Stunden mit nehmen und auch nicht mehr in die Schule gehen; ich weiss es, der Herr Baron und meine Mutter haben es ausgemacht.«

Loneli wusste vor freudigem Erstaunen nicht, ob es auch recht gehört hatte. »Dann komme ich niemals mehr auf die Schandbank«, sagte es dann mit strahlendem Gesicht, als sei seines Herzens einzige, aber schwere Sorge von ihm abgefallen.

»Nun frage du Leonore selbst, ob sie mir Elvira bekannt werden will, sie soll nur selbst antworten«, sagte Mea, als eben Leonore herantrat.

Lonelis Auftrag machte keine Eindruck auf Leonore. Sie verlangte nach keiner neuen Bekanntschaft. Alle Zeit, die sie nicht mir ihrem Onkel verlebe, wünsche sie mit Mea oder in ihrer Familie zuzubringen, sagte sie. Am allerwenigsten würde sie wünschen, eine Bekannte zu haben, die ihrer Freundin Mea die Freundschaft aufgekündigt hatte.

Onkel Phipp war wieder auf einer seiner Geschäftsreisen gewesen, darum so lange nicht mehr im Hause der Frau Maxa erschienen. Bei seiner Heimkehr fand er ein Briefchen seiner Schwester mit folgendem Inhalt vor: »Komm sobald Du kannst, uns zu besuchen, damit Du Leonore noch bei uns triffst. In den nächsten Tagen wird sie in das Schloss einziehen und mir ihrem Onkel leben. Wie sich alles zugetragen hat, erzähle ich Dir.«

Gleich am anderen Morgen kam er herangestürmt. Er war so erfüllt von seinem Eindruck, dass er sofort losbrechen musste, als er auf dem Hausflur mit seiner Schwester zusammentraf: »Hab ich’s doch gedacht, Maxa«, rief er in Aufregung aus, »dass du bei der ersten Gelegenheit diese Taube in des Geiers Krallen liefern würdest. Hätte ich sie dir nur nie übergeben!«

»Komm herein, Phipp, und setz dich zu uns, wir gehen gleich zu Tisch«, sagte Frau Maxa gelassen, »dann frag du die Taube selbst, wie ihr des Geiers Krallen vorkommen.«

Onkel Phipp öffnete die Tür. War er erfüllt von seinem Eindruck, so waren es die Kinder noch viel mehr von dem ihrigen. Kaum hatte er die Schwelle betreten, so stürzten sie allesamt auf ihn los und überschwemmten ihn mit einer solchen Flut von Freudenmitteilungen, dass er nicht wusste, wo er hinhören sollte. Eine Frage war unnötig. Alle Mitteilungen begannen und endeten wieder mit dem lieben, lieben Herrn Baron, dem herrlichen Onkel, dem guten, guten Herrn Schlossvogt; denn das Mäzli liess nicht von seinem Titel.

»Du siehst, Phipp, du kannst nicht mehr gegen den Strom schwimmen«, sagte Frau Maxa, als sie nach Tisch wieder mit ihrem Bruder allein war. »Das beste wäre, du würdest deinem alten Freunde droben einen Besuch machen; nachher gehörtest du zum Kreise seiner Verehrer und ständest nicht allein draussen.«

Onkel Phipp wehrte sich schrecklich gegen diesen Vorschlag.

»Baron Bruno hat mit einem Ton alter Anhänglichkeit von dir gesprochen, den du nicht verdienst«, sagte die Schwester. »Freilich hat er hinzugefügt: ‘Der wird ja nichts mehr von mir wissen wollen’, und ich konnte natürlich nichts dagegen sagen.«

»Ja, so bin ich denn auch nicht, Maxa«, fuhr der Bruder auf, »dass ich die Hand eines alten Freundes zurückstiesse, wenn er mir sie bietet, und wenn er das Recht und den Frieden will. Wird er denn Salos Sohn auch in seine Rechte eintreten lassen?«

»Schon ist an den jungen Salo die Nachricht abgegangen, dass er in das Haus seiner Väter als in seine Heimat einziehen darf«, entgegnete Frau Maxa.

»Ich gehe spazieren«, sagte Onkel Phipp, riss seinen Hut von der Wand und war verschwunden. Frau Maxa wusste, wohin er spazieren ging. Als das Abendbrot wieder alle zusammenrief, fehlte Onkel Phipp, aber nicht lange. Da war er schon, setzte sich schnell hin und schaute mit vergnügten Blicken um sich.

»Leonore«, sagte er jetzt, »wenn du dann auf dem Schlosse waltest, so werde ich auch ab und zu dein Gast sein. Eben war ich bei deinem Onkel, wir machten Geschäfte ab. Ich sagte, das Gut sei verwildert, es habe einmal anders ausgesehen. Dein Onkel meinte, er verstehe nichts von der Sache und sei krank. Ich sagte, ich verstünde etwas davon und sei gesund. Und da ich eine alte Anhänglichkeit an das Gut habe« — hier wurde Onkel Phipp plötzlich heiser —, »Maxa, dein Pflaumenkuchen ist so süss, man wird heiser davon« — denn dass ihm eine Rührung in den Hals gefahren war, wollte er nicht zugeben, »so haben wir ausgemacht: ich nehme die Sache in die Hand, und so werde ich öfters auf dein Schloss kommen.«

Dass Onkel Phipp nun auch noch zum Schlosse gehörte, rief einen lauten Freudenlärm der Kinder hervor, dem die Mutter, wenn auch leise, nicht weniger lebhaft beistimmte. Dass dieser Friede geschlossen würde, war ja schon lange der grosse Wunsch ihres Herzens gewesen.

Jetzt war der letzte Abend vor Leonores Übersiedelung nach dem Schlosse gekommen. Aber keine drückende Traurigkeit lag mehr auf den Gemütern, wie in den Tagen, da die Reise nach Hannover in Aussicht stand. In der fröhlichsten Stimmung sassen die Kinder alle auf einem Häufchen und schmiedeten die schönsten Pläne für die kommenden Tage. Eben ging die Tür auf — ein Jubelgeschrei, wie jetzt aus allen Kehlen ertönte, war noch nicht gehört worden: »Salo! Salo! Salo!« Ohne es zu wissen, war er gerade am rechten Tage erschienen, um heute noch einen herrlichen Abend im Hause der besten Freunde zu verleben und morgen mit der Schwester, von den Freunden begleitet, in die Heimat einzuziehen. Diesem ungeahnt schönen, unvergleichlichen Festtage folgte eine Reihe von Tagen, die alle zusammen Festtage genannt werden konnten, war ja doch jedes wiederkehrende Zusammensein der Kinder auf dem Schlosse ein neues Fest für sie alle. Und dass die Freudentage nicht zu Ende gingen, dafür sorgte der Herr Baron; denn wenn Frau Maxa um seinetwillen einmal eine Pause eintreten lassen wollte, liess er es nicht geschehen, sondern sagte, die Pausen kämen von selbst.

Kurt hatte schon bald Salo und Bruno angezeigt, im Erdgeschoss des Schlosses müsse sich ein grosser Waffensaal befinden. Die Jungen wandten sich an Apollonie, und diese führte sie durch ein Nebenpförtchen in den Saal, während Herr Trius den Schlüssel der Hauptpforte sorglich versteckt hielt. Salo kam gleich auf den Einfall, den geharnischten Ritter auf seine Schultern zu nehmen; auch der lange blaue Reitermantel, der danebenhing, wurde umgeschlagen, und so wanderte er als schreckhafter Riesenritter den Saal auf und nieder. Kurt sah den Geist von Wildenstein vor sich, genau wie er ihn gesehen hatte. Nun war er gründlich im klaren über die Erscheinung. Nur allein dem Loneli vertraute er diese gänzliche Befriedigung an. Es war gerade, was Loneli im Sinne getragen hatte, den Kurt einmal in den Waffensaal einzuführen, damit er seinen geharnischten Ritter sehen könne.

Salo hatte mit seinem gewinnenden Wesen den Onkel bald so eingenommen, dass dieser jetzt mit lebhafter Teilnahme die Unterbringung des Neffen in der nahen Stadt und dessen ferneren Studiengang anordnete. Dass Salo und Bruno fortan zusammenbleiben und ihre Studien- und ihre Ferienzeiten ungetrennt zusammen verleben sollten, hatte der Baron zur ungeheuren Freude der beiden Freunde von vornherein bestimmt.

Als die Ferienzeit zu Ende und der Herbst gekommen war, mussten Salo und Bruno Abschied nehmen und nach der Stadt zur Schule ziehen. Aber es war kein schwerer Abschied, die Trennung sollte nie lange dauern. Alle paar Wochen sollten die beiden den Sonntag in der Heimat zubringen, für alle längeren Ferienzeiten würden sie ja erst recht zurückkehren und alles herrliche Zusammenleben konnte wieder fortgesetzt werden. Bald schrieb Bruno an die Mutter, sie möchte nur ihre leiseste Besorgnis noch fallen lassen, mit den Brüdern Knippel könne nie mehr eine öfter doch sehr notwendige Abrechung stattfinden. Salo und er kämen durchaus in keine Berührung mit ihnen.

Wenn Frau Maxa daran denkt, was sie sich in ihrer Angst vor den vorausgesehenen, ihr vor allem schrecklichen Zornanfällen für Auswege zu finden abgemüht hatte, dann sagt sie mir frohem Dank im Herzen:

»Du machst es nicht, wie wir gedacht,
Du machst es besser, als wir denken.«

Apollonie, die nun auf dem Schlosse als die echte alte Schlossapollonie regiert, lebt mit Herrn Trius in ungestörtem Frieden; den will sie um ihres Herrn willen, darum findet sie auch gut den Weg, ihn zu erhalten. Ihren Herrn und sein Töchterchen besorgt sie so vortrefflich, dass alle beide neue Kräfte gewinnen und der Baron jetzt an sonnigen Tagen zu sehen ist, wie er, auf Leonore gestützt, auf der Schlossterrasse hin- und herwandert und wie seine junge Führerin ihn in zärtlicher Sorgfalt vor aller Ermüdung zu schützen sucht. Oft ertönt aus den offenen Fenstern des Schlosses ein lieblicher Gesang. Leonore hat die Stimme ihrer Mutter geerbt, und ihres Onkel grösste Freude ist, das sie ihm die alten Lieder singt, die vor Jahren so oft hier erklungen waren. Nun sagen die Leute in Nollagrund: »Der Geist von Wildenstein ist ganz verschwunden, es geht ihm da oben zu friedlich zu.«


 << zurück