Carl Spitteler
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Carl Spitteler

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Ein jähes Ende

Am Morgen des Lichtmeßtages, wo die Menschen die ersten Knospen zu grüßen pflegen, die noch nicht da sind, begab er sich wie gewöhnlich zu ihr. «Mein Mann ist im Studierzimmer; wollen Sie, bis ich mit dem Aufräumen fertig hin, einstweilen ihm Gesellschaft leisten?»

Er stutzte. Was für eine neue Sprache! Schickt mich zu ihrem Mann! Hat sie etwa gebeichtet? Eine Auseinandersetzung? Meinetwegen; laß hören; ich bin immer so eingerichtet, daß ich jederzeit jedem Menschen ins Auge sehen darf.

Der Eintritt in das rauchdurchqualmte Stübchen beruhigte sein Blut; so raucht kein Richter. «Aha, willkommen, Sie sind's», scholl es ihm treuherzig entgegen. «Sehen Sie, da schickt mir der Buchhändler soeben wieder so einen Weiberfresser von Philosophen. Sie machen ja doch wahrscheinlich auch nicht mit? Oder was ist denn nun eigentlich Ihre Meinung von den Frauen?»

Eine schwierige Frage! und ein verfängliches Thema! Immerhin, besser an dem Fittich der Theorie gefaßt zu werden als persönlich, denn der ist ziemlich unempfindlich. Die Gerichtsverhandlung über die Frauen nahm denn auch einen friedfertigen, würdigen Verlauf, mit ordentlichen Gedankenschritten, gemessenen Urteilen und willigen Zugeständnissen von beiden Seiten. Wie jedoch Viktor im Eifer seines Frauenlobes den Satz fallenließ: «Ohne die Frau möchte ich überhaupt nicht leben», bemerkte der Statthalter trocken: «Aber jeder mit seiner eigenen Frau, nicht wahr?»

Was war das? Ein Merks?

Einige Redereihen später, als die Grenzen des weiblichen Horizontes abgesteckt wurden und Viktor eben darauf hinwies, welch ein beschämendes Urteil in der Tatsache verborgen liege, daß alle Welt, auch die weibliche, es für selbstverständlich erachte, die Rolle einer jungen Frau in einem Theaterstück könne einzig eine Liebesrolle sein, öffnete Frau Direktor behutsam die Tür. «Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich Sie in Ihrer gelehrten Unterhaltung störe», hauchte sie zaghaft; «erschrecken Sie übrigens nicht, ich verschwinde im Augenblick.» Mit diesen Worten trippelte sie zum Bücherschrank, kauerte in anmutiger Haltung zu Boden, kramte, ab und zu die ungefügen Locken zurückwerfend, unter den Folianten, und schnellte dann plötzlich, ein Büchlein in der Hand, mit federndem Schwung wieder empor. «So; jetzt sind Sie erlöst», tröstete sie, während sie in ängstlichen Sprüngen auf spitzen Zehen zur Tür hinausflüchtete.

«Jedenfalls ihre einzige Rolle», schmunzelte der Statthalter, «spielen sie gut; im Leben wie auf der Bühne.»

Gleich darauf ertönte ein weicher Klavieranschlag, und ihre Stimme verklärte das Haus. Davor überquoll dem Viktor das Herz. «O mein Gott», stöhnte er, «ist das schön! ist das rein! ist das edel!» Und unversehens stürzten ihm die Tränen über die Wangen, so daß er hastig aufsprang und sich am Bücherschrank zu schaffen machte.

«Das kann ich nun gerade nicht finden», versetzte der Statthalter, «daß das rein und schön sei, wie sie das singt; man sollte sich eben überhaupt nie an ein Stück wagen, das man nicht kann und das einem zu hoch liegt.»

Darauf wollte er das Gespräch zurücklenken. Allein Viktor war von dem unsichtbaren Gesange dermaßen gebannt, daß er nichts andres sonst wahrnahm. «Wenn sie doch nur endlich aufhörte! sie singt einem ja das Herz aus dem Leibe.»

Endlich hörte sie auf, und es gelang ihm, sich in geziemender Fassung zu verabschieden.

«Kommen Sie morgen abend zum Tee», begehrte ihre dringliche Bitte, während sie ihre Hand in der seinigen ruhen ließ, «ganz unter uns; niemand als Sie und mein Mann; meine Wenigkeit ungerechnet, die Sie schon mit in Kauf nehmen müssen.» Und bedeutungsvoll flüsternd fügte sie hinzu: «Es gibt nämlich Schlagsahne.» Das war mit einem Ton gesagt, als ob die Schlagsahne den Hauptanziehungsgrund vorstellen sollte. «Also morgen abend!» wiederholte sie, mit dem Finger drohend, «ich zähle darauf»

Jetzt was? hat er etwas gemerkt, der Statthalter, oder hat er nichts gemerkt? Aus diesem behäbigen Pascha wurde er nicht klug. Übrigens nur um so besser, wenn er etwas gemerkt hat (zuviel ist nicht nötig), so war er die leidige Geheimtuerei los und zugleich einer geschmacklosen Beichte enthoben. Nun kommt's recht; genauso hatte er sich's von jeher ausgedacht gehabt: eine einmütige Ehe zu dreien, wo er seinem getreuen Statthalter Imagos Leib und jener ihm zum Dank dafür Imagos Herz und Seele überließ; so tat keiner dem andern Abbruch. Die Vormittage ihm, dem Statthalter die übrige Zeit; der durfte sich wahrlich nicht beklagen, er wäre bei der Teilung zu kurz gekommen. Also morgen abend soll der Dreibund geschlossen werden. «Bei einem Teller voll Schlagsahne», spöttelte ein Gedanke. «Nun, warum nicht ebensogut Schlagsahne wie Wein? Oder hat man etwa zu einem ehrlichen Vertrage Gift nötig?» Und mit innigem Glück verglich er diese Schlagsahne mit jener andern, über welcher er ihr einst zuerst wiederbegegnet war, damals, vor Monaten, bei Frau Regierungsrat Keller. Eine hübsche Strecke Weg zurückgelegt, Viktor, findest du nicht? Von der verächtlichen Gleichgültigkeit am Anfang bis zur heutigen Herzinnigkeit! Und noch stehen wir ja erst am Anfang. O Wonne des Ausblicks!

Darob trendelte er vergnügt durch die Straßen der Stadt, leise vor sich hin singend und mit den Händen ein himmlisches Orchester leitend.

Da begegnete ihm Frau Steinbach. «Kommen Sie heute nachmittag zu mir», verlangte sie kurz, im Vorbeigehen, mit fremder Stimme, «ich habe mit Ihnen zu reden.»

Verstimmt, wie von einem kalten Regenschauer überrascht, trieb er weiter; nunmehr ohne Musikbegleitung. «Ich habe mit Ihnen zu reden.» Ob er schon nicht von ferne erriet, was in aller Welt die Rede aufrühren werde, ahnte ihm doch Verdrießliches; denn es ist selten etwas Erfreuliches, wenn jemand mit einem «zu reden hat». Meinetwegen; ich schüttle es ab wie die Ente das Wasser. Einzig Theuda-Imago bestimmt mein Heil oder Unheil; bei ihr steht ja gegenwärtig alles aufs herrlichste.

«Mein Herr, Sie machen sich lächerlich», empfing ihn Frau Steinbach streng und kalt, ohne ihn anzublicken.

Unwille verfinsterte sein Gesicht. «Womit?»

«Bitte, verstellen Sie sich nicht; Sie wissen ganz gut, was ich meine.»

«Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen widerspreche. Ich verstelle mich nie und habe keine Ahnung, was Sie meinen.»

«Nun, dann werde ich's Ihnen sagen: mit Ihrem ebenso törichten wie unverantwortlichen Benehmen bei Direktors.»

«Darf ich um Belehrung bitten, was Sie dazu berechtigt, mein Benehmen töricht und unverantwortlich zu nennen?»

«Nun, wenn das etwa nicht töricht ist, eine verheiratete Frau mit Liebesergüssen zu belästigen, die Ihrer Liebe nicht bedarf, der Sie vollkommen gleichgültig sind und wo Sie sich höchstens die Brosamen des Mitleids erbetteln können? Wenn das nicht töricht sein soll! Unverantwortlich aber, oder, falls Ihnen der Ausdruck zu stark klingt, unrecht muß ich es nennen, daß Sie versuchen, sich zwischen rechtschaffene, pflichtgetreue Eheleute hineinzudrängen; glücklicherweise umsonst.»

Jetzt errötete er mit heftigem Blutschwall; zugleich vor Scham und Empörung. Wie das brennt, wenn ein Dritter weiß, was unter vier Augen geschah! Grimmig entgegnete er: «Darüber, was ich verantworten kann oder nicht verantworten, darüber werde ich Herrn Direktor Wyß Rede stehen, wenn er es wünscht, aber nur ihm, niemand sonst. Hier hingegen, wo ich töricht und lächerlich gescholten werde, gestatte ich mir die Bemerkung, daß ich in meinem Gedächtnis Gründe finde, die mich zu der Überzeugung berechtigen, Frau Direktor Wyß gewähre mir denn doch ein wenig mehr als die Brosamen ihres Mitleides und ich sei ihr auch nicht gar so vollkommen gleichgültig, wie Sie in so schmeichelhafter Weise anzunehmen belieben.»

Da wandte sie ihm ihr Gesicht zu und trat einen Schritt näher: «Ach, Sie armer, junger, naiver Herr! Ja, naiv, trotz Ihrem überlegenen Geist und Ihrer Welt- und Menschenkenntnis. Meinen Sie denn wirklich, Sie Ärmster, weil eine Frau Ihre Liebesgeständnisse duldet und nicht ungerne anhört, das beweise das mindeste für ihre Herzensneigung? Natürlich hört sie's gerne; selbstverständlich! Ist das doch ein Triümphlein für sie. Und ein klein, klein wenig Blümleinspielen innerhalb der Grenzen des Erlaubten wird sie sich wohl auch nicht haben entgehen lassen; vielleicht ist sie darin ein bißchen zu weit gegangen, das kann ich nicht wissen. Übrigens, was heißt hier zu weit gehen? was für ein Sittengebot verwehrt ihr denn, mit jemand, der sie in unschicklicher Weise belästigt, umzuspringen, wie sie mag? Sie sind ihr ja doch nicht verwandt; sie hat nicht die mindeste Verpflichtung, Sie zu schonen. Wer eine Frau in eine schiefe Lage bringt, muß sich's eben auch gefallen lassen, wenn es ein bißchen krumm zugeht; das ist sein Fehler, nicht der ihrige. Doch gesetzt selbst den Fall, Sie hätten einigen Eindruck auf ihr Herz gemacht, und das scheint mir, aus Ihren Worten zu schließen, in der Tat der Fall zu sein – es wäre auch nichts Verwunderliches, Sie sind ja doch nicht der erste beste –, was haben Sie damit gewonnen? Ein oberflächliches, flüchtiges Gefühlchen, das beim ersten Ruf des Schicksals zerstiebt. Lassen Sie morgen ihr Kind oder auch nur ihren Mann krank werden, was sind Sie dann? wer sind Sie ihr? Eine Null, nein, weniger als eine Null, ein Abscheu, dessen bloßen Anblick sie nicht einmal erträgt. Frau Direktor Wyß, wie ich Ihnen schon früher sagte, ist eine einfache, brave, gerade Frau, die keinen andern Gedanken hat als ihr Kind und ihren Mann; alles, was Sie bei ihr erreichen können, ist, daß Sie sich bloßstellen und sich unglücklich machen, möglicherweise auch, wenn das sträfliche Spiel fortdauert, daß Sie sie ins Gerede bringen; sie hat ja auch Freundinnen. Jetzt handeln Sie, wie Sie wollen und wie Sie's mit Ihrem Gewissen vereinigen können; ich maße mir nicht an, Ihnen Ihre Pflicht vorzuschreiben. Wie indessen ein geistig hervorragender, selbstbewußter und zum Selbstbewußtsein berechtigter Mensch wie Sie es aushält, von der gnädigen Nachsicht ihres Mannes zu zehren, ist mir unbegreiflich; gefallen Sie sich in dieser Rolle?»

«Ja, weiß er's denn?» stammelte er.


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