Carl Spitteler
Das Bombardement von Åbo
Carl Spitteler

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«Aber Pferde, meine Teuerste, Pferde kosten Geld, Pelageja Iwanowna! Da heißt es einen Kutscher kaufen und Hafer und Stroh. Und der Stall ist auch nicht mehr in Ordnung. Der muß repariert werden.»

«Erbarme dich, Baraban Barabanowitsch, du bist doch kein Kind. Wer sagt denn, wir müßten die Pferde behalten? Das fehlte noch. Für wen? Für die paar Schwedinnen, welche wie Köchinnen gekleidet gehen? Oder etwa für die lutherischen Seelsorger? Dafür dank' ich. Das einzige Erträgliche an diesem verwünschten deutschen Nest ist, daß man wenigstens Ersparnisse machen kann. Balvan Balvanowitsch wird dir die Pferde schon abkaufen. Er hat solche dringend nötig. Erst letzte Woche schrieb er wieder darum nach Petersburg. Übrigens, weil wir eben von Balvan Balvanowitsch sprechen, weißt du, Schatz, im Grunde bleibt er doch ein herzensguter Kerl, obwohl ein bißchen roh und ungebildet; du wirst doch nicht etwa so dumm sein, ihn zu verklagen wegen den paar lumpigen Unregelmäßigkeiten?»

«Keine Gefahr, meine kleine Seele, fällt mir nicht ein. Was geht dergleichen überhaupt die Petersburger an? Ich werde ihm ein wenig den Kopf waschen. Voilà tout!»

Als der Gouverneur seinen Bericht beendet und den Adjutanten mit demselben spediert hatte, rieb er sich die Hände.

«Dumme Kerle, die Engländer!» sprach er spöttisch vor sich hin. «Die haben mit Rubeln bombardiert. Ist es Ihnen vielleicht gefällig, meine Herren, nochmals anzufangen? Stehe zu Ihren Diensten! Bitte sehr, Sie werden mich damit verpflichten!»

Hierauf stolzierte er aufgeräumt nach der Wohnung des Majors, schimpfte denselben, der noch tief in den Federn lag, wach und redete mit unterdrückter Stimme so lange drohend auf ihn ein, bis dieser so gefügig wurde wie ein Ballhandschuh und heilig versprach, nie in seinem Leben wieder für seine Privatrechnung allein stehlen zu wollen.

«Aber Zigarren, Euer Exzellenz», schloß der Major seine Beteuerung. «Zigarren erlauben Sie mir Ihnen anzubieten?»

Der Gouverneur staunte: «Zigarren? Wieso Zigarren? Woher Zigarren?»

Schmunzelnd erklärte der Major: «Echte! von Tenkado am Newskij-Prospekt. Durch eine Stafette gestern erhalten. Feuer, Baraban Barabanowitsch? Wollen Sie Feuer? Da! – Erweisen Sie mir die Ehre! Und für Pelageja Iwanowna ließ ich zweitausend Stück Zigaretten kommen, gestoßene, ‹La Ferme›, starke; diesen Nachmittag, wenn Sie erlauben, werde ich mir das Vergnügen gestatten, dieselben persönlich zu überreichen.»

«Was für ein liebenswürdiger Kavalier Sie im Grunde doch sind, Balvan Balvanowitsch. Immer aufmerksam. Immer galant. Meine Frau sehnt sich schon lange nach Zigaretten. Denken Sie sich, ich bitte Sie, Sie glauben es gar nicht, sie hat nur noch achtzig Stück. Und bei dem Krieg, wo soll man da in der Eile neue schaffen? Man hat gut reden, es bleibt doch oft eine recht unangenehme Sache, so ein Krieg. Ich habe die Ehre, Balvan Balvanowitsch! – Auf das Vergnügen!»

Als der Gouverneur gegen seinen Palast zurückkehrte, gewahrte er zu seiner Überraschung eine Menge Volk vor demselben.

«Nun, was, Bruder?» fragte er einen Soldaten.

«Ein englischer Parlamentär, Euer Exzellenz.»

«Wie? Fängt die Geschichte von neuem an?»

«Haarscharf genau, Exzellenz, wie Sie sagen. Von neuem fängt sie an, scheint es. Das heißt, wenn Sie es befehlen, Exzellenz.»

Lachend eilte der General in seinen Palast und rief dem Parlamentär schon von weitem entgegen: «Eine zweite Bumbardirovka? Ich stehe zu Ihren Diensten.»

Der Engländer antwortete nach kurzem, steifem Gruß phlegmatisch: «Nein, Exzellenz, wir fahren heute weiter; ich bin gekommen, den Schaden abzuschätzen und zu vergüten.»

Baraban Barabanowitsch glaubte im ersten Augenblick, sich verhört zu haben. Doch da er für das Bezahlen anderer stets offene Ohren und einen aufgeweckten Sinn hatte, schickte er sich mit wahrer Genialität blitzschnell in die neue Lage und begann sofort mit dem Schrauben der Entschädigungssumme.

«Der Spaß kostet Sie sechshunderttausend Rubel, meine Herren, keinen Kopeken weniger. Sie können den Preis für ein Geschenk halten. Eine ganz neue, prächtige Ziegelei, erst vor vier Monaten aufgebaut mit Wohnhaus und Scheune und Garten und funkelnagelneuen Möbeln. Ein wahres Schmuckkästchen, sage ich Ihnen. Sechshunderttausend Rubel auf die Hand, oder wir lassen Ihr Schiff in die Luft sprengen. Sie müssen wissen, daß Sie sich in einer Mausefalle befinden. Auf den Schären haben wir maskierte Batterien rings um Sie herum, und der ganze Meeresboden ist unterminiert.»

Allein der Engländer bestand darauf, den Schaden selber abzuschätzen. Man verband ihm die Augen und führte ihn unter fortwährendem Drauf- und Dreinreden an die Brandstätte, und mit jedem Schritte wurde der Schaden größer.

«Vierhunderttausend Rubel», erklärte ruhig der Parlamentär, nachdem er die Ruinen gemustert.

Ein Murmeln des Erstaunens, ja der Bewunderung begrüßte die Summe, welche den Verlust um das Sechsfache übertraf. Bloß der Gouverneur nahm mit verzweifelten Gebärden alle Heiligen diesseits und jenseits des Ural zum Zeugen, daß er elendiglich bestohlen werde. Endlich, als der Parlamentär sich anschickte, abzuziehen, seufzte er: «Sie zählen auf die russische Gutmütigkeit, mein Herr! Sie wissen, daß der Russe ein Kind ist, dem man alles bieten darf. Nun, Sie haben recht, von diesem Fehler werden wir uns niemals gänzlich befreien, wenn wir auch noch so oft deshalb von Europa übervorteilt werden. In Gottes Namen denn, geben Sie her, wenn es nicht anders sein kann, um des lieben Friedens willen.»

«Wo ist der Eigentümer?» heischte der Engländer.

Der Gouverneur wurde totenblaß.

«Wieso der Eigentümer?» knirschte er; «meinen Sie etwa, ich wollte die Summe unterschlagen?»

Der Parlamentär beharrte auf seinem Begehren und blieb gelassen eine halbe Stunde lang stehen wie eine Schildwache, bis Tullela in der Kirche aufgefunden und in seinem Chorrock dahergebracht wurde. Jetzt verlangte jedoch der Engländer überdies den Bürgermeister als Zeugen, und als dieser anrückte, mußte er wieder heim, weil er vergessen hatte, seine Schärpe anzuziehen. Dann hatte er die Schärpe über die linke Schulter gehängt statt über die rechte. Die Spannung wurde immer größer, und schon argwöhnten die Bürger, diese Verzögerungen möchten bloß einen Vorwand abgeben, um schließlich die Zahlung zu verweigern; da ließ der Parlamentär sein «alles in Ordnung» vernehmen, und ohne weiteres öffnete er seine mit Banknoten gefüllte Briefmappe.

«Ich glaube, Sie sind verrückt», schnaubte der Gouverneur; «Sie werden doch dem Hundesohn für seine elende, lumpige, verschimmelte Baracke nicht vierhunderttausend Rubel auszahlen! Der Kerl bestiehlt Sie auf die empörendste Weise. Nicht vierzigtausend, nicht zwanzigtausend, nicht zehntausend ist sie wert. Geben Sie dem Halunken ein Trinkgeld und einen Tritt in den Rücken, und Gott mit ihm.»

Der Engländer kehrte sich nicht im mindesten an die Wut des Generals, sondern zählte Tullela das Geld in die Hand und ließ sich vom Bürgermeister einen Schein dafür ausstellen. Hierauf erklärte er seine Mission für beendet, winkte, daß man ihm die Augen verbinde, und marschierte blindlings nach dem Hafen, geführt von einem Soldaten und begleitet von einer ungeheuren, stets wachsenden Volksmenge, welche ehrerbietig die Mütze in der Hand trug.

Am Nachmittag, während die Fregatte eben zur Abfahrt nach Björneborg die Anker lichtete, schaukelte ein halbes Dutzend Fischerboote mit weißen Flaggen durch die Schären. Einzeln wurde die Mannschaft aufs Verdeck zugelassen, mit Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln und Pedanterien. Es waren biedere finnische Bauern, unbewaffnet, verlegen und nicht wissend, was sie sagen sollten, die Mütze in der Hand drehend. Endlich begann der Führer: «Erre Majori, wir wohnen auf der zweiten Schäre, dort gegenüber der Flußmündung. Das Leben ist schwer in diesen Zeiten, Erre Leutenanti! Nach Tukholmi verkaufen können wir nicht wegen des Krieges, und in Finnland ist kein Geld. Und so haben wir gedacht, Erre Kapitäni, weil wir doch beide Lutheraner sind, Erre Kennerali, ein bißchen – Sie wissen, Pummi, Tulipummi, Pumpartirowaniri unser Dorf, Erre Atmirali, wenn Sie so gut sein wollen, bitten wir.»

Ähnlich lautete das Begehren der übrigen Deputationen. Und auf dem ganzen Wege nach Björneborg erging es ihnen gleich. Vor Björneborg aber, außerhalb der Schären, lag eine ganze Flottille bereit, so daß die Engländer, entsetzt über den übermächtigen Bombardementseifer, eilends nach Süden abschwenkten, in der Hoffnung, um Helsingfors eine etwas zugänglichere, feindseligere Bevölkerung zu treffen.

 

Es mochten ungefähr drei Wochen nach dem Abzug der Engländer verflossen sein, Agafia hatte hochzeitshalber trotz allen Bitten und Drohungen ihren Dienst verlassen, ihrem Lohn entsagend, den sie übrigens nachträglich aus Gnaden doch zugesandt erhielt, da ging es eines Morgens im Arbeitszimmer des Gouverneurs unheimlich zu. Baraban Barabanowitsch und Balvan Balvanowitsch saßen kleinlaut in der Mitte des Zimmers, bleich, wie zwei arme Sünder, immerfort nach Luft und Ausreden hustend. Am Tisch aber schrieb ein feiner, vornehmer Junge im elegantesten Zivilanzug, eine Zigarette paffend. Von Zeit zu Zeit führte er eine nachlässige, drehende Handbewegung aus, guckte über seine Schulter halb rückwärts und richtete mit dünner, scharfer Stimme eine Frage an den einen oder den andern oder auch an beide zugleich.

«Am 2. Juni, meine Herren, haben wir Ihnen auf Ihr Verlangen dreitausend Gewehre zugeschickt. Ist es Ihnen vielleicht nicht unangenehm, mir mitzuteilen, was aus denselben geworden ist?»

Der General und der Major husteten vergebens nach einer Ausrede.

«Gut. Ich begreife. Ich danke Ihnen. Geben Sie sich weiter keine Mühe. Aber vielleicht wollen Sie mir jetzt gefälligst Auskunft darüber erstatten, wenn ich Ihnen damit nicht allzu viele Mühe zumute, warum die Schanzen zum Schutz der Küste, für welche Sie seit zwei Jahren Geld und Material bezogen haben, noch nicht in Angriff genommen worden sind?»

«Wieso nicht in Angriff genommen worden!», pustete Balvan Balvanowitsch mit erkünsteltem Zorn. «Sie können ja den Graben dort beim Schlosse sehen, Feodor Grigorowitsch! Mit eigenen Augen können Sie ihn sehen, Feodor Grigorowitsch! Bitte, bemühen Sie sich, ich will Ihnen denselben zeigen.»

Hiemit erhob er sich.

«Ganz unnötig, Balvan Balvanowitsch! Ich möchte Ihnen nicht die Unbequemlichkeit veranlassen. Bitte, nehmen Sie wieder Platz. Ich setze nicht den mindesten Zweifel in die Wahrheit Ihrer Behauptungen. Der Graben befindet sich beim Schlosse, Sie sagen es, darum glaube ich es. Ich glaube es um so mehr, als er schon seit sechsundzwanzig Jahren dort steht und bereits fünfmal von uns bezahlt worden ist, wie ich Ihnen aus meinen Papieren beweisen kann, wenn Sie sich die Mühe nehmen wollen, sich davon zu überzeugen.»


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