Carl Spitteler
Das Bombardement von Åbo
Carl Spitteler

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«Ich gebe zu», bestätigte die Gouverneurin mit ihrer tiefen, wohlklingenden und ewig lamentierenden Altstimme, «jeder nimmt, was er kann; dafür hat man ja den Staat und die Regierung. Nicht umsonst ist er Major und hat eine Kasse zu verwalten. Aber man muß immerhin bescheiden sein und dafür sorgen, daß die andern auch etwas erhalten. Und vor allem darf das Vaterland nicht darunter leiden. Du hast doch hoffentlich nach Petersburg wegen Zigaretten geschrieben? Nein? Da hört doch alles auf. Ich habe ja nur noch ein einziges Kistchen! Was sollten wir um Gottes willen hier anfangen, wenn wir keine Zigaretten mehr hätten? – Um aber auf die Agafia zurückzukommen, was meinst du?»

Der General zuckte ratlos die Achseln.

«Ich will sie einmal rufen», fügte sie hinzu und klatschte in die Hände.

Sogleich erschien Agafia auf der Schwelle.

«Sie haben mich befohlen, Herrin?» fragte sie höflich.

«Ja, um dir zum letztenmal zu erklären, daß ich dir niemals gestatte, zu heiraten.»

Agafia verbeugte sich.

«Erlauben Sie, Gebieterin, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß das etwas Kleines ist, was Sie gestatten oder nicht gestatten. Wenn es Gottes Wille ist, so werde ich, wenn Sie es erlauben, heiraten. Soll ich das Auerhuhn – verzeihen Sie, daß ich frage – mit einer schwedischen Sauce bereiten wie das letzte Mal?»

«Erbarme dich, Närrin! Wie kannst du so dumm fragen? Wer kocht einen Wildvogel in einer russischen Sauce! Aber komm jetzt einmal her und sage mir offen, hast du dich über mich zu beklagen, daß du durchaus heiraten willst?»

«Erbarmen Sie sich, Gebieterin! ich mich über Sie beklagen? Solch eine gnädige, gute, liebe Gebieterin! die mir noch zu Ostern ein neues Kleid geschenkt, und was für eins! Ich schäme mich, es anzuziehen, so prächtig sieht es aus. Ich mich über Sie beklagen? Da müßte ich undankbarer sein als ein Tatar!»

Während dieser Worte eilte sie hurtig zu der Gouverneurin und küßte ihr wiederholt die Hand.

«Nun also, warum willst du denn heiraten? Du wirst mir doch nicht weismachen wollen, daß du in den blödsinnigen Finnen verliebt bist? Ein so hübsches Mädchen wie du! Du kannst noch weiß was für einen Mann bekommen. Hat dir denn nicht der Kosakenhetman einen Heiratsantrag gemacht? Und mein Klavierlehrer aus Helsingfors, dem hast du es auch angetan. Du brauchst nur zu wählen, nicht wahr, Baraban Barabanowitsch? – Zudem bist du so jung, daß es mit dem Heiraten durchaus keine Eile hat. Warte, bis mein Mann nach Petersburg versetzt wird, dort will ich dir einen Bräutigam aussuchen, auf den du stolz sein darfst.»

Agafia seufzte.

«Ich weiß ja, Gebieterin, daß Sie es gut mit mir meinen und daß ich nur eine einfältige unverzeihliche Gans bin. Und mein Tullela, das muß man ihm auch lassen, ist dumm wie ein Rentier. Glauben Sie, er sei imstande, einen einzigen Satz im Zusammenhang zu sprechen? Glauben Sie, er sage mir jemals, wie ich hübsch sei oder wie gut mir mein Kleid stehe? Nichts. Einfach nichts. Nur das Maul aufsperren kann er und mich stundenlang angaffen, als wenn ich aus Zucker wäre und statt Blut Johannisbeerbranntwein in den Adern hätte. Aber sehen Sie, Gebieterin, ich weiß nicht, warum: er ist so jung und ganz allein, ohne Eltern, ohne Geschwister, allein in der Welt, wie eine Drossel, die aus dem Neste gefallen ist. Und liebt mich, sag' ich Ihnen, liebt mich, liebt mich, Gebieterin, es ist nicht zu glauben, wie ein Hund, einfach wie ein Hund, weiter nichts. Und da muß ich ihn halt auch gern haben. Was ist da zu machen?»

«So heirate ihn denn meinetwegen; aber das braucht doch nicht gleich zu geschehen, und du hast auch deswegen nicht nötig, aus meinem Dienste zu treten.»

«O du gütiger Gott, Gebieterin, da kennen Sie die Finnen nicht! Die sind nicht so gut wie die Rechtgläubigen. Eifersüchtig sind sie! Eifersüchtig, daß einem ganz angst wird. Und warten will er auch nicht länger, sonst hätte ich Ihnen doch nicht die Verlegenheit bereitet. Aber verzeihen Sie, Gebieterin, ich muß in die Küche, ich habe den Lachs in der Pfanne.»

«Um Gottes willen, das sagst du mir jetzt erst? Und du stehst da und schwatzest das unnützeste Zeug! Spute dich! erbarm dich! schneller!»

Unter der Tür drehte sich Agafia nochmals um: «Erlauben Sie mir, Gebieterin, nach dem Essen ein wenig mit Tullela spazierenzugehen?»

«Was fällt dir ein? Es ist doch heute kein Festtag.»

«Sie sagen alle, es sei heute ein großer Festtag; die Engländer machten eine Bumbardirovka! Es soll sehr lustig werden!»

«Meinetwegen! Gott mit dir! Aber sieh dich vor, daß dich keine Bombe trifft.»

«Ich danke», erwiderte Agafia mit einem freudigen Knicks.

«Es würde auch kein großer Schaden sein», knurrte der General ungnädig.

«Ich danke», wiederholte Agafia lächelnd, indem sie sich gegen den Gouverneur verbeugte. Schon war sie im Begriff davonzueilen, da kehrte sie sich noch einmal verlegen um: «Verzeihen Sie mir, Gebieterin», versetzte sie mit unsicherer Stimme, «würden Sie vielleicht die Güte haben, mir eine Kleinigkeit von meinem Lohn zu schenken?»

Das Gesicht der Generalin verfinsterte sich.

«Wieviel brauchst du?» fragte sie mißmutig.

«Glauben Sie, ein Rubel wäre unbescheiden?»

«Warum nicht gar! Ein Rubel! Du bist nicht bei Trost! Was um alles in der Welt wolltest du mit einem Rubel anfangen? Du hast doch nichts nötig. Vierzig Kopeken reichen vollständig aus.»

Dabei stand sie langsam und widerwillig auf, um sich nach dem Schreibtisch zu bemühen.

«Gib doch dem dummen Ding den Rubel», rief der Gouverneur, «und sie soll lieber nach dem Lachs sehen.»

«Ums Himmels willen! Gut, daß du mich erinnerst. Ja! Schnell in die Küche!»

Der Gouverneur streckte dem Mädchen einen Rubel entgegen. Diese küßte ihm zweimal die Hand zum Dank und ebenso der Generalin, dann hüpfte sie mit dem Rubel freudestrahlend nach der Küche, woher man sie alsogleich das Lied vom «roten Sarafan» singen hörte.

«Schade um das Mädchen», murmelte der General.

«Sie dauert mich, sie wird verlorengehen», bestätigte die Generalin mitleidig. «Aber was ist das eigentlich mit den Engländern? Solltest du nicht vielleicht doch ein bißchen nachsehen?»

«Das fehlte noch! Das geht den Major an. Ich bin hier auf meinem Posten!»

Jetzt hörte man auf dem Platze einen ungewöhnlichen Lärm, welcher sofort verstummte, als der Gouverneur das Fenster aufriß.

«Was gibt es?» rief er mit seiner prächtigen Heroldstimme.

«Sie bringen einen englischen Parlamentär, Exzellenz», gab ein Soldat zur Antwort, die Hand an den Helm legend.

«Sagt ihm, ich sei beschäftigt, und laßt ihn auf der Straße warten.»

«Ich gehorche, Exzellenz.»

Nach einer Weile aber erschien ein Offizier unter der Tür und meldete: «Exzellenz, es fällt Regen.»

«Daran bin ich nicht schuld.»

«Ich meine, ob wir nicht vielleicht den Parlamentär unter Dach bringen sollen?»

«Wozu? Die Engländer können es für eine Gnade halten, daß Gottes Regen auf sie herunterfällt. Es wird ihnen nicht schaden. Sie lieben ja das Wasser. Was ist es übrigens für eine Sorte von Kerl?»

«Ein Marineoffizier, Exzellenz.»

«Siehst du? habe ich dir's nicht gesagt? Laßt ihn nur ruhig stehen.»

Nicht lange darauf erschien ein zweiter Offizier.

«Exzellenz, das Volk wird immer zahlreicher und wütender; wir fürchten, sie werden dem Parlamentär etwas Unangenehmes antun.»

«Wäre auch kein Schade. Geh mit Gott!» Kaum war indessen der Offizier verschwunden, so bereute der Gouverneur das unbesonnene Wort.

«Warte!» rief er dem Abziehenden nach, «führt den Halunken in mein Empfangszimmer. Ich will doch wissen, was er eigentlich von mir begehrt, wenn schon alles erlogen ist, was diese Heuchler vorbringen.»

Nach einigen Minuten hörte man tastende Schritte im Erdgeschoß, und der Gouverneur, nachdem er noch einige Zeit hatte auf sich warten lassen, wollte sich eben zum Empfang bequemen, da zog ein bewaffnetes Peloton im Taktschritt die Treppe herauf, ohne Offizier, nur von einem Feldweibel geführt.

«Was wollt ihr, Hunde?» herrschte der General.

Die Soldaten grüßten ehrerbietig und freundlich.

«Wir möchten Eure Exzellenz untertänigst um eine Gnade bitten», begann der Feldweibel bescheiden.

«Was für eine?»

«Ein bißchen töten», erwiderte jener schmeichelnd.

«Wen töten?»

«Nur den Engländer», lautete die Antwort in kosendem Tone.

Ein Faustschlag erstickte die letzte Silbe des Sprechers.

«Tötet ein Russe einen Parlamentär?» schrie der General bleich vor Wut. «Sind wir Tataren, Deutsche und Türken? Sind wir keine Rechtgläubigen? Jeden, der dem Engländer ein Leid oder nur einen Schimpf antut, lasse ich knuten und erschießen. Hört ihr?»

«Wir hören und gehorchen.»

Damit kehrten sie rechtsum; der Feldweibel aber blieb zurück, richtete sich gerade in die Höhe, während sein ganzer Körper vor Angst zitterte.

«Exzellenz, verzeihen Sie mir; ich glaubte Gott und dem Kaiser zu dienen, indem ich die Welt von einem Engländer reinigte. Man hat mir gesagt, sie töten die kleinen Kinder. Und ich habe selbst Kinder.»

«Was die Engländer tun, dafür wird sie Gott strafen; ein Russe aber hat einen Glauben und tötet keinen Wehrlosen und keinen Parlamentär. Verstehst du?»

«Ich verstehe und gehorche. Verzeihen Sie mir, Exzellenz.»

«Geh zum Teufel!»

Tief aufatmend vor Glück und Dank über den gnädigen Bescheid legte der Feldweibel die Hand an die Stirn und marschierte mit leuchtenden Blicken ab. Der Gouverneur aber ging, den Parlamentär zu empfangen.

«Weißt du, Pelageja Iwanowna, was der Kerl will?» rief er seiner Gemahlin zornig entgegen, als er nach einer halben Stunde wieder erschien. «Wir sollen ein Haus zum Bombardement auswählen!»

«Entweder ist er verrückt, oder er stellt dir eine Falle. Wie sollten sie auch das Haus aus der Ferne erkennen?»

«An einer roten Fahne, die er uns da aufstecken heißt. Ich glaube, es ist ihm ernst mit der Sache; du weißt ja, den Engländern kann man das Verrückteste am ehesten glauben.»

Nachdem sie noch eine Weile über die Engländer gespottet, erhellte sich plötzlich das Gesicht der Gouverneurin.

«Mir kommt ein Gedanke: laß ihn die lutherische Kirche bombardieren, das wäre zugleich ein nützliches und ein Gott wohlgefälliges Werk.»

«Das ist ein Gedanke.»

Nach einer Weile aber kam der General mit dem Bescheid zurück: «Sie weigern sich, auf eine Kirche zu schießen, die Heuchler!»

«Weißt du was, mein Täuberich, gib ihnen unsern Palast zum Bombardieren! Der Staat wird uns entschädigen, daß wir nichts dabei verlieren. Denn was man auch im übrigen der Regierung vorwerfen kann, das muß man ihr lassen, daß sie großmütig zahlt. Zum Ausziehen bleibt uns Frist genug.»

«Das ist wieder ein Gedanke.»

Nach einer Weile aber kam er wütend zurück.

«Siehst du, was das für Halunken sind? Sie behaupten, das wäre zu gefährlich; der Palast stehe zu dicht an den Häusern, es könnte eine Bombe nebenan fliegen. Wir sollten ein Haus aussuchen, das abseits steht.»

«Jetzt kommt mir eine Offenbarung: gib ihnen die Ziegelhütte, dann kommt Tullela um sein Vermögen und kann Agafia nicht heiraten.»

«Den Gedanken hat dir die heilige Mutter Gottes von Kasan eingegeben.»

Als er nach einer Weile zurückkehrte, rieb er sich die Hände.

«Gut! Abends um zehn Uhr soll's losgehen.»


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