Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.
Freiburgs Drei Tage. II.

Der Ostersonntag. – Treffen bei Güntersthal. – Die Nacht vor dem Ende.


Das Ostergeläute klang vom hohen Münsterthurm über die Stadt, und sein ernster, mahnender Ton weckte mit der ganzen Bevölkerung auch des Leuenwirths Tochter aus dem Schlummer, der wider Verhoffen nach den Erregungen des gestrigen Abends ein friedsamer und erquickender gewesen war. – Annele huschte aus dem Bette, in die Kleider, und ihr erstes Geschäft war, vor dem Bilde der allerseligsten Mutter sich auf die Kniee zu werfen, und aus voller Seele zu sprechen: »Ich danke dir, o Himmlische und Reine, daß du mich aus den Klauen des Bösen gerettet, daß du mir auf's Neue das Leben geschenkt, dich zu preisen an diesem herrlichen Tag der Auferstehung deines Sohnes, der da ist der Heiland und Richter der Welten! Die Stirne demüthig in den Staub gebeugt, fleh' ich dich an, mit deinem Segen den wackern Mann zu begnadigen, der als ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung mich und meinen lieben [137] Vater aus der größten Bedrängniß befreite! Aber noch heute, an diesem Tag der Glorie, umgeben uns, wie ich fürchte, schwere Bedrängnisse, drohen uns große Gefahren. Erlöse uns, o gebenedeite Mutter, auch aus diesen Wirren, aus diesen Schlingen der Hölle; bitte für uns bei deinem göttlichen Sohn, daß er uns vergebe, wenn wir just am heutigen Tage, statt in der Kirche zu beten, und den Herrn zu loben, unstät in die Welt hinaus wandern. Aber es gilt, die Heimath zu erreichen, und das betrübte Herz meiner Mutter zu trösten, die um mich und den Vater in bittern Aengsten seyn wird. Erhöre, beschirme und verzeihe uns, heilige Jungfrau!«

Da sich Annele erhoben, und in ihrem Kämmerlein umgedreht, stand bereits der Leuenwirth in der halb offenen Thüre, wünschte seinem lieben Kinde einen guten und gesegneten Feiertag, – aber sein Gesicht, sonst immerdar so heiter und milde, war voll von schwarzen Wolken der Sorge.

»Wie geht es Euch, liebster Vater?« fragte Annele ihn umarmend: »Ihr seht so traurig in die Welt? Ist Euch etwas Schlimmes widerfahren?«

Der Leuenwirth zuckte die Achseln und antwortete betrübt: Ich wenigstens, Annele, halte es nicht für etwas Gutes; doch kann ich irren, und die himmlische Fürsicht meint es etwa besser mit uns, als wir denken. Wir werden heute, vielleicht noch morgen zu Freiburg bleiben müssen, liebste Tochter.

Annele erschrack sehr, und zitterte an Händen und Füßen. »Hier bleiben? Um Gotteswillen, das wird doch nicht seyn?«

Worauf der Vater klagend, wie zuvor: Denk dir [138] einmal: Ich stehe vor einer Stunde auf, geh' hinunter in den Stall, um nach dem Bräunel zu sehen, und dem Hausknecht den Befehl zu geben, daß er Punkt sieben Uhr einspanne. Aber was mache ich für Augen, da ich mein Bräunel gar nicht mehr erkenne, weil es dasele stand, als wär's ein ganz ander Rössel, ein uraltes Kreatur und eben bereit und fertig, umzustehen, zu krepiren auf dem Fleck!

»Das Bräunel!« machte Annele, die Hände voll Entsetzen zusammenschlagend.

Der Vater fuhr fort: Ich hab' bei'm Eid geglaubt, sie hätten mir das Bräunel verwechselt, und hab' den Knecht in's Gebet genommen, daß es eine Art hatte. Der Bursche ist aber d'rauf bestanden, daß unserm Rössel gestern auf der Fahrt hierher etwas zugestoßen seyn muß. Es habe kaum gefressen, und sey immer hingestanden wie ein hinsiechendes Stück Vieh, und gewiß hab' es sich einen Nerven oder gar etwas im Leib versprengt. Nun – du weißt ja selber, wie schlecht das Bräunel gestern gelaufen, und wie es uns schier nicht von der Stelle gebracht hat – und wie ich's nun besehe von hinten und von vorne, so bleibt's halt immer auf und nieder unser Roß, und wie nun gar das arme Vieh mir die Hand schleckt, wie in gesunden Tagen, so konnt' ich eben in Gottesnamen nimmer zweifeln. Ich hab' nun gleich zum Roßdoktor geschickt; er wohnt zum Glück nicht weit von dasele. Der hat mich wohl getröstet, und sich verschworen, er wolle bis morgen oder längstens bis Dienstag das Bräunel wieder auf die Beine bringen. Nun – ich will's wünschen, ich will's auch hoffen; aber gerade jetzo in Freiburg verweilen zu müssen, das ist mir fatal, schon um meinet [139]wegen, umso mehr um deinetwillen, lieb's Annele. Ich fürchte; es werde hier schlimm zugehen. Darum hätt' ich auch gern einstweilen unser Rössel stehen gelassen und wär' mit einem andern heimgefahren. Aber 's ist um keinen Preis ein Gaul zu kriegen. Was nur einen Batzen im Sack hat, sey schon gestern auf und davon gefahren, oder flüchte sich noch heute aus der Stadt; so sagen die Leute. Was ist da zu thun? Wir können doch nicht Alles dahinten lassen, und zu Fuß davon laufen wie die Spitzbuben? Dagegen aber schwätzt man hier die abscheulichsten Dinge. Die Reichen sollen alle bei'm Ohr genommen, ihre Häuser geplündert werden, und nur dann soll's Ruhe geben, wann keiner mehr was hat! Was ist da jetzt zu thun, frag' ich noch einmal? –

Es geht wohl oft so, daß, wo die Männer schon nahezu den Kopf verlieren, die Weiber den ihren behalten, und sozusagen erst recht aufsetzen. Noch einen Augenblick vorher haben sie sich gefürchtet, daß es ein Elend, und flugs darauf – wie man die Hand umkehrt – sind sie tapfer und heldenmüthig, und das schwächere Geschlecht gibt dem starken die Lektion. – So auch Annele. Ihren Vater ziemlich rathlos sehend, erhob sie das Haupt, jegliche Angst von sich abschüttelnd, und sagte mit offener Stirn und ruhigem Blick: »Ei, lieber Vater, uns bleibt ja noch das Beste; wir haben noch zu thun, was uns am meisten frommt. Wir sollen und wollen vertrauen auf Gott, der schon weiß, was uns dienlich, und der auf unserm Scheitel jedes Haar gezählt hat. So meine ich, bester Vater, Ihr legtet alle Sorgen und Gebresten ab und fügtet Euch in das, was im Himmel geschrieben steht. Ich will [140] Euch nachfolgen, und Euch gebeten haben, mit mir zur Kirche zu gehen und den hohen Festtag andächtig, wie sich's gebührt, zu halten.«

Ei, wie stand die Sache jetzt gleich anders! Ei, wie ging dem Leuenwirth das Herz auf, da er sein Herzblättchen also reden hörte! Sein Gesicht war plötzlich himmelheiter geworden, und mit rechten Worten der Liebe sprach er zu der Tochter: Wahrhaftig, mein braves Maideli, du hast's getroffen auf's Dipfele. Was du gesagt, ist bereits eine halbe Predigt, und wie dir's vom Maule geht, so auch mir. Warum? Ich leb' ja nur in dir, und die Mutter Gertrud macht's eben so, und wir hätten eigentlich doch nichts recht Gutes auf der Welt, wenn wir dich nicht hätten. So ist dein Wille auch der unsrige, deine Andacht auch die meine, und wir wollen also nicht mehr rückwärts schauen, sondern tapfer vorwärts in die Kirche gehen, und für unser Mütterlein zu Hause, sowie für alle Freunde und Verwandtschaft und, denk' wohl, für alle arme Seelen beten, daß es ihnen hüben und drüben wohl gehe in den Gnaden Gottes!

Welchen Vorsatz Vater und Tochter alsobald ausführten und nach dem ehrwürdigen Dom sich auf den Weg machten. – Vor dem Eingang trafen sie mit einigen Töchtern des Papa Hinterbein zusammen: mit Kathrinchen und Mathilde, mit Cornelia. Einige Minuten wurden wie billig der Begrüßung und der Nachfrage gewidmet. Mathilde erzählte, daß gestern wirklich in ihrem Hause Einquartierung eingetroffen; doch nur zwei Mann, ein alter und ein junger, die sich ganz ordentlich aufgeführt, und, wie es scheine, gerade nur auf Veranstaltung des Vetters Titus und gleichsam als eine [141] Sicherheitswache aufgestellt worden seyen. Dennoch sey Papa immer verdrießlich, ja ganz abgemattet, und befinde sich heute so unwohl; daß er sein Haus gar nicht verlassen könne. Tante Laura habe das ihm nachgemacht, weil sie ahne und befürchte, daß ihr Hochzeittag etwa auf sehr unbestimmte Zeit hinausgerückt werden dürfte. Beide Kranke zu warten und zu pflegen, sey auch Cymbeline, die sich nun einmal die Spitaldienste nicht nehmen lasse, ebenfalls daheim geblieben, und wolle still für sich den Herrn anflehen, daß er diesen Tag zu einem glücklichen wandeln, und der Stadt den Frieden schenken möge. – Schließlich fragte noch Mathilde ihre Freundin aus dem Bädle nach ihrem eigenen Befinden und wie es komme, daß sie noch hier verweile?

Annele war im Zuge, das Abenteuer voriger Nacht, und des lieben Bräunels Unfall zu berichten, als Kathrinchen mit kindischer Wichtigkeit ihr in die Rede fiel und in die Straße zeigend, ausrief: Da kommen sie! Da kommen unsre Freischärler! An dem Alten ist nicht viel; aber der Junge ist schon ein rechter Mann!

Auf den ersten Blick erkannte Annele ihren Befreier, den Mann vom Sommerberg. Und der Vater sagte zu ihr: Er ist heute schon bei mir gewesen, hat im Gasthaus, und zwar im Stall, mit mir geredet, und sich erkundigt, wie's uns geht und ob wir denn verreisen? Ich sagte ihm, was nöthig, und habe mich noch einmal bei ihm bedankt; wenn er auch ein Freischärler ist, so hat er sich doch gestern als einen tüchtigen Kerl erwiesen. Ich weiß auch schon bereits, wer er ist: ein Metzgergeselle, gebürtig von Furtwangen, ist nicht ohne Vermögen, heißt Kaspar Flamm ...

In diesem Augenblick gingen die Beiden an der [142] Gesellschaft vorüber: der Alte, der bewußte Kolbenschläger, ein schlichter Bauer im Zwillichrock, die lange Flinte auf der Schulter; der Junge, in feinem Heckeranzug, ohne Schießgewehr, den Hirschfänger an der Seite. Sey es nun, daß die Trommel, die in der Nähe zu schlagen anhob, auch den beiden Wehrmännern galt, und sie zur Eile antrieb – sey es, daß die Gegenwart der Fräuleins Hinterbein den Gesellen Kaspar abschreckte, bei dem Leuenwirth und seiner Tochter anzuhalten – er begnügte sich, dem Annele mit freundlichstem Angesicht einen »schönen, guten Morgen« zu wünschen, grüßte die Töchter seines Quartierhauses mit ziemlichem Anstand, und bog nach der Kaiserstraße ein, wohin eine größere Anzahl von Bewaffneten, dem Signal gehorchend, lief.

Annele sah ihm ein klein Weilchen zerstreut nach, und folgte dann, ob der kurzen Zerstreuung mit sich selber unzufrieden, den jungen Damen und dem Vater in das Münster nach, das mit Orgelklang und Festgeläute die Andächtigen empfing.

Wer sich noch unter der Thüre verspäten mußte, war Cornelia. Eine kecke Hand hielt sie zurück, und da sie sich verwundert umschaute, sah sie zu ihrem Schrecken den Vetter Titus in ihrer nächsten Nähe. »Was wollen Sie, Vetter?« fragte sie kurz und bestimmt. – Der Turner, der, wie es den Anschein hatte, nicht weniger eilig war, als die oben genannten Wehrmänner, hob mit unruhigem, ja verstörtem Antlitz zu dem Mädchen an: Ich sage Ihnen vor der Hand ein Lebewohl, Bäschen Cornelia. Unser General schickt mich hinaus an die Dreisambrücke, um dem Befreiungsheer, dem Heer der Freiheit, den Eingang in die Stadt [143] offen zu halten. Wenn, wie immerhin zu erwarten, die umherlagernden Thronsöldner dem Einzug Sigels Widerstand leisten wollten, so dürfte der Tag ein blutiger werden, und vielleicht ist mein Loos, mit meinen Kameraden zu fallen. Deshalb sag' ich Ihnen jetzt ein Lebewohl ...

Cornelia, von diesen Worten gerührt, vergaß ihrer Entrüstung, und versetzte mit leuchtenden Augen: »Wir wollen hoffen, daß dem Vaterland seine edelsten Jünglinge erhalten werden, und daß mir die Freude blühe, den Kranz des Sieges um Ihr Haupt zu winden, lieber Vetter!«

Wie wurde ihr jedoch zu Sinne, als genannter Titus plötzlich aus dem Wehmuthsgefühl in das Derbe umschlug, und ausrief: Ha, wenn ich wiederkehre, ein Sieger und Erlöser, dann will ich auch den Lohn mir nehmen, der mir gebührt: dann nehme ich Sie, Cornelia, als Siegespreis, und bohre Jeden nieder, der mir den Preis streitig machen dürfte!

»Herrgott!« schrie das Mädchen auf: »Was reden Sie da? Sind Sie von Sinnen? Ich, ich sollte der Lohn für Ihre Thaten sehn? Lassen Sie mich, mein Herr!«

Sie wollte in die Kirche entfliehen, aber der dreiste Vetter gab das nicht zu, hielt ihre Hand fester denn zuvor, und ließ sich höchst gefährlich weiter vernehmen: Ich schwör' es Ihnen zu bei meiner Seligkeit, im Sturm der mächt'gen Leidenschaft, die mich beherrscht, und des Rachegefühls, das mich durchlodert. Ja, ich werde Sie hinwegführen als meine Braut, meine Gattin, als mein Eigenthum! Und wehe dann dem grausamen Vater, der meine Braut an einen Andern vermäkeln und ver [144]kaufen will! Wehe diesem Andern, dem Hanswurst, der seine Affenkralle nach dir ausstreckt, meine süße Beute!!!

Nun war es auch an Cornelia, plötzlich, dem Fieberwahn gegenüber, vernünftig und stark zu werden. Empört riß sie sich von dem Dränger los und schnaubte ihn mit einer Verachtung an, die ihn stumm und verblüfft machte: »Genug und abergenug! Ihr Wahnsinn geht über alle Grenzen! Sie wollen ein freier Mann seyn? Sie wollen für die Freiheit kämpfen? O, lassen Sie das. Gehen Sie hinüber in die Sklavenzwinger Westindiens, fliehen Sie nach dem Orient, zu dem abgestumpften Muselmann, und rauben oder kaufen Sie dort ein Harem zusammen. Ihre Liebe, Ihren Haß, Ihr Joch und Ihre Herrschaft verachte ich, eine freie, deutsche Jungfrau!«

Mit diesen Worten gründlichster Vergeltung verschwand die freie, deutsche Maid im Dunkel der heiligen Hallen, und Titus blieb mit langem Gesichte und offnem Munde stehen, bis endlich er that, was er schon längst hätte thun sollen. Er ging, oder lief vielmehr, als ob der Gottseibeiuns auf ihm ritte, dem Posten zu, den sein General, der Obmann der Turnergemeinde, ihm angewiesen. – –

Während der obigen Begegnungen, und im Gegensatze zu der ungestümen Bewegung, die sich aller Orten in der Stadt kund gab, indem die bewaffneten Landstürmer ohne Plan hin und her zogen mit Gesang, Geschrei, Musik und Waffengeklirr, herrschte in dem Zimmer, welches Alfred in dem Gasthaus inne hatte, ein gar geruhiges und behagliches Stillleben. Wiewohl es schon spät am Vormittage war, saß doch der Herr [145] noch in seinem malerischen Nachtkleide bei'm Frühstück, das ihm sein Bedienter eben aufgetragen hatte. Ein vornehmes, ächt englisches Frühstück. – Alfred kostete bequem nach der Reihe von all' den Leckereien, und nicht minder von all' den derberen Gerichten, von denen seine Tafel besetzt, und der Bediente, schweigsam aber eifrig, hatte vollauf zu thun, seinem Herrn, wie sich's gebührt, zu serviren. Es war dem kaltblütigen Alfred keine Spur von einer unruhig durchwachten Nacht anzumerken; sein Antlitz war sozusagen in Gleichgültigkeit verklärt, und als ob die Begebenheiten in der Stadt sich hundert Meilen weit von ihm entfernt zutrügen, ließ er sich's schmecken, und nur eine kleine Sorge ging ihm in Gedanken herum.

Er hatte nämlich, wenn auch die Nacht ganz ruhig verschlafen, doch während seines Schlummers einen Traum gehabt. Mathilde war ihm nicht erschienen, auch keine Episode aus seiner jüngsten Reise hatte sich da verspüren lassen; um so fremdartiger und kurioser kam ihm das Traumbild vor, das er gesehen. Er war nämlich aus einem finstern Thor auf ein Feld getreten, das in milder Dämmerung vor ihm lag. Von dichtem Wald umgeben, breitete sich das Feld, theils mit Saaten, theils mit blaßgrünem Rasen bestanden, vor ihm aus. Die lautloseste Stille webte über dem Platze, und dennoch konnte der Träumende die Ahnung nicht von sich weisen, als sei hier vor Kurzem, ja vor einem Augenblick erst, etwas Wichtiges, etwas Betrübendes geschehen. Diese Ahnung verwirklichte sich auch alsobald: des Traumwandlers Fuß stieß hin und wieder auf Hindernisse, und da er sich darnach bückte, um sie aus dem Wege zu räumen, so tastete seine Hand bald auf ein Schwert, [146] bald auf eine Muskete, und endlich, ihm zum Grauen, auf manch' ein kaltes Angesicht, auf manch' einen ausgestreckten leblosen Menschenleib. Kein Zweifel mehr, daß er ein Schlachtfeld betreten, wo noch kurz vorher Kugel und Klinge mörderisch gewirthschaftet. Des traurigen Anblicks alsbald müde, hatte Alfred, seiner Gewohnheit nach, denselben zu meiden begehrt, und sich auf die Flucht gemacht, aber – wie es in Träumen nur zu oft vorkommt – war er in unsichtbare Schlingen verstrickt, wie von Hexenhänden zurück gehalten worden, und da er sich abermals gebückt, um sich los zu machen von den Schlingen und den Zauberhänden, hatte sein Auge sich begegnet mit demjenigen eines Todten, der ihn starr und fürchterlich anschaute, wenn schon alles Leben aus seinem grassen Blicke gewichen war. Und dennoch war das Auge, die Stirne, das Antlitz des Leichnams einem Freunde angehörig, einem von Alfreds besten Freunden. Dem vielgeliebten Moritz-Jonathas! – Und Alfred hatte bewegt, soviel er überhaupt bewegt sein konnte, den Todten gefragt: Ach, wie kommst du hierher, zu liegen auf dem blutigen Felde? Hat dein eigner Wille, oder nur das unerbittliche Geschick diesen Platz dir angewiesen? – Und hierauf war eine dumpfe Stimme von dem Todten ausgegangen, die da gesagt in der Weise des alten Freundes: Pah, was thut's! für die Freiheit gestorben, für das Leben verdorben! – Worauf Alfred zusammengefahren, und flugs aus dem Traume erwacht, dessen Andenken ihm blieb, obgleich er den Schlummer bald wieder gefunden und mit ihm bis in den späten Morgen »gut Brüderlein« gemacht. –

Dergestalt fügte es sich, daß bei jeder Tasse Kaffee, [147] die er zu sich nahm, bei jedem Eierdotter, den er schlürfte, und namentlich bei jedem Bissen des Beefsteaks, das in künstlich blutiger Gestalt vor ihm lag, er sich bedenklich fragte: Wie kommt's nur, daß ich von dem Moritz geträumt? Wie kommt's, daß ich just solche Dinge von ihm träumen mußte? – Und also wurde aus dem Bedenken eine große Zerstreuung, in welcher Alfred Stück auf Stück von seinem Frühmahl vertilgte und den Diener in die Besorgniß versetzte, er würde sich um eine zweite Auflage des Beefsteak umsehen müssen.

Zum Glück kam eine Störung inzwischen: eine Störung, ausgehend von einem Manne, der gar nicht aussah, als habe er den nöthigen Appetit, um mit dem Zimmerherrn ein zweites Frühstück zu theilen. Der Ankömmling sah blaß und übernächtig aus, in diesem Zustande kaum den stolzen Beinamen: der »schöne Fritz« verdienend. – »Endlich ein Mensch!« seufzte er erschöpft, an der Seite Alfreds in das Sopha niedersinkend: »Endlich nicht mehr unter Larven die einzig fühlende Brust!« – »Sey gegrüßt, Freund;« versetzte Alfred, den »schönen Fritz« musternd: »Wir sehen nicht sehr gesund, nicht galant aus! Georg, eine Tasse, ein Couvert für den Herrn!« – Friedrich verbat sich alle Umstände. »Ich bin satt, übersatt, könnte keinen Schluck hinunterbringen;« rief er aus: »Welche Nacht habe ich zugebracht! Wenn du mit deinem Frühstück fertig bist, Alfred, so lass' dessen Trümmer verschwinden und den dienstbaren Geist obendrein. Wir wollen eins plaudern, wenn's dir recht ist.«

Ein Wink von Alfred, und sie waren allein. – Du bist so verstört; bemerkte Alfred lächelnd: Du wirst doch nicht Wort gehalten. und einen oder ein paar Frei [148]schärler in die Ewigkeit expedirt haben? – Hierauf der »schöne Fritz« ebenfalls, aber finster lachend: Mein gutes Glück hat mich vor der Versuchung bewahrt. Da ich gestern nach Hause kam, Mordlust im Herzen – Raphael hatte große Angst, und hielt mich gleichsam an der Kette wie einen tollen Hund – siehe: da war nichts, gar nichts von Freischärlern zu spüren, die ganze Einquartierungsgeschichte ein blinder Lärm, ein schlechter Witz. Indessen fand ich den Befehl vor, bei meinem Bürgerwehrfähnlein mich einzustellen. Ich gehorchte; ich hätte ohnehin vor Jast und Groll und banger Erwartung kein Auge zuthun können. Raphael, der revolutionäre Bursche, hatte sich gleich in's Bett gesteckt, und schnarchte wie eine Sägmühle. Ich sperrte ihn ein, und ging der Pflicht nach. Was war alles vorgegangen, während wir bei Hinterbein Gesundheiten tranken und so weiter? Das Volk hatte sich wirklich für Hecker und Struve erklärt, und sich wieder anlügen lassen. Hecker sollte gesiegt haben, statt geschlagen worden zu seyn; Struve sollte mit nichten in Säckingen festgenommen worden seyn. Das ganze Heer der Aufständischen sey auf dem Wege hierher, und im Unterlande überall der Teufel los. Hierauf hatten die Betrogenen ohne weitres zugesagt, den Rebellen vom Gebirge die Thore der Stadt zu öffnen, dieselben gegen alle Soldaten zu verschließen. Der Obmann der Turner war zum Generalissimus erwählt worden; er ist es noch jetzt bis auf diese Stunde – und alsogleich hatte er sich zu Pferde gesetzt, mit seinen Leuten die Hauptwache eingenommen, an allen Thoren Verhaue und Verrammlungen angebracht. Lange Zeit vergebens waren die Väter der Stadt auf den Beinen gewesen, um mit den Generalen draußen, [149] und dem Generalissimus hier innen zu unterhandeln. Erst auf das feierliche Versprechen, daß während der Nacht das Militär sich der Stadt nicht nähern wolle, ließ sich der Turnerobmann herbei, seine Posten zurückzuziehen, die Hauptwache aufzugeben, die Thore zu öffnen. Die bewaffneten Zuzüger wurden in den Gasthäusern untergebracht oder quartierten sich hie und da selbst ein nach Belieben. Unter solchen Umständen bezogen wir alle Wachen. Wir hofften, einem friedlichern Ende nahe zu seyn. Aber Schwächlinge und Verräther waren in unsrer Mitte selbst aufgestanden, und, ich weiß nicht wie es kam, in den frühesten Morgenstunden wurden wir nach Hause geschickt, ohne nur zu begreifen, zu welchem Ende wir den Dienst gehabt, und warum man uns vor Tagesanbruch entlassen. Müd und matt, Unfriede und böse Ahnung in der Seele, traf ich zu Hause ein, und legte mich, die Zeit und alle Verhältnisse derselben verwünschend, zur Ruhe nieder, die mich anfänglich eben so sehr floh, als sie über den rebellischen Stulpenstiefel schnell gekommen war. Indessen muß ich doch endlich eingesimpelt seyn in wüsten Schlaf und Traum; denn urplötzlich ... denke dir ... steht vor mir ein Mensch, dessen ich wahrlich gestern nicht gedacht hatte: unser Jonathas, oder besser unser Moritz, weil du doch einmal die Cerevisnamen nicht leiden kannst. Er stand vor mir so nahe, als du neben mir sitzest; ich konnte ihm bis tief in die Augen sehen. Aber wie verändert gegen ehedem kam er mir vor! Es war, als stände er, gehüllt in ein Leichentuch, mir gegenüber; das helle Blut floß, als wie aus mehreren Wunden, an seiner Brust hernieder. In seinen Händen hielt er einige Flintenkugeln, die er durch seine Finger rollen ließ, und mit [150] blassem Munde – sein ganzes Angesicht war fahl und grau – sagte er zu mir: Pah, mein Poppele, willst du mit mir das Würfelspiel versuchen? Sind expreß für mich gegossen worden – blaue Bohnen, hart und unverdaulich! Halte mit ... nur zu! Bah, was thut's? – Sprach's, und schleuderte die Kugeln von sich, und eine jede von ihnen platzte wie eine Bombe mit grellem Knall und Blitz. Ueber diesem Spektakel erwachte ich, mein bischen Ruh und Schlummer waren dahin, ich war noch müder wie zuvor, wie zerschlagen, wie gerädert ... und da indessen der Tag schon bedeutend herangestiegen, und Raphael, der schlimme Bube, meinen Schlaf benützend, sich ohne »Lebewohl« und »guten Morgen« davon, und auf die Gasse gestohlen hatte, so hab' ich mich, noch unter'm Eindruck, den der wunderliche Traum in mir hinterlassen, zu dir geflüchtet.

Der »schöne Fritz« zupfte hin und her an seinem Halstuch, an seinen Manschetten, gleich der Unruhe in Person. Aber auch Alfred machte besondere Geberden, legte den Finger bald rechts, bald links an die Nase und sagte feierlich: Es ist nicht zu leugnen – es geht ein unausweichliches mathematisches Gesetz durch alle Welt. Dann und wann läßt sich's herab, sowohl Gläubigen als Ungläubigen Kunde von sich zu geben in Bild und Traum und Ahnung. Du wirst sehen, Fritze, daß dem Moritz etwas Unangenehmes begegnet: daß er, zum Beispiel, von den Freischärlern im Hegäu erschossen worden seyn dürfte. Nicht umsonst wahrlich hat mir ungefähr dasselbe geträumt, wie Dir. Höre mir zu, ich will dir's haarklein erzählen ...

Plautz! fuhr die Thüre auf, und Raphael, der für [151] diesmal seine Sommer- und Freischärler-Garderobe – ohne Schlapphut und Schleppsäbel indessen– sinnig zu vereinigen gewußt, flog herein mit einem kühnen Satz, kerzengrad vor den Tisch, an welchem seine Freunde saßen, und sein erstes Wort war: Wißt Ihr schon, habt Ihr schon gehört die Kunde, die mir zu Ohren kam in dieser Stunde? Die Freiheit, ach, die goldne Freiheit ist dahin! Ihr werdet das loben, aristokratische Gesellen; mir aber bricht das Herz. Welch' eine schöne Glorie war über dieser Stadt aufgegangen! Wie kräftig schlugen noch vor ein paar Stunden die Herzen der Patrioten! Ach, wieder in ein paar Stunden ist's vorbei mit allen Hoffnungen, mit allen Errungenschaften!

O weh, o weh! lachte Alfred höhnisch und klatschte in die Hände. – Fritz nahm schon lebhaftern Antheil an der Kunde, neugierig fragend: Wie so, mein Stulpenstiefel? Was hat's gegeben? Sprich aus dein Todesurtheil, du freisinniger Komödiante!

Raphael entgegnete betrübt: Ja wohl hat die Komödie ein Ende. Um zwei Uhr – Andere sagen auch um drei – soll die Stadt an die Truppen übergeben werden. Alles aus, rein aus, langes Leid nach kurzer Freude.

Alfred sah nach der Uhr und sprach befriedigt: In anderthalb Stunden etwa? Das ist mir lieb. Wußte ohnehin nicht, was ich anzufangen hätte, um mir die Langweile zu vertreiben. Fast möcht' ich mir Vorwürfe machen, daß ich, den all' der Wirrwarr nichts angeht, versäumt habe, mich daraus bei guter Zeit zu entfernen, und glaube ich wirklich, daß ich mich gerade aus Mathildens Nähe nicht zu entfernen vermochte. So fest hält uns die Liebe!

[152] Fritz machte ein recht böses Gesicht, ließ jedoch die Tirade des Freundes unerwiedert hingehen, etwas prahlerisch ausrufend: Die Pflicht ist mein Gesetz und meine Dienstpflicht hätte mich schon an diesen Ort gebannt, wenn auch nicht andere Rücksichten beständen. Die Senatoren des alten Roms, als die Preußen jener Zeit diese Hauptstadt der Welt mit Sturm einnahmen, blieben fest auf ihren kurulischen Stühlen sitzen, und empfingen lächelnd den Tod.

Worauf Raphael eifrig und mit ungeflügelter Rede: Ja, das will ich glauben. Darum waren jene Senatoren Republikaner, unerschütterliche freie Männer. Aber heutzutage – was wollt Ihr denn reden, Ihr Bürokraten mit der Feder hinter'm Ohr? Davonlaufen ist Euer Loos, die Haut in Sicherheit bringen, ist Euer Streben. Renommirt nicht mit einem Todesmuthe, den Ihr nicht habt. Nach vorübergegangener Gefahr ist leicht von Tapferkeit zu haseliren. Nur den Volksfreunden blüht vielleicht in Zukunft das beneidenswerthe Schicksal, für die gute Sache der Freiheit zu sterben. – Ach, setzte Raphael bei, recht tragisch den Kopf hängend: für heute ist die Gelegenheit verpaßt. Der Feind vor den Thoren, vielleicht in einer Stunde schon innerhalb dieser Thore ...! Es ist traurig, und nur die Liebe tröstet mich über das enorme Mißgeschick! – Bei diesen Worten stand Raphael sehr malerisch da, mit dem rechten Auge verzückt gegen Himmel blickend, während er mit seidnem Schnupftuch aus dem linken einige trefflich gerathene Kunstthränen wischte.

Seine Freunde klaschten ihm donnernd Beifall. Dann sagte Alfred lächelnd: Wir reden so viel von Liebe, und doch will mich bedünken, als seien wir zur [153] schlimmsten Stunde hier eingetroffen; denn vom Heirathen der liebenswürdigen Töchter Hinterbeins dürfte jetzo kaum die Rede seyn, und wir werden uns begnügen müssen, als Zeugen bei der Vermählung des konfusen Doktors und der alten Jungfrau Tante zu figuriren.

Fritz protestirte lebhaft gegen diese Zumuthung. Raphael rief dagegen: Was thut's? Ich bin dabei. Noch einige Tage, denke ich, werden hinreichen, um meinen Bund mit Cornelia fest zu schließen; wenn der Vater dann einwilligt, bon; wenn nicht ... ma foi, so ist es sein Schaden, und ich fliehe mit Cornelia nach Amerika hinüber, da ohnehin das deutsche Mädchen nicht mehr wird leben wollen in dem abermals geknechteten und erniedrigten Vaterland! Denn wahrlich: In diesem Deutschland sind nur die Todten glücklich, und vorneweg nur jene, die für die Freiheit gestorben.

Bravo, bravo! schrieen die Freunde, abermals tüchtig klatschend: Du führst deine Rolle trefflich aus, Raphael, und solltest uns noch das schöne Franzosenlied: » mourir pour la patrie« im geeigneten Kostüme vortragen!

Mit souveräner Geringschätzung in den Blicken, aber mit tiefbewegtem Tone entgegnete Raphael: Ihr habt keinen Sinn für meine Gefühle; wenn Ihr aber gesehen hättet, was ich in der verwichenen Nacht, was ich im Traume geschaut, Ihr würdet vielleicht anders reden. Stellt Euch vor, daß ich, der ich sonst nur das dümmste Zeug träume, den guten Kerl, den Jonathas, in meinem Schlummer gesehen, da er gen Himmel fuhr, von feurigem Schein und Strahl umgeben. [154] Er lächelte wie ein Engel, er hatte, glaube ich, sogar die Flügel eines Engels; sein Herz brannte roth auf seiner Brust, und goldne Tropfen fielen daraus durch die blaue Luft auf die dürre Erde nieder. Aus seinem Munde aber gingen, wie mit Flammenschrift geschrieben, die Worte in die heitern Wolken auf: Dulce et decorum pro patria mori! So verdämmerte er, eine Lichterscheinung vom schönsten Effekt, auf der Höhe der Welten, und mit dem Heldenruf » pro patria!« erwachte ich, des stolzesten Strebens mich bewußt.

Alfred und Fritz sahen sich verwundert an und schüttelten die Köpfe, und der Erstere sagte: Es ist nun wohl doch außer Zweifel, daß der Moritz ein besonderes Schicksal gehabt haben muß. Wie kämen wir dazu, wir drei, uns in derselben Nacht träumlich mit ihm zu beschäftigen? Um indessen auf ein ander Kapitel zu kommen, das weniger geeignet, uns trübselig und schwermüthig zu machen, so laßt uns reden vom Mittagsmahl. Ich meine, wir sollten es vereint genießen, und lade Euch beide bei mir zur Tafel. Doch wollen wir nicht eher daran gehen, als bis die Stadt den Truppen übergeben, und Ruhe und Ordnung darinnen wieder hergestellt worden. Auch dir, o republikanischer Raphael, auch dir wird alsdann die Speise besser munden, da du ja ohnehin die Gelegenheit verpaßt, für's Vaterland zu sterben, und zum weitern Genuß der süßen Gewohnheit des Daseyns verurtheilt worden bist?

Raphael kratzte sich lächelnd hinter den Ohren und versetzte, in sein Schicksal sich ergebend: Nun denn, so mag's seyn, und schäumen mag der Saft der goldnen Traube, und sich wieder erneuern der schöne Bund, den [155] unsre studentischen Herzen geschlossen! – Apropos, Bruder Fröschlein, wolltest du mir nicht ein paar Thaler leihen? Meine Tasche ist sozusagen leer, und ich zahle dir den Bettel heim entweder von dem ersten Benefiz, das mir bewilligt werden dürfte, oder am liebsten von dem Heirathsgut, das mir Cornelia dereinst in's Haus bringen wird?

Schmunzelnd griff Alfred nach seinem Beutel, als just vor dem Hause die Schelle des Ausrufers heftig und dreimal erklang. Als wie von einer Ahnung getrieben und gejagt, neigte sich Fritz aus dem Fenster, und horchte dem Rufe, der eiligst die Bürgerwehrmänner, und zwar bei Eid und Bürgerpflicht, auf das Rathhaus beschied, wo die wichtigsten Dinge verhandelt werden sollten.

Ei, was ist denn da wieder los? rief der »schöne Fritz« unwirsch aus: Soll ich denn noch einmal zu der Muskete greifen, noch einmal das leere und vergebliche Waffenspiel mitmachen? Nun, wenn mir auch schwer fällt, mich von Euch zu trennen, nicht umsonst soll man an meinen Eid und an meine Bürgerpflicht appellirt haben. Ich gehe, dem Gesetz zu genügen, und kehre dann wieder schnell zu Euch zurück.

Somit verließ er seine Freunde, die ihrerseits beschlossen, einen Gang durch die Straßen zu machen. – –

In der Stadt war wiederum eine wunderliche Aufregung an's Licht getreten. Die Rotten der Bewaffneten liefen von allen Seiten zusammen; am äußersten Ende gegen das Schwabenthor knallten einzelne Flintenschüsse, als würden Signale gegeben; die ganze Bevölkerung war auf den Beinen, die Thüren und [156] Fenster aller Häuser von neugierigen, erschreckten und frohlockenden Gesichtern besetzt. Durch alle Gassen eilten schnellfüßige Leute mit dem Ruf: »Jetzt geht's los! Jetzt kommen sie!« Und wie in einem Chor antworteten hier die Massen mit dem Jubelruf: »Sie kommen, sie kommen!« Und dort mit der ängstlichen Frage: »Wer kommt denn, wer?« Ueberall Trommellärm, Juhe und Waffengeklirr. An vielen Orten wurden die Fahnen aus den Häusern gesteckt, weiße Schnupftücher flatterten im Winde ... nicht Raphael, nicht Alfred wußten zu sagen, was das alles bedeute.

Sie waren in der Nähe des Hauses Hinterbein angekommen und erblickten den Papa, trotz seines Unwohlseyns sehr lebhaft gestikulirend auf der Straße und von einigen Nachbarn umgeben, unter denen der bewußte Sattlermeister, die Commißflinte der Bürgerwehr auf der Schulter, nicht der letzte war. »Sie kommen, sie kommen!« schrieen sich diese Männer unter einander an. Hinterbein mit vergnügtem Antlitz: »Nun endlich kommen sie! Sind die Soldaten endlich da?« Und ihm antwortete der Sattlermeister beinahe böse: »Was haben Sie von den Soldaten zu reden, Herr Nachbar? Soldaten? Das ist Traum und Phantasei: die Freischärler kommen, bei'm Donner, sie kommen von Horben und Güntersthal herab! Es soll dort alles von ihnen wimmeln! die Turner und die Sensenmänner sind außer sich vor Freuden, und wir müssen jetzt auf's Rathhaus, die Kanonen zu vertheidigen. Wer weiß, ob nicht in fünf Minuten die ganze Stadt im Blut der Bürger schwimmt!«

Wie ein Besessener rannte der Sattler davon; wie in Ohnmacht dahinsinkend lehnte sich Hinterbein an den Thürpfosten seines Hauses und stammelte mit gerungenen [157] Händen: Die Freischärler? Ich kenne mich nicht aus! Sapperment, was wird aus der Stadt, aus meinem Hause werden?

Da die Nachbarn wie verscheuchte Fledermäuse in ihre Wohnungen zurückkehrten, fanden Alfred und Raphael Raum genug, sich dem stillgewünschten Schwiegervater zu nähern, und richteten tröstende Worte an ihn. Hinterbein gab jedoch nicht Audienz, versunken und verloren wie er war in der so unerwarteten Botschaft, die ihm geworden. Ueber seinem Haupte steckte Cornelia das dreifarbige Panier aus dem Fenster und nickte seelenvergnügt dem Schauspieler zu. Aus der Hausthüre fragte derweilen Cymbeline mit schüchterner Freundlichkeit: »Wo haben Sie den Herrn Sekretär, lieber Herr Alfred?« Und da sie vernahm, daß er zur Wehr gegriffen, um das Rathhaus, oder, Gott weiß, was sonst noch, zu vertheidigen, so stammelte sie erblassend: »O bester Herr, lassen Sie doch den Freund nicht im Stich. Seyn Sie doch ja sein Schutz und Engel! Ich kann ja nicht« – so setzte sie, in ihrer Unruhe den Faden jungfräulicher Zurückhaltung verlierend, und ihr liebend Herz auf eine wunderlich naive Art preisgebend, hinzu: »Ich selber kann ja nicht um ihn seyn ... ich selber kann ja nichts für ihn thun ... muß bei'm Vater bleiben ... kann ja den Vater nicht verlassen ...!

In der That hatte sie auch große Mühe, den Alten wiederum in's Haus zu bringen und machte den Freunden ohne weiteres die Pforte vor der Nase zu. – Nun hatte zwar Alfred seinen Bescheid, aber Raphael schien den seinigen noch zu erwarten. Da stand er, dem Cornelia, bevor sie sich vom Fenster zurückgezogen, ein [158] gewisses Zeichen gegeben, wie ein Fels mitten im Gespreng und Geläuf der Gasse, und Alfred rüttelte und schüttelte vergebens an ihm, um ihn zu bewegen, weiter zu gehen. Endlich – endlich flog ein Papierchen aus Hinterbeins Wohnung auf die Straße hernieder. und Raphael fing dasselbe mit dem Ausruf: »O meine süße Taube!« von dem Hut eines vorüberziehenden Handwerksburschen, und verschlang alsogleich mit den Blicken die Zeilen, die von der deutschen Maid auf das Papier geschrieben worden.

Sie lauteten: »Die Entscheidung ist da. Vor unsern Thoren wird eine Schlacht geliefert werden. Eilen Sie, mein Bester, nicht auf das Feld, wo die eisernen Würfel fallen, sondern dem Rathhause zu, wo die Geschütze der Tirannei erobert werden müssen, und wo Sie vielleicht Gelegenheit finden werden, Ihren Freund zu retten, für dessen Erhaltung meine liebe Cymbeline besorgter ist, als ich. Auf Wiedersehen im Strahlenschein des Sieges!«

Nachdem er gelesen, streckte Raphael den Zettel seinem Freunde dar, und sagte: Eine Schlacht vor den Thoren Freiburgs? Eine schöne Geschichte! Und ich soll hingehen, um die Stadtkanonen zu erstürmen? Ein schöner Auftrag! Schlacht und Straßenkampf, da schon Alles beendigt schien?

Gleichsam als Beglaubigung der Botschaft, die Cornelia hatte wie eine Taube fliegen lassen, donnerte in der Ferne ein Kanonenschuß Die Gährung auf den Gassen wurde lebhafter. Der Schrei: »Jetzt geht's los! Jetzt kommen sie!« verdoppelte sich, und im Nu waren alle Häuser bewimpelt und beflaggt. – Jetzt hebt die Schlacht an, sagte Alfred ruhig wie immer: Mir ist [159] recht fatal, daß mich Cymbelchen zum Rathhaus beordert, um den Fritze aus dem Wirrwarr zu retten. Ich habe noch niemals ein Gefecht in der Nähe mit angesehen, und die schöne Gelegenheit soll ich dahinten lassen?

Hm, erwiederte Raphael, dem nicht gar sehr um das Gefecht vor den Thoren zu thun war: ich will an Deiner Statt, und weil Cornelia es mir befohlen, nach dem Freunde sehen. Die Kerle werden doch nicht so unvernünftig sein, ohne vorhergegangene Aufforderung mit schießenden Kanonen auf das Volk zu feuern?

Worauf Alfred: So geh', so geh', thu' die Schuldigkeit für Dich und mich. Ich will nur einen Blick in die Dinge da draußen werfen, und suche Dich und Fritze alsdann unverzüglich auf!

Sprach's, und schritt langaus dem Breisacher Thore zu, von welcher Seite in kurzen Zwischenräumen die Kanonen brummten, auf's Anmuthigste abwechselnd mit dem Prasseln des Gewehrfeuers. Raphael wendete, nicht halb so geschwinde als Alfred that, seine Schritte dem Innern der Stadt zu. – – Es war ein eigenthümliches Schauspiel, von dem sich Alfred umgeben sah, da er dem Ziel seiner Neugierde entgegen ging. Der lange Friede hatte die Menschen so sorglos gemacht, daß sie mit einer verwunderlichen Unbefangenheit den blutigen Auftritten zuzogen, die sich in der nächsten Nähe der Stadt begaben. Auf dem sogenannten Rempart, dem Ueberrest der ehemaligen Festungswerke, jetzo zu Rebgeländen und Spaziergängen umgeschaffen, versammelten sich dem Hundert nach die Zuschauer, als wie auf einer unverletzlichen Tribüne. Auch der Schloßberg wimmelte von Menschen – und ebenso die Räume vor den Thoren [160] zwischen Stadt und Dreisam –, die gekommen, sich an dem Treffen zu vergnügen, das wie zu ihrer Belustigung aufgeführt wurde. Elegante Herren mit der Cigarre, Handwerksgesellen mit der Pfeife im Munde, die Hände in den Taschen, als wie zum lustigen Feierabend gehend, nichts von Besorgniß in den Mienen, Alle so ruhig und behäbig, als wären sie kugelfest, oder als sei dem mörderischen Blei verboten, bis in ihre Nähe zu dringen. Sogar nicht wenige Frauenzimmer, am Arm ihrer Männer oder Verwandten, waren da zu sehen. Alfred, obschon selbst nicht im Geringsten bewegt, wunderte sich doch über die Sorglosigkeit seiner Umgebung, und hätte sich wohl Manche aus den Gruppen besser gemerkt, wenn nicht, was jenseits des Flusses vorging, ihm wichtiger gewesen wäre.

Dort war's in der That zum Kampf gekommen. Von dem Bronnberg herab, und aus der Schlucht des Güntersthals hatten sich ansehnliche Massen von Landstürmern in das Feld geworfen; ihnen entgegen waren von St. Georgen her die Truppen mit großer Geschwindigkeit gezogen. Sie führten Geschütze mit sich und kartätschten den unbegreiflich sorglos daherziehenden Freischärlern den ersten Todesgruß entgegen. Mit eigenen scharfen Augen mußte Alfred sehen, wie neben einem stolzen Führer des bewaffneten Volkes der Fahnenträger niedersank in den Staub, von der mörderischen Kugel getroffen. Da blitzte und knallte es freilich von allen Seiten aus dem Walde, und mit verdoppeltem Muthe schaarten sich die Wehrleute aus dem Gebirge, um nach der Stadt vorzudringen. Aber immer schoben sich die Truppen dazwischen und wehrten den Ankömmlingen den Einzug. – Und doch waren die Brücken [161] über die Dreisam und die Thore der Stadt von Männern besetzt, die nichts sehnlicher wünschten, als den Brüdern draußen die Hände zu reichen und sie im Triumph einzuführen in Freiburgs Mauern!

Alfred hatte sich mit vielen Andern verleiten lassen, vom Rempart bis gen die Dreisam hinunter zusteigen und war in die Nachbarschaft eines Postens gerathen, der einen Steg zu bewachen hatte. Da waren Sensenmänner, da waren Turner bunt durcheinander, und nicht theilnahmlos standen sie da, weil, trotz Befehl und Wunsch der Anführer, manche Kugel von ihnen gegen die Truppen versendet wurde.

Eben hatte einer der Führer, ein Turner, einen Sensenträger, der unberufen aus der Hand eines mit Schießgewehr bewaffneten Kameraden die Büchse genommen und in's Blaue abgefeuert, tüchtig abgekanzelt, als sein Auge dem des Alfred begegnete. Da machte der Turner ein furchtbar gehässig Gesicht und sprach mit Zorn und Verachtung: Es ist kein Wunder, daß alle Ordnung zum Teufel geht, wenn die vermaledeiten Aristokraten sich unterstehen, bis an uns heranzukommen. Wo solch ein Bursch' aus dem Boden heraus wächst, ist nichts als Verrath und Lumperei!

Der Blick, mit welchem der junge Mann seine Worte begleitete, und den galant geputzten langen Herrn vom Scheitel bis zur Sohle maß, war allzu bezeichnend, als daß nicht der ganze Posten gemerkt hätte, wem er galt. Und weil Alfred den Redner auf's Korn faßte und ihn fragte: »Haben Sie mit mir zu thun, Turner?« so umringte ihn alsobald das ganze Häuflein mit drohenden Geberden.

Freilich mit Ihnen! zürnte ihm der Turner zu, [162] der kein Anderer, als Cornelia's Vetter, Titus: Sie bringen uns Unglück, und wenn Sie nicht gleich von der Stelle weichen, so schieße ich Sie mit eigener Hand zusammen!

Augenblicklich richteten sich ein paar Läufe und ein paar Sensen gegen Alfreds Stirne. Diese krauste sich aber nur wenig, während Alfred unerschrocken zu Titus sprach: Ich wüßte nicht, daß ich Sie je beleidigt hätte, Turnerjüngling; wenn nur gerade mein Aeußeres Ihnen so schwer mißfällt, so thut mir's leid. Dennoch bin ich bereit, mich mit Ihnen, den Degen in der Faust, zu verständigen, sobald Ihre Geschäfte hier vorüber sein werden. Hier ist meine Karte, und im Gasthof zum Engel bin ich anzutreffen.

Indem Titus ihm die Karte aus den Händen riß, zugleich aber seinen Leuten einen Wink gab, ihre Waffen nicht gegen diesen Mann zu gebrauchen, sagte er erbittert: Werde die Ehre haben, und alsdann auch mit Ihrem werthen Freunde, der sich beigehen läßt, mit mir zu nebenbuhlern, die Rechnung abschließen!

So eben erklangen drüben am Ufer die Signalhörner der Truppen lauter denn zuvor; Kanonenschläge schmetterten dazwischen und ein Hagel von Musketenkugeln sauste nach allen Richtungen durch die Luft. Ein Mann von dem Posten des Titus erhielt einen Schuß in das Bein und stürzte zu Boden, worauf seine Gefährten sich um ihn sammelten und des Fremden wie natürlich vergaßen.

Weil nun die Stellung selbst, da das Gefecht einen trotzigern Fortgang nahm, allzu gefährlich wurde, so ging auch Alfred zurück und war Zeuge, je nachdem er vor- oder rückwärts schaute, von einer doppelten Flucht. [163] Denn während draußen zwischen Berg und Wald die Freischaaren eiligst ihren Rückzug nahmen, liefen die Zuschauer von Rempart und Schloßberg der schützenden Stadt zu. Es hatten nämlich auch in ihre Reihen ein paar Schüsse sich verirrt. Einer derselben hatte seinen Mann an der Schulter verletzt; ein anderer hatte in Eile eine Operation verrichtet an einem Patienten, der wohl der einzige in jenen Tagen, welcher sich seiner Wunde zu freuen Ursache hatte. Der Streifschuß zerstörte nämlich ein Fettgewächs, das der neugierige Zuschauer seit langen Jahren an seinem Halse trug, und war somit der Hebel der bald vor sich gehenden gründlichen und glücklichen Heilung.

Als Alfred in der Stadt wieder angekommen war, hatten sich die Dinge etwas umgestaltet. Schon war ihm die Nachricht vorausgeeilt, daß die Aufständischen heute wohl nicht in Freiburg einrücken würden. Ihre Führer – man nannte Sigel, Struve, ja Hecker selbst – hätten sich in den Wald und in's Gebirg zurückgezogen, um am nächsten Morgen mit verdoppelten Kräften über die Soldaten herzufallen und sie zu vertilgen. Es sei von den Truppen kein Sieg errungen worden, der Kampf sei unentschieden geblieben; dennoch sei gewiß, daß das Militär bedeutende Verluste erlitten und sich in ziemlicher Unordnung nach seinen Quartieren zurück gemacht.

Dieser Kunde zufolge, die von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr ging, wie der Sturmwind, waren die Flaggen und Fahnen einstweilen wieder eingezogen, und die Festlichkeit des Empfangs vertagt worden. Dagegen tobte noch ein grimmiger, wenn auch unblutiger Aufruhr und Kampf um das Rathhaus.

[164] Raphael hatte – obgleich in einer mäßigen Entfernung – dem Spektakel zugesehen. Es handelte sich darum, daß die Kanonen, welche einst von dem Landesfürsten der Stadt, geschenkt worden waren, in die Hände des Volks, in den Dienst gegen die Truppen jenes Fürsten übergehen sollten. Die Partei der Ordnung, die Bürgerwehr der Stadt, war in dem Rathhause versammelt, zum Theil auch in dem Hof desselben, wo die Geschütze standen, zum Theil auch auf dem Platze vor dem Haufe selbst. Ihr gegenüber und zwar in größern Massen, war die Partei des Volkes und des »Fortschritts« aufgezogen, an ihrer Spitze der Turnergeneral mit mehreren anderen Volksmännern des Tages. Der Lärm war groß, das Durcheinander unerquicklich. An eine ruhige Verständigung, an eine friedliche Ausgleichung war kaum zu denken. Begeisterung und Schwärmerei, Trotz und Unverstand fochten hier blindlings ihre Sache durch. Drinnen wußte man sich nicht zu helfen! Draußen wuchs die gefährliche Brandung immer mehr und die Obmänner des Volkes und des Aufstands hatten genug zu wehren, um einen wilden Ueberfall und Blutvergießen zu verhindern. Nach langem Hin- und Herverhandeln, nach mancher Rede voll Gift und Haß war endlich eine von den Kanonen ausgefolgt worden. Alfred begegnete ihr, da sie mit Siegesgeschrei von den Eroberern durch die Stadt geschleppt wurde. – Ueber das Schicksal der drei übrigen Geschütze – ob sie in der Gewalt der Bürgerwehr bleiben oder der Gegenpartei ausgeliefert werden sollten – wollte abstimmungsweise zu entscheiden beliebt werden. Eine Abstimmung mitten im tobenden Meere! Eine Abstimmung, während unter den Mauern der Stadt die Schlacht wüthete! Sie [165] ging vor sich, wie sie eben konnte; ein paarmal schrieb sich das Volk der Freischaaren den Sieg zu; ein andermal wollten die Bürgerwehrmänner gewonnen haben. So kam es denn, daß, nach vergeblichen Vorstellungen des Bürgermeisters, und nach mancher feurigen Ansprache des Turnergenerals und seiner Adjutanten plötzlich die Bürgerwehr sich im Rathhaus zusammenzog und mit ihren Flinten von den Fenstern herab das brausende Volksgetümmel bedrohte.

Der Augenblick war ernst, in seinem Gefolge konnte das größte Unheil hereinbrechen.

Raphael, der bis dahin sich vergeblich bemüht, in das Gebäude einzudringen und von seinem Freund »Poppele« eine Spur zu entdecken, wollte klüglicher Weise sich ducken und still entfernen. Da erschien zu seinem Schrecken, unter anderen verwegenen Gesichtern, an einem Fensterbogen des Hauses eben der Freund »Poppele« und schlug mit wilder Geberde auf den lärmenden Haufen der Aufständischen an. Diese gespenstige Erscheinung – denn der »schöne Fritz« sah sich kaum mehr gleich vor Zorn und Rachbegier – machte auf einmal den guten »Stulpenstiefel« aus einem verzagten Menschen einen recht tapfern. Denn mit ganzem Leibe erhob er sich über die, so ihn umringten, und schrie dem Freunde zu: Nicht schießen, Fritz! Willst du mich denn todtschießen? Sei gescheidt, »Poppele«, und thu' das nicht!

Diesen Schrei vernehmend, stutzte der »schöne Fritz« und ließ das Gewehr sinken, wurde aber auch alsobald von mehreren seiner Kameraden, die ihm ebenfalls in die Ohren riefen: »Nicht schießen, nicht schießen!« vom Fenster hinweggerissen und verschwand unter dem Ge [166]tümmel, das nun innen losging. Mit einem Worte: der Umschwung nahm die Oberhand im Hause, wie er sie schon draußen genommen. Unter den Vertheidigern der Geschütze selbst war der Zwiespalt offen ausgebrochen. Viele, die kurz zuvor noch für die Verweigerung der Kanonen gestimmt hatten, sprachen sich plötzlich dafür aus und zwangen mit Drohung und Gewalt die Uebrigen, ihnen nachzugeben und jede Feindseligkeit zu unterlassen. Mittlerweile raffte sich auch das Volk auf dem Platze zusammen, lief gegen die Pforten des Hauses an, sprengte sie, wimmelte wild durch Haus und Hof und war im Nu im Besitz der Geschütze, die ohne einen Streich ihm überlassen wurden.

Weil indessen in den obern Stockwerken das Getöse nicht aufhörte, ließ sich Raphael von dem Schwall geduldig mitreißen und suchte mit wahrer Herzensangst seinen »Poppele« auf, den er lang nicht finden konnte, dessen er aber endlich gewahr wurde, wie er an einer Treppenstufe mit wahrer Raserei sein Gewehr zerschmetterte und dabei ausrief: Verdammt sei die Hand, die ich je wieder in Waffen für eine Sache erhebe, die nur auf Schwächlinge und auf Verräther sich stützt, und in der Stunde der Gefahr ohnmächtig und elend darniedersinkt, um schmählich zu verenden!

Es wäre dem Freund so bald wohl nicht gelungen, den »schönen Fritz« hinweg zu führen von dem Schauplatz seiner verzweiflungsvollen Zerstörungsbegierde, wenn nicht zum Glück noch Einer herbeigekommen wäre, der da um Vieles besonnener den Gehorsam des Verzweifelnden in Anspruch nahm. Alfred in höchst eigener langer Persönlichkeit tauchte aus der Menge hervor und redete kurz und befehlshaberisch sowohl den Fritz als den [167] Raphael an: Was macht Ihr denn noch hier? Hab' ich nicht schon Angst genug um Euch ausgestanden? Ich komme sozusagen aus der Schlacht, falle wie vom Himmel in diese wüste Balgerei und prügle mich schon eine Ewigkeit durch den Pöbel, um endlich auf Eure Fährte zu gerathen. Macht Euch auf und geht mit mir von dannen; hier ist nicht gut sein!

In Wahrheit schien es hier nicht allzu geheuer zu sein; verdächtige Gestalten in Menge liefen treppauf, treppab, glotzten in jeden Winkel, in jedes Gemach hinein, nicht übel aufgelegt, den ersten besten Aristokraten nach Gebühr zu mißhandeln. Dennoch wollte der rasende Roland Fritze nicht in sich gehen und fabelte in einem fort von Selbsterschuß und andern Attentaten gegen das eigene Leben, weil ohnehin mit der Ehre Alles verloren ... bis Alfred mit einer groben Wendung ihn bei der Schulter nahm und nach dem nächsten Ausgang dirigirte, wobei ihm Raphael trefflich half.

Dergestalt waren sie bald aus dem Gedränge und Alfred konnte ungestörter dem schönen Fritz den Text lesen, während er ihn nach seinem Quartiere geleitete. Schämst du dich nicht, zürnte er ihn an, jetzt, nachdem Eure Sache verloren, so thöricht aus der Haut eines friedlichen Beamten zu fahren? Was soll das heißen? Beuge dich in Geduld; es wird die Zeit schon wieder anders werden, und ob deinem kindischen Geflenne und Gerase wird das mathematische Gesetz, so die Welt regiert, nicht um einen Zoll breit von seiner Linie abweichen. Die Verräther und die Schwächlinge, über welche du Zeter schreist, sind einmal in der Zeit, sind alt darin geworden, müssen absolut da seyn, weil's das [168] Gesetz so will. Richte dich also auch darnach, und hab' Geduld, wie ein ächter Deutscher, sag' ich dir.

Es muß zugegeben werden, daß sich Friedrich dieser kurz angebundenen Philosophie fügte, und daß selbst Raphael, der Freischärler, froh war, dem Tumult entronnen und in Friedrichs stillem Stübchen geborgen zu seyn.

So wie in heftigen Volksbewegungen aus verhältnißmäßig kleinem Spielraum manche brutale Handlung und manche edle That unbeachtet vorüber geht, so ist es auch der Fall mit komischen Auftritten, die zu einer andern Zeit die ganze löbliche Straßenjugend der Stadt auf die Beine gebracht haben würden. So geschah es auch während des Sturmlaufs auf das Rathhaus mit einer kuriösen Reiterei, deren Held unser Doktor Faust gewesen. – Derselbe war am Nachmittag, von Schlacht und Treffen und städtischem Aufruhr nichts ahnend, zu seinem Pfarrer gegangen, um die Stunde seiner Trauung, die am folgenden Tag Statt zu finden hatte, fest zu setzen. Zu seinem Befremden hatte ihm der geistliche Herr bemerkt, daß aus der Feierlichkeit nichts werden könne. Der schöne Festtag werde für ihn, den Bräutigam, und überhaupt für alle Christen Freiburgs zu Verlust gehen; indem bereits sattsam bekannt, daß der Widerstand der Rebellen sich nicht werde brechen lassen, als mit Gewalt; trotz aller Versicherungen des Gegentheils. – Während nun der Doktor in seiner Bestürzung und Enttäuschung nutzlos mit dem Pfarrer verhandelte, vergebens an ihm herumflehte, und allen seinen Einwendungen Zweifel und Verneinungen entgegen setzte, hatte das Gefecht bei Güntersthal begonnen und war beinahe durchgekämpft, als der Doktor [169] erst das Pfarrhaus verließ, um seiner Braut die traurigste aller Nachrichten zu bringen: die von der Vertagung der Hochzeitfeier. Mißmuthig und zerstreut hatte er den Heimweg gesucht und war, verloren in seine traurigen Gedanken, mitten in die »wüste Balgerei« vor dem Rathhaus gefallen, ehe er sich dessen versah. Auf einmal steckte er in dem Menschentrödel darinnen, hin und her geworfen, gestoßen und geschoben und getreten, ohne sich wehren und rühren zu können. Seine Verwünschungen, seine Bitten und seine Klagen hatten ganz einen und denselben Erfolg. Sie wurden nicht gehört, er richtete damit nichts aus. Plötzlich wirft der Strudel ihn Brust an Brust mit einem Mannsbild zusammen, dessen Erscheinen just auf diesem Flecke ihm ein Räthsel, aber doch eine große Freude war. Das Mannsbild, eine kurze, gedrungene, breitschultrige Figur, mit langen Affenarmen und straffen Beinen – beinebst mit einem Angesicht, aus dem die Einfalt mit groben Zügen leuchtete, war des Doktors neugeworbener Knecht, sein Meffi-Stoffel.

Also, wie gesagt, Brust an Brust gedrängt mit diesem Knecht, als wie zwischen sausenden Mühlsteinen, fragte Faust begierig: »Was machst denn du in diesem Lärm? Was geht dich's an?« Und ihm antwortete der Knecht, als hätte auch Er seinen Göthe gelesen: Ha! drum hab' ich meine Freude dran!

Worauf der Doktor schnelle

»Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?«

Worauf Meffi-Stoffel, instinktmäßig seine Rolle weiter verfolgend:

Setzt Euch auf meinen Buckel auf,
Ich will Euch durch die Leute tragen!

Drehte sich mit bestialischer Hurtigkeit um, und hatte seinen Doktor auf dem Rücken sitzen, ehe dieser Drei zählen konnte, bohrte und drängte mit seinem Reiter unaufhaltsam vorwärts und öffnete sich eine Gasse, wie ein schlagend Pferd, so daß dem Doktor wieder der Muth aufging, und er in die Lüfte hinein rief, wie sein alter Namensvetter, diabolischen Andenkens:

»Was weben die dort um den Rabenstein?«

(Er meinte damit das Rathhaus.)

Und Meffi-Stoffel antwortete:

Weiß nicht was sie kochen und schaffen.

Der Doktor machte weiter in Göthe:

»Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen, sich.«

Hierauf Meffi-Stoffel:

Was neigen, was beugen? Eine Narrenzunft!

Sodann Faust:

»Sie streuen und weihen!«

Und Meffi-Stoffel, die letzte Reihe der Tobenden durchbrechend:

Hoi, hoi! Vorbei, vorbei! Juchei, juchei!

Mit einem Sprung war das wunderliche Roß im Freien, schüttelte den Reiter ab, und dieser dachte, im Herzen froh: Nicht umsonst hat mir das Schicksal zugleich mit jener Digitalis purpurea auch diesen, der Hölle entsprungenen, aus dem Paradiese gelaufenen und aus dem Himmelreich schnöde verstoßenen Diener geschickt. Zum erstenmal befreite er mich aus der Gefahr, und mir schwant, daß auch in der Zukunft seine Dienste mir Segen bringen werden.

[171] Der arme Doktor! Aus der rauhen Umarmung des Volks hatte ihn freilich sein Knecht gerettet; aber wer nahm ihm die felsenschwere Last vom Herzen, seiner süßen Braut die böse Botschaft verkünden zu müssen? Dennoch blieb ihm kein Ausweg übrig, er mußte seine Laura, er mußte das Hinterbeinische Haus aufsuchen, und frisch heraus sagen, was er gern verschwiegen hätte.

Cymbeline ließ den Doktor in das Haus ein, und die erste Frage des gar verstört aussehenden Mädchens lautete: Wie ist es bei'm Rathhaus gegangen? Hat es doch nicht blutige Köpfe gesetzt? Was ist aus dem Sekretär geworden? Wie geht es ihm denn, um Gotteswillen?

Der Doktor erwiederte schnöde, da ihm ganz andere Dinge im Kopf herum gingen: Ach, Fräulein, was um Gotteswillen geht denn mich der Sekretär an? – Und hinter ihm her, da der Doktor die Treppe hinauf stieg, seufzte Cymbeline in ihr Busentuch: O weh, so werd' ich denn von ihm gar nichts mehr hören? Ach, wie so bang, wie bang ist mir zu Muthe!

Hinterbeins Salon glich einer großen Krankenstube. Auf dem Sopha saß der Papa außerordentlich hinfällig und niedergeschlagen, mit schwermüthig geneigtem Kopfe und matt hernieder hängenden Händen Mathilde, auf einem Lehnstuhl am Fenster, hatte rothe Augen, und ein offenes Gebetbuch vor sich liegen. Sie redete kein Wort, und betete wirklich eifrig. – Katharinchen saß in einer andern Ecke mit finsterm schmollendem Antlitz – sie war erst vor kurzem von dem Papa wegen einer unbesonnenen Aeußerung tüchtig ausgezankt worden – [172] und that dergleichen, als stricke sie an einem Strumpfe, dem Ostersonntag zum Trotz. – Nicht weit von ihr hatte Cornelia Platz genommen, und that ihr möglichstes, die Seelenfreudigkeit zu verbergen, in der sie schwelgte. Mit ihrem Schnupftuch spielend, sah sie oft genug zum Fenster hinaus auf die Straße, ob nicht Titus käme, Neuigkeiten zu bringen, oder gar Raphael, dessen Begeisterung, voll von Schwung, Beredtsamkeit und Liebe, ihr so wohlthat. – Cymbeline fand nicht Ruh', nicht Rast; sie ging und kam, wie eine Mutter des Hauses, bald dieses, bald jenes besorgend, jetzt dem Vater eine Erfrischung reichend, dann ihrer lieben Mathilde ein paar Trostworte in's Ohr flüsternd; alles durcheinander schaffend und treibend, um etwas zu treiben und zu schaffen, und auf diese Weise die Unruhe zu verbergen, die ihre Seele marterte; – denn nur an Einen dachte ihre Seele, nur für den Einen war sie besorgt. –

»Das sind schöne Geschichten!« ächzte Hinterbein dem eintretenden Doktor entgegen, der sich vergebens nach seiner Laura umsah: »Wer hätte das gedacht? Jetzo stehen wir am Rand des Abgrunds. Jetzt kommt an uns die Reihe, Doktor. Sie haben Geld und besitzen ein neugekauftes Haus; ich hab' ein bischen Geld, so ich mir mit Müh' und Noth ersparte, und habe dieses Haus, das leider voll von Töchtern! Was haben wir zu hoffen, Doktor? Plünderung, Brand und Schande ... etwa gar den blutigen Tod der Guillotine.«

Der Doktor unterbrach ihn: Was Brand, was Guillotine? Was Tod, was Leben! Fräulein Laura ... wo ist denn Fräulein Laura?

[173] Hinterbein horchte nicht auf ihn, und fuhr mit rührender Eindringlichkeit fort: Und ich bin doch von jeher ein Mann des Fortschritts gewesen, und ich habe doch von jeher dem Bruder Arbeiter und dem Bruder Bauer meine Bruderhand gereicht! Niemals nicht hab' ich vor Fürsten mich gebückt ... niemals der Freiheit nur ein Dipfelchen vergeben, und dennoch ... dennoch jetzt im Verdacht, ein vormärzlicher Aristo zu seyn ... o, es ist hart ...!!

Dem Doktor ging die Klage nicht ein; ungeduldig drehte er sich nach allen Seiten, sagend: Was Freiheit! Was Bruder Arbeiter und Bruder Bauer! Will mir denn Niemand sagen, wo Fräulein Laura, meine Laura sich befindet?

Auch die Mädchen gaben keine Antwort, Cymbeline ausgenommen, die ihm leise meldete, daß die Tante, von allerlei übeln Ahnungen beängstigt, auf ihr Zimmer gegangen, um das Ostersonntägliche Festgewand abzulegen. Sie fürchte, habe die Tante gesagt, daß ihr kein Festtag mehr auf dieser Erde blühen werde ...

Just zur selben Frist trat das Fräulein von Wildian in den Salon. Weiß ihr Angesicht, kohlrabenschwarz ihr Gewand. Sich ihr nahend, erschüttert von ihrem Anblick, und sich männlich bezwingend, um der armen Braut dürr zu melden, was sie selbst schon vorausgesehen, wie ihr Trauergewand kund gab, sprach der Doktor mit dumpfem aber sehr deklamatorischem Ton:

Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn; [174]
Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
Und schaffend, Götterleben zu genießen
Sich ahnungsvoll vermaß, wie muß ich's büßen!
Ein Donnerwort hat mich hinweg gerafft.

Das will sagen auf deutsch – setzte er hinzu – daß leider aus unserer Vermählung morgen und, der Himmel weiß wie lang, nichts werden kann!

Die schreckliche Gewißheit hörend, wankte die arme Tante hin und her, und es war alles Mögliche, daß sie nicht in Ohnmacht fiel. Die jederzeit bereite Cymbeline führte die Arme zu einem Sessel, in den sie schluchzend niedersank. – Der Doktor stand wie ein Meilenzeiger; Hinterbein hingegen erhob sich zürnend, und fuhr die Tante an: Na, na, das fehlte noch, Sapperment, zu unserm Elend, daß Fräulein Schwägerin rappelköpfig würde und außer sich geriethe! Das wäre ja der völlige Umsturz meines Hauses in Person! Geben sich Fräulein Schwägerin zur Ruhe, und bedenken Sie, daß Sie kein heurig Häslein mehr sind! Es ist gerade, als ob ich mich noch einmal seligst verheirathen wollte und desperat würde, weil's nicht gleich seyn kann. Da lassen Sie eher meine Mathilde, mein junges Mathildchen reden. Da nehmen Sie eher ein Beispiel an dieser jungen Mathilde, die ihr Liebeskreuz mit Fassung erträgt, und bringen Sie nicht noch mehr Verwirrung in diesen unglücklichen Haushalt, aus dem ich vor Galle hinausfahren möchte, und zugleich aus der Haut!

Wenn diese Anrede zum Zweck hatte, das Fräulein von Wildian auf andere Gedanken zu bringen, so [175] war sie trefflich wohl gerathen. Laura sprang auf, ihres Liebesleids und ihrer Thränen vergessend, und wollte mit gebührender Entrüstung Demjenigen entgegnen, der so unhöflich gewesen, auf ihre vorgerückteren Jahre anzuspielen. Auch Hinterbein stellte sich auf die Hinterfüße, und es hätte vielleicht eine grimmige Familienscene abgesetzt, trotz der Bitten Cymbelinens, die ihre Tante zum Schweigen zu bringen suchte, und trotz Corneliens und Mathildens Flehen, die sich an den Vater hingen, um seine Heftigkeit zu beschwichtigen, wenn nicht der wichtige Schicksalsmann, der Briefträger, in's Mittel getreten wäre.

Er brachte einen Brief von Salomon Triller aus Hamburg, und sah dabei aus, als käme er höchsteigenfüßig von der alten Hansestadt daher. »Hätte ich doch nicht geglaubt, rief er ganz erschöpft, daß Herr Hinterbein mit werther Familie noch hiesig wäre! Wär' ich ein reicher Mann wie Sie, und hätt' ich Roß und Wagen, wie Sie, ich wäre jetzt schon lange über Offenburg draußen, und wartete den morgigen Tag nicht ab! Das wird einen schönen blauen Montag geben; man kann schier nicht mehr von einer Gasse zur andern gelangen, und meine Beine sind elend geschunden von dem Klettern über die Barrikaden.«

Diese Worte hoben nun allen Familiengroll wie mit einem Zauberschlag aus den Angeln. Einmüthig versammelte sich die Gesellschaft um den geschundnen Merkur, und wie aus einem Munde fragte sie: Barrikaden! um Gotteswillen, Barrikaden? – Und der Briefträger bestätigte noch einmal die gegebene Kunde und empfahl sich mit dem trostreichen Gruß: »Auf Wiedersehen, wenn wir nicht Alle morgen schon des Todes sind!«

[176] Er gab, wie man zu sagen pflegt, alsobald die Thüre in die Hand eines Nachtreters, der kein anderer war, als der bewußte Herr von Straßburg, der auf dem Bahnhof vor wenigen Tagen sich beschwert hatte, daß nicht schon die » République« zu Freiburg proklamirt worden. – Just im Gegensatz zu dem Briefträger, der ausgesehen, wie der leibhaftige Jammer, glänzte der Republikaner von drüben herüber in Freude, Vergnügen und allgemeinster Befriedigung. »Jetzo ist's recht, pardieu!« schmetterte er wie ein Siegstrompeter: » à présent geht's rechtschaffen los! Barrikaden, comme à Paris, Blousenmänner, comme à Paris! Freiheit, Gleichheit, Fraternité, tonnerre de Dieu! Ich hab' mein Geld doch nicht umsonst depensirt; ich hab' doch den rechten moment abgepaßt: bis morgen, eh's noch zwölfe schlägt, seyd Ihr en république, Ihr ditsche bonnets de coton

Den Papa Hinterbein juckte es sehr in den Fäusten; doch hielt er an sich, weil die Zeit nicht günstig, und entgegnete dem Straßburger mit unterdrücktem Verdruß: Aber, Herr Hannsdennel, wie mögen Sie doch in einem soliden Bürgerhaus mit solchen Reden hereinbrechen! Haben Sie doch Respekt vor unserm Unglück! Nicht, als ob ich nicht den Fortschritt liebte, Gott bewahre: aber ich sage, wie unsere Volksmänner selbst es thun, daß die Republik bei uns noch nicht an der Zeit, und daß ...?

Qui donc! Unglück? Ist die république ein Unglück? Ich bin jetzt schon zum zweiten Mal en république und bin gesund, gesund wie ein Hecht! Je suis citoyen frrrrançais, savez-vous? Ich bin das gewesen unter der convention nationale, unter'm directoire, [177] unter'm consulat, unter'm empire, unter'm Louis tout-de-suite, in denen cent jours, unter'm Charles-dix, unter'm Louis Philippe, und wär's auch unter'm Comte de Paris, wenn nicht der Ledru-Rollin und der Lamartine de compagnie uns die République octroyirt hätten, et c'est pourquoi ... da ist nichts zu lachen, Ihr Jungfern ... vous ne comprenez pas la position ... und die république, die wir haben, nous autres Français, die möcht' ich auch Euch Freiburgern von Herzen gönnen, oui, auf mein honneur ...

Ein dumpfes Gerumpel auf der Straße schnitt dem Redner den Faden ab. Die Familie drehte ihm, theils lachend, theils unwillig den Rücken, und spähte zu den Fenstern hinaus. Zwei von den städtischen Kanonen standen mitten auf der Gasse; Freischärler und Handwerksgesellen hatten sie daher geschleppt. Unfern vom Hause zog wieder die unheimliche Schaar, die der alte dürre Trommler anführte. Er polterte auf seinem Kalbfell nach Herzenslust, unbeholfen und erschrecklich wie der leibhaftige Tod. – Der Anblick der Kanonen, und das Fellgerassel des Gespensts ging den Zuschauern und Zuhörern durch Mark und Bein. Die Tante mit gerungenen Händen flehte zu Hinterbein empor: »Liebster Schwager, lassen Sie uns fort von hier! Schon bricht die Dämmerung ein, die Nacht dürfte schrecklich werden! Retten Sie sich, retten Sie uns!«

Der Straßburger schien, den Geschützen gegenüber, seinen Sinn etwas gewandelt zu haben, denn auch er rief aus: Ja, ja, sauvez-vous! wenn's dann noch einen Platz gibt, sitze ich hinten drauf, um Sie zu protegiren, denn ich presumire, daß wenn's auch hier [178] zur Bataille kommt, man in mir den citoyen français und die fraternité des peuples respektiren werde.

Hinterbein that ein paar große Schritte in den Saal hinein, und sagte entschlossen und gehoben: Amen; wir wollen fort. Thut mir leid, Herr Hannsdennel, daß für Sie in meiner Kutsche kein Platz; doch ist die Straße jedenfalls breit genug, daß Sie nebenher laufen können. Cymbel, geschwinde! Der Barthelmä soll anspannen, unverzüglich wollen wir fort! Der Herr Doktor sind so gut, und hüten das Haus bis zu unserer Rückkehr! – Wohin, wohin fahren wir? fragten die Damen lebhaft, und der Doktor protestirte gegen die Zumuthung mit den brummigen Worten: Als ob ich nicht selbst schon mein eigen Haus zu hüten hätte! – Der Papa überschrie jedoch Alle mit dem Befehl: Nach Glotterbad, nach Glotterbad!

Aber, o weh! Schon stand das grimme Schicksal vor der Thüre. Cymbeline, die den Kutscher bescheiden wollte, prallte zurück vor dem barsch eintretenden Vetter Titus. Und dessen Anrede war, wie schon einmal: »Auf ein Wort, Bürger Hinterbein!«

Tiefe Stille. Endlich ermannte sich der erschrockene Papa zu der Frage: Zu Befehl?

Worauf Titus selbstherrlich: »Unsere Kanonen sollen an die Thore verbracht werden, um Tod und Verderben in die Reihen der Tyrannensöldner zu speien. Doch mangelt uns die Bespannung; Sie, Bürger, haben Pferde. Ich belege dieselben mit Beschlag. Das Volk wird einst Ihre Bereitwilligkeit zu lohnen wissen.«

Die Stille im Gemach wurde, wo möglich, noch stiller. Der Schlag – in diesem Augenblick – war hart und unerbittlich. Hinterbein war schier zu Stein [179] geworden. Darum fuhr Titus kurz und schneidend fort: »Nur keine Weigerung. Dem selbstherrschenden Volk darf nie ›Nein‹ gesagt werden. Schon haben meine Leute Ihren Hof und Stall besetzt, und die Pferde sind bereits in unserer Hand. Möglich indessen, daß dieselben schon morgen in Ihren Besitz zurückkehren, Bürger. In wenigen Stunden ist alles entschieden; die ungeheure Mehrzahl der bis jetzt uns feindlichen Truppen hat ihren Führern den Gehorsam aufgekündigt, und reicht uns brüderlich die Hand. Die gegen uns rebellirende Minderzahl wird morgen mit dem frühen Tage schon ihrem Schicksal verfallen seyn.« – Mit Heldenschritten nahte sich der Turner hierauf seiner Base Cornelia, bot ihr die Hand und sagte dabei biderb: »Halte den Lorbeerkranz bereit, meine bräutliche Muhme. Als Sieger werd' ich dich morgen wieder sehen; und stolzer fühle ich schon mein Herz klopfen, da ich mich jetzo überzeugte, daß die schlimme Gesellschaft, die seit ein paar Tagen dich umlagert, von dir gewichen, ohne Zweifel sich verkriechend in das Nichts, worein alles Aristokratengesindel gehört.«

Straff und aufrecht, den Hut kühn aufgedonnert, ohne weiter zu grüßen, entfernte sich Titus, stieß den ihm auf der Schwelle hastig entgegentretenden Nachbar Sattlermeister verächtlich auf die Seite, und verschwand.

Ach, meine Pferde, meine Pferde! jammerte Hinterbein völlig abgeschlagen dem Sattler zu, der seinerseits Rippen und Ellbogen rieb, die von des Turners Anstoß schmerzlich berührt worden. – So eben klapperten die Hufe der fraglichen Pferde über das Pflaster, und mit dicken Thränen im Auge schaute Hinterbein zu, [180] wie die edeln Thiere vor ein Geschütz gespannt wurden und davon schlichen, getrieben von den Streichen der Sensenmänner und anderer Gesellen.

Der Sattler nahm sich nicht lange Zeit, gebührend zu verschnaufen, und brachte mit möglichster Schnelligkeit hervor, was er zu melden gekommen war. »Das geht immer besser, Herr Nachbar; nun, wir werden was erleben! Das sind schöne Auspizien! Wer sich noch muckst, ist um seinen Kopf, wer noch was hat, ist um seine Sach'! Da sitzen sie beieinander in unserm Bürgermuseum, und fertigen Listen an, so breit wie dieser Tisch, so lang wie jene Thüre. Darauf stehen verzeichnet erstens, Diejenigen, so noch Waffen besitzen; – sie müssen sie hergeben; zweitens, Diejenigen, welche Geld haben und Geldeswerth – denen wird alles genommen: drittens, Diejenigen, die zu den Aristokraten gezählt werden – denen kostet es den Hals. Gelt, das klingt gut? Morgen um diese Zeit wird schon alles gethan seyn, wenn nicht Gott ein Wunder thut. Heute Nacht jedoch wird schon auf alle Fremde gefahndet werden, die sich nicht ausweisen können, und die Spione unter ihnen werden aufgehängt, das fehlt sich nicht.«

Die Bestürzung in der Familie war so hoch gestiegen, daß sie schon keine Worte mehr fand, und alle Drohung und üble Vorhersagung unerwiedert über sich ergehen ließ. Der Doktor stand immer noch wie ein Meilenzeiger; Hinterbein war auf sein Sopha zusammengeknickt – die Augen der Damen hingen nur an ihm, dem Berather, dem Versorger, dem Beschützer. – So konnte geschehen, daß Monsieur Hannsdennel, ohne bemerkt zu werden, Staubaus machte, um den verheißnen Nachstellungen, als Fremder ohne gültigen Ausweis, zu ent [181]gehen. Auch der Sattlermeister begab sich nach seinem Hause, nachdem er dem Papa dringendst angerathen, sein Haus zu verschanzen, als wäre es eine Festung, und ein paar wehrfertige Leute darinnen aufzunehmen.

Hinterbein klagte jedoch in die Lüfte hinaus: Ach, wie leicht gerathen, und wie schwer gethan! Wem in der Welt kann man heute vertrauen? Wer soll mir bürgen für meines Hauses und dieser Weiber Sicherheit?

Eben da er also lamentirte, öffnete sich wieder die Pforte des Salons, und herein traten, wenn schon zögernd und gleichsam genöthigt, der Leuenwirth von Hirzenbach und sein Annele, von Cymbeline und dem Freischärler Kaspar eingeführt.

Cymbeline ermahnte das Annele: Ei Jungfer, sträubt Euch doch nicht; ich stehe Euch für gute Aufnahme. – Kaspar sagte inzwischen zu dem Vater: Ihr dürft mir, bygott, nicht mehr in dem Wirthshaus bleiben, Leuenwirth; nicht Ihr, und noch weniger das Annele. Ja, wenn ich und mein Kamerad bei Euch seyn könnten, da wär's ein anderes, und kein Teufel sollte Euch ein Härlein krümmen; aber ich muß auf die Wacht am Schwabenthor, mein Alter ist schon dort ... das Haus da kenne ich als ein kreuzbraves Haus, und der Herr desselben wird, ich bitte ihn darum, gern die Nächstenpflicht erfüllen, und Euch beide aufnehmen für diese Nacht?

Die Empfehlung war schier überflüssig. Die Frauen umringten und umarmten die ihnen bekannte Badefreundin; Papa Hinterbein, da er nun gehört, daß er auf seine Freischärlergarnison sich nicht verlassen könne, dafür jedoch in dem Leuenwirth einen derben, stämmigen Mann sah, der wohl fähig, in der Stunde der Gefahr [182] tüchtig drein zu schlagen, bewillkommte den Hirzenbacher herzlichst, und benahm ihm zur Stunde die Scheu, die er vor dem »Stadtherrn« gehabt. – Mit ein paar Worten waren Gündermann und Tochter hier wie im eignen Hause, und Ersterer bedauerte nur, daß er nicht auch sein krankes Bräunel habe mitbringen können. – Trotz dem, daß Hinterbein seufzte: Meine Pferde, meine Pferde! fuhr der Leuenwirth fort, von seinem Rößle zu reden, und zwar mit der Plauderhaftigkeit, die ihn öfter überkam am Feierabend und bei'm Licht. »Wiewohl« – sagte er – »dem Bräunel geht's gut; es hinkt wenig mehr, und der Hausknecht drüben liebt es wie ein Vater, und der Kronenthaler, den ich ihm versprochen, wenn er das Bräunel gut versorgen würde, soll ihm bei Gott nicht ausbleiben. Drum haben wir alle aber auch selbiges Bräunel gar zu gern, indem es so zu sagen mit uns aufgewachsen ist; wiewohl ...«

Ach lieber Freund, unterbrach ihn Hinterbein, reden Sie mir nicht von Pferden ... die meinigen sind mir geholt worden!

Doch der Leuenwirth gab nicht luck und fuhr fort: »Sie haben mir das Bräunel auch holen wollen, jedoch, weil es knappt, haben sie es stehen lassen, worüber wir herzlich froh sind; indem das Rößle uns an's Herz gewachsen ...«

Worauf Hinterbein, dem Mann gleichsam den Mund mit der Hand verschließend, flehentlich: Lieber Freund, nur nicht von Pferden! Mein Verlust ...

Nun unterbrach ihn der Leuenwirth: »So will ich denn, denk' wohl, von meinem Annele reden, das mir und der Mutter freilich noch mehr an's Herz gewachsen ist, und das ich mit Freude in Ihr Haus salvire, weil [183] dort im Wirthshaus nicht mehr zu existiren. Junge und alte Freischärler überall, nüchtern und betrunken – laufen allen Mädeln nach – s'ist dasele gar nicht zum aushalten. Und was die Nacht noch bringen mag? Da hab' ich just vorhin gehört, daß sie die Thür zum Münsterthurm eingerennt haben und wollen Sturm läuten, wann es Zeit ist, und sich in der Kirche vertheidigen auf Tod und Leben!«

Hinterbein fuhr auf, die Hände faltend: Wenn sie nur nicht zur Plünderung läuten, wie der Nachbar Sattler behauptet hat! –

Während die beiden Männer sich von ihren Befürchtungen unterhielten, hatte Kaspar die hausfräuliche Cymbeline auf die Seite gewinkt, und ihr ein Papier zugesteckt, mit den Worten: Da ist ein Briefl, so mich ein Herr auf der Straße gebeten, in diesem Haus an eins der Fräulein abzugeben. Will's hiemit gehorsamst besorgt haben. –

Der Zettel war an Cornelia adressirt, und wanderte sogleich in ihre Hände. Er enthielt nur ein paar Zeilen: »Bestes Fräulein! Untröstlich, mein Wort nicht halten zu können! Aber heute Sie zu sehen, unmöglich! Fritze, mein Freund, ist zwar gerettet, aber krank! Ein gewaltiges Fieber! Alfred und ich wachen bei ihm! Morgen ein Mehreres! Zärtlichster Raphael!!«

Cymbeline hatte, über Cornelia's Schulter in den Brief sehend, das Billet früher zu Ende gelesen, als Cornelia selbst, und es fehlte gar nicht viel, so hätte sie laut aufgeschrieen und den Himmel zur Rettung ihrer Liebe aufgemahnt. Zum Glück stand Mathilde ihr zur Seite, die Vertraute ihrer stillen Neigung, und küßte ihr die Klage vom Munde weg und trocknete mit [184] ihrem Hauch die Thräne, die Cymbelchens Auge netzte, als das Mädchen in den Armen der Schwester seufzte: O gewiß, der Brief sagt nicht die Wahrheit, lang nicht die volle Wahrheit! Der Sekretär ist verwundet, schwer verwundet, vielleicht schon todt ...! Seine Freunde wollen es uns nur verbergen ... O gewiß langt morgen schon die Todesbotschaft an! Halte mich fest und aufrecht, liebste Mathilde ... mein Herz bricht morsch entzwei ... das überleb' ich nicht!

Was ihr Mathilde darauf sagte, um ihren Schmerz zu tödten, ist unbekannt geblieben, denn es ging unter in dem allgemeinen Gespräch, das in den verschiedenen Gruppen im Saal laut wurde. Cornelia plauderte mit Kathrinchen von ihrem Raphael; Annele unterhielt sich mit der schwermüthigen Laura von dem vorjährigen Sommer und seinen Freuden; der Doktor war wieder lebendig geworden, da er zu seinem Schrecken gehört, was Hinterbein von dem Signal zur Plünderung gesprochen. Er hatte sich dem zukünftigen Schwager und dem Leuenwirth genähert und sein Schicksal beklagt, das ihn zwinge, seine Braut zu verlassen, um seines eignen leeren Hauses Wächter abzugeben. Der Freischärler Kaspar war aber vor die Herren getreten, und sagte etwas aufgebracht, aber dennoch gutmüthig genug zu ihnen: Wenn ich recht gehört habe, so fürchten Sie sich in dieser Nacht vor Raub und Mord? Lassen Sie das bleiben. Wir Volkswehrleute sind keine Spitzbuben. Es gibt wohl ungezogene Bursche unter uns – davon kann des Leuenwirths Töchterlein erzählen – aber wer von uns an fremdes Eigenthum die Hände legte, oder das Leben eines Bürgers bedrohte, der würde fallen unter unsern eignen Säbeln und Bajonetten. Die Frei [185]heit lieben wir, und meinetwegen auch die Republik; diese soll aber nicht seyn ein Diebsnest und eine Mördergrube! Schlafen Sie ruhig, Hausherr; schlaft gesund, Leuenwirth, sammt Eurem Annele. Hier seyd Ihr sicher vor den Zechgesellen und dem Troß der Windbeutel und Leichtfüße. Ich geh' auf meine Wacht; sollte aber diese Nacht etwas vorfallen, das Euch Gefahr brächte, so will ich der Erste zur Stelle seyn, Blut und Leben für Euch einzusetzen; so wahr mir Gott dereinst zum ewigen Leben verhelfen möge!

»Wackerer Mann!« – »Biedermann!« –»Haltet Wort, vergess't uns nicht!« Also erklang dem Kaspar von allen Seiten der Abschiedsgruß. Unter seinem Schutz ging Doktor Faust stolz nach Hause. Kaspars Rede hatte eine vollkommene Wirkung hervorgebracht: Hinterbein und Leuenwirth suchten ruhiger, als sie gedacht, das Lager auf; die Tante Laura bettete sich in Mathildens Kämmerlein; Annele blieb mit Cymbeline vereint, und verplauderte vor dem Einschlafen den Schmerz des Fräuleins durch die Erzählung ihrer eignen Herzensleiden.

Indessen war draußen die Nacht eine der ruhigsten, die man sich denken konnte; vielleicht die ruhigste, die seit dem Franzosenlärm gewesen. Kein Schuß, kein Geschrei, kein Glockenschlag, kein Brandlärm ... alles ruhig, alles schweigsam, wie im tiefsten Frieden. – –


[186]


 << zurück weiter >>