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Viertes Kapitel.
Wie die Tage wechseln.


Die Tage folgen einander und gleichen sich nicht. Wer hätte gedacht, daß nach dem geräuschvollen und bedrohlichen Abend des zwanzigsten April, nach der unruhigen Nacht desselben, der bestürzten Familie Hinterbein eine heitere Sonne aufgehen würde? Lärmende Haufen hatten sich nach der zwölften Stunde – wie schon seit etlichen Wochen, aller Polizei und Bürgerwehr zum Trotz – auf den Gassen herumgetrieben; Papa »Plantageur« war mehr als einmal durch einen Schuß, oder durch das seinen Ohren so widerwärtige Geschrei »Freiheit oder Tod« aus dem Schlummer geweckt worden, ohne daß die Patrouillen der Bürgerwehr – die gar nicht mehr patrouillirte – ihn getröstet und zu neuem Schlaf gestärkt hätten; – und dennoch kam, wie gesagt, am Freitag eine fröhliche Sonne über sein Haus, und zwar in der Person des Briefträgers, der eine Depesche brachte, die alle Herzen im genannten Hause munter aufregte und wacker machte.

Die Freunde Alfred, Fritz und Raphael, die um [75] die Vormittagsbesuchstunde sich bei dem Plantageur einstellten, um nach dem Befinden und dem Humor des Herrn und der Damen zu fragen, wußten anfänglich gar nicht, wie sie die Verklärung, so aus jeglichem Auge leuchtete, deuten sollten. Von der Magd, die ihnen die Thüre öffnete, bis zum obersten Familienhaupt hinan, war Alles Zufriedenheit, war Alles Freud' und Seligkeit! –

Alfreds, Raphaels erster Gedanke, dem Räthsel gegenüber, war allerdings: Wir haben Eindruck gemacht. Cornelia und Mathilde sind von uns entzückt; der Vater ist schon bearbeitet worden, und sieht in unsern Wenigkeiten annehmbare Freier, und bei gegenwärtiger stürmischer Zeit doppelt erwünschte Ritter und Beschützer seiner Töchter! – Ein süßer Gedanke, den der sonderbar verschlossene »schöne Fritz« etwa nicht theilen mochte, denn ihm merkte man nicht Hoffnung, nicht Zuversicht, nicht Beseligung an, indem er umherging wie ein abgeblaßter, leidender, nach Erlösung schmachtender Geist.

Die süßesten Ahnungen sind indessen – leider – nicht immer die zuverläßigsten, und also traf es auch bei den Freunden ein, die da etwas ihnen Günstiges geahnt hatten, und die – ach so bald – von der stillen Lust bis zum schweigsamen Schmerz herabzusteigen hatten, während – ein seltsames Gegenstück – der »schöne Fritz« nach und nach wenigstens bis zur Schadenfreude sich erkräftigen und erheben mochte. –

Das ging, in Kurzem gesagt, auf folgende Weise zu:

Diejenige der Schwestern, die bisher die schwermüthigste gewesen, war wie umgewandelt, war wie ausgewechselt: Mathilde schwebte, einer Lichterscheinung zu vergleichen, im Hause umher: verherrlichte nur auf [76] Augenblicke den Salon, war im höchsten Grade verbindlich und angenehm mit den Besuchern, verschwand jedoch sobald als möglich, um dann wieder nach kurzer Frist immer strahlender in der Gesellschaft aufzutreten. Cornelia zeigte eine helle Stirn, statt der düstern und sorgenvollen, die sie gestern zur Schau getragen. Aus Katharinens Augen lachte ein Unmaß von Muthwille, wenn schon ihr lächelndes Mäulchen im Anfang beharrlich schwieg. Cymbeline endlich, die in den jüngsten Tagen so ernsthaft gewordene Cymbeline, schien – wie man zu sagen pflegt – in ihrem Gott vergnügt einher zu wandeln.

Noch hatte sich das Antlitz des Hausherrn den Freunden nicht gezeigt, und Raphael indessen volle Muße, an Cornelie die Frage zu stellen: Wie kommt es nur, mein Fräulein, daß Sie heute in Ihrem ganzen Wesen eine Befriedigung verrathen, die gestern weit von Ihnen entfernt war? Ich glaube mich zu erinnern, daß Sie gerade nur den paar gesellschaftlichen Scherzen, die ich ausgeführt, günstig und zugänglich gewesen? Je freundlicher die Heiterkeit, die ich heute in Ihrem Zirkel wahrnehme, mich berührt, ja mich erquickt, um so neugieriger wäre ich, den Grund davon zu erfahren?

Der Künstler hoffte, daß ein lebendiger und geheimnißvoller Blick der Dame ihm die Antwort geben würde: »Du bist es, Unwiderstehlicher, der mich entzückt, der mich beglückt!« Allein er hatte sich, wie schon manch liebesmal im Leben, getäuscht. Cornelia, ohne einen jener Blicke in's Gefecht zu führen, begnügte sich, ihm gefällig zu erwiedern: Darnach müssen Sie den Vater, müssen Sie Mathilde fragen.

Fatale Zusammenstellung! Der Vater? Diese Weisung [77] hätte noch etwas bedeuten können, das sich mit den Hoffnungen des stillen Freiers vereinbarte. Aber Mathilde? Was sollte ihm, ihm Raphael, Mathilde zu sagen haben? O ewiges Chaos! dachte er bei sich, und blickte gleichsam enttäuscht auf die Spitzen der Sommerstiefelchen nieder, womit ihn der »schöne Fritz« ausgestattet. Seine Verlegenheit wuchs im Nu dergestalt, daß er, weil Cornelia zu Seite getreten, sich ungefähr mit derselben Frage, die er an Jene gerichtet, an Katharinchen wendete.

Kaum jedoch hatte er das gethan, als es ihn schon reute, und zwar mit Recht; denn das leichtfertige Mädchen lachte ihm mit der liebenswürdigen Unverschämtheit, die ihr dem Schauspieler gegenüber eigen, abermals und noch viel ungeberdiger in's Gesicht, als schon gestern geschehen. Ohne dieser Fröhlichkeit des Augenblicks nur ein erklärend Wörtlein beizufügen, tanzte sie von dannen. Seinerseits trat Raphael, dem es im Busen zornig genug aufkochte, an den Flügel, um mit einigen Akkorden auf's Gerathewohl den Sturm verletzter Eitelkeit zu beschwichtigen.

Der »schöne Fritz«, immerdar auf Mathilde passend, ihr nachgehend, wie einem Schmetterling, der ihm stets wieder unter den Händen entkam, gab verdrossen die Jagd auf, und kaute still in sich gekehrt an seinen Nägeln.

Alfred jedoch, der sich zwar durch die Träume seiner Nacht überzeugt hatte, daß er Mathilde liebe, und nothwendig von ihr geliebt werden müsse, der ebenfalls wie der Sekretär, mißfällig bemerkt, wie unstät und wie fröhlich doch Mathilde in den Tag hinein lebe – der aber unter allen Umständen sich mehr beherrschen [78] konnte, als Raphael und Friederich es vermochten, machte sich kurz und gut an die lächelnde und emsig ab und zugehende Cymbeline, fragend mit gemessener Höflichkeit: Welchem glücklichen Ereigniß schreib' ich wohl das Vergnügen zu, das heute von Ihrer Schwestern und von Ihrem Antlitz lacht?

Worauf ihm Cymbelchen offen und getreulich meldete, daß Mathilde von ihrem Verlobten – »von ihrem Bräutigam« – wie sie mit einem unbeschreiblich lustigen Seitenblick auf den »schönen Fritz« hinzusetzte, einen hoffnungsreichen, vielversprechenden Brief erhalten, der eine baldige schöne Zukunft voraussage, und dessen Näheres den Herren mitzutheilen Papa Hinterbein nicht verfehlen würde. »Wir Schwestern« – also endigte sie ihren Bericht – »haben einander schon von der Wiege so lieb, sind einander so herzlich zugethan, daß wir von dem Geschick einer Jeden von uns unsern Theil dahin nehmen, so in Leid, so in Freude. Wir haben bis jetzt mit unserer guten Mathilde getrauert; dafür ist heut' ihr Glück auch das unsere, und wahrhaftig: der Brief hat sie unsäglich glücklich gemacht!«

Diese letzten Worte wurden abermals mit lauterer Betonung gesprochen, und abermals von einem schelmischen Seitenblick auf den Verdrießlichen begleitet; der, ein Bild der Vernichtung, in dem Fensterwinkel stand und dergleichen that, als merke er nicht auf Cymbels Rede, von der ihm doch keine Silbe verloren, sondern wie ein scharfgeschliffener Dolch durch die Seele ging.

Auch Alfreds Diplomatenangesicht hatte Mühe, sich kalt und glatt zu behaupten. Um indessen nicht aus der Rolle zu fallen, wollte Alfred just eine kühle Danksagung der guten Cymbeline zum Besten geben, als [79] die Thüre des Seitengemachs aufging, und Papa in voller Herrlichkeit und Glorie hereintrat. – Seine Stirne war eigentlich durchleuchtig, Friede und ruhiges Selbstbewußtseyn gaben sich in jeder seiner Gesichtsmuskeln kund. Ein ganz anderer Mann, als der vom verwichenen Abend. Er grüßte freundlich, ja vertraulich, die drei Herren und ging ohne weiteres in den Text ein:

Wenn ich Ihnen gestern wie ein bedrohter und mit Recht betrübter Bürger vorkam, so sehen Sie heute in mir einen glücklichen Vater und sehr beruhigten Deutschen. Meine Mathilde, die schon seit langer Frist ohne Nachricht von ihrem Bräutigam gewesen und langsam dahinsiechte an Leid und Kummer, ist nun getröstet, ist nun zufrieden, denn eine glückliche Post traf für sie ein. Nicht gefangen, nicht verwundet, nicht auf dem Schlachtfeld geblieben ist der Freiherr Hugo von Wildian; wohl aber hat Radetzki aus dem tapfern Oberlieutenant, der, kaum aus Lemberg zur italienischen Armee versetzt, den Rückzug von Mailand trefflich decken half, einen Hauptmann gemacht, der noch leichter als zuvor an eine Heirath denken mag, sobald die italienische Scharte ausgewetzt und der Friede auf's Neue befestigt seyn wird. Und siehe: da gerathe ich gleich in das Lieblingsthema, so ich aus meines zukünftigen Schwiegersohns Schreiben herausgelesen! Ja, meine Herren, es wird noch Alles gut gehen, ob auch für jetzo die Sterne ungünstig zu stehen scheinen. Es wird Alles gut gehen, Sapperment; der Hauptmann schreibt's, und er weiß, was er schreibt, und schöpft aus den besten Quellen. Der Anarchie bei uns in Baden, sagt er mit klaren Worten, wird unverzüglich durch Oesterreich ein Ende gemacht [80] werden; Italien wird, ehe man die Hand umdreht, wieder zum Gehorsam gebracht seyn, und alsdann der französischen Republik, diesem gift'gen Unkraut, durch die heilige Allianz ein schnelles und seliges Ende bereitet werden. Lassen Sie uns eine Flasche Markgräfler auf diese brave Neuigkeit trinken! Mit den Befürchtungen in hier ist es aus und vorbei. Die Rebellen allerwärts geschlagen, eine österreichische Armee aus dem Vorarlberg in Eilmärschen auf dem Wege, Baiern und Württemberg bewaffnet und gerüstet an unsern Grenzen, zum Theil schon innerhalb derselben ... pah! Was will die Hand voll Gesindel, die mir gestern Nacht die Ohren vollgeschrieen mit ihrem unanständigen »Freiheit oder Tod!«? Geben Sie Acht, meine Herren: ich sage Ihnen im Vertrauen, was mir der Nachbar Sattlermeister, der überall hinhorcht, so eben mitgetheilt: Heute Nachmittag wird Artillerie einrücken sammt Kavallerie in Masse, und wenn Morgen die Wühler und das bethörte Proletariat mit ihrer sogenannten Volksversammlung Ernst machen wollen, so wird man auf sie einhauen mit scharfen Säbeln, unter sie schießen mit Kartätschen, und wenn tausend Menschenleben auf dem Platz bleiben sollten. Wir wollen Ruhe haben, Sapperment; wir brauchen all' diesen Unfug nicht, und da die Bürgerwehr nicht zieht ...

»Das weiß der liebe Gott!« knurrte der »schöne Fritz«, dem die Politik und die Liebe wie geschmolzenes Blei im Gehirne durcheinander liefen.

»Einhauen mit scharfen Säbeln? Dreinschießen mit geladenen Kartätschen?« stotterte Raphael in einem Tone, der im Zweifel ließ, ob er der Entrüstung oder der Angst eigen. Dabei flog Raphaels Blick sehr besorglich [81] Cornelien zu, die ganz mäuschenstille der Mittheilung beigewohnt.

Für diesmal antwortete Cornelia mit Kopfschütteln, mit ungläubigem Achselzucken, mit spöttischem Lächeln.

Mit seiner gewohnten unerschütterlichen Ruhe sprach Alfred: Nicht doch; es wird nicht gestochen, nicht gehauen und nicht geschossen werden. Die Volksversammlung wird allerdings vor sich gehen und nicht gehindert seyn. Das Geschwür will aufgehen; man lasse es platzen. Das mathematische Gesetz gleicht Alles aus. Auf welche Art und Weise? Das ist allerdings die Frage. Dem Mann geziemt's, auf alle Fälle gerüstet zu seyn, und so schlag' ich vor, daß Herr Hinterbein uns, seinen neuen Freunden und Verehrern, erlauben möge, morgen als eine Art von Sicherheitswache in diesem Hause zu verweilen, bis alle Gefahr irgend einer Widerwärtigkeit vorüber. Die Damen sind ängstlich, wie ich weiß, und Vorsicht schadet nicht.

»Wird mir eine Ehre sein, eine sonderbare Ehre;« ließ sich Hinterbein sehr angelegentlich, sogar dankbarlichst hören: »und um der Sache ... wie will ich nur sagen? – um der Sache ein gewisses Ansehen zu geben, lade ich Sie, meine Herren, auf morgen zum Mittagessen ein. Ein gut Gericht, ein freundlich Angesicht, dem der edle Wein entspricht, sie werden nicht fehlen; und bei'm Dessert wollen wir dem souveränen Volk, wenn es zu seinen Kartoffeln nach Hause geht, ein glänzend Lebewohl trinken, ein Lebewohl auf Nimmerwiedersehen!«

Da nun Mathilde, die schon zum zwanzigsten Mal hinausgelaufen war, um wieder und wieder ungestört und unbehelligt ihres Hugo Schreiben durchzulesen, in [82] den Salon zurück kehrte, ging Papa fröhlich auf sie zu, umarmte sie innig, küßte sie auf die Stirne und sprach: Glück zu, und zwar viel Glück, mein vielliebes Töchterlein!

Der Anstand befahl, daß die Herren Besucher, die nun von dem Stand der Sachen unterrichtet, nicht unterließen, ebenfalls das Fräulein zu beglückwünschen. Sie traten deshalb in einer Reihe vor. Der zwischen Fritz und Alfred eingeklemmte Raphael erhielt von seinen beiden nachbarlichen Freunden der verstohlnen Rippenstöße manche, und der Flügelmann rechts und der Flügelmann links raunten ihm zugleich in's Ohr: Geh' du voran, sprich du das Kompliment, denn mir versagt die Stimme, geht jeder halbvernünftige Gedanke durch, wie ein wildes Roß, steht der Verstand stocksteif und mauerstill!

Nun: der Schauspieler that gehorsam, wie ihm befohlen; zurückgreifend auf allerlei Rollen, die er gespielt, auf allerlei Prologe und Epiloge, die er gesprochen, plauderte er eine Menge blühenden Unsinn's daher, von dem die dankbar knixende Mathilde nichts verstand, und der folglich für die ganze Welt verloren gegangen ist, weil Alfred und Friederich, in Trauer und Unmuth versunken, alles überhörten, und weil die übrigen Anwesenden anderes zu thun bekamen, als der seichten Gratulation zu lauschen.

Papa Hinterbein nämlich, da er kaum Mathilde aus seinen Armen gelassen, befürchtete, durch solche Liebkosung sein allergeliebtestes Töchterchen verletzt, gleichsam beleidigt zu haben, und holte daher das Versäumte nach, indem er Cymbeline ebenfalls umarmte, und zwar nach Brauch und Gewohnheit weit zärtlicher als ihre Vorgängerin. »Komm her, komm her!« sagte [83] er dabei mit aller Gutmüthigkeit, die ihm von der Natur zu Theil geworden: »Der Mathilde gehört heute ein besonderer Vorzug, aber du, mein Cymbele, bist ja doch mein allerliebstes Herzkäferchen, und wenn ich die ganze Menschheit umarmen hätte müssen – ein starkes Stück Arbeit, meiner Treu – so hätte ich doch noch immer einen Extra-Schmatz und einen Extra-Handschlag für dich!« –

– »Aber auch für dich«! fuhr er zu Kathrinchen fort, das etwas eifersüchtig näher getreten war: »auch für dich, mein lieber Leichtsinn, mein herziger Kindskopf!«

Dann, sich umsehend, als wie nach einer schnöde Vergessnen, winkte er auch Cornelia herbei, und umarmte sie gleich den andern liebreich und von Herzen und mit den Worten: »Heut' darf kein Zwist und kein Verdruß im Hause herrschen. Komm' her, Patriotenfräulein, komm' her, du Jungfrau in Schwarzrothgold! Hast mich wohl manchmal in jüngster Zeit geärgert und bekümmert; bist aber dennoch ein liebes Kind, wie alle deine Schwestern, und so lang du diese und mich, deinen Vater, mit Lieb' und Schwesterlichkeit in der Seele trägst, so magst du meinetwegen frei wie ein Vogel seyn, und den besten Mädchen gleich auf Erden!«

Bei diesem Ausruf hielt Cornelia, die nicht von Stein, eine Freudenthräne nicht zurück, und um die Wette liebkosten die drei Schwestern den, heute so gemüthlichen, Papa; und Mathilde, da endlich Raphaels Anrede zu Ende, und die Herren das Zimmer verlassen, beeilte sich, den blühenden, um den Vater geschlungenen Reigen zu vervollständigen.

Die Freude wuchs so zu sagen zu allen Thüren [84] und Fenstern herein. Tante Laura brachte im Triumph einen Hochzeitkranz von besonderer Schönheit, nebenbei von großem Werth, den sie zur Feier des nächsten Ostermontags als ein Geschenk von lieben Freundinnen erhalten. Die Bewunderung der vier Nichten steigerte noch das Vergnügen der Braut; der Vater wurde um des Jungfernkranzes willen verlassen, und dem Kranz, wie billig, von den Damen der Hof gemacht.

Aber Papa konnte deshalb doch nicht zur Ruhe, doch nicht zum Ausschnaufen von seinem Zärtlichkeitsparoxismus kommen. Denn – kaum waren einige Minuten dahingeflogen, so flog auch schon – so gut es die Schwingen zuließen – der Bräutigam, der Doktor Faust, in das Gesellschaftszimmer, und sah aus, wie der lachende Frühling in eigenster Person, der etwa von der Musterung seiner bunten und duftenden Schöpfung, zufrieden mit sich selber und mit seinen Sprößlingen, zurückkehrt. Unter'm linken Arm allerdings trugen Herr Doktor das unvermeidliche und wenig bildliche Portfolio, auf seinem Rücken die bereits zur Stadtfabel gewordene Botanisirbüchse , – aber in der Rechten ein wahres Prachtexemplar von einer »Digitalis purpurea«, die er in dieser frühen Jahreszeit auf den Höhen des Schloßbergs – dort wo das sogenannte »Salzbüchslein« himmelan strebt – gefunden, prachtvoll aufgeblüht gefunden, mit überseeliger Wonne gefunden!!

Darum deklamirte er feierlichst gerührt, alsogleich bei'm Eintritt, die Worte seines Namensvetters magischen Andenkens, – ohne sich vorerst um die Braut viel zu bekümmern:

»Erhabener Geist, Du gabst mir, gabst mir Alles
Warum ich bat, Du hast mir nicht umsonst [85]
Dein Angesicht im Feuer zugewendet;
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen!«

Und da ihn nun die Damen mit einem Schrei des Staunens umgaben, denn die Pflanze, die er gewonnen, war von seltener Frühzeitigkeit und in der That wunderschön, versäumte er nicht, vor Allem das kleine Naturwunder huldigend in Laura's Hände zu legen, und deklamirte, einiges in des Dichters Versen passend abändernd, weiter:

»Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah' und näher bringt,
Mir die Gefährtin, die ich schon nicht mehr
Entbehren kann ...«

O meine Laura! fuhr er in eigener Prosa fort, da er nicht wohl mehr den Passus der Göthe'schen Dichtung fortsetzen konnte: Diese Blume auf Ihr Haupt ...! eines schönern Schmucks bedarf die Jungfrau nicht!!

Laura empfing das neue Geschenk mit billiger Anerkennung, aber den Doktor zerrten die Schwestern vor den Hochzeitskranz, und zeigten ihm die Herrlichkeit desselben von allen Seiten und schenkten ihm davon nicht das geringste künstliche Blümchen, nicht die mindeste Perle, nicht den kleinsten Gold- und Silberschmuck, der die Kunstblumen zur Krone machte. –

Der Doktor betrachtete all' diesen Flitterschimmer mit Geduld und opferwilliger Fassung, wiewohl etwas gelangweilt, und seinem Verzückungstaumel unangenehm entrückt. Da jedoch im Lauf der Lobpreisungen, womit die Mädchen sein Ohr betäubten, Cornelia mit Pathos ausrief – was die Mutter der Gracchen, die nur ihre Kinder als Juwelen passiren ließ, nicht gesagt haben würde:

[86] »Wahrhaftig! diese edeln Metalle, diese edeln Steine und Perlen, obgleich dem Abgrund entrungen, strahlen so jungfräulich und himmelrein, als ob die Schaar der Engel selber dem Drachen diese Schätze abgenommen und in ihren Händen sie geheiligt hätte!« – da machte Herr Doktor eine Art von Luftsprung, klatschte in die Hände, und rief entgegen, über alle Sterne hinaus vergnügt: O was mir einfällt bei'm Abgrund, bei'm Drachen ...! ich hab' Einen, ich habe ihn, ich habe ihn. Der mir bisher gefehlt, ich habe ihn, hab' ihn gefunden, wie man einen Kiesel, eine Brennnessel, einen Pudel findet, ... aber der Kern des Pudels ... der Kern des Pudels ...!

Athemlos mußt' er schweigen, und alle Anwesenden schrieen dafür lachend: Wen haben Sie? Wen gefunden? Wer, wo ist des Pudels Kern? – Woraus mit vielem Spaß und Mitgelächter der Doktor, den noch Niemand so kreuzwohlauf gesehen: Wie ich nun jetzo, vor Kurzem eben, dieses Stück Flora in der Hand, der Stadt zuwandte, begegnet mir ein halbjunger Kerl in Bauernkleidern oder so dergleichen, und fragt mich ex abrupto an: Brauchen Sie nicht einen Knecht, Herr? Ich bin zwar ein armer und vielleicht dummer Teufel, glaube aber wohl ein braver Dienstbot zu werden. – Die Sprache des Burschen gefällt mir, und da in der nächsten Woche – nach dem gebenedeiten Ostermontag – (Laura hielt geschämig die Hände vor die Augen) – meine alte Haushälterin der jungen Gebieterin meiner Habe und Person Platz zu machen hat, weil die übertragene Vergangenheit nicht bestehen mag neben der jungen holden, süßen Zukunft – (Sind Sie einmal mit dem sehr überflüssigen Text zu Ende? fragte die Tante) – [87] so hatte ich mich schon nach einem Diener umgesehen, der der neuen Herrin, und der Köchin und der Kammerjungfer zu gehorchen, und nur meine Stiefel und Gewänder zu tyrannisiren hätte; aber noch nicht gefunden hatt' ich einen passenden Mann für solche Pflichten. Der mir eben in den Weg getretene und sich selber angebotene Geselle zog mich – ich wußte nicht warum – gefällig an, und – Laura, Sie begreifen – der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme. Wahrlich auch! me hercle! das Schicksal und der Sternenlauf hatten mir den Menschen in den Weg geworfen; denn – wer beschreibt mein Erstaunen, meine Verdonnerung, als ich, den Burschen um seine Personalien befragt, aus seinem Munde hören mußte, daß er an der » Höllensteige« geboren, daß er im » Paradiese« – bei Konstanz – erwachsen und erzogen; daß ihm das Leben dort nicht behagt, und er zurückgewandert durch die Hölle, worauf er einen Dienst gefunden im » Himmelreich«, als welchem er nach Jahren durch bösliche Verläumdung eines gewissen » Engelknecht« vertrieben worden, worauf er beschlossen, in der Stadt in eines gelehrten Herrn Dienst zu treten, Ackerbau und Stall und Kellnerei verlassend? Wie wurde mir endlich, da ich ihn fragte nach dem Namen, der ihm in Taufe und so weiter geworden? Da er mir antwortete: er heiße Christoph, und zum »Geschlecht«, wie sie's nennen » Meffi«? Wie ein Blitz schlug das bei mir ein. » Meffi-Stoffel«? frage ich. – »Justement Meffistoffel;« antwortet er. Und meinem Diener hatte ich »Doktor Faust« gefunden, und draußen steht er, vor der Thüre, die Befehle der verehrlichen Gesellschaft zu erwarten.

[88] Also erzählte der fröhliche Naturforscher, und so Laura, als auch die lustig aufkrähende Katharine, und die abenteuerlich angeregte Cornelia, und sogar Papa Hinterbein, erschütterten Zwerchfells, liefen hinaus, um den so wunderbar gewonnenen Mephistophel zu sehen, zu beschauen von oben bis unten, von der Hahnenfeder bis zum Pferdefuß. –

Was hatte jedoch Mathilde, die selige Mathilde, zu schaffen mit dem »Geist«, der stets verneint? Was bekümmerte sich Cymbeline um den travestirten Knecht des Abgrunds, der den Doktor Faust zu vervollständigen und zu einer Landesmerkwürdigkeit zu machen gekommen war? Sie liebte mehr, in ihrer Schwester freudehellen Augen zu lesen, und sich zu weiden an dem Hochgefühl, mit welchem Mathilde den tausendmal geküßten Brief ihres Geliebten noch einmal an die Lippen drückte, noch einmal entfaltete, um ihn zu studiren, als sey's das erste Mal.

Mathilde, nachdem sie dem Drang ihrer Seele nachgegeben, hatte alsobald wieder Sinn für das Mitgefühl der Schwester, umschlang sie dankbar und sprach zu ihr: Meine gute, gute Cymbel, du bist doch die Einzige, die stets und aufrichtigst mit mir geweint, mit mir gelacht, gebetet und gejubelt! Wie kann ich, da jetzt mein Glück einen neuen Aufschwung genommen, wie kann ich dir so viele Liebe vergelten? O daß ich eine vom Himmel begnadigte und gefeite Zauberin wäre! Daß ich mit einem Wink, mit einen Wort auch in deine Brust den Frieden zurückzubringen vermöchte! Daß ich entweder deine Wünsche erfüllen und deine stille Liebe krönen, oder sie wegtilgen dürfte, wie ein böses Hexenzeichen von der Tafel!

[89] Gedankenvoll und schwermüthig schaute Cymbeline zur Erde; bald aber richtete sie das Haupt wieder auf und antwortete gelassen und ergeben: Ich danke dir; aber wenn schon deine Kräfte nicht hinreichen, meine thörigten Gelüste zu verwirklichen, so wird doch einst die Zeit allmächtig seyn. Ich läugne nicht, daß von dem Augenblick, als jener Mann, den wir meinen, in unser Haus getreten, eine lange Reihe von Kämpfen von meinem geringen Verstand und von meinem übermüthigen Herzlein ausgefochten worden sind. Jener Mann aber, dessen ersten Anblick ich beinahe schon vergessen, kam auch so plötzlich und unerwartet in meine Nähe, daß mein Aberglaube schnell ausrechnete, eine höhere Bestimmung habe ihn herbeigeführt. Ich habe diese Narrheit theuer bezahlt; ja, ich leide noch daran. Soll ich dir gestehen, daß eben heute ein recht unedles Gefühl in mir Platz genommen? Daß ich heute, da Friederich, sichtlich entmuthigt, dastand vor deiner Wonne und vor Hugo's Schreiben, daß ich den Unglücklichen mit spöttlichen Reden mit schadenfrohen Blicken verfolgt habe! Das wird mir noch heimkommen, fürchte ich. Aber zu ertragen wird es seyn, das selbstverschuldete Ungemach. Ich will ihn segnen sogar, den stillen Kummer; ich wäre ja allzuglücklich, – behaglich, wie ich bin in meinen Hausgeschäften, genügsam, wie ich bin in allen meinen Neigungen, und geliebt, wie ich bin, so sehr geliebt von Euch Allen! Es ist gut, daß ich lerne, wie nicht alles Gold und Friede auf Erden. Demuth macht endlich glücklicher, als Uebermuth.

Mathilde pries die verständige Schwester und entgegnete zuversichtlich: Der Himmel führe dich gnädig dem schönen Ziele entgegen, dessen du würdig bist: dem [90] Frieden eines unerschütterlichen Gewissens und der reinsten Frömmigkeit. Was den Sekretär betrifft, so ist – ich sage dir es leise – seine Verstimmung und Entmuthigung mir nicht verborgen geblieben. Sie hat mich sogar einigermaßen bekümmert ... Wir schwache Seelen sind nun einmal so. Indessen hoffe ich, daß dieser Brief und mein Vergnügen an demselben, die Ueberzeugung mit einem Wort, daß zwischen mir und Hugo der alte Bund bestehe, den Anlaß geben werde, daß der Sekretär aus unserm Hause wegbleibe. Seine Zeit in unserm Familienkreise scheint vorüber zu seyn. Er ist eitel, und wird bald andern Göttinnen huldigen, die ihn mit günstigen Augen ansehen. Du wirst seines Anblickes ledig sein, und den Herrn bald vergessen; und ich verliere ohnehin nichts, weder an ihm, noch an den Begleitern, die er seit gestern bei uns eingeführt. Der Eine ist ein lustiger Mensch, der aber, wie ich meine, wenig Tiefe des Gemüths hat: und der Andere ein förmlicher und eiskalter Herr, vor dem mich friert.

Cymbelinens Augen wurden feucht. Ungern sah sich das Mädchen an das mögliche Ausbleiben des »schönen Fritz« erinnert. – Mathilde, die Cymbelinens innerste Gedanken errieth, tröstete sie zwar, beharrte aber in ihrem eignen Innern auf der Voraussetzung, daß Friederich sich nicht mehr heimisch im Hause fühlen, und daher, sammt seinen Freunden, nach und nach sich zurückziehen würde. – –

Frauenahnung geht selten fehl, ist gar manchmal stichhaltiger als die Berechnung der gelehrtesten Männer. Schon am Nachmittage, nachdem die drei Freunde, Alfred, Raphael und Friederich, ein sehr schweigsames Mittagmahl eingenommen, kamen auf dem, nach der [91] Hand folgenden, Spaziergang hie und da Aeußerungen an das Licht, die von dem »schönen Fritz« ausgingen, und Mathildens Voraussagungen keineswegs zu Schanden machten.

»Wir haben heut' bei Hinterbein eine wunderliche Rolle gespielt;« bemerkte der Sekretär, da er mit den Seinigen den Schloßberg hinanstieg: »Der gewisse kaiserliche Hauptmann hat uns Schach und matt gemacht, ehe wir nur daran dachten.«

Alfred begnügte sich, darauf zu erwiedern: »Es ist wahr; ich komme dabei am schlechtesten weg. Ein kurioses Schicksal, auf meine Ehre.«

Verstummend gingen die Freunde ein paar hundert Schritte weiter. Auf einmal stand der »schöne Fritz« still, stampfte mit dem Spazierstöckchen grimmig die Erde, ausrufend: Ich könnt' ihn umbringen, den kaiserlichen Panduren!

Oho, oho! lachte Raphael ausgelassen, weil in der Mathildensache vollkommen unbetheiligt.

Und ganz verwundert fragte Alfred: Umbringen? Du? Ei warum denn du?

Fritz schoß ihm einen wilden Blick zu, hatte irgend eine Redensart, eine Antwort auf der Zunge, schluckte sie aber hinab; und somit war's gut, und auf's Neue herrschte Stille ein halb Viertelstündchen lang.

Da waren sie auf dem »Kanonenplatz« angelangt, und rechts schaute Alfred trübe nach dem Kaiserstuhl, und links vom Berge ab irrten Friederichs Blicke zu dem Bett der Dreisam nieder, und er fand, daß leider genanntes Flüßchen zum Ersäufen nicht wohl geeignet. – Aber vorne, auf dem Rand des Berges, stand Raphael, spähte heftig über die ganze Stadt hinweg und [92] rief dann munter, seine Zeigfinger hinaus streckend: Dort, ja dort, ragt es empor das liebe, wenn schon nicht säulengetragene Dach! Dort wohnt die Gastfreundschaft, die Biederkeit, die Schönheit, die Anmuth ... Dort steht der Grazien Tempel!

Was fabelst du? machte Alfred staunend. – »Was simpelst du, Stulpenstiefel?« fragte der »schöne Fritz«.

»Simpel und Fabelhänse Ihr Beide,« entgegnete der Künstler grob: »Seht ihr nicht dort den Giebel des Hinterbein'schen Hauses über seine Nachbarn hoch erhaben? Wohnt dort nicht die Gastfreundschaft, die uns heut' mit ›Markgräfler‹ regalirte, und auf morgen zu Tische lud?«

»Bauchdiener!« schmälte Alfred.

Raphael ließ sich durch die Kleinigkeit nicht irre machen, und fuhr eifriger fort: Wohnt nicht dort die Biederkeit, die meine Rentierbeglaubigung für baare Münze hält, und keinen Anstoß genommen an diesem lüftigen Sommerkostüm, das ich auf'm Leibe trage, dem allerdings noch kühlen April zu Spott und Schande?

»Die Natur von Schmergel ist nicht schwer hinter's Licht zu führen;« lachte Alfred, der des Augenblicks gedachte, da er mit Moritz, den Eisenbach entlang wandernd, dem Vater Hinterbein zum erstenmal begegnet war.

»Natur? Schmergel? Kann das nicht verstehen;« fuhr Raphael noch eifriger fort: »Ich frage aber weiter: Wohnt nicht dort die Schönheit und Anmuth, verkörpert in Cornelia? Ist sie nicht umgeben von den Grazien Mathilde, Katharine, Cymbeline?« (Um den »schönen Fritz« zu ärgern, zählte der boshafte Schauspieler [93] auch Cymbeline, auch die ihm verhaßt gewordene Katharine unter die Grazien.)

Der Streich traf mitten in die Scheibe. Friederich, der bis daher stumpf und verdrossen über die Stadt hinaus geblickt, fuhr recht böse auf mit einem gar unfreundlichen: Halt's Maul, Stulpenstiefel und kein Ende! Rede mir nicht von diesen saubern Grazien, von der hoffärtigen Aristokratin, von dem schnippischen Nesthäkchen und von der verwahrlosten, eingebildeten Cymbel. Nichts mehr von dem Hause, wo der Spießbürger thront, dessen höchstes Glück, einen adeligen Hauptmann zum Schwiegersohn zu kriegen; wo aus- und eingeht der Pedant, der das alte, stolze Fräulein in sich verliebt und besessen gemacht hat! Ich mag nichts mehr von jenem Hause wissen; ich setze keinen Fuß mehr dort hinein.

»Oho, oho! Das wär' vom Uebel!« rief der Schauspieler, der nicht gern seiner Adjutanten entbehrt hätte.

Und Alfred bekräftigte mit Würde: Das wäre ja eine Grobheit ohne Gleichen! Und wozu, warum die Grobheit?

Der »schöne Fritz«: Ich mag nicht mehr den Todtenacker sehen, auf dem all' meine Wünsche, all' meine Hoffnungen begraben liegen!

Alfred; verwundert zu Raphael: Verstehst du, was dieser arme irrsinnige Freund sagen will?

Raphael: Nicht die Spur, nicht das Brösele. Seine Rede klingt mir fremd, wie polnisch oder spanisch.

Der »schöne Fritz«: Ihr seyd Alltagsmenschen mit blöden Sinnen. Ihr versteht nicht, was eines gefühlvollen Mannes Herz bewegt. Der Augenblick ist [94] Euer Gott, Eure Wünsche sind von heute – Eure Hoffnungen ... Du lieber Gott, sie sind leicht zu erfüllen, denn über's thierische Leben geht Euer Trachten nicht hinaus! Ich habe – von dem Künstlerkopf da will ich gar nicht sprechen – ich habe dich, mein Alfred, immer hoch gehalten, aber mit Bedauern muß ich sehen, daß du ebenfalls ein ordinärer Mensch, wie Alle!!

Alfred, etwas entrüstet: Ordinär? Ich ein ordinärer Mensch? Eine Ungezogenheit, die nicht beleidigender seyn kann ...!

Raphael: Recht, das ist Tusch! Das ist Injuria!

Alfred: Eine Ungezogenheit, sage ich, die ich zu andern Zeiten in deiner Person vor die Klinge fordern würde ...

Raphael: Ja, ja! Das würde er, das müßte er!

Der »schöne Fritz«: Nur zu, nur zu! Ich bin dabei, ich bin parat! (Legt sich aus, als hätte er den Schläger in der Hand.)

Alfred, der sich geringschätzig von dem erbitterten Freunde abwendet: Narrheiten, Alfanzerei! Zu andern Zeiten würde ich dich fordern, habe ich gesagt. Heute sind wir keine Studenten mehr, die sich um eines unüberlegten Wortes willen die Hälse brechen. Auch kommst du mir gar nicht zurechnungsfähig vor. Du haselirst in's Blaue hinein, daß es ein Jammer, daß es zum Erbarmen.

Der »schöne Fritz«, der immer hitziger wird: Nun beleidigst du mich; jetzt läuft mir die Galle über! Ich bin kein Thor, kein Wahnsinniger; ich hab' ein Recht, in meinem Zorn und in meiner Verzweiflung Himmel und Erde zu bewegen. Was habt Ihr, gemeine Menschen, darein zu reden?

[95] Raphael: Gemeine Menschen? Alfred, leiden wir das?

Alfred: Wir leiden's, Freund, weil wir vernünftig sind, und weil wir überhaupt nicht wissen, was denn dieser tolle Bursche will? Deine Wünsche? Deine Hoffnungen? Hinterbein's gastliches Haus ein Todtenacker? Das geht ja über alle Nußbäume hinaus. Ich will in diesem Augenblicke seyn, was ich im Leben nie gewesen: bekneipt, betrunken will ich seyn ...

Raphael: Recht, recht; ich hab den Alfred nie in einem Rausche gesehen ...!

Alfred: ... wenn ich verstehe, begreife, kapire, mit einem Wort, was du sagen, was du klagen willst! Wenn von abgestorbenen Wünschen und Hoffnungen die Rede sein soll – nun, so laß mich reden. Ich komme an, ich sehe Mathilde wieder, ich verliebe mich, was mir noch nie passirt ... ich fange an zu wünschen, ich versuche es eben mit Hoffnungen ... und gleich heute wird mein ganzes Paradies zu Schanden, geht all mein Sehnen und Wähnen in Dunst und Rauch auf ... O! das könnte mich bitter gepackt haben, wenn ich überhaupt der Mensch wäre, der sich mir nichts dir nichts so packen ließe! Was willst aber du?

Der »schöne Fritz«, mit einer Bewegung der Hände, als ob er einen ungeheuern Mantel von sich werfe: Nun denn, ihr Maulwürfe, so will ich den Schleier fallen lassen, und gestehen vor aller Welt, daß auch mit mir, wie mit Euch Beiden, ein Wunder vorgegangen ist. Auch ich bin vor einigen Monden gekommen, auch ich habe Mathilden gesehen, und mein Herz war plötzlich ihr Eigenthum, meine Seele so zu sagen die ihrige geworden ...!

[96] Raphael, pathetisch:

Zwei Seelen – ein Gedanke,
Zwei Herzen – und ein Schlag!

Alfred; der wie aus dem Himmel fällt: Was hör' ich! Was muß ich hören! Was hab' ich gehört? Das ist ja gegen alle Abrede, ist ja gegen alle Verträge. Auf unserm Congreß im »Bädle« wurden ganz andere Beschlüsse gefaßt. He, Raphael, welche von den Schönen wurde mir dort zugesprochen?

Raphael: Ich kann's nicht läugnen: Es war Mathilde, die vornehm aristokratische Mathilde.

Alfred: Und welche, mein Raphael, wurde diesem leichtsinnigen und flatterhaften Narziß zu Theil?

Raphael: Er mußte nehmen. was da übrig blieb: Cymbeline war die Rose, die ihm zufiel.

Alfred, triumphirend: Richtig, richtig! Cymbeline, die auch von Stunde an in seinem eiteln Kopfe Platz genommen, von der er mir geschrieben, wie ein übergeschnappter Verliebter, wie ein toll gewordener Schwärmer! Den Brief habe ich noch, Fritze ... Und diese Cymbel hast du schnöde aufgegeben, um nachzugehen einer Huldin, die mir gehörte, und nur mir?

Der »schöne Fritz«, in großem Unmuth: Pah, geh, laß mich endlich zufrieden: der thörichte Mensch denkt, und der launenhafte Amor lenkt. Cymbeline! Ha, ha, ha! muß ich lachen. Die von Mutter Natur so vernachläßigte Cymbeline! Und neben ihr Mathilde, die Göttliche! Mathilde, die ich liebte ... Du bildest dir nur ein, du kalter Mensch von Marmor, du bildest dir nur ein, Mathilde zu lieben ... Ich aber, ich habe sie geliebt ... Ach, ich liebe sie noch!!

Alfred, grob: Das will ich mir verbeten haben!

[97] Raphael: Ja, ja, das kannst, das darfst du.

Der »schöne Fritz«, schwärmerisch fortfahrend: ... Und wenn ich, heute in meiner Liebe bettelarm geworden, auch scheide von dem Hause, wo ich so glücklich gewesen ...

Alfred, grob: Das ist dein Glück, daß du scheidest. Du ersparst mir die Mühe, dich hinauszuwerfen!

Raphael: Ja, ja, das dürfte Alfred ... das würde er thun ...?

Der »schöne Fritz«, grimmigst auffahrend: Hinauswerfen? Mich? Das ist mir, bei'm Himmel, noch nicht geboten worden! Ach, wenn ich an meiner Seite eine Waffe trüge!

Raphael, lustig deklamirend: Mein Schwert! Wo ist mein Schwert?

Alfred: Unterstehe dich, zu mucksen! Ich spalte Jedem den Schädel, der meiner Braut sich frech zu nähern wagte!

Der »schöne Fritz«, bitter lachend: Armer Thor! Deine Braut? Sage lieber: Der Braut jenes Hauptmanns, der mich bodenlos unglücklich gemacht! Doch werd' ich ihm in der Welt begegnen, wo's auch sey, und sterben muß er von meiner Hand, wie auch du, Alfred, zu sterben dich bequemen müßtest, wenn du fortfahren solltest, an Mathilde dich zu drängen!

Alfred, der wirklich sozusagen böse wird: Auch das noch? Nein, das ist zu arg! (Schwingt den Stock und will auf den »schönen Fritz« ein.)

Der »schöne Fritz«, zu gleicher Zeit und sehr rauferisch: Wie? Auch noch dieses? Das fordert Blut! (Schwingt auch seinen Stock und will über Alfred her.)

Raphael, der dazwischen springt und die Neben [98]buhler im Schach hält: Friede! Ruhe! In diesen heiligen Hallen kennt man die Rache nicht! Seyd Ihr Freunde und Schmollisbrüder? Ihr wollt Euch holzen coram publico? Holzen vor jenen geschwollenen Philisterköpfen, jenen affektirten Damen, die da zum weißen Kreuz heraufgewallt kommen? Vor jenen edeln Proletariern, die gleichsam auf vier Beinen daherreiten, um in der Nähe zu sehen, wie ein paar Aristokraten sich durchprügeln? Pfui, o schämt Euch! Steckt diese Eure Schwerter ein, und überlegt Euch, ob wohl vernünftig wäre, sich, wär's auch mit Degen und Pistolen, die Haut zu schinden, um eines Mädchens willen, das nicht dem Einen noch dem Andern jemals gehören wird? Geht, geht, umarmt Euch und sagt meinetwegen: »Wir haben Spaß gemacht!«

Der herzliche und dabei so muntere Ton des Vermittlers verfehlte seinen Zweck nicht. Auch war Raphael für diesmal so vernünftig und so weise – in fremder Sache ist man das gewöhnlich mehr als in der eignen – daß noch leidenschaftlichere Streiter sich gefügt hätten.« Keine Minute verging, und aus den Feinden waren wieder Freunde geworden, und das alte Verhältniß wieder hergestellt.


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