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Fünftes Kapitel.
Freiburgs Drei Tage. I.

Char-Samstag. Die Volksversammlung.


Keines Stadt des europäischen Festlandes dürfte sich wohl je in einer wunderlicheren Lage befunden haben, als Freiburg, am Samstag vor den verhängnißvollen Ostern Achtundvierzig. Der Aufstand, der aus dem Seekreis bis nach Kandern heruntergezogen, war, wie es schien, dort besiegt worden; die Hoffnungen der »Volkspartei« waren, wie es hieß, vollständig vernichtet. In der Hauptstadt des Breisgau waren alle Behörden auf ihrem Platze; Reichstruppen standen zahlreich in manchen Gegenden des Landes, und deren mehrere wurden noch stündlich in dem badischen Lande erwartet. Dennoch war die Revolution in Freiburg; ohne noch zu herrschen, war sie da: ohne Maske, greifbar war sie da. Gemeinderath und Bürgerschaft hatten sich neutral erklärt; die Regierung bis zur Polizeistelle herab war ohne alle Gewalt. Was die Männer der Bewegung wollten, das thaten sie auch, ohne lang zu fragen. Wenn es noch nicht zu schweren Unordnungen gekommen war, [100] so hatte man gerade nur darum die Mäßigung der Führer, den ordnungsmäßigen Sinn der jüngern Bevölkerung zu loben. Die Volksversammlung des Char-Samstags sollte indessen dem Streben der Partei die Krone aufsetzen. Von Haus zu Haus trug man sich mit den Beschlüssen, die bei diesem Anlaß gefaßt werden sollten. Man erwartete geradezu die Proklamation der Republik. Die Regierung sah zu, und verbot den bewaffneten Zusammentritt des Volks durchaus nicht, weil das Verbot an und für sich nichts genützt haben würde, weil es nicht durchzuführen gewesen wäre. Die Landestruppen waren aus der Stadt gezogen worden; die Bundestruppen weigerten sich auf das Bestimmteste, den Aufforderungen der in Freiburg anwesenden höhern Staatsbeamten zu entsprechen. Als die Arbeiter in Masse ihre Sensen aus dem Bürgermuseum zurückholten, marschirte der hessische Hauptmann, der mit seiner Compagnie gerade nebenan kasernirt gewesen, ohne nur eine Gasse zu sperren, aus dem Thore. Der General der Reichstruppen weigerte sich fort und fort entschieden, den Bitten der Regierungs- und Stadtbehörden, die beabsichtigte Volksversammlung schon im Entstehen zu hindern, irgendwie willfährig zu seyn. Wurde dem General vorgestellt, er möge doch die Ruhe aufrecht halten und den Frieden der Stadt wahren, so antwortete er, daß er seine Instruktionen vom Bunde habe und darnach handeln werde. Wurde ihm zugemuthet, wenigstens die Zugänge der Stadt besetzt zu halten und die Bewaffneten, die da kommen würden, einfach zurückzuweisen, so erwiederte er, im badischen Lande seyen Volksversammlungen erlaubt, bewaffnete nicht verboten, und er werde daher nicht einschreiten. Von einer militäri [101]schen Besetzung der Stadt, oder nur eines Theils derselben, könne nicht die Rede seyn, weil er für seine Truppen zu stehen habe, und sie nicht in, immerhin möglichen, Straßengefechten der Gefahr bloßstellen wolle. –

So war es denn dahin gekommen, daß im weiten Kreise um die Stadt herum die bewaffnete Macht des Landes und des »Reichs« lagerte und dennoch sich gar nicht um die Stadt zu bekümmern schien. Die Bewegungspartei, deren Boten ungehindert hin- und herflogen, trug sich mit glänzenden, manchmal abenteuerlichen Erwartungen; der sogenannte ruhige Bürger, conservativ und sehr behaglich gestimmt, sah dem Treiben der Andern verwundert aber ganz gemächlich zu. Die Schelle des Ausrufers bot zwar am Samstag wie am d'rauf folgenden Sonntag, ja wie auch am Montag noch ziemlich oft die Bürgerwehrmänner zum Rathhause auf; – es folgten indessen verhältnißmäßig nur Wenige der Aufmahnung, und die andere Partei war natürlich, und zwar immer in größerer Anzahl zugleich auf dem Platze. Es wurde daher nichts entschieden, nichts beschlossen, man kam vom Rathhause herunter, wie es in dem alten deutschen Sprichwort heißt, und Stadtdirektor und Bürgermeister mußten über Unterhandlungen ohne Ergebniß und gleich unnützen Wanderungen von der Stadt in's Hauptquartier der Militärbefehlshaber und von dannen wieder nach der Stadt zurück, ihre Zeit umsonst verlieren. Derweilen rüstete sich die »Bewegung« zu einem Hauptstreiche; derweilen pochten so manche Herzen in der Stadt den Dingen, so da kommen würden, ängstlich entgegen; ja Manche schickten sich an, ohne weiteres die Heimath zu verlassen, denn die Eisenbahnzüge gingen [102] wieder ungestört ihren Gang, als wie im goldnen Zeitalter, das nicht Waffen und nicht Krieg gekannt. – Uebrigens hatte der lange Friede in der That die Leute im Allgemeinen so sicher gemacht, daß sie sich wenn gleich allerhand befürchtend, nicht von ferne träumen ließen, was sich so bald und so schrecklich begeben sollte.

Das Aufgebot zu der Volksversammlung am Samstag vor Ostern hatte starken Widerhall im Volke gefunden. Schon in den Frühstunden, und zwar von recht leidlichem Wetter begünstigt, zogen die Männer von nahen und fernen Gemeinden, theils in ganzen Schaaren, zum Theil in dünnern Gruppen, theils endlich auch vereinzelt der Stadt zu. Alle bewaffnet, so gut sie es vermocht hatten. Eisgraue Männer mit alten verrosteten Flinten fehlten ebenso wenig, als junge, bis an die Zähne bewehrte Leute, worunter nicht wenige, die kaum dem Knabenalter entwachsen. – Wie die Sendlinge, die auf die Dörfer gekommen waren, um die Mannschaften aufzumahnen, ihnen gesagt hatten, also geschah's auch. Sie durften gerüstet und patriotische Lieder singend alle Wege und Stege passiren; in den Ortschaften, wo die Truppen lagen, drängten sich zwar die Soldaten neugierig an die Straße der Zuzüger, legten ihnen jedoch kein Hinderniß in den Weg. So wurden denn, wie billig, diese Waffenträger der Freiheit mit jedem Schritte zuversichtlicher; an ihrem guten Rechte zweifelten sie nun gar nicht mehr, und Mancher, der seine Fahrt gen Freiburg verzagt und unentschlossen angetreten, kam als ein tüchtiger, entschlossener Gesell, zu Jeglichem bereit, dort an. Mehrere der Schaaren, die sich zusammengethan, hatten Spielleute und Trommelschläger [103] an ihrer Spitze, und wenn ein Tusch geblasen wurde oder unter'm Wirbeln des Kalbfells die Fahne, worauf der Name der Gemeinde verzeichnet, hoch in den Lüften flatterte, so besannen sich die Wehrmänner nicht lange, und ließen den »Hecker« und »Struve« sowie alle dem Volke binnen kurzer Zeit so werth gewordene Männer, auch selbst unter dem Barte der Soldaten hoch leben; marschirten mit Freudigkeit und Gesang in die Gassen Freiburgs ein, wurden dort von den Bekennern der Freiheit mit Jubel empfangen, in den Trinkhäusern gastlich erfrischt, mit den neuesten, ermuthigenden Nachrichten gestärkt und vorbereitet zu den wichtigen Verhandlungen des Tags.

Unter den Vorbereitern, die sich unter die Ankömmlinge gemischt, fehlten, wie sich von selbst versteht, weder Titus noch Melchior. Der Erstere, einer der begabtesten Jünglinge der Turnerschaar, durch und durch brav, aber höchst überspannt, was seine politischen Ideen und Hoffnungen betraf, hatte die Aufgabe, wie noch viele Andre seiner Genossen, den kriegerischen Geist der Fremden zu wecken und zu entflammen. Dem Melchior war der Auftrag geworden, die Männer von dem sittlichen Recht und der Nothwendigkeit des bewaffneten Aufstands zu überzeugen. – Sie begegneten sich – der Turner und der Advokat – während der Erledigung der genannten Aufträge, und Titus redete den Melchior folgender Weise an:

»Nur noch eine Stunde, lieber Bruder, eine winzige Stunde, und die Versammlung hebt an, und ihre endliche Losung wird seyn: Freiheit überall, Freiheit dem badischen Lande zunächst ... Freiheit um jeden Preis!

[104] Worauf Melchior, mit großer Neugier hinhorchend: Ja wohl, die Versammlung wird stattfinden, das ist nicht die Frage. Aber was wird der Versammlung folgen? Ist's denn wahr, unumstößlich wahr, was Eure Boten sagen? Ist Sigel im Anzug? Ist sein Heer übermächtig? Bedenkt wohl, daß wir nicht da sind, um die Versammlung an's Messer zu liefern!

»Oho, oho!« machte Titus verwundert, »was fällt dir doch jetzt ein? Jetzo kommst du mit Bedenken und Bedenklichkeiten, da wir an der Grenzscheide stehen, wohin eben du und die deinigen uns hingedrängt?«

Melchior entgegnete mit vornehmer Klugheit: Noch sind die Würfel nicht gefallen ... Vorsicht schadet nicht. Bedenke, sage ich noch einmal, daß wenn die Soldaten Ernst machten ...

»O so schweige doch mit den unzeitigen Zweifeln!« fuhr ihm Titus verdrießlich in die Rede: »Die fremden Soldaten gehen nicht los, die badischen – die Mehrzahl – gehen zu uns über. Im Gebirge wimmelt's von Kämpfern ... die Stadt ist bereits unser. Was willst du mehr in's« Himmelsnamen? Vorwärts! heißt es jetzt – und du redest, möcht' ich sagen, vom Rückzug, bevor wir losgeschlagen? ...«

Ei was, ei was, verdrehe mir die Worte nicht im Munde, sprudelte Melchior, dessen Blicke unstät umherjagten: Schande dem, der nur einen Fuß breit weicht! Ich stehe und falle mit Euch.

Der Turner schaute ihn ernst vom Kopf bis zu den Füßen an und erwiederte: »So geh' denn hin und gürte deine Lenden mit dem Schwerte; stehe nicht hin wie ein Pfahlbürger neben die Bewaffneten, und halte [105] dein Wort. Strafe meine Ahnung Lügen; ich werde dir's danken.«

Welche Ahnung? fragte Melchior, der sich schon auf seinem Absatz umgedreht.

»Die Ahnung, daß eine Zeit kommen dürfte, da Ihr, Männer des Raths, in schmählicher Flucht davon stäubet, während wir, die Männer der That, das Schlachtfeld mit unsern blutenden Leibern bedecken!« Also antwortete dem Frager der junge Mann mit prophetischer Erhebung und ging dann seiner Wege, wie der Andere auch.

Des Titus Straße ging nach dem Karlsplatz, wo das Volk sehen, hören und beschließen sollte. Der weite Platz füllte sich bereits nach und nach mit plaudernden Haufen und mit düster schweigenden Gruppen. Ein Blick nach dem Eckhause, wo der Ballen, der die Rednerbühne vorstellte, belehrte den Turner, daß alles schon auf's Beste eingerichtet, daß die Verzierungen alle bereits an ihrer Stelle, und somit, machte er sich auf, nur die Cousine Cornelie abzuholen, für welche er ein Fenster in Beschlag genommen, und die selbst dahinzuführen er versprochen.

Schwall auf Schwall von Menschen wälzte sich ihm entgegen: schon näherten sich die mancherlei Musikbanden, die in der Stadt eingetroffen, dem Sammelplatz. Ueberall der helle Glanz von Gewehren, von grünen Reisern, von rothen Federn. Dem Titus lachte das Herz im Leibe, doch hatte er eilig seine Schritte zu fördern, weil es schon später war, als er gedacht, und er auch in den Reihen seiner Turnkameraden nicht fehlen mochte. – Wer aber beschreibt sein Erstaunen, ja sein Entsetzen, als er auf der Kaiserstraße, mitten in [106] den Wogen der anströmenden Menge, plötzlich die Jungfrau erblickte, die er abzuholen im Begriff stand – und zwar sie erblickte, daherwandelnd an dem Arme eines Andern?

– Es ist eigentlich überflüssig, zu melden, daß Raphael Derjenige war, der Cornelie gleichsam im Triumph einherbegeleitete: das versteht sich im Grunde von selbst und stand, wie man sagt, in den Sternen geschrieben. Da Friedrich auf seiner Kanzlei zu thun hatte, da Alfred noch seine Toilette nicht gemacht, hatte Raphael nicht gewußt, was er Besseres zu beginnen hätte, als auf dem Trottoir vor dem Hause der Geliebten auf- und abzugehen, dem Gewühl der Menschen zuzusehen, und dann und wann zu den Fenstern empor zu spekuliren, hinter denen vielleicht seine Liebe sich ihm zeigen möchte. – Die Sterne hatten indessen gefügt, daß sie ihm näher trat, diese Liebe: aus dem Hause nämlich auf die Gasse, in höchsteigener Gestalt, und völlig gerüstet zu einem Lustwandel. – Cornelia hatte mit Ungeduld des Turners gewartet; die festgesetzte Stunde war vorüber ... das Fräulein dagegen um so begieriger, die Volksfeier nicht zu versäumen ... was Wunder also, daß sie muthig und selbstständig den Weg zum Ziele antrat? Was Wunder auch, daß Raphael, der wie gerufen auf dem Posten stand, seinen Arm anbot, und, daß Cornelia denselben angenommen, weil ihr schon bewußt, daß eine und dieselbe Gesinnung sie mit dem fremden artigen Herrn verband?

Leider begegnete also dem Paare Titus, und wollte nicht begreifen, daß eben nur der unschuldigste Zufall seine Hochverehrte mit dem Mann zusammengeführt, der ihm schon ein paar Abende zuvor so unangenehm [107] aufgefallen war. – Frank und frei, wenn auch nicht besonders fröhlich, jedoch mit ächter Turnerunbefangenheit, schob Titus den Raphael auf die Seite, und sagte zu Cornelia finster und stolz: Sie gehen mit mir, Bürgerin: das Wort, das ich Ihnen gab, muß ich halten; halten Sie auch das Ihrige.

Raphael wußte gar nicht, wie ihm geschah; Cornelia war nicht weniger bestürzt als er. Eiligst von dem Vetter von dannen gezogen, bemühte sie sich, ihm zu erklären, daß Herr Raphael ein äußerst solider Mann, noch obendrein ein politischer Gesinnungsbruder, eben nur auf ihr Verlangen hin den Arm ihr geboten, zum Begleiter sich bereit erklärt. – Raphael seinerseits wollte aufbegehren, sich entrüstet anstellen, Genugthuung verlangen – aber es ging ihm dabei übel. Titus horchte weder auf ihn, noch auf Cornelia, schritt wie ein Schnellläufer aus, und wenn dann und wann der Künstler dem Turner im Dauerlauf gleichkam, so schob sich immer eine Masse Volk zwischen die beiden Nebenbuhler, daß an eine Vereinigung, weder im Guten noch im Bösen, nicht zu denken war, und endlich Raphael ganz verlassen und vereinzelt auf dem brausenden Meere der Menschenfluth dahinschwamm. Leicht hätte er sich bis auf den Platz selbst tragen lassen können; aber die Galle, die ihm aufgekocht war und die Begierde, wenigstens dergleichen zu thun, als müsse er Genugthuung haben, sey es wie es wolle, bestimmten ihn für jetzo noch, seine Theilnahme an dem Volksfest aufzuschieben. – Mit aller Gewalt seiner Ellenbogen schaffte er sich aus dem Gedränge und suchte auf Umwegen das Quartier des »schönen Fritz« auf, welches auch das seinige. Der Sekretär war nicht zu Hause, die Schlüssel steckten [108] an allen Schränken und Schubladen ... nur um einen kühnen Griff war's zu thun, und Raphael hatte in Händen, was sein Herz begehrte: den Hut des Karl Moor, des großen Räubers rothe Halsbinde, den gefährlichen Schleppsäbel und alle Zubehör. In einer Minute war die Verwandlung geschehen, und in denselben Gewändern, in welchen er nach Freiburg gekommen, und die ihm Friedrich so grausam abgenommen, trat Raphael unter Gottes freien Himmel hin, das Fest der Freiheit mit seiner Gegenwart zu verherrlichen.

»Warum sollte ich mich denn geniren?« fragte der Schauspieler unterwegs sein Gewissen: »lauft die Stadt nicht voll mit Säbel, Flinten und Partisanen? Florirt nicht allenthalben der deutsche Hut mit Feder und Kokarde und – was die Hauptsache – ist denn in ganz Freiburg etwas Drohendes, etwas Gefährliches zu hören und zu sehen? Von Soldaten keine Spur, von Kanonen und dergleichen Mordgeschütz keine Spur! Warum denn nicht das Schauspiel mitmachen? Ist es zu Ende, werfen wir den Plunder weg und spielen wiederum den Herrn Rentier von Raphael!«

Dieser Lebensansichten voll, tauchte der Künstler muthig in die Brandung auf dem Karlsplatz. Dort war schon Alles im besten Zuge. Das bewußte Eckhaus war umlagert von bewaffnetem Volke. Mehrere Tausende standen in Waffen dort beisammen; die Turner hielten Ordnung, versahen den Ordonnanzendienst und regierten die öffentliche Meinung. Der unbewaffneten Zuhörer und Zuschauer waren allerdings noch mehr. Schreiend und lärmend zum Theil, zum Theil auch traurig und niedergeschlagen, standen diese Letztern in [109] weiten Kreisen umher und starrten empor zu dem, mit Fahnen und Laubgewinden geschmückten Ballen, woselbst ein Redner nach dem andern auftrat.

Raphael hatte sich bis zu den Bewaffneten durchgeschlagen, und wäre gar zu gern im Stand gewesen, auch einiges von dem zu vernehmen, was über seinem Haupte gesprochen und dem Volke dargebracht wurde. Eitles Bemühen indessen! Die Worte flogen meistens dahin im Winde, oder wurden verschlungen vom Toben des Beifalls, der sich fast unaufhörlich auf dem Platze kund gab. Ein einziger Redner wurde mit Zischen, Pfeifen und mißfälligem Geschrei aufgenommen und zum Abtreten genöthigt. »Was hat er gesagt?« fragte Raphael seinen Nachbar. – Was wird er gesagt haben? Dummheiten! antwortete dieser und pfiff dann noch aus Leibeskräften. Gleich darauf wurde geklatscht was Zeug hielt, wurden die Waffen geschwungen, und der Schloßberg widerhallte von dem tausendstimmigen »Hoch« und »Vivat«! – Was hat denn der jetzt wieder gesagt? fragte Raphael abermals einen Nahestehenden. »Was wird er gesagt haben? Hecker hoch!« gab derselbe zur Antwort, und schrie und klatschte, was er konnte.

O weh, klagte Raphael in seinen Busen hinein: daß ich nichts verstehe von all' dem Schönen, das uns von oben kömmt ... daß ich nichts begreife von allem, was mit so großer Mühe uns gespendet wird, das kommt nur von dem Schauspielerleben her. Ich bin gewohnt, nach unten, nach dem Soufleur zu horchen: nur ihn versteh' ich leicht und klar. So will ich mich denn auf das Herumschauen legen und fleißig ausspähen, wo mein Liebchen sich befindet, mich sonnen in der Glorie ihres Antlitzes.

[110] Im selben Moments schnurrte ein Turner an dem Schauspieler vorüber, und der Letztere glaubte das Angesicht seines Feindes zu erkennen. Dem war nicht so; dennoch überkam den Erschrockenen oder Erzürnten ein lebhaftes Zittern der ganzen Körperlänge nach, und mit blauen Lippen murmelte er: Käme der Bursche noch einmal in meine Nähe, es ginge nicht gut! Zwar werd' ich mich bemühen, kalt und gelassen zu seyn ... ich darf's, weil ich die Waffe hier an meiner Seite trage, und weil nach dem Sprichwort, der Degen den Degen in der Scheide hält, aber ich fühle mich erbittert wie ein Löwe: das Herz ergrimmt mir im Busen, und wie das Haupt der Medusen ...

Da ging's wie ein Sturmwind über den Platz dahin und ein wahrer Donnerstieg brüllend auf aus tausend und abertausend Menschenkehlen. Es war ohne Zweifel ein großer Beschluß gefaßt worden, aber Raphael hatte wieder nichts davon verstanden und verschwand wie ein Punkt in dem allenthalben aufbrausenden Ozean. –

Alfred und der »schöne Fritz« hatten ihr heutiges Tagsleben etwas anders eingerichtet, als der rührigere Raphael gethan. Der Sekretär, der seit ein paar Monaten nur mit Ingrimm ein Dutzend Menschen aus dem Volke bei einander stehen sah, hatte, wie billig, den größten Widerwillen gegen eine Monsterversammlung von Tausenden, die noch obendrein bewaffnet. Um daher nichts von dem Gräuel zu sehen, war der »schöne Fritz«, wie schon gesagt, in seine Kanzlei geflohen, wo allerdings wohl manche Depesche abzufertigen gewesen seyn mag. – Alfred hingegen, obschon den Volksbewegungen nicht hold, war mehr aus gleichgültiger Be [111]quemlichkeit von dem Karlsplatz fern geblieben, als aus irgend einer andern Ursache. Wäre der Spektakel vor seinen Fenstern im Schwung gewesen, so hätte er vielleicht gemüthlich zugeschaut, wie Einer, der etwa vom Nordcap gekommen, und den die ganze Geschichte von Haut und Haar nichts angeht. Aber dem ohnehin wenig erwünschten Feste nachlaufen? Das war Alfreds Sache nicht. Ihn kümmerte nicht das Getümmel auf den Gassen, nicht der unzähligen, überall aufgesteckten Fahnen Glanz. (Freilich waren auch seit sechs bis sieben Wochen die Fahnenparaden dergestalt Mode geworden, daß man schier nicht mehr nach ihnen sah.)

Also verträumte Alfred den Morgen zu Hause und machte sich nur dann auf den Weg, als die Stunde des Mittagessens herannahte. – Der »schöne Fritz« mußte ebenso die Zeit berechnet haben, denn just vor Hinterbeins Hausthüre traf er mit dem Freunde zusammen, der ihm die Hand drückte und zuflüsterte: Fassung; lieber Freund! Auch ich bin gefaßt und wenn du es auf deiner Seite bist ...

… »Nun, so werden wir Beide gefaßt seyn;« entgegnete Friedrich, indem er die Unterlippe bitter lächelnd verzog. Hierauf stiegen sie die Treppe hinan und in den Salon hinein.

Sie wurden von Cymbeline empfangen, von Cymbeline allein, die sich heute besonders nett ausnahm, obschon als Küchen- und Kellerregentin höchst einfach und häuslich gekleidet.

Unwillkürlich sahen sich die Herren nach den übrigen Gliedern der Familie um. »Wo bleibt denn nur Mathilde?« dachte Einer der Gefaßten. – Sollte auch Mathilde den wüsten Saturnalien dieses Tages beiwoh [112]nen? fragte sich ebenfalls in Gedanken der zweite Mann der Fassung.

Cymbeline begriff die Blicke; die so unruhig im Gemach umherschwärmten, und gab unaufgefordert die nöthige Auskunft: Sie wundern sich ohne Zweifel, meine Herren, sagte sie recht liebenswürdig, daß Sie diese Räume noch leer und verlassen antreffen, und nur von Ihrer ergebensten Dienerin willkommen geheißen werden? Mir selbst thut das leid; aber ich will Ihnen nicht verschweigen, daß noch gestern Abend einige unberufene Propheten des Unheils meinen lieben Vater dergestalt bestürmt haben, der heutigen Demonstration aus dem Wege zu gehen, daß er endlich nachgab. In Begleitung Katharinchens und Mathildens, so wie der Tante und des Doktors, ist er nach dem Glotterbad gefahren, um daselbst die Nacht und den heutigen Morgen zu verbringen. Ich erwarte jetzt die Gesellschaft alle Augenblicke und bitte Sie freundlich, nicht zu zürnen und gefälligst einige Minuten zu warten. Die Geschichte auf dem Karlsplatz wird, denke ich, jetzt wohl zu Ende seyn, und unmittelbar nachdem die Versammlung auseinander gegangen, wird Papa mit seinem Begleit hier einrücken, und sich mündlich bei Ihnen entschuldigen.

Als nun die Herren sich verbeugten, mit den Füßen scharrten und ihre Verwunderung und Betroffenheit so gut verhehlten als möglich, fuhr Cymbeline mit dem gefälligsten Lächeln und dem zierlichsten Knix fort: Auch mich indessen mögen Sie entschuldigen, wenn ich Sie allein lasse. Die Pflichten einer Hausfrau rufen mich ab. Unfähig, Ihnen in der Gesellschaft mit passender Unterhaltung die Zeit zu verkürzen, will ich wenigstens am Herde das Meinige thun, um Ihrer Nachsicht [113] würdig, Ihrer Zufriedenheit möglichst theilhaftig zu seyn.

Sie ging hinaus. War's ein Zufall, daß sie bei den letzten Worten ihrer Ansprache mit seelenvollem Auge dem des Sekretärs begegnete? Ein Zufall auch, daß ihre Stimme nicht unmerklich bebte und so schmelzend klang, daß sogar Alfred das bemerkte? Genug: derselbe kühle Alfred zog, nachdem die Dame verschwunden, den Freund am Knopfloch zum Fenster, und redete ihm scharf in's Gewissen: Ich will ein Narr seyn, wenn nicht das Fräulein gewaltig, ja übergewaltig in dich verliebt ist. Und der größte Narr würdest du seyn, wenn du solcher Neigung nur die baare Gleichgültigkeit entgegensetzen wolltest. Sie ist nicht allein – das Fräulein mein' ich – sie ist nicht allein in jenem Bädchen durch das Loos und durch Gesellenspruch die Deinige geworden, sondern auch der geheimnißvolle Zug des Herzens – immer nur eine Aeußerung des mathematischen Gesetzes, so die Welt regiert – legt ihre Hand in die deinige. Und fürwahr: eine schöne Hand, die vortrefflich schön paßt zu dem engelschönen Angesicht des Mädchens, und so weiter.

Ungeduldig machte sich der »schöne Fritz« von dem Prediger los, und sagte abweisend: Du gibst mir heute ganz andere Lehren, als wohl vor Zeiten du gethan. Wenn mich Cymbeline liebt ... ei, ich bin gewohnt, geliebt zu werden, und ich will auch ihr es nicht wehren ... muß ich denn aber auf Commando lieben? Da hätte ich in meinem Leben viel zu thun gehabt, wenn ich allen Damen, die mir wohlgewollt, hätte mit Gegenseitigkeit vergelten sollen! Und wenn ich für Cymbeline ein Uebriges thun müßte, – je nun: Ich will [114] sie ja in Gottes Namen als ein Bruder herzlich lieben, und damit Punktum, und nichts mehr davon.

Fritze, Fritze! mahnte Alfred, mit dem Finger drohend: Du hast kein Herz, Fritze! Aber dennoch ...

Fritz unterbrach ihn schnöde: Herzlos du selbst, du Mann von Stahl und Eisen.

Alfred fuhr aber fort: Laß mich ausreden. Aber dennoch, wollt' ich sagen, dennoch wird sich noch an dir der geheimnißvolle Spruch erfüllen, und ein Wunder wird geschehen ...

Potz Donner, potz Wetter! rief Friedrich, ohne auf Alfred weiter zu achten, das Fenster aufreißend: Ist das nicht ... ja wahrhaftig, er ist's ...! Ist denn der Mensch des Teufels ...?

Wer? Wie? Was? machte Alfred, sich weit zum Fenster hinauslegend: Die Komödie auf dem Karlsplatz ist aus, die Leute kehren heim ... da seh' ich Viele, die des Teufels sind. Wen aber meinst du?

Aber der »schöne Fritz«, sichtlich erzürnt, lief in der Stube auf und ab und wetterte in die Luft hinein: Ist der Kerl denn toll? Er wird doch nicht wagen, in diesem Aufzug hier einzutreten?

Sieh da, sagte nun Alfred lachend, der nicht vom Fenster gewichen: sieh', sieh', Freund Raphael hat auch seine Rolle gespielt. Da kommt er, angethan wie ein Bandite, und führt die schöne Republikanerin des Hauses an seinem Arm! Das ist ja herrlich, das ist zum Todtlachen. Wo hat er nur den Anzug her? Hast du ihn damit ausstaffirt, lieber Bruder?

Ach was! Die Raserei geht mich nichts an; brummte der Sekretär: aber, so wie er den Fuß in's Haus setzt ...

[115] Auf der Flur des Hauses vernahm man plötzlich viele Stimmen durcheinander, männliche und weibliche; – die Thüren gingen weit auf und Hinterbein erschien mit seinem ganzen Gefolge. –– Das gab natürlich dem Gespräch der Freunde eine andere Wendung; der Wortwechsel hörte auf, die Begrüßungen hoben an ... bei'm Anblick der schönen Mathilde, die in der That heute noch schöner als je, ging die Fassung der beiden Herren sehr in die Brüche.

Papa Hinterbein, nachdem er seine Hände dargereicht, und den Gästen ein herzliches »Willkommen« gesprochen, ließ sich gewichtig auf das Sofa nieder und seufzte: Gott sei Dank, daß wir endlich wieder in Loco! Das Nachtlager so unbequem, das Souper so ungenügend, der Vormittag so langweilig, und dennoch nach beharrlichem Warten vor dem Thore mitten in dieses Pöbelrennen hineinzukommen!! Gut indessen, daß der Kram jetzt alle ist; noch besser, daß nicht gehauen und gestochen wurde! Jetzo werden sie heimgehen und die armen Seelen werden Ruhe haben. Meiner Treu! Wir haben einen Umweg zu Fuß machen müssen, um des Hauses Hinterthüre zu gewinnen, und hier einzutreten, ohne unsre Ellenbogen an den schmutzigen Jacken der Proletarier abzureiben. Nun ist aber auch der Spaß zu Ende gegangen, wie das Hornberger Schießen, und heute Abend wird unsere Garnison wieder vollzählig einrücken.

Wirklich ließ sich auch – kaum hatte Papa ausgeredet – auf der Gasse Trommelschlag vernehmen; aber ein recht militärischer war es nicht. Es zog nämlich einer der bewaffneten Trupps, die vom Land herein gekommen, in die Straße herein, ließ seine Fahne flat [116]tern, sang und schrie wild durcheinander, und der Tambour, ein wohl siebenzigjähriger Mann von langer und hagerer Statur, hämmerte dazu den Takt und die Begleitung. Seine Trommel klang aber so hohl, seine Wirbel waren so scheppernd und seine alten Hände so steif, daß der Doktor Faust sich nicht enthalten konnte, laut zu rufen: Das ist ja gerade, als ob der leibhaftige Tod die Trommel rührte!

»Das rollt und klingt und poltert wie die allerschlimmste Vorbedeutung!« rief, dem Bräutigam beistimmend, Tante Laura mit hellem Klaggeschrei. – Worauf die andern Fräuleins und die fremden Herren sie dringend baten, guten Muths zu seyn, und ja nicht von schlimmer Vorbedeutung und vom blassen Tod zu reden. – Die Tante schwieg, sah jedoch deßhalb nicht munterer aus.

Papa Hinterbein schlug sich dafür in's Mittel, indem er mit recht sonorer Stimme den Trost zum Besten gab: Pah! Wenn ich Euch sage, daß heut' Abend die ganze Wirthschaft ein Ende hat? Ich werd's doch wissen, Sapperment! Der Nachbar hat's mir gesagt: Punkt vier Uhr sind die Truppen in der Stadt, das Gesindel draußen, und damit Amen! Mir ist ganz leicht um's Herz, und ein leidliches Mahlzeitchen wird uns Allen nicht schaden. So fang' denn deine Künste an, mein Cymbelchen; die Tafel ist gerüstet, wir sind, denke ich, wohl Alle beisammen?

Cornelia fehlt noch; bemerkte die Tante. Cymbeline belehrte sie jedoch, daß Cornelia schon seit einer Weile daheim, und sich auf ihrem Stübchen des Putzes entledige, den sie angelegt, um der Versammlung beizuwohnen. – Der Papa zuckte mißfällig die Achseln, [117] schüttelte den Kopf verdrießlich und der »schöne Fritz« harrte mit Schauder und Entsetzen dem Augenblick entgegen, da der rasende Stulpenstiefel, angezogen wie der alte Mordkerl Abällino in die Mitte der Gesellschaft treten würde. – Und da nach einer Pause der Hausherr entschlossen anhob: Ei was, die emanzipirte Republikanerin mag zusehen, wie sie fertig wird. Wir wollen zum Speisen gehen, wenn sonst Niemand fehlt – und da hierauf Kathrinchen mit muthwilligem Lächeln sich hervorthat und erinnerte, daß ja noch der lustige Herr, der Tänzer und Taschenspieler, im Rückstand sei, – und da zur selben Frist an die Thüre geklopft wurde und der Sekretär die Klopfweise des fraglichen Stulpenstiefels erkannte, so gerann ihm beinahe-das Blut in den Adern. »Der tolle Kerl ist alles im Stande!« sagte er zu sich selbst mit pochendem Herzen. Aber es kam besser, als er dachte: Raphael trat in das Zimmer, sommerlich und kavaliermäßig gekleidet wie gestern, ohne Säbel, Hut und Halsbinde des Freischärlers.

Und also wurde zur Tafel gegangen, und Cornelia war die Letzte, die dabei erschien, und nicht dergleichen that, als ob sie am Vormittag dem Titus oder dem Raphael begegnet wäre. – Als nach der ersten freundlichen Begrüßung der Vater spaßhaft zu Cornelia sprach: Ich wußte wohl, daß du bei dem Zusammenlauf nicht fehlen würdest, und deßhalb ließ ich dich auch hier zurück, weil du uns im stillen Glotterbade mit deinen Klagen nicht Ruh' und nicht Frieden gegeben hättest. Jetzo aber, Cornelia, sage uns an, welche Beschlüsse Dero Volkssouveränität gefaßt haben, und welches Körnlein wohl die blinde Henne gefunden?

[118] Cornelia antwortete hierauf, soviel als möglich kalt und gelassen, weil sie den Vater nicht erzürnen wollte: So viel ich weiß, haben sie Alle zusammengeschworen, von der Freiheit und von ihren Rechten nicht zu lassen, den Zug des edlen Hecker und seiner Genossen zu unterstützen, und jegliche Gewalt mit Gewalt zu vertreiben.

So kalt die Rede war, so zündete sie doch wie ein Blitz in der Tafelrunde. Der »schöne Fritz« machte wilde Augen gegen Cornelia; Alfred warf den Mund trotzig auf; die Tante und der Doktor schauten sich bekümmert an, Mathilde erhob seufzend die Hände mit dem Spruch: »Herr vergib' ihnen, sie wissen nicht, was sie thun!« – Kathrinchen zupfte fröhlich ihr Cymbelchen am Kleide, weil ihr abermals die Hoffnung wurde, Freischärler oder französische Truppen zu sehen; – Cymbeline endlich, ohne dem Trinchen Gehör zu schenken, zupfte die Cornelia an den Locken, und bat verstohlen: Verdirb ihnen doch nicht den Appetit und mache meine Kochkunst nicht zu Schanden, liebe Schwester! – Dagegen war derjenige, der sonst mit Sturm und Ungewitter am freigebigsten gewesen, wenn Cornelia's Prophezeihungen an sein Ohr schlugen, – Papa Hinterbein nämlich – just heute der Einzige, dessen Zuversicht nicht wankte, dessen Munterkeit die Probe hielt, und der, gänzlich vergessend auf die Aengsten, die ihn gestern zur Dämmerungszeit noch aus der Stadt gejagt, mit hellem Gelächter ausrief: Nur zu, nur zu, meine liebe Tochter! Wir werden's ja erleben, mit welchem Glanz deine Freunde Ihren Abzug nehmen. Indessen, werthe Gesellschaft, lassen Sie uns trinken auf die Wiederkehr der alten Zeit und stoßen Sie an, [119] auf die alte Monarchie so wie sie seyn soll: ohne Stände, ohne Volksvertreter, ohne die vielen Köche, die uns die Suppe unsers bürgerlichen und staatlichen Lebens stets versalzen möchten!

Dem Toast wurde ziemlich glänzend nachgetrunken, mit Ausnahme Corneliens und ihres Nachbars Raphael, die ziemlich spöttisch d'rein sahen und mit herzlichem Einverständniß in den Blicken ihre eigne beiderseitige Gesundheit still und nachhaltig ausbrachten. Aber unverhofft – o abscheuliche Unterbrechung! – rumpelte wieder unten auf der Gasse die hohle Trommel, die sich schon früher hatte vernehmen lassen, und alle Gäste setzten verduzt die Gläser hin, weil Allen wieder beifiel der Gedanke vom blassen Tod und seinem unheimlichen Reigen.

Papa Hinterbein, am unangenehmsten berührt, schrie staunend und zürnend auf: Sapperment, sind denn die Kerle noch nicht aus dem Thore draußen? Was hat das Gesindel jetzt noch in der Stadt herum zu schlendern? Ich will Ruhe haben, Sapperment. Man hat dem Pöbel seinen Willen gethan; der Pöbel gehe jetzt nach Hause und kusche sich!

Der Trupp, von dem hier die Rede, schien aber nicht abziehen und noch viel weniger sich kuschen zu wollen. Vor dem Gasthause, das nicht weit von Hinterbeins Wohnung gelegen, und auch das Absteigquartier des Leuenwirths und seiner Tochter gewesen, pflanzte sich die Schaar unter dem Gehämmer der scheppernden Trommel auf, brachte, Gott weiß wem? ein Lebehoch und ging hierauf, Gewehr unter'm Arm, ganz fröhlich und gemüthlich in das Haus hinein.

»Mein Gott, sie scheinen bleiben zu wollen!« seufzte [120] die Tante. Papa Hinterbein meinte jedoch, es gelte da nur den Abschiedstrunk und damit gut. – Es wäre ja Schade, sagte er, wenn das Gesindel nicht ganz besoffen nach Hause käme! Dieser Tröstung ungeachtet wurde es gar still um die Tafel her; ein Jeder und eine Jede diskurirten mit sich selber, und die Pause drohte, sich in ungemessner Länge auszudehnen, als Raphael, der bis daher gar wenig von sich kund gegeben, den guten Einfall hatte, einen Spaß zu machen: einen von denjenigen Urspäßen, die zu jeglicher Stunde am Platze und wohlaufgenommen sind. – Die Herren und Damen, selbst Cymbelchen, das mit der Bedienung viel beschäftigt, lachten sehr, munterten sich auf und alsobald kam das Gespräch wieder auf die Beine und von allen Seiten redeten Diejenigen, die kurz vorher so beharrlich geschwiegen. Die Gläser klangen. Cymbeline, die sich sehr viel um den »schönen Fritz« zu thun machte, erhielt – o welch' ein Glück für sie! – vom Sekretär einen recht freundlichen Blick, zum Dank für das schönste Stück Fisch, das sie ihm aufgespart, und Alfred, ebenfalls von einem günstigen Blick Mathildens angeregt, ließ sich herab, eine Episode seines jüngsten Reiselebens zum Besten zu geben.

Und Cornelia sagte indessen zu ihrem Nachbar: Welch ein herrliches Talent besitzen Sie, Herr Raphael, die Gesellschaft zu erheitern, die so trübe dagesessen! Sie sind ein wahrer Proteus, und es müßte ein Vergnügen seyn, eine längere Zeit mit Ihnen durch das Leben zu wandeln! –

Das letzte Wort war kaum aus dem Munde, als das Fräulein erröthend bemerkte, daß sie ein bischen [121] zu weit gegangen. Aber Raphael saß bereits auf dem Siegeswagen, und entgegnete leise aber um so leidenschaftlicher: Mein höchstes Glück, wenn Sie mit mir gehen wollten, Hand in Hand. Ich schmeichle mir, vielseitig zu seyn, und habe auf dieser Erde schon manche Rolle mit Beifall durchgespielt ... aber in der Liebe zum Vaterlande und in der Neigung zu der Jungfrau, die seit zweimal vierundzwanzig Stunden mein ganzes Daseyn beherrscht, bin ich unwandelbar, felsenfest, mit einem Worte, ewig und unsterblich!

Unter der verschwiegenen Serviette küßte der Künstler Corneliens Hand. Das Fräulein, etwas widerstrebend, weil das so schicklich, wies den Nachbar verbindlich ab, und sprach: Lassen Sie uns von der Liebe zum Vaterlande reden. Ich weiß Ihnen Dank, daß Sie für das Vaterland fühlen, und nicht ein Königsmantel würde Ihnen je den Glanz verleihen, in dem Sie heute auf dem Platz erschienen. Das Kleid des Volkskämpfers stand Ihnen trefflich zu Gesichte; ich wollte fast meinen Augen nicht trauen, da Sie mir in der Menge entgegentraten, und um so angenehmer war mir, daß Vetter Titus mich im Stich gelassen, trotz seiner bündigen Versicherung, mich nach Hause geleiten zu wollen.

Ich bin Ihnen dankbar über die Ewigkeit hinaus! betheuerte Raphael; und Cornelie fügte schwärmerisch hinzu: Auch ich danke dem Geschick, daß es den Vetter nicht mit uns zusammengeführt. Er ist leider heute so unartig gewesen, so unausstehlich! Vergeben Sie indessen seiner Jugend und seiner Eitelkeit, die ihn wähnen macht, er stehe höher in meiner Gunst, als wirklich der Fall. Uebersehen Sie die kindische Eifersucht, die er zu äußern sich herausnimmt, und wenn Sie je [122] mit ihm in Waffen zusammentreffen sollten ... Worauf Raphael feurig, wenn schon mit unterdrückter Stimme: In Waffen! O säße ich hier an Ihrer Seite, im Schmuck des Volkskriegers, hätten mir nicht Rücksichten geboten – er schleuderte einen trotzigen Blick auf die Aristokraten um ihn her – den einzigen wahren Schmuck des Mannes abzulegen, um hier keinen Anstoß zu geben ...!

Worauf Cornelia, ihm ohne weiteres die Hand drückend: Auch dafür danke ich Ihnen. Wenn Sie also je mit Titus in Wehr und Waffen zusammentreffen sollten, so kämpfen Sie vereint mit ihm für die Freiheit, und seyn Sie ihm ein Freund und Bruder, so wie er auch, von Ihrer Großmuth überwunden, es Ihnen seyn wird!

Was Raphael hierauf erwiedert, ist leider verloren gegangen; denn Papa Hinterbein hatte sich zu einem neuen Toast – diesmal Bordeaux – ermannt, und trank auf das Wohl des bräutlichen Paars, das ihm gegenüber: der Tante Laura und des Doktors Faust. Verstanden, daß mit Jubel Alle beifielen, daß die Tante beinahe vom Stuhle sank vor jungfräulicher Verschämtheit, und daß der Doktor mit einer kurzen, aber um so schwülstigeren Rede antwortete, die allgemeiner Heiterkeit sich erfreute.

Indessen wurde das Schicksal, so in jenen Tagen tragisch über der Stadt waltete, nicht müde, Hinterbeins häusliche Freuden zu stören. Mit Braten und Salat zugleich fand sich der Nachbar Sattlermeister ein, und abermals verrieth seine Haltung und Gesichtsfarbe, daß er schlimme Dinge auf dem Herzen habe.

Aller Augen fragten ihn: Was gibt's, was gibt's? [123] Und kaum hatte er sich, als Freund des Hauses, neben dem Papa eingeschachtelt, kaum mit dem delikaten »Lafitte« seine Lippen genetzt, als er schon anfing: Das sind mir schöne Geschichten! Wissen Sie wohl, daß die ganze Bagage von Freischärlern in der Stadt bleibt? Alle Wirthshäuser lagern voll von ihnen; man spricht davon, sie einzuquartieren ... die Turner sind Meister der Stadt; sie haben ihren Anführer zum Gouverneur gemacht ... Was wird da noch werden?

»Ach Gott, ach Gott! und der Abend rückt bereits heran, der frühe dunkle Abend!« klagten Laura und Mathilde. Der Doktor wetzte unruhig auf seinem Stuhle, die fremden Herren lauschten gespannt; Cornelia triumphirte im Stillen, und Kathrinchen dachte mit Sehnsucht an die Freischaaren, die da noch kommen würden. Cymbeline, welche eben wiederum den »schönen Fritz« zu bedienen bemüht war, erschrack zum Tode, als eben dieser mit den Worten auffuhr: Ha, wenn's so ist, so müssen auch wir zu den Waffen greifen! Ich bin Bürgerwehrmann, will nicht umsonst so manche Stunde auf Patrouillen und Wachtstuben vergeudet haben; ich will zum Gewehr greifen, und wenn ein Häuflein von entschlossnen Männern sich versammelt ... – »Sie werden doch um Gotteswillen das nicht thun?« rief ihm Cymbeline händeringend zu.

Aber mit der Ruhe eines Jupiter, wenn schon diese Ruhe nicht ganz ungekünstelt, sprach Hinterbein den Hiobspostenträger an: Wie ist mir denn, liebster Nachbar? Haben Sie mir nicht gesagt, daß die Truppen einrücken werden, noch bevor es dunkelt? Und die Handvoll Abenteurer, die jetzo in der Stadt herum lungern, sollten wagen, sich dem Militär zu widersetzen? [124] O nein, o nein; ich glaube das nicht. Sie werden's machen wie zu Offenburg. Man wird ihnen einen Trompeter, einen Tambour oder so Etwas schicken, sie zum Rückzug und zur Uebergabe aufzufordern, und sie werden gescheut seyn, die armen Narren, und davon laufen über Stock und Stein.

Als nun der Sattlermeister ein ungläubig Gesicht machte, schnitt ihm Papa Hinterbein das Wort vom Munde ab, indem er sein Glas erhob – diesmal mit Champagner – und sozusagen leichtsinnig ausrief: Dies alles soll mich nicht hindern, auf die Gesundheit meines lieben, zukünftigen Herrn Schwiegersohns, des Hauptmanns von Wildian, zu trinken, daß es ihm wohl gehen möge auf Erden, und daß er recht glücklich, im höchsten Grade glücklich mache mein liebes Kind Mathilde!!

Gut war's, daß Papa bei diesem Toast schon von sich aus viel Lärm machte, und daß der Sattlermeister wie besessen mitschrie; denn die andern Herren, den Doktor etwa ausgenommen, gaben beinahe keinen Laut von sich, und die Damen waren plötzlich so gerührt, daß auch sie nicht viel Geräusch machten. Denn aus den Augen Mathildens strömten helle Zähren, Thränen der Freude, aber doch Thränen ... und sie stammelte in ihrem und des Bräutigams Namen eine Danksagung, die das Lächeln der Tante und der Schwestern in Weinen verwandelte und dem Papa selber schwer zu Herzen ging. – Der »schöne Fritz«, dem nun abermals die Gewißheit, daß Mathilde ihrem Verlobten unverbrüchlich treu, mit Gewalt sich aufdrang, wollte platzen.

Um die Thränenströme wieder in ihr Bett zurück [125] zu bannen, und den Fortschritt so wie das Ende der Mahlzeit zu beschleunigen, lohnte Papa Hinterbein seine Mathilde mit einem tüchtigen Schmatz ab, füllte großartig die Kelche auf's Neue, diesmal mit » Sillery, qualité supérieure« – und schwebte sozusagen wie ein Adler zur Sonne empor (obschon es allgemach dunkel wurde und man die Lichter auftrug), da er mit Stentorstimme den letzten Trinkspruch ausbrachte: Auf das Wohl meiner verehrten Gäste ein »Vivat hoch!«

Daß nun die Gläser mörderlich aneinander klirrten, daß die dankbaren Gäste unter Anführung des laut schreienden Doktors und zur billigen Vergeltung auch dem Hausherrn ein »Lebe hoch« brachten, war natürlich, der Lärm ungeheuer. Katharinchen trommelte auf dem Flügel seinen Tusch, Hinterbein umarmte in Seligkeit die Tante, was ihm lange nicht passirt; Raphael schwur zum zwanzigsten Mal seiner Cornelia die ewigste Treue, Mathilde mit zauberischem Lächeln neigte sich zu Alfred, ihn beglückwünschend ... darob wurde der »schöne Fritz« wie billig noch mehr des Teufels, wollte schier aus der Haut fahren ... als eine holde und bewegte Stimme ihn anredete: »Darf ich mich unterstehen, ganz besonders auf Ihr Wohl und auf Ihr Glück zu trinken, bester Herr Sekretär?« Und siehe: neben ihm stand verlegen, zitternd und dennoch so freundlich, wie eine frisch aufgeblühte Rose, Cymbeline, den süßen Kelch in der weißen Hand. – Da wirkten Verdruß und Verzweiflung schon zum Theil das Wunder, welches Alfred prophezeit hatte: Der »schöne Fritz«, der seine Freunde so glücklich, sich so verlassen gesehen, wendete sich mit tiefgefühlter Dankbarkeit, die nicht selten der Liebe auf ein Haar gleicht, zu dem holden [126] Mädchen, klang mit ihr an und antwortete mit Zärtlichkeit: Ob Sie dürfen, mein Fräulein? Ich bin stolz darauf, des Glückwunsches von Ihnen gewürdigt zu seyn!

Wer da freilich mitten im Paradiese stand, war Cymbeline. Endlich hatte die stille Zuneigung, die gleichsam ihr Leben geworden, den Sieg errungen, Anerkennung gefunden! – Mittlerweile jedoch öffnete sich für den fröhlichen Hinterbein ein Abgrund von Sorgen und drohendem Unheil.

Eine schneidende Stimme, deren Inhaber von der lustigen Gesellschaft ganz unbeachtet geblieben, rief in den Salon herein: Auf ein Wort, Bürger Hinterbein!

Aller Augen richteten sich nach dem Sprecher, der lang und hoch auf der Schwelle stand, für alle Gäste eine unwillkommene Erscheinung. Erschrocken hauchte Cornelia ihrem Nachbar Raphael zu: Mein Gott, der Vetter Titus! Was bringt doch der? – Raphael knirschte mit den Zähnen, Hinterbein erhob sich verlegen von seinem Stuhl, und noch einmal wiederholte der Turner, bitterböse auf die Tafelrunde niederschauend: Auf ein Wort, sage ich, Bürger Hinterbein!

Da war nun weiter nicht zu zögern, sich nicht länger auf's Complimentiren einzulassen. Verdrießlichen Angesichts und gleichsam mit hängenden Ohren folgte Papa dem barschen Rufe und stand im Vorzimmer dem unangenehmen Vetter gegenüber, der die Thüre zumachte und mit dem Hausherrn also redete: »Thut mir leid, daß ich störe, Bürger.«

Hinterbein entgegnete unsicher: Ein seltner Besuch ... Was will Er denn von mir, Vetter? Was bringt Er mir?

[127] »Vor allem bemerke ich Ihnen, Bürger,« versetzte Titus mit Gravität, daß der Sklavenruf ›Er‹ völlig abgeschafft ist; daß Gleichheit und Brüderlichkeit jetzo regieren, und in der Anrede nur das ›Sie‹ zugelassen wird, bis das Bruder-›Du‹ in seine vollen und allgemeinsten Rechte eingetreten. Merken Sie sich das, Bürger.«

Nun stellte dem Zurechtweiser der Papa schüchtern und folgsam die Frage: Was bringen Sie mir denn, lieber Vetter?

Worauf der Turner höchst ernsthaft und kurz angebunden: »Das Rad der Zeit hat sich gedreht; Freiheit und Volksrechte sind obenauf gekommen. Mit einem kühnen Schwung ist sogar diese spießbürgerliche Stadt dem großen Bunde beigesellt worden. Das Volk hat die Zügel in die Hand genommen. Wir, seine getreuesten Söhne, herrschen von heute an. Im Angesicht der Tirannen und ihrer blassen Schergen halten wir das Banner der Republik hoch! Zum großen Zwecke mitzuwirken ist aber auch der Geldsack, das Kapital, berufen. Wenn wir für die gute Sache unser Blut, die Proletarier ihren letzten Schweiß und Heller hergeben, so müssen die Reichen, die Zöpfe, die Reaktionäre, das Ihrige thun.«

Hinterbein stotterte: Sie reden kurz, Vetter, aber doch verzweifelt lang. Wenn ich nicht irre, so läuft Ihre Rede auf eine Beisteuer an Geld hinaus ...? Wenn es denn so seyn muß ... ich bin zwar nicht reich ... ich habe vier Töchter zu versorgen ... Sie wissen das, lieber Vetter, und sollten schon aus Rücksicht ...

Titus unterbrach ihn herbe: »Glauben Sie nicht, Bürger, daß ich auf Ihre Person Rücksicht nehme. Sie [128] sind ein Feind des Fortschritts, nebstbei mir selber ein übelwollender Verwandter. Wenn ich etwas für Sie thue, so geschieht es nicht Ihretwegen, und auch nicht wegen der saubern Gesellschaft, die Sie an Ihrem Tische versammeln ... aber um Corneliens willen, die ich anbete, und die Sie, wie ich beinahe befürchte, an einen Aristokraten verkuppeln wollen – was Ihnen jedoch nicht gelingen wird – nur um Corneliens willen bin ich für Ihr Haus wohlgesinnt. Daß Sie viel Geld haben, ist allbekannt; die patriotischen Beisteuern werden auch nicht ausbleiben, und Sie werden Ihren Theil daran bezahlen. Für heute aber müssen Sie etwas thun, und einige Mann des Freiheitsheeres in's Quartier nehmen. Dieses Ihnen zu verkünden, und Sie vor jeder Widersetzlichkeit zu warnen, hin ich hier.«

Hinterbein gerieth noch mehr in's Stammeln, da er antwortete: Wa – was? Des Freiheitsheers? So ist –so ist – so ist denn wahr, was die Leute sagen? Alle die Freisch – die Freiheitsmänner, wollt' ich sagen – sie bleiben hier? Wa – was wollen sie denn hier?

»Das Land vom Tirannen befreien;« rief mit Zuversicht der Turner: »den Söldnern die Wege hinausweisen und den Staat auf breitester, demokratischer Grundlage herstellen. Machen Sie keine Umstände, Bürger, und thun Sie Ihre Pflicht. Ich habe schon ein paar solide Leute ausgesucht; bewirthen Sie dieselben wohl. Nur keinen brutalen Widerstand! Mehrere tausend Zuzüger sind in der Stadt, das Volk ist mit Recht argwöhnisch und ergrimmt ... eine unbesonnene Handlung, ja nur ein vorlaut Wort dürfte Sie noch in dieser Nacht um Haus, Vermögen, sogar um's [129] Leben bringen. Beherzigen Sie das; ich werde nachsehen!«

Also nahm der Turner seinen Abtritt, und Hinterbein taumelte ihm, das Licht in der Hand, ein paar Schritte nach. Blieb dann wie ein Träumender stehen, und versank tief, ganz tief in seine Gedanken. – –

Die Gesellschaft hatte indessen an der Thüre des Saals gelauscht, und nur weniges von dem Gespräche zwischen den beiden Vettern vernommen. – Da jedoch auf einmal Alles still wurde, so entschloß sich Cymbeline kurz und gut, nach dem lieben Vater zu sehen, und war die Erste, die ihn erstarrt und regungslos unfern der Treppe wiederfand. – Sie hatte lang an ihm zu rütteln und zu schütteln, die freundlichsten Liebkosungen an ihn zu verschwenden. Endlich – endlich erwachte er aus tiefem Hinbrüten im Kreise der Gesellschaft, ließ sich willenlos in seinen Armsessel zurückführen, schlürfte ein paar Tropfen Kaffee, und erzählte dann mit völliger Niedergeschlagenheit, was der Vetter gewollt, was der Vetter berichtet. –

Kaum hatten der Sattlermeister, der Doktor, der »schöne Fritz« von der befohlenen Einquartierung der fremden Wehr- und Waffenleute gehört, als sie eiligst aufsprangen, um nach ihren Häusern und Wohnungen zu sehen. – »Sapperlot!« rief der Erste: »Ich darf meine Frau nicht allein lassen; wenn ich Quartierleute habe, muß ja noch, bei'm Blitz, gekocht und gebraten werden!« – Der Doktor meinte, seiner alten Marzibille könnte einfallen, solch' Freischärlergesindel in das schmucke Boudoir seiner zukünftigen Gattin zu legen, und das müsse er um jeden Preis zu verhindern ge [130]hen. – Der »schöne Fritz« sagte in seiner gewohnten Manier stolz und zornig: Und ich nehme keinen solchen Kerl in's Quartier; und sollt' es mein Leben kosten, ich thu' es nicht! Marsch, Raphael, geh' heim mit mir, und greife zum Säbel, sowie ich zum Schußprügel. Dem Schurken gnade Gott, der sich beigehen läßt, bei mir logiren zu wollen! Ich schieße ihm das Hirn voll Blei, und wär' es mein letzter Augenblick!

Raphael ging unwillig, aber er ging. »Um Gott!« flehte ihn Cornelie im Scheiden an: »Ihr Freund wird doch nicht Wort halten?«

Pah, pah! machte Raphael leise: Die, so er todtgeschlagen, leben Alle noch!

Den Sattlermeister hielt natürlich Niemand auf; er ging voraus. Mit dem Doktor war der Stand schon schwerer; kaum wollte ihn die Tante aus dem Hause lassen. Dennoch ging auch er von dannen. – Alfred nahm kaltblütig und verbindlich von Mathilde Abschied. »Ich werde mich, zum Glück ein Fremder, den diese Freiburger Geschichten nichts angehen, ruhig in mein Gasthaus begeben;« sagte er: »In solchen Wirren ist der Gasthof ein Asyl, und morgen hoffe ich, Sie, mein Fräulein, gesund und heiter wiederzusehen.«

Unten an der Hausthüre war indessen die hinablaufende Cymbeline mit dem »schönen Fritz« angekommen und sagte ihm, bebend vor Angst: Welche Ostern, welche Ostern sind uns bescheert worden? Möge doch der Himmel, Sie, o Freund, beschirmen und ein glücklich Wiedersehen mich erfreuen! – Worauf Friedrich, finster und schwärmerisch nach oben deutend: Sie haben Recht; alles kommt von oben! Mit mir mag's werden, [131] wie da will ...: hier oder jenseits, wir sehen uns wieder!

Er reichte ihr die Hand; mit Freud' und Herzeleid schlug sie in dieselbe ein ... Der erste Händedruck! Vielleicht – ach vielleicht der letzte! –

Noch stand Cymbeline auf des Hauses Schwelle, die Leuchte in der Hand, und starrte dem Geliebten nach, in's Dunkel hinaus. – Da kamen ein paar Gestalten heran ... die Stufen herauf, und mit herzlichem »Grüß Gott« streckte Annele dem Fräulein die Hand entgegen. Hinter ihr stand der Leuenwirth.

Mit Freuden ließ Cymbeline die Besucher in das Haus, führte sie jedoch in die untere Stube – bekanntlich ist der Leuenwirth kein Freund von den Sälen der vornehmen Leute – ließ sie niedersitzen, und sagte: Ich bin in den Tod hinein froh, die Jungfer und ihren Vater wohlbehalten wiederzusehen; vergebt aber, liebe, liebe Leute, daß ich den Kopf nur halb beisammen habe. Die ganze Stadt ist, wie ich höre, drunter und drüber . Wir sollen Einquartierung erhalten und nichts ist hergerichtet ... Die Tante und die Schwestern sind ganz bestürzt, der Papa ist völlig auseinander ...

Der Leuenwirth unterbrach sie treuherzig: Nur nicht lang entschuldigt, liebes Fräulein, mir selber kommt die Sach' frei spanisch vor. Hätt' ich gewußt, wie's in dem Freiburg zugeht ...!

Annele beeilte sich, zu ergänzen, was der Vater sagen wollte, indem sie geschwinde sprach: Verzeihen Sie nur, daß wir noch so spät Sie überraschen. Wir kommen just vom Kaiserstuhl zurück. Ach, die Straßen wimmeln von allerhand kuriosen Leuten ... auch von [132] Soldaten, je wie man's trifft. Das Bräunel hat so langsam gethan, es wollte gar nicht vorwärts. Und da wir morgen gleich wieder verreisen, so wollt' ich Ihnen doch noch einen guten Abend sagen und ein herzliches Adje!

Ei, ei! machte Cymbeline höflich, obschon zerstreut, weil durch das ganze Haus nach ihr gerufen wurde: verreisen? Morgen, am heiligen Ostertag? – Und Annele antwortete: Ach ja, ach ja! Ich fürchte mich so sehr!

Und der Leuenwirth fügte aufstehend hinzu: Ja freilich, bei'm Eid! Das Maiteli macht mir gar söllig Angst und Schrecken. Warum? Es ist mein einziger Schatz. D'rum will ich's wieder nach Haus bringen und so geschwind wie möglich. Wer weiß auch, was es morgen zu Freiburg für Ostern absetzt?

Ja wohl, ja wohl! seufzte Cymbeline beklommen, der Sorgen ihres Herzens sich erinnernd: Adieu wohl denn, liebe Freunde; die Tante und die Schwestern will ich grüßen; und vielleicht auf Wiedersehen einmal im Bädle!

Cymbeline entließ mit diesen Worten den kurzen Besuch, schloß einstweilen das Haus und unterzog sich den Geschäften, die ihr oblagen. – –

»Da sind wir schön unrecht angekommen!« sagte der Leuenwirth, seine Tochter fest unter dem Arm nehmend: »Du zitterst ja, mein liebes Hammele! O zittere nicht! Morgen um diese Zeit sind wir, will's Gott, längst daheim bei'm Mütterle! Das Bräunel soll mir's einbringen, was heut' von ihm, dem Faullenzer, versäumt worden ist!«

Sie gingen auf ihr Gasthaus zu, als ein Trupp [133] von Burschen ihnen in den Weg kam, und sie mit lautem: »Wer da!« anschrie.

»Nu, nu: Gut Freund!« machte der Leuenwirth und hielt sein Mädchen noch fester am Arm. – Da packte ihn einer der Kerle, die betrunken, vorn am Brusttuch, und schnauzte ihn an: Wer ist da ein guter Freund? Dicksack, geschwollener! Du bist ein Astokratt, bygott! – Darauf ein Anderer ihm ohne weiteres die Tochter von der Seite riß, und mit ekelhaftem Uebermuthe lallte: Ein herziges Maidle! Vivat die Astokratten! Haben dicke Bäuch' und volle Seckel und hübsche Weiber!

Der Leuenwirth, überrumpelt eh' er sich dessen versehen, von seiner Tochter getrennt auf dunkler Straße – denn nur eine halbblinde Laterne beleuchtete den Auftritt – rief mit Entsetzen aus: Was woll't Ihr denn? Was soll denn das dasele? – Aber schon war die ganze Bande um ihn versammelt, hielt ihn fest, tanzte und gaukelte um ihn her, und der freche Wildling, der Annele in seinen Armen hatte, wollte sie mit aller Gewalt, trotz ihres Geschrei's, hinwegschleppen. Aus den Fenstern der benachbarten Häuser sah wohl hie und da ein Menschenkopf in das wüste Getümmel nieder, aber Niemand hatte Muth genug, sich als Helfer auf der Gasse zu zeigen, und der widerspenstige Leuenwirth war sehr in Gefahr, niedergeschlagen zu werden, so wie Annele auf dem Punkt, trotz ihrer Gegenwehr sich davongetragen zu sehen – als im dringendsten Augenblick zwei Männer dahergerannt kamen, die sich ohne Zaudern auf die Nachtbuben warfen.Der Eine nahm es mit den Gesellen auf, die den Leuenwirth gepackt hielten, und bearbeitete sie heftig mit dem Ge [134]wehrkolben. Der Andere sprang wie eine Tigerkatze dem Burschen an den Kragen, der das halb ohnmächtige Annele zu entführen begehrte. »Hund, willst du das Mädel da fahren lassen, oder ich steche dich ab wie ein Kalb?« schrie der dreiste Angreifer den Buben an, und zückte den blanken Hirschfänger nach seiner Kehle: »Ihr wollt' freie Männer seyn, ihr Hallunken, und mißhandelt ehrliche Leute, die euch nichts gethan?«

Der Betrunkene ließ nun seine Beute los und kroch, nachdem er ein paar flache Hiebe gefaßt, auf allen Vieren davon. Indessen entsprangen auch seine Genossen, laut johlend, den Kolbenschlägen, die auf ihre Schultern regneten. Der Leuenwirth war frei, und frei sein Annele, das sich schluchzend und wimmernd in seine Arme flüchtete.

»Wo seyd Ihr zu Hause, liebe Freunde?« fragte der Retter des Mädchens, ein stattlicher Mensch im blauen Kittel und im aufgeschlagenen Hut der Freischaaren: »Wir wollen Euch bis an Euere Thüre begleiten; es ist heut' auf der Gasse nicht geheuer.« Der Leuenwirth bezeichnete das nahe Gasthaus, und der Blousenmann mit seinem ältern Kameraden ging die paar Schritte tapfer mit. An dem Laternenschimmer vorüber wandelnd, schaute der mit dem Hirschfänger seiner Geretteten in's Gesicht. »Bei'm Eid, ich sollt' Euch kennen, Jungfer!« machte er mit großen Augen; aber seine Rede war vertraulich. – Und eben so vertraulich schier – der Leuenwirth hörte nichts davon, weil just der rüstige Kolbenschläger mit ihm sprach – antwortete Annele, frei athmend, doch nicht weniger beklommen: Und ich glaube fast, als hätt' ich Ihn schon gesehen! –

[135] Sie erinnerte sich wohl des Menschen im Metzgerkittel, der damals, als sie vom Bädle heimgewandert, auf dem Sommerberg mit ihr zusammengetroffen.


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