Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.
Bilder aus Freischaarenzügen hin und her.

l. Ein bekümmert Mutterherz – 2. Ein Pfarrer wie wenige.


Fröhlichkeit und Muthwillen liefen schäckernd mit in den bunten Reihen der Wehrmänner, und in Engen, der Mittagstation, wo dann auch Rast über Nacht gemacht werden sollte, versprach sich das junge Volk ein Paradies, eine Aufnahme, wie im Schooße Abraham's. Das Letztere traf auch richtig ein. Die Bevölkerung des Städtchens galt für die freisinnigste, hatte sich dicht genug um die neue Fahne geschaart und empfing in der That alle Zuzügler – so die von Milzheim – gleich wie Propheten und Sendlinge des Herrn. Die Bürger liefen in den Rotten umher, sich auswählend auf's Gerathewohl nicht nur einen, sondern zwei, drei und mehrere Mann, die bei ihnen Quartier und reichliche Verpflegung fanden. – Alle Häuser, alle Herzen standen den Ankömmlingen offen.

Aber – aber – in dem gelobten Lande Engen erreichten auch die ersten Hiobsposten – leider nicht nur Gerüchte, leer und lügenhaft – das Heer des [187] Volks. – Was der Pfarrer im letzten Orte dem Junker zugemunkelt, wurde in Engen von dem Führer der Kolonne, Sigel, den Hauptleuten und andern Offizieren, sowie den Vertrautesten des Gemeinderaths als Wahrheit verkündet. Die Versammlung in Donaueschingen war gestört worden, Struve hatte im wütttembergischen Hauptquartier kapitulirt und sich freien Abzug bewilligen lassen, Hecker mit seinem Heerhaufen war zu spät gekommen, und hatte, mit Struve und der Mannschaft des Letztern vereinigt, die Richtung südlich über's Gebirg eingeschlagen. Seine Boten flogen den anrückenden Volksbannern entgegen, mit dem Befehl, dem Obmann zu folgen, um sodann, den fürstlichen Truppen ausweichend, durch die Schluchten der Berge unaufhaltsam gegen Freiburg anzustürmen. –

Kaum hatte Sigel, heftig bewegt, die Lage der Dinge, die Nähe der feindlichen Schaaren, und Heckers Befehle verkündet, so fuhr er dem Zuge, der erst am nächsten Morgen früh ihm folgen sollte, voran, um Quartier zu machen, die von andern Seiten nahenden Wehrleute zu sammeln und zu weisen, und zu bessern, was die militärische Besetzung von Donaueschingen verdorben.

Also nur noch wenige Stunden von Engen stand der Feind! Und doch hatte man den Aufgeboten gesagt, sie würden nur mit Freunden zu thun bekommen, und die Waffen allenthalben vor ihnen gestreckt, überall ihnen die Bruderhand gereicht werden! – Es konnte nicht fehlen, daß viele von den Zuzügern stutzig wurden, und lieber an's Umkehren als an's Vorrücken dachten. Dennoch verschlossen sie ihre Besorgnisse und Bedenklichkeiten sorgfältig in ihrem Innern, da von [188] den aufgeregtesten ihrer Kameraden ein heftiger und grobkörniger Widerstand gegen etwaige Ausreißpläne zu erwarten. – Dazu kam noch der den Süd- und Westdeutschen von Natur eingepflanzte Leichtsinn, ihre Sorglosigkeit, sobald eine wohlbesetzte Tafel und ausgiebige Zecherei in Aussicht. Diesen lebenslustigen Burschen gehört der Augenblick, und denselben genießend schieben sie gerne den kommenden Tag, so lange es angeht, in den Hintergrund. – So ließen sie denn – mit Moritz zu reden – Gott einen guten Mann, die noch ein paar Stunden von ihnen aufgezogenen Württemberger Württemberger seyn und schlemmten wacker in dem Ueberfluß, den ihnen zu Engen die Gast- und Bürgerhäuser freigebig darboten. – Lust und Freudigkeit regierten im Orte, als wäre schon der leichte, der unblutige Sieg errungen, und die Schwelger gedachten nicht mehr der ausgehaltenen Strapatzen und ahnten nichts von denen, die etwa noch kommen würden.

Spiegler, Moritz und Gallus, der Edelmann, die sammt mehreren ihrer Gesellen in demselben Wirthshause untergebracht waren, theilten allerdings nur, was das Aeußere anbelangt, das allgemeine Vergnügen; von innen heraus waren sie ernst gestimmt: Spiegler, weil er in der Marschänderung ein schlimmes Hinderniß für die Sache, der er von Herzen diente, erkannte; Moritz, weil ihn ärgerte, den Anzug auf die ersehnte Stadt Freiburg unwillkommen vertagt zu sehen; Gallus, weil schon jetzt die Sehnsucht nach der kaum verlassenen Heimath, die Sorge für seine Schwester ihn gewaltig verstimmte, obgleich mit dem Anrücken der Truppen sich die Zeichen für ihn und die Parthei, zu der er im Grunde seiner Seele hielt, günstig gestellt hatten.

[189] Wie aber sollte Gallus seiner Sorge Genüge thun? Die Vernunft belehrte ihn, seine Wünsche und geheimen Gedanken ganz allein für sich zu behalten, nicht einmal seinem Moritz kund zu geben. Aufpasser und Verräther waren nur zu viele vorhanden, und dem Lehrer Wurstinger, der sich stets an die Gesellschaft der drei genannten Herren drängte, war am wenigsten zu trauen, wenn schon er so unbefangen als möglich herumging. Er ließ zwar kein unheimlich Wörtlein fallen, aber sein lauernder Blick, das kniffliche Polizeigesicht, das er machte, wenn er den Edelmann und dessen Freund in's Auge faßte, konnte allerlei zu denken geben.

Indessen: je näher der Abend rückte, je dunkler es auf den Straßen wurde, und je heller und lustiger dagegen bei den Zechgelagen, die in Stadt und Dorf gefeiert wurden – um so unruhiger wurde dem Junker in seiner Haut. Sein Plan war in Kurzem der: er wollte, sobald das Generalpläsir bei'm Weine überhand genommen, sich in aller Stille, ohne von irgend Einem Abschied zu nehmen, querfeldein machen, und, der Kolonne voraneilend, auf einsamen Pfaden die Schweiz zu erreichen suchen. Aber – was sollte mit seiner Schwester geschehen, gegen die sich vielleicht der Zorn der Aufständigen richten durfte, sobald das Entrinnen des Junkers ruchbar geworden? Da kamen der Vorsätze, der Ideen manche an die Reihe, die Gallus kaute und wiederkaute, ohne zu einem bestimmten Entschluß zu gelangen. – Schon finsterte es mächtig, und noch immer saß der Edelmann in dem Kämmerlein, so ihm angewiesen worden, und wußte im eigentlichen Sinn des Worts nicht wo aus, wo ein? Da mischte sich ein glücklicher Zufall in die Sache. – Es steckte [190] ein Mensch den Kopf in die Kammerthüre und fragte vertraut: Sind Sie da, gnädiger Herr?

Der Junker, der in dem Anfragenden alsogleich einen Milzheimer, den sogenannten Scherles-Jörg erkannte, einen etwas lockern aber von Charakter eben nicht bösen Patron, den Maulwurffänger der Gemeinde – antwortete sehr unbefangen: Ja, was willst du, Jörg, und ist das eine Manier, einem Mann auf die Stube zu rücken, gleichsam wie ein Dieb in der Nacht?

Da machte der Jörg, nachdem er sich draußen im Gang fürsichtig umgesehen, und hereinschleichend wie eine Katze: Nichts für ungut, Euer Gnaden, aber drum wollt' ich an Sie eine Frag' thun, und Sie müssen mich nicht verrathen.

Sprach leise, leise, und hatte indessen die Thüre sachte und fest zugemacht, und stand so zu sagen Nase an Nase mit dem Junker. Dieser versetzte: Sey kein Narr, Jörg. Warum sollt' ich dich verrathen! Was willst du? Mach geschwind; sie erwarten mich drunten bei'm Essen.

So tuschelte ihm der Maus- und Maulwurffänger zu: Denk' wohl, unsere Sach' ist verloren; 's soll draußen schwarz voll seyn von den Schwaben und andern Soldaten. – Die Kapp ist verschnitten, denk' wohl. Redensart, um anzudeuten, daß ein Unternehmen gänzlich fehlgeschlagen und vereitelt. Nun möcht ich doch mein Bissel arm's Leben nicht vor'm Feind hingeben, und mich auch nicht fangen lassen. Dazu kommt noch, daß ich Fieber und Leibweh [191] habe und daß mein arm's Weibele sich schier hintersinnen wird, wenn sie hört, daß es mit uns Matthäi am letzten geworden. Wenn mir also der gnädige Herr Urlaub geben wollte, daß ich heimgehen könnte, bis wieder Alles in der Reihe? Ich könnt's Ihnen nicht genug verdanken, weiß Gott!

Trotz seiner eigenen Unruhe und Sorge mußte Gallus lächeln; denn Jörg war gestern unter den Rabiatesten gewesen, und hatte auf dem Wagen der Betrunkenen nach Engen spedirt werden müssen. – Der Poltron könnte in meinen Kram passen! dachte Gallus, dem's wie ein Blitz durch den Kopf fuhr; jedoch, um sich keine Blöße, einem boshaften Versucher gegenüber etwa, zu geben, antwortete er kurz: Das geht nicht an, Jörg. Ich kann keinen Urlaub geben, ich darf nicht. Willst du desertiren, so thu's auf deine Gefahr; verstanden? Worauf der Mäusefänger, die liebe Einfalt: Ja – wenn Sie's nur erlauben wollten, und ich hintendrein nicht bei den Ohren genommen würde? O ... ich möchte schon recht gern fort. Es gingen wohl Viele gar zu gern nach Haus; wenn sie sich's nur getrauten. Ich getrau mir's, und da hab' ich mir gedacht – der gnädige Herr sind ja doch, eben wie ich und Viele, nicht gern bei der Sach' – Sie sollten's nur verschweigen, wann's morgen heraus kommt, daß der Scherles-Jörg davon gegangen ... he?

Wer sagt dir denn, daß ich nicht gern bei dem Aufgebot bin? machte Gallus, als wie beleidigt. Doch der Jörg ließ sich nicht irren, und flüsterte: Ach, du mein Gott, das weiß man ja. Die Herren und die Bauern gehören ja nicht zu einander, und mit dem [192] Heckerwesen ist's ja gar nichts, wenn doch die Württemberger nicht wollen ...! und wenn ich dem gnädigen Herrn zu Milzheim was bestellen könnte ...? denk' wohl, bis um sechs Uhr Morgen früh bin ich wiederum dort ... ich wollt's schon gut ausrichten ... he?

Holla, das paßte mir erst ganz trefflich! überlegte der Junker: was riskir' ich auch, wenn im schlimmsten Fall der Kerl aufgehalten würde? In einer Stunde bin ich ja fort, in Person fort, und dann mögen sie meine Botschaft sieden oder braten. – Sagte dann zu dem Jörg, der kaum erwarten konnte, was der Baron beschloß: Bring ein Licht oder eine Laterne. Ich will dir ein paar Zeilen mitgeben. Geschwind, schnell – in einer Minute muß Alles gethan seyn.

Der Mäusefänger machte sich auf leisen Sohlen davon, kam, wo möglich, auf noch leiseren, mit einer Leuchte zurück. Es sey draußen Niemand um die Wege, und Alles unten bei Spiel und Trunk beschäftigt, meldete er.

Gallus riß ein Blatt aus seinem Gedenkbüchlein, kritzelte mit Bleistift ein paar Zeilen darauf – und konnte, da seine Schrift überhaupt verzweifelt, nur von seinen Vertrautesten zu lesen, in diesem Augenblick obendrein durch die fieberhafte Erregung seiner Nerven noch hieroglyphischer geworden, ungefähr darüber getröstet seyn, daß nicht einmal Wurstinger sie würde entziffern können, wenn das Unglück wollte, daß der Zettel in die unrechten Hände fiele. Demungeachtet hielt er für angemessen, dem Jörg, da er ihm das Blatt zur Bestellung an seine Schwester übergab, mit ernstem, ja dräuendem Tone in aller Heimlichkeit zu sagen: Da, aber merke wohl! Ich weiß genau, daß noch in dieser Nacht die [193] Württemberger hier einrücken, und Alles, was ihnen vorkommt, gefangen nehmen oder über die Klinge springen lassen werden; das steht fest. Deßwegen thust du klug, dich bei Zeiten durchzumachen. Ich bleibe, weil ich von den Soldaten begreiflich nichts zu fürchten habe. Aber: so dir einfiele, mich etwa als ein schlechter Judas zu verrathen, oder so du in dem Maße dumm wärest, dich mit dem Zettel da erwischen zu lassen, so wärst du kaput. Ich würde mich durchlügen, und dich entweder bei Gelegenheit todtschießen, oder ich bringe dich auf Lebzeit in's Zuchthaus. Jetzt weißt du deine Sach'. Wenn du dagegen brav bist und das Geschäft ausrichtest, wie sich's gehört, so bekommst du von meiner Schwester einen Kronthaler. Jetzo reiß' aus; in fünf Minuten mußt du über alle Berge seyn, oder es geht dir an den Kragen. Marsch, Adje wohl!

Der Scherles-Jörg stammelte, von dem gewissen Kanonen- und Kartätschenfieber fort und fort geschüttelt, und ob der gesalzenen Verheißung zähnklappernd, ebenfalls ein »Adje wohl« und machte sich zum Tempel hinaus. – Gallus, um nicht durch längeres Ausbleiben von der Gesellschaft unten Verdacht zu erregen, begab sich zu den Zechern. Noch einen Bissen wollte er genießen, und so wie alsdann die günstige Stunde schlug, wollte er fort. – Er kam überdies zu einem Auftritt, der allerdings geeignet war, die allgemeine Aufmerksamkeit von seinem Beginnen und Vorhaben auf einen andern Gegenstand zu lenken. – –

Spiegler und Moritz waren schon längere Zeit in der Wirthsstube, ein wenig abgesondert von den Andern, zusammengesessen, und hatten sich von dem und [194] jenem, am meisten von der Lage, in der sie sich jetzo befanden, unterhalten. Moritz wetterte gelinde über den einfältigen Streich, den das Schicksal durch seine Rechnung, in ein paar Tagen in Freiburg einzutreffen, gemacht hatte. Spiegler tröstete ihn in seinem Unmuth, entgegnend: Ei, was für Noth? ein einziger Augenblick kann Alles umgestalten. Ich wollte auch die Flügel hängen lassen, aber jetzo rühre ich sie mächtiger denn zuvor. Wie heißt der alte Spruch? Per aspera ad astra! Je länger daran geflochten wird, je größer wird der Lorbeerkranz. Wir werden zum Ziele kommen, Freund; ich zweifle nicht. Audaces fortuna juvat. Die unbeständige Fortuna ist den Trotzigen und Beharrlichen hold. – »Ja, wenn sie das wäre!« spottete Moritz: »Pah, würd' ich sagen: was thut's? Aber Fortuna ist den Dummköpfen und Feiglingen zugethan – das ist eine alte Geschichte; und, kurz – wenn ich daran denke, daß wir – jetzo nur wenige Stunden von Freiburg entfernt, auf die Retirade müssen, Pech geben, das Feld räumen müssen, so möcht' ich ... weiß Gott! – lieber davonlaufen ...!«

Nichts da, nichts da! schweigte Spiegler den Freund: Du wirst dich noch in's Karzer reden. Dableiben, bei'm Donner! dableiben! sage ich, aushalten, mitmachen, dich hineinleben in unser Leben, potz Mord. Du bist nicht furchtsam, aber flatterhaft kommst du mir vor. Folge meinem Beispiel: sey dir treu, und schwöre dir zu, wie ich zu mir geschworen, nicht nachzugeben, nicht eine Handbreite zu weichen. Was Feinde, was Schicksal? Und – sieh'! auf meine Ehre, auf mein Haupt und Gewissen: Wenn unser Herrgott in Person aus seinem Himmel herunterkäme, mir zuzureden und [195] mich umzustimmen, ich thät's nicht, um keinen Preis ließe ich mich herumbringen! Amen!

Kaum hatte er ausgeredet, so kam der Wirth auf ihn zu, – nämlich auf den Tisch, wo mehrere der Waffengenossen umhersaßen, und fragte: »Heißt da nicht Einer Alexander Spiegler? Er sey in der Baar zu Hause, in ...?«

Der bin ich; antwortete der Gemeinte: Was gibt's? Will Jemand etwas von mir?

»'s ist nur 'ne alte Frau;« gab der Wirth Bescheid: »ist schon heute Morgen eingetroffen mit eigenem Wägele, ist auf der Post drüben eingekehrt, hat nach sellem Alexander umgefragt, ihn nicht erfragen können; ist dann unwohl geworden, hat zu Bett liegen müssen, just bis vorhin. Jetzo wandert sie wieder von Haus zu Haus, und ich führ' sie, denk' wohl, gerade herein. – Nur da herein, Frau, nur da herein! Da ist der, den Sie suchen ... wenn er der rechte ist?«

Spiegler – gleich nachdem er von der alten Frau gehört – war bleich geworden, wie die Mauer, und stierte völlig entgeistert nach der Thüre. Die umsitzenden Zecher gaben weiter noch nicht Acht auf ihn; nur Moritz musterte mit der Neugierde des Freundes sein Angesicht, und fragte: Was hast du denn auf einmal? Fürchtest du dich vor einem alten Weibe? – Spiegler gab statt aller Antwort ihm nur ein Zeichen, ruhig zu seyn.

Während die Thüre sich langsam öffnete, erhob sich Spiegler eben so langsam von seinem Sitze, streckte sich über den Tisch, schirmte sorgfältig, um durch den matten Lichterglanz und den Tabaksqualm möglichst scharf hindurchzulugen, seine Augen ... und da gab's [196] ihm plötzlich einen Herzstoß, und er stammelte mit schwerer Zunge: O weh, o weh, sie ist's! Weiß Gott, sie ist's!

Und einander entgegen schwankten die alte sehr wohlgekleidete Frau und der wie trunken dahintaumelnde Spiegler ... und wiederum stotterte er, als versagte ihm die Zunge den Dienst: Mutter ... was machen Sie hier?

Und sie, zur gleichen Zeit, hob weinend gen Himmel die Hände, ausrufend: O Herr, laß mich jetzt dahinfahren in Frieden, denn meine Augen sehen Ihn wieder, und mit Deiner Hülfe, mein Gott, wird seine Seele, meines einzigen Sohnes Seele, gerettet seyn! – –

Ach! das war ein trauriger Anblick; das war ein trostloses Wiedersehen!! Und doch – was ist die Mutterliebe nicht alles zu thun im Stande? Diese alte Frau, aus deren Zügen und Auftreten die größte Bescheidenheit, ja Schüchternheit redete, die in ihrem Lebens- und Gesellschaftskreise so einfach, jedem Getümmel und Wirrwarr so abhold, die einem lärmenden Zecher auf Straßenlänge auswich, die schon den Anblick von drohenden Waffen und wildbärtigen Gesichtern floh ... diese Frau wagte sich – nur um ihren Sohn besorgt, nur ihres Sohnes gedenkend, mitten in den Aufstand, in dieses dröhnende Haus, in diesen Kreis von freisamen Gesellen und blanken Gewehren und rasselnden Säbeln hinein, gerade, als wär's eine alte Gewohnheit von ihr, mit dem Landsturm zu ziehen, und bei Trunk und Gelagen mitzuhalten!

Da sie nach ihrer Anrede ihren Alexander gleichsam [197] krampfhaft umhalste und in ihren Armen festhielt, sprach ihr der Sohn zu: Liebe Mutter, nur keine Scene, nur kein Aufsehen! Wir wollen in ein stilles Eckchen des Hauses gehen. Dort mögen Sie reden, dort mir sagen, wie es kommt, daß Sie, eben Sie auf diesem Platze erscheinen, der so wenig für Sie gemacht?

Ohne den Sohn loszulassen, sendete die arme Mutter einen Rundblick in dem Gemach um, wo Alles lebte und webte, und dennoch nur Wenige sich nach ihr umschauten, weil die Humpen munterer klangen, als des Weibes von Thränen halberstickte Stimme; weil die Würfel klapperten und die Karten rauschten, und hie und da eine glatte Gurgel einen Gesang zum Besten gab. – Dann antwortete die Mutter: Sie merken nicht auf uns, sie haben Besseres zu thun; aber nothwendig, Alexander, darf unsere Unterredung nur kurz seyn, nothwendig müssen wir ohne Zögern hinaus aus diesem wüsten Schauspiel! Komm, komm, mein Sohn, laß deinen Engel dich regieren ... komm geschwinde, wie du gehst und stehst. Drüben hält mein Wägele, angespannt ist's alsobald ... in fünf Minuten sind wir fort ... ich bin dann glücklich und du auch, weil der Pflicht zurückgegeben!

Die Frau zog und zerrte an dem vor Kurzem noch so trotzigen Wehrmann, daß ihm die Wehmuth, die Herzensangst, die Scham vor seinen Waffengenossen schier den Athem benahm. Noch vor einigen Sekunden hatte er den Herrn der Welt stolz und frech herausgefordert, ... und siehe; er war gekommen, der Engel des Herrn, mit ihm zu streiten um den Sieg!!

Wo denken Sie hin? fragte er beschwichtigend die Mutter .Und diese nahm ihm das Wort ab, ausrufend: [198] Wo denkst du hin, Verblendeter, daß du nur einen Augenblick dich sträubst, der Wahrheit, der Pflicht und der innigsten Liebe zu folgen? Ich habe mich nicht lange bedacht, nicht lange besonnen, da ich die Schreckenkunde gehört, daß du unter den Rebellen und Freischärlern deinen Platz gefunden! Dein Vater liegt krank, schwer krank. ... Er wäre sonst hier an meiner Statt, deine Schwester, das junge Blut, konnte ich doch nicht in dieses Babel schicken; ... so hab' ich mich denn kurz und gut entschlossen, mich durchgebettelt durch die schwäbischen Reiter ... habe Mitleid und Barmherzigkeit sogar bei Euern Vorposten gefunden, daß sie mich durchließen ...! ach, sie haben ja alle eine Mutter zu Hause, oder Kinder, auf die sie die Hoffnung ihres Alters setzen ... sie haben einer armen Mutter Schmerz verstanden! wie sollte dieser Schmerz mit dir eine fremde Sprache reden ... wie sollte er bei dir taube Ohren finden? fühlst du nicht mein Herz erbarmenswerth an dem deinen klopfen? schauen deine Augen nicht in die meinigen, die von bittern Thränen voll? O komm, o kommt laß dich die Eile nicht gereuen! In Sturm und Drang des Moments hast du wohl manchmal schon gethan, was unrecht und übereilt; übereile dich herzhaft jetzo der Tugend und Gerechtigkeit zu liebe ... Gott wird deine Hast segnen und dein Vater wird leben, während ihn jetzo der Tod der Verzweiflung um dich abzuwürgen im Begriffe steht ...!

Mutter, Mutter, auch mir bringen Sie den Tod! rief Spiegler tief erschüttert, und suchte vergebens, sich von der, die ihn umklammerte, los zu machen.

Was will denn das Weib? Was ist denn das für eine Komödie mit dem alten Weibe? fragten jetzo [199] Mehrere, die endlich aufmerksam wurden, und Karten und Würfel ruhen ließen.

Geh! ermahnte Moritz, der bis daher stumm an Alexanders Seite gestanden, und dem selber ganz weh um's Herz geworden: Geh hin mit ihr ... geh doch geschwind, die Qual der armen Frau zu enden.

Der Rath war gut gemeint, aber eben, weil so kurz und gebieterisch ausgesprochen, verfehlte er durchaus die Wirkung, half dagegen dem Bannerführer auf's hohe Pferd, und in den Sattel, den er zu räumen schier bereit geworden. Den Schulkamerad wild anschnaubend rief er aus: Was da? Wer befiehlt mir da, meiner wahren Pflicht ungetreu zu werden? den Schwur zu brechen, den ich dem Volke geleistet? im Stich zu lassen meine Ehre, unsre gute Sache und die Wohlfahrt all' der wackern Männer, die unter meine Fahne sich begaben?

Pah! was thut's? Mach' was du willst, und zieh' mich nicht in deinen Handel! entgegnete Moritz schnell und wendete sich ab, ging zur Thür hinaus.

Nun mußte Spiegler zur Mutter sprechen, und hielt ihr eine lange Rede von seinem Eid, von seiner Hingebung für die Freiheit, und daß er nie und nimmer zurückweichen werde von dem betretenen Pfade.

Die Thränen der alten Frau hörten plötzlich auf zu fließen, die Hände ließ sie ab vom Sohn, und dem Anscheine nach trocken und kalt sagte sie zu ihm: Du sprichst wie ein fremder gleichgültiger Mensch das Todesurtheil deiner Eltern; mehr sage ich nicht. Ich hatte auf dein Herz gerechnet – es ist zu Stein geworden ... ich hatte auf deine Ehre gezählt ... du hast sie nicht mehr. Wie hätte es aber auch anders kommen [200] sollen? Du hast Gott verlassen, hast gegen das Fürstenhaus, für das dein alter Vater einst geblutet, das Schwert gezogen, hast deinen guten Namen und den unsrigen allen Winden preisgegeben ...! Was Wunder, daß du deine Eltern, deine Schwester verläugnest, von dir stoßest und bedrohest? Wir haben ja keine Gewalt mehr über dich, wir können ja nur zu dir bitten und betteln, und wenn das nicht hilft, so ist's eben unser Schade. – Sey ruhig, ich belästige dich nicht mehr ... will heimgehen, deinen Vater begraben und selber mich dann in's Sterben legen. Besser, aus dieser Welt zu gehen, deren Wesen ich nicht mehr verstehe, deren Treiben ich bedaure und verabscheue!

Mutter, Mutter! um Gotteswillen, welch' eine Sprache! schrie Spiegler auf, und wiederum wankte sein Herz, das, wie aller Menschen, ein trotzig und verzagt' Ding. –

Indessen hatte sich aber ein Ring von Gesellen um das Paar gebildet, und in der Runde lief die Frage: Was soll denn aus diesem Geschwätz werden? Wo soll denn das hinaus? Wird die Alte nicht einmal schweigen? Wird der Bannerführer nicht einmal seine Schuldigkeit thun?

Die Mutter gab auf diese Reden nichts, denn noch einmal so zerschmetternd als vorhin, redete sie zum Sohne weiter: Ja, ja, selig sind die Todten ... sie werden das Entsetzliche, das sich begeben wird, nicht schauen. Was wird aber dein Ende sein, Unglücklicher, der da kaltblütig mordet die Eltern, die ihn erzeugt und am guten Beispiel herangezogen haben? O möchte dereinst, wenn du alt geworden in der Sünde und im Verrath, dein Tod dir leicht werden ... dir vergeben [201] seyn die Missethat, die jetzo dein Leben, deine schmähliche Hoffnung ...!

Hinaus, hinaus mit der Alten! brach nun der Grimm der Zuhörer los: Hinaus mit ihr! Bürger Spiegler, thut Eure Pflicht, laßt sie hinwegbringen, oder, bei'm Donner! wir thun es selbst, und alsdann Wehe dem wahnsinnigen Weibe! – Ein paar blutjunge Studenten höhnten hinterher: Brutus Spiegler, Brutus Spiegler, alter Römer! –

Diesem Hohne konnte Spiegler nicht widerstehen. Entschlossen faßte er seiner Mutter Hand, zog sie mit Gewalt und finsterm Blick in's Freie hinaus, und übergab sie einigen Leuten, die sie auf ihren Wagen, zum Ort hinaus und bis zu den Vorposten bringen sollten. –»Geht, geht, Mutter, geht, und kommt ja nicht wieder!« Das war das letzte Lebewohl von Brutus Spiegler. – Die Mutter antwortete nicht mit einem Blick, nicht mit einer Silbe; gebückt und stumm ging sie, wohin man sie führte.

Kaum war Spiegler in's Zimmer zurückgekehrt, so fiel auf dem Platze draußen ein Schuß –

– Herrgott! meine Mutter! blitzte voll Angst und Gewissensqual der »alte Römer« auf, und stürmte hinaus.

Ein paar rohe Bursche wieherten ihm nach: Was wär's denn, wenn das alte Gebein ein Loth Blei in's Kapitolium bekommen hätte? Solche Predigten könnten wir brauchen!…! da liefe ja die Hälfte unserer Leute zu allen bösen Geistern! – –

Der Mutter war nichts geschehen. Dagegen kam Junker Gallus, dem Aeußern nach sehr entrüstet, in's Haus gedonnert, und ihm folgte ein Milzheimer mit losgebranntem Gewehr. –

[202] Was soll das heißen, zürnte Gallus dem Bannerführer in's Gesicht, daß man nicht aus dem Hause gehen darf, ohne das Leben zu riskiren? Der Kerl da ruft mich an, da ich ein wenig draußen spaziere… und ehe ich noch zu antworten im Stande, schießt er und seine Kugel pfeift mir dicht am Ohr vorüber.

Ich bin kommandirt gewesen; erläuterte der Bauer brutal; ich war auf dem Posten hinten am Garten. Der Herr Baron und sein guter Freund waren mir auf die Seele gebunden worden. Der Lehrer hat mich hingestellt und mir gesagt: Wenn der Baron und sein Kamerad kommen, und desertiren wollen, so brenn' ihnen eins auf'n Grind! Und so hab' ich gethan, da der Baron daher kam.

Na, solche Voreiligkeit muß ich mir für die Zukunft verbitten, und werde Denjenigen standrechtlich behandeln lassen, der ohne Grund ein Menschenleben bedroht! – Also sagte Spiegler mit wildem Gesicht und noch wilderer Geberde: Der Schulmeister soll sich das Postenaufstellen vergehen lassen, oder ich werde ihm eine Wacht vor die Thüre geben. – Was aber, Bürger Gallus, habt Ihr zur dunkeln Nachtzeit im Garten zu schaffen gehabt?

Wollte lustwandeln; des Lärms und des Jammerns der alten Frau war ich überdrüssig; versetzte Gallus: spazieren wollt' ich gehen; Punktum. –

Hm! spottete der Bauer, der geschossen: ha, ha! spazieren in Wind und Wetter, mit dem Karabiner auf'm Buckel ...

Haltet 's Maul! fuhr ihn Spiegler höchst unwirsch an: Ihr werdet sehen, wie ich mit Euch umspringe, sobald wieder etwas von dieser Art verlautet. Marsch hinaus!

[203] Sobald aber Spiegler eine Viertelstunde später – schon saßen wieder Alle bei Spiel und Wein und Gesang, und die Herzenshärtigkeit des ächten Sohns der Republik wurde über den Schellenkönig gelobt – mit dem Junker, der trübsinnig hinbrütete und Kalender machte, zusammentraf, sagte er demselben mit halblauter Stimme: Nehmt Euch in Acht, Bürger Gallus, und versucht nicht mehr, per zu gehen, 's möcht Euch übel bekommen, und ich wäre vielleicht nicht ein zweitesmal zur Hand, um die Sache zu vertuschen. Verstanden?

Ohne eine Antwort zu begehren und zu erhalten, zog sich, nach ertheilten Befehlen für die Nacht und den nächsten Morgen der Bannerführer in seine Stube zurück, wo er seinen Wohngefährten Moritz bereits im Bette fand. Und er umarmte den wohlmeinenden Freund, bat ihn um Verzeihung, daß er ihn so wild an- und abgeschnauzt, und machte endlich kein Hehl mehr aus dem Schmerz und aus der Reue, die seine Brust zerfleischten. »Was sollt' ich aber thun, was beginnen?« fragte er, seinen Zähren kaum gebietend: »ich war freilich eher meiner Mutter Kind, als ein Bürger im Staate – aber alle Pflichten dieser Erde gehen heute auf in der Pflicht des Bürgers ... und der Würfel ist einmal geworfen!«

Bah, was thut's am Ende auch? fragte Moritz entgegen, dem Freund versöhnt die Hand schüttelnd: Wie wehe uns die Wunde thut – pah, was ist's? Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude! Wenn wir die Republik nur einmal haben, so wird deine Mutter schon einsehen, was der Matrone in einem Freistaat ziemt. Und nun gute Nacht! –

Spiegler schlief wenig; er seufzte oft und schwer [204] die Nacht hindurch. Daß Moritz seine Seufzer hörte – mit geringen Unterbrechungen – beweist, daß auch er nicht viel schlief, um desto beharrlicher jedoch daran dachte, daß auch Er eine Mutter, einen Vater und Geschwister daheim habe. –»Wissen sie, wo ich bin? Weinen oder lachen sie, wenn sie meiner gedenken?« Also fragte er sich still und heimlich, und lachte selber nicht dazu.

Am allerwenigsten schlief und lachte aber der Junker Gallus, der seine Flucht so schnöde mißrathen sah. So geschickt den günstigen Augenblick benutzt zu haben, da Alle auf die Fremde Aug und Ohr gerichtet – und dennoch – und zwar von einem der »dankbaren und unverbrüchlich anhänglichen« Milzheimer erwischt worden zu seyn? fatal? Was mochte zwischen der Zeit der Scherles-Jörg versucht haben, und war ihm gelungen, was seinem gnädigen Herrn nicht gelang? War der wichtige Zettel aufgefangen worden, oder richtig auf dem Wege zum Fräulein, das darinnen angewiesen worden, in's Markgräflerland zu entfliehen, wo schon alles wimmelte von Truppen? Was wird übrigens gleich der nächste Tag bringen? Welche April- und Kriegsstürme? Welche Gefahren und welch' seltsamliche Freuden? – Mitten in all diesen Fragen überraschte den Junker der frühe Morgen, der noch dunkel über Stadt und Bergen lag, als bereits die Reveille und zum Aufbruch getrommelt wurde. –

Es war ein ansehnlicher Haufe, ein verhältnißmäßig stattlich zu nennendes Korps, das sich in kleineren Rotten am vorigen Tage und in verwichener Nacht zu Engen zusammengefunden und sich nun aufstellte, fünf- bis sechshundert Köpfe stark. Die Führer verlasen die [205] Namen ihrer Landstürmer; es fehlten nur Wenige; doch athmete Junker Gallus leichter, da der Scherles-Jörg dem Apell nicht antwortete, und auch weiter keine Spur von ihm aufgebracht werden konnte. – Also richtig auf und davon! Außer ihm mangelte noch Einer von der Milzheimer Kompagnie. Des Scheltens auf die Ausreißer war viel unter den Dorfgenossen. Der Lehrer begnügte sich, boshaft zu sagen, aber Allen verständlich: »'s kann wohl nicht anders seyn. Man hat den Männern ein Beispiel geben wollen, wie man zu desertiren hat, und dem Exempel – wenn's gleich gefehlt hat, sind sie nachgefolgt. Nicht wahr, Bürger Baron?«

Wer aber alsogleich mit dem Anruf: Wer redet da? die Büchse auf den Wurstinger anschlug, war eben der Bürger Baron, und wer sich duckte, wie man es von einem Volksfähndrich nicht hätte erwarten sollen, und kein Wörtlein mehr sprach, war just derselbige Wurstinger. Die Kompagnie, bis auf Wenige, brach in ein helles Gelächter aus. Die Heiterkeit des vorigen Tags wurde dadurch hergestellt, die Lacher waren auf der Seite des Junkers – für jetzo. –

Indessen ordnete sich nach und nach die Masse zum Abzug. Die Bürgerschaft von Engen gab ihr noch einen Beweis von Brüderlichkeit und herzlichem Einverständniß, indem sie sich anschickte, dem schlimmen Wetter zum Trotz, das Volksheer in Waffen zu geleiten bis zur Bannmark, die türkische Musik der Bürgerwehr an der Spitze. – So wurde denn das Signal zum Marsch geblasen, die Fahnen wurden stolz entfaltet, und in den winterlichen Tag hinein klangen und jauchzten, mehr oder minder harmonisch, jedenfalls laut genug, [206] die Hörner, die Posaunen und der Großtrommel ausgiebiger Schall. – Ein Vivat nach dem andern, ein Hoch auf's andere; überall bei den Ziehenden und bei den Bleibenden Freude und patriotische Seligkeit ...!

Da ... Spiegler hatte von so mancher Mühsal gedrückt und zerstreut, die Ablösung der Vorposten ganz vergessen ... da kamen eben selbige Vorposten im vollen Lauf zum Banner zurück, und: »Der Feind! die Württemberger! die Uhlanen!« schrieen sie wild um die Wette. –

Der Zug stockte ... die Musik schwieg ... die Muthigen machten sich fertig zu Schuß und Hieb ... die Furchtsamen duckten sich, wie eben vorhin der Lehrer von Milzheim ... Weiber und Kinder liefen schreiend nach ihren Häusern, um sich dort einzuriegeln ... und der Hufschlag von einigen Pferden klapperte die Straße daher. Was brachte die verhängnißvolle Stunde? – Alles in den Reihen der Wehrmannschaft still, mancher Fuß zur Flucht gelüpft, die Meisten aber starren Augs erwartend, was da kommen wollte.

Wie klärte sich jedoch jede Stirne auf, da nur ein paar Mann württembergische Reiter daher trabten, die selber betroffener schienen, als die Volksmilizen, weil sie nicht von ferne geträumt hatten, daß sie einer solchen Menge von Bewaffneten begegnen würden!

Spiegler, dessen Unerschrockenheit sich bewährt hatte, und der nun merkte, daß mit diesem Feind wohl ein Wort zu reden an der Spitze von sechshundert Mann, ging auf die plötzlich und stutzig haltenden Reiter zu, und fragte sie barsch nach dem »Woher? Wohin? und Was im Schilde?«

Die Reiter antworteten zögernd; kamen von Gei [207]singen, als Quartiermacher vorausgeschickt der Truppenabtheilung, die zu Mittag Engen zu besetzen Willens. –

Nun war eine schöne Gelegenheit gegeben, die Beredtsamkeit des Volksführers zu entfalten, und Spiegler benutzte sie und hielt an die Soldaten eine Rede, die den Titus Livius neidisch gemacht haben würde. Ihr Sinn ging darauf hinaus, daß der Redner den Reitern befahl, auf der Stelle umzukehren und ihren Offizieren zu melden, das hier ein Heer von Freiwilligen versammelt, das sich auf's Aeußerste wehren würde, wenn den Truppen einfallen sollte, ihre Waffen gegen die deutschen Brüder zu kehren.

Den Uhlanen blieb nichts übrig, als der Weisung Folge zu leisten, umzukehren und auf schnellen Rossen im Morgennebel zu verschwinden. – »Sie werden Euch wohl für heute in Ruhe lassen!« tröstete Spiegler die Bürger: »und wohl sind bis Morgen stärkere Haufen von Heckers und Sigels Heereszug bei der Hand, um den königlichen Söldnern die Spitze zu bieten. Lebt wohl indessen, und laßt nicht ab von der großen That, die zu vollführen wir berufen sind.«

Nun wurde zwar nicht mehr »Hoch!« gejubelt, und die Musik schwieg – um so schneller rückte die Mannschaft ab und dem Bergkegel zu, den man den »Hohenhöwen« nennt. – Dieser mußte umgangen werden, wollten die Wehrleute die Straße gen Blumberg und Stühlingen erreichen, wohin sie ihr Kommandant Sigel beschieden. –

Eine gewisse Mißstimmung lagerte jetzo auf dem Zug. Die Einen murrten, daß es nicht zu einem Kampf gekommen; wieder Andern kam die Nähe des [208] Feindes heute viel bedenklicher vor, als gestern. Die Gepreßten und Gezwungenen munkelten unter einander von unglücklichen Dingen, von Verderben und Verrath, von Wunden und Tod im Kampfe, hauptsächlich vom Davonlaufen, wenn anders dieses möglich, und meinten, daß der Scherles-Jörg und seine paar Kameraden, die mit ihm die Flucht genommen, doch nicht so übel gethan, weil Klugheit Allem in der Welt vorgehe. –

Der Junker Gallus, da er unter seinen Milzheimern derlei Reden fallen hörte, erachtete den Augenblick günstig, noch ferneren Schrecknissen in die Gemüther der Aengstlichen Eingang zu verschaffen, und schaltete hie und da ein Wort von der Rache ein, die von den Truppen an allen Angehörigen der Theilnehmer des Aufstands geübt werden würde, und daß mit Mord und Brand gar nicht zu spassen; daß jedoch ein plötzliches Absondern von den Aufrührern, zur günstigen Stunde gemacht und durchgeführt, vielem Uebel vorzubeugen im Stande. – Solche hingeworfene Mahnung vernehmend, fiel den Furchtsamen das Herz sehr tief, und schon wollte berathen werden, wie man es anzufangen, sich loszuschälen von dem gefährlichen Wanderzug – als der Zahlmeister von Milzheim den Junker plötzlich zur Seite nahm und ihm eindringlich sagte: Sie sind im Begriff, Herr Baron, sich blindlings zu verderben. Spüren Sie denn nicht, daß der Lehrer und seine rabiatsten Genossen Ihnen beständig auf den Fersen sitzen, Ihre Worte aufzufangen, Ihre Mienen durchzuspioniren suchen? Sein Sie auf Ihrer Hut, ich bitte Sie. Jene Leute sind zu Allem fähig.

Der Posthalter, der also redete, war allerdings auf der Seite der Patrioten, aber ein braver Mann, der [209] blutige Gewaltthat verabscheute und zu verhüten begehrte. – Gallus wußte ihm Dank für seine Warnung, konnte sich aber nicht enthalten, zu sagen: Und mit solchem Gelichter, Ihr Volksfreunde, wollt Ihr den Sieg erringen? Worauf der Zahlmeister mit Achselzucken: Ei, lieber Herr, wenn der Sturm Alles aus dem Grunde aufwühlt, so kann nicht fehlen, daß auch das Gewürm des Schlamms an's Tageslicht kommt und Gift speit; demungeachtet ist der Sturm wohlthätig, und wackern Herzens sind bei weitem die Meisten, die sich vom Sturm tragen lassen! Das ist eben so wahr, als daß Sie, Herr Baron, eine edle Ausnahme von Ihren Standesgenossen sind, und dadurch meine ganze Liebe und Achtung erworben haben, obgleich Sie ein Aristo, und ich ein Demokrat! –

Der Junker hätte Manches auf des schlichten Mannes Rede zu antworten gehabt, jedoch – hinter sich blickend, sah er, wie der Lehrer sammt Genossen wirklich auf seiner Ferse waren, und sich eine Art von Ueberwachung gegen ihn anzumaßen unterstanden. – Ich werde mich bei'm Bannerführer über diese Bursche beschweren, daß er sie mir vom Halse schaffe! flüsterte er dem Zahlmeister zu, der aber eben so entgegnete: Thun Sie das ja nicht; der Bürger Spiegler hat, so wie alle Führer unserer Schaaren, einen kitzlichen Standpunkt. Befehlen mag er; ob sie ihm aber gehorchen? Erst mit der Zeit wird die Freiheit und das Gesetz Hand in Hand gehen; das macht sich nicht in einem Tage. – Ohne Spieglers Ansehen auf eine gefährliche Probe zu stellen, schweigen Sie lieber für jetzo, und stellen Sie sich an, als ob Sie nichts bemerkt hätten. Beinebst möcht' ich Ihnen noch rathen, Ihrem Freund [210] Moritz einen Wink zu geben, daß er sich nicht zu einem heimlichen Gespräch mit Ihnen zusammenthue, sondern etwas abseits bleibe. Man ist argwöhnisch und erbittert auf Sie beide! – Der Junker that, mißmuthig, aber dennoch, was ihm, gerathen, und Moritz begriff, mit einigem Aufwand von Scharfsinn, was den Freund bewog, seinen Weg allein zu gehen, und bemitleidete von Stund an erst recht von Herzen desselben schwieriges und fast unerträgliches Loos. –

Zum Glück kam der Abwechslung, die da zerstreute, mancherlei vor. Zuzüge schlossen sich an, befehligt von allerhand bunt zusammengewürfelten Leuten: von Bürgermeistern in Person, von Geometern, Schreibern, halbstädtischen Herren – darunter auch ein Geistlicher, ein Arzt, der eine bessere Praxis auf politischem Wege zu suchen im Begriff. –

In den Dörfern, die der Zug auf seiner Straße fand, ging es zu, wie am Tag zuvor in Milzheim. Was da an Mannsbildern zwischen zwanzig und dreißig Jahren, wurde ausgehoben, gütlich oder gezwungen; Sturm wurde geläutet von allen Kirchthürmen ...; da sowohl Lebensmittel, als Geldvorrath schnell dahinschwanden, wurde auf die Vorräthe der Dörfer und auf die Gemeindekassen Beschlag gelegt. Denen, die sich darüber beklagten, antwortete Spiegler humoristisch mit der verfänglichen Frage: Nun denn! wollt' Ihr nicht selber die Revolution, die Republik? – Immer versetzten die Angeredeten: Ja bygott, wir wollen sie! Bei'm Eid, wir wollen Revolution! – (Einer, ein alter Mann, antwortete sogar überschwenglich: Die Republik, bei'm Donner, die Republik und den Großherzog ... Und, die Ursprünglichkeit dieser Leute belächelnd, gab [211] Spiegler den Bescheid: »Also, was Ihr wollt, müßt Ihr auch im Ernste wollen. Keine Revolution ohne Geld und Mannschaft! Darum her mit Mann und Batzen. Hundertfältig wird's Euch zahlen die Republik!« – Darauf war nun nichts zu sagen; man spendete, was man hatte, und auf diese Art kam das Volksheer wieder in's alte lustige Geleis. – –

Es regnete zwar und schneite wüst durcheinander ... aber wohl beköstigt, klingenden Sold in der Tasche und herzhaften Schweizerwein in der Flasche ... was fehlte dem Wehrmann? Was hatte er zu befürchten?

Am Nachmittag zogen die Fröhlichen, als wäre die Sonne klar und golden ob ihren Häuptern ... da kam ihnen entgegen ein reitender Bote, der ihnen meldete, daß eine Schaar von Württembergern in der Nähe das Zollhaus besetzt habe, und daß stündlich noch mehrere in jener Richtung zu erwarten! – Die Stimmung schlug in's Düstre über. Bannerführer Spiegler sah vergebens nach dem militärischen Führer um, den ihm Kommandant Sigel entgegenzusenden versprochen. Hier, in der Nähe des Feindes wäre ein solcher Offizier so nöthig gewesen!… Aber die Zeit drängte, ... es mußte etwas beschlossen werden, und der improvisirte Kriegsrath beschloß, auf verborgenen Waldpfaden die Leute des Banners, etwas beschwerlicher, aber ungleich sicherer als auf der Straße, dem Ziele und Nachtlager Fitzenhausen zuzuführen. Bei strengster Strafe wurde – verboten zu singen, zu jauchzen oder gar die Trommel zu schlagen und Schüsse in die Luft hinaus zu thun; und also ging's schweigsam, verstört und übelgelaunt in den Forst hinein, einige Wegweiser voran, die wahrlich durch Dick und Dünn den Heerhaufen zu führen nicht [212] ermangelten. – Den auf solchem Waldmarsch bald ermüdeten und unlustigen Mannschaften lächelte indessen das Glück: der Feind gewahrte Nichts von ihnen; sie verfolgten ungehindert ihre Richtung, und am Abend hatten sie die feindlichen Posten weit hinter sich, und im Gesicht das vertraute und zur Aufnahme vorbereitete Fitzenhausen.

Spiegler, Gallus, Moritz, der Zahlmeister, der oben bezeichnete Arzt und ein paar andere Führer der Aufgebote wurden im Pfarrhause einquartiert, und von dem Pfarrer auf äußerst zuvorkommende Weise empfangen. – Nicht lange, und Moritz, der bis dahin immer gezürnt mit dem Schicksal, das ihn, statt nach, so von Freiburg schnöde weggewiesen – sogar Gallus, der schweren Kummer und bangen Heimweh's voll, entrunzelten ihre Stirn, lächelten dann, lachten endlich von Grund ihrer Seele, wurden lustig und fidel nach Spieglers und der andern Führer anregendem Beispiel, weil ihnen der Spaß des Abends vielmal des Tages Last und Ueberdruß ausgleichen zu wollen versprach. – Das Pfarrhaus, so wunderlich möblirt, daß die Geräthe gleichsam aus aller Welt zusammengetragen schienen, aber so konfus als möglich geordnet umeinander standen, besaß vom Keller bis zum Speicher kein seltsameres Möbel, als den Pfarrer selbst. Was ihm noch abging an kuriosen Eigenschaften und Manieren, ergänzte auf andere Weise mehr als zur Genüge die Hauserin, das alte Möbel – einst jung gewesen mit dem Pfarrer, jetzo mit ihm gealtert, auf Niemand theurer schwörend als auf ihn, jede seiner Launen und Unarten gut machen wollend, und ohne Rast vertheidigend ihn, der nicht aufhörte, sich und seinem Stande Blößen zu geben, und ein Benehmen zu [213] beobachten, dem man in einem stillen Pfarrhause auf'm Lande zu begegnen gewiß nicht erwartet hätte.

Der Herr Pfarrer also, ein ältlicher, im Gesichte wohlgekupferter Mann, mit kleinen, etwas irren Augen unter der niedern Stirn, über der leuchtenden Nase und dem breitlippigen genußlustigen Munde, schien – wie man im ordinären Leben zu sagen pflegt – etwas »angerissen« zu seyn. Hatte er sich das Herz zum Empfang der Gäste aus dem Hegau stärken wollen, und darinnen ein bischen zu viel gethan? Oder war seine weinige Stimmung nur noch der Ueberrest von dem, was der hochwürdige Herr geleistet, als gestern die Heckerschaar, heute schon der zweite Zug der Wehrschaft von Konstanz im Dorf gekommen und gegangen? Hievon schweigt die Geschichte immer noch, und steht nur fest, daß Hochwürden bemüht waren, sich auf der Höhe Ihrer Begeisterung zu erhalten, und ein Gaudium waren für alle die jungen muntern Freischärler, die zu jener Frist an seinem Tisch gesessen, und von seinem Wein getrunken, an dem in der That nichts auszustellen. –

Wer etwa davon eine Ahnung hätte, wie Anno »Erschaffung der Welt so und so viel« der Altvater Noah vor dem bewußten Schläfchen getanzt hat, der wüßte auch zu sagen, wie der Pfarrer von Fitzenhausen dem Bürger Spiegler und Consorten entgegenschwebte, wie er ihnen die Hände reichte, wie er sie umarmte, wie er sie inbrünstig abschmatzte, des Gottes voll, dem er gehuldigt. – Willkommen in meiner armen Hütte, ihr Vorfechter des Volks! stammelte er ihnen entgegen: Non sum dignus, non sum dignus ... aber gegrüßt seyd mir, Ihr Setzlinge der deutschen Republik! Wiff [214] la Republikk', die Freiheit, die Gleichheit, die Brüderlichkeit! Vivant! Sara, Lampen her! Lampen von Oel, Lampen von Wein! die deutschen Brüder werden durstig sein! Ich bin's, sie sind's, wir Alle sind's, Viktoria!

Der Anfang war gut; in der Folge kam's jedoch immer besser. –

»Macht mir viel Pläsir, delicia magna – fuhr der Pfarrer fort – daß der hohe Generalstab bei mir einkneipen thun; hätte auch schier den großen Hecker in's Quartier bekommen, wenn nicht der Stern – der Reaktionär – mir ihn weggeschnappt hätte, so zu sagen vor dem Maule weggeschnappt. Sara! den Wein! den Wein!«

Sara, die Hauserin, trug Flasche auf Flasche auf, raunte einem Jeden von den Gästen in's Ohr: Nehmen Sie's nicht ungerad; der hochwürdige Herr hat sich gestern in der Kirche so sehr angegriffen, daß er heute noch nicht recht weiß, wo ihm der Kopf steht. – »Wir merken's, wir merken's,« erwiederten lächelnd die Offiziere der Volksarmee und kosteten mit Behagen den Wein. –

Der Pfarrer drehte sich von Einem zum Andern, einschenkend, verschüttend, sich entschuldigend, mit einem Jeden nach der Reihe anstoßend. Dann hob er plötzlich an, auf sein Kleid deutend: »Schwarz!« – auf seine Nase: »Roth!« – und auf den Wein: »Gold!« –»Wiff, wiff die deutschen Farben!« – Nun kam das Lachen zum Ausbruch, und der Pfarrer lachte selbst über seinen Witz, daß die Fenster zitterten. Mitten unter seinen Gästen saß er alsdann, als wäre er seit Jahren mit ihnen vertraut, ob er gleich neu [215]gierig fragte: »Wer von den Herren ist denn der General?«

Auf Spiegler deuteten Alle, und Spiegler wurde heftig umarmt. »Gloria dem Feldherrn des Volks! Gloria dem Helden der Nation!« rief dabei unter allgemeinem Halloh der Gastgeber: »Wer ist aber der da?« – Moritz Jonathas! – »Gesegnet seist du, mein Sohn Jonathan!« Abermalige Umarmung. – »Und der da mit der großen Nase?« – Unser Kriegskassier! – »Ah, Respekt! Nervus rerum gerendarum, ich küsse dich. – Und jener mit der vorfrühen Glatze?« – Unser Feldarzt Gleichauf! –» Excellentisssime! Dies Glas dem großen Archiater! Und selbiger mit dem Gesicht à la Joseph der Zweite?« – Der Herr von Milzheim, alias Bürger Gallus, jetzt ein doppelter Freiherr geworden! antwortete Spiegler mit komischem Bombast. –

»Ein Baron?« schrie der Pfarrer auf, und strudelte auf den Junker zu, saß ihm beinahe auf den Schooß, schaute ihn an, wie ein Wunderthier, streichelte sein Gesicht mit beiden fetten Händen: »O, welch ein Ueberrest aus der alten Zeit, eine Ruine, eine Tradition! O du lieber guter Baron! Ich habe schon lang keinen Baron gesehen! Komm, trinke mit mir auf das Wohl der Vergänglichkeit aller Dinge auf Erden! Ein Baron, der zum Bürger sich abgehäutet hat? Vivat! Wir wollen beieinander sitzen, Baron und Pfaff! Wir beide gelten nichts mehr in der Welt, ... aber Papst und Kaiser gelten auch nichts mehr ... Vivant die Todten! Vivant, weil sie nichts mehr sehen und wissen! Was für Augen würden deine Ahnen machen, Baron, wenn sie dich als Proletarier und Wehrmann sehen [216] könnten? Was würde mein Vorgänger von Anno Hopsasa ... der dort so schwarz und giftig an der Wand hängt ... was würde er zu meinem Haushalt sagen, und daß meine Filialbauern, die Aristokraten, mir keinen Zehent mehr geben wollen, und auch kein Ablösegeld für denselben? Stoß an, Baron, und singe mit mir:

»Allongs Anfangs de la Battriee ...!«

Ein homerisches Gelächter, in welches Gallus, der zu Anfang der pfäfflichen Rede ziemlich verdutzt gewesen, sich nicht enthalten konnte, herzlich einzustimmen, unterbrach die Hymne, die der Hochwürdige gern vorgetragen hätte, und wollte sich lange nicht begütigen, obschon der Sänger mit den Händen in der Luft focht, mit den Füßen stampfte, und sich braun und blau, aber vergebens, abschrie, um die Lachenden zu bewältigen. – Indessen war Sara an den Baron geschlichen, und flüsterte ihm zu: Nicht übel nehmen, gnädiger Herr, aber der Herr Pfarrer, wenn Sie lustig sind, haben so die Gewohnheit an sich, alle Leute zu dutzen ...

Thut nichts, thut nichts! beruhigte Gallus die Hauserin, immer fröhlicher, und lieh dann wieder das Ohr dem Geistlichen, der auf einen Stuhl gestiegen war, und durch Spieglers Vermittlung endlich die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer erobert hatte.

»Was lacht Ihr denn, Ihr Nashörner?« zürnte er: »Ich habe die Marselljäse schon gehört, da Ihr allesammt noch in die Windeln vergraben wart! Kameele, Nachtwächter! wenn auch der Papst zu Rom nichts mehr gilt, und wir Pfaffen demnächst Alle heirathen werden ... Sara, geh' hinaus ... so ... [217] ... was wollt' ich nur sagen ...? Mir schwindelt vor meinem Gedächtniß ...!«

Ein paar Mitleidige hoben ihn geschwinde vom Stuhle und setzten ihn behutsam auf den Boden nieder, wo er's sich bequem machte, vergnügt umherschaute, und sehr heiter fortfuhr: »Ihr seyd brave Jungen ... ich aber bin ein bemoostes Haupt ... und Freiheit, sag' ich, über Alles! Laßt Euch nicht irre machen, und ja nicht vor den Württembergern ... denn – was mir einfällt« ... dabei erhob er sich wieder in ganzer Gestalt, und pflanzte sich auf die Sohlen – »in Stuttgart ist der Teufel los. Die Radikalen haben's gewonnen, der König ist per, die Soldaten sind zum Volk übergegangen ... über ... übel ...! ja, bei'm Blitz, mir wird selbst ganz übel, von der Freude ... der Verzückung ... der Beglückung ...«

Nehmt's nicht ungerad, Ihr Herren! rief Sara, den Pfarrer eiligst hinausführend: das ist so eine Krankheit des Herrn, die ihn dann und wann befällt ...! gleich wieder besser, gleich, gleich!

Die Lustigkeit der Gesellschaft kümmerte sich wenig um das Unwohlseyn des Festgebers ... wie toll und verrückt jauchzte sie dem saubern Diener der Kirche nach, und theilte sich schäckernd in die Speisen, die von der alten Sara als Abendmahlzeit aufgetragen worden waren. – Trunkener Mund, wahrer Mund! rief Spiegler, der alle seine Privatkümmernisse vergessen und hinausgelacht, über die Tafel: Mit der Revolution im Schwabenland scheint's seine Richtigkeit zu haben, denn schon berichtete mir hievon ein Marodeur von Heckers Kolonne; und wenn dem so ist, Vivant die wackern [218] Schwaben! – Hoch, dreimal hoch! gellte und klang der Gesammt-Toast. –

Und wiederum – etwas bleicher, aber wohlgemuth – erschien der Pfarrer, seiner Sara entwischt, im Kreise der Fröhlichen, führte wieder ein Tänzchen auf, das lebhaft beklatscht wurde, und rief: »Alle Schwaben sollen leben; ich vor Allen, denn ich bin ein Schwab selber, ich, und bleib' ein Schwab in Ewigkeit! Wiff le Schwobb! wie die Franzosen sagen!«

Bravo! Wiff! Wiff! spotteten die Gäste nach. Moritz zog den Pfarrer an seiner Seite nieder und fragte lustig: Nun, was dem Einen recht, ist dem Andern billig: Werden Sie uns nicht sagen, verehrtester Bürger, wie Sie heißen und woher Sie sind, da auch wir Ihren werthen Fragen gerecht geworden?

Der Pfarrer – nachdem er einen guten Mannstrunk genommen – den Finger an die Nase gelegt, als ob er sich auf seinen Namen erst besinnen müsse: »Ich heiße ... Bi ... Ba ... Bächele ... zu dienen ... mit Respekt zu melden ... ja, so heiß' ich, und Florian obendrein ...«

Aha; machte Moritz: Bächele, ein Diminutiv von Bacchus, dem Sie – gestehen Sie's – hold?

Der Pfarrer: »Hä, hä ... du bist ein Tausendsaperloter ... und ein Hech ... Hi ... Ha ... Hechinger auch noch zu alledem ... hä, hä, so bin ich ... aus Hechingen, der Stadt ... ein ächter Schwab! und meine Mutter war eine geborne ... Hi ... Ha ... Hinterbein ... so war sie!«

Wie, was, Hinterbein? fuhr Moritz freudig auf, und Cornelia's Erscheinung dämmerte plötzlich rosig und selig vor seiner Phantasie empor ... ver [219]wandt sind Sie mit dem Hinterbein, der zu Freiburg ...?

»Ein leiblicher Vetter zu ihm;« bestätigte der Pfarrer, dem allgemach die Zunge sehr schwer wurde: »zum Plantageur ... ich hab' ihm einmal sogar getauft ... so hab' ich ... eins seiner vielen Maidele ...«

Die Cornelia ... he? geschwind? Heraus damit, Herr Pfarrer? unterbrach ihn Moritz. – Aber der Bächele, mehr und mehr dämisch werdend, ließ das Haupt beträchtlich sinken, entgegnend: »Hm, ... ja ... so glaub' ich ...; wann's Gott's Will' ist, so wird sie's sein ... und wenn nicht ...?«

Da die Tafelrunde sich indessen in einzelnen Gruppen unterhielt – namentlich Gallus sehr angelegentlich im Gespräch mit dem Doktor Gleichauf begriffen, der sich freundlichst zu ihm gefunden – wollte Moritz mit dem unbehülflichen Hausherrn, was ihn interessirte, weiter verhandeln, rüttelte den Hospes aus seinem Dahinsinken empor, rief ihm in's Ohr: Munter ... munter ... Herr Pfarrer! – ohne zu hören auf die Sara, die ihn beschwor, nicht übel zu nehmen, daß der Geistliche schlief, weil derselbe sich gar angestrengt, und auch gewohnt, recht früh das Bett zu suchen.

Und wirklich – gleichsam dem Moritz zu Gefallen – ermunterte sich derjenige Bächele, wurde aber gleich rabiat, indem er in starken Zügen trinkend ausrief: »Meiner Seel' ... der Plantageur ... der Mohrenschinder ... hat so viel Geld, so viel ... und ich hab kein's, und gegeben hat er mir nie nicht, was auf'n Nagel geht ... bei'm Blitz ... ich zieh' mit Euch, Ihr Vaterländer und Dem ... Dimokraten ... als Feldbischof ... als ›Papp Schenerall‹ ... so thu' ich, und [220] will dem Hinterbein mein Bangjonet in ... den Geldsack rennen ...! Und (mit gehobener Stimme) wenn Ihr auch nichts ausrichtet, edle Helden und durst'ge Freunde ... nichts, als daß Ihr meine Filialbauern ... die Reaktionäre ... weißt du: die Bierenhofer, alle todtschlagt ... weil die Kerle mir den Zehnt nicht geben ... so ist's ein groß Werk, und ... Sapperlot! sing' mit mir hellauf… französisch, bei'm Eid, wollen wir singen ... singen ... singen ...:

Nun trommelte er wie ein Besessener auf den Tisch, und schrie in's Gelage hinein:

»Ang awang, marschongs,
Kongtre lör Kanongs ...!«

daß Alle lebendig wurden und jubelten und lachten wie noch nie, dem Diener im Weinberg zu Ehren. Bächele taumelte auf, erwischte die Sara, um mit ihr ein Tänzchen zu machen ... das Hohngelächter war auf seinem Gipfel angelangt ... und auch wieder auf einmal zu Ende; denn ... Plautz! ging ein Allarmschuß vor den Fenstern des Pfarrhauses los – und alsobald der ernsten Lage, worinnen sie sich befanden, gedenkend, stürzten alle Wehrmänner, die an der Tafel, vor's Haus hinaus, zu sehen, was sich begeben. – Der Pfarrer fiel indessen bestürzt, erschrocken, vernichtet unter den Tisch, und die allzeit fertige Sara benützte den freien Augenblick, ihren Dienstherrn fortzuschleppen und zu Bett zu bringen. –

Der Allarm war eitel und nichtig gewesen; die ausgestellten Posten wollten irgendwo Württemberger verspürt haben ... ausgesendete Patrouillen kamen wieder zurück, ohne auf eine Spur des Feindes gestoßen zu [221] seyn ...! über all dem Warten und Aufpassen und Lauern in Sturm und Windschauern vergingen aber die Stunden, und schon Morgens um ein Uhr ließ Spiegler zum Aufbruch schlagen – und nur der zukünftige »Feldbischof und Pape général« hörte kein bischen von dem Abmarsch seiner »geliebten Helden und durst'gen Freunde.«

Es war abermals kein Weg auf Rosen, den die Mannschaft des Volksheers wandelte, und in dem Dunkel und Regensprühen machten sich Manche davon; ... aber um so unverwüstlicher hielten die Andern aus, schreiend, singend, dann und wann einen Schuß abbrennend. Das Ansehen Spieglers reichte nicht mehr hin, den übermüthigen jungen Leuten Stille und Besonnenheit zu gebieten. – So ließ er endlich die Sache gehen, wie sie ging, und das Glück war mit dem Zuge noch immerdar. Der Feind blieb fern im Rücken der Kolonne, und bei guter froher Morgenzeit war das erste Ziel des Tages erreicht: das Städtchen Stühlingen. –

Die Bürgerschaft machte nicht die besten Gesichter zu der Einwanderung des Spiegler'schen Banners; denn schon wimmelten die Straßen und Häuser von Zuzügern aus Konstanz, die, wohlbewaffnet Mann für Mann, noch zwei Kanonen mit sich führten. Den Mißvergnügten gebot diese drohende Bewaffnung Schweigen und Fügung in Geduld. – Junker Gallus, der äußerst ermüdet neben seinem Zuge herhinkte, nicht aus den Augen gelassen von Wurstinger und Gesellen, sprach auf einen Eckstein hinsinkend, zu dem Doktor, der sich ihm angeschlossen: »Wahrlich, Freund, ich fürchte, nicht mehr von dannen zu kommen! Meine Füße sind geschwollen, meine Kleider durchweicht ... ein eiskaltes [222] Fieber schüttelt mich ... reden Sie doch für mich mit Spiegler ... oder willst du's thun, lieber Moritz?«

Der Kamerad gab dem Baron einen leichten Wink, um ihn vor den Aufpassern zu warnen, die finstern Augs ihn zu überwachen nicht nachließen; und der Arzt sagte zu ihm französisch: Noch ist's nicht an der Zeit, zurückzubleiben, wenn schon Ihr Platz bei uns immer weniger haltbar, Ihnen immer unerträglicher werden muß. Diese Schergen, die gleich den alten Vehmschöffen an Ihrer Ferse bleiben, müssen zuerst von Ihnen abgeschieden werden, und nur deshalb will ich vorläufig mit dem Bannerführer reden. – Auf der Stelle führte auch der Brave seinen Vorsatz aus, und binnen fünf Minuten kam ein Adjutant des Spiegler und kommandirte den Junker sammt dem Doktor und dem Freunde Moritz zum Vortrab der Kolonne. – Dem Wurstinger und seiner Garde wurde bedeutet, zurückzubleiben und mit dem Hauptkorps zu ziehen. – Der Lehrer, da er den Baron seiner Aufsicht enthoben sah, machte ein Satansgesicht, und drohte noch mit den Fäusten dem Forthinkenden nach. »Wir kommen doch wieder zusammen, Bürger Gallus!« höhnte er zur selben Frist ganz unverblümt und um so bittrer, als ihm nur ein Blick tiefer Verachtung von Seite des Moritz zur Antwort wurde, und der Freiherr sich gar nicht mehr um ihn bekümmerte.

Wohin? wohin aber jetzt? fragte Moritz ungeduldig: Werden wir nicht bald Heckers Zug erreichen, und mit vereinten Kräften gen Freiburg stürmen? Freiburg will ich sehen, Freiburg haben ... und dann mag geschehen, was da will!

Jedoch – o Donnerwort! – ihm antwortete [223] Spiegler: »Nach Thiengen voran! Und Abends – will's Gott, nach Waldshut!« O weh, o weh! dem armen Jonathas wurde sehr ausreißerlich zu Muthe. – Ein betrübteres Gesicht als das seinige war noch nie in dem muntern und hellen Thiengen eingewandert – ein verdrießlicheres noch nie von dannen abmarschirt ...! der Marsch ging ja nach Waldshut, und nicht nach Freiburg!

Und als sie endlich, – Milzheimer, Konstanzer, und noch so viel hundert andere Söhne des Seekreises, mit Waffengeklirr und klingendem Spiel in Waldshut aufzogen, und vermeinten, Hecker, Sigel, Willich und die andern Führer würden ihnen entgegenkommen mit grünen Reisern und frohen deutschen Liedern ... wer beschreibt ihren Verdruß, ... bis auf den Führer ihrer Kolonne – Alle schon fort auf andern Wegen und Stegen? Dem Spiegler und seinen Mannen, ihnen war der Auftrag geworden, durch's arg verschneite Gebirge nach Todtnau zu dringen. Sigel übernahm das Generalkommando der ganzen Kolonne, und ließ dieselbe nicht lang zu Waldshut rasten.

Der Doktor Gleichauf nahm daher seine Zeit wahr, und schaffte dem Junker die Erlaubniß, im Gasthof zu Waldshut zurückbleiben und seiner müden Glieder pflegen zu dürfen.

Zum brüderlichen Freunde Moritz sagte Gallus still und heimlich: Willst du nicht auch hier bleiben, und mein Schicksal theilen? So wie das Feld frei, sobald ein Thörlein offen, mache ich mich in die Schweiz hinüber ... kommst du mit? –

Nach kurzer Ueberlegung antwortete aber Jonathas: Ich habe geschworen, in Freiburg einzuziehen, noch eh' [224] der Ostertag ersteht ... ich muß den Schwur halten, und dich den guten Göttern überlassen. –

Deß wurde Gallus traurig, sagend: Du gehst vielleicht dem Tod entgegen ... und zwar für eine verlorne Sache? Besinne dich, o Freund! Von Truppen muß jetzt schon das Breisgau wimmeln ... nicht dem Sieg, der Niederlage eilt Ihr entgegen. –

Jedoch mit blutendem Herzen riß sich der Freund von dem Warnenden los, und stammelte: »Auf Wiedersehen! Fall' ich für die Freiheit, so pflanze mir eine Rose. Lebendig fangen mich die Schergen nicht ...! Doch wollen wir nicht verzweifeln, und hoffen auf's Wiedersehen im freien einigen Deutschland! Mein Bruder –– ob auch unsere Wege jetzt auseinander gehen ... wir wollen uns treu, wir wollen einander werth bleiben! ...«

– Sprach's und sprang entschlossen in die Reihen seiner Gefährten, die sich eben in Marsch setzten.

Vorwärts! kommandirte der oberste Führer: Freie Männer fürchten nicht den Sturm der Elemente; frisch in's Gebirg hinein! In drei Tagen müssen wir in Freiburg seyn!

Gottlob! Gottlob! rief Moritz unter'm Kriegsgeschrei sich in die aufathmende Seele: Endlich – Gottlob– nach Freiburg, wo sich mein Schicksal – o Cornelie! – entscheiden und gestalten soll!

~~~~~~~~~~~~


 << zurück