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Fünftes Kapitel.
Ein Sack von Briefen voll.


1.
Moritz-Jonathas an den Hofschauspieler in Mannheim.

Aus der »Höri« im November 1847.

Liebes Bruderherz; theurer Stulpenstiefel!

Ich habe lange gesäumt, dir zu schreiben. Um so lieber und willkommner wird dir dieser Brief seyn, will ich hoffen. Bist zwar vornehm geworden, und ein Hofherr, so zu sagen und mit Respekt zu melden, wie dein letztes Schreiben mich ahnen läßt; dennoch wirst du deinen Jonathas, obschon derselbe ex plebe ortus, auf deutsch: ein Proletarier, nicht vergessen haben. Könnte ich nur mit Glanz und Ruhm mein Gedächtnis in deinem Kopf und Herzen wieder auffrischen! Aber davon kann leider nichts gebrummt werden. Ich habe Pech, ohne Ende Pech; mir will nichts glücken; und so sitze ich denn noch immer an der väterlichen Krippe, [117] und baue an Luftschlössern, die sich nicht verwirklichen wollen. Für den Magen ist hier wohl gesorgt, aber das bischen Ehrgeiz geht betteln. Mein Vater liest mir wenigstens alle andere Tage den Text wegen meines Durchfalls im Examen; die Mutter seufzt und briegget über meine Zukunft, die sie sich nicht böse genug vorstellen will; meinem Bruder, dem Bauer, bin ich eine Ueberlast, und meine Schwestern thun gerade wie die Mutter. Es wäre zum Schwarzwerden, wenn ich nur ein wenig Anlage zu einem Aethiopier hätte. Ad vocem: »Aethiopien« so ist Freund Alfred-Fröschlein vielleicht schon dort und läßt sich von der Sonne braten. Seitdem er seine Reise angetreten, hab' ich ihm ein paarmal geschrieben: nach Mailand und Rom, aber noch nicht einen Buchstab von ihm gesehen. Darum, denk' ich, wird er schon weit seyn, und wohl ihm! In dem Schreiberparadies Europa ist's kaum mehr zum Aushalten, und in meinem Winkel da am See wird mir immer ungeheuerlicher zu Muthe. Bin doch, ohne mir zu schmeicheln, ein ganzer tüchtiger Kerl, habe tale quale das Meinige gelernt, und jetzt stellt sich die bureaukratische Welt in unserm Ländlein an, als sei ich zu gar nichts zu gebrauchen, weil ich in der juristischen Reitschule ein paarmal aus dem Trab gekommen bin. Sind das Zustände? Da lob' ich mir noch die Schweiz, obgleich dort Manches besser seyn könnte. Dort kommt's auf den praktischen Verstand an, und nicht auf die elende akademische Dressur. Dort macht man per Wahl aus einem beliebigen N. N. einen Amman, einen Richter oder Seckelmeister, und siehe: er kann seine Sach', sobald er nur ernannt und im Amte ist. Aber bei uns – du liebe Zeit! Ich werde ganz [118] widerborstig, wenn ich daran denke, wie die Perrücken bei uns just den tüchtigen Mann karniffeln, dagegen mit Andacht den nächsten besten Dummkopf in ihr wohlweises Kollegium einlassen, wenn derselbe nur Protektion von oben hat! Und daher auch das babylonische Durcheinander von Kraut und Rüben in der Verwaltung, in der Justiz und in der Regierung. – Mein Stulpenstiefel! Du hast wohlgethan, dich der heitern Gunst zu widmen, und im Freistaat der Phantasie und des Schönen dich einzubürgern. – Wenn nur auch ich irgendwo mein Bürgerrecht fände! Ich habe schon dies und jenes anfangen wollen ... aber an mir haftet der Makel des bewußten Durchfalls, und vor den regierenden und amtirenden Zöpfen bin ich auf ewig zu Schanden geworden. Der miserabelste Schreibersknecht stolzirt an mir vorbei mit dem Gedanken: Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin, wie dieser Durchgefallene da! – Nun könnte ich wohl – und wenn's nach meinen lieben Angehörigen ginge, sollte ich's auch – nun könnte ich allerdings noch einmal den Anlauf nehmen, noch einmal das Examen machen und mein Glück probiren; aber um alle Millionen der Welt machte ich den gelehrten Narren und Staatsvormündern nicht diesen Spaß; da respektire ich mich selbst zu sehr, und verachte die Philister viel zu tief. Wenn ich in einer Lotterie spielen will, so setze ich in die Frankfurter, obschon auch dieses harmlose Spiel bei uns verpönt, verboten und zwar bei Strafe verboten ist. – Liebster Stulpenstiefel, vergib mir, was das permanente Gallenfieber aus mir schreibt, und bemitleide mich und das Vaterland. Ja – wenn wir eben nur einem großen und mächtigen Deutschland angehörten ... da wär's [119] was andres, da wäre für einen Jeden Platz im Vaterlande! Aber angewiesen zu seyn auf das bischen Brod im Staatsdienst, eingekerkert zu seyn in den engen Gränzdaumschrauben unsers Miniaturvaterländchens, das ist zum Davonlaufen; da möchte man in Person und Lebensgröße ein Freischärler werden, wie sie in den letzten Jahren und Monaten in der Schweiz aufgetaucht sind. Aber zu solcher Romantik des Mittelalters bringen's in Deutschland nicht die Jungen, geschweige die Alten. Wie sich der deutsche Philister auch dreht, der Zopf – er hängt-ihm hinten. – A propos, mit der Schweiz wird's gleich richtig seyn. Dort sind sie der Verdummung und der eckelhaften Gedankenschulmeisterei rechtschaffen zu Leibe gegangen. – Das Volk stand auf – der Sturm brach los! Die Zuchtmeister Europa's haben weislich die Nase davon gehalten, die Sache gehen lassen, wie sie mochte, und der »Siegwart«, der davon gelaufen, mag noch ein Bissel auf den Sieg warten; der »Steiger« ist ihm auf den Leib gestiegen, und der »Ochsenbein« ein hartes Bein! –

Was mir jedoch eben beifällt, ist, daß ich noch durch eine Heirath mein Glück machen kann! Wir wollen nicht vergessen, was wir in Spaß und Laune uns dazumal im Bädle zu Eisenbach gelobt. Wir wollen die Fräulein Hinterbein, gleich wie vordem verwunschenen Prinzessinnen passirt ist, von ihrem Bann und Zauber und von ihrem verhaßten Namen befreien. Ich halte dafür, daß die Charwoche 1848 die günstigste Zeit seyn dürfte, uns in Freiburg zusammenzufinden. Ich komme wenigstens bestimmt, und gebe dir und den andern Beiden ein Stelldichein im Engel. Du wirst gerade in der Charwoche am leichtesten Muße gewinnen [120] und Urlaub erhalten, und ich verspreche mir viel Jux und Trödel von unserm Unternehmen. Wir werden kommen – wenigstens zu dritt; auf den Alfred ist nicht bestimmt zu rechnen – werden aufmarschiren, sehen, gesehen werden – und siegen; das steht fest. Unser die Fräuleins, unser das Geld – so fragen wir, wie theuer die Welt, und machen alsdann eine Hochzeitreise, gegen die unsers Philosophen Fröschlein Weltfahrt nur ein kümmerlicher Spaziergang seyn soll! – Und jetzt lebe wohl, schreibe bald deinem

Jonathas.

Nachschrift. Hätte bald vergessen, dir zu melden, daß du die Antwort auf Gegenwärtiges nach »Milzheim« überschreiben wollest. In ein paar Tagen geh' ich dorthin ab. Der daselbst regierende Junker ist ein Schulfreund, eine liebe Seele, wenn schon Aristokrat. Ich denke bei ihm zu überwintern, und mir's besser bei ihm schmecken zu lassen, als es mir an Vaters Tisch schmeckt. Vate, Stulpenstiefel!

2.
Der schöne Fritz an Alfred.

Carlsruhe im Dezember 1847.

Mein guter Freund und Bruder!

Sollte ich auch noch so zudringlich erscheinen, dennoch schreibe ich noch einmal an dich, wenn ich schon nicht weiß, wo dieser Brief dich antreffen mag. Ich [121] richte ihn auf's Geradewohl gleich dem vorigen an deinen Gastfreund in Zürich, der von deinem Aufenthalt jedenfalls besser unterrichtet sein wird, als meine Wenigkeit. Ich denke, daß unter allen Schul- und Hochschul-Genossen, die mit uns den Weg der Weisheit gegangen, wir uns am Besten von jeher verstanden und begriffen haben; daher mir ein Bedürfniß ist, mit dir wenigstens in brieflichem Verkehr zu bleiben. Die schönen Tage von Heidelberg und Freiburg sind freilich nicht mehr, aber in unserer Erinnerung leben sie fort, und unsere zufällige Begegnung im vorigen Spätsommer auf dem Walde hat so zu sagen den Bund, den wir uns geschworen, erneuert. Und bist du mir auch noch auf mein erstes so herzliches Schreiben nach Zürich die Antwort schuldig geblieben – ich kann und mag nicht glauben, daß du deinen Poppele vergessen habest. Auf welchem Meere, in welchen überseeischen Fluren du dich jetzo herumtreiben magst, mein Gruß, mein Glückwunsch, mein Segen folgt dir allenthalben nach. Glücklich, wer eben jetzo dem alten steifen Europa hat entlaufen können. Außer dem Sonderbund-Putsch in der Schweiz, dessen Anfänge du vielleicht mit Augen angesehen, hat sich zwar nichts von Bedeutung ereignet, aber – weiß Gott, warum, woher und wie? – die Luft ist schwül, als wären Gewitter im Anzuge, die uns etwas Tüchtiges zum Ausrathen geben sollten. Politik ist zwar meine Sache nicht, aber sie grassirt bei allen Leuten, gleich einer Epidemie, und Keiner bleibt davon völlig verschont. Der Kannegießerei ist kein Ende. Im Grunde ficht das mich nicht gewaltig an. Ich arbeite am Webstuhl meiner Kanzlei, schweige und skrible, skrible und schweige, und vertreibe mir nebenbei die [122] Zeit auf meine Weise. – Höre, Freund: Karlsruhe, das von Vielen als langweilig und fad verschrieen wird, hat seine großen Annehmlichkeiten. Das weibliche Geschlecht zum Beispiel ist hier wirklich das schöne, und mir ist, da mir die Masse von Grazien, die hier schweben, promeniren, tanzen, plaudern und – lieben, zu Gesicht kam, der Verstand ohne Weiteres stehen geblieben. Welche edle Formen, welche Züge, welche Tournüre, welche Toiletten! – Ein armer Bursch, wie ich, der ein paar Jahre in einem elenden Amtsstädtchen im Hegäu hat verschwitzen und verkümmern müssen, weiß sich zu Anfang in der Residenz gar nicht zurecht zu finden. Vor den Huldinnen, die hier regieren und durch die Straßen wimmeln, verliert er den Kopf. Doch findet sich Derjenige, den die Natur gut organisirt hat, endlich wohl zurecht. So auch ich. Aber – im Ernst, Freund – einen Damenflor, wie hier, findet man, glaub' ich, nirgends. Die Manieren, die Heiterkeit, dieses anmuthige Laisser-aller ... wer beschreibt das? Ich habe, den Schönen hold, einen gottvollen Herbst allhier verbracht, und der Winter mit seinen Bällen und Conzerten würde noch Alles übertreffen, wenn wir nicht das Unglück mit dem Schauspielhause, das abgebrannt ist, gehabt hätten. – Item: ich schwimme wie ein Fischlein munter in wohliger Fluth, bin in mehrere Familien eingeführt, verfolge nicht mit Ungeschick und nicht mit schlechtem Erfolg den Pfad der Galanterie ... und dennoch, dennoch wollen meine Sterne nicht leuchten, wie sie sollten, und wie mir die Mutter schon vor Olims Zeiten prophezeit hat. Meine Unerfahrenheit ... bald hätt' ich gesagt: meine Unschuld – hat mich auf einen Irrweg geleitet, den ich besser ganz und [123] gar vermieden hätte! – Da ist, par Exemple, eine Frau, eine gestandene Frau, die Gattin eines einflußreichen Mannes, die mir vor fünf oder sechs Wochen in einer allerliebsten Soirée auf einmal und auf sehr bemerkliche Art eine Aufmerksamkeit bewies, welche mir nur schmeichelhaft seyn konnte. Obgleich wie ein Schmetterling von Rose zu Rose flatternd ... ein Schneider von Straßburg hat mir wundernette Flügeldecken und Zubehör fabrizirt – merkte ich dennoch, daß jene obenbesagte Frau mir wohl wollte, mich auszeichnete. Ich freute mich der Auszeichnung, denn sie konnte gute Früchte tragen: Beförderung, Ansehen, Gehaltszulagen und dem mehr. – »Die Weiber regieren die Welt und werden dein Glück machen!« hatte mir die Mutter gesagt. Und wahrlich: wie einer zärtlichen Mutter Entgegenkommen gemuthete mich das Benehmen der Dame. – Wer sich gleich losschält von der jungen Feenwelt, die nur Blick um Blick, Lieb' um Liebe tauscht, ohne nur von fern an irdische Beamtensehnsucht und Protektion, noch an klingende Münze und Gratifikationen zu denken – der bin ich, um mich für den Abend mit Pietät der freundlichen Mutter, so das Schicksal mir zugewendet, ganz zu widmen. Ich führe sie, ich unterhalte sie, ich mache mit ihr ein Spielchen, begleite sie an den Wagen, schleppe ihr Mantel, Hut und so weiter: werde dafür auch in ihr Haus geladen. Ich gehe dort aus und ein, immer in Gedanken für meine Zukunft arbeitend; ich erfahre platterdings nichts, gar nichts von dem dummen Zeug, das von dem Pöbel der Salons über mich und die Dame herabgelangt wird. Was aber um's Himmelswillen was begibt sich? Ich hatte, so zu sagen, mein Diplom schon in der Tasche, [124] meine amtliche Carriere schon gemacht ... auf einmal wird mir bedeutet, zu welchen Bedingungen ich mich verstehen muss!t Der Himmel fiel über meinem Haupte ein. Ich, der ich gemeint hatte, von einer Mutter geliebt zu seyn, ich, der ich dafür die kindlichste Erkenntlichkeit bethätigt hatte ...! – Nun, vor solcher Enttäuschung mußte der Rückzug genommen werden, das war keine Frage. Eine Frau von vierzig Jahren ... geschminkt, mit falschen Locken aufgesetzt – wer weiß, was noch Alles falsch an der Person ...! noch jetzo überläuft mich die Schamröthe. Genug: ich zerriß die plump angelegte Schlinge ... des seligen ägyptischen Josephs horror und Tugendentrüstung war Flötengelispel gegen den Brummbaß meiner tugendlichen Grobheit ... und so war die Katastrophe da, und meine zweite Dummheit fertig. – Denn – nicht genug, daß mich die Spötter auslachten, und die bisher vernachläßigten jungen Damen mich acht Tage lang ignorirten – von der Stunde meines Tugendsiegs war in meinen Geschäften und amtlichen Beziehungen alles Glück von mir gewichen. Mein Vorgesetzter sah mich nur mit scheelem Auge ... an meinen Arbeiten blieb kein gutes Haar ... Tadel und Verweise waren getreten an die Stelle des Lobes und der Ermunterung! Und also stehe ich noch, und muß froh seyn, daß der versteckte Unglücksdämon, der mich verfolgt, mir gleichwohl ein Mittel an die Hand gibt, von meiner falschen Stellung – aber leider auch von der Residenz Reißaus zu nehmen. – Ich habe mich nach Freiburg versetzen lassen. Ende Jänner nächsten Jahrs reise ich dorthin. – Meine Kollegen meinen, das sey eine Zurücksetzung; ich aber halte es für einen Fortschritt – ohne Vorurtheil [125] sey's gesagt. Denn einmal bin ich durch die verzweifelte Geschichte mit der obenbezeichneten Gönnerin und mütterlichen (!!) Freundin um allen Credit bei der hiesigen Frauenwelt gebracht worden; und zum Andern habe ich eine Ahnung – du wirst lachen, weil du nur an das gewisse mathematische Naturgesetz, aber nicht an Schickungen und Ahnungen glaubst – daß mir in der Provinzstadt eine Fortüne bescheert seyn wird. Erinnerst du dich noch auf die Damen, die wir in Eisenbach, freilich nur sehr à distance gesehen haben? Die reichen und hübschen Fräulein, die leider einen Familiennamen führen, den man in honetter Gesellschaft nicht wohl nennen darf? Nun denn: ich habe ein Vorgefühl, daß eine von ihnen, – Cymbeline – mir ganz gewiß beschieden seyn dürfte. Cymbeline, die ich zwar noch nicht zu kennen die Ehre habe, die jedoch gewiß, gewiß eine Fee, eine Huldin ist – Cymbeline ist das Ideal meiner Wünsche, der Traum meiner Nächte geworden. Ich werde sie sehen, sie erobern, gewinnen, und sammt ihren hunderttausend Gulden – weniger wird sie doch nicht haben? – heimführen! – Und damit mein Glück ein vierfaches werde – lieber Alfred – bitte ich dich flehentlichst, doch das im »Bädle« verabredete Rendezvous der vier Freunde in Freiburg nicht zu versäumen. – Der Stulpenstiefel hat mir neulich deshalb geschrieben; er wird kommen, Jonathas wird kommen, – ich werde schon längst dort seyn, bevor die Osterglocken brummen. Fehle auch du nicht. Leicht kannst du noch von den Gegenfüßlern über den Aequator zu uns gelangen, wenn du nur willst; wir haben nicht umsonst Dampfschiffe und Eisenbahnen in der Welt! Und du wirst wollen und Wort halten, da [126] denn doch die aristokratisch-vornehmaussehende Mathilde – oder wie sie heißt – auf dein Eisenherz einen gewissen Eindruck gemacht hat, wie ich mich noch deutlich entsinne. Ja, ja: mache mir, mache uns Allen diese Freude, und laß' uns dann theilen die halbe Million des – mit Erlaubniß und Respekt zu melden – des alten Hinterbein! Diese und die Töchter, sie bleiben uns nicht aus; ich habe eine unabweisliche Ahnung in diesem Betreff, und meine Vorgesichte sind dergestalt sicher und unfehlbar, daß ich gleich zweitausend Thaler, wenn ich sie hätte, auf eine Nummer in der Lotterie, wenn mir eine träumte, setzen würde, und ohne Weiteres das große Loos damit gewinnen wollte. Bisher hat mir nur von keiner Nummer noch geträumt. – Daß ich dich jedoch liebe, wie mich selbst, und noch ein bischen mehr, und daß ich mit Hangen und Verlangen deiner Wiederkehr und unserm Wiedersehen in Freiburg entgegenlechze, das ist kein Traum, ist nicht Phantasie, und schon in dieser Vorahnung ist selig unendlich

Dein wahrer und ewiger Freund

Friederich. –

3.
Raphael an Moritz.

Frankfurt a. M. im Dezember 1847.

Mein Jonathas, mein Doppel-Ich!

»Spät kommt Ihr, Isolani, doch Ihr kommt!« Also würdest du, wenn du ein dramatischer Künstler zu [127] seyn die Ehre hättest, diesen Brief anreden, weil er in der That spät, aber doch – wenn auch spät – in deine Hände kommt. Wie anders wäre es auch möglich gewesen? Dein armes Schreiben ist zu Mannheim von Thür zu Thür gewandert, um den Hofschauspieler Raphael aufzustöbern; allein den es gesucht, hat es nicht gefunden, und wo es anklopfte, wurde ihm nicht aufgethan – indem es in Mannheim gar keinen Hofschauspieler Raphael gibt – indem ich dir leere Hoffnungen für Gewißheit verkümmelte, indem ich geschaut und getraut hatte – wem? –

O mein bester Jonathas, meiner Seele Halbschied! An mir ist es, den zu beneiden, der seine Füße ruhig unter Vaters Tisch stecken darf, wenn auch der Bruder darüber mault, und die Schwestern die Nase rümpfen. Schön ist der Dienst Apollo's, im Tempel der tragischen und komischen Muse wäre gut weilen ... wenn nur die prosaische, falsche, heuchlerische, niederzüchtige Welt nicht wäre! wenn man nur nicht auf allen Vieren kriechen müßte, und sich biegen, und sich schmiegen, bitten und betteln müßte, um einen kargen Taglohn zu erschleichen vom Intendanten des menusplaisirs – wenn man sich nur nicht krümmen müßte, wie ein Wurm, vor der Unverschämtheit und dem Neide der Brüder in Apoll'! Arme geschändete Poesie! (Und jeder Künstler ist zugleich Poet.) »Der Dichter soll mit dem König gehen!« Das hat ein gewisser Schiller gesagt, und es klingt gut, wie so manches, was er sagte, – leider aber ist's nur eine Floskel, eine Phrase, und nichts dahinter. Dem Speichellecker gehört die Erde, dem unterthänigen Sklaven wird im Musentempel ein Platz gegönnt ... den eifrigen Mimen, der da auf [128]recht geht im Lichte, seiner selbst bewußt, läßt man draußen stehen. Versprechen – ja, das ist edelmännisch; aber dem Künstler das gegebene Wort zu halten, das fällt heutzutage keinem Bauer mehr ein. – Du bist kein Oedip, aber bereits wirst du das Räthsel errathen haben. Was ich gehofft, ist nicht geschehen; was mir versprochen gewesen, ist nicht gehalten worden. Ich war, wie die Schranzen sagten, zwar berufen, aber ein Anderer wurde ausgewählt. Mit dem »Hofschauspieler« ist's nichts, und ich bin ein Wanderkomödiant, wie zuvor. Halleluja! Jetzt ist's heraus, und ich athme ruhiger, und will dich mit den Details der erbärmlichen Intrigue, die mir das Bein unterschlug, verschonen. Mündlich einmal mehr davon.

Der Humor von der Sache ist der: Ich hatte mich in Karlsruhe und in Mannheim versessen, mein bischen Geld verbraucht, und konnte am Ende kahl wie eine Kirchenratte abmarschiren. Wohin? mit welchen Mitteln und Aussichten? Zu welchem Zweck, das stand lediglich bei mir. Das ist die Freiheit des Künstlers. Strolchen, betteln und – verhungern, ab! das darf er. Da hat nicht Polizei, nicht Consistorium hineinzureden. Was darüber hinaus, ist vom Uebel, wie die Hanswürste, die uns bevormunden, sagen. – Und von der genannten kostbaren Freiheit hab' ich Gebrauch gemacht – bis auf's Verhungern, das noch nicht an der Zeit, sondern für später mir vorbehalten. Ein rechtes Glück, daß ich zu Mannheim meine Adresse zurückgelassen, daß die Post, die wegen ihrer Grobheit verschrieen, dennoch so höflich gewesen, mir deinen Brief die Kreuz und die Quer nachzusenden – und daß ich, als er mich erreichte, die siebenzehn Kreuzer im Vermögen hatte, so [129] da nothwendig, um das Porto zu bezahlen ... sonst wüßte ich noch nichts von dir, und folglich du auch nichts von mir. Loben wir daher noch einmal den Herrn, und seine beste Welt!!

Um jedoch aus dem Spaß der Verzweiflung herauszukommen, so melde ich dir ganz nüchtern und kurz, daß ich – nachdem zu Landau, Gießen, Marburg und in andern Hauptstädten gleichen Rangs Kollekten gemacht und ein paarmal gegaukelt worden – mich hier eingenistet, um theils in loco, theils zu Wiesbaden und anderweitigen Environs Gastspiel zu treiben gegen mäßigen und bescheidenen Abendlohn. Ist dieser letztere gering, je nun, meine Bedürfnisse sind noch geringer, und ich habe einst – als armer Student mit Instruktionen meine Lebsucht verdienend – schon recht brav gelernt, krumm zu liegen, zu fasten und zu frieren, ohne mir's besonders anmerken zu lassen. – Jung gewohnt, alt gethan. Erfahrung macht den Meister, und darum bin ich jetzo zufrieden, da, wo ein Anderer sich zum Teufel wünschen würde. – So weit von mir.

Nun aber zu dir. Was ist aus dir geworden? Wohin ist dein ritterlicher kecker Jugendmuth gerathen? Nicht ein einzigmal kommt das erhebende »Pah! was thut's! Pah! was macht's!« das sonst so geläufig von deiner Zunge tanzte, in deinem Schreiben vor. Dagegen Lamento und Wehklagen in Massa! Das tadle ich. Wer sich selber aufgibt, ist verloren; der Himmel hilft nur Dem, der sich selber zu helfen weiß. Nimm dich also zusammen ... wir können noch bessere Zeiten erleben. Wir erlebten sie schon, wenn ich nur eine halbe Stunde lang diese Erde dirigiren könnte.

[130] Für's Erste würde ich meine Freunde wohlwollend berücksichtigen, und für's Zweite die Kunst auf das Piedestal stellen, das ihr gebührt. Sie ist nun einmal da, das ist Thatsache. Und weil sie nur zum Guten und Schönen anleitet, sollte sie gepflegt werden vor allen Dingen. Mit den Höfen, die sich anmaßen, sie zu beschützen, ist's eitel Narrethei. Wie von so vielem, so verstehen die Höfe auch von der Kunst nichts. An das Bein einer Tänzerin hängen sie Tausende, dito an das hübsche Gesicht einer Sängerin, an den falschen Pathos einer Schauspielerin, der die Natur Alles gegeben, nur nicht die Weihe der Kunst. Die Hoftheater sind, durch die Bank, Invalidenhäuser, worinnen nach Gunst von oben herab die Dürftigen an Geist gespeist und getränkt werden – während das Talent heimathlos umherirrt. Und das Volk wird gezwungen, diese Bettelanstalten zu ernähren!! – Wenn ich da zu sagen hätte, so müßte das Theater von Staatswegen erhalten werden; jeder ächte Künstler müßte ein Pensionär des Staats seyn, und das Volk gratis zusehen dürfen. Das würde Wirkung thun, Bildung verbreiten, für das Schöne empfänglich machen, die Leidenschaften zähmen, und die Sitten dergestalt durchgeistigen, daß sie unmöglich entarten könnten! – Nun, vielleicht kommt das noch einmal vor. Wenn wir's nur erleben!

Aber leben, leben, leben müssen wir vor allen Dingen, um jeden Preis – und wo immer möglich und thunlich, uns des Lebens freuen, sonst ist doch alles nur Armethei und jämmerliche Komödie. Wie die Sachen jetzo stehen, sehe ich für uns Beide zum Beispiel nur ein Mittel: eine reiche Heirath. Das ist auch deine Ansicht, eine praktische, nicht genug zu lobende. Dein [131] Vorschlag, zur Charwoche gen Freiburg zu ziehen und dort ohne weiteres zu heirathen, ist mir sehr genehm, und ich wenigstens werde nicht ermangeln, mich einzustellen. Fräulein Katharine – ich gesteh's – lebt noch in meiner Phantasie, und ich müßte ein schlechter Mime seyn, wenn ich mir das Herzchen da nicht fischte, wie eine Forelle aus dem Teiche. Habe auch schon »in Sachen« an den schönen Fritz geschrieben, und eine kurze aber bündige Zusage von ihm erhalten. Ich verspreche mir mehr als nur »Jux und Trödel« von unserm Kreuzzug in's Breisgau. Ehrenvolle, herzbesschwichtigende und vollklingende Erfolge sind mehr als nur wahrscheinlich. – Bis zu jener Epoche will ich in Gottesnamen fort und fort Komödie spielen, wo's nur angeht, und mich der Zeit freuen, die da kommen wird. Das Leben ist ja doch am Ende nur ein Schauspiel, worinnen heitere Scenen mit tragischen wechseln, bis zu guter Letzt der Vorhang über die ganze Pastete herunterfällt, und wir in's kalte Soufleurloch versinken.

Um jedoch diesen Figürlichkeiten, die den Charakter des Gemeinplätzlichen anzunehmen drohen, den Garaus zu machen, schließe ich die Epistel, und grüße dich, und gratulire dir zu den Winterfreuden auf Milzheim. Mögest du bei dem aristokratischen Junker das Vergnügen genießen, das im Vaterhause dir nicht beschieden. Bist du glücklich, so gedenke meiner; geht's dir nicht nach Wunsch, so tröste dich mit mir. Socios habuisse u. s. w.!!

Dein Freund und Ewigbruder

Raphael.

[132]

4.
Alfred an Friederich.

Chur in Graubündten, am Weihnachtstage 1847.

Mein Freund!

Rechte mit der armseligen Menschennatur, die sich stets Dinge vornimmt, die sie nicht auszuführen vermag, und dann wieder unterläßt, was sie thun könnte und sollte, und zürne mir nicht um meines bis heute beharrlichen Stillschweigens willen. Der Schwache wird sich immer einbilden, ein Starker zu seyn, immerdar gegen das ihn dahingängelnde Weltgesetz anstreben, um ohnmächtig zu erlahmen im ungleichen Kampfe. –

Wie Figura zeigt, schreibe ich dir nicht von den Antipoden; ich sitze noch immer an der Grenze des himmlischen Italiens, und habe demnach noch weit bis zum Aequator und zu den geheimnißvollen Polen unserer Erdkugel. – »Der Mensch denkt, und Gott lenkt!« ein ächt deutsches Sprichwort, und wahr, wie selten eines, wenn man sich unter dem »Gott« jene ewig mathematische Gewalt denkt, die alle Begebnisse des Lebens regulirt und ausgleicht. – Auch ich habe gedacht, und besagte Gewalt hat mein Denken zu Schanden gemacht.

Ich war seiner Zeit heftig in die Welt hineingereist, bis nach – Zürich. Dort empfing ich allerdings dein erstes Schreiben, und nahm mir vor, von Rom dasselbe zu beantworten. Statt dessen besah ich [133] mir einige Randereignisse des Sonderbundkriegs. Ich hatte noch nie etwas von einem Kriege, von einem so romantischen gesehen. Daher mein Vorwitz. Er wurde nicht genügend befriedigt, kostete mich nur Geld, raubte mir die Zeit. So vertrödelte ich mein Leben bis in den Dezember hinein.

Endlich hetzte ich mich aus dem Kanton Zürich bis – in den Kanton Graubündten. Ueber den Splügen wollte ich eilen ohne Rast ... aber die Möglichkeit, in Chur zu sein, und das berüchtigte Felsberg nicht in der Nähe zu betrachten! Wieder mein Vorwitz. Da warf mir von dem Einsturz drohenden Gebirge das Schicksal einen erklecklichen Stein auf meinen rechten Fuß, und dieser nahm das übel, wurde steif und wund zur selben Stund'.

Da lag ich auf dem Bette der Schmerzen, und hatte mit Doktor und Pflasterschmierern zu thun ein paar Wochen lang. Und als ich zuletzt genesen war, und aufstand, war der Schnee mit Gewalt über die Gebirgspässe gekommen, und jetzo sitze ich im Vorhof des gelobten Wälschlands, und warte auf des neuen Jahrs Auferstehung. Dein zweiter Brief hat mich als Genesenden angetroffen, und so viel als mich überhaupt ein todter Brief erfreuen kann, hat mich der Deinige erfreut.

Du wirst mir nach diesem Geständniß, das ich nicht leicht Jemanden mache, wohl verzeihen, wenn ich dir ebenfalls bekenne, daß ich um deiner Galanterie-Mißgeschicke willen dich recht herzlich ausgelacht habe. Sieh: wir haben ohne Zweifel während unserer Studienjahre am besten harmonirt – warum aber? Weil wir den Studentenpöbel haßten, weil das Kneipen und Witze [134]reißen uns zuwider, weil wir gern in feine Gesellschaften gingen, und den Salonfrack der wüsten Corps-Livree vorzogen. Wir waren unter den rohen Burschen die wahren ächten und gerechten Gentlemen, haben uns nicht gefürchtet, und auf der Mensur manches Wagniß bestanden, manchen nach Haus geschickt, wie er's verdiente, denn dein nobles Gesicht und meine kalte unbestechliche Vernunft hatten uns viele Feinde gemacht, unser exclusives Wesen nicht minder. – Warum bist du jenen Grundsätzen untreu geworden, Fritze? Warum hast du dich mit jener übertragenen Frau eingelassen? Warum überhaupt dich der Eitelkeit und dem Courschneiden hingegeben? Da hast du den Lohn. Koketten und Koketterie sind eben so schlechte Gesellschaft, als der Kneipenjäger gröhlender Schwarm. Die unwandelbare Logik der Verhältnisse mußte dir den Stab brechen; die Konsequenzen konnten nicht ausbleiben.

Nimm dich fürder vor den Weibern in Acht. Du bist ein hübsches Mannsbild; das hat sein Gutes. Schlimm jedoch jederzeit, wenn du dich zum Sklaven des Weibes herabwürdigst. Rede mir nicht von Liebe; Liebe ist nur Illusion. Mit Eurer Liebesnarrheit geht Ihr zu Grunde, vergeckte Mondscheinritter, und die Weiber haben Euch unter'm Pantoffel, statt daß Ihr stehen solltet als Männer auf der Höhe der Verhältnisse. Macht das Weibsvolk in Euch verliebt – meinetwegen, aber gebt Euch spröde und kalt, bis sie verzweifeln und sich vergrämen, jene Dämchen. Alsdann seyd Ihr obenauf, und diktirt Euern Willen. Ich erwarte überhaupt von Weibern nicht viel; – am meisten jedoch von denen, die verzweifeln und abschmachten. Unterordnung nach mathematischen Grundsätzen muß seyn; [135] der Mann Nummer Eins; das Weib Nummer Zwei. Punktum. Eure Welt ist eine verkehrte. Daher die vielen schlechten Ehen. Daher mein Widerwille gegen Verlieben und Ehe.

In jenem Bädle – weil ich auf obiges Kapitel gekommen bin – hätt' ich mich vielleicht wohl aus Langeweile, Ferienübermuth oder dergleichen auf einen halben Tag verliebt, und zwar in jene aristokratisch-vornehm aussehende Person, genannt Mathilde. Aber heute – ich kann dir's auf Ehre versichern – weiß ich gar nicht mehr, wie sie aussieht. Hoffentlich wird dir nicht Ernst seyn, mich zu jenem Freiburger Spaß pressen zu wollen. Auf mich verzichtet immerhin. Ich will meine Ostern in St. Peter zu Rom feiern, und dann gehen, mir das ägyptische Familienleben zu beschauen, wenn das ohne Gefahr, bastonnirt oder geköpft zu werden, geschehen kann. Dennoch will ich dein zu hoffend Glück dir nicht mißgönnen. Amor und Venus seyen dir gewogen! Wenn der Rausch dich beseligt, ei, so trinke den Rausch, und erwarte die Folgen. Es kann nicht ein Jeder seyn, wie ich – und damit gut. – –

Ich werde dir von jenseits der Alpen eine Zeile schicken – lange Briefe erwarte nicht. Sey auch gegen mich so kurz als möglich. Einem Reisenden ist die Zeit mehr als Geld, und was über die dringendste Korrespondenz hinausgeht, reiner Ueberfluß. Hetze mir auch nicht briefschreibende Freunde auf den Hals. Ich kann mich nicht damit abgeben, allerlei hausbackene und für mich ganz unwichtige Langweilereien durchzubuchstabiren, habe mit mir selber genug zu thun. Wenn ich einmal wiederkehren sollte, ungefressen von Tigern, un [136]verspeist von Menschenfleischliebhabern, von Beduinen nicht zusammengeyatagant, und nicht im Schiffbruch verloren, so werde ich schon erfahren, wie's Euch Allen gegangen, und was Ihr im Philisterio erlebt. – Und bis dahin bleib' gesund und wohl. Ich werde für mein Wohlseyn das meinige und mögliche thun.

Dein Freund

Alfred.

5.
Mathilde an Hugo von Wildian.

Freiburg im Breisgau; 2. Januar 1848.

Mein theurer Freund!

Möge dieses Blatt zur glücklichen Stunde in deine Hände kommen, eine willkommene Botschaft seyn, und dich erreichen als einen getrösteten Sohn, sitzend am Lager der genesenden Mutter. Mein heißester Wunsch zum neuen Jahre, geliebter Hugo, ist der, daß die schwerste Prüfung deines Lebens glücklich überstanden, und deine – bald unsere – Mutter dem Leben wieder gerettet seyn möge! Mir ist übrigens, als wüßte ich das schon im Voraus, und als müßte deine Antwort auf dieses Blättchen mir die frohe Kunde bringen!

Weißt du, mein Freund, daß bereits drei Wochen, drei lange Wochen, einundzwanzig ewig lange Tage vergangen sind, seitdem jener traurigmahnende Brief des Arztes dich von Freiburg, von meiner Seite hin [137]wegrief? Wie ist nur möglich, daß ich sie überstanden habe, diese Ewigkeit? Wer weiß auch, ob nicht die Schickung des Höchsten noch eine viel längere Geduld von seiner demüthigen Magd heischen wird? – –Was ist geworden aus den schönen Winterfreuden, die wir uns in Eisenbach, im Bade, träumen ließen, nachdem deiner Mutter Einwilligung und meines Vaters Zusage den Bund unserer Herzen geheiligt? In Lust und Wonne, meinten wir, sollte uns die rauhe Jahreszeit verfließen – aber ach! wie ist es in Wirklichkeit gekommen? Der erschreckliche Sturz vom Pferde, der dich so manche Woche in das Zimmer bannte, so lange dich von mir entfernt hielt ... und so bald nach deiner Genesung die schwere Krankheit deiner Mutter und deine Reise in's ferne Land!! Ach! wenn mein Vater nur nicht so eigensinnig darauf bestanden hätte, daß mindestens sechs Monate noch unsere Trauung verschoben werden müsse! – Ich ehre seine Gründe; ein halbes Jahr des Zusammenlebens als Verlobte, eines vertraulichern und dennoch von Sitte und Anstand begränzten Verkehrs gibt Gelegenheit, zu prüfen und zu ergründen, ob in der That das Herz zum Herzen sich gefunden, ob wirklich Aussicht vorhanden zum dauernden Glück, zum innigen Seelenverständniß. – Aber demungeachtet wünschte ich, mein Vater wäre nicht so beharrlich und unbeugsam gewesen. Mit dir vor'm Altar vereinigt, hätte ich in deinen Schmerzen dich pflegen, am Schmerzenslager deiner Mutter deinen Kummer theilen dürfen – während ich jetzo verlassen bin, und dich verlassen weiß. Ich finde zwar im väterlichen Hause, im Umgang mit meinen Schwestern und der Tante vielfältige Ermunterung und manche Freude; – jedoch [138] mir ist, als hätte ich schon meine Zeit darinnen durchgemacht, und als könne ich nicht mehr lange darinnen ausdauern! – Darum segne der Herr deine Pfade, deine Wünsche, und lasse dich bald zurückkehren, um nicht mehr ohne mich von dannen zu gehen. Grüne, hoffnungsgrüne Ostern, mein Freund! – Die Klage der Sehnsucht schließe ich hier ab. Ich könnte noch manchen Schriftbogen damit anfüllen ...

Von Neuigkeiten und Vorfällen in der Stadt und in Familien schreibe ich dir nur ein paar Worte: daß ich nämlich nichts davon zu schreiben weiß. Ich freue mich, daß der Schweizerkrieg vorüber; er wurde uns gar zu oft im Hause und in Gesellschaften aufgetischt. Die Herren verwunderten sich immerdar – ja, ich glaube sogar (der Himmel verzeihe es ihnen), sie mißbilligten, daß der Kampf nur so wenige Menschenleben gekostet. Sie hatten geglaubt, der Sieg würde seine Opfer nach Tausenden fordern!! – Meine Schwester Cornelie – du kennst ja ihre mehr als liberale Politik und Philosophie – lieferte jenen Herren, auf solche Aeußerungen hin, die heftigsten Bataillen ... die Cornelie ist eine komplette Freischärlerin ... wo und wodurch sie so radikal – wie das Kunstwort heißt – geworden, begreife ich nicht. In unserm Hause selbst ist wenig Boden für solche Gesinnungsrichtung. So viel ich davon verstehe, so ist manches, das sie vorbringt, wahr, recht wahr und tief gefühlt. Aber eben so wahr, daß sie mich oft langweilt, wenn sie für unser Deutschland dergleichen Zustände, wie sie die Schweiz gehabt, voraus verkündet und herbeiwünscht. Gott sey Dank, wir in Deutschland, vor Allem in Freiburg u. s. w. sind lang noch nicht so abenteuerlich verkommen. [139] Die Herren streiten zwar oft hin und her; zum Säbel und Gewehr werden sie Gottlob niemals greifen.

Aber nicht nur die Cornelie, auch Kathrinchen langweilt mich oft. Das Mädchen ist so unbefangen, so kalt, so theilnahmlos, so kindisch! Wie ist's nur möglich, mit siebenzehn Jahren noch kein Herz zu haben? Sie versteht meine Schwermuth nicht, sie spottet nicht selten darüber. Ich muß mich recht zusammennehmen, dem Kindskopf gegenüber, um nicht böse zu werden.

Der Vater ist der personifizirte Gleichmuth, wie von jeher. – »Wie möchte ich nur den Kopf tagelang hängen?« sagt er oft zu mir: »mit Lamentiren macht man nichts besser. 's wird schon wieder recht werden ...!« und ähnliche Gemeinplätze. Ach! Er kann freilich ruhig seyn – er weiß nicht, was Liebe, was Sehnsucht ist!

Besser als Papa harmonirt noch die Tante mit mir; und warum? fast muß ich lachen, so wenig mir lustig um's Herz ist. Du wirst staunen, lieber Hugo, und gewiß nicht weniger lächeln als ich – wenn du überhaupt, wie ich hoffe, Muße zum Lächeln hast: die Tante wird uns es gleichthun, und zu Ostern in's sanfte Joch der Ehe sich schmiegen! – Kaum glaublich, aber unumstößlich wahr. Nun kennst du auch schon den Bräutigam, das lebendige Herbarium, und aller möglichen Wissenschaften Doktor. – Mein Vater wollte sich anfangs, da das Eheprojekt ruchbar wurde, darüber ärgern; jetzt lacht er selber darüber, und treibt mit Fräulein Laura, und dem Doktor Faust seinen Scherz.

Zu allerletzt rede ich von Derjenigen, die in meiner jetzigen Betrübniß mein Herzblättchen geworden –: von Cymbeline. Ja, wenn das Cymbele nicht wäre, wie hätte ich meine stillen Leiden mit nur einiger [140] Fassung ertragen? Aber Cymbel tröstet mich bei Tag und Nacht, und spendet mir das reinste edelste Mitgefühl ohne Unterlaß. Das Mädchen ist ein Engel, seine Seele ein für alle Betrübte leuchtender Stern. Zwar ist sie gut und fromm und wunderlieb gewesen zu jeder Zeit. Indessen ist sie's jetzo mehr als je, weil ... weil selbst verliebt ...! Denke dir einmal die Cymbel verliebt! und zwar in einen Menschen, den sie näher gar nicht kennt, mit dem sie keine Silbe geredet – den sie nur ein einzigmal – im Bädchen zu Eisenbach – gesehen. Hättest du dem »kleinen Krüppele« das von ferne zugetraut? – Aber heiter ist ihre Liebe, und lächelnd ihr Mund, wenn sie davon redet, und noch einmal so warm und herzlich ihr Kuß, wenn sie mich in ihre Arme nimmt, und die herrlichste Zukunft prophezeit

Deiner Mathilde.

Nachschrift. Ich vergaß, dir zu melden, daß Cornelie, Katharine und ich am Sylvesterabend auf Befehl Papa's im Museum den Ball mitmachen mußten. Für meine Schwestern war der Befehl kein Zwang: um desto mehr für mich. Indessen – was war zu thun? Ich habe mich nicht echauffirt, sehr wenig getanzt, meistens ablehnend geantwortet, und mit der Tante, die den Chaperon machte, Konversation und Musterung gehalten. Um so lebhafter amüsirten sich die Uebrigen. Da es zwölf Uhr schlug, und das Neujahrwünschen sammt Zubehör anging, war der Lärm groß. Mir ist das Ganze sehr matt vorgekommen demungeachtet. Mir hat nicht weniger als Alles gefehlt, und bei'm »Glück zum neuen Jahr!« hätt' ich fast geweint. Gebe Gott, daß es glücklich werde, dieses neue Jahr, glücklich, [141] meinen Ahnungen zum Trotz! Doch werden sie, hoff' ich auch, zu leeren Schatten dahinschwinden, diese Ahnungen, wenn mir nur einmal wieder vergönnt seyn wird: in diejenigen Augen zu schauen, die meiner Zukunft Leitgestirne sind! Nicht wahr, Geliebter ... bald darf ich eine frohe Antwort hoffen? Und dem lieben, lieben Briefe auf der Ferse – du selbst?

Mathilde. –

6.
Papa Hinterbein an Herrn Salomon Triller, seinen Geschäftsfreund in Hamburg.

Freiburg i. B. Hälfte März 1848.

Geehrtester Herr und Freund!

Ich kenne mich nicht aus, ich kenne mich nicht aus! Das bezieht sich nicht auf Ihr Werthes vom 19. v. M. und nicht auf den dort angegebenen Rechnungsauszug; nein, gewiß nicht! Aber – ich kenne mich in der Welt nicht mehr aus; – ich verstehe die Menschen nicht mehr; – ich wollte, ich wäre auf meiner Insel geblieben! Unter den schwarzen Halbheiden war mir wohler, als heute unter den weißen Unchristen. Na, Sie kennen ja Ost- und Westindien; haben dort mit mir ein paar schöne Jugendjahre verlebt ...! ich fürchte, mein lieber Triller, daß wir unsere schönsten Tage gehabt haben.

Sie werden jetzo so gut wissen, als wir zu Freiburg, daß die Franzosen wieder 'mal eine Republik [142] beliebt haben. Wer hätte sich den Unsinn vorstellen können! Was wird daraus werden! Wird keine sechs Monate dauern, aber ich habe im Geiste schon den Knacks gehört, der von Paris aus durch alle Länder krachen und knallen wird. Bei uns wenigstens sind Alle, bis auf die gesetztern Leute, rein des Teufels. In Mannheim gährt's wie in einem Hexenkessel, in Karlsruhe haben sie den Kopf verloren, hier singt der Pöbel spottliche und schandliche Lieder, und aus der Straße kann man zur Nachtzeit nicht mehr gehen, ohne einem oder dem andern Kerl zu begegnen, der Einem frech in's Ohr schreit: »Freiheit oder Tod!« Wer hätte das vor vierzehn Tagen noch geahnt? Als ob wir nicht frei wären, wie man nur seyn kann? Als ob uns der Tod was anginge, bevor das letzte Stündlein schlägt? Freiheit oder Tod! eine dumme Redensart, ein widerliches Geschrei! Ich richt' es jetzt immer so ein, daß ich nach meiner Spielpartie im Museum Abends eine Patronille abfasse, mit der ich nach meinem Hause wandere. Wir haben nämlich seit ein paar Tagen allgemeine Bewaffnung der honetten Bürger. Warum? das weiß ich so eigentlich nicht. Zu welchem End' hätten wir denn das Militär, das so viel Geld frißt? Item: die Bürger patrouilliren, und das ist noch meine Beruhigung. Wenn man so in der Nacht aufwacht, und macht sich Gedanken, und man hört die Patrouille bei stockfinstrer Schlafenszeit vorbeitrappen, so wird Einem wohl und sicher um's Herz und man ist um so geneigter, wieder sanft einzuschlummern. Denn Ruhe will ich haben, Sapperment! Sie sollen sich über'm Rhein drüben auffressen meinetwegen bis auf die Wedel – wenn ich nur Ruhe habe, Sapperment! Hab' ich Recht, [143] oder nicht, verehrter Triller? Ich will den Status quo, bin im Status quo alt geworden, hab' mir im Status quo mein bissel Geld verdient ... ich will Ruh' und Frieden haben im Status quo.

(Mehrere Tage später fortgesetzt) –

Jetzo rathen Sie einmal, was wir für einen Heidenspektakel hier in der Stadt gehabt haben. Da kommen so gegen die Feierabendstunde – NB.: wir selber im Museum haben keine – auf einmal ein paar Herren in's Spielzimmer gerannt, weiß wie Leintücher, und schreien: »Die Franzosen sind im Land! Ein reitender Kurier, zwei kurierische Reiter haben's gebracht; und schon stehen sie in Opfingen und sengen und brennen und morden, was Zeug hält!« – Das war kein kleiner Schrecken. Opfingen ist nur ein paar Stunden von hier. Die Franzosen konnten bequem bis gegen Morgen hier seyn, und sengen und brennen und todtschlagen nach Gefallen! – Wir lassen die Karten fallen, laufen davon ... auf der Gasse ist Lärm und Tumult: Bürger 'raus! Zu den Waffen, Bürger! und getrommelt und geschrieen, und Zusammenlauf und Halloh zum Verzweifeln.

Ich denn nach Haus, beruhige meine Kinder, und setze mich mit ihnen in die Waschküche, das Haus verriegelt von oben bis unten. Es war in der Waschküche kalt zum Teufelholen, aber wir haben die Kälte muthig ausgestanden, und hartnäckig auf die Franzosen gewartet ... aber es wurde Morgen und die Senger und Brenner waren immer noch nicht da. Nun zeigte sich's, daß es nur ein blinder Lärm gewesen. Warum? das seh' ich noch nicht ein. Alle meine Freunde sind [144] derselben nicht einsehenden Meinung. Aber eine schändliche Buberei ist's gewesen, nicht wahr? Eine ganze Stadt, eine Kreisstadt in der Nachtruhe zu stören, die Bürgerwehr hinauszujagen für nichts und wieder nichts, die Soldaten zu allarmiren u. s. w. ... das ist keine Kleinigkeit. – Nebstbei hat es noch ein bischen gebrannt – 's war weit von mir, hab' mich darum nicht derangirt – und am Morgen standen alle Gassen voll mit Bauernfuhrwerken, die Betten und Hausrath und solchen Plunder vor dem Franzosenlärm in die Stadt geflüchtet hatten. Das hat mich einzig noch getröstet, daß die faulen Kaffern auch ihr Theil von dem boshaften Witz bekommen haben. Sie betrügen uns Stadtleute, wo sie nur können, und sind seit längerer Zeit grob zum Erschrecken geworden. Sonst haben sie vor jedem reputirlich aussehenden Herrn aus der Stadt ihre schäbigen Deckel abgezogen, wie sich's auch gehört. Jetzo thun sie's nicht mehr, um die Welt nicht mehr; – und ich, der ich gewohnt bin, mich grüßen zu lassen, muß schon selber zuerst meinen Hut rücken, wann ich an einem Landlümmel vorbeigehe, damit er nur entgegengrüßen muß. Ist auch schon vorgekommen, daß gleichwohl der Flegel nicht dergleichen gethan hat. Das kommt aber von den Schulmeistern und theils auch von den Pfaffen, die kein Christenthum und keine Subordination im Leib haben ... hauptsächlich sind's die Advokaten, die das Volk verderben; denn wo keine Botmäßigkeit im Volke, da geht's zu schlechten Häusern. Verehrter Triller, was hätten wir seiner Zeit anstellen sollen, wenn die Schwarzen nicht Subordination hätten prästiren müssen? Aber wir haben auch nach Leibeskräften alles Gute in denen Sklaven gepflegt, und unsere eifrigen [145] Bemühungen haben ihre Früchte getragen. – In Europa dagegen, wie ich merke, ist den Leuten im langen Frieden zu wohl geworden, und juckt ihnen die Haut. – Wenn nur einmal wieder der Skandal in Frankreich ein Ende genommen, dann wird's wieder gut, und unser Herrgott wird schon ein Einsehen haben. – Ich habe immer auf den Metternich in Wien, auf den Bundestag in Frankfurt gehofft ... aber wo sind all' diese lieben alten Herren hingekommen? Zerstoben und zerflogen, als wie vom Sturm von dannen geweht ...! Ich kenn' mich nicht mehr aus!

So eben zieht ein Trupp von Handwerksburschen und Taglöhnern am Hause vorbei, und haben Sensen, die als Partisanen hergerichtet, auf der Schulter! Ein unangenehmer Anblick! Was soll noch daraus werden ...? Säßen wir nur noch unter unsern Negern und andern Malaien!

Volksversammlungen in Offenburg und andern Orten. Der Hecker und Fickler und Genossen streiten sich um Republik und Monarchie, und was weiß ich noch Alles? Ein guter Freund hat mich bereden wollen, das Ding mit anzusehen. Daß ich jedoch ein Narr wäre! – Einen Nationalfahnen hab' ich mir machen lassen müssen, und die Cornelie steckt ihn alle Augenblicke einmal an's Fenster. Weiß gar nicht, was das Ding bedeuten soll, kostet mich zwei Gulden und zwölf Kreuzer ... hinausgeworfenes Geld. Eine große Kokarde hat mir die Cornelie ebenfalls auf den Hut gesteckt, daß ich einen Patrioten vorstelle. Aber jeder Lump und Bettelmann führt solch' ein Ding an seiner Mütze, daß Gott erbarm'! – A propos, wissen Sie was Näheres von dem sogenannten Kommunismus, von dem jetzo so viel [146] gefabelt wird? Das wäre ja der Diebstahl en gros? das müßte ich mir doch verbitten! Schon seit ein paar Jahren habe ich vom »Pauperismus«, »Socialismus« und andern »ismus« gehört, aber selbig Gewäsch immer für Professoren- und Literaten-Wahnsinn gehalten. Ich verstehe heut noch nichts von dem Unsinn. Die armen und die reichen Leute sind meines Erachtens allesammt von Gott eingesetzt, wie die liebe Obrigkeit. Daran soll man nicht rühren, das soll man Alles gehen lassen, sag' ich. – Aber ich fürchte, daß vier Fünftel der Menschheit übergeschnappt sind, wie auch die Kartoffeln, die nicht mehr gerathen wollen. Mein Nachbar, der Sattler, behauptet, die Eisenbahnen seien daran schuld, und ich bin nicht abgeneigt, seiner Meinung zu seyn. Der Mann gefällt mir; wir politisiren oft miteinander, und halten's beide mit der alten Zeit, die weitaus die beste gewesen. – Ich möchte, weiß Gott, manchmal um sie weinen, wie ein altes Weib! – Ich kenne mich eben nicht mehr aus. –

Da ich jetzo von Weibern rede, lieber Freund Salomon, so sage ich auch gleich, daß nicht minder die Weiber ganz des Leidigen geworden sind. Sie erinnern sich, Verehrtester, wie ich im vorjährigen Herbst, da Sie uns die Ehre Ihres Besuchs schenkten, mit meiner Familie aus dem Bade zurückkam? Ein glücklicher Hausvater, mit Familienfreuden nach der Nummer. – Jetzo ist das alles vorbei, alles im Argen.

Zuvörderst meine Cornelie ... das Mädel ist ganz rabiat, lauft immer schwarzrothgoldig herum, ist bei einem patriotischen Frauenverein, hilft an Fahnen sticken, redet von nichts, als von der »deutschen Einheit und Volksverbrüderung«, schleppt sich mit Kokarden und [147] Zeitungen, alle Taschen voll. Von wem hat sie das? Die Lust muß ihr's angeblasen haben. Hofmeistert mich, heißt mich nicht selten einen Reaktionär und was des Krimskrams mehr ist. – Das ärgert mich; höre mich nicht gern erinnern, daß ich da und dort Aktionär bin, denn seit der Freiheit stehen alle Aktien mordschlecht.

Sodann meine Mathilde ... das arme Mädchen, loyal von der Haube bis zum Pantoffel, ist wirklich übel daran. War – wie Sie wissen – verlobt, ... ist es sogar noch; allein der Verlobte, der überhaupt allerhand Fatalia gehabt, ist plötzlich wieder zu seinem Regiment einberufen worden, weil's in Polen spuckt, wie überall. Und somit ist die Hochzeit, die nächste Ostern seyn sollte, gewaltsamer Weise verschoben und vertagt worden. Die Mathilde seufzt und klagt jetzo mir im Hause herum, wie ein Gespenst ohne Ruhe, und ich kann das Heulen doch für den Tod nicht ausstehen!

Drittens meine Katharine! Das Mädel ist eine Gans, blitzdumm, vernagelt, kindisch und verspielt zum Erbarmen. Sie fragt mich zehnmal im Tag, ob nicht bald die Franzosen kommen und dergleichen Thorheiten mehr. Immer nur Kinderei, kopfloses Gelächter und so weiter, als ob wir im Paradies säßen! Das macht mich oft teufelswild.

Zum vierten noch meine Schwägerin! Bester Triller, die Weiber sind zu unserer Pein auf der Welt ... und die Laura will jetzo heirathen ... Ich bitte Sie ... ist das nicht zum Todtschießen? Heirathen ...! einen Pedanten und wunderlichen Kerl von einem Doktor! Heirathen ... in jetzigen Zeiten! im Anfang hab' ich darüber gelacht, jetzo bringt's mich häufig in Harnisch ...!

[148] Ja, wenn ich mein Cymbelchen nicht hätte ...! das liebe, liebe Kind hilft mir noch allein die böse Zeit übertragen. Sie ist so gut, so brav ... Und doch fehlt's ihr, auch ihr irgendwo, und ich kann nicht dahinter kommen, was und wo. Sie kann lachen, wie ein Engel, und gleich darauf hat sie feuchte Augen. Ich habe sie schon überrascht, da sie ganz trübselig und als wie verweint dagesessen, und gleich darauf ist sie munter und fröhlich geworden, als wisse sie nicht, was eine Thräne ist. Sie kurirt und tröstet immer an mir herum; so oft ich bei ihr bin, mit ihr plaudre, werd' ich zufriedener, gefaßter und sehe der Zukunft vertrauensvoller entgegen. Aber täglich mehr wächst in mir der Verdacht, daß auch Cymbelchen nicht mehr so unbefangen als vordem ... und das schmerzt mich, und ich komme nicht auf's Klare, und mir wird bange um das Kind, das da scherzt und lacht um meinetwillen, während es allein für sich ohne Zweifel seinen Theil am allgemeinen Leiden durchzumachen hat.

Aus diesem werden Sie ersehen, bester Freund Triller, daß uns eine fröhliche Osterzeit wohl zu gönnen wäre. O, daß bis dorthin die Menschheit wieder in ihr Geleise zurückkehrte! Dann würde ich vor Freuden eine Reise mit all' meinen Kindern durch die Welt machen, und auch bei Ihnen einkehren und meine Zufriedenheit mit der Ihrigen verschmelzen!

Jetzo aber schließe ich meinen Brief. So eben sagt man mir, daß auch wir in Freiburg nächstens eine Volksversammlung genießen werden. Obschon 's noch wintert, geh' ich dann auf's Land, damit ich nur die Geschichte nicht mit ansehen muß. Einstweilen leben Sie wohl und seyn Sie gegrüßt. Meine Piketstunde [149] schlägt, und mein Mitspieler kommt an: ein charmanter junger Mann, seit kurzem hier bei der Verwaltung angestellt, der sich bei mir einführen ließ, und auch von den Frauen gern gesehen wird, da er ein recht schönes Gewächs von einem Menschen ist. Dieses berührt mich wenig, jedoch stimmen unsere politischen Bekenntnisse vollkommen zusammen, und er macht seinen Neunziger, daß es eine Pracht ist. – Schreiben Sie bald Ihrem Freunde

Hinterbein.

7.
Der Doktor Sebastian Faust – an sich selber.

Freiburg i. B. im April 1848.

Hochzuverehrender Herr Doktor, auch ehemaliger Privatdocent!

Da mich's in den Fingern pitzelt, meinen Gedanken und Beschwernissen schriftlich Luft zu machen, und ich lediglich nicht weiß, an wen ich diese Epistel addressiren könnte, so dedicire ich solche Ihnen, gleichsam meinem allernächsten Verwandten und Selbstkonterfei. Herr Doktor werden Nachsicht haben mit meinem Styl, und wenigstens nicht verdrießlich – überhaupt gar nicht antworten, ein welches mir und Ihnen viel Zeit ersparen dürfte. – Darum ohne ein Mehreres ad rem: – Herr Doktor wollen sich erinnern, daß Sie vor etwelchen fünf oder sieben Monaten sich als ein pecus, [150] in specie als ein Esel ( germanice) benommen haben; das ist apodiktisch gewiß. Herr Doktor fragen mich: Wann, wie, auf welche Weise? Und ich antworte: Es geschah, da Herr Doktor sich in einem aphrodisischen Delirio verlobt, versprochen, gebunden und zu matrimonialischer Vereinigung versprachsweise herbeigelassen. – Was haben Herr Doktor da angestellt? Reue haben Sie gesäet und sie ist jetzo aufgegangen, Sorge und Kummer et-caetera in Gefolge. –

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh';
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen ...

Ja wohl, ja wohl! Weib und Kind! welch' unnöthige Accessorien im stillen Lebenslauf eines Gelehrten, der nur seinen wissenschaftlichen Spekulationen dienen sollte! Welch' eine betrübte Aussicht, ein Weib nehmen, Kinder erwarten zu müssen! Aber nun – heute – quid faciendum, Illustrissime? Sind wir ein Deutscher oder nicht? An's Wort geschmiedet, oder nicht! Retro, retro, Satanas der Versuchung! Ein solches Wort ist ein Jurament ... geheirathet muß seyn und pereat mundus!

Ich weiß nun wohl, wie Herrn Doktor zu Muthe ist. Verliebt seyn ist ein schön Ding, kommod verliebt seyn – so zu gewissen Stunden, da man eben nicht studirt, folglich nichts besseres zu thun hat – ein vortrefflich Ding. Solid und diskret verliebt seyn, ohne Schwindelei, ohne Unruhe im Gemüth, ohne leiden [151]schaftlichen Affekt – das laß' ich mir gefallen, und eine Liebe von der Art möchte meinetwegen hundert Jahre währen. Epikur müßte dergestalt geliebt haben, wenn er zugleich Plato gewesen wäre. So hatten auch Herr Doktor Dero Junggesellenliebe bestellt – allabendlich zwischen sechs und acht Uhr eine Visite – wohlgesetzte Reden, höchst anständige Haltung, der Geliebten gegenüber; dann und wann ein pikantes Wort mit Anspielung; hie und da ein stillverwegener Blick – Kohlen in die Glut – seltener ein geschwindes Tasten nach den Fingerspitzen der Amasia, am allerseltensten ein verstohlener Händedruck ... das war Herrn Doktors System. Das konnte mit Nutzen und Vergnügen eine beliebige lange Zeit fortgesetzt werden, ohne Katastrophe, ohne Ueberstürzung, im vollkommensten Gleichgewicht, im herzlichsten Einverständniß. – Was ist jedoch geschehen? – Ort, Zeit, Gelegenheit, ein unbewachter Augenblick ... und Herr Doktor zappelten im Netz, woraus nicht mehr zu kommen! Vae, vae victis!

Warum dem Dämon, dem schlimmen, nachgeben, der da lockte und neckte, bis in das Bad von Eisenbach? Quaeso.

Warum das schöne Revier von Freiburg verlassen, wo Adonis, das Blutströpfchen, die Filipendelstaude, die sibirische Schwertlilie, ja auch die Flora des Gebirgs: ranunculus aconitifolius und der rothe Fingerhut zu finden, wo sogar das Alp-Hexenkraut, der rundblättrige Sonnenthau und die Rosmarinweide vorkommen, die dem Hochgebirge eigen – um zu botanisiren in Eisenbach?

Warum sich in dringlichste Gefahr begeben – [152] nämlich in die stete Gesellschaft und Nähe der Geliebten im Morgenkleide, im Badmantel, im verführerischen Sommergewande?

Warum dem spazierenden Müßiggang obliegen, verbunden mit eisenhaltigen Bädern, mit guter, allzuguter Tafel und rothem erregendem Weine? Warum allenthalben – in Wäldern, in Gärten, zwischen Sonnenblumen und Vogelbeerbäumen allenthalben folgend der Spur der Geliebten? – O, was haben Herr Doktor gethan? Da mußte freilich einmal sich begeben, was unter jener Holzgallerie im Bädchen sich begab, da mußte wohl einmal kommen der verhängnißvolle Tag, dies criticus, und mit Leichtsinn und Uebermuth die Leidenschaft hervortreten wie ein Riese, aber wie ein kindischer, der Hände und Füße den Fesseln darstreckt, der sich unterjochen läßt in aeternum vom tyrannischen Amor!

Seither haben Herr Doktor keine Ruhe, sondern nur Reue; Haus, Weib und Kinder geistern vor dem lllustrissimo als nächstens zu erwartende unabweisliche Noth und Sorge. – Wie wird es dann stehen mit denen studiis, Herr Doktor? Wie mit den Phanerogamen, wenn Herr Doktor in Monogamie verstrickt seyn werden? O, wie bald wird dies lucis, der Ostertag da seyn, der Hochzeitag, der alle unsere Befürchtungen verwirklicht, Herr Doktor?

Die Geliebte grünt und blüht allerdings wie die Soldanella alpina auf dem Feldberge, – Herr Doktor stehen aber da, wie der große »Sumpfhahnenfuß« – bedenklich, schweigend, einsam, am Leben fast verleidet.

Nun könnte die Zeit, die blitzschnell so wunderlich [153] sich gestaltete, unser Gemüth, wenn nicht aufheitern, doch zerstreuen. Variatio delectat – ein altes Dictum. Allein, was soll uns die Zeit, wenn wir ihren Geist nicht fassen, da sie denn doch, wie populus schreit, einen Geist haben soll?

Herr Doktor haben zu wiederholtenmalen besagten Geist citirt, gleichwie Dero Urältervater, der Doktor Johannes Faust gethan. Ein paarmal hat sich Geist quaestionis angestellt, als wolle er sich bequemen und sich präsentiren zur Visitirung, zur Analysis. Aber war's nicht endlich, als ob er uns zuriefe, wie Anno dazumal:

… »Welch erbärmlich Grauen
Faßt Uebermenschen Dich! ...
Du gleichst dem Geist, den Du begreifst,
Nicht mir!« ...

Und fort war er, wie man ein Licht ausbläst! – Ja, der Geist dieser Zeit ist uns ein Räthsel. Vielleicht, weil:

»Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Uns Thiergeripp' und Todtenbein?«

Das wird seyn! 's ist möglich. Sie sagen's, die Kinder der heutigen Welt. Aber alles Sagen und Jagen macht uns einmal nicht anders, Herr Doktor, he? Wir haben uns einmal in unsere höchsteigene Sphäre hineingelebt, und schlimm genug, daß Cupido unsere Gränzen brach ... was soll uns noch die Politik [154] obendrein? Die Menschen – sie tragen sich mit allerhand sonderbaren Gerüchten; sie treiben allerhand seltsame Geschichten ... Wir verfolgen zu Zeiten jene Sagen, diese Geschichten, mit der Neugier des vorüberziehenden Wanderers; – wir verstehen eigentlich kein Jota davon, Herr Doktor; wie?

Oder: wie war etwa Herrn Doktor vor acht Tagen zu Sinne, da auf dem Münsterplatze die große Volksversammlung tagte? Da die Männer des Volks herabredeten vom Balkon zu der Menge, und sie fragten, ob sie frei seyn wolle oder nicht? Und da die Menge, Männer und Weiber, auf jede Frage – ob sie dieselbe verstanden oder nicht – ein »Ja, ja und dreimal Ja« schrie, und wir verdutzt und verstutzt da standen voce haerente in faucibus, nicht die Hand erhebend, nicht den Hut lüftend ... wie war Herrn Doktor, da Ihnen Dero Nachbar im blauen Fuhrmannshemd, um Dero Stillschweigen und Immobilität willen, den Deckel antrieb, bis er Herrn Doktor auf der Nase saß, statt auf der Stirn? – Wie dann, als plötzlich der blinde Schrecklärm losging und das Volk schrie: »Kanonen kommen, Kanonen!« und es war doch nur ein Mistwagen oder dergleichen ...? dennoch nahm die Menge Reißaus nach allen Richtungen und Herr Doktor lagen zu Boden geschmissen, und über Dero Leib ging das Gedränge weg, als sollte wahr werden das Wort: »Pulvis et umbra sumus?« – Das ist eine politische Vorlesung im Fußtrittstyl gewesen, und wir wußten alsobald, daß der Zeitgeist grob; aber was ferner an ihm, wissen wir denn doch noch heute nicht? – Jenen persönlichen Umsturz haben Herr Doktor schon beinahe vergessen, weil Sie von lieben Hän [155]den gestreichelt, von lieben Lippen getröstet worden sind. Ergo ist auch die Liebe zu etwas gut.

Was mag jedoch ferner kommen? Ist wahr, daß ein Mann »Hecker«, den Herr Doktor so eigentlich nicht kennen, als nur etwa von Ruf und Hörensagen, das Volk bewaffnen will zum Schutz und Sieg der Freiheit? – Warum denn das? Sind wir nicht von jeher frei gewesen? Hat unsern Studien und selbst unserer geschämigen Liebe ein Fürst, eine Armee, die Polizei, ja nur ein Pedell Gewalt angethan? Mit nichten; was will also das Volk? Wir sind hierüber ganz verdummt ...?

»Da steh' ich nun, ich armer Thor,
Und bin so klug, als wie zuvor!«

und Herrn Doktors Laura und Dero Schwager in spe Hinterbein und der Regierungssekretär ... wie heißt er nur, der junge Mann, den man nur den »schönen Fritz« nennt? ... wir sind Alle, Alle eben so klug, als wie zuvor! Darum auch ist's höchst unerquicklich von sechs bis acht Uhr Abends in Hinterbein's Hause. Der Alte traut sich nicht mehr nach Zwielichten auszugehen, und hat die Augen überall; daher Fräulein Laura und Herr Doktor immer gestört; kaum zu einem Händedruck Gelegenheit ... eine Wiederholung der Umarmung, die in jenem Holzschopf zu Eisenbach vor sich gegangen, ist bis dato eine Unmöglichkeit gewesen. Schwager in spe spielen Karten, lauern jedoch immer hin und her; Herr Sekretär spielen ebenfalls, blinzeln indessen stets und immer nach den Mädchen, das Fräulein Laura nicht ausgenommen. Me hercle! Herr Doktor hätten Ursache, eifersüchtig zu werden – und das [156] wäre doch noch eine Unterhaltung – wenn überhaupt Dero Constitution und Temperament darauf eingerichtet und nicht – ohé! – der Hochzeitstag vor der Thüre wäre. Die Visiten sind gemacht, die Besuchbillets abgegeben ... fehlt nichts als die Trauung, und deßhalb keine Zeit mehr zur Eifersucht. – Laura darf sich bis dahin ihre Freude, Herr Doktor Dero Ueberdruß nicht merken lassen; – die Töchter Hinterbein schneiden Gesichter, und allotria loquuntur. Woher also eine Freude in der Gesellschaft? – Fast freuen wir uns der baldigen Copulation, noch mehr der Hochzeitsreise, die zwar nur bis an den Bodensee und dann über Schaffhausen zurückgehen wird ... aber nicht unterlassen wollen wir, das Bad in Eisenbach zu besuchen, und die Wiederholung, repetitionem, jener Umhalsung, die Matrimonium zum Durchbruch gebracht, zu praestiren, am selben Platz, zur selben Morgenstunde, wie dereinst. Faxint superi!

Herrn Doktor empfehle mich übrigens bestens.

Sebastian Faust, Dr. phil. manu propria.


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