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Drittes Kapitel.
Im Leuen zu Hirzenbach; in's Metzger-Thomas zu Heurlingen.


Wenn gleich rasch, war die Heimfahrt traurig. Der Vater hatte gut, seine Tochter zu trösten und zu beruhigen, ihr vorzustellen, daß der liebe Gott, der aus der Schläferin Mund geredet, nur zum Besten der andächtigen Zuhörerin es gemeint ... daß der Gesammteindruck, den der ganze Austritt bei der »Schwester« auf Annele gemacht, mit der Zeit wieder erbleichen, und die gehörige Ruhe und Freudigkeit in ihr Herz zurückkehren werde, und daß ihr ja nicht für alle Ewigkeit das Urtheil gesprochen ... das Zureden half nicht viel. Annele schwieg zwar meistens; aber sie beklagte innerlichst ihre, wie sie meinte, sträfliche Neugier fort und fort, und die leidige Gewißheit, so ihr geworden, daß sie nun und nimmermehr mit Lenhard glücklich werden könne. Keine Täuschung mehr, kein Träumen mehr von süßer Zukunft ... Alles vorbei. Jeder Glaube an den Liebling ihrer Seele dahin! Gott hatte – dessen war sie felsenfest überzeugt – aus der Prophetin gesprochen, unabänderlich ihr Schicksal be [77]stimmt ... ihre Liebe galt nichts mehr auf Erden. Dennoch trauerte sie um dieselbe, und peinigte sich erfinderisch mit allen Martern, und hätte viel darum gegeben, wenn die thörichte Seligkeit, die sie einst empfunden, ihr nicht zu Verlust gegangen wäre, wenn sie nur hätte hangen und verlangen dürfen auf ein ungewisses Ziel hinaus ...! Also ist die Liebe, die zwar fürchtet, die zwar mißtraut und eifert und zürnt, sich aber gern wieder einwiegen läßt in den Schlummer der Zuversicht, hoffend wo sie zweifelt, sehnsüchtig nachstrebend dem Gegenstand, den sie fliehen, den sie hassen möchte.

Als die Reisenden in den Hirzenbach einfuhren, in das liebe Thal, von kühnen Felsen und dichtem Walde eingefangen, als ihres Hauses Dach sich aus den Bäumen des wohlgepflegten Gartens streckte, und der Wiesenbach ihnen das »Willkommen!« murmelte, – als endlich die ganze stattliche Reihe von Fenstern glitzernd vor ihnen lag, und die gastlich geöffnete Pforte, und der ganze Hof – wie schon der Leuenwirth vorausgesagt – ertönte von dem Bellen und Muhen und Glucksen des darauf versammelten Gethiers, da brachen Annele's Thränen los ... und weinend stürzte sie in die Arme der freudig herbeieilenden Mutter, und für Thränen der Freude nahm dieselbe den Schmerz der Tochter.

»Ei was! Du bist schon wieder da? O gelt, es hat dich draußen nicht mehr gelitten? O gelt, in der Heimath ist's doch schöner als in der Fremde? Gelt, hast das Mütterle daheim nicht vergessen! Ei, so grüß dich Gott! Ei, so sei willkommen tausendmal, du liebes Herzle, du braves Maidle du!«

Und in diesen Gruß hinein weinte auch die Mutter gerührt ihr Gesetzlein, und Annele ließ sie gern auf [78] dem Glauben, daß ihre Zähren nur dem Wiedersehen, dem freudigen und erwünschten, gegolten.

Der Wirth ließ die Weiber gewähren, und war des Empfangs froh. –»Sie werden's schon mit einander ausmachen,« dachte er: »die Weiber helfen einander über Stecken und Zaun. Wir Mannsbilder können ihnen Tagelang zureden wie die Galgenpater – 's hilft nicht; aber so wie sie unter sich sind, da wird alles auf gleich und eben.« – Nahm das Bräunel bei'm Zügel, und führte es dahin, wo ihm der Tisch gedeckt war, und sah sich selber sodann um nach einem Bissen und Trunk zur Erholung.

Im Leuen war nicht der dürre Schmalhans Küchenmeister. Sofort hatte die Hausmutter aufgestellt, was gut und lecker und des Hausherrn würdig. Für sich und ihr Annele ließ sie's an einem guten Kaffee'le nicht fehlen, Butter und Brod daneben, und der liebreichsten Reden und Fragen Unzahl, süßer als der Zucker, geschlachter als der fette Rahm. Glücklich redete die Mutter ihr Annele und »Hammele« beinahe gänzlich aus den finstern Gedanken heraus, in ein helleres sorgenloseres Daseyn.

Da begab sich's, daß – während Leuenwirths noch an der so schnell gerüsteten Tafel saßen und speisten und tranken gleich vornehmen Leuten, welche drei oder vier Stunden später Hunger haben, als andere ordinäre Menschenkinder – daß ein paar Bauern, die von Heurlingen kommend nach dem Nachbarsort durchwanderten, einkehrten, um einen Schoppen auf den Weg zu nehmen. Zuerst saßen sie bescheidentlich hin, schwätzten wenig, und beschauten sich den Hausherrn, sein Weib und vorzüglich das Annele, das seinem geheimen Ge [79]breste zum Trotz aussah, wie eine feine Pfirsichblüthe. Bald aber steckten die Bauern die Köpfe zusammen, und Einer hatte dem Andern in's Ohr zu wispeln, und wie es schien, stupften sie den besten Redner unter ihnen auf, mit dem Leuenwirth zu reden. Denn kaum war der Wirth aufgestanden, und mit der Schnupftabaksbüchse zu seinen Gästen getreten, um ihnen eine Prise anzubieten, so stand auch der bezeichnete Redner auf, und sagte mit schlauer Miene, halb vertuckelt, zum Gündermann: »Leuenwirth, wißt Ihr was Neues!« – Den Verneinenden zog er abseits, und hielt mit ihm ein geheimes Parlament. Es dauerte lang.

Indessen waren auch die Frauen vom Kaffeehafen gegangen, und vor's Haus getreten. Und zur selben Zeit zogen da Weiber vorüber, die vom nächsten Markt kamen, und in ihr Ort heimkehrten. Auf der Ruhebank vor dem »Leuen« stellten sie ihre Körbe nieder, und rasteten, und die Wirthin hatte für eine Jede von diesen alten Bekanntinnen ein gutes Wort, Anrede oder Gruß. Weil denn eine Red' die andere gibt, so geschah der Wirthin, wie in der Gaststube ihrem Mann. Eine von den rastenden Frauen zog sie abseits mit der Frage: Will Sie was Neues hören, Frau Gertrud?

Nun kam jedoch die Reihe endlich auch an das Annele; und zufällig war's die ärgste Schwätzerin aus der verehrlichen Kompagnie, die sich an das Mädchen machte, und mit zusammengeschlagenen Händen und frommverdrehten Augen zu Annele sagte: Ach, meine liebe Jungfer, wie kann Sie doch Gott und allen Heiligen im heitern Himmel droben danken, daß Sie mit dem Lenhard so gut auseinander gekommen ist! Sie kann sechs heilige Messen lesen lassen, und zwanzig [80] Rosenkränz' abbeten, so ist's nicht Danks und Lob's genug!

Worauf Annele, beschämt, empfindlich und doch nur mit sanftem Vorwurf: Wie mag Sie aber auch so reden, Nachbarin! 's geht Sie ja von Haut und Haar nichts an. Laß' Sie mich doch in Ruhe mit dem Handel; das ist meine Sach' und keines Andern!

Worauf jedoch die Schwätzerin: O Jesu mein, so weiß Sie denn noch nicht, was geschehen, was da vorgefallen? Ei ja, wenn Sie das noch nicht weiß ...! zu Heurlingen reden schon alle Ecksteine davon. und die Weiber da, sie haben's alle gehört mit eigenen Ohren ... 's ist wahr, ist unverlogen, daß Gott erbarm ...!

Ja wohl, ja wohl – schnatterte der Chor – wir haben's alle selbst gehört, die Spatzen singen's vom Dach ... daß ihn der Metzger-Thoma nicht völlig todtgeschlagen hat, ist noch ein Wunder ...! mein Gott! ein Elend und ein Kreuz und Schand und Spott!

Nun erblaßte Annele in schlimmer Ahnung. – Nun, was ist denn? fragte sie mit Beben: was wißt Ihr denn? Todtgeschlagen ... Wer? Wer denn?

J ... der Lenhard, des Metzgers Sohn ... hieß die vielstimmige Antwort: der Thoma hatte schon die Flinte von der Wand, geladen und angeschlagen ... und wenn's die Kunegund nicht verhindert hätte ...

Was denn, um Gotteswillen! Warum denn? schrie Annele auf: so sagt's doch einmal heraus ... so gebt's doch von Euch ...! Mutter, in der heiligen Jungfrau Namen, was ist denn geschehen?

Gertrud kam eben mit verstörtem Gesicht aus ihrem Zweisprach, und schalt die Weiber tapfer aus. – Hättet Ihr nicht 's Maul halten können? müßt Ihr mein [81] Hammele so verschrecken? Schämt Euch doch in's Herz hinein. Wenn Ihr aber dennoch nichts bei Euch behalten mögt, so macht dem guten Kind wenigstens keine vergebliche Angst, und sagt das Ding, wie es ist ... der Wahrheit die Ehre. 's ist ein Unglück, Annele, ein großes Unglück, doch kommt's nicht unerwartet, und es wird dich, denk' wohl, ganz kuriren.

Annele setzte sich vor Schwäche auf die Bank, lehnte ihren Kopf in der Mutter Arme, und sagte: Des Herrn Wille geschehe und sei gelobt. Laßt mich denn hören, was geschehen.

Die Schwätzerin von vorhin stellte sich in Positur, und erzählte mit einer Menge von Geberden – dabei kugelten ihr die Worte aus dem Munde, als wie Erbsen –: Drum ist schon lang in der Nachbarschaft die – Red' davon gewesen, als hielten's der Lenhard und die Kunegund mit einander in Unehren ... und so ist er gestern im Eisenbächle drüben gewesen, und hat die Stiefmutter heimgefahren, weil der Lorenz, des Metzgers Knecht, über die Kellertreppe hinuntergeschlagen, und sich das Bein verfallen, das rechte; – 's ist aber nicht gebrochen und der Gregori hat ihm ein Pflaster verschrieben und Umschläg'; alle Stund bei Tag und Nacht ein Umschlag. Deßwegen hat die Metzgerin hermüssen ... der Alte hat's gewollt, und war selber krank am Kopf und in den Gliedern ...

»Im Leib!« – »Geschwollene Füße!« ––– »Frost und Hitze!« – »Bresthafte Nieren!« – Also verbesserte der Chor. Aber die Schwätzerin machte nur eine Schwenkung mit drohender Hand und stille war's, daß sie selber immer maulfertiger aufspielen konnte: Nun denn, was geschieht? Der Lenhard bringt sie richtig [82] heim ... kurz vor Betläuten. Was unterwegs geschehen ist, das weiß man noch nicht: aber in der Nacht ist die Wüstenei an den Tag gekommen. Und das war so: Die Kunegund ist denn nach der Polizeistund zum Knecht hinübergegangen, den Umschlag zu machen ... und der Lenhard hat bei dem Lorenz wachen sollen ... da ist dem Alten, der nicht schlafen konnte, ein Verdacht aufgestiegen, und er hat sich herausgemacht, weil sein Weib so lang ausgeblieben ... und da hat er sie ertappt in der Sattelkammer, just wie die Frau sich noch gewehrt hat ...

»Der Lorenz hat ihm gerufen.« –»Ach was! der Nachtwächter hat ihm geklopft!« – »Verlogen! im Schlaf ist's ihm vorgekommen!« Also wieder der Chor. Und hierauf die Vorschwätzerin: »Wenn Ihr doch Euer Maul zu den Krotten halten müßtet! Ihr wißt nichts, und Euer Sach' ist nichts. Der Alt' ist von selber nachgeschlichen, und hat gesehen, daß sein eigener Sohn die Kunegund zwingen will, die aber dem Alten an den Hals gesprungen, und ihm's Gewehr aus der Hand gerissen, und geschrieen: Halt, 's ist dein Blut, Thoma, laß ihn am Leben! Er ist ein schlechter Gesell und liederlicher Kloben, und hat mir's so und so gemacht, aber laß ihn laufen, den Strolch, so weit ihn seine Füße tragen! Und der Alte hat ihm gesagt: Alloh Marsch, zum Haus hinaus, und laß dich nicht wiedersehen, wenn dir dein Leben lieb ist, sonst zeig ich's dem Amt an, und du wirst geköpft, oder am nächsten Baum aufgehenkt, ich will die Wahl haben! Der Lenhard hat allerhand, krumm und gerad fürbringen wollen, und auf die Stiefmutter gescholten und geschändet, als sei ihm Unrecht geschehen ... 's hat aber nichts [83] genutzt, und hinaus hat er gemußt, noch bei Nacht und Nebel. Der Alte hat ihm einen Tritt gegeben und seinen Fluch. Des Kugelbauern Martin hat ihn gesehen, da er das Vieh in die Halde getrieben, wie er davongelaufen ist ohne Schuh und Strümpf! ...

»Nein, nein, 's war Bläßle's Lisele, die ihn gesehen hat!« schob wieder ein Theil des Chors ein, und ganz wild schrie die Vorschwätzerin die ewigen Schnattergänse an: Wenn jetzt Eine noch's Maul aufthut, schlag ich ihr ein paar Däschen hin, daß ihr der letzte Zahn wackelt! Hab' ich's nicht vom Nachtwächter selber und dann erst noch vom Stabhalter gehört, wie's zugegangen? Potz Mord und Galee! ich werd's doch wissen, bei Gott! Und nach dem Pfarrer ist geschickt worden, ist aber nichts mit ihm gewesen ... war schon in aller Früh fort, gleich nach der Frühmeß, um des Neidhartens Michels Benz vom Zahn- und Ohrenweh zu kuriren und so weiter. Und der Stabhalter hat mit dem Feldschütz zum Metzger-Thoma müssen, und Wach halten, damit die Buben nicht den ganzen Tag hinstehen, und dem Metzger in die Fenster hineinlugen ... aber 's ist eine schwere Schand für's Dorf und die ganze Nachbarschaft, und noch einmal sag' ich, Jungfer Annele, daß Sie mit aufgehobenen Händen unsern Herrgott und der unbefleckten Jungfrau danken darf, daß Sie den Lenhard vom Buckel hat, und nicht mit ihm und durch ihn in Spott und Noth gekommen! – »Ja, ja, dem Herrn sei Lob und Dank – in excelsis!« sang zum Schluß der Weiber-Chor mit mehr oder weniger richtiger Betonung. – Und da über die Erzählung der gräulichen Geschichte ein gut Stück Zeit vergangen, und ihr Weg noch der weiteste, so verschoben die Korbträ [84]gerinnen eine umständliche Erläuterung auf die nächste Gelegenheit, luden ihre Last wieder auf Kopf und Schultern, und zogen krakeelend mit den inzwischen hinzugekommenen Mannsleuten fürbaß. – Endlich war Annele der Zeugen ihres Elends und ihrer Demüthigung ledig.

Nun weißt du schon, mein Herz, was ich so eben erst erfahren, und dir nur nach und nach habe beibringen wollen; sagte zu ihr die Mutter recht mitleidig, sie an ihre Brust nehmend: 's ist hart, es ist ein Unglück, so viel Böses von einem Menschen zu hören, den wir für unsern Freund gehalten ... aber 's ist Schickung von oben, und sogar ein Glück für dich, mein gutes Kind. Du weißt jetzt zu schätzen, was der Lenhard werth, und daß deine Eltern nicht auf'm Holzweg waren, da sie dich vor ihm gewarnt. Nimm dich also zusammen, schlag' dir ihn aus'm Sinn, und sey wieder wie ehedem unser lustig frohes Maiteli! He?

Annele antwortete nicht, sondern schaute steif vor sich hin in den Sand. Ihre Züge wie von Eisen, ihre Wangen röther als gewöhnlich; keine Bewegung, kaum der Athemzug zu vernehmen.

Die sorgliche Mutter versuchte in diesem starren Angesicht zu lesen; da fühlte sie ihre Schulter berührt. Der Leuenwirth war herbeigetreten und gab der Gertrud das Zeichen, deutend auf das Mädchen, und fragend mit den Augen, ob es schon von Allem unterrichtet. – »Ich habe da erbauliche Geschichten aus Heurlingen hören müssen;« sagte er leise: »Und wie das Mädle dasitzt! Ich fürcht', ich fürchte, es werd' uns überschnappen ...!«

Gertrud winkte ihm, nicht fortzufahren, denn just [85] rührte sich die Tochter wieder ... und deren fein Gehör hatte recht gut vernommen, was der Vater in seiner Herzensangst gesagt, und mit ernster, aber ruhiger Stimme sprach sie zu ihm: O fürchtet das nicht, lieber Vater. Gott hat mir die Gnade erzeigt, mich vorzubereiten auf die schlimme Botschaft. Ich undankbar Geschöpf hatte seine Weisheit nicht erkannt. Jetzo, da ich das Böseste weiß, jetzo gutet es mit mir. Werde nicht mehr klagen, nicht mehr weinen, werde mich nicht hintersinnen, gewiß nicht. Ich gehöre Euch wieder an, mit Leib und Seele an, liebste Mutter, allerliebster Vater. Vergebt mir, daß ich so manchesmal Euch gekränkt und betrübt. Verzeiht mir und nehmt mich wieder an, als Euch gehörig und eigen!

»O welch ein Herzele! O welch ein lieb's, lieb's Engele!« riefen Vater und Mutter um die Wette, und nun kam's wiederum an sie, zu weinen, während Annele lächelte und der Eltern Augen trocknete, statt der eigenen. War auch von da an wie umgekehrt; eine Siegerin über Schmerz und Prüfung, einig mit sich selber, von ihren Banden los; ernst, aber heiter im Ernst; besonnen, ohne leichtsinnig umzuschlagen ... mit einem Worte: wenn nicht froh, doch – frei. – – Die sittliche Entrüstung, die Gewißheit, daß Lenhard ihrer nicht würdig, niemals würdig gewesen, hatte ihr ein neues Leben eingepflanzt. –

Wie aber sah es aus drüben in Heurlingen, im Hause des Metzger-Thoma? Die Neugierigen, die dasselbe belagert, waren freilich von dannen gescheucht, auseinander gelaufen, und nur in den Häusern, in den Schenken wurde die große Schmach, die sich begeben, verhandelt. Darum war indessen bei'm Metzger nicht [86] der Friede eingekehrt. Der Alte lag wiederum zu Bett, von der schlimmen Begebenheit niedergeworfen, wie von einem gewappneten Mann. Kunegund ging und saß hin und her, und stellte sich an als eine aufmerksame Pflegerin. Gute Worte gingen von beiden Seiten – in den Wind, denn beiden Eheleuten war's anders um's Herz, als auf der Zunge. Der Metzger, ein Mann von schwachem Gemüth, von jedem Lüftlein geweht, vom Augenblick beherrscht, fühlte bereits bittere Reue, daß er den Sohn aus dem Hause gejagt, sein einzig Kind, seinen Gehülfen im Handwerk, der ihm vier oder gar sechs Hände in der Wirthschaft, auf'm Felde, im Stall, in der Fleischbank erspart hatte. – »Wär' mir doch nicht der Gedanke gekommen, der Frau nachzugehen!« klagte in Gedanken der wetterwendische Mann: »wüßte ich noch gar nichts von dem Teufelshandel! Die Frau hätte sich schon selber gewehrt und geholfen, und der meisterlose Kog hätte nicht wieder angefangen! Ich kenn' ihn, den vertuckelten Kerle! Ist mit lauter Hinterstichen genäht. Er hätte nicht wieder angefangen, und mein Haus wär' in der Reihe geblieben ...!«

Wohlgemerkt klagte er sich das nur heimlich, der Metzger-Thoma; der Frau getraute er sich nicht ein Wörtlein zu schnaufen, indem sie aufbrannte wie ein Speiteufel, wenn nur der Name des Lenhard auf das Tapet kam. Allein Kunegund ahnte schon von selber, was in dem Alten vorging, und just, da sie ihm wieder ein Schüssele mit Thee brachte, sagte sie, die Gelegenheit vom Zaun brechend: »Nun, Thoma, wie steht's, wie geht's? Wir haben wiederum etwas im Schädel drinnen, was nicht hinein gehört, he? Ihr seid ein altes Kalb, das weder »hist« noch »hott« [87] weiß, dem der Hund immer auf'm Buckel sein muß. Ihr dauert mich recht. Was gilt's, Ihr macht Euch wieder Gedanken um den bösen Buben? Aber so seid Ihr eben: jetzo wollt Ihr ihn todtschießen, und gleich darauf möchtet Ihr ihm wieder Gutmännle's machen. Pfui, schämt Euch. Hab' ich recht ... he? heraus mit der Farbe!«

Hm! machte der Alte hierauf zögernd, und an seinem Thee sürfelnd: Ich will's nicht in Abred' stellen ... 's bricht mir schier 's Herz um den Lenhard ...

Du alter Narr! fuhr Kunegund dazwischen. Aber der Alte verdrehte gar barmherzig die Augen, und gab nicht luck, sondern redete weiter: Sei nicht bös, Kunegund; aber lueg: 's ist halt mein Einziger, ... und verschossen hätt' ich ihn auch nicht – das Gewehr war gar nicht geladen – aber 's ist doch hart ... jetzo bleibt mir Niemand mehr als mein Schwestersohn, der Advokat zu Waldkirch oder so wo, wenn er sich nicht mehr dort aufhalten thut; – hat sich schon seit acht oder neun Jahren nicht mehr um mich bekümmert, ... der ist der Letzte von meinem Blut ...

»Ha, so laß' ihn kommen« – höhnte Kunegund, trotzig neben dem Bette niedersitzend: »und meinetwegen den Lenhard auch noch dazu, und jag' dann mich fort, da ich zu viel bin! Will gleich mein Bündele machen, und lieber in der Stadt in Dienst gehen, als bleiben bei einem so undankbaren Mann, wie du einer bist.«

Nicht bös sein, nicht trutzen, nicht schelten! bat der Thoma weinerlich: Du bist mir ja lieb und werth, und den Affronten kann ich dem Lenhard ja nicht vergessen ...!

»Nun, das wollt' ich wissen, oder ...!« blitzte die Frau wieder auf.

[88] Gib dich nur zufrieden, fuhr der Mann flehentlich fort: Wir haben uns ja aus Lieb' genommen, und was Gott zusammengethan, soll der Mensch nicht scheiden ...

»Hm!« machte Kunegund mit frech aufgeworfnem Munde: »Euch Mannsbildern ist Alles zuzutrauen, und Deine Lieb' ist niemals weit her gewesen. Und wenn du noch einmal von dem Bösewicht redest, der mir ehrlichen Frau die Schande zugemuthet, so ...«

Jetzo hob der Metzger ganz ernstlich an zu weinen, und schluchzte: Er ist doch mein einzig Blut, und darum thut's mir weh, daß er auf Gott und sein Gebot so ganz vergessen ... und er soll mir auch nicht mehr vor die Augen kommen, bei'm Eid! – Ja, lieb's Gundele: wenn unser Herrgott unsern Ehstand mit Kindern gesegnet hätte ...

Kunegund rümpfte die Nase noch spöttlicher als zuvor, und sagte verächtlich: »Laß Er die Dummheiten! schwätz' Er nicht, wie ein Esel! Seid lieber gerüst, und bleibt bei Eurer Sach', und vergeßt nicht auf die Missethat des Burschen, der Spott und Elend auf Euch und auf mich gebracht hat. Wär' ich nicht so ein ehrlich Weib, was müßten die Nachbarn von mir etwa denken? Die Welt ist so böse! Doch traut man mir nichts Schlechtes zu, und Ihr müßt's auch so machen, und nicht um den schlechten Lenhard heulen und jammern, als ob an mir die Schuld wäre ...«

B'hüt' Gott, b'hüt' Gott! betheuerte der Alte, und schmutzte Kunegundens Hände ab: der Kerle ist für mich so gut wie todt ... aber wir werden's im Gewerb, in Haus und Hof söllig spüren, daß uns seine Hülfe abgeht. Wenn ich nur an seiner Statt einen [89] braven Menschen hätte! Der Kaspar, der heut durchgewandert ist, wär' mir lieb gewesen, und wenn er nicht absolut in die Schweiz gewollt hätte, gern hätt' ich ihn aufgedungen ... 's hätt' wohl viel Geld gekostet, denn der Kaspar ist nicht arm; er hat ein paar Aecker in der Baar, und dann etwas Vermögen bei'm alten Veit zu Furtwangen ...

»Ja ja, der wär' schon recht gewesen;« bekräftigte Kunegund, des Metzgerburschen nicht ohne Wohlgefallen gedenkend: »jedoch: ein Mann ist kein Mann. Es gibt junge Leute genug in der Welt. Wird sich schon Einer finden, und wohl ein fleißigerer als dein Bub. Denn, was Einer mit ruchlosen Händen und sündlichen Gedanken noch so rüstig angreift, bringt nicht Segen, nicht Gewinn.«

Da hast du Recht; antwortete Thoma, nachdem er eine Weile sinnirt hatte: Alles Mühen und Schaffen und Handeln hat mir bis jetzo nicht batten wollen; – weiß nicht, wie's zugeht – bin aber seit ein paar Jahren immer mehr hinter sich, als für sich gekommen ... 's steht nicht zum Besten mit dem Vermögele ... und der Lenhard mit seinen sündigen Gedanken ist vielleicht daran schuld gewesen!

Kunegund, da sie nun dem Stiefsohn den schwersten Riegel vorgeschoben, nickte zufrieden und schwieg. Der Alte sinnirte weiter, und sagte endlich schüchtern: Was haltest du davon? Wenn wir nach dem Amerika gingen! Es machen sich dermalen so viele Leute reisefertig dahin? Der Pfarrverweser predigt so viel von den schlechten Zeiten, die da kommen sollen, und die Schläferin aus'm Haggen soll erschreckliche Dinge vorhersagen ...!

[90] »Schäm' Er sich!« zürnte Kunegund: »Laß Er die Lumpen laufen! ich will im Land bleiben ... Jetzt gerade werden gute Zeiten kommen – die Seeblätter sagen's: die braven Leute, das Volk werden in ihre Rechte eintreten; – was geht uns Amerika an? Das ist gut für Euern schlechten Kerl von Sohn. Soll dort hinein gehen, und Trübsal blasen, und an seine Stiefmutter denken mit blutigen Thränen, die's so gut mit ihm gemeint hat, und die er hat verderben wollen!!«

Wie du willst, Gundele, wie du willst; versetzte der Alte seufzend: Du bist mein Evangeli! aber 's geht bygott keine zwei Jährlein – du wirst sehen – und wir stehen am Verlumpen selber. Drum wär' mir doch nicht übel recht gewesen – wenn ich schon mit dem Leuenwirth drüben über's Kreuz bin – wenn der Lenhard das Annele aus'm Leuen bekommen hätte! So hätt' er auch die Wirthschaft mit Feld und Wald und Gut und Geld überkommen, und wir hätten uns auf unsre alten Tage frei von Schulden machen können ...

»Wenn du doch von der Gans aus'm Leuen nichts schwätzen wolltest!« rief Kunegund plötzlich auf's Neue erbost. »Das ist ein Glück, daß nichts aus dem schlechten Handel geworden. Das wär' eine Schwiegertochter gewesen, daß Gott erbarm'! Die hat ihren Blechkopf voll von Ratten und Käfern, eine toller als die andere, kennt sich schier selber nicht mehr vor Hoffart und Vornehmthun. Ist dabei ein schlecht Weibsbild ... ich hab' sie im Bädle genugsam kennen gelernt, mit sammt dem Vater, dem geschwollenen Geldbrotzen, der da auch meint, er käme gleich hinter Gott [91] Vater drein, und habe die Engel und die Heiligen zu kommandiren. Nein, nein; uns ist wohl, daß nichts daraus geworden. Die sollt' uns das Kapitel schön verlesen haben! Und wenn ich selbiger Habergeis einen rechten Ducken spielen könnte – lueg, Alter, meine rechte Hand gäb' ich darum! Denn da wollte ich doch lieber Gift schlucken, als daß ...«

Recht Schade, daß Kunegund ihre christliche Rede – nicht vollenden konnte; allein es kamen ein paar Nachbarsleute in'n Haingarten, und einige Kunden wollten noch Fleisch einkaufen zur späten Stunde, und da bekam Thoma's Frau alle Hände voll zu thun, und mußte ihr Liedlein umstimmen, und vor den Leuten sehr heiter und kreuzwohl sich anstellen, wie sich's geziemt von einer Frau voll von Tugend, die so eben ihre Ehre und die des Hauses aus einer dringenden Gefahr gerettet. Also verschob sie einstweilen die Fortsetzung des Textes vom »Annele« – nur bedauernd, weil in der unsaubern Metzig verkehrend, daß der obengenannte Kaspar nicht gleich zur Aushülfe dageblieben. »Der Kaspar« – so dachte sie geheim bei sich – »ist ein wohlgewachsener Bursch, und in seinem Gesicht zu lesen, daß er Kurasche hat, und nicht sobald vor etwas erschrickt. Ein ganz anderer Mensch, als der schlechte Mensch von Lenhard, der keine Schneid hat, und nachdem er schier ein Weib in's Unglück gebracht, zurückhuft, wie eine Lettfeige, und wie ein ›Boltroni.‹ Was kann man aber da sagen? Ist er nicht der Sohn seines Vaters? Und ist der Vater jemals einen Halbbatzen werth gewesen? Ich bin eben in dem Heurlingen übel angekommen. Wenn aber der Kaspar wieder [92] aus der Schweiz des Wegs kommt, so muß ihn der Thoma, der Schlafkopf, behalten, oder ich will ihm ein Donnerwetter aufspielen, daß er sich in den Heustock verkriechen soll!!«


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