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Erstes Kapitel.
Auf dem Walde.


Wer in dem Paradiese, das man den »Breisgau« nennt, mit einem Frühling im Jahr nicht genug hat, mag leicht und ohne große Kosten auf dem nahen Schwarzwalde einen zweiten Lenz aufsuchen, der erst gegen Ende des Brachmonats beginnt, und dauert bis in den August.

Und wie schön ist dort oben in waldreicher Einsamkeit, fern von den windlauten Hochebenen dieser zweite Frühling des Jahres! Unten in den Gefilden zwischen Rhein und Gebirg der Brand des Sommers, der die Saaten zeitigt, aber schwer und schwül auf dem Menschen lastet – dort oben dagegen der lind-warme erfrischende Hauch, der Kopf und Herz ermuntert, und die Schultern stark macht! Murmelnde Quellen, trauliches Tannendunkel, beseligende Düfte aus Forst und Flur, Blumen mit helleren Farben, Kräuter mit würzigerm Geruche, wohnliche Häuser, freundliche verständige Leute – über Allem ein meist durchsichtiger blauer Himmel, durchströmt von belebender Luft ...!

Welch ein Reichtum für empfängliche Seelen, für naturlustige Städter!

[2] Eine Menge von reizenden Thälern lagert im Schwarzwaldgebirge, unfern von Freiburg im Breisgau, und nur wenig sind sie in der Fremde bekannt. Vielleicht ist das gut: wohin sich der Zug der fremden Reisepilger drängt, hört es bald auf, heimisch zu sein.

Eine der lieblichsten grünen Buchten, von denen hier die Rede, ist das Thal von Eisenbach. Der Wanderer gelangt dahin entweder über St. Peter, das alte Kloster, über St. Märgen, über Waldau und die romantischen Wege auf dem Hohberg; oder er schlägt die Straße durch das Höllenthal nach Neustadt, und von da über das sogenannte Höchst ein. Von diesem letztern »Jöchl« wie die Tiroler sagen würden – wo man eine entzückende Aussicht über die Baar und auf die Schweizeralpen hat, führt eine recht gute Straße durch die weitverbreitete Ortschaft Eisenbach, längs dem Flüßchen gleichen Namens auf die Thalsohle herunter. Recht behäbige Gebäude, worunter manches hübsche Gasthaus, wohlgepflegte Gärten, hinter denen links und rechts grüne Matten und Höhen mit dichtem Wald bekränzt, fassen den Weg ein, und gleichsam spielend gelangt der Reisende gar bald zum Kirchlein, das auf einem Hügel stillbescheiden thront, und gleich daneben zum Badehaus; denn eine Heilquelle von längsterprobtem Gehalt ladet auch den Kranken zum Besuch dieses schönen Erdenwinkelchens ein.

Diesem Badhaus, zum »Stern« geschildet, geht es, wie manchem braven Mann: es ist mehr hinter ihm als die Außenseite verspricht. – Gegen die Straße zu ein ganz geringes Schwarzwälder-Wirthshäuschem stellt es sich gegen den Garten hin als ein ganz annehmbares Gastlokal heraus. Der Ansprüche muß [3] man nicht gar zu übertriebene mitbringen, dann wird man sich ganz behaglich im »Stern« befinden. Der Wirth ist aufmerksam, die Bedienung, Küche und Keller sind gut zu nennen, und eben die schmucklose Einfachheit des Ganzen trägt bei, den Ort traulich und heimisch zu machen. Ist ja doch die Umgebung so reich, so mannichfaltig!

Von dem Gärtchen, nur handgroß und sehr unverkünstelt, das auf hoher Terrasse die Gegend beherrscht, hat man den prächtigsten Ausblick thalabwärts. In diesem Gärtlein, strotzend von Sonnenblumen, Mohn und Malven, umweht von einem blendenden Kranz rothglühender Vogelbeeren, gibt es gar liebliche Sitze, ein freundliches Sommerhäuschen, einen urpatriarchalischen Tanzboden, und allerhand kleine Reize, die sich der Geschmack eines jeden einzelnen Gastes selbst aussuchen mag, um sich ihrer zu freuen. Daneben sprudelt aus tiefer kühler Grotte der Brunnen des Heils, dem Durstigen wie dem Badenden zum gleichen Segen.

Ist diese Gartenspazier-Anlage klein, und thut Bewegung noth, und ladet der blaue Himmel ein zu weiterem Lustwandel, so ist nur wenige Schritte der Berg, der kräftig duftende Tannenwald entfernt, den die schönsten Pfade durchkreuzen; in der Nähe ebenfalls winken die Thäler Scholach, Urach, Bubenbach mit seiner Glashütte, Hammereisenbach mit seinen Schmelzen und Schmieden. Die wundervollste Flora lockt den Naturforscher und die Blumenliebhaberin; eine Menge von Braunsteingruben und alten Eisenschachten fesselt den Bergmann und den neugierigen Laien an das schöne Revier. Die Wiege der Schwarzwälder Uhrenfabrikation in Urach, die ansehnlichen Werkstätten der Industrie [4] zu Böhrenbach und Furtwangen kann der Wißbegierige erreichen in einem Tag, und dennoch wieder im »Eisenbächle« zurück sein bei guter Abendzeit zum kühlen Nachttrunk, zum erquickenden Schlummer. –

Frauen und Töchter der wohlhabenderen Familien aus der Nachbarschaft besuchen vorzugsweise gern die, stärkende Quelle, das gesundheitspendende Thal des Eisenbachs. Die Kraft und die Schönheit des Weibes erneut sich dort alljährlich wunderbar.

So hatten sich im Sommer des Jahrs 1847 im Bade, das oben geschildert, mehrere Frauen aus Städten und vom Lande zusammengesellt: einige Damen von Freiburg, desgleichen von Donaueschingen, des Leuenwirths von Hirzenbach Annele, des Metzger-Thoma von Heurlingen Ehefrau Kunegund, eine stattliche Dreißigerin, mit verdächtig-gefährlichen Schwarzaugen. Glich Leuenwirths Annele, ein herzigliebes blondes Kind mit blauen Augen, dem milden stillen Mondschein, so war Kunegund zu vergleichen einer fremdländischen etwa aus Nubien eingewanderten glühenden und sprühenden Zauberin, und war doch gewachsen auf Billinger Boden, wo es in der Regel nicht so hitzig und blitzig hergeht. – Die städtischen Frauen waren eben Stadtschönheiten, – vier von den Freiburgerinnen ledig und jung, eine ledig und nicht mehr jung, die zwei übrigen kräftige hübsche Hausfrauen, Freiburger Schlags, aber in Donaueschingen durch Verehlichung mit fürstlichen Beamten heimisch geworden.

Ob nun der Stadt oder dem Lande angehörig – die Frauen bildeten einen vertraulichen Zirkel, und konnten sich recht wohl leiden, wie es Badegästinnen gut ansteht. – Und so saßen sie denn – bis auf Eine – [5] eines Nachmittags in dem Gartenhäuschen – der Kaffee war just getrunken, die Sonne schien draußen so warm, dagegen war's in dem Stübchen so kühl – den Frauen sammt und sonders war so wohlig, so behaglich zu Muthe ... sie plauderten und plapperten durcheinander, als ob dieselbe Schule sie großgezogen, als ob eine lebenslange Freundschaft sie verbunden. Vom Wetter, vom Bade, vom Spaziergang, vom fernen elterlichen oder ehelichen Hause, von empfangenen und noch zu hoffenden Besuchen war die Rede. Dazwischen gaukelten Erzählungen vom fürstlichen Hofleben in der Nachbarschaft, von diesen und jenen Familien- und Privatverhältnissen, Lob und Tadel von Abwesenden, wie dem so in Unterhaltungen der Frauen (und der Männer?) Brauch ist. Immer aber kam man zurück auf das Leben im Bädchen, und was davon noch zu hoffen, zu erwarten.

»Ihr Vater bleibt doch lange aus, Fräulein Mathilde?« fragte die Räthin von Donaueschingen die schöne Freiburgerin an ihrer Seite.

Mathilde antwortete hierauf lächelnd: »Ja wohl; die Schwestern, ich und die Tante warten hier auf seine Ankunft schon ein paar Tage länger, als wir gedacht. Doch dient zu Vaters Entschuldigung, daß er ja gar nicht weiß, daß wir ihm hier wegelagern ... und endlich: die Zögerung ist uns nur zur Hälfte unangenehm, da wir uns hier in so schöner Natur, in so lieber Gesellschaft befinden. Nicht wahr, Cornelie? nicht wahr, Kathrinchen? nicht wahr, liebe Tante?«

Die Schwestern Cornelie und Katharine nickten lebhaft. Etwas bedächtiger und aristokratischer that desgleichen die Tante, ein adeliches Fräulein von gesetztern Jahren.

[6] Dagegen verneigten sich die andern Frauen um des Kompliments willen, und Kunegund flüsterte dem Annele in die Ohren: Wahr muß es sein: die Weiber aus der Stadt können artlich reden, wenn's ihnen eben drum ist. So weit bringen wir's auf'm Lande nicht.

Annele erröthete, antwortend leise, wie gefragt worden war: Sie sind auch weit schöner, als wir auf'm Dorf! – Worauf Kunegund die Nase leicht rümpfte, und mit einem kritischen »Hm, hm!« aufwartete.

Indessen sprach die Assessorin: Ihre werthe Gegenwart, liebe Landsmänninnen von Freiburg, hat auch zur Verlängerung unsers Aufenthalts beigetragen. Ich wollte schon vorgestern nach Hause.

Auch ich; bemerkte die Räthin: ich habe bereits vierzehn Tage hier verbadet und verträumt.

Aber Ihre Gesellschaft, fuhr die Assessorin fort, den Freiburger Schwestern nach der Reihe die Hand drückend, hat gemacht, daß ich meinem Mann um Verlängerung des Urlaubs geschrieben ...

Daß ich – schaltete die Räthin ein – dem meinigen sagen ließ, er möge mich erst am Sonntag abholen. Er wird sich nichts daraus machen, weil er um so ungestörter hinter seinen Zeitungen bleiben kann.

Just wie der Meinige! rief die Assessorin: seit einem halben Jahr treiben's die Herren nur zu arg mit der gedruckten Politik.

Nur seit einem Jahr? fragte Fräulein Tante: da ist's bei uns zu Freiburg schlimmer; da geht's im Museum schon seit manchem Jahre so. Mein Schwager – ist's nicht wahr, ihr Kinder? radotirt er nicht schon seit einer Ewigkeit bald von der orientalischen Frage, bald vom freien deutschen Rhein? dann wieder von dem [7] Louis Philippe, und wie lange der's noch treiben kann? und von den Webern in Schlesien, und vom Ministerium zu Karlsruhe, und Gott weiß, von was Allem?

Ei ja! seufzte Mathilde. Ja wohl! nickte Kathrinchen. 's ist wahr; sagte Cornelie: ich lobe den Papa darum. Er thut nur zu wenig in der Sache. Man muß doch wissen, wie's in der Welt aussieht, und nicht umsonst sind die Blätter da, entstehen täglich neue. Fortschritt muß sein.

Die Seeblätter sind eine schöne Zeitung; stimmte Kunegund lebhaft bei: ich lese sie meinem Alten bei'm Licht vor, und das Frankfurter Journal haben wir auch vom Ochsenwirth. Und ich bin, seitdem ich's lese, viel gescheidter worden. Fortschritt muß sein.

Nun, in Gottesnamen; meinte die Räthin: indessen bin ich froh, daß unser Badwirth nur alle sieben Wochen ein Blatt in's Haus bekommt. Das gehört zu den Annehmlichkeiten, die mich schon seit manchem Sommer in seine Anstalt locken.

Ach, es ist hier überhaupt so schön! rief Annele: ich fürchte mich auf den Tag, da mein Vater kommen wird, mich hinwegzuführen.

Bald geht's uns eben so; versetzte Katharinchen unbefangen: so wie Papa kömmt, so ist die Herrlichkeit vorbei.

Ei ja, warum nicht gar? fuhr die Räthin lustig auf: Nicht doch; wir wollen uns verschwören, meine Damen, und den Papa Hinterbein so lang bestürmen und anbetteln, bis er selber ein paar Tage zugibt, und mit seinen lieben Angehörigen hier bleibt. So viel ich weiß, hat er ohnehin ein paar Geschäftlein auf dem Hammer, sonst käme er nicht dieses Wegs aus der Schweiz daher. Dann fesselt ihn auch die Dankbarkeit [8] an's Eisenbächle, wo er vor zehn oder zwölf Jahren seiner Gicht so ziemlich ledig wurde ...?

Ja doch, ja doch! sang der Chorus der Frauen nach: Hierbleiben, ein paar Tage hier verweilen!

Unsere Gesellschaft im Badhaus ist ja so arm an Mannsbildern! klagte Kunegund schelmisch. Und wo mag denn heute unser Herr stecken? fragte die Assessorin neugierig: seit der Mittagstafel hab' ich ihn mit keinem Aug' gesehen.

Ich nicht; ich auch nicht; wir alle nicht! versicherten die Genossinnen nacheinander. – Nur das Fräulein Tante sagte nichts, und warf dagegen einen melancholischen Blick dem Walde zu, der dem Sommerhäuschen gegenüber in voller Pracht die Halde hinansteigt.

In diesem Augenblick kam durch die gelben Massen von Rindenblumen dahergesprungen – nicht der Herr, von dem eben geredet worden, sondern ein Fräulein, die vierte Schwester der Familie Hinterbein, und ehe man die Hand umkehrt, stand sie mit vom Lauf erhitzten Wangen und mit hochathmender Brust an dem Kaffeetisch, vor den Frauen.

Cymbel! Cimbelchen! riefen ihr die Schwestern und die Tante entgegen: Woher so geschwind und athemlos? Was gibt's denn? Kommt der Vater, Cimbel?

Doch nicht! meldete Cimbeline und sank erschöpft auf einen Stuhl: Aber statt seiner sind vier fremde Herren angekommen; zweie vom Hammer her zu Fuß, zweie vom Höchst herunter zu Wagen, und eben begrüßen sie sich vor'm Hause, und schütteln sich die Hände und umarmen sich, und sind kreuzfidel. Ich denke, sie werden bald in den Garten kommen, und hab's Euch melden wollen, daß Ihr nicht erschreckt.

[9] Erschrecken? ha ha ha! warum denn erschrecken? lachten die Frauen ausgelassen. Nun ja doch; lachte ihnen Cimbeline dafür in's Gesicht: haben wir doch seit dreimal vierundzwanzig Stunden außer dem Badwirth und dem Doktor kein männlich Haupt gesehen! Und Einer ist unter den Fremden, der ist merkwürdig schön ... man möchte sich wahrlich halb und halb vor ihm fürchten.

Jetzt schlug die Neugierde wie ein Blitz in die kleine Weiberschaar. Die Fenster wurden nach dem Garten zu geöffnet, und die Jalousieen als Lauer- und Beobachtungsbarrikaden angezogen. Hinter einer jeden zwei oder drei Paar scharfe Augen; Cimbeline hinter ihren Schwestern auf die Zehen gestreckt – so erwarteten Mädchen und Frauen den Anmarsch der Fremden.

In der That blieben diese nicht lange aus. Paar und Paar, Arm in Arm traten sie aus dem Hause; Alle vier schlank gewachsen, in kräftiger Jugend, wenn schon zum Freien und Weiben hinlänglich alt. Cimbelchen hatte recht ausgesagt: Einer darunter, der längste zugleich, war der schönste; brünett mit Lockenhaar und krausem Vollbart, von eleganter Taille, mit sentimentalen Augen und blühweißen Zähnen gesegnet, und was denn weiter an Männern dem schönen Geschlecht gefällt.

Vor den Herren schritt der Badwirth, ihnen ein gutes Plätzchen anzuweisen. – »Belieben Sie, in's Sommerhäuschen einzutreten? Sie finden dort Gesellschaft: die Damen, die in jetziger Saison mein Haus beehren ...«

Der längste schönste Herr machte schon halbrechts, dem Häuschen zuzusteuern, und die aufpassenden Frauen [10] flogen – um den Schein der Unbefangenheit zu wahren, auf ihre Sitze zurück. Vergebens indessen; denn der korpulentere der Fremden, von dreistem Antlitz, Besitzer einer röthlichen Löwenmähne, that Einsprache. – Nichts da, Poppele; sprach er zum Schönen, der ihn am Arm führte: Keine Weiber jetzo, in dieser Stunde freudigen Wiedersehens. Auf Cerevis! ich habe mich lange Deiner nicht gefreut, Poppele, und will Dich ganz genießen, und den Stulpenstiefel da nicht minder. Nehmen wir daher unter jenem Schopf Lokal! –

Unter der Gallerie; verbesserte der Badwirth, auf das bescheidene von einfachsten Holzsäulen gestützte Dach zeigend.

Ich meine, sagte der Dritte im Bunde, ein unaussprechlich kalt aussehender blasser Mann mit vornehmen Zügen, daß unser Freund Jonathas Recht habe. Wie bald, und wir, die hier durch Schicksals Fügung unerwartet zusammengetroffen, gehen wieder hinaus, getrennt, in alle Welt? Lasset uns vorerst besprechen, was uns nöthig und gefällig. Wir finden dann schon vor der Abreise Zeit, die Damen zu verehren.

Bravo! rief der Vierte, ein ächtes vieldurchkreuztes leidenschaftliches Künstlergesicht. Bruder Fröschlein sagt's, und was er sagt, ist weise. Frisch, guter Wirth! bring' uns die Labung dorthin, wo die Bänke steh'n, die leeren, die Tische, die einsamen. In selbem Rütli laßt uns tagen!

Und so geschah's. Was man braucht zum traulichen Gesellenklatsch – ein dampfender Kaffee, qualmende fette Milch, und die heutzutage unvermeidliche Cigarre, weil kein Männerleben ohne diesen blauen Dunst – im Nu war Alles da, und das vierblättrige [11] Kleeblatt schwamm gleich auf hoher See des Gesammtsprachs, der mit Ernst, mit Scherz, mit Freundlichkeit und Witz durchwoben.

Der Zufall machte heut ein Meisterstück! rief Moritz – mit seinem Cerevisnamen »Jonathas« genannt: Er ist sonst nicht immer so gescheidt und liebenswürdig. Sag' an, Poppele, sag' an, Stulpenstiefel: Wie lange haben wir uns nicht gesehen, seit die Alma Mater Albertina uns in Freiburgs Mauern vereinigte ... und wie ist es Euch bis daher ergangen, und wohin geht Ihr jetzo, was erstrebt Ihr heute?

Friedrich, genannt der schöne Fritz, genannt Poppele, erwiederte: Ich für meinen Theil gehe in's Philisterium, ich strebe nach Karlsruhe, um dort meine Praktikantenwürde anzutreten. Das Ministerium, dem ich als Unterthäniger – und das auf Protektion, sonst wär's noch nicht gegangen, – zugetheilt wurde, kann nun einmal ohne mich nicht sein. Seit wir uns nicht gesehen, Jonathas, mögen wohl vier bis fünf Semester hingegangen sein ...?

Während deren sich mit mir viel verändert hat; fügte Raphael, der Stulpenstiefel, hinzu: Die Pandekten habe ich in die Rumpelkammer geworfen, den Wangerow an den Nagel gehängt; der Kunst hab' ich mich gewidmet, der dramatischen, göttlichen, auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Nach manchem Hin- und Herzug in den Staaten deutscher Nation, begleit' ich jetzo unsern Friedrich nach der Hauptstadt; will versuchen, ob nicht dort, ob nicht in Mannheim etwa ein Gastrollencyklus, eventuell ein Engagement herauszuzaubern sein möchte.

Um Gotteswillen! Raphael ein Theaterkünstler, ein [12] Gaukler ...! ich falle um und bin hin! schrie Moritz auf. – Aber sein Begleiter Alfred – Fröschlein geheißen – eine kalte nüchterne Natur, sprach: Nun, warum denn nicht? War denn Raphael je ein Brodstudent, ein Büffler, ein praktischer Kerl? Ich hab's vor vier Jahren schon voraus gesagt: Aus dem Raphael wird nichts, als – ein Künstler; vielleicht ein Akrobat, vielleicht 'was bessres ... und siehe: er ist also wirklich etwas besseres geworden! Freut mich, gratulire dazu, und wünsche eine heitere Zukunft ... wenn ich schon nicht recht daran glaube ...

O du lederner Mensch von Eis und Marmor! lachten Raphael und Friedrich. Alfred fuhr jedoch fort: Ledern hin, ledern her. Ich habe Euch Allen, und so hundert Komilitonen die Nativität gestellt, und Ihr werdet sehen, daß meine Vorhersagungen eintreffen müssen. Denn das Welt- und Menschenleben ist nicht des blinden Zufalls Werk, wie Ihr so gern euch überreden möchtet; – und auch der oberste Ordner der Schöpfung, der Geist, der über den Wassern schwebte, der Gott, den wir verehren, gibt sich gewiß nicht mit unsern Maulwurfsabenteuern ab, wie die Frommen meinen. Aber durch die Welt geht ein mathematisches Gesetz, dem alle Völker und Individuen anheimfallen, und nach solchem Gesetz prägt sich die Lebensmünze eines Jeden aus. Dieß zu begreifen muthe ich euch warmblütigen und in den innersten Nerven erregten Menschen nicht zu. Ich dagegen bin im Stande, jene unerbittliche Gewalt zu ermessen, die uns leitet und zwingt, je nachdem in uns der Keim gelegt worden. Denn in mir leben nicht die Sinne vor, und nicht das leichtzuschaukelnde Herz, und folglich nicht irgend [13] einer Begeisterung blendwerkender Taumel. Ich sehe, mit einem Wort, die Dinge, wie sie sind. Amen!

Stolzer Herold Deines Werths! spöttelte Raphael: Weiser Daniel, ich verstumme.

– So war der Alfred immer; bemerkte der schöne Fritz: aber beinahe möchte ich vorziehen, mit Blendwerken durch das Leben zu walzen, als so katzennüchtern durch das Paradies der Welt zu schreiten ...?

O ja, o ja, der Jugend lust'ge Hexenträume sind auch 'was werth! machte Moritz, in die Hände klatschend.

Worauf Alfred ruhig sagte: Ihr habt nicht ganz Unrecht. Träume süß, wer da kann, und finde sich dann lachend mit der Wirklichkeit ab, sobald der Traum zerronnen! Ich habe nichts dagegen; ja, ich sehe ein, daß mir der Freuden dieses Lebens Mehrzahl nicht beschieden. Ich habe Kritik getrieben von Kindsbeinen an; eine unbefangene Jugendlust hab' ich kaum gekannt. Nie ist mein Herzschlag aus dem Takt gekommen, nie habe ich begriffen, was Sehnsucht, was Liebe sei ... Ich bekenne diese Armuth. Doch muß es auch solche Käuze geben, wie ich einer bin, und da mir durch den Heimgang reicher Vettern die Mittel wurden, meine Wege ungestört zu wandeln, so hab' ich mich von allen Banden frei gemacht, und will rund um die Erde spazieren, ein-, zwei-, dreimal, je wie der Faden einhält, und ohne Lieb und ohne Leid Natur und Menschheit die Musterung passiren lassen. Vor der Hand denk' ich nach Italien den Wanderstab zu richten.

Ach du glücklicher Eiszapfen, seufzte Raphael. – Trockne Seele, so beneidenswerth! seufzte Friedrich, der dunkeln Kanzlei gedenkend, die seiner wartete.

Pah, was thut's, rief Moritz aus: Er wird zu [14] Lande und zur See dennoch überall der alte gute aber hölzerne Junge sein. Ich beneide ihn nicht, beneide Niemand überhaupt. Es gehe, wie es wolle ... am End' ist's Alles eins. Nur die Freundschaft lebe ewig hoch!

Sie lebe! klang es hell aus Aller Munde, und in Ermanglung der weinsprudelnden Humpen klirrten die Tassen an einander. –

Nun aber, hob dann Raphael an: da wir jetzt alle Drei gesagt, wohin wir ziehen und was wir erstreben – Jonathas, Moritzlein, willst du allein der Neugier unzugänglich seyn? Was du gelebt, was du gelitten, welche Preise du glücklich erstritten, – o sag' es geschwinde, wir bitten!

Himmlische Mächte! was kann man da sagen? antwortete nach kurzer Pause der Befragte, mit einem Lächeln, frevelnd und bitter zugleich.

Nun, nun? wo hapert's, wo hängt's? Heraus damit! riefen Friedrich und Raphael. – Ihr sollt gleich im Klaren seyn! – Also trat Alfred in's Mittel: erinnert Ihr Euch nicht mehr –? es war im Jahre vierundvierzig ... wir hielten in Freiburg im »Kopf« ein kleines Weihnacht-, zugleich Abschiedsschmäuslein, und Jonathas war nicht dabei, von wegen eines Katzenjammers, der ...

Aha! ja, ja! wir erinnern uns!

Nun denn: sagt' ich nicht dazumal: der Jonathas ist nicht zum Lernen, sondern nur zum Genießen auf der Welt? der Jonathas wird noch manches Semester nach uns zu Freiburg verkneipen, und es wird ihm sogar das strengste Ochsen zur Zeit der Noth nicht helfen?

[15] Ja wohl, ja wohl; das sagtest du!

Und was ich prophezeit, ist eingetroffen. Vier volle Semester und noch der Wochen etzliche hat Jonathas uns nachstudirt ... die Zeit des Ochsens, die schreckliche Zeit des Examens kam, und siehe: Jonathas hat nicht die Probe gehalten ...

Ist durchgefallen, solenn durchgefallen! bestätigte der Märtyrer selber: ich komme just vom Durchfall her, und wahrlich nicht zum zweitenmale werd' ich im Kampf mich stellen, wo die Hinterlist der Inquisitoren mit der Arglosigkeit des schüchternen Jünglings den teuflischen Streit ausficht. Nichts da! Pah! was thut's? Ich gehe jetzo, meine Beine unter Vaters Tisch zu strecken, will ein Bauer werden oder ein Handschuhmacher oder so was dergleichen, oder gar nichts, was mir das liebste wäre, wenn ich nur, wie Fröschlein, einen oder ein paar Vettern hätte, reich und im Begriff, zu meinen Gunsten heimzugehen!

Ei, nur nicht den Muth verloren! tröstete Raphael: es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen! Den Examinatoren wird's schon noch heimkommen. Ist mir's doch schier auch nicht besser gegangen, als dem Jonathas, und eben darum ...

Und eben darum lebe hoch die Freiheit! ergänzte Moritz jubelnd.

Und die Kunst ...! – fiel Raphael bei.

Und eines angenehmen Daseyns schöne Gewohnheit! that der schöne Friederich hinzu.

Vor allem die Wahrheit, die unbestechliche, und die Wirklichkeit! schloß Alfred mit olympischer Ruhe. – –

Indessen schaute durch die Fenster des Speisezimmers ein Mann in den Garten, und er sah und hörte [16] die Freunde scherzen und lachen, und auf seinem Antlitz malte sich hohes, ja unwilliges Staunen. – Was sind das für Leute? fragte er den Badwirth, der aus seinem Schreibkämmerchen trat: Woher? Wohin? Bleibende Gäste, oder – was Gott wolle – Passanten?

Die spitzige Nase des Fragers wurde noch spitziger, seine blaßgelbliche Gesichtsfarbe noch gelblicher, noch blässer.

Aber der Badwirth goß Balsam auf des Herrn ängstlich erregtes Gemüth, indem er sagte: Bleiben nicht einmal über Nacht, gehen heut noch weiter.

Ah so! athmete der Herr leichter auf, und ihm wurde wieder bequemer in seinem grauen Ueberrock: So will ich denn meinen Spaziergang, den ich für beendigt angesehen, noch eine Strecke fortsetzen, und wiederkehren, wann die Luft hier rein seyn wird.

Somit nahm er zwei Bücher und ein Portefeuille, die er unter'm Arm getragen, fester zusammen, stülpte den Hut auf, und machte sich auf den Rückzug. Unter der Thüre aber drehte er sich noch einmal ... – »Die Damen ...?« fragte er schüchtern.

Befinden sich sämmtlich im Sommerhäuschen, zu dienen; versetzte der Wirth.

Mich wundert's, aber ich lobe sie deshalb; meinte der grauröckige Herr, verstohlen auf die jungen Herren deutend: Besser wär's indessen, wenn sie den ungebetenen Fremdlingen ganz aus dem Wege gingen, da man heutzutage nicht wissen kann ...

Behüte, behüte, Herr Doktor. Die Herren und die Damen haben sich nicht um einander bekümmert. Alle hübsch apart ... jeder Theil für sich, wie sich's schickt.

[17] Amen! sagte der Doktor hierauf sehr erleichtert, und verschwand aus der Stube, um ein paar Minuten darauf am jenseits liegenden Waldrand wieder sichtbar zu werden, in seinen Büchern blätternd, und über jede Baumwurzel stolpernd. –

Sieh, sieh doch: unser Herr geht drüben botanisiren! bemerkte die Räthin, die einen Blick nach dem Walde entsendet hatte. – Und Tante Laura sah ebenfalls hinüber, und in ihren Augen ging etwas wie Wohlgefallen und Befriedigung auf.

Der gute Herr sind so fleißig! antwortete sie: Immerdar hinter seinen Büchern, immerdar einsam seine Wege gehend ...! er muß ein großer Gelehrter seyn, und wäre gewiß schon hundertmal Professor geworden, wenn er nur gewollt hätte.

So, so? Hat also Vermögen, wie's scheint? machte die Räthin.

Sicherlich; – mein Schwager hat schon davon und zwar sehr beifällig geredet; versetzte die Tante nicht minder wohlgefällig. Der Doktor wohnt in unsrer Nachbarschaft, und wird sehr belobt um seines höchst regelmäßigen Lebenswandels willen.

Verheirathet, oder noch ledig? – Hm, hm, bis dato noch ein Junggeselle!

Die Tante ließ ihr Schnupftuch fallen, und bückte sich schnell darnach, um einen Vorwand für die dunkle Röthe zu haben, die plötzlich ihre Wangen überfuhr.

Die übrigen Frauen kicherten in diesem Moment sammt und sonders schelmisch auf, doch galt das Kichern nicht der Tante, sondern einer der Nichten, der muntern Cimbeline, die eben gesagt hatte: Und ich kann mir nicht helfen: der schöne Mensch da drüben ... [18] wenn ich mich zu verlieben, wenn ich zu heirathen hätte ... der schöne Mensch dort drüben müßte es sein!

Aber, Cymbeline! ermahnte Mathilde, warnend wie eine strenge Mama.

Du bist weiter nicht wählig, lächelte Cornelie. – Sag' ihm's lieber gleich selber! spottete Kathrine.

Die Assessorin drohte nur mit dem Finger; Annele flüsterte in das Tuch, das sich auf ihrem Mieder bauschte: Die wahre Lieb' ist stumm! – Aber Kunegund, nach ihrer Art, gab's nicht so wohlfeil, sondern sie sagte nicht ohne Anzüglichkeit: Eija! Bei dem Handel müßten ihrer Zwei sein! 's paßt eben doch nur gleich und gleich zusammen, Fräulein Zimberle!

Cymbeline, die, obgleich die Aelteste unter den Nichten der Tante Laura, dennoch die kleinste, weil im Wachsthum sehr zurückgeblieben, und von der Natur mit einer etwas hohen Schulter stiefmütterlichst bedacht, wendete ihr wahrhaft engelschönes Angesicht der boshaften Kunegund zu, lächelte aber dabei auch wie ein milder Engel, und sagte ruhig: Weil ich ein kleines buckliches Krüppele bin – darf ich darum nicht schön finden, was in der That schön ist? Nicht loben, was mir gefällt? Ich will glauben, daß der hübsche junge Herr dort drüben mir wenig Aufmerksamkeit schenken würde, – aber deshalb würde er mich doch nicht hindern können, ihn von Herzen, recht von Herzen, über Alles zu lieben, wenn mir's das Herz also beföhle ...! Amen, Frau Kunegund, und nichts für ungut! –

Seltsamerweise fand die Frau des Meyer-Thoma, die beredte Zunge, keine Antwort auf die so rührend hingesagten Worte der seelenguten Cymbeline. Dafür aber antwortete die Stimme eines eintretenden Mannes [19] wie ein Echo: Nichts für ungut! Und dann: Ihr Frauen bei einander, guten Tag! Grüß Gott, Frau Mutter!

Der grüßende Redner und Ankömmling war ein junger Bursche in der Tracht des Waldes, sonntäglich aufgestutzt, ein recht hübsches Mannsbild, wiewohl nicht ohne jenen schlauen Zug um Mund und Augen, der den pfiffigen Schwarzwälder auszeichnet. – Sein Gruß galt zunächst der Frau des Metzger-Thoma von Heurlingen, die freundlich, doch überrascht entgegnete: Dank Gott, Lenhard. Wie kommst du daher ... was willst denn du hier?

Lenhard, der seinen Hut verlegen hin und herdrehte in den Händen, und seine Blicke unstät bald am Boden kriechen, bald links und rechts marschiren ließ, sagte hierauf: Drum hat mir der Vater befohlen, Euch mit dem Wägele nach Haus zu holen ... weil ihm nicht recht ist im Leib ...; er wär' freilich gern selber gekommen, aber drum hat der Lorenz sich das Bein verfallen, und muß im Bett liegen, und der Vater hat Euch darum nöthig, Frau Mutter.

So, so! versetzte Kunegund nach kurzem stutzigem Schweigen: Der Mann und der Knecht haben eben wieder ungeschicktes Zeug angerichtet, und ich muß es jetzt haben! Lieber Lenhard, heut' machst du mir wenig Freude ... aber, was sein muß, muß halt sein. Ich will geh'n, mein Bündel machen.

Sobald das Roß abgefüttert, können wir fahren; bemerkte Lenhard.

So muß ich denn schon heut von den Frauen Abschied nehmen; – sagte Kunegund zögernd aufstehend: 's thut mir gar zu leid, aber ich kann einmal nicht anders ...

[20] Nun gab's einen allgemeinen Aufstand. Die Frauen sammelten sich plaudernd im Kreis um die so plötzlich scheidende Gefährtin. Nur Annele blieb, gleichsam in sich verloren, im Winkel sitzen, und Kunegundens Stiefsohn Lenhard regte sich auch nicht von seinem Plätzchen; – das war nahe, sehr nahe bei Annele – und unter'm Geräusch, das die übrigen Weiber machten, redeten die Beiden miteinander mit Mund und Augen ... wenig, und doch so viel! – Niemand beobachtete sie, Niemand belauschte sie, und ein paar Minuten sind eine lange Frist, wenn man sie zu benützen weiß.

Um so lästiger und zudringlicher war die Unterbrechung, die auf einmal den stillen Zweisprach störte. Kunegund drehte sich wie eine Schlange aus den Reihen der bedauernden und abschiednehmenden Weiber, und stand im Nu mit seltsam funkelnden Augen vor dem aufschreckenden Annele. – Nun? fragte sie spitz: Du sitzest da so bequem und wie angewachsen, Annele? Nun, meine neue Badfreundin, du hörst und siehst ja nicht? Willst du nicht mit hinaufkommen, und mir helfen, meine Siebensachen zusammenzuräumen? Weil unsere Alten nicht gut zusammenstehen, sollen wir uns feindlich verlassen, nachdem wir kaum erst Freunde geworden?

Mein Gott, gar gern will ich helfen; ... stammelte das Mädchen verlegen, und stand auf. Indessen aber hatte Kunegund bereits zum Stiefsohn,. ihn und Annele mit giftigen Blicken beäugelnd, gesagt: Mach' voran, Lenhard, schleune dich! In einer Minute sind wir fertig, hat das Rößle gefressen, und fort wollen wir ohne Aufenthalt! Mach' voran zum Stall, und wohin du gehörst!

Lenhard mit einem verkniffenen Lächeln drehte sich [21] zur Thüre hinaus. Kunegund, da er fort, zog das Annele etwas unsanft am Arme mit sich hinweg, – und, die Scheidende zu begleiten, und sich eine kleine Veränderung zu machen, folgte die ganze im Sommerhäuschen versammelte weibliche Welt. – –

Dieser Ausfall, lebhaft und unversehens ausgeführt, brachte die Köpfe und die Unterhaltung der vier jungen Herren alsobald in andere Richtung. Angenehm überrascht von den mancherlei hübschen Gesichtern – sie hatten sich unter dem Zirkel im Sommerhäuschen eine Altweibergesellschaft vorgestellt – sprangen sie von ihren Sitzen empor, und machten ihr Kompliment, das von den Stadtdamen sehr frostig und steif, von den Wälderinnen hingegen mit leutseligem Kopfnicken erwiedert wurde. –

Der schöne Fritz aber war angeregter, als seine Kameraden. »Potz Tausend, da seh' ich ja Bekannte!« rief er halblaut, und segelte ohne Umstände mit geschwinden Sprüngen dem Zuge nach, den er an der Thüre des Speisezimmers erreichte, und mit neuen Bücklingen und mit geschmeidiger Anrede aufzuhalten suchte. – Das gelang ihm jedoch nur bei der Tante Laura, während die übrigen Frauen sich im Innern des Hauses verloren.

Der »Stulpenstiefel« sagte indessen: So werden wir doch vernehmen, wen eigentlich wir die Ehre zu begrüßen hatten. Der Poppele ist eben überall daheim, wo es Weiber gibt. Was mich betrifft, so hab' ich unter den jungen ein lieb Geschöpfchen mit kastanienbraunem Lockenhaar bemerkt, das mir nicht übel gefiele ...

Worauf Moritz-Jonathas: Mir begegnete ein Blick [22] aus Feueraugen ... Blitzesstrahl aus prächtigdunkler Nacht!

Und Alfred-Fröschlein, sich breit und kalt wieder hinsetzend: Auch mir ist ein hehres, ein vornehmes Antlitz aufgefallen. Wenn ich auf's Verlieben eingerichtet wäre ...! – Gähnend schwieg er.

Der schöne Friedrich kam höchst gelenk und munter zu seinen Freunden zurück.

Das mathematische Gesetz, das, nach Alfreds Behauptung, regierend durch die Welt geht, thut heute Wunder auf Wunder; sagte er: Nicht nur haben wir uns mirakulos hier zusammengefunden – sondern mir in specie gewährt obiger Mathematikus eines glücklichen Tages Erneuerung. O, es war ein schöner Tag, jener zu Badenweiler – jetzt wird's bald ein Jahr sein – da mir das Glück wurde, die Familie Hinterbein dort kennen zu lernen ...!

Ha ha ha! Hinterbein! köstlicher Name! lachten die Kameraden durcheinander, wie sehr auch Fritz bemüht war, zu dämpfen und zu vertuschen.

– – Nu nu, fuhr er, da es stille wurde, fort: Was gibt's da zu lachen? Thut der Name etwas zur Sache? So nennt also meinetwegen den Papa Hinterbein »Plantageur« wie er zu Freiburg hieß oder noch heißt, wenn man sich mit ihm einen gnädigen Spaß machen will. Von Profession eigentlichst ein Hechinger. sodann ein Jawaner oder Surinamer, hat er lange in Zucker und Kaffee produzirt und gemacht, und tausend Haushaltungen in Europa das Frühstück und den Vespertrunk besorgt. Dann hat er sich – noch ein Hagestolz – zu Freiburg niedergelassen, geheirathet und so weiter, ist der Vater von etlichen – ich glaube vier [23] – Kindern schönsten Geschlechts. Wittwer geworden, hat er zum Bemuttern der Töchter und des Hauses seine Schwägerin gewonnen: das Fräulein von Wildian, mit der ich eben die Ehre zu reden gehabt ...

All' gut! fuhr Moritz dazwischen: allen Respekt vor Tanten und adelichen Fräuleins ... aber hier soll von den Töchtern die Rede sein ...?

Stulpenstiefel fiel dem Jonathas bei: Recht hat dieser Mann, und ich rathe, die Bekanntschaft möge nicht so intim – oder dick, auf deutsch – gewesen sein, da nur die Tante sich von dir festhalten ließ, während die Nichten, ohne dir 'nen Blick zu schenken, vorübergleiteten.

Alfred nickte.So ist's; der Poppele schneidet auf. Rennomage, das mit den Hintergebeinen.

In der That war Friedrich etwas betreten, etwas roth geworden. Auf seiner Stiefel Spitzen niederschauend sagte er: Ein Faktum, daß ich der Tante vorgestellt worden bin ... mit den jungen Damen hatt' ich damals nicht Gelegenheit ... weil ... indem ... nur kurz herausgesagt: ich war damals nicht allein gen Badenweiler gefahren ... ich war einer artigen Frau Begleiter ... nun, Ihr erlaubt mir wohl die Details ... genug, daß ich gefesselt war, und mich nicht bewegen konnte, wie ich wollte; sonst wär' ich allerdings mit Hinterbeins intim geworden. Auch glaub' ich schwerlich, von den Nichten nicht bemerkt worden zu sein – ich werde überall von den Damen bemerkt – und wenn sie heute fremd und kalt gethan, so ist's eben nur Freiburger Mode, wie wir wissen.

Ei, du Prahlhans! rief Stulpenstiefel-Raphael: Tag [24]täglich – auf mein Wort – verspeist der Poppele ein Dutzend Weiberherzen!

… Heißt nicht umsonst der schöne Fritz! fügte Moritz bei.

Ei! entgegnete mit allem Eifer der Angegriffene: Schönheit ist eine Gabe Gottes, und ich will wuchern mit meinem Pfunde. Ihr werdet sehen, daß ich nicht der Letzte bin, wenn's gilt, durch Weiber sein Glück zu machen. Was Direktoren, was Minister und Fürsten! Das Weib regiert die Welt ...

Und der schöne Fritz regiert das Weib! lachte Moritz ausgelassen hinein: das ist die alte Geschichte! – Aber – wieder auf die Familie Hinterbein zu kommen ... machte der Stulpenstiefel neugierig; der Neugierigste unter Allen.

Ausreden lassen, ausreden lassen! ermahnte der kühle Alfred. – Und Fritz-Poppele redete auch wirklich unbehindert weiter: Schon meine Mutter hat gesagt, (und sie war eine gescheidte Frau, meine Mutter): Fritz, mein Fritz, hat sie gesagt: Du bist ein schöner Junge ... sorge für dein Aeußeres, denn nur darauf kommt's an in dieser Welt. Die Weiber regieren die Erde – gefalle ihnen, und die Erde ist dein! – Nun will ich in Wahrheit das Mutterwort erproben. Es ist viel daran ... schon unsre frühesten Vorfahren auf dieser Weltkugel sind der Ansicht gewesen. Darum ist auch in aller Völker Munde dasjenige, was regiert, weiblichen Geschlechts: die Monarchie ...

Raphael, einfallend: Die Kunst ...!

Alfred: Die Kirche ...!

Die Republik! platzte Moritz nach, und schwenkte seine Mütze. – Auch Raphael lüftete die seinige.

[25] Still, still, bei der Stange geblieben! befahl Alfred. Dann sagte er zu Friedrich: Mach ein Ende, wenn du noch was zu sagen hast. Ich kann die politischen Stichwörter nicht leiden. Eitel Phantasterei. Lieber noch 'was von Hinterbein und den Seinigen, die du also im Grunde nicht kennen gelernt hast, Poppele.

Nun, ich will's gestehen; entgegnete Fritz: ich kannte nur das Fräulein Tante, aus Gründen, die ich angegeben – aber, wenn's Euch genehm wäre, so könnten wir den Damen folgen – und heute kennen lernen, was mir in Badenweiler unbekannt geblieben ...?

Recht, recht; Allons enfans de la patrie ...! sang Raphael, dem aus dem Herzen geredet worden. Doch Alfred und Moritz, die Praktischen des kleinen Bundes, protestirten: Nicht doch, nicht doch! Wir müssen noch heute bis gen Wolterdingen, woselbst uns Freunde aus der Baar zu Roß und Wagen erwarten. Unser Kutscher hat schon das Zeichen gegeben, daß er fertig und somit ...

Wahrlich; setzte der dramatische Künstler bei: auch uns, lieber Poppele, thut Eile noth. Von hier nach Neustadt per pedes ist weit genug – die Nacht kurz – der Eilwagen, der uns aufzunehmen hat, in grauer Frühstunde bereits vorhanden ... (Die Musen schlafen gern ein bischen lang.)

Zudem ... wenn ich nicht irre, zieht dort die Schaar der Weiber am Rand des Tannenhains hinan, unsre Nähe und Gesellschaft schnöde verschmähend? bemerkte Alfred – und Alle, die mit ihren Augen der Richtung seines Fingers folgten, bemerkten dasselbe. – Die Damen waren richtig ausspaziert, und grüßten von der grünen Höhe herunter die auf der Land [26]straße dahinrollende Kunegund mit wehenden Taschentüchern.

Es ist, als ob sie uns ein Lebewohl zuwedelten! spaßte Moritz, und erwiederte auf seine Faust das Zeichen. Indessen kam der Badwirth, berichtend, daß der Kutscher der beiden Herren in Bereitschaft ...

Nun, so wollen auch Wir unser Räppchen laufen lassen, rief Friedrich muthig und stand auf.

Halt da! rief aber auch Moritz aufstehend, schnitt ein paar Reverenzen gegen seine Kameraden und fuhr fort: Ich hätte eine Motion vorzutragen.

Rede zu, rede zu! scholl das Echo wieder. »Indessen, guter Wirth, besorge uns die Rechnung, und sage uns, wie viel der Töchter Hinterbein ...?« Also fragte Moritz vorläufig.

Vier Fräulein, zu dienen; versetzte der Badwirth, und entfernte sich auf einen Wink des Moritz, um wirklich und gehorsamst die Rechnung zu besorgen.

Ihrer sind vier, unser sind vier – hob Moritz mit parlamentarischem Schwung ... und für die vier Damen, und für uns vier junge Herren hab' ich gefunden, was uns noth thäte. Nicht umsonst, meine Freunde, hat uns das gute Glück in dieses stille Waldnest geführt, und in die Nähe der schönen Frauenwelt allda. Ich schlage vor, daß wir über's Jahr in Freiburg uns zusammenfinden, und den fraglichen Fräuleins den größten Gefallen erzeigen; einen ächten Ritterdienst. Wir wollen sie nämlich – kurz gesagt – heirathen, da sie schön und reich, und ihnen allen auf einmal den gräulichen Namen abnehmen auf immerdar, der ihnen in der Wiege geworden. He? Vivant die Hochzeiten! Pereat der Name Hinterbein?

[27] Vivant! pereat! machten die Andern in fröhlichem Uebermuth mit, und klangen mit den Gläsern an. Diesmal war auf Alfreds Zeichen eine Flasche Wein zur Hand.

's soll gelten! scherzte Friedrich – wenn ich nur bis über's Jahr nicht schon eine Gräfin oder Prinzessin habe heirathen müssen? Auch kenne ich ja in Gottesnamen die Dämchen noch nicht, weiß nicht, was sie leisten mögen in puncto Schönheit und Talente ...?

Das findet sich! schrie Stulpenstiefel, und über den Tag zu Freiburg einigen wir uns noch. Wir wollen korrespondiren ...

Uns nicht mehr aus den Augen verlieren! sagte Moritz.

Uns für die Damen »Hinterbein« fanatisiren! rief wiederum Raphael: Das gibt einen gottvollen Spaß! Und wenn ich in Moskau Engagement hätte, zuvörderst käme ich zum Freiburger Vermählungstag. Ich habe schon die Meinige! – Dann zu dem Wirth, der eben wiederkehrte: Wie heißt die Schöne mit dem braunen Lockenhaare? – Fräulein Kathrine, zu dienen. – Bon; also Katharine, die Gemüthliche.

Und die Schöne mit den Feueraugen? fragte Moritz. – Fräulein Cornelia; zu dienen. – Bon; also Cornelia, die Ueberwältigende.

Und die Schlanke mit dem adeligen Gesichte? fragte Alfred ruhig. – Fräulein Mathilde, zu dienen.– – Très bien; also Mathilde, die » comme il faut

Nun, nun ... wer bleibt denn da für mich übrig? fragte Friedrich lustig. – Ei nun, die Vierte! sang der Chor der Andern: Wie heißt sie, guter Wirth?

Und lächelnd erwiederte der Badwirth: Fräulein [28] Cymbeline, zu dienen, – Wie? was? Cymbeline? ja, bei Gott, keine Andere ...! dieser Name ... bon, bon, trois fois bon, Cymbeline, die Romantische!

Die Shakespearesche, die aber im Grunde, wenn ich mich recht entsinne, ein Mannsbild und zwar ein brittischer König war! jubelte der Stulpenstiefel, und alle Vier faßten sich bei den Händen, und tanzten eine kuriose Ronda um den Tisch, dabei singend: »Poppele und Cymbeline! Cymbelin' und Poppele!«

Die Herren sind einmal lustig! sagte der Wirth, in's Haus tretend, zu seiner wackern Lisabeth: Dergleichen sollten wir vier Wochen da im Bädle haben! Das sollte den Damen gefallen!!

Und während dessen hatten sich die Freunde umarmt, geküßt, einander die Hände geschüttelt, und »glückliche Reise« gewünscht. – Mit Gott! Glück auf! Macht's gut! waren ihre letzten Worte, und dann pilgerten dem Höchst zu der Künstler und der Ministerialpraktikant, und dem Hammer zu auf leichten Rädern flogen der künftige Weltumsegler und der durch's Examen Gefallene.

Ihnen begegnete halbwegs zwischen Bad und Hammer eine schwere Kutsche, darinnen ein schwerer, eingeduselter Mann. – Just so stell' ich mir den Papa Hinterbein vor; sagte Moritz zu Alfred, der hierauf entgegnete: Eine Natur von Thon und Schmergel. Fahr' zu, Kutscher!

In der That hatte Moritz den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Mann war allerdings Papa Hinterbein. Aber mit der »Natur von Thon und Schmergel«, die ihm der absprechende Alfred zugewiesen, hatte es gar nicht seine Richtigkeit Der Mann war freilich nicht übel korpulent; dafür konnte er jedoch nicht. Er ge [29]hörte ferner auch nicht mehr zum jungen Deutschland, sondern schon seit einer guten Weile zum alten; – dafür konnte er wieder nicht. Indessen war er lebig und rührig genug, sobald es sich um seine Interessen, um seine Ruhe und Bequemlichkeit handelte. Er bewegte sich nur in längstgewohnten Geleisen; aber aus diesen ließ er sich gar nicht so leicht herausbringen. Mit Klaue und Zähnen wehrte er sich um seinen Frieden, um seine Behaglichkeit, und was damit zusammenhing. – Er war, was man so im Allgemeinen einen guten Hausvater nennt; er liebte seine Kinder beinahe so sehr als sein eigenes Ich, und – ein Beweis dafür: so gern er auf der Reise, und allein in seiner Kutsche, schläfelte und doste, so hätte er sich doch um keinen Preis, da er vom Hammer gen dem Eisenbächle fuhr, dem Einduseln so vollständig hingegeben, wenn er nur von weitem geahnt hätte, daß seine Töchter und seine Schwägerin bei Händen, um ihn zu überrumpeln, zu überraschen, gleichsam gefangen zu nehmen.

Wie grell, ja schreckhaft mußte daher sein Erwachen sein, als in der Nähe des abenteuerlichen Wirthshauses zum »schwarzen Kreuz« (eine unheimliche Firma) – dort wo der Wald, der längs der Straße zieht, zurückweicht – ein Mordgeschrei von klaren und gellenden Stimmen losbrach, und mit »Halt da!« »Das ist er!« »Halt, Kutscher!« und so weiter sein Fuhrwerk zum Stehen brachte! – »Was gibt's? mein Geld! mein Geld! Bartholmä, wehre Dich!« Mit diesem Angstruf flog der Papa aus seinem Dusel auf, griff nach seinem gutbeschwerten Reisesack, und rieb sich die Augen, um die klarstimmigen Gaudiebe auch zu sehen, die ihn da, aufhielten.

[30] Aber schon hatten sie den Wagen erklettert, schon drangen sie zum Schlaftrunknen ein, und gefesselt und gebunden fühlte er sich im Nu von weichen Händen, von weichen Armen, und manch ein Kuß von den Lippen der Wegelagernden fiel auf seine Stirn, seine Augen, seinen Mund, ehe er nur sich recht verwußte, und den rechten Humor der unverhofften Razzia erkannte. – Als dieses aber endlich geschehen, ging ihm ein Stück Himmel in seiner Kutsche auf, und mit wohlwollenden Backenstreichlein, und mit leutseligem: »O ihr Spitzbuben, o ihr Generalspitzbübinnen!« begrüßte er sodann die Freibeuter, die lachend, schreiend und ausgelassen schäckernd ihn im Triumph an's Bädle brachten, ihm erklärend, daß er als Pfand und Geißel zu bleiben habe, so lang es ihnen belieben würde. –

»Den Streich hat gewiß die Cymbel ausgeheckt!« sprach Papa, da er, von seinen vier Töchtern gehalten und getragen, abgeladen worden war: »Mich dergestalt zu erschrecken und in's Bockshorn zu jagen! Ist das erlaubt? Jedoch – was einmal ist, das ist. Seid mir willkommen, ihr Hexen und Waldstrolchinnen! Ah! gehorsamer Diener, liebe Schwägerin! Auch da? Und siehe: die Frau Assessorin ... und auch die Frau Räthin ...? Diener, Diener! Und – potz Blitz – auch der Herr Doktor ...? Wahrhaftig, Doktor, Doktor Faust, – was machen Sie bei dem weiblichen Landsturm da? Nun, da hätt' ich mir doch des Himmels Einsturz eher vermuthet! Grüß Gott alle zumal ... freut mich, freut mich! Sieh, sieh, der Badwirth lebt auch noch? Und die brave Lisabeth ... und die wunderliche Köchin vom Bädle ...! alle, alle da! Nun, das laß' ich mir gefallen, und wir wollen fidel [31] sein, lustig sein ... ich habe Durst und Appetit, daß es ein Graus, ein Elend und Erbarmen!«

Der fröhliche Zug ging in den Garten, in das Hauptquartier zurück, und Hinterbeins Augen begrüßten freudig die wohlbekannten Sonnenblumen in ihrer Pracht, die so goldig blitzten durch die anhebende Dämmerung des weichen Sommerabends. Denn auch auf dem Schwarzwalde gibt's dann und wann italienische Nächte von wundersamer Milde, wo noch einmal so traulich der Wald flüstert, noch einmal so lustig das »Heumichele« grillt, bis der Mond herauskommt, Berg und Thal mit seinem Silber zu schmücken und in feierliche Stille zu versenken.

Auch zur Quelle, die ihm einst von seinen Schmerzen geholfen, grüßte der Papa hinunter; ein Kompliment machte er der »Gallerie«, die der grobe Moritz einen »Schopf« gescholten. »Wie manche Tasse Kaffee hat mir da so wohl geschmeckt!« sagte er: »Wie manche Parthie Piket und Domino hab' ich da abgespielt!«

Und an dem Tische, woran die vier jungen Herren gesessen, ließ sich die Familie nieder. Bald flammten die Lichter, bald trug der Wirth die einfache Mahlzeit, den muntermachenden Wein auf, und der Appetit des Papa konnte sich sehen lassen, und die Seinigen, von seiner Anwesenheit erfreut, hielten tapfer mit, und die Damen von Donaueschingen theilten den kleinen Schmaus. Auch der Doktor hatte sich angeschlossen, und verzehrte in Gesellschaft sein weiches ... das unabänderliche Nachtmahl. – Nur Annele – dem Papa fremd – saß in der Laube neben dem Gartenhäuslein, blickte mit gefalteten Händen hinan zum heitern Himmel, und dachte an Einen, der unversehens gekommen und leider [32] schon wieder fern, und der – so fürchtete sie – nicht in der besten Nachbarschaft. Ein Stiefsohn wie der Lenhard – und eine Stiefmutter wie Frau Kunegund ...! Das arme Mädchen hatte vor dem Abschied einen tiefen Blick in Kunegundens Seele gethan ... gleichsam in einen gefährlichen Abgrund, worinnen Annele's Glück, Annele's stille Seligkeit zu Grunde zu sinken drohte. – Während die Familie und ihre Freunde in der »Gallerie« scherzten, plauderten, lachten, weinte Annele ganz still ihr Gesetzchen, und betete um Schutz von oben für ihre heimliche Liebe.

Vater Hinterbein ließ sich indessen vernehmen: Mir ist, bei Gott, ganz wohl, ganz schabbeswohl! 's ist doch manchmal ein Pläsir, Vater von Kindern zu sein. Nicht wahr, Du schelmische Kathrine? Gib mir die Hand, Mathilde: ich seh dich gern so lustig wie heute; auch du, Cornelie, bist heut ein liebes Maidli – gib mir einen Kuß, Cymbeline, du gefallst mir gar wohl! Ihre Gesundheit, liebe Schwägerin – Gesundheit, meine Damen, sollen leben! 's bleibt bei'm Alten, Doktor! Trinkt auch eins mit, Badwirth, und dieses Glas der Lisabeth! Wo die Augen freundlich blitzen, da ist wahrlich gut zu sitzen! Ich sage eben immer: Unser Ländchen ist ein schöner Riemen, ein gesegnetes Stück Welt. Hat mich noch keinen Augenblick gereut, mich daniedergelassen zu haben. Gemüthliche Leute, edler Wein, – Frucht und alles genug ... am weiten Rhein gibt's kein schöneres Ländchen, als das badische – das Oberland nämlich und der Wald. Das ist meine Passion; und ich darf davon reden – habe die halbe Welt gesehen, und ein bischen drüber hinaus.

Die Herren haben's gut; bemerkte Tante Laura [33] ihrem Nachbar, dem Doktor, leise: die ganze Welt steht ihnen offen, während wir arme Frauen ... – Hm, hm, erwiederte Doktor Faust: die Erde steht uns offen – ja; auch regt sich hie und da in uns die Lust, die Erde zu durchwandern; aber ich meinestheils konnte es nie bis zum ersten Schritt bringen. Die Spekulationen der Wissenschaft ... und später noch ein edleres Gefühl, eine seelische Neigung haben mich zurückgehalten, wie Sie wissen? –

Schon wieder erröthete die Tante; schon wieder wurde ihr Erröthen nur von Dem wahrgenommen, dem es just galt. Dafür wendete sich an den Doktor der fröhliche Papa, sprechend: Aber nun, was gibt's denn Neues in unserm Ländlein? Was machen die Kammern, was sagen die Zeitungen?

Lieber Freund, Sie wissen, daß ich mich um die Politik nicht bekümmere; antwortete Faust geringschätzig: Viel Lärm um Nichts; Spiegelfechtereien von ehrgeizigen Leuten ... Geschwätz und Deklamationen ohne Ende ...! man muß schon mehr Zeit zu verlieren haben, als ich, um sich mit den Armseligkeiten allen zu behängen.

Geschmackssache; rief Hinterbein: dennoch gesteh' ich, daß ich mich wieder auf Freiburg und mein stilles Winkelchen im Museum freue, wo ich meine Zeitungen zu genießen, zu verdauen pflege. Man muß doch mit dem Zeitgeist vorangehen?

Was ist denn der Zeitgeist? fragte nun der Doktor vornehm wie vom Katheder: Ich hab' ihn oft vor meine Schranken zu zitiren unternommen, aber gekommen ist er nie. Ein ungreifbares Schemen, ein Gespenst, uns vorgegaukelt mittelst der Druckschwärze ... weiter hab' ich nichts von ihm auffinden können.

[34] Ha! wenn Sie mich auf meiner Reise durch die Schweiz hätten begleiten können! sagte Hinterbein lebhaft: Sie würden anders sprechen. Mein Gott, sausen mir noch die Ohren von Allem, was ich da gehört! Glauben Sie mir, dort regt sich der Zeitgeist mächtig, dort wird er ausschlagen wie ein Pferd. Der Sonderbund wird in die Bremse genommen werden, die Jesuiten werden ausreißen müssen, und das Freischaarenwesen – ich zweifle nicht – zu Ehr' und Ruhm gelangen nach all seinen Niederlagen.

Ei ei, was Sie sagen! machte der Doktor spöttisch lächelnd: glauben Sie immer noch an solche Blendwerke?

Ja wohl, ja wohl, ich glaube daran; rief Hinterbein hitzig: und wenn ich's gestehen muß, so ist mir's recht, ganz recht. Es ist doch einmal eine Diversion. Man wird dann doch wieder einmal die Zeitungen mit Gusto lesen können; es wird doch endlich einmal etwas darinnen stehen, wann die Schweizer sich untereinander bei den Köpfen kriegen. Sollen sich nur raufen, sollen sich nur schütteln, wenn nur wir Ruh' und Frieden haben! In Frankreich fletschen sie auch die Zähne; aber der kluge Louis Philippe, der hartnäckige und grundgescheidte Guizot halten sie brav unter'm Daumen. Daher ist nichts zu besorgen, und von der Schweiz aus schon gar nichts per se. Deshalb freu' ich mich, wenn drüben der Spektakel losgeht, so zum Zeitvertreib, zum Pläsir.

O lieber Vater; welch ein Wunsch! sagte Cornelie mit Wehmuth: Sind nicht auch die Schweizer unsere Brüder, und soll uns nur ein Schauspiel für die Neugier sein der stolze Kampf, in welchem um das edle Gut der wahren Freiheit auf blutigem Felde gewürfelt werden dürfte?

[35] Das verstehst du nicht, mein Kind; lachte der Papa: laß' mich aus mit deinen Redensarten von Freiheit und dergleichen. Der Uebermuth, ein Sohn der langen Friedenszeit, macht die Leute rabiat; 's ging ihnen bis daher zu gut; sie wollen's mit aller Gewalt schlechter haben; – in Gottes Namen. Ich weiß auch, was Freiheit ist. Sind wir etwa, und sind die Schweizer ein Volk von Knechten? Aber sie haben zu viel Blut im Leibe, und das muß heraus. Und wie gesagt: mögen sie sich dort hinten schlagen, wie und wo sie wollen – ein Behagen ist's, aus seinem sichern Fenster zuzusehen. Meine kleinen Geschäfte in der Schweiz sind in Ordnung; – jetzo mag's meinethalben losgehen. Nur bei uns soll Friede sein; denn Ruhe will ich haben. Was die da draußen thun, ist ihre Sache.

Cornelie wollte mit sprühenden Blicken entgegnen; aber Cymbeline hielt ihr – um des Friedens willen – den Mund zu, und Papa fuhr fort: Weiß schon, was du sagen willst, weiß schon. Wieder so ein paar Brocken von der wahren Freiheit – nicht wahr? Sieh, da ich noch ein Knabe war, florirte in Frankreich drüben die sogenannte Liberté mit Egalité und Fraternité; – bald darauf fiel sie um, da sie über den Napoleon gestolpert war. Im Elsaß hab' ich dann noch hundertmal die bewußte Freiheitsinschrift auf Häusern und Kirchen gesehen, und die Leute gingen scheu daran vorüber, zeigten hinauf, und sprachen: Gott sei Dank, daß die böse Zeit vorbei und abgethan! Wird auch nicht mehr wiederkommen in dem Frankreich, und wenn sie noch ein Dutzend Julirevolutionen durchmachen sollten. – So viel von der Freiheit, die du meinst, Cornelie. Wie gesagt – auch ich weiß von der Freiheit. In Suri [36]nam hatten wir sie von erster Qualität. Unsere Sklaven selber genossen alle Woche einen ganz freien Tag, zwei ganz freie Abende, da sie tanzen, singen und Späße treiben durften, ganz nach Wohlgefallen. Wenn jedoch Einer sich übernahm, und Unfug anstellte und dergleichen – Holla! flugs die Bank und das Meerrohr herbei, oder den Ochsenziemer und dann darauf, was Zeug hielt, bis Alles wieder in der Reihe. Das nenn' ich Freiheit!

O hören Sie auf! bat Cornelie aufspringend: das kann man ja nicht mit anhören. Welche Erniedrigung der Menschenwürde! – Ein ander Gespräch! sangen die drei andern Schwestern, bat die Tante, ermahnte der Doktor, also übertäubend die seltsame Freiheitspredigt des Alten, der sich alsobald in's Gutmüthige umstimmte, der Cornelie einen spaßhaften Riffel gab, so von einem Geschenk begleitet, dem Kathrinchen das Ohr zwickte und ein dito Präsentchen verabreichte. Der ernsthaften Mathilde wurde eine Belobung und ein werthvolles Armband; der Tante eine hübsche Uhr und biedrer Dank für die Verwaltung des Hauses und der Mutterstelle bei den Nichten. Cymbeline aber – gleichsam als wäre sie das Nesthäkchen und nicht die älteste der Töchter – empfing das hübscheste Geschenk, und eine väterliche Umarmung nach der andern. – Dennoch wurde sie nicht von den Schwestern deshalb beneidet und bemißgünstigt. »Sie ist ja so gut, so lieb? Ihr gehört das Beste!« Einstimmig urtheilten also die Fräuleins, wenn schon im Uebrigen sehr verschieden an Denkungsart und Richtung.

Dergestalt bildete sich aus dem kurzen politischen Streit ein angenehmer Familienabend, und nachdem der [37] Vater den Töchtern die Konzession gemacht, noch ein paar Tage im Bädle mit ihnen verweilen zu wollen, trennten sich die Besitzerinnen der Tafelrunde mit heitern Reden und Gedanken, um in ihre Schlafzellen einzukehren. – Cornelie ging zu Bett mit patriotischen Fantasieen, Kathrinchen mit dem duftenden Sträußchen, das sie am Abend gepflückt, Mathilde mit dem ritterlichen Bilde ihres Vetters Hugo von Wildian, der zugleich ihr Geliebter und Verlobter; Cymbeline mit dem schönen Friedrich im Herzen. Tante Laura suchte noch in ihrem Album nach dem Vers, den einst der allerdings nicht zum Dichter berufene Doktor hineingeschrieben. Doktor Faust in Person las aus einem Käferbuch sich in den Schlummer. Papa Hinterbein bedurfte all jener Begleitung und all dieser Hilfsmittel nicht. Kaum zur Ruhe gegangen, schlief er wie ein Sack.

Wer indessen gar nicht schlief, das war das betrübte Annele. Einer mißtrauischen, ja eifersüchtigen Seele weigert sich der Engel, der den Schlaf bringt. Aus ihrer Kammer, die in der Nähe der gewöhnlichen Wirthsstube für Alle belegen, hörte sie das Kommen und Gehen, das Plaudern und Schwatzen der Zechgäste bis nah an elf Uhr hin; eine späte Stunde für das solide Eisenbächles-Bad.

Da war ein wild und verkommen aussehender Bursche eingekehrt, der aus der Schweizernachbarschaft Schweizerspräche und was dazu gehört, mitgebracht hatte. Bei'm dritten Wort sagte er immer: »'s cha ebbe nit so bliwe; 's muß mit der Zit andersch goh'! Die arme Lüt chönne's nit meh prästire; Ich g'hör' auch zu denen arme Lüte; ich cha dervon verzelle ...! Jungfere, gänt' mir auch's Gläsle Brenz. – Die Jeswite müsset furt, [38] die Herre alle müsset us'm Land! Die machet uns veraarme! Jüngferli, gänt mir's Mümpfi Brod, 's bizzi Chäs! – Wann d'Herre nit abgeschafft werde, so hilft nüt meh! Sie hänt uns bygott schon der letzt' Chrüzer us'm Sack g'stohle! Maidli, 's Schöppli Wi, – vom guete! – Die Geistliche schaffet nüt, und fresset uns üsere Sach vom Muul weg; abe mit ihnen! sonst müsset mir verhungere! He, Kellere! noch 'es Schöppli, und noch meh Chäs! – 's sind ebbe schlechte Zitte, kein Verdienst, kein Geld im Land, keine Arbeit, nüt als Stüüre und Abgabe, und nüt z'byße und z'nage! Wirthshuus! Noch 'es Schöppli bi'm Donner und's Würstli oder's Schunkebein!«

Und über die ganze Nacht wäre etwa der arme vor Hunger sterbende Mann bei Schoppen, Wurst und Schinken gesessen, wenn nicht der Badwirth ihm den Feierabend angewünscht, und das Haus geschlossen hätte. – Wurde es übrigens wohl gleich ruhig, so schlief Annele doch nicht eher ein, als bis der rothe Morgen das nächtliche Dunkel ablöste. – Da war ihr noch ein Stündchen Schlaf vergönnt – und in Annele's Jahren bringt man nicht selten in einer Stunde der Ruhe eine ganze schlaflose Nacht ein.


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