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Zweites Kapitel.
Im »Haggen«.


Wenn der liebe Gott der Menschheit einen guten Tag machen will, so schickt er demselben zum Vorläufer einen prachtvollen Morgen, wie derjenige war, der über die Gebirge daher kam nach der Ankunft des Papa Hinterbein im Bädle zu Eisenbach. Kein zweifelhafter Nebel, der noch in Frage gestellt hätte, wie sich über Tags die Witterung auswachsen würde; kein unbestimmtes Wehen und Ziehen des Gewölks, kein Versteckensspielen der Sonne, das den Landmann, den Mühen den Hirten veranlaßt hätte, sorglich gen Himmel zu spähen, wie es denn wohl endlich werden möchte mit dem launischen Wetter. Nein: die Gewißheit eines überaus schönen Tags stieg alsobald mit dem goldnen Gestirn empor, und von Baum zu Baum jauchzten die Vögel, Mücken und Käfer schwärmten behaglich, und der Wälder lüftete fröhlich sein Brusttuch, und blies und sang vergnügt hinter seinen Kühen und Rindern her. Wer da ausfuhr zu Wald und Waide, schaute lustig in den kommenden Tag hinein, und freute sich des Lebens nach Herzenslust.

[40] Ein paar von den Damen im Bade hatten früher als gewöhnlich ihr Lager verlassen, geweckt vom Morgenstrahl: die Räthin und die Assessorin. An den schwülen Badekammern vorüber waren sie geeilt, sich in das erfrischendere Luftbad zu versenken, und hatten die Höhe am Rand des Tannenwaldes erstiegen. Frisch und frei dahingehend besprachen sie, was sich am verwichenen Abend zugetragen, denn ein Fest, wie das der Ankehr des »Plantageurs« war ein seltenes in dem bescheidenen Eisenbächle. – »Es sind doch liebe Kinder, die Töchter des alten Herrn,« meinte die Räthin: »die aristokratische Mathilde, die liberale Cornelie, das harmlose Kathrinchen, und die herzige Cymbel gefallen mir gleich wohl. 's ist doch kein Funke von Verstellung und Koketterie in den Mädchen; wie sie sind, so geben sie sich.« –

Die Assessorin bejahte, fügte aber bei, daß Cymbeline unter den Vieren ihr den Preis zu verdienen scheine.

»Der Meinung ist, wie ich merkte, auch der Vater selbst;« hob die Räthin wieder an: »es ist rührend, mit anzusehen, mit welcher Liebe und Zärtlichkeit er das Mädchen umgibt, das an äußerlichen Vorzügen gegen die Schwestern zurücksteht. Wohl ihr, der guten Cymbeline, daß die Vaterliebe ihr schon jetzt in vollem Maaße ersetzt, was ihr etwa dereinst an Liebe in der Welt versagt werden dürfte, denn in diesem Stück sind die Herren allzumal ungerecht, und der schlanke Wuchs einer Thörin wird stets den Sieg über die verkümmerte Gestalt der Edelsten davontragen.«

»Aber, Beste,« spöttelte die Assessorin, »Sie vergessen ganz die Macht des Geldes, die schon oft eine Häßliche [41] an den Mann gebracht, während die Schönste – um mich ordinär auszudrücken – sitzen bleiben mußte. – Jedoch soll nicht der kleinen Cymbel Liebreiz im Schooß der Familie, noch auch des Vaters nicht genug zu rühmende Anhänglichkeit an sie, von mir verkannt werden. Sie wissen aber vielleicht nicht, was ich einmal gelegenheitsweise zu Freiburg erfahren habe: daß nemlich der Papa zur Zeit in Surinam eine Sklavin gehabt, die ihm viel, Alles werth gewesen, und die den Namen ›Cymbeline‹ – in unsern Kalendern nicht zu finden – geführt. Diese Liebe, die im Tod der Genannten ihr Ende gefunden, frischte Papa Hinterbein damit auf, daß er sein erstgebornes Mädchen, allen Einreden zum Trotz, und der Kirche zum Aergerniß in der Taufe Cymbeline nennen ließ. Und also auch geschah's, daß er, mit Hilfe dieses Namens, der weißen Tochter Erinnerungshalber eine Zärtlichkeit beweist, die er der seligen Mohrin nicht mehr darbringen kann.« –

»Nehmen Sie's nicht übel, meine Liebe; aber Sie sind ein schlimmes Mäulchen!« lachte die Räthin, und die Freundin lachte mit. – Indessen kam unten auf der Fahrstraße leichten Gangs, aufgerichteten Hauptes ein Mädchen des Wegs, das an diesem frühen und schönen Morgen jedem Bergmann und Waidgesellen die willkommenste Begegnung gewesen wäre; denn einer schönen Dirne Angesicht ist eine glückliche Verheißung für den ganzen Tag.

»Ei, ei, unser Annele schon so frühe auf dem Lustwandel?« fragte die Räthin.

Wohin mag sie gehen? fügte die Assessorin bei: ist heute Fest- und Feiertag? will sie nach Bubenbach zur Kirche? Aber, wie mich dünkt, trägt sie ein Bündelchen [42] unter'm Arm? Das böse Mädchen wird uns doch nicht schon heute, unversehens verlassen wollen? Was wäre ihr da eingefallen?

Und dennoch – je mehr sich die Frauen das wandernde Mädchen besahen, je reisefertiger ihnen es vorkam. Die Räthin, welche gern, wenn sie in's Bad ging, die Beamtendame zu Hause ließ, machte keine Umstände, und rief mit lauter Stimme dem Mädchen zu. – Annele stutzte, richtete die hellen fernsichtigen Augen nach der Anhöhe, und grüßte die Bekannten mit Hand und Mund. –»Wohin denn, Annele? wohin?« rief wiederum, was sie konnte, die Räthin. – Und Annele zeigte links hinüber in die Thalmündung, rief ein Lebewohl den Damen, und ging um ein gut Theil behender ihre Straße. –

Warum? Die Wehmuth hatte plötzlich ihre Ruhe überwältigt. Sie hatte die Frauen während kurzer Genossenschaft im Bade kennen und lieben gelernt; es that ihr weh, so plötzlich von ihnen zu scheiden. Und dennoch hatte sie nicht über sich gewinnen können, länger im Bädle zu verweilen; dennoch hatte sie fortgehen müssen, wie von einem Zauber getrieben. Mit dem Erwachen war auch schon der Entschluß über sie gekommen, ungerufen, unangesagt dem Vaterhause zuzuwandern, und ohne sich viel zu besinnen, hatte sie den Entschluß ausgeführt. – In der wichtigsten Angelegenheit ihres jungen Herzens war sie unstät, ungewiß geworden, und Gewißheit wollte sie haben, sollte es auch ihr Herz, ihr Leben kosten.

Der schöne Morgen that übrigens das Seine: er strahlte der schönen Pilgerin wiederum Muth und Vertrauen in die Brust. Leichter von Strecke zu Strecke [43] förderte ihr Schritt; sie kam auf den Sommerberg hinaus, und wußte nicht, wie? Oben angelangt bei'm Kreuz, das so einsam steht, und doch so gastlich zur Ruhe ladet, ließ sie sich zur Rast auf die halb zertrümmerten Stufen nieder, und schaute ringsum, zunächst in die Thäler, die zu ihrer Rechten und Linken in blauer Tiefe lagen. Dort unten ragten sie, hüben und drüben, die Dächer, unter denen, was ihr das Liebste auf der Welt, hauste. Links der Hirzenbach und das vereinzelte, aber doch nicht wenig besuchte Haus »zum Leuen;« rechts die Waldgemeinde Heurlingen, und darinnen röthlich strahlend – das einzige Ziegeldach im Orte – der Hof des Metzgers-Thoma – »Hier will ich ihn erwarten;« sagte Annele lächelnd vor sich hin, und machte sich's auf ihrem harten Sitz möglichst bequem. –

Ihr Auge schweifte träumerisch über den sogenannten Langwald, der vom Bergrücken längs der Halde gen Heurlingen niederging, und vor Annele's Erinnerung zog der Tag vorüber, der längst verschienene, der dennoch bis auf den heutigen über ihre Seele geboten und verfügt. Der Tag, an welchem sie – ein Kind von etwa neun Jahren – im muntern Spiel mit Gefährten ihres Alters, bis zu dem Kreuze, wo sie jetzo saß, sich verlaufen. Wer weiß, wie sich's weiter begeben, daß Annele von ihren Gespielinnen sich gänzlich abtrennte, und in den Langenwald hineingerieth; für sie ein gänzlich unbekanntes Revier? Der Abend ging schon zur Rüste, im Walde dunkelte es bereits mächtig, und der Falterling, dem die Mägdlein vielleicht nachgejagt, verschwand wie ein Gespenst, und Annele kannte sich nicht aus in dem ernst rauschenden Walde. Sie [44] träppelte hin, sie träppelte her, jeder trüglichen Hellung lief sie entgegen, und fand sich nie aus dem Gewirr des Forstes heraus. Daß sie schrie und laut in die Lüfte klagte, versteht sich ... aber der Wald rauschte fort und fort sein majestätisch-eintöniges Lied, und ließ die Verirrte jammern nach Belieben. – Mit der Finsterniß stieg des Kindes Verzweiflung ... es wußte nicht mehr, wohinein und wohinaus, verwirrt wie es war, und gleichsam im Ring umherstapfend in uraltem Moose, strauchelnd über verrottete Baumstöcke, und mit wachen Augen fieberhaft träumend von abscheulichen Ungeheuern, glutäugigen Stoßvögeln und kriechendem Riesengewürm, das im Dickicht, lauernd nach dem Fleisch unschuldiger Kinder, den Rachen aufsperrt. Müde und matt, erschöpft von Furcht und Angst und Schreien, war endlich das gute Annele hingesunken an den Rand einer alten Braunsteingrube, ihr armes Seelchen empfehlend dem Schutzengel, der bei den braven Kindern den Dienst hat. Der geliebten Eltern Namen auf den Lippen, wollte Annele schon ohnmächtig werden und vergehen – – als gählings ein Lichtschimmer ihr hinsterbend Auge berührte, und es neu erweckte zum Leben. – Und vor dem dahinliegenden Mädchen stand ein Knabe, der wie ein Wundermenschlein der tiefen Grube entstiegen, in seiner Hand eine Laterne, auf seinem entschlossenen Gesichte viel Erstaunen, aber auch viel Zuthunlichkeit und guter Wille für das verlassene Wesen. – »Ha, by Gott, was machst denn du hier, Maitele? Wer bist denn du?« fragte er, und half dem Kinde aufstehen. – »Ha, wer werd' ich seyn? Ich bin eben das Annele!« – »Wozugegen?« – »Ho, aus 'm Hirzenbach.« – »Und zum G'schlecht?« – »I, des [45] Leuenwirths Annele.« – »Nun; by Gott, du bist einmal weit von daheim!« – »Ach, wär' ich nur wieder daheim, Büble! wüßt' ich den Weg und hätt' ich dein Laternle! Aber ich fürcht' mich so gar söllig!« – »Bist ein dumm's Maitli. Da ist nichts zu fürchten. Komm, gang waidlich; ich will dich, denk wohl, auf den Hirzenbach hinüberführen!«

Da hat der Bub, der nur ein Jahr etwa älter gewesen, als das Annele, dasselbe herzhaft unter'm Arm genommen, und – mit Weg und Steg vertraut – wohl auf'n Berg hinaufgebracht, und dann in stockfinstrer Nacht mit seiner Leuchte glücklich in's Vaterhaus geliefert, woselbst nach großer Angst um's Töchterlein eine noch größere Freude aufging. – Da stellte sich heraus, daß der Retter in der NothNoth ein Bub' des Metzger-Thoma von Heurlingen, den sein Vater in'n Wald geschickt, eine verlaufne Gais zu fangen und heimzubringen; seine ganze Bewaffnung ein Fangriemen, ein Stock und die Laterne sammt Feuerzeug, auf die Möglichkeit hin, daß des Jungen Streife –wie auch geschehen – bis in den späten Abend dauern, und ihn etwa in eine der verlassenen Gruben führen möchte, wo die ausgerissenen Ziegen u. dgl. Gethier nicht selten eine Zuflucht suchen; (dumm genug, da das Hineinspringen leicht, das Wiederherauskommen dagegen gewöhnlich unmöglich). Richtig hatte auch der kleine Lenhard die Spur der entlaufenen Gais in der Nähe einer solchen Grube aufgestöbert, und sich in den Schacht hinuntergewagt, auch richtig unten das Thier gefunden; der Springsturz hatte indessen demselben das Leben gekostet. Der praktische Bube hatte daher dem Leichnam die Schelle abgenommen, und sodann seine eigene Auf [46]erstehung bei'm Lichtlein seiner Laterne gefeiert, um just zurecht zu kommen zu Annele's Rettung und Befreiung.

Und diese Rettung aus großer Gefahr – diese Befreiung aus den Stricken der erbärmlichsten Furcht und Verzweiflung hatte Annele dem Lenhard von Stund an nimmer vergessen; und Lenhard hatte seinerseits, wie es so zu gehen pflegt, das Kind, das er beschützt und behütet, zu seiner Seelenschwester angenommen. Da sie allgemach älter wurden, hatten sie sich gegenseitig eins in die Stricke des andern begeben, und die Liebe war getreten an die Stelle der kindischen Brüderlichkeit.

Jener Tag also, der Beide an einander gefesselt, zog vorüber als eine heitre und dennoch so rührende Erinnerung an Annele's Einbildungskraft. Bald lächelte sie, bald weinte sie ein Stücklein; – dann putzte sie sich Augen und Nase, und sagte wieder vor sich hin: Das ist ein guter Sitz; so gerade neben unserm Herrgott am Kreuz – hier will ich ihn erwarten; heut ist der Tag, da er zu kommen pflegt ... wie lang, und er wird da seyn? – Blickte dabei auch fleißig auf die silberne Sackuhr, die sie im Busen trug, weil des wohlhäbigen Leuenwirths zu Hirzenbach einzige Tochter und Erbin, die sich schon unterstehen durfte, eine so köstliche Uhr zu führen. –

Wer nun aus dieser ungeduldigen Zeitberechnung und dringenden Beaufsichtigung des Stundenzeigers, oder aus der sehnsuchtsvollen Rede des Annele hätte schließen wollen, daß Lenhard, ihre Lieb- und Holdschaft, es sei, den sie erwarte, würde sich freventlich geirrt haben. Sie wartete nicht auf Lenhard.

Bald kam über einen Waldsteig, von Heurlingen herauf, rüstigen Schritts ein junger Mann mit keckem [47] lebensmuthigem Antlitz, ein blaues Wanderhemd über die Jacke gezogen, einen weißen Schlapphut auf dem Kopfe, auf dem Rücken ein klein Felleisen, in der Hand einen Stecken, wie ihn der Fleischer trägt, wann er in's Gäu geht. Der junge kecke Mann blieb, von der Schönheit des Annele verwunderlich angeregt, vor ihr stehen, schaute ihr tief in die Augen, die ebenfalls neugierig den Fremdling musterten, und fragte nach Weg und Straße gen Neustadt und der Schweiz.

Der Wanderer – offenbar ein Metzger von Handwerk – war ein weltläufiger Mensch, dazu gemacht, eine hübsche Dirne zu unterhalten, und Red' und Antwort von ihr zu bekommen. Aber – wenn ihm Annele schon freundlich genug Bescheid ertheilte, dennoch war auch dieser Reisende nicht Derjenige, den Annele erwartete.

Er hatte schon das »Wohinaus« zur Genüge aus dem Munde der hübschen Jungfer vernommen, und noch immer ging er nicht weiter, sondern redete vom Hundertsten in's Tausendste hinein, und schon sah Annele im Geiste kommen, daß sich der junge Mann ohne weiteres zu fernerem Geplauder neben ihr niederlassen würde. Das hätte ihr nun nicht gefallen, obgleich ihr der Handwerksbursche nicht mißfiel, und darum kam ihr das ferne Gewieher eines raschen Pferdes und das Gerassel eines schnell heranrollenden Wagens gar erwünscht. – Das ist er; sagte sie halblaut, zum Weitergehen aufstehend: »Adje wohl!« rief sie dem Fremdling um so lauter zu, und drehte sich ab von ihm, der mit einem stillen Seufzer weiter ausschritt, und in den Bart murmelte: »Blitz und Strahl, die könnte mir gefallen! Blitz und Wetter, die muß ich kennen lernen, wenn ich [48] nicht in der Schweiz hängen bleibe, – wenn ich wieder des Wegs da komme!«

So verlor er sich im Gestrüpp und Niederwald, wo sich der Weg launenhaft bergab windet, und Annele hatte alle Zeit, sich wiederum ungestört an ihr Plätzlein niederzusetzen, und freudig bewegt zu sich selber zu sagen: »Das ist er; da kommt ... ich wußte es ja wohl. Ja, wer so gescheidt und witzig wäre, wie die Fräuleins aus der Stadt, da sie ihrem Vater auf den Weg standen, und mit ihm den Spaß und die Freude hatten! Nun – denk' wohl, daß er mich schon kennen wird, wenn ich auch kein Wörtlein herauslasse?«

Schaute sonach steif und eifrig dem Rößlein und Wagen entgegen, hielt bis unter die muthwillig aufflimmernden Augen die Schürze vor's Angesicht, ohne sich weiter zu rühren die Ellbogen auf den Knieen und wartete der Dinge, die da kamen, mit harmloser lautloser Freude. –

Das Traben und Schnauben nahte geschwinde. »Das ist unser Bräunle; ich kenn's!« lachte das Mädchen in ihre Schürze. Dann knallte eine Peitsche, und eine helle Mannsstimme schrie: »Alls voran, Bräunle, jü, jü, du fauler Kerle!« – Und wieder und fröhlicher lachte das Mädchen: »Der Vater, der Vater! er ist's – endlich – Gott sei Dank!«

Und aus den Tannenbüschen in's Helle rasselte das Wäglein, bockte das Rößlein und sichtbar wurde in aller Glorie der rothwangigen Gesundheit der stattliche Leuenwirth selber, der auf dem offenen Fuhrwerk thronte und Zaum und Zügel und Peitsche und Kommando als ein kundiger Lenker und Kutschirer gebrauchte.

[49] Diese kräftige fünfzigjährige Wäldernatur hatte kaum mit sicherm Auge das Mädchen am Kreuze auf's Korn genommen, als sie heftig das Leitseil anzog, mit einem »Brr! brr!« das Pferd zum Stehen brachte, und gellend aufschrie: »Potz Sappermost! J, was ist denn dasele? Annele! potz Kirchthurm! Annele, was machst denn du allhiesig?«

Mit einem Satz war der schwere Mann vom Wägele – mit einem Sprung war Annele in seinen Armen. Das war eine ganz anders lebendige Ueberraschung, als die am vorigen Abend bei'm »schwarzen Kreuz«. Und der Himmel lächelte mit seinem herrlichsten Sonnenlicht auf die Zärtlichkeit hernieder, die sich da oben in der Einöde ein Vater und eine Tochter spendeten, so sich noch ein gut Theil lieber hatten, als Hinterbein seine Cymbel, und Cymbel ihren Papa. –

Unter'm Dach des Leuenwirths sah es nämlich aus, wie man von den alten Patriarchen schreibt: Friede, Frömmigkeit und herzliches Familienleben wohnten dort beisammen, und daher auch der Segen. Der Wirth war ein braver, braver fleißiger Mann, der in seiner Gastung auf Zucht und Ehren hielt; weswegen auch die Lumpen und Nachtbuben das Haus mieden, und nur die Biederleute aus der Nachbarschaft dort einkehrten. Aus seiner ersten Ehe hatte er das Annele und einen Sohn überkommen. Der Sohn war frühzeitig gestorben, und die Liebe, die ihm der Vater gezollt, in doppeltem Maaß auf Annele übertragen worden. Der Annele rechte Mutter war leider bald dem Sohn nachgegangen, und nun liebte der Wittwer auch noch die selige Ehefrau in seinem Annele. Der Leuenwirth hatte sich freilich, der Wirthschaft wegen, zum zweitenmal ver [50]heirathet; allein das war eine Ehe voll von Vernunft und Rechtschaffenheit geworden. Es gibt Stiefmütter und Stiefmütter: Annele hatte das Glück, die Beste von der Welt zu bekommen, so wie der Wirth die beste zweite Frau, die er nur verlangen konnte. Mutter Gertrud war eine Wirthin, wie nicht leicht eine, eine fromme Seele, wie nur selten eine, geliebt von Allen, die selber brav und fromm.

Da nun keine hitzige Leidenschaft den Leuenwirth mit seiner Gertrud zusammengeführt – da ferner aus ihrer Ehe ein Nachkomme nicht entsprossen, so vereinigte sich Beider Lieb und Treue auf Annele's Haupt. Beide pflegten die Tochter wie einen Schatz, und sie vergalt es ihnen mit der kindlichsten Anhänglichkeit. Sie schaffte und waltete im Hause und im Feld nach Kräften, ja zuweilen über ihre Kräfte; und eben deswegen, nachdem sie im verwichenen Winter und Frühjahr die unpäßliche Stiefmutter besorgt, gehoben und gelegt, und dennoch nichts im Haus und Hof und Keller versäumt, hatte die wieder genesene Gertrud ihrem Wirth gesagt: Was meinst Du, Alter? wollen wir nicht das Kind in's Bädle hinüberschicken, damit es sich ein paar Wochen erhole von der Strapatze, die ich ihr verursacht? – Und der Wirth hatte gesagt ein freudiges »Ja«, hatte seinen Gold- und Herzenskäfer hinüberkutschirt und dem Badwirth sowie den Weibern im Bad empfohlen als sein Liebstes auf Erden, und war regelmäßig in der Woche einmal gekommen, um nach seinem Herzblättchen zu schauen, und ihm gute Worte und allerlei gute Dinge von der Mutter daheim zu bringen. Allerdings blühte auch Annele wieder auf, gleich einer Rose ... und voll Sehnsucht, sie wiederzusehen, war der Leuen [51]wirth auch an diesem Morgen aufgestanden, hatte seine Taschen mit frischem Eierbrod, mit Zucker und Kaffee und allerhand ländlichen Delikatessen angefüllt, und sich auf die Reise gemacht, um seinen Wochenbesuch bei Annele abzustatten ... und siehe, siehe: Annele begegnete ihm bereits auf halbem Wege!!

Der Vater schalt und liebkoste in einem Athem sein herzliebes Kind, und seiner Fragen, warum denn Annele so schnell und unversehens den Rückzug aus dem Bädle angetreten, war kein Ende. Annele antwortete immer das Eine: sie hätte sich nämlich nach der Ankunft des reichen Herrn aus Freiburg so gewiß überzählig und verwaist im Eisenbächle gefühlt, und dem Heimweh nachgegeben. – Nur zur Hälfte wahr, aber zu entschuldigen des Mädchens Zurückhaltung, weil sie gar wohl wußte, daß eine Erinnerung an Lenhard und die Familie des Metzger-Thoma ihrem Vater nicht besonders angenehm gewesen wäre. Der Ursachen hiezu waren mehrere.

In erster Reihe war das Gewerbe. Auch der Leuenwirth trieb die Metzgerei, und versorgte die Umgegend mit dem Thoma um die Wette mit dem nöthigen Fleisch. Er hatte wohl die bessere Kundschaft, allein des Thoma Geschäft machte ihm dennoch Abtrag, so wie seinerseits Thoma scheel dazu sah, daß der Leuenwirth im Handwerk mit ihm Nebenbuhlerei trieb. – Die Leute auf dem Lande sind nun einmal so; auf ihren Vortheil eifersüchtig im höchsten Grade, wenn auch Biedermänner.

Gegen den Vater Thoma war im Uebrigen nicht viel zu sagen. Er war ein Mensch, wie's ihrer viele gibt: die Gott einen guten Mann sein lassen, und ihren [52] Nachbarn eben nichts Böses anthun, wenn's nur ihnen selber gut geht. Dabei ein schwacher Mensch, obgleich jähzornig und gewaltsam thuend, wann ihm etwas über's Leberle gelaufen. Seine schwächste Seite jedoch war sein Weib, mit dem er seiner Zeit sich verehelicht, nicht in Vernunft – wohl aber im Unverstand. Der Metzger-Thoma, den Jahren nach ein gut Stück älter als der Leuenwirth, hatte da die Kunegund genommen, die nicht den besten Ruf zur Aussteuer mitgebracht; dafür ein locker, feurig, ungebändigtes Gemüth, eine Zunge wie ein scharfes Schwert, und die unglückliche Fähigkeit, durch ihren Leichtsinn den geordnetsten Hausvater zu Grunde zu richten, weil sie verschwenderisch auf den alten Kaiser hin wirthschaftete, ohne selber jemals eines Kreuzers Werth an Geld und Gut geerbt, noch sich verdient und erspart zu haben. – Diese Kunegund war mithin auch eine gründliche Ursache, warum weder der Leuenwirth noch Gertrud zum Metzger-Thoma halten mochten, der ungeachtet öftern Lärmens und mancher ärgerlichen Auftritte mit seinem Weibe, dennoch des Letztern unterthänigster Knecht, und – wie's allgemein hieß – auf dem Wege vom Wohlstand zur Verarmung.

Endlich war Nummer Drei der Gründe zur Mißhelligkeit zwischen den beiden Familien Niemand anders als der Sohn des Metzgers, Lenhard, selber. Seine Lieb' zum Annele, so wie daß sie vom Annele herzlich erwiedert, war nicht dem Leuenwirth, nicht seiner Frau, nicht der ganzen Nachbarschaft von Hirzenbach und Heurelingen ein Geheimniß. Viele der Thaldirnen beneideten das Annele um den Lenhard. Alle heirathmäßigen Bursche mißgönnten ihm das Annele. Die ältern verständigen Leute im Lande schüttelten bedenklich den Kopf [53] zu der Verliebniß. – »Das wird nicht gut thun auf die Länge;« hatte Gertrud schon manch liebesmal zu der Tochter gesagt. »Solltest dir den Lenhard doch einmal aus dem Kopf schlagen!« hatte der Leuenwirth oft sein Kind mit Sanftmuth ermahnt. – Ja sogar auf der andern Seite – in's Metzger-Thoma's – war deßhalb der Streit entbrannt. Wenn schon der Metzger selber nichts dagegen hatte, daß sein Lenhard darauf ausging, die reiche Tochter aus dem »Leuen« zu erobern, so hatte um so mehr dagegen die Kunegund. Eine Predigt um die andere ließ sie in ihren vier Pfählen gegen das »stolze hoffärtige ungattige« Annele los, und drohte, ihrem Mann die Freundschaft zu kündigen, wenn er nicht dem Sohn den »Leuen« zu Hirzenbach verbieten würde. – »Ich weiß schon warum; ich habe meine Ursachen;« beschied sie trotzig ihren Alten, wenn er Miene machte, hinter den eigentlichen Kern und Blitzen von Kunegundens Widerwilligkeit kommen zu wollen. – –

Aber die Welt der Nachbarn, zu welcher solche Herzensergießungen der Metzgerin drangen, kam alsobald hinter den Kern. Dem Argwohn der Frauen zumal war gleich zur Gewißheit geworden, daß Kunegund in ihren Stiefsohn verliebt sei, daß Lenhard mit ihr einverstanden, und was dem mehr. Die Weiber plauderten das den Männern; einige von diesen trugen es dem Leuenwirth zu, der's glaubte, weil er schon seit längerer Zeit den Lenhard für einen falschen vertuckelten Menschen ansah, der's mit seiner Tochter nicht gut meine. – Deßhalb nahm er den Lenhard eines Tages unter vier Augen vor, ihm sagend: Lueg', du thust mir gewiß einen Gefallen, wenn du mir aus dem Hause [54] bleibst. Verrückst meinem Maidli immer mehr den Kopf; und es kann doch in Jesu Namen nichts aus der Sach' werden. Dein Vater braucht dich drüben im Geschäft; ich muß auf einen Tochtermann sehen, der das Wirthen versteht, und dereinst den »Leuen« übernimmt. Zudem will auch dein Vater von der Sach' nichts wissen, und so wollen wir in Gottesnamen, Einer drüben, Einer hüben bleiben, wie bis daher, und damit gut. Du wirst schon noch eine Frau kriegen, und das Annele einen Mann. Das Maidli ist zu vernünftig, als daß es nicht wieder zu sich kommen sollte, wenn du mir nur vom Buckel und vom Hof bleibst. Thu's daher gutwillig, daß ich nicht gröber herausreden muß, denn man sagt dir schlimme Dinge nach, und ich möchte mich nicht darauf einlassen, wenn du mich nicht bei den Haaren dazu zwingst und herbeiziehst. –

Lenhard, von diesem Ausweisungsbeschluß leichtbegreiflich alterirt, verschwor seine Seligkeit für seine ehrlichen Absichten, und begehrte ungestüm zu wissen, ob und was man ihm Unehrliches nachsage. Eben so begreiflich, daß der Leuenwirth in diesem Stück nicht nachgab; – und sehr natürlich, daß sich Beide nicht in der besten Laune trennten. – Vater Gündermann stand mit verzweifelt hellen Augen auf der Vorwacht seiner häuslichen Ehre – Lenhard dagegen tummelte sich ein paar Wochen in allerlei Zechgesellschaften herum, prügelte sich mit den Burschen aus Heurlingen und Hirzenbach, wurde von ihnen geprügelt, und verschwand plötzlich. Es hieß, er sei unter die Soldaten gegangen.

Und Annele? Was begann denn das arme Annele, da ihr der Vater liebevoll, aber entschieden mitgetheilt, wie er den Lenhard ausgewiesen, und wie aus ihrer [55] Liebessach' nichts werden könne? – (Was die Welt von der Kunegund und dem Lenhard schwätzte, verschwieg er weislich, die Unschuld seiner Tochter ehrend und schonend.)

Annele zergrämte sich sehr – aber sie reichte dem Vater, der Mutter die Hand, und gelobte feierlichst, nicht gegen ihren Willen zu handeln, und niemals sie zwingen zu wollen, ihre Einwilligung zu einer Heirath mit Lenhard geben zu müssen. – »Allein« – setzte sie hinzu – »laßt mich dafür ihn lieb und gern haben in der Stille meines Herzens. Es ist schon lange her, daß Wir zusammen gegangen; von Kindesbeinen, so zu sagen, gehören Wir einander. Das vergißt sich, denk' wohl, nicht so geschwind. Wie's dem Lenhard um's Herz ist, weiß ich nicht. Mag sein, daß er bei den Soldaten an's Annele bald gar nicht mehr denkt ... Wir wollen's abwarten. Es wird mir dann wohl leichter sein, ihn aufzugeben, und die Zeit heilt vielleicht das Gebrest grundmäßig aus. Doch zähl' ich auf Eure Lieb und Freundschaft, Vater und Mutter, daß Ihr mir nicht die Gewalt anthut, einen Andern zu heirathen, bevor ich nicht mit dem Lenhard auseinander ganz und gar?«

Das gelobten nun die Eltern, und wenn nicht leichter, doch besonnener – ja gefaßter lebte Annele ihre Tage hin, obschon Lenhard nach kurzer Zeit wieder in Heurlingen erschien, da sein Vater für ihn einen Einsteher zum Militär gestellt; obschon Annele nicht selten – in der Kirche oder auf Märkten – Gelegenheit hatte, ihn zu sehen, ja mit ihm zu reden. Das Bewußtseyn, ihre Pflicht gegen die Eltern zu erfüllen, stärkte sie in der Entsagung, und wenn sich hie und [56] da Lenhard ein Wort des Unmuths gegen sie erlaubte, antwortete sie ihm freundlich: »Du weißt, wie lieb du mir bist, aber wir sollen nicht thun gegen den Willen der Eltern. Vielleicht geht's einmal mit der Zeit glücklicher, und das wird Niemand mehr freuen, als mich. Und schickte sich's auch gar nicht mit unsrer Sach' – so müssen wir halt denken: es soll nicht sein!«

Der Lenhard schalt sie dann wohl eine kalte Kreatur; – von ihren stillen Thränen um ihn wußte er freilich kein Wort. Er selber brachte seine Zeit herum, wie ein andrer junger Kerl auch; und der Leuenwirth, der immerdar die Augen aufhielt, und auf's Dipfele wußte, wie sich der Lenhard, vor den Leuten wenigstens, gebahrte mit Metzgerspässen, Tabakrauchen, Kegelschieben und Karteln, sagte oft zu sich und zur Gertrud: Der Mensch ist doch ein falscher Bursch, wenn er auch nicht sauft, nicht auf'n Tanz geht, und mit den Dirnen nichts macht. Wir werden noch allerlei von ihm erleben, und dann erst wird unser Annele froh sein, daß es so brav und gescheidt gewesen.« – Gott geb's zum Guten; ich zweifle nicht daran; pflegte dann die fromme Stiefmutter zu sagen – und Beide thaten, was sie dem Annele nur an den Augen absehen konnten.

In jene Zeit fiel die Krankheit der Frau Gertrud, Annele's übergeschäftiger Winter, worauf der Frühling voll Arbeit und endlich des Mädchens Aufenthalt im Bädle folgte. – – Jetzo zurück zum einsamen Kreuz auf dem Sommerberg.

Der Leuenwirth drückte seiner Tochter schier die Hände ab, und sprach ein »Willkommen« nach dem andern. »Was die Mutter Augen machen wird!« rief er: sie erwartet dich unter vierzehn Tagen nicht. Aber gelt: [57] es hat dich nicht mehr länger unter den Fremden dort drüben gelitten? Das Vaterhaus ist denn doch ein liebes Haus? Schau' einmal, wie das Bräunle dich anschaut! es kennt dich, es ginge um tausend Gulden nicht da vom Fleck weg. Gang', gang', streichle das Rößle ein wenig ... da, gib ihm das Stückle Zucker! Potz Kirchthurm! was wird die Alte 's Maul aufsperren, wenn sie dich wiedersieht! Und der Nero, der faule Hund, der schier nicht mehr fressen wollte, weil du nicht da warst, ihn zu füttern! Bei'm Eid, die Enten, die Gänse, die Göcker und all das Vogelvolk, die Kühe und die Salva veni Schwein' werden sich rühren und musiziren, wenn du wieder bei uns einkehrst! Nun – was macht der Badwirth und seine Lisabeth? was leben die Frauen von Donaueschingen? und unsere liebwerthe Nachbarin aus Heurlingen ...? doch ist von der da nicht viel zu reden; lassen wir sie. Du machst bygott ein Maule, als hättest du eine Mixtur geschluckt. Ja, ja, glaub' wohl, daß sie keine Gesellschaft für dich war. Reden wir von deiner Gesundheit? Hast du brav geschröpft, rechtschaffen gebadet? Siehst merkwürdig wohl aus, Maiteli, bist eben mein lieb's Schätzle ...! und jetzo komm, setz dich herauf zu mir an meine linke Seite, wo mir das Herz schlagt, und gleich von dasele wollen wir umkehren, und heimfahren, daß es eine Art hat!«

Ach ja, nach Hause, nach Hause! stimmte Annele wieder auflebend bei. Die plötzliche Erinnerung an die sehr mißliebige Metzger-Kunegund hatte ihr beinahe den Athem verschlagen.

Mit rüstigem Schwung – nichts desto weniger behutsam und geschmeidig – lupfte Gündermann sein [58] schönes Kind auf das Wägelein, pflanzte sich daneben fest, und regierte das Leitseil. Wer nun anfänglich das Umkehren gar nicht verstehen wollte, war das Bräunel. Die Krippe im Bädle schwebte ihm vor, als ein gar lockend Phantasiebild. Es sträubte sich gegen die gar zu vorschnelle Rückkehr; es wieherte Protest und Einsprache, es schaute sich verwundert und vorwurfsvoll nach seinem gestrengen Führer um. – »Wart, Kog, ich will dir ...!« zürnte der Leuenwirth, und wollte zu einem tüchtigen Schmitzer ausholen – doch fiel ihm Annele in den Arm, bat für das liebe Bräunel, und – siehe da! – auf einen ganz gelinden Zuruf von ihrer Seite that sanftmüthig, ohne fernere Widerrede das Rößchen seine Pflicht. – »Lueg, lueg!« lachte der Wirth und schnalzte fröhlich in die Luft: »Du hast uns eben Alle im Sack, lieb' Annele! Jü, jü! Alloh, alloh, der Heimath zu!«

Nun ging's freilich dahin, als wie auf eitel Karrensalbe; aber doch nicht weit. Denn auf dem Waldsteig, den früher der Metzgerbursche im blauen Hemd beschritten, kam, dem Fuhrwerk in die Quere, ein wohlbeleibter Herr, ein Geistlicher, zu Tage. Er trug seinen Rock von schwarzem Zeug auf der Achsel, den breitkrämpigen Hut in seiner Hand, marschirte langsam einher am Wanderstabe, schwitzte dennoch beträchtlich. Tropfen an Tropfen auf seinem breiten Antlitz, große Erschöpfung in seinem ganzen Wesen. – Er grüßte gleichsam demüthig zuerst den Leuenwirth; dieser jedoch hielt an, und sprach, mit Respekt den Hut ziehend: »Guten Tag, Herr Pfarrverweser, guten Tag! 's macht warm, recht warm! Nach 'm Hirzenbach, hochwürdiger Herr? Ist gefällig, aufzusitzen? Wir haben Platz, mehr als genug.« –

[59] Worauf der Geistliche mit salbungsvoller Rede: »Seid gesegnet, meine Lieben, und bedankt im Namen des Herrn. Doch ist nicht der Hirzenbach meiner Wanderschaft End und Ziel. Der Herr ruft mich in den Haggen, zu unsrer vielgeprüften, aber auch vielgewürdigten Schwester Cölestine. Ich danke Euch daher noch einmal von Herzen, Leuenwirth. Fahret in Gesundheit, und der Herr benedeie Eure Heimkehr, Jungfer Annele.«

»Ei was, ei was!« machte Gündermann, seinen Sitz geschäftig verlassend, und bestehend auf der Einladung: »Sie sind ja tropfnaß, verschwitzt und schwer zu Fuß, Herr Pfarrverweser. Das wär 'was Schönes, wenn ich Sie dergestalt Ihres Weges ziehen ließe! Nein, nein, setzen Sie sich auf ... ich hab' keine Tagreise Umweg über'n Haggen ... ein halb Stündle, und es ist gethan ... noch ein halb Stündle dann, und wir sind daheim, ich und mein Annele.«

Und auch dieses Letztere bat: »So kommen Sie doch mit, Hochwürden, kommen Sie. 's geschieht von gutem Herzen!« Und auch der Pfarrer von Heurlingen konnte dem Mädchen nichts abschlagen, und kletterte mit einem frommen Spruch und Dank hinan an des Mädchens Seite, während der Wirth den eigentlichen Kutschersitz einnahm. Wiederum neue Verwunderung des Bräunel, da es links in den Wald einbiegen mußte. »Geh zu, geh zu, und wart' nicht lang!« ermahnte Annele's Stimme das Pferd – und richtig ging es gleich, nach Gefallen. – Vorerst war das Sträßlein holperig und roppelig, und ein Diskurs der Fahrenden eine Unmöglichkeit. Nach einer mäßigen Strecke jedoch ging's bergein, und mußte der Hemmschuh herhalten. Da wurde folglich langsam gethan, der Leuenwirth ging zu Fuß, [60] das Bräunel führend, und auf diesem Schleif- und Schlittweg nahm der Pfarrweser – ein Mann, dem Sprechen hold – das Wort, und bald gab eins das andere, und wurde daraus eine rechte Unterhaltung.

Der hochwürdige Herr Waldo sagte: »Wie geht doch eines Priesters Herz, gleich einer Tulipane, auf, wenn ihm beschieden ist, mit wackern Christen seine Straße zu ziehen! Euer Haus, Leuenwirth, ist eine Herberge der Tugenden, – Eure Seele und die der Eurigen ein Tempel, dem wahren großen und unendlichen Gott geweiht! Der Allmächtige wird Eure Schritte heiligen und behüten! Die Weit ist heutzutage böse, ja grundschlecht, meine Lieben! Die Bosheit schießt dahin wie ein meisterloses Ungethüm, und keine Schranke will mehr halten, kein Zügel will mehr heben. Darum eben – ›Ich will kommen mit der Ruthe des Zorns!‹ spricht der Herr ...«

»Ach, so wollen wir beten, daß Er uns Gnade schenke, und nicht mit uns in's Gericht gehe!« seufzte Annele erschüttert; denn schon manchmal – seit dem Jahr, als Waldo das Pfarramt zu Heurlingen versah – hatte sie gezittert und gebebt in den Buß- und Strafpredigten, die der Priester so gerne seiner Gemeinde hielt. Eine Beredtsamkeit, wie die seinige, war auf dem Wald noch nicht erhört gewesen. Sie ließ sich an, wie die Stimme des Engels bei'm Weltgericht sich einst kundgeben wird, nachdem die letzte Posaune geblasen. – Die Kirchhörigen des Predigers hätten ihn vielleicht gefürchtet, wie den Tod, wenn er nicht auch verstanden hätte, ihnen ein gläubiges Leben, einen lebendigen Glauben einzupflanzen, und sie zu begeistern durch absonderliche, ja wunderthätige Handlungen, die [61] er gern an Zweifelnden und Leidenden in Anwendung brachte.

Waldo antwortete dem Annele, und sein Ton wie seine Geberden wurden dabei immer seltsamer, wie die eines rechten Propheten sein mögen: »Ihr thut der Welt Gutes, wenn Ihr für sie betet, Anna. Einer reinen und gottseligen Jungfrau Gebet ist eine reiche, heilige Medizin. Der Allmächtige selbst hat dafür gezeugt, indem er, seit die Erde erschaffen – und zwar bis in die neueste verderbteste Zeit – Jungfrauen erwählt hat, Ihn zu verkündigen und zu verherrlichen: Ihn, der den Unschuldigen die Macht verleiht, die Zukunft zu enthüllen, und gleichsam versenkt in dem Schlummer der Seligen den Gläubigen zu sagen die Arznei ihrer Leiden, und die Irrwege ihres Schicksals. Eine solche Zeugin der Gottherrlichkeit ist im Haggen erweckt worden, und eben dann, wann sie schläft mit ihren irdischen Sinnen, wacht, betet, prophezeit und heilet sie in Gott Vater, Gott Sohn und heiligem Geist!«

»Ich habe schon viele wunderbare Dinge von der Mareili – oder Cölestine – gehört;« entgegnete der Leuenwirth mit ungeheuchelter und gläubiger Theilnahme, ... »und wenn mir's das Geschäft zuließe, und nicht nur als eine freche Neugierde ausgelegt werden wollte ... ich hätte schon Hochwürden um Erlaubniß gebeten, bei der Person einmal meinen andächtigen Besuch machen zu dürfen ...«

»Ei, geliebter Freund, warum wollet Ihr das nicht gleich heute thun?« fragte Waldo mit offener Stirn: »Unser Weg führt uns ja an die Thüre des Geheimnisses, das sich frommen und ächten Christenleuten gern erschließt. In wenigen Minuten könnt Ihr [62] das Wunder gesehen haben, und vom Geiste erleuchtet worden sein. Ihr wandelt im Licht des Glaubens; Ihr und Eure Tochter werdet verstehen und begreifen, was dem beklagenswerthen Irrling ohne Gott und Glauben ewig ein Räthsel bleibt. Also: ich lade Euch ein, meine Guten, und zum Heile werd' Euch dieser Tag!«

Den Leuenwirth juckte die Neugierde; wie aber hätte er die Einladung des Hochwürdigen annehmen können, ohne sein Annele zu befragen, ob es ihr genehm? Ein Blick indessen zum Wagen hinan in der Tochter Augen, die recht munter bejahten, und die Sache war in der Ordnung. »Wenn Hochwürden erlauben, so sind wir so keck;« sagte er mit Hutlupf und Kratzfuß. Der Pfarrverweser nickte gnädig, und fuhr in seiner Rede fort:

»Ich weiß wohl, daß ich verschrieen worden bin im Lande – der Bösen sind eben zu Viele, und ihre teuflischen Zungen ruhen nicht. Sie haben mich verlästert bis nach Freiburg hinein, haben mich verschwärzt bei'm Erzbischof, bei'm Ordinariat. Weil mir der Herr die Hand gesegnet hat, so daß sie nicht selten körperliche Leiden zu kuriren im Stande, und weil mein Gebet kräftiger wirkt, als das von vielen meiner sogenannten Amtsbrüder, die als faule Knechte müßig gehen im Weinberg des Herrn, darum bin ich den Bösen ein Dorn im Aug, ein Stein des Anstoßes ihren Füßen. Weil mich Gott würdigt, daß ich seine Geheimnisse zum Wohl und Frommen der Gläubigen schon hienieden enträthseln mag, schelten die Pharisäer mich selber einen Unwürdigen! Nun denn: ich lächle dazu und wandle meine Straße über zischende Nattern dahin. Aber die Zeit kommt – ja, es kommt die Zeit, und blutrothe [63] Gestirne tauchen schon auf am Horizont. Wer da nicht glaubet, der mag bitter lernen; – wer da nicht hört, der wird fühlen. Unsere besten Tage haben wir gehabt, und der Herr der Himmel naht mit feurigem Schwerte ...«

Der Wagen machte eben einen starken Plotzer, und unterbrach den Redner. Annele dankte deßwegen im Stillen dem Himmel. Der Wirth hob den Hemmschuh aus, und ließ nun das Fuhrwerk flink dahinsurren, weil das Bergsträßlein und der Wald zurückgelegt waren, und am Rande der Ebene, die mit Matten und niederm Holzanflug bestanden, bereits der sogenannte »Haggen« zu sehen. – Die Sonne stand im Mittag, und bis zum »Haggen« war's nicht mehr weit.

Bräunle lief tapfer, der Kutscher ließ die Peitsche wacker klöpfen; Annele schwieg immer erwartungsvoll, und der unermüdliche Waldo hatte alle Muße, wiederum seine Rede anzufädeln, und von den Dingen zu sprechen, die in der Schweiz sich vorbereiteten. »Sie wollen dort unsere heilige Religion zu Grunde richten, die kalvinistischen Heiden – ja sogar unsern Herrgott in Person vom Altar werfen wollen sie, indem sie dessen Leibwache, die Väter Jesu, mit Wuth und Blutgier verfolgen. Es wird dort zum Kampfe kommen, ob das Christenthum ferner leben soll oder nicht. Und wer weiß, ob nicht – wie zu Zeiten der Allmächtige zuläßt – ob nicht für eine Spanne lang der Teufel triumphirt, den Völkern der Erde zur Lehre und Strafe? Und – in diesem Fall– werden unsere Berge – wird Deutschland überhaupt nicht in dieselben Stricke, in dasselbe Elend verfallen? Zuckt es nicht wieder drüben im Wälschland, bei Italienern und Franzosen, wie [64] in fiebernden Körpern, wetterleuchtet's nicht im Süden und Westen wie vor einem gräulichen Sturm- und Donnerwetter? Werden dann unsere Felder, unsre Wälder dem Sturm verboten, werden sie nicht im Gegentheil gerade das erste Ziel für den Blitz sein? – Gelten denn bei uns im Lande noch die Gewalten, die von Gott eingesetzt? Ist mehr die Sitte geachtet, der Eid ein Heiligthum, die Liebe zum Fürsten ein Bedürfniß, der Gehorsam eine Tugend, die Genügsamkeit eine Pflicht? Wahrlich, wahrlich: über ein Kurzes werden wir erleben, was die Höllengeister des Frevels, des Unglaubens und der Unbotmäßigkeit an Jammer und Noth über unsere Häupter daherführen werden!!«

Der Born dieser wilden und wüsten Verheißungen wäre etwa noch lange nicht versiegt, aber zum Glück war just der »Haggen« erreicht, die kleine Reise bis dahin vollendet. – »Brr! Brr!« das Bräunel hält still, nach der Krippe wiehernd; Gündermann hilft dem geistlichen Herrn mit Ehrfurcht vom Wagen herunter; Annele hüpft indessen von der andern Seite zur Erde ... Alle sind zur Stelle.

Der »Haggen« ist ein kurioses Gebäude, halb klostermäßig, halb bäurisch aufgebaut: zur Hälfte sehr schwarz und alt, zur andern Hälfte neuerer Zeitrechnung, aber ebenfalls nicht gar blendend. Vor ziemlich grauen Jahren war's einmal irgend eines Chorherrenstifts Eigenthum gewesen; der Sitz eines sogenannten »Expositus«, zugleich ein Sommerquartier für die Stiftsherren; deßhalb mit einem Oberstock versehen, der heute ganz öde und zerfallen. – Geht man ein hundert Schritte um die Ecke des Hügels herum, auf welchem das Gebäude, so steht man vor der alten Kirche [65] – zum »Haggen«, die noch nothdürftig erhalten, dann und wann an Wallfahrtstagen ziemlich besucht. – Der Priester dieser Kirche ist schon längst davon geschieden, und der jeweilige Pfarrer von Heurlingen besorgt dort nach Belieben und ziemlich unregelmäßig den Gottesdienst. Als Aufseher, Sakristan und Meßdiener ist ein sogenannter »Bruder« bestellt, der in der ehemaligen Expositur wohnt; nemlich in den paar Stuben zu ebener Erde, so noch in baulichem Stande. An einen »Bruder Einsiedler« muß man jedoch hiebei nicht denken. Der fragliche »Bruder« ist ein halber Bauer, daneben ein Dreher, ein Glasschleifer und was dergleichen Künsteleien mehr; führt ein kleines Lager von Rosenkränzen und ähnlichen Artikeln, die zu Wallfahrtszeiten leidlich an Mann gebracht werden; treibt noch zum Ueberfluß ein wenig Ackerbau auf dürrem Felde, hält eine Kuh auf ziemlich sauern Matten, und nährt sich eben mit Weib und Mutter, so gut als er kann. In jener Zeit zumal, da Annele mit dem Vater und dem Pfarrverweser auf den »Haggen« zum Besuch kam, war der »Bruder« obendrein noch der Kost- und Quartiergeber der schon genannten Mareili, auch »Cölestine« mit dem Klosternamen geheißen. –

»Verweilt nur einen Augenblick bei'm Bruder,« sagte Waldo zu seinen Begleitern, »oder genießt des Sonnenscheins in freier Luft. Ich geh' voraus, um die Schwester zu segnen und mit ihr zu beten. Dann laß' ich Euch sagen, wenn's an der Zeit.«

Leuenwirths Töchterlein zog den Sonnenschein in freier Luft vor. Der Wirth stöberte ein paar Handvoll Heu auf, um dem Bräunle Labung und Beschäftigung zu geben, und der »Bruder« erzählte während dessen [66] dem schönen Annele lang und breit der »frommen Schläferin Cölestine« Herkunft, und wie sich's gemacht, daß dieselbe jetzt auf'm »Haggen« ihre Residenz genommen. – Woraus in Kürze Folgendes zu merken:

Mareili, eines armen Schildmalers Tochter, war weit hinten im Hirzenbach, wo schon so zu sagen die Welt mit Brettern vernagelt, und mit Felsen und Giesbächen verrammelt, in einem Revier, woselbst religiöse Schwärmerei in den sparsam gesäeten Hütten gleichsam zu Hause, geboren worden: ein leibarmes stilles kränkliches Kind. – Da sie in's Wachsen kam, hintersinnte sich, wie sie dort sagen, der Vater ob schwerer Nahrungssorgen, ist nach der Hand auch im Unterland in einer Irrenanstalt gestorben. Die Mutter – daß Gott erbarm' – hielt auch nicht fest in den Wurzeln, und starb bald darauf weg, so daß Mareili in die Pflege zu einem ihrigen Mutterbruder kam, während ihre eigenen Brüder auf die Profession des Vaters in die Welt gingen, weit hinter Spanien, ja selbst bis in Amerika hinein. Der Mutterbruder hatte leidlich zu leben, von Armuth und Reichthum gleichweit entfernt, und Mareili gedieh bei ihm, und erbte ihn, da er kinderlos verblichen. – Nun regierte dazumal zu Heurlingen ein Pfarrer, Waldo's Vorfahr, der nichts unlieber that, als Leute copuliren; dagegen nichts lieberes, als sie – einmal das Weibervolk – in's Kloster persuadiren. Wenn's nach ihm gegangen wäre, so wäre die ganze Welt ein Nonnenzwinger geworden, und das Heirathen wäre aus dem Fundament abgekommen. Derselbige Pfarrer hatte sich nun auch an das Mareili gemacht, und es überredet, mit seinem bissel Sach' habe es nichts besseres und nichts eiligeres zu thun, als [67] eine Klosterfrau zu werden. Mareili, ein schwach und lenkbar Gemüth, hatte gehorcht, und war auf Probe zu den Dominikanerinnen nach Konstanz oder Villingen gegangen; hat's aber nicht aushalten können, weil ungeschickt und zu träg zu einer Lehrfrau. – Im badischen Land gab's daher kein klösterlich Unterkommen für sie; aber der Pfarrer wußte Rath. Er hatte nemlich selber – und zwar in der Schweiz, sei's nun im Kanton von Uri oder Unterwalden – aus eigenen und aus fremden Mitteln eine Frauenklostergemeinde zusammengebracht, wo keine Schule gehalten, sondern nur dem Herrn im Chor gedient wurde mit Gesang und Gebet bei Tag und Nacht. Dorthin hat er demnach das Mareili mit ihrem Sach' an Geld und Fahrnissen geschickt, und wurde sie gleich ausgenommen und »Cölestine« getauft nach Klosterbrauch und Weise. – Eine fromme Nonn' ist sie geworden ohne Zweifel; allein die schwere Plag' im Chor und die strengen Fasten mochte sie nicht ertragen, und wurde schwer krank im ersten Jahre ihres gottgeweihten Lebens. Zuerst hat man gefürchtet, es werde ihr gehen, wie schon so manchen Frauen im besagten Kloster und sie werde gottselig sterben, wie sie gelebt. Allein dem war nicht so; im Gegentheil: sie lebte von da an ein doppelt Leben, einer hellsehenden Schläferin Daseyn, und fing an, künftige Dinge vorauszusagen, vergangene, die noch verborgen, zu enthüllen, und den Kranken probate Mittel für ihre Gebresten zu verrathen. Dieses Wunder wurde zu groß erachtet für den engen Raum jenes Klosters, und man schickte das Mareili wieder heim, nachdem man ihr Vermögen einbehalten. Zum Glück war indessen der Pfarrverweser Waldo an des alten Pfarrers [68] zu Heurlingen Stelle gekommen, und er merkte gleich, was die Schwester Cölestine in ihrem von Gott begnadeten Zustand Fürtreffliches wirken und leisten könne. Deshalb nahm er sich der Schwester an, setzte sie in's Haus zum »Haggen« und von da an hatte diese Stätte einen großen Zulauf von nah und fern; denn aus der Schweiz, aus Schwaben und Baiern, ja sogar aus dem Elsaß und aus Lothringen kamen die Leute in frommen Zügen herbei, das Wunder zu schauen, und ihre Opfer und Gaben reichten mehr als hin, die Lebsucht der »Propheten-Schwester« zu sichern, warfen sogar einen erklecklichen Ueberschuß für den »Bruder« als Gratifikation und für den Pfarrverweser selber (um daraus einen Kapitalgrundstock für die Schwester zu gewinnen) ab.

So weit der »Bruder«, der noch beisetzte: Die Schwester, wie Sie vielleicht weiß, Jungfer Annele, liegt fast beständig zu Bette, und hat mein Weib viel Sorg und Plage mit ihr. Sie thut wenig speisen, aber allerdings dann die kostbarsten Sachen: Hühnerbrühen, gebratene Göcker, süße Platten, viel gekochtes Obst, zum Getränke alle Tage ein Gütterle voll des besten Weins. Zu Zeiten im Tage schläft sie, und dann redet sie im Traum die wunderlichsten Sachen, ein Professor könnte es nicht besser machen; sie sagt den andächtigen Christen, die sie befragen, Alles bis auf's Härlein voraus, sie verschreibt ihnen Medicinen, trotz dem gelehrtesten Doktor, und wenn Einer nur den rechten Glauben hat, so ist ihm geholfen, das fehlt nicht. Eben heute thut sie zwar recht mauderig, aber wenn der Pfarrverweser da ist, und sie dazwischen nimmt, geht's doch seinen rechten Gang. Außer ein [69] paar Leuten, dem kropfigen Habermichel aus'm Reutte und der rothäugigen Belzer-Marian' ist heut noch Niemand da gewesen. Ich zweifle nicht, daß Ihr zur rechten Stunde gekommen, um Euch aufzuerbauen und das Wunder Gottes recht vom Stumpen auf zu genießen. Ist Ihr etwa ein Glas Wein gefällig, Jungfer, oder Euch, Leuenwirth? Ich habe vom Guten, und er ist nicht söllig theuer ... und Rosenkränze und Medaillen, geweihte Anhenkerlen und Amulette, direkte und brühwarm von der heiligen Mutter zu Einsiedeln ... ich führe das Alles zu beliebigen Preisen, wenn Ihr Luft habt. Reiche Leute, sowie Ihr, werden auch nicht vergessen, ein Almosen für die Schwester und ein Trinkgeld für den »Bruder« in den Opferstock zu legen?

Hm hin, das findet sich; sagte der Leuenwirth, der hinzugekommen: ein Gläsle Wein wäre etwa doch nicht zu verachten, Annele? Du mußt steinmüd und hungrig sein? Ein Schöpple Wein und eine Kratzete? Was meinst du?

O lieber Vater; versetzte Annele: ich habe nicht Hunger und nicht Durst, aber ich kann kaum erwarten, die arme leidende und dennoch von Gott erlesene Schwester zu sehen. –

Indem erschien auf der Schwelle des Hauses die Frau des »Bruders«, winkte den Gästen, und meldete ihnen, daß Alles bereit, um sie bei der Cölestine zu empfangen. Ohne zu zögern, traten der Wirth und seine Tochter der Vorangehenden nach, und der »Bruder« blieb zurück, das Rößlein zu hüten.

In der Vorderstube wohnte der »Bruder« und war sein Drechsler-Glasschleif-Apparat, so wie das kleine [70] Magazin von Maria-Einsiedelwaaren aufgestellt. Eine beklemmende Schwüle herrschte in dem Gemach, und es altelte darinnen sehr. Hinterm Ofen, in der sogenannten »Gutsche« lag und schläfelte die Mutter des Hausbewohners; ein Weiblein, das nur noch ein Pflanzenleben führte, und schon dergestalt bei Jahren, daß man ihren Namen gar nicht mehr wußte. Sie wurde in der Umgegend vorzugsweise nur die »Alte« geheißen. –

Die zweite Stube diente als Schlafkammer des Ehepaars – ein dunkler, öder Raum. Gündermann und Annele beeilten sich, ihn zu durchschreiten, denn, es wurde ihnen passabel unheimlich zu Muthe. – Nun folgte ein dunkler Schlupf, ein enger Gang von wenigen Schritten in der Länge, – endlich that sich den Neugierigen das Heiligthum auf: die geräumigste und beziehungsweise hellste Stube des Hauses. Darinnen war die »Schwester« zu finden.

Mit Heiligenbildern aller Art waren die Wände beklebt; ein Betschemel stand in der Mitte des Zimmers, einem ungeheuern Kruzifix gegenüber. In dem Bette, das in der Hellung des Fensters, lag Cölestine ausgestreckt, ihr Gesicht weißer als das Bettlinnen, ihre abgezehrten Hände wie zum Gebet gefaltet. Der leibhaftige Anblick des Todes; eine hagere Leiche mit geschlossenen Augen. Neben dem Lager saß der Pfarrverweser, ein Gebetbuch haltend. Tiefe Stille. Ein schwacher Weihrauchgeruch machte sich ringsum bemerklich. – Auf einen Wink der Hausfrau kniete Annele und ihr Vater auf den Boden nieder, und hefteten ihre Blicke auf die laut- und regungslos ruhende Schwester. Waldo ließ ihnen Zeit, das Vaterunser und den englischen Gruß zu beten.

[71] Sodann erhob er sich, legte seine Hände auf Cölestinens Stirne, strich ihr einigemal über die Schläfen, faßte hierauf ihre Linke gleichsam wie ein Arzt in der Gegend, wo der Puls schlägt, und sprach mit tiefer gedämpfter Stimme: Schlummerst Du, Cölestine, oder ist Dein Geist noch im Herrn?

Nach einer langen Pause sprach ihrerseits die Schläferin eintönig, aber vernehmlich, so daß es den Zuhörern mitten durchs Herz ging: »Ich sehe den Himmel offen – der Vorhang des Tempels ist hinweggezogen ... Hosanna dem Allmächtigen, dessen göttlicher Sohn sich als ein Lamm für die Welt hingegeben! – Der heilige Geist ... die geheimnißvolle Taube ... o heilige Mutter Gottes, verlaß mich nicht!« – Hier schwieg sie, wie erschöpft und des Athmens unmächtig.

Aber strenger denn zuvor redete Waldo die Schläferin an: So sag' an im Namen der Dreifaltigkeit, was Du siehest. Gib Zeugniß von den Wundern des Herrn!

Als wäre sie unwillig, und zum Gehorsam gezwungen, seufzte Cölestine auf, murmelte einige unverständliche Worte – dann hob sie sehr gemessen an: »Thut Buße, Buße, Buße! Weinet blutige Thränen über Euch und Eure Kinder! Eure Sünden sind aufgegangen, die Ihr mit Frevel gesäet! Die Zeit kommt!«

Ach mein Gott, mein Gott! wäre ich nur schon wieder von diesem Ort hinweg! jammerte Annele tief in ihrer Seele: Was wird da noch werden? – Doch ließ sie den Vater weiter nichts merken. –

Cölestine fuhr wie oben fort: »Es wird ein Sturm über die Erde gehen, den Gräul der Verwüstung im Gefolge – die Altäre des Herrn werden versinken, die [72] heiligen Priester entfliehen ... für die Gottseligkeit keine Stätte mehr seyn. Die Reichen werden arm seyn, aber die Armen nicht reich, weil sie von Gott gelassen. Große Schlachten werden geschlagen werden in unserm Land, und die Städte verbrennen, Feld und Ernte zu Grunde gehen ... die Russen und die Türken werden kommen, ihre Pferde im Rhein zu tränken ... das wird dauern ein, zwei, drei Jahre lang – für den Ewigen ein Hauch, eine Ewigkeit für den sterblichen Sünder!!! Kinder werden schreien nach ihren Eltern, die Mütter werden jammern um ihre Kinder ... Wehklagen wird die Stimme des Menschen seyn! Es wird Mancher wünschen, nicht geboren zu seyn, und Viele untergehen im feurigen Pfuhl ohne Hülfe, ohne Erbarmen, bis der Herr sagen wird: Es ist genug! – Selig, selig werden nur seyn die Todten ...! Amen – ich habe gesehen ... ich habe gezeugt ... Amen, Amen, Amen!«

Die letztern Worte stammelte die Prophetin, gleichsam dem schweren bleiernen Schlummer erliegend; – allein Herr Waldo rüttelte sie am Arme, das Annele heranwinkend, das sich bebend erhob und an das Lager wankte. – »Gib Zeugniß noch ferner von der Zukunft! Belehre diese fromme Christin, und deute ihr die dunkeln Wege der Vorsehung!« Also sprach er die Schläferin an, legte in ihre kalte Hand die Hand des Annele, das wie vernichtet ihn gewähren ließ. Und die Augen Cölestinens gingen weit auf, aber trüb und glasig, und gen oben starrten sie, und man konnte merken, daß sie irdische Dinge nicht sahen, blind für die Erde, nur in der Verzückung lebendig. – Hierauf sagte die Schwester weinerlich und mit vielen Unterbre [73]chungen: »Der himmlische Bräutigam ist Dir nahe ... er liebt Dich sehr ... darum wird er Dich prüfen und schwer beladen ... Leiden, leiden wird Dein Loos seyn ... Geliebte, stärke Dich im Gebet ... waffne Dich mit Opferwilligkeit ... streite an gegen die Begierden und Gelüste der Welt ... gib das Herz nicht her, verliere Deine Hand und Deine Seele nicht an den Versucher ... bleibe jungfräulich, werde keines Mannes ... fliehe den Ehestand ... des Priesters Segen würde Dir ein Fluch seyn ... ein grausames Kreuz der Bund der Ehe ... hüte Dich, ergib Dich in den höchsten Willen ... ledig ... ledig ... sonst stirbt Deine arme Seele den Tod, den ew'gen Tod!«

Die Unglücksprophetin ließ nun Annele's Hand fahren, und fiel in Zuckungen, die schlimm anzusehen; Annele aber sank in die Arme ihres Vaters, der leise hinter sie getreten, mit Thränen kämpfend und stammelnd: »An die Luft, Vater, an die Luft! ich ersticke, ... ich werde schwach ... ich komme um!«

Der Alte schleunte sich, sie wegzubringen, und machte sich dabei bittere Vorwürfe, daß er das Mädel veranlaßt, mit ihm im Haggen einzukehren. – Herr Waldo blieb dagegen ungerührt und gleichgültig noch eine Weile bei der Schwester zurück. Eben so unbekümmert benahm sich der »Bruder«, da er der fast ohnmächtig gewordenen Jungfer ein Glas Wasser vor die Thüre des Hauses brachte, und ihr einen Stuhl zum Ausruhen hinstellte. »'s wird gleich vorübergehen, –meinte ... das kommt oft vor ... das Weibervolk ist so schwach von Nerven und so ängstlich das fürchtet sich vor'm Schatten an der Wand ... aber gleich wieder auf den Beinen, gleich wieder bei der [74] Hand! Ich kenne das – nicht wahr, Alte? Wir haben da oben schon Viele anstreichen müssen, und sie sind doch kreuzfidel wieder fortgegangen? So, so, 's thut sich auch schon wieder mit der Jungfer! 's wird schon besser; noch ein paar Schluchzer, und 's ist vorbei. Mädleszähren und Aprilenschein werden nicht beständig seyn. Leuenwirth, vergeßt doch den Opferstock nicht, und das kleine Trinkgeld für den ›Bruder!‹«

Verdrießlich, weil unzufrieden mit sich selber, langte der Leuenwirth in den Sack, und gab eben keine lordmäßige Beisteuer her. Das machte nun auch den »Bruder« verdrießlich, ja grob. Er kümmerte sich den Henker mehr um den Wirth, um dessen Tochter, um das Rößle, sondern rannte zum Pfarrverweser hinein, die Opferkiste auf'n Tisch schiebend, und mit krummem Maul brummend: 's sitzt doch heutzutage der Satan in den reichen Leuten! Da hat mir der Leuenwirth einen Zwölfer gegeben, und ich hab' ihm doch das Roß gehalten, und der Ann' ein Glas Wasser gebracht. Da möchte doch der ††† Bruder auf'm Haggen seyn, wenn's alle Tage so zuginge! Vivat die armen Leute! die zehren und steuern und kaufen und opfern doch brav! Was der Reiche in den Stock gethan, wird auch nicht viel heißen!

»Gib das Kistle immer her! Wir wollen Sturz machen!« befahl Herr Waldo, und schüttete das zusammengekommene Geld auf'm Tisch der Vorstube aus, zählte, zählte wieder, machte ein Röllchen, schob es in die Tasche. – »Ich hab' eben Gelegenheit, es sicher anzulegen!« sagte er, und der »Bruder« machte dazu ein sonderbar räthselhaft Gesicht. –

Indessen sagte der Wirth, der angespannt hatte: [75] Nun, Schätzle, wenn du wieder recht bei Kräften, da fahren wir, denk wohl, jetzo heim? – Worauf Annele eifrig und dringend: O ja, nur fort, nur fort, und wollte Gott, ich wäre nie, o nie in dieses Haus gekommen! – Ich wollt's schier auch; brummte der Leuenwirth in den Bart, und galoppirte, was gibst du, was hast du, davon. – –


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