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Sechstes Kapitel.
Abenteuer auf Schloß Milzheim und so weiter.


Seit dem neunzehnten März, an welchem der »Mann Hecker« – wie ihn Herr Doktor Faust zu nennen für gut fand – auf der Volksversammlung zu Offenburg gesagt hatte: »Wartet, bis ich rufe: ›Es ist Zeit!‹ und zündet dann die Feuerzeichen auf den Bergen an, und waffnet Euch, und erhebt Euch für die deutsche Freiheit, für den deutschen Freistaat!« war noch lang' kein Monat umgelaufen, und schon machte der Volkstribun Ernst. Mit dem Vorparlament in Frankfurt zerworfen, ohne seinen Freunden in der badischen Kammer ein Wort von seinen reifgewordenen Planen zu sagen, war er über Mannheim, wo er von seinen Lieben Abschied nahm, durch Rheinbaiern, Frankreich und die Schweiz nach dem Seekreis abgegangen. Dort regte sich, längst vorbereitet, ein republikanisch-ungestümes Treiben. In Konstanz sollte die Erhebung des Volks ihren Anfang nehmen. Struve, Willich, Bruhn, Siegel und die andern Führer der Volkspartei waren bereits dort versammelt. Mit Heckers Ankunft in ihrer Mitte gestaltete sich das Wort zur That. Die Bürger [158] von Konstanz und den umliegenden Gemeinden wurden zusammenberufen, um ihre Stimme in die Wagschale zu werfen; über den ganzen Seekreis wurden Proklamationen des Obmanns Hecker verbreitet: sie riefen zu den Waffen, sie bestimmten Donaueschingen als Hauptsammelplatz der Volksbanner, die sich von dort, mit jedem Schritte wachsend, gleich einer ungeheuern Lawine, durch's badische Land gen Karlsruhe wälzen sollten, um mit einem Schlage gründlich abzumachen mit der Monarchie, mit dem Adel, dem stehenden Heere und dem Geldsack; und auf den Trümmern des alten Westens die Republik zu gründen: Hecker's und seiner Freunde und der jungen Mannschaft des Landes Ideal. –

Natürlich gingen die Boten der Freiheit nicht an dem Schloß und Dorf Milzheim, das im Hegau gelegen, vorüber, ohne die gedruckten Aufgebote mit mündlichem Begleit dort in Menge zu vertheilen. – Ein solches Proklam überraschte den Junker Gallus und seinen Freund Moritz-Jonathas bei'm Frühstück. – Es war nicht geeignet, des Edelmanns Appetit und Wohlbehagen zu steigern. Mit einem Seufzer reichte der junge Mann dem Freunde das Blatt, und sprach:

Da, lies einmal. Das ist eine schöne Bescheerung; und will mich bedünken, als sähe ich schon im Geiste den Bauernkrieg des neunzehnten Jahrhunderts aufziehen, wie ein blut- und nach Schätzen begieriges Ungethüm. Worüber ich gelächelt noch vor Kurzem, da die öffentlichen Blätter von den Offenburger-Beschlüssen und von dem nahen Ausbruch einer Revolution in Deutschland redeten, – was ich für eine Unmöglichkeit in unserm gesegneten Ländchen erachtete, trotz der Stürme zu Wien und Berlin und der Demonstrationen, [159] die in unserer Hauptstadt an das Licht getreten – es verwirklicht sich plötzlich, und findet uns rathlos, ohne Schutz, ohne Hülfe in unserm Recht!

Moritz, nachdem er gelesen, antwortete mit Fassung: Pah, was thut's? Wir müssen's eben erwarten! Das heißt: mir wird es jedenfalls zu erwarten leichter seyn, als dir, Freund Gallus. Ich bin ein Plebejer, ein Proletarier, wie sie's heutzutage nennen; ... was könnte ich bei'm Sturm, der naht, verlieren? Höchstens gewinnen könnte ich bei'm neuen Wesen, das sich aufthut, und den alten Zopf und Hexentopf in Scherben schlagen wird. Deine Lage, Freund, als Edelmann und Grundherr, ist freilich weit bedenklicher. Aber, was ist da zu thun? Pah, den Hals wird's nicht gleich kosten, und ich verlasse dich, bei Gott, nicht; darauf meine Hand. Zudem bist du als ein wackrer Mann und milder Zins- und Zehent- und Gülterheber auf deinem Sitz und Boden bekannt. Deine Bauern lieben dich, und das deutsche Volk, wenn auch erregt und wild geworden, ist doch ein guter Schlag von Menschen. Pah, beruhige dich, und lass' es darauf ankommen, es geht besser, als du denkst.

Worauf der Junker, wenn er schon nicht auf die Tröstung einging: Könnte ich doch nur deine Hoffnung theilen! Aber ich fürchte, ich fürchte ...! Du weißt ja, wie das Volk im Lande schon seit Langem bearbeitet worden. Du weißt, wie sich zu Engen und an andern Orten jener Abgeordnete der zweiten Kammer, den die Leute spaßweise nur den »Baronenmetzger« heißen, ausgesprochen hat gegen Adel, Geistlichkeit und Privilegien! Nein, nein, es wird eine trübe Zeit absetzen. Gleichwohl kann ich – ich fühle das – nichts [160] Andres thun, als in Ergebenheit abwarten, was die nächste Stunde bringt. Davon zu laufen, und die Scholle, die mir gehört, zu verlassen, fällt mir nicht ein, – und so du als alter Freund bei mir und mit mir die Zeit der Trübsal durchmachen willst, schätz' ich mich noch glücklich.

Topp! machte Moritz entschlossen: Wir wollen uns theilen in die bösen Tage, wie wir uns in die guten getheilt haben. Sieh'! ich mache mir nichts daraus, wenn auch der ganze alte Bettel in Deutschland zusammenrumpelt ... pah, was thut's? Aber für deine Person und deine Habe will ich mich wehren mit Zahn und Klaue, denn du bist ein von Herzen edler Edelmann, und was du besitzest, gehört dir als ein um so heiligeres Eigenthum, als du den größten Theil des Ertrags für deine armen Brüder, für deinen leidenden und gedrückten Nächsten verwendest. Das wird vom Volke, wenn's auch tobt und stürmt, dir zum Guten angerechnet werden, und du wirst seines Schutzes genießen, während die sterile Aristokratie in Fetzen geht.

Ei, ei! drohte mit wehmüthigem Lächeln der Junker dem Freunde: wie du redest! Willst du wohl aufhören, über meine Stamm- und Standesgenossenschaft den Stab zu brechen?

Hm, versetzte ebenfalls lächelnd und die Hand darstreckend, der freisinnige Moritz: Ich habe eben meine eigenen Gedanken und Ansichten. Im Uebrigen bleibt's bei meinem Wort, und im Nothfall will ich mich für dich schlagen, wie nur je ein Vasall für seinen Dynasten, oder ein pumphosiger Schweizertrabant für seinen Papst gethan! Laß' uns aber jetzo ein bischen in's Dorf hinabgehen, um zu losen, was die Leute sagen, [161] und ihnen zu zeigen, daß du sie nicht fürchtest, daß du ihnen sogar vertraust. Die härtesten Fäuste werden oft vom weichsten Herzen dirigirt.

Gallus war mit dem Vorschlag einverstanden. Da sie über den geräumigen Schloßhof schritten, um in's Dorf zu wandeln, kam eben ein Mann zu Pferde an, unscheinbar gekleidet und der morastigen Feldwege Spuren auf sich tragend. Moritz glaubte in demselben einen Beamten aus der Nachbarschaft zu erkennen. – Der Reiter sprang vom Pferde, zog den Edelmann bei Seite, übergab ihm einen Brief und plauderte mit ihm geheimnißvoll und angelegentlich.

Was geht mich die Geheimnißkrämerei an? dachte Moritz, und ging einstweilen seinem Freunde auf dem Weg zum Dorfe voraus.

Es war ein zweifelhaft veränderlicher Apriltag. Regen- und Schneewolken jagten hin und her am Himmel. Die Sonne lächelte bleich hernieder. Dennoch – als ob eigentlicher Sonntag wäre, wimmelte der ansehnliche Platz vor der Kirche von Milzheimern und Nebensassen; alle im eifrigen Gespräch, zusammengedrängt in neugierige Gruppen. Es war wohl kein Mann zu Hause geblieben. Im weiten Umkreis, an den Thüren und Fenstern der ländlichen Wohnungen lauschten und lugten die Weiber. – In der Versammlung ging das fragliche Proklam des Obmanns Hecker von Hand zu Hand. Der Redner manche erklärten ihren Zuhörern den Text, je nachdem ihr politisches Bekenntniß lautete. Der Lehrer predigte den jungen Mannsleuten; der Bürgermeister sprach auf seine Weise den Gemeinderath, die älteren und vermöglicheren Bürger an. Jener empfahl ziemlich unverblümt die Republik; [162] dieser mahnte davon ab und wußte gräuliche Dinge von der französischen Revolution vorzubringen. – Die Erscheinung des Schloßgastes stiftete einen Waffenstillstand. Die Prediger hielten inne; denn sie trauten dem Freund ihres Grundherrn nur halb. Den Fortschrittlern schien er viel zu aristokratisch, den Konservativen weitaus zu radikal. So streckten sie die Köpfe zusammen, und legten dem lauten Wort einen Zaum an.

Dieses bemerkend, trat Moritz fest unter die Bauern hin und fragte: Nun, was gibt's, Ihr Leute? Was wird da ausgekocht? Ist Neues im Land?

Ha, erwiederte der Bürgermeister, das Papier darreichend: Drum ist da ein Aufgebot gekommen vom Hecker und vom Struve, und wir halten Rath, ob wir dazu stehen sollen oder nicht?

Der Lehrer dagegen sagte kurz und trotzig: Die Red' ist von der Freiheit und von den Rechten des Bürgers, und da hat sich's nicht lang' zu deliberiren. Wenn das Vaterland ruft, so müssen wir folgen. Nicht wahr, Ihr Freunde und Brüder? – Die jüngern Leute, und auch der Alten etliche nickten zustimmend. Einer der Letztern, der Adlerwirth, rief aus: Das Wesen, das alt', muß ein End' nehmen. 's ist ungeschickt und ungerecht; vor Steuern und Gaben kommen wir nicht in die Höh', vielmehr immer tiefer in Verlust. Accis und Ohmgeld machen uns todt. Und wer profitirt davon? Die Karlsruher und Niemand sonst. Das schwere Geld, das im Land gesteuert wird, bleibt all' in Karlsruhe, das wissen wir gar wohl. Die Minister machen das Budschet und sagen: so und so viel Millionen kost'ts. Ist aber all' verlogen; die Herren stecken's in Sack und der Ueberschuß wird an die [163] Karlsruher vertheilt. Das dürfen wir nicht mehr leiden.

He, Ihr Bürger! hob der Bürgermeister nun mit lauter Stimme an: Das, was Ihr da meint, ist all' erdiftelt und erfunden. Der Großherzog ist ein braver Herr und würde gewiß nicht zugeben, daß der Schweiß des Landes auf diese Art zu den Katzen ginge. Nein, nein ... aber das sag' ich selber, daß wir da oben im Lande immer neben hinausfallen, wo die im Rheinthal und im Markgräflerland den Rahm abschlecken. Mit der Eisenbahn durch's Kinzigthal zu uns heraus will's alls noch nicht voran, und wir zahlen doch in ganz Baden an die Bahn!

Worauf ein alter Bauer: Wenn ich doch nur nichts von der Eisenbahn hören müßte! Die hat den Bürger und den Landwirth in's Pech gebracht. Nirgends kein Verdienst mehr – die Früchte gelten gar nichts mehr, seitdem sie auf der Bahn gehen ... Wirth' und Handwerker an der alten Straß' verlumpen. Und ich hab' mir sagen lassen, daß die Kartoffelfäule gerad' nur von der Eisenbahn herkommt.

Nun mehrere Andere durcheinander: Was da, was da? Die Zehntablösung macht unsere Säckel leer, und das Sündengeld müssen wir zurückhaben. Die Herren und die Geistlichen haben's immer noch gut genug, wenn sie auch den Zehnten und unser Geld dafür nicht haben.

Noch viel zu gut haben sie's! schrie der Lehrer hinein, und Einer von seinen steifsten Anhängern, der bei der Offenburger Versammlung gewesen, fügte hinzu: Ja, ja, by Gott! Die Pfaffen haben zu viel, und die Lehrer zu wenig! – Keine Steuern, keine Gülten, [164] keine Zehnten und Abgaben mehr! – Und also hallte das Echo wieder rundum, von den Alten wie von den Jungen, von den Vermöglichen wie von den Armen, und die Weiber klatschten Beifall.

Sieh', sieh', der Boden ist gut gedüngt! sagte Moritz bei sich, zürnte aber keineswegs den Schreiern, weil eine solche Lebendigkeit und Rührigkeit, ein solch' einstimmiges Verständniß ihm im Volke noch nicht vorgekommen. – Wie sie toben, wie sie brausen! dachte er weiter: doch wird des Deutschen heller Geist den Sieg im Kampf davon tragen, und Alles am Ende gut werden!

Indessen trat wiederum eine plötzliche Stille unter den Brausenden und Tobenden ein. – Der Edelmann war auf den Platz getreten. Und wo er ging, öffnete sich ihm eine Gasse, mancher Hut wurde vor ihm gelüpft: mancher »Guter Tag, gnädiger Herr!« ... ihm zugerufen, und Diejenigen, die nicht grüßten und nicht den Hut zogen, verhielten sich wenigstens still.

Moritz wunderte sich, des Freundes trübe Stirne erheitert, seinen bitter verzogenen Mund sogar von einem Lächeln umkleidet zu sehen. Das Räthsel löste sich schnell. Gallus, der in seiner Hand den Brief trug, welchen ihm der reitende Herr gebracht, wendete sich schnurstracks an Bürgermeister und Gemeinderath mit den Worten:

Liebe Männer und Freunde! Es ist Euch zwischen heut' und gestern ohne Zweifel ein Ausschreiben von den sogenannten Führern der Volksparthei zugegangen, das Euch verwundert, in Erstaunen gesetzt, ja betrübt haben wird, wie ich nicht anders glaube. Jene Männer, die sich Volksführer nennen, forderten Euch auf, [165] zu ihnen zu stehen, mit ihnen zu ziehen, Ordnung und Gesetz und Recht im Lande umzuwerfen und abzuthun. In welches bodenlose Unglück wollten sie Euch führen, ihr Männer ...?

Was Unglück! rief des Lehrers Stimme aus dem Haufen: Hecker ist ein Ehrenmann!

Hecker hoch! jubelten ihm Viele nach.

Der Junker, ohne sich aus der Haltung bringen zu lassen, fuhr fort, nachdem sich das Getümmel gelegt: Ich schmähe nicht den Hecker noch seine Freunde. Ich halte sie für Verblendete allein; und um so mehr halte ich sie dafür, als sie, wie wackre und gescheidte Leute sollen, ihrer Verblendung sich bewußt geworden sind. Ein Augenblick der Uebereilung kommt über jeden Menschen; nie aber ist's zu spät, sein Unrecht einzusehen und wieder gut zu machen. Hört an, was dieser Zettel besagt, den ich so eben erhalten, und der im Lande ringsum vertheilt wird. Er ist gedruckt, vom gestrigen Tage und von Konstanz datirt, und lautet also:

»Zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Stimme des gesammten deutschen Volks überhaupt und des badischen insbesondere sich keineswegs ausschließlich für den Freistaat ausspricht, sowie durch andere Rücksichten bewogen, nehmen wir die gestern veröffentlichten Ausschreiben an die Gemeinden, bewaffneten Zuzug betreffend, zurück, und sagen hiemit die nach Donaueschingen berufene Versammlung ab. Der Zeit und dem Ermessen der Volksfreunde wird daher überlassen bleiben, was ferner für die Rechte und Freiheiten der deutschen Nation zu thun seyn möchte. –

Unterzeichnet: Hecker. Struve.« –

[166] Der Kreis, der sich um den Vorleser gebildet, drängte sich immer enger zusammen. Viele wollten ihren-Ohren nicht trauen; Alle gaben sich Mühe, in das Dokument hineinzustarren, es wo möglich mit eigenen Augen zu lesen. Diese, dem revolutionären Aufgebot so schnell auf der Ferse folgende Zurücknahme desselben überraschte nicht wenig selbst Diejenigen, die nicht der Revolution geneigt waren. Doch nur ein Einziger – der Lehrer – hatte den Muth, gegen den Widerruf zu protestiren. »Das ist ein Herren- und Jesuitenstreich!« rief er zornig: »Das hat Hecker nicht geschrieben!« und entfernte sich entrüstet nach seiner Wohnung.

Die Uebrigen hingegen – nachdem ihnen der Zettel vorgewiesen – und just zur selben Zeit kam der oben bezeichnete Reiter am Platze vorüber und ließ die Exemplare der Abmahnung unter's Volk regnen – sagten, die Einen freudig, die Andern traurig, Alle verdutzt: Es ist gedruckt, darum wahr, und wir müssen's glauben!

Worauf der Bürgermeister, dem ein schwerer Stein vom Herzen gefallen, eine kleine konfuse, aber gut gemeinte Ansprache an den Edelmann hielt, die alles Gute, das er der Gemeinde gethan, aufzählte, und ihm den Dank der spätesten Nachkommen verhieß. Der Gemeinderath defilirte vor Gallus mit Bücklingen und Betheurungen seiner unverbrüchlichen Anhänglichkeit vorüber; ein Grenzwächter, der sich während der Lesung des Absagezettels eingefunden, brachte dem Großherzog ein Lebehoch aus, worein Viele aus voller Kehle einstimmten. Die Uebrigen gingen stumm, zum Theil die Köpfe hängend, davon. – So nahm die Versammlung von Milzheim ein Ende.

[167] Und zum Freunde sprach auf dem Heimweg der Edelmann voll guten Glaubens an die Sache, die ihm die gerechte war: Du hast doch Recht gehabt, Moritz. Das deutsche Volk ist ein gutes Volk. Meine Milzheimer lobe ich mir vor Allen. Sie haben nicht vergessen, daß ich um ihretwillen mich auf das Land verbannte, während ich so gut wie Andere meines Gleichen in der Residenz oder im Armeekorps meine Rolle hätte spielen können; nicht vergessen, daß ich, um ihnen stets mit Rath und That zur Hand zu seyn, mich nur ihren Interessen zu widmen, im ledigen Stande geblieben bin, ein Vater der Armen und Nothleidenden, des fleißigen Landwirths Bruder und Freund, ein Schützer der Wittwen und Waisen. O ja, was auch da noch kommen mag, sie werden mir treu ergeben seyn und stets mit mir den Weg des Rechts und der Pflicht gehen, Gott sey gelobt!

Moritz erwiederte nur: Verhüte der Himmel, daß ich dich in deinen Hoffnungen beirren möchte! Er spare dir und den Milzheimern jegliche Prüfung in diesem Betreff. Jedoch kann ich mir nicht erklären, welche Bewandtniß es wohl mit der Botschaft, die du erhalten, haben dürfte? Wie? kaum haben die Patrioten sich zu einer immerhin großartigen That vereinigt, und schon geben sie ihre Sache auf? Mir schwindelt vor diesem so plötzlichen Umschlag.

Junker Gallus versicherte den Freund mit allem Ernste eines Starkgläubigen, daß an der Aechtheit des Manifests, an der Wahrheit des ganzen Verlaufs der Dinge nicht im Geringsten zu deuteln und zu zweifeln; daß ihm der Ueberbringer, der nur um des guten Zwecks willen, und um schneller die Abmahnung [168] zur allgemeinen Kenntniß zu bringen, den Staffetendienst übernommen, mit Hand und Mund betheuert, wie Hecker und Genossen bereits Konstanz verlassen, um in's Parlament zurückzukehren, und was dem mehr. – Des Edelmanns Ueberzeugung war so herzlich, seine Stimmung so fröhlich und gottvertrauend, daß unwillkürlich Moritz endlich in seinen Ton stimmte, und ebenfalls – wie er zu sagen beliebte – Gott einen guten Mann seyn ließ. – Die Schwester des Junkers, eine artige junge Dame, die ihrem Bruder zu liebe jede Parthie ausgeschlagen und ihm Haus hielt, war so vergnügt über die unerwartete günstige Wendung der Dinge, daß sie ein kleines Traktament zu Mittag anordnete, dem sie präsidirte, und alle Grazien des Frohsinns beiwohnten. Sodann machten die Herren einen kleinen Pürschgang in Wald und Flur ... sodann erheiterten sie sich zur Abendstunde mit geselligem Scherz bei'm mittelalterlichen Pokal, ohne sich mittelalterlich zu betrinken, und Moritz mußte gestehen, daß ihm noch nie ein Tag so heiter vergangen, als dieser, der sich doch so gefährlich angekündigt. – »Am End',« – so rief er lustig aus –»am End' ist mir's auch alles eins; Deutschland mag zusehen, wie's zurecht kommt. Pah, was thut's? Indessen kann ich nicht läugnen, daß mir der wiedereingesetzte Landfriede trefflich mundet, indem ich jetzt doch keinen Grund mehr habe, auf Milzheim zu verweilen, und darüber mein Rendezvous mit den Freunden zu Freiburg zu versäumen. Du weißt, Freund Gallus, warum sich's dort in der Charwoche handelt, und wirst mir Urlaub geben, nicht wahr? Schon morgen – gelt? – darf ich ausreißen, kommen, sehen, siegen, wo möglich heirathen, und auf der [169] Hochzeitsfahrt bring' ich dir mein Weibchen zum Besuch in's Schloß; he?«

»Du bist der alte närrische Wildfang,« lachte ihn Gallus aus: »Jedenfalls mach's kurz in Freiburg ab, und komme dann geschwind zurück – mit oder ohne Gattin (ich denke ohne) – auf mein altes Schloß. Ich kann fast nicht mehr ohne Dich seyn, du weißt's. So denke denn auch fleißig an mich, und laß uns, die wir dir so freundlich zugethan, nicht lange warten!« – Noch eine brüderliche Umarmung, und die Freunde suchten in der heitersten Laune das Lager auf. – –

Mit leichtem Herzen und gesundem Blut schläft man schnell ein, schläft man gut. Aber das Schicksal geht seinen Gang fort, und kümmert sich nicht um die Nachtruhe der Sterblichen. So auch zu Milzheim. Die zwölfte Stunde war gekommen, und auf dem alten Schlosse war schon tiefe Stille, tiefer Friede. Im Dorfe hingegen sah's anders aus. Unruhe auf der Gasse, Schreien, Gepolter an Thüren und Fensterläden, fremde Leute in beträchtlicher Anzahl, wildes Halloh durch die Nacht, Stampfen von Gewehren ... »Heraus, ihr Bürger, heraus! Lichter her, Wein her, Bürgermeister her!« Der Ruf von vielen rauhen Zungen. – Nicht lange und der Lärm nahm überhand; das Glöckchen auf dem Rathhause fing an gellend zu spielen, die Glocken auf dem Kirchthurm folgten nach; es wurde Sturm geläutet. Und bis zum Schlosse drang endlich das Getöse, die Hofhunde wurden wach, und weckten durch ihr wüstes Gebell die Knechte, die Mägde. Und vor dem alterthümlichen Thor schlug der Glast von Flammen auf, und eine wilde Menge pochte an's Haus des Edelmanns, der erschrocken in die Höhe fuhr. Zur [170] gleichen Zeit sprang Moritz aus dem Bette und eilte zum Freunde ... das Fräulein, ebenfalls dem Schlummer entrissen, im nothdürftigsten Nachtkleide, gefolgt von bestürzten Dienern, lief herzu mit der Frage: »Wo brennt's? Was geschieht? Was hat's gegeben?« – Der leichenblasse Verwalter, der da erschien wie ein Gespenst, antwortete: Sie sind da, sie sind da! – »Wer, wer um Gotteswillen?« – Der Hecker, der Struve, die Freischaaren und Franzosen! Sie wollen das Thor einschlagen ... nach dem gnädigen Herrn verlangen sie ... was sie wollen, weiß ich nicht, daß Gott erbarm'! – Die Bestürzung war ungeheuer; die Weiber versteckten sich in die Kellergewölbe.

Indessen hatten die Knechte, dem andrängenden Volke mehr befreundet, ohne Befehl Thor und Gatter geöffnet, und eine bunte Schaar von bewaffneten Fremden und von waffenlosen Milzheimern wälzte sich, Fackeln und Laternen schwingend, in den Hof. Auf der breiten Vortreppe des Wohngebäudes trat ihnen Junker Gallus, kaum bekleidet, trat ihnen Moritz, das Schlimmste befürchtend, entgegen.

Wer sich ihnen frank und frech, eine Fahne tragend, unter die Augen stellte, war der Lehrer, der Mann des Fortschritts in Milzheim, und schrie ihnen zu: Jetzt ist das Lügenspiel am Tag, womit das Volk, das arme Volk hintergangen werden sollte! Ihr Herren wolltet uns die Hände binden und das Maul knebeln, während im Land draußen die Freiheit laut das Wort führt, und Alles sich erhoben gegen die Verdummung und die Tyrannei! Mit Eurer Komödie ist's aber all' aus und vorbei! Der Hecker hat die Befreiung des Landes nicht vertagt. Der Zettel, den Ihr Herren [171] im Land herum hausirt, der uns heut' vorgelesen worden – erlogen ist er! Mit vielen Tausenden ist der Hecker im Anzug gegen Karlsruhe. Ein Banner von seinen Kämpfern ist hier eingetroffen; wer da rüstig und ein Patriot, wird sich ihm anschließen. Aber Waffen, Waffen brauchen wir! Darum schließt auf Eure Gewehrkammer, Baron von Milzheim; gebt heraus dem Volke, was es braucht. Waffen, Waffen, oder wir verschaffen selber uns das Recht, so uns gebührt.

Und: »Waffen, Waffen heraus!« tönte das Echo aus hundert Kehlen nach.

Der bestürzte Junker sah sich um nach dem »treuergebenen« Gemeinderath, – der ihn noch gestern seiner unverbrüchlichen Anhänglichkeit versichert; von den wackern Männern war keiner zu sehen. – Er versuchte alsdann, ein abmahnend Wort zu reden ... umsonst. Die Bauern schrieen: Nichts da; wir wollen nicht unser Dorf in Brand gesteckt haben, nicht unser Leben bedroht sehen! Der Hecker ist mit vielen Tausenden eine Stunde von hier. Das könnte uns schlecht bekommen. Freiheit und Waffen wollen wir, bei'm Eid; Waffen und Freiheit, oder es geht dem gnädigen Herrn nicht gut! –

In diesem Augenblick, da das Volk geradezu rasend zu werden drohte, stürmten die Bewaffneten vom Freiheitsheer herbei, eine ziemliche Anzahl rüstiger verwegener Gesellen, abenteuerlich anzuschauen mit ihren aufgeschlagenen Hüten, Hahnenfedern, blauen und grauen Ueberkitteln, mit Büchsen, Kommisgewehren, Sensenspießen und Säbeln bewehrt. »Wie? was?«« donnerten sie: »Will der Baron nicht herausrücken? Donner und Wetter! Wir wollen's ihm zeigen!« – Und die Fluth [172] stieg hoch, als wollte sie Alles überwallen, Alles mit sich hinweg zu Boden, zu Trümmer reißen.

He! he! erklang indessen aus dem Gewühl eine helle kräftige Stimme: Brüder, Freunde, laßt Euch sagen! Befleckt nicht mit unnützem Frevel das Banner der Freiheit! Der Edelmann ist auch ein Mensch und kann nicht dafür, daß er unsere hohe Begeisterung nicht begreift. Laßt mich mit ihm reden: vielleicht ist er dem freundlichen Wort zugänglicher als der Drohung. Laßt mich durch zu ihm.

Der Führer der Schaar war's, der also gesprochen: ein junger, schlanker Mann mit offenem Gesichte, mit fliegender Feder auf dem Hute, mit einem blitzenden Schleppsäbel umgürtet, in seinem wildromantischen Gewande recht gefällig anzuschauen. Er drang vor, trat sicher und fest, aber nicht mit Uebermuth dem Junker auf die Vortreppe entgegen, streckte ihm die Hand dar und rief, während ringsum es stille wurde: Sie werden nicht taub gegen die Vernunft, gegen die Klugheit seyn, Freiherr von Milzheim. Das Volk ist aufgestanden für seine Rechte, es steht da in seiner Würde, Kopf an Kopf gedrängt ... ein Widerstand ist nicht möglich. Thun Sie mit gutem Willen, was Ihnen widrigenfalls mit Gewalt abgezwungen werden würde! Wir sind keine Diebe, keine Mordbrenner; wir sind die Kämpfer des deutschen Volks. Wehe dem, der uns feindlich begegnet, aber Friede dem Guten, dem Willigen, dem Bekehrten. Wir reichen ihm die Bruderhand!

Mein Gott! die Stimme sollt' ich kennen! murmelte Gallus seinem Moritz zu, während er gleichsam willenlos seine Hand in die des Anführers legte. – [173] Der Letztere schüttelte sie mit herzlichem Druck, und fügte hinzu: Nicht wahr, Sie weigern sich nicht, des Volkes Sache zu unterstützen und Ihre Gewehrkammer zu öffnen? Die Vertheilung der Waffen nehme ich auf mich; während dessen erquicken Sie meine Leute mit Brod und Wein, nicht wahr? Unser Marsch war weit und angestrengt, und morgen müssen wir, es koste, was es wolle, bei der Hauptkolonne wieder eintreffen. –

Der Edelmann nickte, holte den Schlüssel zur Waffenkammer hervor, gab dem Verwalter die nöthigen Befehle und schritt dem Anführer voran, der sich nur von Wenigen seiner Leute begleiten ließ, Moritz beschäftigte sich indessen mit der Vertheilung der herbeigebrachten Lebensmittel, und bald glich der Schloßhof einem muntern Bivouac, wo eine lustige Rede die andere jagte, wo heitere und patriotische Lieder erklangen, und auf Bänken und Stühlen und Schemeln, um Tische und Fässer gereiht, ein fröhliches Volk lagerte. Die Fackeln brannten hell, die Sterne schienen heller, der Wein war so gut, daß »Vivat« und »Hoch« gejauchzt wurde allen Männern, die dazumal dem Volke werth und theuer waren, – daß selbst dem Junker ein »Lebehoch« wurde, als er mit dem Anführer und seinen Leuten zurückkehrte, einen Reichthum an Jagdgewehren, Hirschfängern, Pulver und Blei spendend.

»Sie sehen,« rief der Führer laut, »wie umgestimmt diese guten tapfern Leute sind, Baron – um Deren Bruderliebe, Freundschaft und Dankbarkeit völlig zu gewinnen – ziehen Sie mit uns; theilen Sie unsere Mühen, nehmen Sie Theil an unserm Triumph. Das ganze Land ist unser. Das ganze waffenfähige Volk schließt sich uns an, die deutschen Legionen aus [174] Frankreich, die deutschen Brüder aus der Schweiz sind im Anmarsch, Freiburg will uns seine Thore öffnen. Das Militär wird seine Waffen strecken, sobald wir ihm gegenüber. Wer könnte uns widerstehen? Verdienen Sie mit uns den Segen der befreiten Völker, und unerschütterlich werden Sie wurzeln im Herzen Ihrer Zeitgenossen und Mitbürger!«

»Ja, ja!« brauste es in der Runde: »Mitziehen, mitfechten, mitsiegen! Ohne den Edelmann geh'n wir nicht von dannen; er soll sich würdig machen, den Namen eines Bürgers zu führen! Der Adel ist todt, es lebe der Bürger, der Bürger Gallus hoch! Keine Herren mehr, nichts als Bürger, freie, freie Bürger! Hoch, hoch!«

Ueberrascht, darniedergeschmettert zögerte Gallus mit der Antwort. Doch von der einen Seite flüsterte ihm der Anführer zu: Schnell resolvirt! es gilt Ihr Bestes! – Von der andern ermahnte Moritz: Nicht gezaudert, frisch in den Strom hinein und mitgeschwommen! – Und sehr richtig ahnend, daß sich, wenn er, da nun einmal dieser Ton angeschlagen worden, verneinend oder ausweichend antwortete, Alle, die ihm jetzo zujubelten, feindlich und zum Schlimmsten fertig, sein Haupt bedrohen würden, sprach Gallus mit dem Entschluß der Verzweiflung: Wohlan, ich folge, ich gehe mit. Es lebe ...?

Die Freiheit, die Freiheit! ergänzten statt seiner die Zecher, und griffen nach seinen Händen, umarmten und umtanzten ihn: und der Eine setzte ihm einen Freischaarenhut auf, der Andere schmückte ihn mit dem schwarz-roth-goldenen Bande, dieser umgürtete mit einem Schwert seine Lenden, der Andere warf ihm eine [175] lodene Kaputze um ...: in einer Minute stand Gallus da, gerüstet und aufgeputzt, wie der beste Volkskämpe.

Die Freude, die Siegeswonne, weil der starre Mann des Mittelalters, der Mann mit Schild und Wappen, überwunden, ja selbst zum Volke übergetreten, war ungeheuer und allgemein. Nur ein Einziger, der Lehrer Wurstinger, spie Gift und Galle, doch klüglich nur verstohlen in einem Winkel, für sich allein, ganz allein. – Doch konnte er sich nicht versagen, da Moritz geschäftig an ihm vorüberging, denselben zu stellen, und ihn anzureden: »Was haben denn Sie beschlossen, Herr Kandidat – oder Praktikant ... ich weiß nicht recht, wie man Sie im alten Wesen betitelte ...?«

Ihm antwortete Moritz geringschätzig und komisch: Bin nicht Kandidat, nicht Praktikant ... nur ein Proletarier, Bürger Hansw… verzeihe mir, daß ich mich schier verredet ... Bürger Wurstinger, wollt' ich sagen. Auch dir reich' ich die Bruderhand, und zieh' mit Euch durch's ganze Land, die Freiheit zu erwerben, für unser Recht zu sterben!

Dem Davoneilenden fletschte der Lehrer die Zähne nach und brummte: Will Euch schon auf'n Dienst passen, Aristokratengesindel von Verräthern. Will's Gott, ertapp' ich Euch auf einer Spitzbüberei, und dann ist meine erste Kugel für Euch, Ihr Hundevolk von Adeligen und Adels-Speichelleckern. – Schwieg dann still und kaute an den Nägeln. –

Indessen hatten die Sterne sich verdunkelt, ein eisiger Wind strömte durch den Himmel; der April machte sein Herrenrecht geltend. Die Mannschaften schrieen deßhalb – die Einen nach mehr Wein, die Andern nach dem Signal zum Abmarsch. Auch schlugen [176] alsogleich die Trommeln, und es gab ein Durcheinander, das einige Minuten dauerte. Während dieser kurzen Frist war der Edelmann abhanden gekommen. Ein paar Bursche von Milzheim stachen das auf. Der Lehrer schlug alsobald Allarm, wie nicht die Trommler, so rührig, so laut, so krakeelich. – »Der Junker davon! der gnädige Herr davon!« wetterte es von allen Seiten, und der Führer der Heckerschaaren hatte aus allen Kräften zu wehren, daß nicht die Menge, die eben noch vor Kurzem den Freiherrn hatte hochleben lassen, in das Schloß brach, um Alles kurz und klein zu schlagen. Wein und Aufregung genug war in den Köpfen; der ausgemachteste Hafenfuß dürstete nach einer wohlfeilen Heldenthat.

Schon tobte lauter drohend das Geschrei, schon flogen Steine nach den Fenstern ... da erschien bis an die Zähne gewaffnet, und angethan, wie sich's auf dem Heerzug aus'm Stegreif geziemte, Moritz auf dem Platze – und der Anführer rief ihn an: »Ist's wahr, daß der Baron sich durchgemacht? Das kostet sein Leben! Ist's wahrt«

Nicht doch! nicht doch! entgegnete Moritz: So eben nimmt er Abschied von der Schwester, die halb todt vor Angst und Bekümmerniß.

So geh, so lauf! mein Jonathas! fuhr der Andere dringend fort: Ich kann die Leute kaum mehr halten. Des Gallus letztes Brod wäre gebacken, wenn er noch fünf Minuten zögerte! Geh, geh, Jonathas!

Worauf Moritz, den Anführer genauer auf's Korn fassend: Er kommt schon ... ich höre ihn ... aber des Teufels will ich seyn, wenn du nicht Bruder Spiegler bist? ...

[177] Nun, endlich kennt er mich, und will's Gott wird auch mit der Zeit der Gallus sich meiner erinnern! lachte der Andere in den Bart: 's ist doch was schönes um Studentenleben und Studentenfreundschaft. Ohne mir zu schmeicheln, so konnt' ich heute meines alten Kommilitonen Gallus Leben, heile Haut und Habe retten! Und richtig: da ist er ja,Gott sey Dank!

Er war es freilich, der Junker, mit den Worten: Ich bin fertig; jetzt laßt uns ziehen! – Der Lehrer versuchte allerdings den Sturm gegen den Edelmann zu steigern, obgleich derselbe nicht davongelaufen, und der Mitmacher hätte er übergenug gefunden; allein der Anführer Spiegler beeilte sich, mit der ganzen Gewalt seiner Stimme die Murrenden und Fluchenden zu bewältigen. –»Stille, Stille, sag' ich, im Namen der Freiheit! Wollt Ihr still seyn, frage ich?« – Die Trommler schlugen beinebst auf seinen Wink einen grellen Wirbel.

Und das Toben verstummte hierauf. Man hätte ein Mäuschen laufen gehört. Und Spiegler fuhr fort: »Der Bürger Gallus von Milzheim steht bereit, dem Heereszug des Volks sich anzuschließen. Auf meine Aufforderung übernimmt derselbe Bürger den Befehl über den hiesigen Zuzug. Ich aber befehle weiter, daß dem Bürger Gallus Gehorsam zu leisten, und mache den Gemeinderath von Milzheim strengstens verantwortlich für die Unverletzlichkeit des Eigenthums, welches Bürger Gallus hier zurückläßt. Obmann Hecker will nicht, daß die Sache des Volks geschändet werde durch Frevel am Besitz derjenigen, die ihr Blut für das Volk einsetzen. Verstanden? Begriffen? Und nun in Reih' und Glied! Schon leuchtet der frühe Morgen über das Gebirge; [178] bis Mittag müssen wir in Engen eintreffen – übermorgen zu Freiburg. Schlagt die Trommel, Gewehr auf! Vorwärts Marsch!«

Also ging es mit Klingen und Jauchzen in den dämmerigen Morgen des Palmsonntags hinein. Des ganzen Dorfs zurückbleibende Bevölkerung – bis auf wenige Bursche, die sich auf'm Heustock versteckt hatten – Männer, Weiber, Kinder – waren auf der Straße zusammengelaufen und jubelten ihr Vivat den Abziehenden. Es waren indessen mehrere Leiterwägen requirirt worden, den Trunkenen eine willkommene Reisegelegenheit, willkommner noch den Nüchternen, die auf solche Manier die Trunkenen los wurden; aus ein paar Häusern wurden die versteckten Zugpflichtigen herausgetrommelt, getragen, geschossen; denn es bedurfte nur eines blinden Schusses auf das Dach, um die ganze Einwohnerschaft des Hauses zur Auslieferung des Refraktärs zu vermögen. Ueber all' diesen nachträglichen Zurüstungen und Begebnissen kam der helle Tag, aber auch mit ihm Schneegestäube und Regenschauer. Die Exekutionsschaar und die Zuzügler lachten des Schneewirbels, spotteten des Spritzregens: singend, trommelnd, munter zuschreiend, förderten sie den Weg. – Spiegler, ihm zur Seite Moritz, marschirte vorauf; ihm folgte eine Abtheilung von seiner Waffenschaar; dann kamen die Milzheimer, sechzig bis siebenzig Bursche; ihnen voran – nach Anordnung des Spiegler – Junker Gallus. Den Zug beschloß der Rest von Spiegler's Mannschaft.

Gallus, auf guten Rath der Freunde, machte gute und entschlossene Miene zum bösen Spiel, und der Posthalter von Milzheim, der ebenfalls bon gré mal gré [179] mitgezogen war, um als Zahlmeister zu amtiren, hatte seine Freude an dem zum leutseligsten Gesellschafter gewordenen »gnädigen Herrn«.

Offener und vertraulicher und übereinstimmender unterhielten sich auf dem Marsche bei Sturm und Gestöber die alten Schulkameraden Spiegler und Moritz. Seinen Mantelkragen fester zusammenziehend, sprach unter anderm einmal der Erstere:

»Wirst's schon gewöhnen, Jonathas, wirst's schon gewöhnen. Ein paar Tage unter den Freischaaren, und du gehörst zu ihnen mit Leib und Seel'; wenn du auch für jetzo noch nicht gänzlich unsers Glaubens, unserer Ueberzeugung wärst. Sieh' mich an, lieber Bruder: ich haudre schon seit mehreren Wochen im badischen Land, in Schwaben und in der Schweiz umher als ein Staffettenreiter und Schnellläufer der Revolution– und blüh' ich nicht, wie eine Rose? Das macht nun freilich auch der animo, der mich treibt und hetzt und befriedigt. Was ich in Sachen der Volkserhebung thu' und rede, das mein' ich herzlich und gewissenhaft, bin nicht wie Andere, die ihrer Zeit gelärmt, gedroht, bramarbasirt – und jetzo ist nichts hinter ihrem Fuchs- und Dachsbalg. Ich bin ehrlich und geradeaus: Fort mit den Fürsten, den theuern Prinzen, mit den Pfaffen, mit dem Adel und dem Geldsack! Ha, ich will mir's wohl seyn lassen im Vaterland, wenn's einmal zu Ehren gebracht seyn wird, ... kannibalisch wohl, sag' ich dir; aber jetzo kostet's Eifer, Hitz' und Achselschmalz meinetwegen gerade genug. Das muß seyn, bei'm Donner, und doppelt schmeckt die Ruhe und ein Trunk nach Kampf und Rauferei und Sieg.«

O, wie sehr begreif ich dich! machte Moritz: deine [180] Ansichten sind gewiß die meinigen; von deinem – Eurem Ziel hab' ich auch wohl oft geträumt. Das hatte so seine Ursachen; ... aber wie du, lieber Spiegler, dem der Ueberfluß gelacht von der Wiege an, wie du den rauhen Weg, den wir heute gehen, hast einschlagen mögen, das scheint mir seltsam, wunderbar? Du hast nicht unter'm Volk gelebt, du kanntest seine Leiden und Beschwerden höchstens nur von Hörensagen ... die unabhängigste Stellung lachte dir ...

»Ei du Kurzsichtiger, du Blinder!« fiel ihm Spiegler in's Wort: »Als ob ich um des Geldsacks willen aufhören hätte müssen, ein Mensch mit offenen Augen und offenem Herzen zu seyn? Ich war schon auf'm Gymnasium ein Republikaner. Was ist natürlicher? Was unnatürlicher, als daß nicht alle Klassenschüler die Republik aus allen ihren Poren athmen? Wachsen wir nicht auf in den griechischen und römischen Freistaaten? Ist denn ein einziger Esel von Lehrer oder Professor, der uns nicht seiner Zelt das Verdienstliche des Tyrannenmords, des Aufruhrs gegen Könige und Cäsaren lang und breit auseinandersetzte? Und man will sich wundern, wenn wir in's Leben führen wollen, was wir in Büchern gelesen, was uns von dem trockensten Schulmann angepriesen worden als Mannesthat, als höheres Pflichtgebot? 's ist zum Lachen, und unsere gesellschaftlichen Zustände müßten wahrhaftig ganz anders dreinsehen, als sie thun, wenn wir den heroischen Vorwitz lassen sollten! Und unsere Väter, die Burschenschäftler, die ihrer Zeit das Schwarzrothgold erfunden ... die Patrioten, die in den Dreißigerjahren so ungeschickt die Frankfurter Hauptwache stürmten, und sich ertappen ließen, wie das Kind bei'm [181] Brei ...! ... sollen die uns etwa schelten, wenn wir endlich Ernst aus ihrem Spaß, ein Heldenwerk aus ihrem Knabenspiel zu machen uns unterstehen? Sie sagen jetzt, wir hätten's Fieber, und das mag wahr seyn; doch ist's ein alter Stoff von Vater und Großvater her, der jetzt als peccans ausgebrochen ist, und seine Streiche macht naturgemäß, bis die wohlthätige Krisis durchgefochten.«

Sehr wahr, sehr wahr; du sprichst aus meinem Herzen! entgegnete Moritz freudig, und drückte ihm die Hand. Spiegler fuhr fort: Von meiner Sorte sind, so schmeichle ich mir, die allermeisten jungen Leute, die unserm Panier folgen. Die Wissenschaftsgaukler der Hochschulen, die das Lied angestimmt, sind mitten darinnen stecken geblieben, werden noch mehr stecken bleiben – du wirst's erleben; aber wir Junge haben starke Brusten, helle Kehlen, und es müßte schon der Gottseybeiuns auf Stelzen daherkommen. um uns aus dem Takt zu bringen, bevor nicht die Coda gesungen. Sieh', lieber Bruder: diese Frische, dieser Jugendmuth ist unsere Zuversicht; die Welt muß in unsere Tasche fallen, aber in's Bodenlose stürze fortan die heillose Schreiberwirthschaft, die liederliche Gerechtigkeitspflege, die bis daher nur dem Spitzbuben zu gute gekommen, das unselige Finanzwesen, das dem Fleißigen den Bissen Brod vor'm Maul wegnimmt, und nur den Geldsack respektirt, aus dem doch am meisten für die Bedürfnisse des Staates zu schöpfen wäre. Wenn das einmal geschehen, dann wollen wir im Janustempel unsere Waffen aufhängen und des Werks uns freuen. Jetzo lass' uns vorwärts gehen, unermüdet handeln, Alles setzen an Eins: des Volkes Glück, die Größe und Frei [182]heit des Vaterlands! Ein frischer Hauch weht durch das verrostete Europa ... überall regen sich die allzulang gefesselten Schwingen ... die bessere Zeit will mit Anstrengung errungen seyn, aber sie wird kommen, sie bleibt nicht aus.

Wir holen sie, wir holen sie! rief Moritz, tief angeregt: Nach dem Siege der Preis, der Friede, das Glück! – Beinebst, lieber Spiegler: bis wann werden wir in Freiburg einrücken?

»Am nächsten Freitag sind wir dort, um unsere Ostern, Deutschlands Auferstehung zu feiern!« berichtete Spiegler: »Wir gehören zu Sigel's Kolonne ... Hecker ist schon voraus im Lande, Hecker bahnt uns überall den Weg. Das Volk wird allenthalben aufstehen, wo er erscheint. Ha, wenn du ihn zu Konstanz gesehen hättest, wenn du ihn gehört hättest, den Löwen Hecker!! Ja, davon wird der stumpfste Philister aufgeregt und aufgestachelt; solcher Beredtsamkeit mag Niemand widerstehen. Zu Engen werden wir Näheres von ihm erfahren. Vielleicht schon morgen – übermorgen trifft er in Freiburg ein ... wir noch einmal – sind spätstens am Freitag dort, und – sind wir nicht die Ersten, werden wir doch nicht die Letzten seyn; denn unsern Spuren werden Tausende und aber Tausende folgen auf der Siegesbahn!«

Moritz rieb sich freudig die Hände: – So werd' ich also doch in der längst bezeichneten Woche mit meinen Freunden zusammentreffen am erwählten Orte! Mit dem Lorbeer des Volkskämpfers geziert werd' ich Cornelia sehen, begrüßen, um sie werben ...! Wird sie dann »Nein« sagen können?

»Du sprichst von Liebe, wenn ich recht verstehe?« [183] lächelte Spiegler: Proficiat, amice. Frauenlieb' ist gut Ding; die Frauen müssen unserer Sache hold seyn, denn wir brechen auch manche Kette des schönen Geschlechts ... und gern gesellt sich der Myrthenkranz zur Helden- und Bürgerkrone!«

Nach solcher lebhaften Unterhaltung marschirten sie in einem Dorfe ein. Wurstinger zog mit der Fahne voraus, die Trommler machten barbarischen Lärm. Die Sängerbande, die zu Spiegler's Fähnlein gehörte, hob an ein Freiheitslied. Der neue Anblick und Aufzug, das kriegerische Lärmen, der tapfere und melodische Gesang machten, wie überall, die gehörige Wirkung. Die Dorfbewohner jubelten den Einrückenden entgegen, reichten ihnen die Hände, brachten ihnen Most und Brod zur Erfrischung auf die Straße. Auch der Himmel lächelte ein wenig hernieder, Schnee und Regen hielten inne. Ein freudiges Gewühl trieb sich im Dorf umher. Wurstinger, der Lehrer, ließ sich nicht nehmen, alsogleich von einer Bank herunter im Freien das Volk anzureden. »Hoch lebe die Republik!« war sein Anfang: »Keine Steuern mehr!« war sein Ende. Was Wunder, daß Alle mit ihm schrieen und stimmten und jubelten?

Die Führer standen indessen beisammen; ihnen kredenzte die hübscheste Dirne des Orts den ersehnten Frühtrunk. – Junker Gallus that Bescheid wie die Andern, weil ermüdet und durstig wie sie. – Ein Quärtchen, rief er studentenmäßig dem Spiegler zu. – »Ich komme nach,« antwortete dieser lustig: »weil denn doch endlich der gnädige Herr mich erkennen wollen!« – Vergib, mein Freund, sagte Gallus hierauf: Wolle mir nicht übel nehmen, daß ich mich zu Anfang deiner [184] Person nicht erinnert ... allein die Auftritte der verwichenen Nacht ... und dann der Bart, der so üppig an deinem Kinn wuchert und dein kindfrommes Angesicht in ein kriegerisches verwandelt hat ...

»Schon gut, schon gut!« machte Spiegler, dem Schulfreund die Hand reichend: Alles bei'm Alten. Indessen auch du, Gallus, bist seit den paar Stunden unsres Marsches ein Anderer geworden; hast abgeschüttelt die Betrübniß, und den Schreck und den übrigens verzeihlichen Unmuth, so dein Angesicht durchfurchte. Hast die Haltung eines unerschrocknen todesmuthigen Mannes, lächelst keck und unbesorgt in die Welt hinein. Die Heerfahrt thut jetzt schon Wunder an dir. Du und Moritz – Ihr beide seht aus, als liefet Ihr schon lang im Dienst der Freiheit mit!«

Pah! sprach Moritz: Bin da mit Leib und Seele, das liebe Freiburg in Aussicht, Freunde an der Seite. Lustige Wanderschaft durch Wind und Wetter ... gute Beine, rüst'ger Magen ... was sollte mir fehlen?

Etwas langsamer erwiederte Gallus: Ich läugne nicht, daß mich der Marsch ermuntert und zerstreut; nur möchte ich – setzte er leiser bei – daß ich für einen andern Zweck marschiren dürfte ...

»Pst!« fiel Spiegler ein, und legte die Hand auf des Junkers Mund: »Bürger Gallus, Bürger Gallus, das brauchen wir nicht zu hören, nicht zu wissen. Seyd auf Eurer Hut, als ständet Ihr vor'm Feinde!«

Hast Recht ... will's thun; sagte der Junker dankbar. – Mittlerweile wurde Spiegler von Andern angeredet, und den Edelmann zupfte Jemand verstohlen am Rocke. Da er sich umdrehte, stand der Pfarrer des Dorfs vor ihm, ein alter Bekannter, und fragte [185] mit betrübten Augen: Sie hier? Auch Sie hier, Herr Baron?

Das »Muß« ist eine harte Nuß; erwiederte Gallus vertraulich: Mein und der Meinigen Leben stand auf dem Spiele. Darum und daher ...

Der Pfarrer rannte ihm zu: Sie werden das Spiel überhaupt bald gewonnen haben. Die Versammlung in Donaueschingen ist auseinandergejagt worden ... die Württemberger sind dort eingerückt. Hecker und Struve haben sich gegen die Schweizergränze zurückgezogen.

Ist's möglich? die Württemberger? fragte flüsternd und froh überrascht der Junker. – Und der Pfarrer hierauf lateinisch: Nur geschwiegen, nichts dergleichen gethan. Hier weiß, außer mir, noch keine Seele davon. Das Schwert des Damokles über'm Haupt des vorschnellen Plauderers! – Machte sich alsdann davon, damit Niemand seine Vertraulichkeit mit dem Junker gewahr wurde. – Inzwischen wurden wieder die Trommeln gerührt, und der Zug, der im Dorf um mehr als zwanzig Mann angewachsen, ging weiter. – –


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