August Sperl
Herzkrank
August Sperl

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Neuntes Kapitel.

Wiederum wartete Herr von Stackelhofen im großen Saale des berühmten Arztes, wiederum betrat er das Vorzimmer, doch lächelnd wehrte er dem Diener, der ihm Rock und Weste samt dem Hemdkragen entreißen wollte. Und vollkommen angekleidet – eine auffällige Erscheinung – betrat er den kleinen Raum.

»Herr von Stackelhofen!« soufflierte der Assistent. Mit gekreuzten Armen stand der große Doktor.

»Zunächst, mein Herr, komme ich im Auftrage des Herrn von Gelling, meines circa sechs Schuh preußisch langen, blonden, dreißig Jahre alten, sieben Wochen hindurch von Ihnen mit dem größten Nutzen behandelten Freundes. Er hat sich infolge des ihm gestern verordneten Ausfluges auf den Schloßberg so gut erholt, daß er die Kur abbricht und nunmehr, einer plötzlich an ihn ergangenen Einladung folgend, abreist. 151 Er beauftragt mich, ihn dem Herrn Doktor zu empfehlen und den geschäftlichen Teil seiner Verpflichtungen zu ordnen.«

Am Schreibtische rauschten die Blätter der dicken Strazze, und der Assistenzarzt las: »Von Gelling, zwanzig Konsultationen, darunter zwei sehr eingehende Untersuchungen.«

»Seine Schuldigkeit?« fragte Stackelhofen und griff in die Tasche.

»Nach Belieben,« erklärte der große Arzt verbindlich, »aber nicht unter zweihundert Mark. Bedaure übrigens, Herrn von Gelling nicht mehr persönlich gesehen zu haben. Liebe derartiges plötzliches Abbrechen der Kur nicht.«

»Das kann ich mir wohl denken, Herr Doktor,« lachte Stackelhofen und zog das Portemonnaie. »Nun aber zu mir. Es sind mir doch sehr schwere Bedenken aufgestiegen –«

»Bitte, Ihre Kurverordnung, mein Herr!« unterbrach ihn der Arzt.

»Hier, Herr Doktor. Schwere Bedenken, ob diese Bäder meiner Lunge auch in der That bekömmlich sein werden?«

»Lunge?« Der große Arzt warf einen vernichtenden Blick auf seinen Patienten. »Ja, sind Sie denn lungenkrank? Und warum lassen Sie sich dann, wenn ich fragen darf, auf Herzleiden 152 untersuchen? Wissen Sie nicht, wer ich bin? Ich bin doch der Herzdoktor!«

»Wenn Sie mich nun gefälligst auch zu Worte kommen lassen, mein Herr,« – Stackelhofen lächelte mokant, – »ich habe mich weder auf Herz- noch auf Lungenleiden von Ihnen untersuchen lassen. Ich wurde aus dem großen Pferche da drüben in den kleinen Pferch da draußen getrieben, legte gehorsam einen Teil meiner Gewänder ab, dann führte man mich – sozusagen zur Schafschur – da herein. Sie horchten mich ab, ich machte ein andächtiges Gesicht; Sie fragten mit keinem Worte, was mir fehle, und als ich Ihnen endlich auf Befragen von der einzigen Krankheit meines Lebens, einem Magenkatarrh, erzählen wollte, da schnitten Sie mir die Rede ab, daß ich gar nichts mehr zu äußern wagte.«

»Herr, Sie schleudern mir da Dinge ins Gesicht –«

»O, ich bin noch nicht fertig, Herr Doktor. Mit kurzen Worten, ich bin weder herzkrank noch lungenkrank –«

»Und haben mich lediglich zum besten gehabt, mein Herr?!«

»Zum besten? Ja kann ich mir denn nicht zur Abwechslung mal für mein Geld von Ihrem 153 Stethoskop in die gesunde Lunge, ins gesunde Herz horchen lassen, Herr Doktor? Und hätten dann nicht Sie mir sagen müssen: was wollen Sie denn eigentlich in Sprudelingen?«

Der Meister wandte sich indigniert ab und schritt zur Thür. »Ich bitte, das Geschäftliche mit meinem Herrn Assistenten zu erledigen.«

»Das Geschäftliche!« Stackelhofen lachte hell auf. –

Die Thür hatte sich geschlossen.

»Ich begreife nicht, Herr Baron,« – der kleine Assistenzarzt bemühte sich, martialisch dreinzuschauen, – »wie können Sie meinen allverehrten Herrn Chef dergestalt –«

»Werter Herr,« sagte der Riese in väterlichem Tone, »ich denke, Sie stehen im Reserveverhältnis, so ist wenigstens draußen auf Ihrer Karte –«

»Allerdings!«

»Nun, dann sind wir ja sozusagen unter uns und wollen nicht erst auf prinzipielle Fragen eingehen. Es könnte Ihnen nur fatal sein, wenn wir über diese Geschichten schließlich noch am dritten Orte vor anständigen Leuten – Sie verstehen mich – sprechen müßten; von Stackelhofen, Oberleutnant der Landwehr.«

Der Kleine rieb die Hände und verneigte sich: 154 »War auch durchaus nicht in meiner Absicht gelegen. Es ist ja nicht zu leugnen, der Herr Doktor ist überhäuft mit Arbeit, und da laufen zuweilen Irrtümer –«

»Bitte, nun das Geschäftliche: hier sind zweihundert Mark und fünfzig Pfennige zur Begleichung der Schuld meines Freundes, Herrn von Gelling. Bitte, wollen Sie dem Herrn Doktor ja die fünfzig Pfennige gesondert als Gratifikation über die geforderte Summe einhändigen. Ich selbst habe zwei, beziehungsweise drei – Sie erinnern sich – also drei Konsultationen zu bezahlen, macht dreißig Mark. Hier! Und wollen Sie dem großen Arzte gefälligst nebst einem Komplimente von mir ausrichten, daß ich für den Genuß einer solchen Komödie, was meine Person betrifft, gerne dreißig Mark erlegt habe. Mein Freund allerdings ist mit seiner Gesundheit und zweihundert Mark und fünfzig Pfennigen – bitte, vergessen Sie die fünfzig Pfennige nicht – etwas tiefer in die Tinte geraten. Doch er wird's ja auch verwinden. Habe die Ehre!«

*

An diesem Vormittage verfaßte nun zur Abwechslung Herr von Stackelhofen eine triumphierende Postkarte: 155

»Na, Leibbursch, was sagst Du nun? Losgeeist! Das Mittel war gut, aber für mich selbst über die Maßen gefährlich. Mein erstes dunkles Gefühl des Morgens beim Erwachen, und meine letzte klare Ueberzeugung beim Einschlafen ist: Stackelhofen, du bist nicht nur ein heroischer, nein, du bist auch ein anständiger Kerl. Morgen früh trollen wir uns in Begleitung Johanns, der sein breites Maul nimmer zusammenbringt und nur immer die Zähne fletscht vor Vergnügen, wenn er mich sieht, auf vierzehn Tage in die Berge. Ob ich nach Ablauf dieser Zeit wieder hierher komme oder, eine Thräne zerdrückend, nach Norden abdampfe, das wird von der Beschaffenheit meiner Seelenkräfte abhängen. Alles übrige mündlich. Vale!«

Er hatte eben die Adresse geschrieben, da klopfte es an die Verbindungsthür, und Gelling betrat das Zimmer: »Hast du deine Karte an den Doktor fertig, Stackelhofen?«

»Und woher weißt du, daß ich an den Doktor geschrieben habe?«

»Nun, das kann ich mir doch an den Fingern abzählen, Konfuchs!«

»Und wenn?«

»Ich habe ihm auch geschrieben, und zwar einen Brief, Stackelhofen; da könnte ich deine Karte gleich mitbesorgen.«

156 »Glaub's wohl!« lachte der andre und griff nach seinem Hute. »Nee, Schlaukopf, lieber nicht. Will dir was sagen, ich begleite dich. Dann wirfst du deinen de- und wehmütigen Brief auf der einen Seite in den Kasten, ich meine Karte auf der andern. Zuvor aber muß ich mir vom Portier noch eine Marke geben lassen.«


157 Am Tischchen des kleinen blonden Portiers stand ein Stubenmädchen aus der Nachbarschaft.

»Also können Sie mir den Gefallen thun, Herr Portier?«

»Gerne. Wieviel ist's?«

»Hundert Mark, Herr Portier.«

»Hier – warten Sie, nein – so – richtig?«

»Danke auch vielmals, Herr Portier.«

»Gerne geschehen. Nur muß ich Ihnen bei der Gelegenheit sagen, neulich haben Sie mir ein Zehnfrankenstück statt eines Zehnmarkstückes zum Wechseln gebracht, und das konnte mir nicht angenehm sein.«

»I, nicht möglich! Ei, das kann doch gar nicht sein!« Das Stubenmädchen war sehr rot geworden. »Das sollte mir furchtbar leid thun, nee, so geben Sie mir's doch wieder –«

»Na, lassen Sie, es ist bloß, daß man drüber spricht,« sagte der Portier.

Gelling und Stackelhofen betraten die Loge.

Das Stubenmädchen knickste kokett und sagte laut: »Is mir furchtbar leid, Herr Portier, wenn Sie geschädigt sind. Aber es is mir auch gar zu wirr im Kopfe heute den ganzen Vormittag.«

»Bitte sehr, das ist ja vor drei Tagen gewesen, Fräuleinchen,« sagte der Portier mit gutmütigem Lächeln.

158 »Nee, heut morgen war's doch! Was, Sie wissen's noch nicht? Nu, heut morgen oder heut nacht is ja bei uns drüben was Gräßliches passiert. Sie haben's noch nicht gehört? Nee, aber! Da wohnt doch der Herr Baron von der Ostsee oder aus der Gegend mit seiner Frau – wissen doch, die große, schöne Frau? Hör' ich nu heut bei Morgengrauen – ich hatte doch die Korridorwache von drei bis sechs Uhr – 'n Gepolter in dem Zimmer, als wenn ein Mensch zusammenstürzte. Ich sag' Ihnen, ich bin so viel erschrocken. Geh' ich an die Thür und horch', hör' ein Röcheln, und dann war alles still. Lauf' ich und weck' unsre Frau. Die kommt so geschwind, als sie kann, klopft, fragt, ob sie was helfen könnt', keine Antwort. Drückt sie leise die Klinke herunter, ist die Thür nicht verschlossen. Liegt der Mann, der Baron – so 'n guter Herr, Sie glauben's gar nicht, Herr Portier – am Boden liegt er und rührt sich nicht. Ich such', ich ruf', keine Gnädige weit und breit. Aber das Fenster steht offen – Parterre, Herr Portier. Renn' ich zum Arzte, der kommt und kann nichts konstatieren als den eiskalten Tod. Und inzwischen – nee, Herr Portier, 's ist mir sehr schenierlich, ich bitte Sie, was man nicht alles erleben kann – inzwischen kommt die Frau Baronin heim 159 unters Fenster – was sagen Sie dazu? Darf's einem da etwa nicht wirre werden im Kopfe? So 'ne feingebildete Frau Baronin! Und so 'n herzensguter Herr, der Herr Baron!«


Gelling schob den Arm in den des Freundes: »Komm!« flüsterte er. Wortlos gingen die beiden über die Straße zum Briefkasten. Wortlos gingen sie dann wieder Arm in Arm zum Park hinunter.

»Schändlich!« sagte Gelling nach einer Weile und schüttelte sich.

»Freilich, Konfuchs. Aber was können wir dran ändern? Schlag dir's aus dem Kopfe. Ich denke, ihm ist wohl, dir aber – besser.« –

Es war schon ziemlich spät am Abend, als der alte Johann mit einem großen, bauschigen Ding in weißem Papier die Freitreppe des Hotels hinanstieg und im Lichtkreise der Bogenlampe innehielt, den Cylinder auf die Steinbrüstung stellte und sich den Schweiß von der Stirne wischte.

»Noch so spät fortgewesen, Herr Siewers?« Der biedere Portier trat nägelknipsend herzu.

»Noch 'n Geschäft gehabt, Herr Portieh. Und können Sie mir nich sagen, Herr Portieh, is das gnä'ge Fräulein von Ostenhusen schon nach oben kutschiert?«

161 »Das Fräulein von Ostenhusen sitzen schon seit einer Stunde drinnen in der Loge und lesen.«

»So? Na, das is mich aber sehr lieb. Da will ich nur mal geschwinde vorbeischlüpfen,« flüsterte der alte Mann und drückte seine Nase an die Glasthür. »Is mein gnä'ger Herr schon schlafen gegangen, Herr Portieh?«

»Ich glaube, ja.«

»Na, dann man los!« flüsterte Johann, der Portier öffnete ihm dienstfertig die Thüre, und leisen Schrittes, mit dem Cylinder in der Hand, ging der Bediente durch die Loge. –

»Herr Siewers, Herr Siewers!«

Johann wandte sich.

»Herr Siewers, Sie gehen nach oben? Aber so steigen Sie doch ein, ich will Sie gern nach oben bringen!« Und der Liftjunge packte ihn schon am Rockzipfel.

»In diesen infamichten Kasten? Nee, mien Jung, das thut der alte Siewers seindag nich, da kennen Sie ihm schlecht!«

»Aber Herr Siewers, ich bitte Sie, das ist ja ganz ungefährlich. Wie oft fahre ich wohl den Tag über? Probieren Sie's nur mal!«

»Nee,« wiederholte der alte Mann und machte ein mißtrauisches Gesicht. »Un ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie haben mich das Ding 162 nächsthin erklärt, daß es mit Wasser betrieben wird. Und seitdem is mich das Ding noch um ein gut Stück verdächtiger. Wenn das mit wahrhaftigem Wasser betrieben wird, so muß man's doch planschen hören. Aber so oft ich nu an den Schacht gestanden bin und hab' gehorcht, ich hab' nichts nich gehört. Nee, da kriegen Sie mir meindag nich rin, da sind mich meine ollen Knaken zu gaud zu!«

»Fährt ja sogar die Königin Luise alle Tage auf und ab,« lachte der Liftjunge. »Und der ihre Knochen –«

»Jung, ich sag' Ihnen, was gehen Ihnen die Knaken von dem gnä'gen Fräulein von Ostenhusen an? Ich bitt' mir mehr Respekt aus für meine – für diese gnä'ge Herrschaft! Und daß sie alle Tage auf und ab kutschiert in dem verdächtigen Kasten, das hat mich schon oft gräsen gemacht.« –

Und bedächtig erklomm er die hohen Treppen und stand endlich schnaufend im Korridor des dritten Stockes.

»Sie, Herr Siewers? Sie haben sich verirrt!« lachte das Zimmermädchen und machte einen spaßhaften Knicks.

»Nich, Jüngferchen, nich,« flüsterte der alte Mann. »Aber 's is gut, daß ich Ihnen gleich 164 treffe. Da helfen Sie mich mal, das Papier wegzubringen!«

»O die wunderschönen Rosen, Herr Siewers! Na, und wer soll denn die bekommen?«

»Warten Sie man, Jüngferchen, werden's gleich sehen. So –! Nu führen Sie mich mal schnurstracks in das Zimmer vom gnä'gen Fräulein von Ostenhusen!«

»Ja, Herr Siewers, – das darf ich aber doch nicht! – Und ich glaube, sie ist schon oben.«

»Nee, Jüngferchen, das machen Sie dem alten Siewers nich weis. Das gnä'ge Fräulein sitzt mit andern Gästen unten in der Portiehlodsche und thut lesen.«

»Ich kann's aber doch auch besorgen?« fragte die Kleine schnippisch.

»Ich will's aber doch selbst besorgen!« entschied der Bediente und griff in die Westentasche.

»O nee, Herr Siewers, das is zu viel! – Na, wenn Sie's nicht anders thun – ich mach' eben meine Danksagung, – kommen Sie nur, und treten Sie leise auf; denn der Herr Hauptmann nebenan schlafen schon. Und diese Rosen, Herr Siewers! Ei, da könnt' man schon auf andre Gedanken kommen!«

»Sie haben uf gar keine Gedanken zu kommen, 165 Jüngferchen, Sie haben bloß das hübsche Mäulchen zu halten – verstanden?«

»O, ich schnauf' nicht, Herr Siewers!«

Mitten auf den Tisch stellte Johann das Glas mit den duftenden Rosen und steckte sorgfältig das zierliche Billet zwischen die Blätter und Blüten. Dann ging er leise hinaus.

Auf dem Korridore des zweiten Stockwerkes aber blieb er in tiefen Gedanken stehen: ›Und wenn sie nu die Bedeutung nich verstehen thut, wat denn? Nee, gnä'ger Herr, de Saak möt noch anners bedrewen warden. Ick will dat Unglück nich taun tweitenmal erlewen, nee! Ick möt ehr de Näs drupstötten.‹

Und hocherhobenen Hauptes stieg er die Treppen hinab, spähte durch die Glasthür in die Portierloge und murmelte vergnügt vor sich hin: ›Dat 's recht, da sitt se ganz allein und dauht lesen.‹ Und nun stand er auch schon neben dem Tischchen seines Freundes.

»Sie wünschen, Herr Siewers?«

»Na, ich wünsche Sie nich mehr viel, Sie wissen ja, morgen in aller Herrgottsfrüh geht das dahin.«

»Ja, Herr Siewers, hab's mit Bedauern gehört.«

»Na, wir kommen ja wieder, wir kieken uns 167 man so 'n Dag veirtehn dei Barg an, dann kamen wir ganz gewiß wedder.«

»Das ist recht, Herr Siewers.«

»Und weiten Sie noch, Herr Portieh? Wir hätten öwerhaupt von Anfang gar nich baden sollen; denn wir« – der alte Mann erhob die Stimme und schielte angelegentlich nach der lesenden Lore hinüber – »wir sind ja gar nich herzkrank gewesen, bewahre, wir sind 'n kerngesunder junger Mann, und uns fehlt nichts, rein gar nichts als 'ne kerngesunde junge gnä'ge Fru in unser Schloß. Nu, Herr Portieh, wat nich is, kann ja warden. Meinen Sie nich ook?«

»Sie wollen sich verehelichen, Herr Siewers? Na, da kann man gratulieren, die Frau bekömmt 'n braven Mann!« Der Portier lachte belustigt.

»Ick? Sei sünd wol doll? Wenn ich sag' wir, dann ist's doch mein gnä'ger Herr, den ich meine, wem denn sonst? Und ich sag' Ihnen, Herr Portieh, zu den Mann, wollt' sagen gnä'gen Herrn, kann man jeden gnä'gen Fräulein von Herzen gratulieren. Und ich sag' Ihnen, ich kenn' sie dutzendweis, die sich die Finger lecken thäten bei uns tauhus. Aber er nimmt nich jede. Ich hab' ja hier in Hotel freilich schon hier und da was bemerkt, aber da darf ich nich davon reden. Nur das sag' ich, was der Herr auf'n Korn hat, das 168 trifft er auch, mehr sag' ich nich. Er hat Löwen un Tiger getroffen, er wird ook da treffen; wenn's sin muß, mit Blumenbukette, mehr sag' ich nich.«

»'n ganzer Kavalier, der Herr von Gelling,« bestätigte der Portier.

»Das will ich meinen, und dafor is mein gnä'ger Herr auch bekannt, bis übers grote Water. Und das Rittergut, sag' ich Ihnen, da darf einer weit gehen; twantigdusend Morgen Feld, Wiesen, Wald! Un Schulden? Schulden kennt man bei uns nich den Namen nach. Wir haben hundertzwanzig Stück Rindveih im Stall, und ich sag' Ihnen, Herr Portieh, unsre Kuhställ, die sind so scheun, so reinlich, so lüftig, da is Ihre Lodsche nichts nich dagegen, un so angenehm, da könnt' man Schaukelstühle rinstellen un sich drufsetzen un Bäuker lesen. Aber das brauchen wir gar nich, dazu is bei uns die Waffenhalle vorhanden, wo unsre Ahnenbildnisse hängen und unsre Stammbäume bis uf die ollen Heiden taurügg. Un ich bin man neugierig, wen mein gnä'ger Herr als seine gnä' Fru in all die Herrlichkeit rinführen wird! Ich hab' ja meine Gedanken, aber die sag' ich nich. Und nu gu'n Nacht, Herr Portieh!«


Als Johann in seinem Stübchen stand, lachte er stillvergnügt und hochbefriedigt in sich hinein: 170 ›Johann, dat hast du gaud makt un dütlich. Un du häst't genau gesehn: dreimal hät sei sich rot angestickt, äwer un äwer!‹ –

Auch Lore von Ostenhusen trat in ihr Zimmer und schob den Riegel vor. Dann ging sie leise zur Glasthür des Balkons und preßte die Stirne an die Scheibe. Draußen blinkten die Sterne über den dunkeln Waldbergen, und sachte, sachte rannen ihr die glitzernden Tropfen die Wangen herunter. ›Thörin!‹ flüsterte sie vor sich hin, preßte die Zähne zusammen, wandte sich und schloß die Leitung. In blendendem Lichte erstrahlte das Gemach, und mitten auf dem Tische glühte das riesige Bouquet. Fast zaghaft ging Lore hinzu, nahm das weiße Briefchen aus den roten Rosen und erbrach mit zitternden Händen das Couvert:

»Otto von Gelling empfiehlt sich dem gnädigen Fräulein von Ostenhusen ehrerbietigst und bittet, seiner innigen Herzensfreude darüber, daß er die Herrschaften nach seiner Rückkehr sicher noch in Spr. zu finden hofft, wiederholt Ausdruck geben zu dürfen.«

Lore von Ostenhusen trat mit gefalteten Händen an die Glasthür zurück und hob das thränenüberströmte glückstrahlende Antlitz zu den blinkenden Sternen. 171

 


 


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