August Sperl
Herzkrank
August Sperl

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Drittes Kapitel

Vom gedämpften Sonnenlichte überflossen dehnte sich der Saal des Hotel *** im weltberühmten Bade Sprudelingen. Die bunt gemischte Gesellschaft hatte wieder einmal die Höhe des Tages erklommen: man speiste! Geräuschlos glitten die Kellner über das braune Linoleum, wie ein Clown tauchte der wasserschleppende, großköpfige Piccolo auf und nieder zwischen den blumengeschmückten Tischen, wie ein Feldherr lehnte an der Kredenz die gebietende Gestalt des Besitzers mit dem immer lächelnden Antlitz und der tadellosen weißen Weste, anzuschauen, als ob er einzig und allein zu seinem Vergnügen alle die Gäste eingeladen hätte unter sein wirtliches Dach. Und der weite, sonnige Saal war erfüllt vom Gesumme der kauenden, schlürfenden, plaudernden, lachenden Menschen. –

In der Mitte der langen Haupttafel saß 49 Gelling und stocherte zerstreut in dem rosaroten Seefische auf seinem Teller.

»Wie steht das Befinden heute, Herr von Gelling?« fragte von der andern Seite des Tisches herüber die korpulente Aktienwurstfabrikdirektorsgattin.

»Danke, gnädige Frau, passabel.« Gelling 50 verneigte sich leicht. »Darf ich mich auch meinerseits erkundigen?«

»Danke, sehr gut, Herr von Gelling. Und denken Sie nur, ich habe heute das dritte Sprudelbad genommen! Großartig, sage ich Ihnen.«

»Dazu wird's bei mir wohl niemals kommen,« meinte Gelling mit melancholischem Lächeln und legte die Gabel auf den Teller.

»Finden Sie nicht, Herr von Gelling,« begann der alte Herr an seiner Seite in tiefen, bedauernden Froschtönen, kauend und schmatzend, »diese Seefische hier im Hotel schmecken einfach nach gar nischt!«

»Mein Appetit ist so gering, daß ich nicht kompetent bin,« erklärte Gelling und lehnte sich zurück.

»Einfach nach gar nischt,« beharrte der weißbärtige Herr und leckte an seinem Zeigefinger. »Und wissen Sie, woher das kommt? – Piccolo, hierher, hören Sie nicht, Piccolo? Nochmals die Fischplatte! – Nicht, Herr von Gelling? Ich will's Ihnen sagen: das Zeug liegt viel zu lange auf dem Eis. – Na, Piccolo, so halten Sie doch die Platte geschickter! Viel zu lange, Herr von Gelling, und da verliert's zuletzt unfehlbar den Geschmack und wird ungenießbar.«

»Wieso, Herr von Gelling? Sie baden wohl 51 nur thermal?« Die Aktienwurstfabrikdirektorsgattin beugte sich weit herein in den Tisch.

»Vorläufig, gnädige Frau. Und ich gestehe, schon die Thermalbäder regen mich ganz abnorm auf.«

»O Sie Aermster! Jetzt ich muß sagen, wenn ich immer nur Thermalbäder gebrauchen sollte, das wäre mir zu langweilig. Das eigentliche Vergnügen von Sprudelingen sind eben doch die Sprudelbäder. Und – lächerlich – auch 52 das wollen einem die Aerzte noch beschneiden! Zehn, fünfzehn Minuten Badezeit, glauben Sie wohl, ich halte mich an diese rigorose Vorschrift?«

»Wieso, gnädige Frau?« erkundigte sich Gelling.

»Nun, ich bade eben so lang es mir beliebt, gewöhnlich eine halbe Stunde.«

»'ne halbe Stunde?« Der Gourmand verdrehte voll Entsetzen die Augen. »Da können Sie was erleben. Man sollt's nicht glauben!«

Die Korpulente zuckte erhaben die Schultern.

»Erlauben S', gnä Frau, san nacha dö Sprudelbäder viel anders wia die Dermalbäder?« rief ein dicker Bierbrauer mit dröhnender Baßstimme herüber und schob ein Stück Fisch mit dem Messer in seinen breiten Mund.

»Na und ob, mein Herr! Was direkt aus der Tiefe sprudelt, ist krystallklar und schäumt infolge des Kohlensäuregehaltes wie Sekt. Kommt es aber mit der atmosphärischen Luft in Berührung, so wird es infolge eines chemischen Prozesses gelb –« erklärte die badekundige Dame.

»So, daher hat's also die gelbe, dreckete Farb', die verdächtige?« sagte der Brauer. »Jetzt hören S', meine Herrschaften, wenn's einer nit weiß und kimmt dös erschtmol an so a Badwanne – na, Sie kenna lachen, bal's Ehna 53 g'freut, i hab' heut mein dritt's Bad g'nomma jetz bin i's a g'wohnt, aber dös sag' i Ehna scho wia i 's erschtmol zug'schaut hab', wia mer der Kerl, der Badwaschl, mei Wanne eing'füllt hat, und is die gelbe Brieh drin umanand g'loffen, meine Herrschaften, da hab' i fein scho dichti aufbegehrt.«

An der langen Tafel war alles verstummt, und mit Behagen blickte der Brauer aus Bayerland umher, stolz über die Wirkung seiner Rede.

»Aufbegehrt hab' i und hab' aber mei niederbayrische Goschen aufzogen und hab' ean g'fragt, den Badewaschl, ob er wohl glaubet, daß i einischteiget in die Brieh!«

»Fi donc!« flüsterte die korpulente Aktienwurstfabrikdirektorsgattin und zog ihr Taschentuch, während sich ringsumher eine stille Heiterkeit verbreitete.

»In die Brieh, hab' i g'sagt, die schaugt ja aus wia 's Bier in der Pfanna,« fuhr der Brauer mit erhobener Stimme fort. »Und die Brieh soll mer was helfen gegen mein Fettherz? Laßt Enk hoamgeigen, hab' i g'sagt, mit dera verdächtinga Brieh! – No hat er halt g'lacht, der Badewaschl, und i hab' a g'lacht, wissen S', i mach' halt diemalen a gern an G'schpaß, und z'letzt is mir nix anders übrigblieben, als daß i halt einig'schtiegen bin.«

54 Nun lachte der Mann mit dem Fettherzen, und sein Lachen dröhnte, als säße er in seinem größten Fasse, und ringsumher kam laut und leise die Heiterkeit zum vollen Durchbruche.

Gelling blieb teilnahmlos und sah mit starrem Antlitze hinüber in die Fensterecke. Nun täuschte er sich gewiß nicht mehr, nun war's denn doch Zeit zu einer ganz energischen Aussprache: der junge Mann da drüben fixierte ihn ja unaufhörlich! Gelling drehte mit nervösen Fingern Brotkügelchen und ließ die große Platte mit den appetitlichen Hühnern gleichgültig vorübergehen.

»Dagegen diese Sprudelbäder!« nahm die korpulente Aktiengattin das unterbrochene Gespräch wieder aus. »Als ob man in Sekt badete, wonnig! Nicht, Herr Kommerzienrat?«

Der ehrwürdige Gourmand neben Gelling hatte sich soeben zwei große Stücke von der Hühnerplatte genommen und lud nun den Inhalt einer halben Kompottschale auf sein Tellerchen hinüber. »Entschuldigen, gnädige Frau, in Sekt habe ich noch niemals gebadet,« quakte er. »Wenn ich welchen habe, dann trinke ich ihn.«

»Nun, ich meinte ja ooch nur so,« bemerkte die Dame beleidigt und begann zierlich ein Stückchen Huhn zu zerlegen.

55 »Haben Sie die letzten Nachrichten gelesen, Herr von Gelling – nicht?« Der ehrwürdige Gourmand schabte an einem Flügel und wandte im Rahmen der blühweißen Serviette das rosige Gesicht mühsam zu seinem Nachbarn. »Also nicht? Ich sage Ihnen, Herr von Gelling, wir gehen einem schweren Winter entgegen. Diese entsetzlichen Arbeiterentlassungen! O, Herr von Gelling, Sie machen sich gar keinen Begriff von der Not, die man in unsern großen Städten antrifft. O diese armen, armen Leute, diese armen Leute!« Er nahm das Tellerchen mit dem köstlichen Kompott, hob es unter sein Doppelkinn und begann andächtig zu löffeln. »Sie glauben gar nicht, Herr von Gelling,« – er schmatzte tief bewegt, der ehrwürdige Herr, und Gelling mußte gespannt horchen, wenn er noch etwas verstehen wollte. Aber mit aller Anstrengung verstand er doch nichts weiter als immer wieder das wehmütige, quakende: »Sie glauben gar nicht – diese armen, armen Leute!«

Und da – schon wieder starrte der junge Mann in der Ecke am Fenster gerade auf Gelling. Nun gut, das Maß war voll, voll bis zum Rande!

Das allgemeine Plaudern und Summen im Saale erlitt in diesem Moment eine gewisse Unterbrechung. So ziemlich zwei Dritteile der 56 Anwesenden ließen Messer und Gabel sinken und reckten die Hälse nach der breiten Treppe, die vom Korridor in den Saal herab führte. Unwillkürlich hob auch Gelling die Augenlider – um dann ebenso gebannt wie die andern auf die Thüre zu blicken.

Es war ja nichts Besonderes: späte Mittagsgäste, vermutlich mit dem Zuge eingetroffen, traten durch die Glasthüre in den sonnenhellen Raum. Ein älterer, grauer Herr, vornehm, das sah man auf der Stelle, und schwer leidend; neben ihm eine hochgewachsene junge Dame in schlichtem weißem Kleide. Ein Flüstern erhob sich, wie es sich nur in einer bunt zusammengewürfelten Hotelgesellschaft so ungeniert, so unanständig erheben kann, und die korpulente, sprudelbegeisterte Aktienwurstfabrikdirektorsgattin ließ ihr Lorgnon fallen und sagte halblaut zu Gelling hinüber: »Königin Luise, wie aus dem Bilde geschnitten!«

Gelling hätte ihr mögen ins Gesicht fahren, der Korpulenten, wahrscheinlich, weil sich ihm selbst der Vergleich sofort aufgedrängt hatte. Und ungeduldig sah er sich nach dem Hotelier um; denn auf dem schönen Antlitz da drüben malte sich eine sichtbare Verlegenheit.

Doch er war ja schon zur Stelle, der Tadellose mit der weißen Weste, und neben ihm dienerte 58 sein Adjutant, der sprachgewandte Ober mit der unternehmenden Spitznase. Gelling sah den Ewiglächelnden nur von hinten, aber daß sein Lächeln diesmal aus tiefster Seele kam, war ihm nicht zweifelhaft.

Lauter als vorher murmelte die Konversation, klang das Geklapper durch den Saal.

»'ne hübsche Person!« quakte der Gourmand zu Gelling hinüber und wischte bedächtig an seinem Munde.

Gelling warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Superbe Erscheinung,« beeilte sich der alte Herr zu verbessern. »Offenbar pensionierter Offizier und Tochter.«

Hauptmann von Ostenhusen war unterdessen mit seiner Lore an einem der kleinen Tische, die längs der Fenster standen, gelandet. Gelling erhob sich mit kurzer Verbeugung, stieg die Treppe empor und verließ den Saal. –

»Doch ein ungemein interessanter Mann, dieser Herr von Gelling?« rief die Aktienwurstfabrikdirektorsgattin über den Tisch hinüber zu dem ehrwürdigen Gourmand. Dieser nickte zustimmend, wühlte in der Obstschale umher, fingerte den schönsten Apfel heraus und begann ihn liebevoll zu schälen.

»Dös is also a richtiger preißischer Junker, 60 der da drieben g'setzen hat?« fragte der Brauer mit seinem dröhnenden Basse. »No, dös g'freit mi, daß i an solchenen amol in der Näh' siech', weil s' da Sigl im Vatterland allweil am Korn hat, die preißischen Junker. A schene Läng' hat er, der – heiliger Sebastian!« –

Der Saal entleerte sich, und in einer Ecke des Korridors, wo alle Gäste vorbei mußten, wartete Gelling. So lauert am oberen Nil die Riesenschlange geduldig auf ihr ahnungsloses Opfer, so wartet sprungbereit der Panther, sich herabzuwerfen auf ein unschuldiges Lamm. Und er kam ahnungslos, der kleine Assessor mit den unglücklichen Froschaugen.

»Mein Herr, gestatten, auf ein Wort!« Gellings Stimme klang gepreßt.

Verwundert blinzelte der Kleine an seinem Gegner empor: »Gerne zu Diensten, mein Herr!«

»Bitte, das Lesezimmer ist leer!«

»Mit – Vergnügen!« gurgelte der Kleine.

»Von Gelling – gestatten!«

»Assessor Schreckschuß!«

»Ich habe in diesem Augenblicke erst Gelegenheit, Sie kennen zu lernen, Herr Assessor, und weiß nicht, wie Sie dazu kommen, mich während der ganzen Mahlzeit schon seit drei Tagen –«

»Ich bitt' – ums Wort, Herr – von Gelling!« 61 unterbrach ihn der Kleine erregt und streckte sich. »Auch mir – – – ist es aufgefallen –«

»Sie gestatten, Herr Assessor, daß ich zuerst meine Beschwerde vorbringe; schon seit drei Tagen fixieren Sie mich fast unausgesetzt, und ich glaube Ihnen doch hiezu nicht den geringsten Anlaß –«

»Sie entschuldigen, Herr von – Gelling, es ist mir – sehr lieb, daß ich mit – Ihnen über diese Angelegenheit zu – reden komme; auch mir – fällt es seit drei Tagen auf, daß Sie mich – fortwährend nicht aus dem – Auge lassen. Ich stehe natürlich zu – – Ihrer Verfügung –« hier versagte ihm die Stimme, und er schnappte nach Luft.

»Ich selbstverständlich auch, Herr Assessor,« sagte Gelling betreten. »Es sollte mir aber sehr leid sein, wenn ich Ihnen unbewußt Anlaß gegeben hätte –«

»Mir gewiß nicht – minder, Herr von Gelling; denn mir – liegt nichts ferner, als – mitten im Kurgebrauche so – schädliche, aufregende – Erörterungen zu provozieren. Und ich bin selbstverständlich bereit, Ihnen wiederholt – zu erklären, daß ich Sie nur deshalb angesehen habe, weil ich mich von – Ihnen angesehen fühlte – ja, mit geschlossenen Augen – fühlte, Herr von Gelling!«

62 »Auch ich bin selbstverständlich bereit, Ihnen jede genugthuende Erklärung zu geben,« lenkte nun Gelling definitiv ein. »Ich glaube, es liegt hier ein unliebsames Mißverständnis vor, das leicht zu ernsteren Verwicklungen hätte führen können. Finden Sie übrigens nicht auch, Herr Assessor, diese Bäder regen den Organismus ganz verflucht auf – Sie baden schon länger?«

»Ach sehen Sie, Herr von Gelling,« rief der Kleine erfreut, »das empfinde ich auch; ganz abscheulich regen sie auf, diese Bäder. Ich sage Ihnen, die halbe Nacht kann ich nicht schlafen. Freut mich ordentlich, mal mit jemand drüber sprechen zu können. Ich habe nun fünf Bäder – wie das aber weitergeht – –?«

»Ja sehen Sie, die richtige Aussprache hat auch mir bisher gefehlt; denn die Gesellschaft ist doch – es hört uns hier hoffentlich niemand –«

– »schrecklich gemischt, Herr von Gelling,« vollendete der Kleine mit kläglicher Gebärde.

Und so standen die beiden, das Opfer und die Riesenschlange, noch geraume Zeit in friedlichem Gespräche über ihre beiderseitigen Leiden und die aufregenden Wirkungen der Thermalbäder von Sprudelingen. –

*

63 Am Abende beschrieb Herr von Gelling eine Ansichtskarte mit diesen triumphierenden Worten:

»Na, Leibbursch . . .? Also . . .! Wer hat denn zuletzt doch recht behalten? Du oder ich? Sehr leidend, außerordentlich schonungsbedürftig, längerer Aufenthalt in Sprudelingen unbedingt nötig. Nu, Leibbursch – Diagnose? Er spricht sich zwar nicht näher aus, aber so viel ist gewiß: Herz angegriffen an allen Ecken und Enden.

Immer Dein Gelling.«


Fast lautlos betrat der alte Johann das Zimmer und begann, seinem Herrn die Nachtruhe zu bereiten.

Gelling drückte das Löschblatt auf die Karte. »Du hier, Johann?«

»Gnä'ger Herr befehlen?«

»Diese Karte muß noch in den Kasten geworfen werden.«

»Jawohl, gnä'ger Herr.«

»Und ist auch die elektrische Leitung wieder in Ordnung? Heute nacht hätte ich doch so gerne gelesen.«

»In Ordnung is se,« kam die Antwort zurück. Der alte Bediente machte ein bekümmertes Gesicht und seufzte hörbar.

»Nun, was giebt's?«

64 »Na, ich mein' man bloß, wir sollen nich die halbe Nacht lesen. Wir sind nu hier ins Bad, wir sollen also unsre Gesundheit auferbauen, und da kann uns das Lesen in die ollen Bäuker nich heilsamlich sind.«

»Ach was, Johann, wenn ich aber die halbe Nacht nicht schlafen kann?«

»Da müssen wir zu zählen anfangen, eins, zwei, drei un so immer zu, denn kommt der Schlaf von sülwst. Un über Tag sollen wir nich so veel schlafen, das taugt nich!«

»Das verstehst du nicht, Johann!« schnitt sein Herr das Gespräch ab. Johann kniete vor dem Bette nieder und fischte die Nachtpantoffeln des Herrn von Gelling aus der Dunkelheit, in die sie sich verkrochen hatten.

»Das is aber 'n kranken Herr, der da heut mittag zugereist is,« begann er schnaufend aufs neue. »Das is 'n Jammer anzusehn. Da merkt man erst, was 'ne wirkliche Krankheit is!«

»Der alte Herr mit der jungen Dame doch, Johann?«

»Hauptmann ade, gnä'ger Herr, aus Bayern, und das gnä'ge Fräulein heißt Lore. Der Zuname is mich entfallen, aber daß sie Lore heißt, das hab' ich selber gehört. Un wohnen im dritten Stock, Zimmer 110 und 111. Is man gut, daß 65 sie den Lift haben im Hotel, er könnt's nich steigen, der kranke Herr.«

»Schnüffler, alter!«

»Schnüffler, alter, gnä'ger Herr? Das hab' ich aber doch nich um Sie verdient!« murmelte der treue Mann tiefgekränkt.

66 »Na, laß gut sein, Johann, 's war nicht so gemeint,« lenkte Gelling ein.

»Das ›Schnüffler‹ hat mich auch nich gekränkt, gnä'ger Herr, aber daß ich alt bin, das müssen Sie mich nich so unter die Näs reiben, dafor kann ich nich, un vorm Altwerden schützt Sie auch nichts, gnä'ger Herr, un nichts nich for ungut.«

»Na, schon recht, Johann, – also einen Schnüffler darf ich dich heißen?«

»Wenn's uns grade freut, un wenn wir damit sagen wollen, daß der Johann seine Näs in den Wind steckt un also schon so manches erfahren hat, was einer nich aus 'm Schnupftuch riecht, so hab' ich nichts nich dagegen. Und, gnä'ger Herr, das schöne, große, fremde Fräulein, Lore heißt se, kann auch ganz traurigschön un herzbewegend Klavier spielen, un ich hab' ihr auch lang zugehört heute im Lesesalong, ganz unvermerkt un ganz allein. Un französch hat sie auch gesnackt mit Hoteliers seine Oellern, daß es man so schnurren that.«

»Wie willst du denn das wissen? Kannst ja selber nicht französisch!« lachte Gelling.

»Das freilich nich,« meinte Johann gekränkt, »aber 's war doch französch; denn sie haben immer dazwischen gesagt ›oh wui‹, un so viel kann ich auch.«

67 »Na, meinetwegen, Johann; aber ich bitte mir aus, spioniere nicht allzusehr herum, das wirft ein schlechtes Licht auf uns!«

»Aberst, gnä'ger Herr,« verteidigte sich der Bediente und kam ganz nahe heran, »da brauch' ich ja nur die Ohren aufzumachen, das allermeiste erfahr' ich jeden Mittag beim Essen unten an unsern Tisch. Eins aber, gnä'ger Herr, muß ich Sie doch noch sagen –« Johann stockte, trat an den Schreibtisch und nahm die Karte weg. »Ich meine man so, 's könnt ja sind, daß der gnä'ge Herr selber druf kämen, un da is's vielleicht gut, wenn ich's vorher gesagt habe –«

»Nun, Johann?«

»O gnä'ger Herr, es is mich bloß so gewesen, als ob ich die verehelichte gnä'ge Frau von Sollenhausen mit ihrem Herrn Gemahl heut im Park hätte umeinander fuhrwerken sehen.«

Der Bediente starrte auf den Herrn, und seine Züge trugen das Gepräge ehrlicher Angst. Gelling wandte sich ab und sah angelegentlich durchs Fenster hinab auf den Rasen, wo ein weißes Kleid in der Dämmerung blinkte. – Dann sagte er mit Ruhe: »Habe ich auch schon zu sehen geglaubt, Johann . . . Alter Schnee, das!«

68 Ein froher Schimmer glitt über das gute, knorrige, alte Gesicht: »Na, das soll mich schon sehr recht sind! Wie aber der Herr von Sollenhausen aussieht – es is zum Gräsen, gnä'ger Herr!«


Mit leisen Schritten ging Johann den Korridor hinab und bog in die Portierloge.

»Können Sie mich 'ne Marke geben, Herr Portieh?«

»Gern, Herr Siewers – hier!«

Johann dämpfte seine Stimme, denn in der Ecke der Loge saßen etliche rauchende Herren. »Un können Sie mich nich sagen, wie sich der Herr Hauptmann un das wunderschöne Fräulein schreiben?«

»Von Ostenhusen,« flüsterte der Portier.

»Dank Ihnen, ich muß doch wissen, mit wen wir unter einem Dach wohnen!«

Johann trat aus der Thür. Da kam Lore mit dem Baby des Hoteliers an der Hand die hellerleuchteten Stufen empor. Respektvoll trat der alte Mann zur Seite und zog den Hut ganz tief.

»Guten Abend,« sagte Lore freundlich.

»Recht guten Abend, gnä' Fräulein!«

»Sie sind ein Norddeutscher, nicht wahr?« sagte das Fräulein von Ostenhusen. »Sie können's nicht verbergen!«

70 »Zu dienen, gnä' Fräulein, hart von die Waterkant.«

»'n Abend!«

»Recht guten Abend!« – –

›Wat het hei seggt? Ollen Snei? – – Un dat Frölen, tau dat Frölen hewwen wi 'n grotes Tauvertrugen. Dat Frölen is sihr scheun, sei is vun Adel, sei kann französch, un sei kann Klavier un is vun Harten gaut.‹

Johann ging mit langen Schritten, gebeugten Hauptes über die Straße zum Briefkasten, schob die triumphierende Postkarte des Herrn von Gelling hinein und murmelte vor sich hin: ›Na, wat fehlt denn noch, Johann? Na wat denn, wat denn?‹ 71

 


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