August Sperl
Herzkrank
August Sperl

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Fünftes Kapitel

Eine Woche später betrat zur Stunde der Siesta der alte Johann die Portiersloge.

»Was steht zu Diensten, Herr Siewers?«

»Ich muß nu 'n Brief schreiben, Herr Portieh.«

»Ei, da setzen Sie sich nur in den Schreibsalon, Herr Siewers, da stört Sie um diese Stunde kein Mensch.«

»Nee, Herr Portieh, das thu' ich nich. Ich muß mir uf 'n ganz stillen Fleck setzen, wo ich mir nich immer umkieken brauch', ob mich nich einer über die Schulter kieken dhut.«

»Na, dann kommen Sie mit mir in meine eigne Stube, Herr Siewers, da stört Sie keine Fliege.«

»Und einen Bogen Briefpapier, oder gleich zwei, Herr Portieh, sind Sie so gut!«

Lächelnd ging der Portier dem alten Mann voran und trug ihm das Schreibzeug in sein Stübchen.

95 Umständlich entledigte sich Johann seines schwarzen Leibrockes, hing ihn über die 96 Stuhllehne und setzte sich, schwer seufzend. Dann begann er mit großen Buchstaben zu schreiben:

Gnedister Herr Doktor!

Als ich vor nunmehr sechs wochen von Sie Abschied nemen daht, da drückten sie mich die Hand und sprachen diese mildesten Worte: schreiben sie mich auch Johann, wenn sie ein anlügen auf den Herzen haben. An diese frohe verheisung habe ich mir oft schon erinnert und mir vorgenommen, an den gnedisten Herrn Doktor must du nun bald schreiben, Johann. Gnedigster Herr Doktor! Anlügen hab ich einen ganzen Schiebkarren vol. Ich bin weißgott nachgerade zu einen einzigen großen Anlügen zusammengesorgt. Habe schon oftmalen in Gedanken einen Schreibebrief verfast, wenn ich meinen gnedisten Herrn still und alleine im Parke den Iberzieher nachtrage. Der gnediste Herr Doktor wern mir schoon verstehn.

Mit den Bedern Herr Doktor, bin ich nich einverstann. Ich will nichs seggen, daß es eine smutzige gelbe Briehe ist, was sie hierzuland Dermahlbeder nennen und ihnen sehre teier bezahlen lassen (1 M. 80 für eine Wanne voll) so dick und smutzig, das sich bei uns daheme mit Respekt vor Ihnen die Sweine besinnen theten vorm Einsteigen. Aber das soll ja die natierliche Heilkraft bedeiten grade was der olle Smutz in's 97 Wasser ist, und das iberlass ich den Doktors die werdens ja wissen. Hilfts dann hilfts. Un sie sagen, das es schon vielen geholfen hat. Ist mich recht, meinen Herrn aber hilft das nich, nein den schadt sie die gelbe Brieh und das weiß ich, Johann Siewers. Den ich kenn meinen gnedisten Herrn seine Natuhr. Wird ja immer kranker anstadt gesünder und nimmt ihm täglich einen stärkern Abscheu an leben.

Und was ich noch sagen will der Doktor der hiesige, gefellt mich och nich nein nich im geringsten. Der Johann Siewers guckt sich seine Leite genau an genau, sag ich ihnen, gnedister Herr Doktor. Und der hiesige Herr Doktor soll ja ein sehr berühmter Mann sein. Ist mich janz egal ich seh was ich seh und weiß was ich weiß. Zu jeden Geschäft gehert die richtige Zeit, so viel ist sicher. Und Er hat ja gar nicht die richtige Zeit, der hiesige, er hat zu viele Bazienten. Ich kenn meine Leite. Ich bin doch oftmahls dabei gestannen wenn der gnediste Herr Doktor meinen gnedisten Herrn abgeklopft und ausgehorcht haben und ich weiß was das Zeit gekostet hat; bis der gnediste Herr Doktor immer sagen konnten: ›Oller Fründ, dich fehlt nichs.‹ Awer der hiesige? na gutnacht, schwubb, schwubb, hast du gesehen? ›rechts oben am Hertzen noch kleine nerviose 98 Affektatschon, weiter baden. Der Nächste.‹ – Das weiß ich nu schon ganz ußwenig das Sprichlein. Und ich sags immer: all Ding will seine Zeit und mit respekt vor Ihnen gnedister Herr Doktor, es kann einer den Tag über auch nich mehr Schaaf scheeren als der Tag lang is; der hiesige aber, gott bewahre mich, der scheert wenn die Sonne lang scheint seine anderhalb hundert Tag für Tag.

Gnedister Herr Doktor, es ist ein Jammer, wenn das so fort geet bring ich ein ganz kranken Herrn zurück, sagens auch alle Leut im Hotel. Ich muß aber den gnedisten Herrn Doktor noch etwas sagen als unsern Fründ. Es liegt meinen gnedisten Herrn etwas aufn Herzen, ich weiß es wohl. Denn ich hab och Augen in Koppf. Is da seit vierzehn Dagen in unsere Hotel ein überaus scheenes Mätchen ein richtigs gnedistes Fräulein mit ihren schwerkranken Herrn Vatter. Schreiben sich von Ostenhusen. Und von den Dag an, gnedister Herr Doktor, is mein Herr vollends kabutt. Ich weiß es ganz genau: denn ich hab och Augen in Koppf. Und is och kein wunder nich das Fräulein von Ostenhusen is keine solche nicht wo man alle Dag begegnen kann. Ich wollt ich könnt Ihnen gnedister Herr Doktor, eine Fotograffi übersenden. Aber es is Sie nich nödig, 99 sie is anzusehen akrat wie die Königin Lowise übern Sekretär von mein gnedisten Herrn das sagen alle hier im Hotel und ich kann nich helfen das Fröulein von Ostenhusen geht durch unser Leben hier im Bahde als ein leibhaftger engel. Und warum sollt mein gnedister Herr alleene ein Herz haben von Stein?

Und was wahr is, muss man sagen. Er hat ein liebes, scheenes Mätchen und gnedistes Fräulein verdient er hat niemahlen was unrechtes gedahn! Er hat ein gudes Gewissen, wenn er ein reinen Mätchen unter die Ogen dritt, das weiß ich, Johann Siewers, keine weiße und keine swartze kann ihn was nachseggen nee.

So wäre alles ganz guth und scheen und ich hätte die beste Hoffunug für die Zukunft aber das is Sie ja gerade das größte unglick: immer wenn er mit den gnedisten Fräulein und ihren Herrn Papa ein Trämmel gesnackt hat und is wieder in seiner Klause allein, dann kommt die große Traurigkeit über ihm un ich, Johann Siewers weiß dann gar wol was er sich für swarze Gedanken durchn Kopps gehn läßt. Hat auch erst vorgestern zu mich gesagt, Johann hat er gesagt! Das is doch hart das ich mich wohl niemalen eine liebe Frau anschaffen kann vonwegen meiner Gesundheitsverhältnissen. Und da hab ich gar nichts 100 mehr gesagt, aber das is mich fest gestanden, jetzt wird an meinen gnedisten Herrn Doktor geschrieben. Denn hab ich nich oftmalen gehört in meinen leiblichen Ohren, Gelling! haben der Herr Doktor gesagt, du büst nich krank du büst gesund und du must friggen. Und dieses is auch nach meinem Verstand das einzige Middel.

Wenn er aber noch lang hier herumbadt in der gelben Brieh und herum liegt auf den Scheßlongen also dann wird er krank ohne Rettung.

So und jetz hab ich mein olles trauriges Herz ausgeschidt und nu thuhn sie was sie thuhn müssen als unser bester eltester Freund. Sie werns ja wissen.

Und damit verbleibe ich in Ehrerbietung

allezeit Ihr Gehorsamster

Johann Siewers.

Addrese: Sprudelingen, Hotel ***, Diener bei Herrn von Gelling, Hochwohlgebohren.

Und sind sie doch so gut und lasen Sie michs wissen wenn dieses Schreiben nich in ihre Hände gekommen is!!

*

Es war ein prächtiger Sommerabend, als der Doktor diesen Brief bekam. Er las ihn kopfschüttelnd und brummend, ging etliche Male auf und ab in seiner behaglichen Junggesellenstube, 101 nahm ihn wieder vor und brummte wieder. Endlich trat er ans Fenster und rief in den Hof: »Daniel, satteln!« –

*

Herr von Stackelhofen erging sich zur 102 selbigen Zeit nach des Tages Last und Hitze ein wenig am Strande und vergnügte sich damit, flache Kiesel über das fast regungslose Wasser tanzen zu lassen. Plötzlich hielt er inne und wandte sich um. »Du, Leibbursch? Aber du hast doch heute deinen Kegelabend?«

»Ach was, Kegelabend!« murrte der andre. »Ich weiß, was ich hab', 'n dummen Brief hab' ich, da lies!«

Herr von Stackelhofen nahm den Brief, spreizte die Beine, zog die Augenbrauen hoch und begann zu lesen. Nun bückte sich der Doktor, suchte auch flache Kiesel und ließ sie auch über das Wasser hüpfen.

»'n Mordskerl, der olle Johann!« murmelte der andre, während er mühsam die Krähenfüße weiter entzifferte. »Nee, der Doktor, der gefällt mir auch nicht! . . . Was? ›Ein überaus scheenes Mätchen, ein richtig's gnedistes Fräulein‹? Leibbursch, das ist ja eine ganz rührende, herzbewegende Geschichte! Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief.« Er faltete den Brief und gab ihn zurück.

»Laß deine Späße, Leibfuchs!« brummte der andre. »Die Geschichte ist mir doch nicht zum Lachen. Badet der Gelling faktisch seit sechs Wochen in der Thermalbrühe – es hört sich alles auf!«

»Ja, Doktor, gestatte mir nur die eine Frage, 103 ich will nicht indiskret sein, aber warum hast du ihm denn überhaupt Sprudelingen erlaubt?«

»Es ist eine schändliche Geschichte, laß mich aus! Wer hätte das denken können! Warum, Leibfuchs? Ich will dir's sagen: Zu halten war der nimmer, das Sprudelingen hatte er sich mal in den Kopf gesetzt. Da dachte ich mir: gut, geh du nur hin, sie werden's dir schon sagen, ob du herzleidend bist oder nicht.«

»Vielleicht ist er's doch, Leibbursch?«

»Er ist's nicht, so wenig wie du oder ich oder mein Gaul!« stampfte der Doktor. »Aber dabei kann er doch krank werden; denn er ist nervös veranlagt, und die Bäder sind stark, abscheulich stark. Mir schwant, er ist nicht in die ehrlichsten Hände geraten.«

»Ja, es giebt sonderbare Heilige unter euch Dokters,« meinte Stackelhofen.

»Und allerhand Unheilige unter euch Stoppelhupfern,« knurrte der andre bissig. »Aber machen wir keine schlechten Witze, Leibfuchs, das Ding geht mir immerhin zu nahe. Komm, wir wollen mal vernünftig überlegen!« Und damit schob er seinen Arm in den des Freundes und begann mit ihm auf und ab zu wandeln im Scheine der sinkenden Sonne.

»Weißt du, da ist's wohl das beste, ich fahre mal selber hin und sehe nach dem Rechten, Doktor!«

104 »Das wolltest du, Stackelhofen?«

»Na kiek, ob ich nun drüben auf Rügen vier Wochen im Sande herumliege und Süßholz raspele, oder ob ich da in Sprudelingen umherlungere, das kommt für mich wohl auf eines heraus. Aber allerdings, Vorsicht ist vonnöten, sonst wird er mir handscheu. Könnt' ich mir nicht auch auf vierzehn Tage so 'n eingebildetes Leiden anschaffen?«

105 »Dann nimmt er dich mit offenen Armen auf, Stackelhofen!« lachte der Arzt. »Aber ich fürchte, du hast wenig Talent, den Kranken zu spielen.«

»Na, das laß du meine Sorge sein, Doktor! – Und die Hauptsache ist also, sagst du, daß er aus den Händen dieses Arztes kommt?«

»Und überhaupt einmal von seinen Einbildungen kuriert wird!« rief der Doktor zornig.

»Du, Leibbursch!« Herr von Stackelhofen blieb stehen. »Leibbursch, wie wär's, wenn ich ihn vielleicht unversehens so recht in Motion brächte?«

»Bewegung ist Leben, Leben ist Bewegung, natürlich!« lachte der Arzt. »Das Umherliegen ist Gift für ihn; das leuchtet ja sogar dem alten Johann ein.«

»Ich meine das in anderm Sinn, Leibbursch: wie wär's, wenn das scheene Mätchen nun in der That so eine Rarität wäre und ich ihn unversehens so recht eifersüchtig machte?«

Der Arzt besann sich: »Wenn du's klug anfängst, Stackelhofen, und das bezweifle ich bei dir nicht –«

»Danke, Leibbursch!«

»Bitte, also klug anfangen und nichts übertreiben, dann kann's ihm nur nützen.«

»Uebermorgen reis' ich, Doktor.« 106

 


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