August Sperl
Herzkrank
August Sperl

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Achtes Kapitel

Der große Arzt des Herrn von Gelling besaß einen seiner Größe entsprechenden Wartesaal. Dort harrte auch Stackelhofen an einem der nächsten Vormittage geduldig auf eine Audienz.

Es war sehr heiß in dem düstern Raum, an allen Fenstern standen wartende Menschen, alle 131 Polsterstühle, alle Diwans waren besetzt; da und dort wagte einer mit seinem Nachbarn zu flüstern; die meisten saßen still und in sich gekehrt; etliche lasen in Zeitschriften oder Prachtbänden. Es herrschte eine feierliche Stille, würdig des großen Geistes, des weltbekannten Wohlthäters der Menschheit, der, nur durch zwei Holzthüren von dem hilfesuchenden Volke getrennt, seines Amtes waltete, Tag um Tag, Woche um Woche, Saison um Saison.

Auch Stackelhofen konnte sich dem Einflusse der allgemeinen Stimmung nicht entziehen; schon zu lange hatte er inmitten all des menschlichen Elends gesessen, und nun begann er nachgerade zu – schwitzen.

Aber endlich schlug die Stunde seiner Befreiung, ein Livreediener glitt herein und rief in diskretem Halbflüstertone eine Anzahl Namen aus. Mit einem Seufzer der Erleichterung erhob sich Stackelhofen, trat unter dem berufenen Trüpplein in das Vorzimmer für männliche Patienten, entledigte sich mit Hilfe des Livreedieners seines Rockes, seiner Weste und seines Hemdkragens, hörte gerade noch die geflüsterten Worte: »Zuerst, bitte, gar nichts sprechen, der Herr Doktor lieben das vor der Untersuchung nicht!« Und nun stand er in der atmenden Nähe des Gefeierten.

132 Ergreifend stille war es in dem teppichbelegten Kabinett.

Ein kleiner, korpulenter, weißbärtiger Herr watschelte auf den Riesen vom Strande der Ostsee zu, ein junger Mann mit goldener Brille und semmelblonden Haaren flüsterte: »Herr von Stackelhofen!« und reichte dem Meister das schwarze Stethoskop. Eine ungeheure rosarote Glatze blinkte unter dem Kinne des Leidenden, das Stethoskop ward auf seine linke Brust gesetzt. Stackelhofen begann im Geiste langsam zu zählen. Das Instrument wurde verschoben. ›Fünfundvierzig, sechsundvierzig‹ hatte Stackelhofen erreicht, da trat der alte Herr schon mit einem erhabenen »Danke!« zurück, reichte dem Famulus das Instrument, kreuzte die Arme und zog sein rötliches Gesicht in ernste Falten.

»Es – war – Zeit, – daß – Sie – nach Sprudelingen – kamen, – Herr –«

»Von Stackelhofen,« flüsterte der Famulus im Hintergrunde.

»Von Stackelhofen,« sagte der Riese mit höflicher Verbeugung.

»Höchste Zeit!« wiederholte der Meister.

»Höchste Zeit, Herr Doktor, der Meinung bin ich auch!«

»Haben Sie außerdem schon Krankheiten 133 durchgemacht, Herr – e – e –?« inquirierte der Arzt und wandte sich zum Schreibtische.

»Von Stackelhofen!« flüsterte der Famulus.

»Von Stackelhofen,« grinste der Riese. »Ja, 134 ich entsinne mich, Herr Doktor. Es ist zwar schon lange her, aber ich weiß es, als wär's gestern gewesen.«

»Bitte, nur nichts Nebensächliches, Herr – e – e,« sagte der Meister in ernstem Tone. »Meine Zeit ist sehr beschränkt.«

»Als wär's gestern gewesen, Herr Doktor,« fuhr der Riese unbeirrt fort. »War da Kirchweihe bei uns, nahm mich ein Bedienter ohne Wissen meiner Eltern, ich war – na, gestatten, Herr Doktor – ich werde so 'n zwölfjähriger Bengel gewesen sein, er nahm mich also mit. Na, den Rest können sich der Herr Doktor denken – Bier, Zigarren – acht Tage lang bin ich nach der Geschichte in der Klappe gelegen.«

»Aber ich bitte Sie, Herr – e – e,« – der Arzt erhob sich – »nur nichts Nebensächliches!«

»Nebensächliches?« Herr von Stackelhofen machte ein verwundertes Gesicht. »Für mich ist dieser Vorfall durchaus nichts Nebensächliches, er bedeutet sozusagen meinen Eintritt in die Mannesjahre; denn von jenem Tage an –«

»Ich habe Ihnen nunmehr die ersten Bäder ordiniert,« unterbrach der Meister den Redestrom mit erhobener Stimme. »Wir beginnen mit Thermalbädern. Hier, diese Verschreibung wollen Sie jedesmal dem Badediener vorweisen. Am 135 dritten Tage Pause; da finden Sie sich gefälligst wieder bei mir ein. Ihr Beruf?«

»Rittergutsbesitzer, Herr – e – e Doktor.«

»Haben viel Zeit zur Verfügung, oder nicht?«

»Solange meine Anwesenheit hier nötig sein wird, bleibe ich.«

»Gut, Sie wissen, die gewöhnliche Dauer der Kur beträgt vier bis fünf Wochen. Manche Patienten behalte ich jedoch eventuell gern etwas länger unter meinen Augen.«

»Begreife vollkommen, Herr Doktor. Ich bin ganz Herr meiner Zeit. Darf ich nun aber auch bitten, mir über den Befund Ihrer Untersuchung –?«

»Darauf werden wir im Verlaufe der Kur zurückkommen,« entgegnete der Meister mit Würde. »Ich pflege mich anfangs nicht auszusprechen.«

»Und noch eine Frage,« begann Stackelhofen.

»Bitte, meine Zeit ist zwar sehr beschränkt –« Der Meister zog den Chronometer.

»Ich ersuche, meine Frage als den Beginn einer von der vorigen getrennten zweiten Konsultation zu betrachten!« Der Riese in Hemdärmeln verneigte sich höflich.

»Bitte,« lenkte der Meister geschmeidig ein, »wie Sie wünschen!«

»Es handelt sich um meinen Freund, den Herrn von Gelling, der ebenfalls in Ihrer Behandlung ist.«

137 »Ach richtig, der alte, kleine, graue Herr mit der Herzmuskeldegeneration!«

»Entschuldigen, Herr von Gelling ist dreißig Jahre alt, hellblond, nur einen halben Zoll preußisch kürzer als ich –«

»Ach natürlich, der Herr von Belling, der seit vierzehn Tagen in meiner Behandlung steht, gewiß!«

»Gelling, Herr Doktor, und seit sieben Wochen!«

»Rittergutsbesitzer, nervöse Herzaffektion,« soufflierte der Famulus, der unterdessen hastig in einer dicken Strazze geblättert hatte.

»Ach, gewiß, gewiß! Es kommen mir eben auch so viele Namen unter – nun, und womit kann ich dienen?«

»Ich beobachte, Herr Doktor, diesen Gelling seit drei Tagen.«

»Gewiß, gewiß! Fast geheilt, nur an der Herzspitze noch 'n kleiner nervöser Fleck.«

»Rechts oben, Herr Doktor.«

»Natürlich, rechts oben, habe mich nur versprochen.«

»Herr Doktor, gestatten Sie mir die ergebenste Frage: halten Sie diese Bäder nicht unter Umständen für sehr stark?«

»Welche Frage, mein Herr! Stark sollen sie doch sein, wo bliebe sonst die Wirkung?«

»Gewiß!« Stackelhofen verneigte sich. »Doch 138 Sie gestatten, Herr Doktor, ich bin nur 'n Laie, vollkommen Ignorant in medizinischen Dingen, aber mir gefällt das Allgemeinbefinden meines Freundes nicht. Fast den ganzen Tag liegt er umher, ist reizbar, schwermütig, hat schlechten Appetit. Kurzum, Sie sehen ihn ja nur alle drei Tage ein paar, hm, ein paar Sekunden; ich beobachte ihn nun seit drei Tagen fortgesetzt. Er hat bis jetzt achtunddreißig Thermalbäder genommen –«

»So? Danke! Werde mir die Sache notieren.« Der Meister nickte zum Zeichen, daß die zweite Audienz ebenfalls beendigt sei. »Und was Ihre Kur betrifft, mein Herr, halten Sie sich strikte an meine Vorschriften, und ich garantiere Ihnen einen schönen Erfolg –«

Ernst von Stackelhofen verbeugte sich formell.

*

Am späten Nachmittage ruhte Stackelhofen in seinem Zimmer und las. Da ward die Thür im Zimmer nebenan aufgerissen, und Stackelhofen hörte, wie sein leidender Freund einige Zeit erregt auf und ab ging. Dann klopfte es an der Verbindungsthür.

»Störe ich, Ernst?«

»Nicht im geringsten, Gelling. Bitte, setze dich!«

»Ernst, mir ist was Merkwürdiges passiert.«

»Was Merkwürdiges? – Kann einem in 139 Sprudelingen auch was Merkwürdiges passieren, Gelling? Dann los!«

»Komme ich da vorhin zu meinem Arzte, untersucht mich der, knurrt was Unverständliches in seinen ehrwürdigen Bart –«

»Ehrwürdiger Bart ist gut,« unterbrach ihn der von Stackelhofen.

»– schaut mich prüfend an und sagt: ›Nun, Herr von Gelling, wie steht's? Ich denke, so soll's nicht weitergehen. Sie kommen mir reizbar, mißmutig vor. Am Ende sind Ihnen die Bäder doch auf die Dauer zu stark. Ich will Ihnen etwas vorschlagen, setzen Sie aus und gehen Sie heute mal zur Abwechslung auf den Schloßberg, aber an der steilen Seite, morgen wieder, und übermorgen erstatten Sie mir Bericht!‹«

Stackelhofen legte sich zurück und brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Aber, Ernst, ich begreife das nicht!« rief Gelling. »Bisher habe ich immer nur gehört: ›schonen, höchstens kleine Promenaden, durchaus nicht steigen!‹ Jetzt jagt mich der Mensch ohne jeden Uebergang von einem Tag zum andern den Schloßberg auf der steilen Seite hinan! Wie soll ich denn das verstehen?«

»Für den Verstand ist das überhaupt nicht, 140 mein Sohn,« lachte der von Stackelhofen noch immer, zog sein Taschentuch und trocknete sich die Thränen, »nur fürs Zwerchfell.«

»Oder hat er mich vielleicht bereits aufgegeben, denkt, es ist ja doch einerlei, wo ihn die Katastrophe ereilt?«

»Entschuldige, Gelling, aber mach mir nicht übel. Da, setze dich her! Ich will dir beichten. Ich bin heute bei deinem Arzte gewesen, ich habe ihm das von deiner – du verzeihst – Reizbarkeit, von deinem Trübsinn mitgeteilt –, still, Gelling, es war mir eine Gewissenssache! Ich habe ihn gefragt, ob denn nicht doch am Ende die Bäder zu stark seien. Na, was sagst du nun?«

»Gar nichts mehr, Stackelhofen! Und jetzt jagt er mich auf den Schloßberg!« Gelling trat an die Glasthüre des Balkons und begann aus die Scheibe zu trommeln.

Auch Stackelhofen kam herzu: »Merkst du nun endlich was, Gelling?«

»Stackelhofen – was meinst du –« kam es zögernd von den Lippen des andern, »Stackelhofen, am Ende bin ich gar nicht eigentlich herzkrank?«

»So wenig wie dein Johann, Gelling!«

»Aber weißt du, Stackelhofen – nein, im Ernste, ich fühle mich schrecklich elend. Mein Allgemeinbefinden, heulen könnt' ich wie 'n Hofhund!«

142 »Gelling!« Der Gutsnachbar trat dicht heran, legte die Hände auf die Schultern des Freundes und drehte ihn herum. »Gelling, das glaube ich von selbst. Aber ist's denn auch ein Wunder? Stecke mal einen ganz gesunden, nur etwas deprimierten, hypochondrischen Menschen achtunddreißigmal in die gelbe Thermalbrühe und laß ihn achtunddreißigmal von ihr gerben, Gelling, das hält kein Roß aus.«

»Du könntest fast, Stackelhofen, – aber nein, ich vermag mir's doch nicht vorzustellen – so 'n bedeutender, so 'n berühmter Arzt!«

»Und so 'n Charlatan!« vollendete der andre mit Ueberzeugung. »Na, Gelling, bitte, lassen wir das bis morgen, da werde ich in der Lage sein, dir den vollgültigen Beweis zu erbringen.«

Verwundert starrte ihn der andre an. Dann aber seufzte er tief auf: »O Stackelhofen, wenn ich nun doch nicht unheilbar wäre?«

»Unsinn, Gelling!«

»Ich muß dir nur gestehen, ich bin selbst schon daran zweifelhaft geworden. Aber du weißt nicht, Ernst, was ich in den letzten Wochen gelitten habe. Denn wie könnte wohl ein Unheilbarer – ach was, ich glaubte mich bereits definitiv von allen Freuden des Daseins ausgeschlossen. Ich 143 glaubte zum Beispiel, ehrlicherweise niemals ein Weib an mein Leben fesseln zu können, Ernst!«

»Aha –!«

»Stackelhofen, thu mir den Gefallen und behandle die Sache nach Gebühr. Glaubst du, ich kann das ehrlicherweise am Ende doch thun?«

»Wie alle deine Väter!« rief der Gutsnachbar.

»Und, Stackelhofen, nachdem er mich nun doch einmal auf den Schloßberg jagt, und nachdem auch du mich nicht für unheilbar hältst, und nachdem, na, du weißt wohl, nachdem doch auch unser Leibbursch zu Hause –«

»Aha, kommt sogar der wieder zu Ehren?« Stackelhofen lächelte verschmitzt.

»– so habe ich an dich eine Frage zu richten, Ernst.«

»Los!« Herr von Stackelhofen ordnete sein Gesicht in würdige Falten.

»Ernst – hast – nun, Ernst, empfindest du – hast du 'n tieferes Interesse für Fräulein von Ostenhusen?«

»Na und ob, Konfuchs!« Herr von Stackelhofen machte ein ganz konventionelles Gesicht. »Das hättest du die Tage her wohl bemerken können. Tiefstes Interesse!«

»Konfuchs, das ist mir nun noch das allerschwerste,« stöhnte Gelling. »Also du liebst sie?«

144 »Lieben?« Stackelhofen grinste ein wenig. »Habe ich nicht gesagt. Interessant ist sie mir, furchtbar interessant. Und wenn du nicht bald dazu thust, Gelling, dann könnte ich wohl am Ende –«

»Ernst, du erkennst also meine älteren Rechte an?« Herr von Gelling umklammerte den Arm seines Freundes.

»Aeltere Rechte? Ei, schon so weit sind wir? Davon weiß ja nicht mal der Johann was!« platzte Stackelhofen heraus.

»Der Johann?« fragte Gelling verwundert. »Na, aber höre doch, wie sollte denn der Johann für solche Dinge einen Sinn haben? Der Johann ist ein ganz vortrefflicher Bedienter, aber da hast du wohl einen deiner Späße gemacht, Konfuchs!«

»Der Johann? Ja, Gelling, da hast du recht, der Johann ist eine Perle von einem ganz vortrefflichen Bedienten. Aber lassen wir's, verschieben wir's auf die Generalbeichte. Also – ältere Rechte? Gelling, meine Hand drauf, ich respektiere alle deine älteren und jüngeren, gegenwärtigen und zukünftigen Rechte, ich bin Rechtsmensch durch und durch.«

»Ach, ältere Rechte, Ernst, das war wohl nicht passend ausgedrückt. Sag mal, Ernst, im 145 Vertrauen, du giebst es doch selbst zu, daß du dich ungeheuer für diese Dame interessierst?«

»Gewiß, Gelling, fast so sehr wie für dich.«

»Wieso?« Der Genesende machte ein mißtrauisches Gesicht.

»Na, zum Henker, ist das ein Gerede hin und her! Es kann mir doch wahrhaftig nicht gleichgültig sein, wer nun die Herrin von Buchenwalde wird?«

»Ernst, und du meinst, ich könnte – ich dürfte?« Es klang wie ein jubelnder Aufschrei.

»Gleich allen deinen Vätern!« sagte der Gutsnachbar zum zweitenmal.

»Ernst!« Gelling preßte die Hand des Freundes. »Und glaubst du, ich hätte nach meiner Genesung – Aussicht?«

»Ja, das mußt du sie wohl selber fragen, Gelling.«

»Ernst, thu mir den Gefallen und bekenne Farbe! Du hast nun in den drei Tagen sicherlich so viel oder mehr mit ihr gesprochen, als ich in den drei Wochen. Ich habe dabei Höllenqualen erlitten. Sag, ist auch mal die Rede auf mich gekommen?«

»Ja, Gelling, ich will ehrlich sein, schon verschiedene Male. Gleich heute mittag zum Beispiel hat sie sich zwischen Fisch und Braten hold zu 146 mir geneigt, hat mir die Hand auf den Arm gelegt –«

»Ernst, das flunkerst du!«

»Nun ja, so genau hab' ich mir nicht alles gemerkt, kann auch sein, sie hat die Hand auf meine Serviette gelegt und hat mit thränenerstickter Stimme geflüstert: ›Herr von Stackelhofen, hat denn Ihr Freund keine Augen im Kopf? Sieht er denn nicht, daß ich ihm von Herzen gut bin? Aber glaubt er denn, von der Chaiselongue aus erringt man sich die Hand einer Lore von Ostenhusen?‹ Ich drückte ihr verständnisvoll das Händchen und sagte: ›Ganz meine Ansicht, gnädigstes Fräulein.‹«

Gelling mußte lachen. »Schändlicher Lügner! Aber weißt du, Ernst, gesprochen habt ihr doch von mir, ich beobachte genau. Und heute mittag hat sie auf einmal so verloren zu mir herübergesehen.«

»Kann wohl sein, Gelling. Da habe ich ihr nämlich viel von unsern Jagden in Ostafrika erzählt.«

»Unnötige Renommage, Ernst!«

»Durchaus nicht, Gelling. Und ich habe ihr auch erzählt, wie du mir das Leben gerettet hast –«

Gelling murrte: »Räubergeschichten, alte!«

»Und habe ihr erzählt, was du für 'n Kerl gewesen bist, Gelling, ehe dich an der Küste die 147 verfluchte Malaria und die ebenso verdammte Verlobungsanzeige geworfen haben. Das war ich mir selbst schuldig, weil ich mich erinnern kann, daß wir seinerzeit unsre Freundschaft auch nicht von Chaiselongue zu Chaiselongue geschlossen hatten, und weil es heißt: sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.«

»Ernst, das von der Verlobungsanzeige hast du nicht erzählt; denn indiskret bist du nie gewesen.«

»Danke fürs gute Zeugnis. Kann auch sein, ich habe die Verlobungsanzeige weggelassen. Aber nun Scherz beiseite, Gelling!« Er stellte sich breitspurig vor den Freund hin: »Du oder ich! Wenn du sie nicht heiratest, heirate ich sie; denn so was läuft einem denn doch nicht alle Tage über 'n Weg. Sei froh, daß ich 'n anständiger Kerl bin!«

»Wenn ich nur ganz gesund wäre!« klagte Gelling.

»Zum Henker, du bist nicht krank, und das übrige wollen wir schon kriegen. Gestatte, daß ich deinen Arzt spiele. Gieb mir das Verfügungsrecht über hundert Mark!«

»Mit Vergnügen – aber wozu?«

»Ich kaufe dir unter Johanns Assistenz einen Touristenanzug, einen Rucksack und einen 148 Knotenstock, was übrig bleibt, kriegst du wieder heraus. Und dann steigen wir nicht auf den Schloßberg, sondern in die Waldberge. Nun? So etwa auf vierzehn Tage. Und da sollst du mal sehen, wie dir das anschlägt. Erst ein paar Stunden am Tage, dann immer mehr, zuletzt nur noch in Heuhütten Nachtlager – ich sage dir, famos wird's. Schau nur hinaus, wie sie dastehen, die Berge, blau und duftig! Gelling, jetzt freut mich mein Leben!«

»Aber du wolltest doch – Stackelhofen, du wolltest doch selbst eine Kur durchmachen? Stackelhofen, mir schwant etwas, Stackelhofen, was ist's denn mit deinem – Ochsenherzen?«

»Mein Ochsenherz schlägt unentwegt für dich,« erklärte der Konfuchs feierlich.

»Und vierzehn Tage lang soll die Fußtour währen – so lange?« fragte der andre schon wieder nachdenklich, fast träumerisch.

»Gewiß, mein Junge, nicht länger, aber auch nicht kürzer. Morgen über vierzehn Tagen halten wir unsern zweiten Einzug im Hotel. Dann sind Ostenhusens gerade in die sechste Woche ihres Aufenthaltes getreten. Braun und frisch kommen wir zurück, abgerissen wie der Handwerksbursche im Liede, daß man uns zuerst kaum mehr erkennt, dann aber plötzlich einen 149 unartikulierten Schrei ausstößt – und wir sinken uns gerührt in die Arme und –«

»Halten uns eventuell gefälligst abseits, weil uns die ganze Geschichte unter Umständen gar nichts mehr angeht,« unterbrach ihn Gelling ärgerlich.

»Ganz richtig, Gelling, wir haben dann unsre Schuldigkeit gethan und können abtreten,« lachte der andre. »So verfährt man ja meistens mit uns Aerzten. Apropos, Aerzte: Magst du mir's überlassen, die Angelegenheit mit deinem großen Arzte zu ordnen? Ich muß morgen ohnedies noch eine kleine Abrechnung mit ihm halten.«

»Bin dir nur dankbar, Ernst,« erwiderte Gelling zerstreut. Dann aber trat er plötzlich hart an den Freund, legte ihm die Hände auf die Schultern und stieß hervor: »Ernst, ich war grimmig eifersüchtig auf dich!«

»Freut mich, mein Lieber. Also ist das Mittel wohl probat,« versetzte der andre trocken.

»Eine Fußtour, Ernst?« sagte der Genesende träumerisch, öffnete die Glasthüre, trat auf den kleinen Balkon und atmete tief auf. »Ernst, ich glaube auch, es ist das Gescheiteste in meiner Lage und bei dem herrlichen Wetter!« 150

 


 


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